Sesshoumarus Braut von XdramaX ================================================================================ Kapitel 4: eine zweite Opfergabe -------------------------------- Entschlossen stieß Sesshoumaru die nächste Tür auf dem Flur auf, doch auch dieses Zimmer war leer. Wo war sie nur? Hier irgendwo musste seine Verlobte doch sein! Als er wieder hinaus auf den Gang trat, wandte er sich der Treppe zu, um in die erste Etage zu kommen, doch Gorou hielt ihn auf. „Sesshoumaru, wir sollten hier raus.“, erklärte er, doch der Angesprochene wollte nicht einmal daran denken. Er sprang auf die erste Stufe und griff nach dem Geländer. Sie war hier, da war er sich absolut sicher. Er war an seinem Ziel! Wenn er sie nun tötete, dann würde er den Fluch damit brechen und sie konnten zurück in die Festung seines Vaters ziehen. „Sesshoumaru!“ „Geht raus, wenn ihr es nicht aushaltet!“, befahl er barsch und sah zurück. In dem Moment brach Kagome unter der Last der Emotionen der schwarzen Braut zusammen. Sie keuchte schwer und hielt sich an InuYashas Kleidung fest. Auch Miroku legte beide Arme um Sango, die vornüber zu fallen drohte. „Komm mit uns raus!“, bat Gorou eindringlich und sah überrascht zu seinen Füßen hinab. Jaken kam ins Straucheln und wankte wie ein Betrunkener durch den Flur. So stark konnte die Kraft seiner Braut doch gar nicht sein. Er griff das Geländer fester und sah sich in dem finsteren Nebel um. Tatsächlich spürte auch er all den Frust, der sie umgab und es war nicht zu leugnen, dass auch ihm das Herz schwer wurde. Doch er war sich darüber im Klaren, dass nicht er diese Gefühle verspürte, sondern sie. Er war sich sicher, dass seine Braut in der Nähe war. Dies war seine Chance. Wenn er sie fand und zu fassen bekam, dann konnte er alle dem endlich ein Ende bereiten und seinen Platz auf dem Thron einnehmen. „Tu doch was du willst.“, beschloss InuYasha in diesem Moment und nahm seine Frau auf die Arme. „Aber ich bring Kagome hier raus.“ Sollte er doch tun, was er wollte. Sesshoumaru würde seinen Bruder nicht brauchen, um seine Verlobte zu besiegen. Sein Vater war vielleicht zu schwach, doch im würden nicht die gleichen Fehler unterlaufen. „So einsam habe ich mich nicht einmal gefühlt, als mein Vater, mein Bruder und unsere Freunde starben.“, bemerkte Sango schwach und Miroku nahm sie fester in seine Arme. Gorou schüttelte den Kopf. „Wir gehen raus und dann überlegen wir uns, wie wir die Frauen hier weg bekommen.“, verkündete er und wandte sich gerade von Sesshoumaru ab, als er stockte. Er gefror in seiner Position zu Eis und starrte den Flur hinunter, aus dem sie gekommen waren. „InuYasha, hinter dir...“, hauchte Kagome und der Halbdämon wirbelte überrascht herum. Auch Sesshoumaru sah auf. Ein Wispern erfüllte das Haus. Die Stimme der schwarzen Braut hallte mit tausenden Echos von den Wände wider. Sie hörten ihr Schluchzen, ihre verzweifelten Schreie und ihre anklagenden Worte gegen ihren Verlobten. Am Ende des Ganges, gegenüber der Tür des Raumes, in dem sie damals für ihre Hochzeit vorbereitet wurde, türmte sich der undurchdringliche Dunst zu einer Gestalt empor. Da war sie. In einem schwarzen Brautgewand, das Gesicht durch den ebenso dunklen Schleier halb verdeckt, erschien Nozomi direkt vor ihnen. Umgeben vom Nebel verfestigte sie sich. Ihre Schultern und Arme hingen kraftlos hinunter. Ihre ganze Erscheinung wirkte verloren. Fest fixierte Sesshoumaru sie. „Hört nicht auf das was sie sagt. Und gebt acht, dass die Frauen nicht mit dem Nebel in Berührung kommen, der ihren Körper formt!“, rief Gorou, da machte Nozomi bereits ihren ersten Schritt. Schockiert wichen InuYasha und Miroku mit Kagome und Sango in den Armen zurück, doch die unheimliche Gestalt kam unbeeindruckt näher. Das war es! Das war das Finale! Sesshoumaru kam die Stufen hinunter und zog Bakusaiga aus der Scheide. Die Braut hielt inne. Dieses Zögern nutzte nun auch InuYasha, um Kagome wieder auf den Boden zurück zu lassen und hinter sich zu schieben. Nun endlich mit freien Armen richtet auch er seine Waffe gegen die schwarze Braut. Erschrocken, fast schon verängstigt, blickte der verfluchte Dämon von Sesshoumaru zu dessen Halbbruder und wich zurück. „Halt dich daraus, InuYasha.“, befahl Sesshoumaru und schritt an ihn vorüber. Dieses Mal war er es, der die geisterhafte Gestalt zum Rückzug zwang. Kagome und Miroku waren die ersten, die die Veränderung in der Umgebung wahrnahmen. Schuldgefühle und Selbsthass. Doch noch ehe einer von beiden etwas sagen konnte, schmolz der Geist in sich zusammen und der Flur lag ebenso verlassen vor ihnen, wie sie ihn vorgefunden hatten. Zittrig atmete Sango ein und sah hinüber zu Kagome, die sich an den Schultern InuYashas hinauf zog. Die erdrückenden Gefühle, die sie zum ersten Mal in dem Vorbereitungsraum spürten, verebbten. Endlich konnten sie wieder befreit Luft holen. „Wo ist sie hin?“, wollte Gorou wissen. „Sie ist geflohen!“, lachte Jaken euphorisch. „Sie hat meinen Meister gesehen und wusste was gut für sie ist!“ Ja, vermutlich, doch das war nicht sein Ziel gewesen. Sesshoumaru sah auf die Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte und verfluchte sich dafür, dass er nicht sofort ausgeholt hatte. War er so schwach geworden, dass er Rücksicht auf diese anderen Personen im Flur genommen hatte? Wollte er einfach verhindern, dass sie ebenso starben wie Nozomi, oder war es etwas anderes, das ihn aufgehalten hatte, sofort den vernichtenden Schlag zu führen? Er hätte doch einfach ausholen können und dann wäre es vorbei gewesen, egal wen er dabei traf. Nein, so wie sein erstes Wiedersehen mit ihr zu Ende ging, war es für ihn unbefriedigend. Bereits jetzt hätten sie frei sein können. Doch nun begann die Suche von Neuem. Er bezweifelte, dass sie sich noch immer in der Nähe aufhielt. Er wandte sich ab, stieg über Jakens Kopf hinweg – was den in seinen Lobeshymnen endlich zum Schweigen brachte – und durch die Tür in den Thronsaal zurück. Doch wo sollte er als nächstes nach ihr suchen? Wo konnte sie hingegangen sein? Und noch wichtiger: Würde sie sich zeigen, wo sie doch nun wusste, dass er hier war, um sie zu töten? Er musste es einfach schaffen. Er musste sich endlich von dieser Last befreien, die schon so lange auf seinen Schultern ruhte. „Sesshoumaru, warte doch!“, riefen die anderen ihm nach, doch er hörte nicht darauf. Er trat die Stufen des Gebäudes zum Vorplatz hinab, blieb jedoch augenblicklich erneut stehen. Neben der großen Feuerschale vor der Treppe des Gebäudes erwartete ihn ein alter Bekannter. „Mein Herr, ich freue mich Euch wiederzusehen.“, Akira verneigte sich tief und richtete sich erst auf, als hinter seinem Prinzen Gorou, Jaken und die fünf Freunde aufschlossen. „Ihr habt Frauen hergebracht. Kein kluger Zug.“, stellte er fest. „Was willst du hier, Akira?“ „Wer ist der Kerl?“, raunte InuYasha Gorou zu, doch ehe der Soldat reagieren konnte lachte der Fremde väterlich auf. „Mein Name ist Akira. Ich bin Arzt und Vertrauter des letzten Fürsten des Westens. Deinem Vater, InuYasha.“ Das war dem Halbdämonen nicht geheuer. „Woher weißt du, wer ich bin?“ Akira lächelte jedoch nur gutmütig auf diese Frage hin und hielt eine Hand an die entgegengesetzte Schulter. „Myouga!“, bemerkte Kagome überrascht und ließ reflexartig die Arme ihres Mannes los, an denen sie sich abstützte, als der kleine Flohgeist mit einem einzigen großen Satz von dem Dämonen zu ihr hinüber sprang. Bereitwillig bot sie ihm beide Handflächen an, auf denen er landen konnte. „Dass wir ausgerechnet dich Feigling hier treffen, hätte ich nicht vermutet.“, erklärte InuYasha wenig begeistert. „Dies ist ein denkwürdiger Tag in der Geschichte der Dämonen des Westens. Natürlich bin ich hier.“, gab er beleidigt zurück. „Der große Inu no Taishou wollte benachrichtigt werden, wenn sein Sohn zur Festung zurückkehrt, um sich seiner Pflicht zu stellen.“ Was sollte dieses Theater? Sesshoumaru sah wenig begeistert auf diesen nervigen kleinen Mann hinab. Er konnte ihn noch nie besonders gut leiden. „Als Euer verehrter Vater erkannte, dass sein Leben ein jähes Ende finden würde, wies er mich durch Myouga an, Euch an dem Tag zu begleiten, an dem Ihr in die Festung zurückkehrt.“, erklärte Akira weiter. „Verzeiht, dass ich nicht eher da war.“ „Wisst Ihr, wie man diese Nozomi finden und unschädlich machen kann?“, fragte Miroku, der Sango nun endlich wieder loslassen konnte, damit sie auf eigenen Beinen stand. Akira lächelte unbeirrt weiter und griff in seinen Ärmel. Heraus zog er ein kleines Säckchen. „Dieses Rätsel wird nur der junge Herr zu lösen wissen.“, erklärte er geheimnisvoll und reichte das kleine Behältnis an Sesshoumaru weiter. Ohne jegliche Anteilnahme sah er auf das Leder hinab. Er wusste nicht einmal, was er damit anfangen sollte. „Diese Braut scheint sehr verloren und einsam zu sein.“, erklärte Kagome in diesem Moment mitfühlend. „Ja, mein Kind, das ist wahr.“ „Könnt ihr uns mehr über sie erzählen?“ Akira lächelte über diese Frage und über die offensichtlich gute Seele, die dort an der Seite des jüngsten Sohnes seines Meisters stand. „Folgt mir. Ich werde sehen, was ich für euch tun kann.“, er wies an dem Hauptgebäude vorbei und schritt andächtig den alten Weg zu seinem privaten Wohnhaus hinab. Neugierig folgten ihm alle, bis auf Sesshoumaru und Gorou. Letzterer trat an seinen alten Freund heran und sah prüfend in seinen starren Blick, mit dem er seinen Begleitern folgte. „Du hast gezögert.“, stellte Gorou fest und die Augen des Prinzen richteten sich auf ihn. „Du hättest uns alle mit einem Schlag vernichten können, um sie zu töten, hast es aber nicht getan. Was ist anders geworden, Sesshoumaru?“ Schweigend betrachtete der kühle Mann seinen Gegenüber. Was hätte er antworten sollen? Er wusste es ja selbst nicht genau. Als der Soldat endlich begriff, dass er auf eine Antwort vergeblich wartete, nickte er zu dem Säckchen in seiner Hand. „Was ist da drin?“, wollte er wissen. Das war eine gute Frage. Jeder andere wäre wohl neugierig gewesen, doch nicht Sesshoumaru. Trotzdem zog er an der ledernen Schnur, wodurch sich der Stoff auf seiner Hand ausbreitete. Zum Vorschein kam eine Haarspange, besetzt mit einer fliederfarbenen Lilie. „Die gehörte ihr.“, stellte Gorou überrascht fest und sah hinauf in Sesshoumarus Gesicht, doch der reckte noch immer nur hochmütig das Kinn und starrte erhaben – ohne den Kopf zu senken – auf das Schmuckstück hinab. „Sesshoumaru, damals, als sie noch nicht diese schwarz Braut war...“ Die harten, goldenen Augen des Prinzen richteten sich wie messerscharfe Waffen auf ihn. „Ich bin nicht hier, um über das Vergangene nachzudenken. Ich bin hier, um Nozomi zu töten und diesen Fluch zu beenden.“ „Sie hat WAS?“, donnerte der Inu no Taishou durch den Thronsaal und beugt sich vor, als würde er zum Sprung ansetzen wollen. „Es tut mir so leid, Meister.“, stammelte Suzume und versuchte sich noch fester auf die Dielen zu drücken. „Ich habe versuchte Nozomi davon abzubringen, aber sie sagte irgendetwas von Dämonenhort und Gnadenhof und dass sie nicht länger bleiben könne...“ Schuldbewusst sackte der Fürst wieder zurück auf sein Hinterteil und musste diese Worte erst einmal verdauen. Er konnte verstehen, warum sie nach dieser Aussage nicht länger unter seinem Dach leben wollte, besonders in Anbetracht dessen, wie seine Frau und sein Sohn sich ihr gegenüber verhalten hatten. Sie tat ihm so unvorstellbar leid. Der Vater opfert sie, um einen Fluch zu besänftigen und ihr neues Zuhause entpuppte sich als scheinbar feindseliger Gegner. Wenig begeistert sah er hinüber zu Ichiro. Er bemerkte schnell den Blick, hatte er doch die Worte erkannt, die er früher am Tag hatte fallen lassen. „Herr, mich trifft keine Schuld. Sie muss uns belauscht haben. Woher sollte ich wissen, dass dieser Mensch sich hier aufhält.“ Inu no Taishou schüttelte den Kopf. Er hätte von Anfang an nicht einmal an diese Bemerkung denken dürfen. Dennoch war sein Einwand berechtigt. „Was hatte Nozomi hier überhaupt zu suchen?“, fragte er in einem Anflug von Verzweiflung. „Ich hatte sie dir anvertraut, damit sie dir in den privaten Gemächern meiner Familie hilft.“ „Ich weiß, Meister, und es tut mir so leid. Das ist alles meine Schuld. Nachdem Nozomi auf die verehrte Fürstin traf und gestern wegen mir in diese unschöne Situation mit dem Prinzen geriet, habe ich sie heute darum gebeten, dass sie die Kissen aus dem großen Bankettsaal und dem Lagerraum einsammelt, damit wir sie waschen können. Das hat sie auch getan, doch als sie nicht am Fluss erschien, bin ich sie suchen gegangen und fand sie in unserem Zimmer vor. Sie zog sich gerade ihr Brautgewand an und bat mich ihren Arbeitskimono wieder an mich zu nehmen. Sie ist dankbar für Eure Gastfreundschaft, sagte sie mir, aber sie fühlte sich hier nicht mehr wohl. Sie wollte gehen und nahm alles mit, was sie besitzt.“ Der Fürst legte eine Hand ins Gesicht und rieb sich die Augen. „Danke, Suzume, du darfst gehen.“ Angestrengt dachte er darüber nach, was er nun tun sollte. Er konnte doch ein hilfloses Menschenmädchen wie sie nicht durch eine Welt wie diese laufen lassen. Es war nur eine Frage der Zeit, dass sie genau dieses Schicksal erlitt, das er sich für keine Frau wünschte. Besonders in dieser auffälligen, zeremoniellen Robe würde sie den ersten Wegelagerern unweigerlich ein verlockendes Opfer bieten. Und wenn das alles noch nicht genug war, dann war da noch immer die Frage, warum sich ihre Haare weiß verfärbten. Nozomi hatte sich den womöglich ungünstigen Moment für einen Abschied ausgesucht. „Ihr habt alle recht.“, verkündete er da plötzlich und seine Berater, seine Frau und sein Sohn sahen ihn überrascht an. „Die Veränderung an dem Mädchen könnte Gefahr bedeuten, doch dort draußen könnte das Kind im Ernstfall noch größeren Schaden anrichten. Egal, ob sie ein Tier, einen Menschen oder einen anderen Dämonen bedroht. Wir können sie nicht ziehen lassen.“ Während seine Berater sich diese Worte wohl zu Herzen nahmen, sah man der Fürstin an, dass der Gedanke Nozomi zurückzuholen sie nicht besonders fröhlich stimmte. Als sie zu sprechen begann, wanderten Sesshoumarus Augen von seinem Vater zu seiner Mutter. „Ich verstehe ehrlich gesagt nicht das Problem.“, verkündete sie mit einer so liebevollen Stimme, dass sie genauso gut von kleinen Welpen hätte reden können. „Ihr sagtet doch selbst, dass das Mädchen so lange bei uns bleiben darf, sie sie gerne möchte. Scheinbar hat sie beschlossen, dass sie diese Gastfreundschaft nicht länger ausnutzen möchte und hat ihre Sachen selbst gepackt. Wir haben somit keine andere Möglichkeit, als ihren Willen zu respektieren.“ Ihr Mann sah sie eine Weile an und atmete schließlich tief durch. Obwohl sie die Wahrheit sprach, klangen diese Worte aus ihrem Mund falsch. „Ich bin mir sicher, dass das Kind zu ihrem eigenen Wohl richtig entschieden hat. Sicher ist sie bereits auf dem Weg nach Hause zu ihrer Familie, wo sie hingehört. Dort wird sie ein gutes und friedliches und vor allem ein – für ihren Stand – angemessenes Leben führen. Immerhin“, sie sah stolz zu ihrem Sohn. „Ein zweites Mal kann ihr Vater sie nicht opfern. Unser Sohn hat seine Aufgabe ganz nach Eurem Wunsch erfüllt und dem Fluch auf diesen Schrein gelöst. Ihr solltet Euch mehr mit den Erfolgen Eures eigen Fleisch und Blutes befassen, als mit einem Mädchen, das Eure Zuneigung offenkundig nicht zu würdigen weiß.“ Ihr Mann sah sie einen Moment ruhig an. „Eben weil ihr Vater sie opfern wollte, sollte sich jemand anderes um sie kümmern. Und was unseren Sohn angeht...“, er warf kurz einen Blick auf Sesshoumaru und dann wieder zu seiner Frau zurück. „Er ist ein erwachsener Dämon von einhundert Jahren. Ich muss ihn nicht mehr dafür Loben, dass er seine Arbeit macht. Andernfalls wäre es eine Beleidigung deiner Erziehung. Oder willst du behaupten, dass er ein Schwächling am Busen seiner Mutter sei?“ Sein zweiter Berater Fukita gab kurz einen amüsierten Laut von sich, fing sich aber sofort wieder. Inu no Kami strafte ihn mit einem strengen Blick und funkelte anschließend wieder ihren Mann an – allerdings war ihr die Situation wohl eher peinlich, als dass sie Wut verspürte. „Nein, mein Herr, selbstverständlich ist er das nicht.“ Sie schielte hinauf zu Sesshoumaru, doch seine kalten Augen verrieten auch ihr in diesem Moment nicht, was er gerade dachte. „Ich hoffe du kannst mir diese Worte verzeihen, Sesshoumaru. Ich weiß, dass du ein ehrenhafter Mann bist.“, erklärte Inu no Taishou. „Natürlich, Vater.“, bemerkte sein Sohn sofort und beließ es dabei. Er war sich sicher, dass sein Vater jedes Wort, das er sagte, ernst meinte, doch der Vergleich mit der mütterlichen Brust nagte trotzdem an seinem Ego. Immerhin standen er und seine Mutter sich trotz seines hohen Alters sehr nahe. Er wollte sogar sagen, dass sie sich besser kannten und verstanden, als er es mit seinem Vater tat. Doch war das ein Wunder? Er war von der Inu no Kami aufgezogen worden. Die meiste Zeit seiner Kindheit hatte er mit ihr verbracht. Sie erzog ihn zu einem Dämonen nach ihren Idealen. „Kommen wir zurück zu Nozomi.“, beschloss der Fürst. „Ich hoffe wir sind uns einig, dass das Kind zurück an diesen Hof geführt werden muss?“ „Meine Meinung kennt Ihr.“, verkündete seine Gemahlin und sah sich unter den Beratern um. „Und wenn wir abwarten?“, versuchte Fukita einen Mittelweg zu finden. „Vielleicht machen wir uns Sorgen wegen Nichts und mit dem Mädchen ist alles in Ordnung. Dann würde ich es durchaus befürworten, wenn sie bei ihrer eigenen Familie leben kann und ihren Weg finden.“ Auch dies war ein Argument, dem der Fürst Beachtung schenken sollte. Vielleicht war es tatsächlich das Einfachste, wenn er einen oder zwei Dämonen hinter ihr herschicken würde, die sie im Auge behielten. Entweder kamen sie allein zurück und Nozomi ging es gut, oder aber... In dem Moment öffnete sich ein zweites Mal während ihrer Besprechung die Pforte des Thronsaals. Überrascht sahen alle auf, als Akira mit einem halben dutzend Pergamentrollen herein trabte. „Ich denke ich habe etwas gefunden.“, verkündete er und stieg die Stufen hinauf zu der Ebene unterhalb der Fürstenfamilie, wo die Berater saßen. Die Anwesenden versuchten in seinem angestrengten Blick etwas Positives zu finden, doch leider wollten ihnen seine zusammengezogenen Augenbrauen nicht gefallen. Akira ließ sich auf sein Kissen sinken und sah sie alle mit einem kurzen, schweren Seufzen an. „Du gefällst mir nicht, Akira.“, erklärte der Meister als Erster und sprach damit das aus, was sie alle dachten. Zu ihrem Missfallen schüttelte der Neuankömmling auch noch den Kopf. „Ich befürchte, dass ich auch keine guten Neuigkeiten habe, mein Herr. Das einzig Positive, das ich vorbringen kann, ist dass ich weiß, was mit Nozomi geschieht. Es ist eigentlich sehr simpel. Wir hätten schon eher darauf kommen können. Für Dämonen sollte es kein unbekannter Vorgang sein.“ „Hör auf in Rätseln zu sprechen und sag endlich, was mit unserem Menschenkind los ist.“ „Um diesen Vorgang zu erklären, muss ich zu seinem Ursprung zurück. Wir alle hier wissen um den Fluch in dem Schrein, den Sesshoumaru-sama vernichtete.“ „Selbstverständlich.“, verkündete Inu no Kami stolz. Wie sollte sie jemals eine solche Glanzleistung ihres geliebten Prinzen vergessen? „Nun, leider ist es doch nicht ganz so einfach, wie wir gehofft haben. Wenn ein Mensch unter Schmerzen und Qualen stirbt, dann spaltet sich seine Seele und ein Teil von ihm – eben dieser Schmerz, die Wut und die Trauer – bleiben an dem betreffenden Ort seines Todes zurück und verfluchen ihn.“ „Wenn dies die Lösung wäre, dann wäre unser Prinz bereits tot. Jeder, der solch einen Ort betritt, wird von dem Fluch dahingerafft.“ „Das stimmt, doch in diesem Fall wurde das Opfer nicht von einem Menschen getötet. Stattdessen hatte der Fluch die Möglichkeit sich mit einem Dämonen zu verbinden.“ „Erklärt das genauer.“, bat der Fürst. Er verstand noch nicht, worauf Akira hinaus wollte. „Wir alle kennen das Phänomen, dass sich schwächere, niedere Dämonen gerne zu einem Einzigen verbinden. Um Jedoch nicht zu einem auffallenden, grotesken Biest zu werden, tun sie das meist in dem Körper eines willigen Menschen. Mit solch einem unauffälligen Erscheinungsbild ist es leichter Böses zu tun. Es entsteht ein Halbdämon.“ „Der Dämon am See war aber kein Halbdämon. Laut dem Mönch war er vollwertig.“, bemerkte Ichiro. „Natürlich, denn ein Halbdämon entsteht nur, wenn der Mensch dieser Vereinigung zustimmt. Verbinden sich die Dämonen jedoch ohne die Einwilligung des Menschen in seinem Körper, dann werden auch diese Wesen die Kontrolle übernehmen und er wird zu einem Dämonen.“ „So leicht ist das nicht. Es braucht Jahre der Zermürbung für diesen Vorgang.“, erklärte die Inu no Kami und winkte diese Geschichte bereits als ein reines Hirngespinst ab. „Jahre der Zermürbung, oder einfach Tage, in denen das Opfer höllische Qualen durchleidet und an deren Ende der Mensch dem Tod näher ist, als dem Leben.“ Nun glaubt der Fürst zu verstehen. „Die Dämonen verbanden sich mit der sterbenden Braut in dem Moment, da sich ihre Seele teilte und der Fluch entstand.“ „Korrekt und der Fluch wiederum verband sich mit dem Dämonen. So entstand die schwarze Braut, die die Menschen am Vulkansee heimsuchte.“ „Weiter zu Nozomi. Was hat das mit dem Kind zu tun?“, verlangte Fukita zu wissen. „Nozomi kam mit dem Fluch und damit auch mit dem Dämonen direkt in Berührung. Beides ist auf sie übergegangen.“ „Das ist nicht gut...“, murmelte Inu no Taishou und lehnte sich vor. Nachdenklich aber auch besorgt strich er sich über das Kinn. „Nein, ist es auch nicht. Als Gorou und Sesshoumaru-sama die Kleine zu mir brachten, war sie ohne sichtbare Schädigungen tagelang Bewusstlos. In den letzten Stunden vor ihrem Erwachen konnte ich beobachten, dass sie fürchterliche Alpträume durchleben musste. Sicher waren das zum einen ihre eigenen Erfahrungen am See und zum anderen die Erinnerungen des Fluches. Nozomi wurde von ihrem Vater geopfert und zu dem Schrein geschickt, wo sie auf die schwarze Braut traf. Laut Gorou war diese gerade dabei ihr Opfer in sich aufzunehmen, als Sesshoumaru-sama sie störte und zur Strecke brachte. Doch wie schon bei der armen Braut vor ihr, hefteten sich die Dämonen einfach an den Körper Nozomis und mit ihnen der Fluch, der ein Teil von ihnen geworden war.“ „Das heißt, dass die eigentliche Nozomi starb?“, überlegte Ichiro laut, doch auch dieses Mal musste Akira den Kopf schütteln. „Nein, das wohl eher nicht. Ich denke, dass Nozomi im Gegensatz zu der ursprünglichen Braut nicht einmal die Seelenspaltung durchlitt. Wenn sie bei der Vereinigung gestorben wäre, dann hätten wir schon lange eine zweite schwarze Braut hier in unserer Festung. Dieses Kind jedoch entwickelt sich langsam zum Dämonen. Ihr Haar wird weiß und bleibt nicht schwarz. Daraus schließe ich, dass zu unserem Glück der Fluch der schwarzen Braut bisher nicht zum Vorschein kam. Vielleicht besitzt sie sogar genug mentale Kraft, damit er verschlossen bleibt.“ „Und wie sollen sie sich dann ohne ihre Zustimmung in ihrem Körper verbunden haben?“, fragte Inu no Kami abwehrend. Ihr gefiel nicht, wohin das Gespräch führte. Nicht etwa, weil sie Angst um Nozomi hatte, sondern weil sie ahnte, dass ihr Mann nun keinen Widerspruch mehr dulden würde und sie zurück holte. „Wie ich schon sagte, war sie bewusstlos, als sie zu mir kam. Ihr Geist war geschwächt, ihr Körper war Geschwächt. Im Angesicht der schwarzen Braut verlor sie die Kontrolle über alles, was sie ausmachte.“ Der Inu no Taishou atmete tief durch und sah zu seinen Beratern. „Ich fürchte wir haben an dieser Stelle keine Wahl.“, bemerkt der von den Vieren, der bisher zu allem geschwiegen hatte. „Das sehe ich genauso.“, verkündete Inu no Kami. „Mein Herr, ihr könnt nach allem, was Akira gerade sagte, nicht wirklich noch immer in Betracht ziehen, diesen Menschen wieder zu uns zurück zu holen.“ Der Arzt horchte überrascht auf. Sollte das heißen, dass Nozomi verschwunden war? Wie konnte das sein? Er hatte sie doch gerade eben noch gesehen. „Du hast es doch gehört, Frau. Nozomi ist kein Mensch mehr. Sie wird zu einem Dämonen.“ Inu no Kami schüttelte den Kopf. Zu einem Dämonen wurde man nicht so einfach. Entweder war man als solcher geboren, oder eben nicht. Das, was dem Mädchen geschah, war aus Nozomis Sicht vielleicht tragisch, sollte sie jedoch nicht weiter interessieren. Sie war doch nur ein einfacher, kleiner Mensch. Nichts, worum man sich Sorgen machen sollte. „Um ehrlich zu sein – mein Herr, meine Herrin – war dies auch nicht das, was ich meinte. Ich bin der Meinung, dass wir keine andere Wahl haben, als das Mädchen zurück zu holen. Dort draußen läuft ein fünfzehnjähriger Mensch herum, der langsam aber sicher zu einem Dämonen wird. Ob sie stark sein wird oder nicht: Sie wird gefährlich sein. Entweder muss sie sterben, oder wir holen sie her und versuchen einen Weg zu finden, durch den sie mit ihren neuen Kräften umzugehen lernt.“ „Dann muss sie eben sterben.“, beschloss die Fürstin. „Du gehst zu weit, Frau.“, erklärte ihr Gatte hart. „Ein Leben, ob Mensch, Halbdämon oder Dämon, ist etwas wertvolles. Den Tod einer Unschuldigen werde ich erst als allerletzten Ausweg in Betracht ziehen.“, er wandte sich an seinen Sohn. „Sesshoumaru.“ Der Prinz reckte das Kinn und blickte seinem Vater stolz entgegen. „Du wirst Nozomi folgen und sie unbeschadet wieder zu uns zurück bringen. Sei jedoch behutsam mit ihr. Ich möchte ihr den Umstand selbst erklären, warum ich sie hier behalten will.“ Sesshoumaru verneigte sich ohne zu zögern. „Wie Ihr wollt, Vater.“ Wie entwürdigend! Wenig begeistert stapfte Sesshoumaru die Straße hinab, welche zur Festung hinauf führte. Warum musste ausgerechnet er die Amme für dieses Menschlein spielen? Sollte sein Vater doch selbst das kleine Biest wieder einfangen, wenn ihm so viel an ihr lag. „Bring mir das Mädchen unbeschadet zurück!“, hatte der Inu no Taishou befohlen. „Wenn sie dir auch nur den kleinsten Grund dazu liefert, dann beende ihr kümmerliches Leben. Dann haben wir endlich Ruhe vor ihr und diesem Fluch.“, lege ihm seine Mutter nahe. Wie gerne hätte er doch ihrem Wunsch entsprochen und Nozomi als Jagdbeute verwendet. Doch so sehr er seiner Mutter auch zustimmte: Sein Vater war die Kraft, der er gehorchen musste und würde. Er war der Fürst, der seine Mutter lediglich in den Stand erhoben hatte, den sie nun inne hatte. Abgesehen davon wusste Sesshoumaru um die Differenzen seiner Eltern. Er wollte daher ungern zwischen sie geraten, indem er der Inu no Kami den Vorzug gab. Nein, Sein Vater war der Herr und er – so wie alle anderen – in erster Linie sein Diener. Auch wenn es ihm – besonders in diesem Moment mal wieder – absolut missfiel. Ein Menschenmädchen einfangen, das offenkundig nicht zu ihnen gehörte und das auch eingesehen hatte, war widerspruchslos entwürdigend! Doch was sollte er tun? Er konnte sich schlecht gegen den Befehl seines Vaters stellen, auch wenn er es nicht einsah, warum Nozomi zu ihnen zurückkehren sollte. In diesem Moment war er nur glücklich, dass Gorou nicht mitgekommen war. Bezüglich seiner Einstellung zu Menschen wäre er vermutlich der bessere Sohn für den Inu no Taishou gewesen, doch Sesshoumaru konnte so viel Zuneigung für Sterbliche weder verstehen noch ertragen. … Manchmal fragte er sich, ob diese Ansichten wohl anders gewesen wären, wenn seine Mutter nicht darauf bestanden hätten, ihren kleinen Kronprinzen selbst zu erziehen, sondern es standesgemäß einer Amme überlassen hätte. Doch andererseits konnte er es sich nicht vorstellen irgendetwas für diese niederen Wesen zu empfinden, die sich wie die Pest auf dieser Erde zu verbreiten schienen. Eine einsame Schneeflocke tanzte vor ihm zu Boden und er sah hinauf in den behangenen Himmel. Die Wolken schienen immer größer und dunkler zu werden, sicher würde noch ehe er den Gebirgszug um ihr Tal herum erreichte ein Schneesturm losbrechen, oder wenigstens ein schweres Schneegestöber. Er seufzte innerlich und richtete wieder den Blick nach vorn. Ihm als großen Dämon, der sicher eines Tages zu den mächtigsten der Welt gehören würde, würde dieses Wetter nichts ausmachen. Doch das Mädchen, das er einholen und heimbringen sollte, war trotz ihrer einsetzenden Wandlung zum Dämon nichts als ein mickriger Mensch. Soweit er wusste konnten sich diese Wesen unterkühlen und krank werden und womöglich sogar an den Folgen dieser Erscheinungen sterben. Genau dieser Umstand jedoch war es, den sein Vater ihm verboten hatte. Nozomi musste gesund und munter zu ihm zurückgebracht werden. Wurde schon erwähnt, dass diese Aufgabe entwürdigend war? Er, die Amme eines kleinen Menschenmädchens! Er blickte hinab auf die Fußspuren im Schnee vor ihm, die Nozomi hinterlassen hatte, als sie mit dem Einzigen, das sie besaß, die Festung verlassen hatte. Es war schon eine Weile her, dass sie hier vorbeigekommen war und da er sich besonders viel Zeit für seinen bisherigen Weg gelassen hatte, war sie mit Sicherheit auch schon in dem Gebirge verschwunden, das sich vor ihm erstreckte. Dort gab es viele Dämonen. Und Banditen. Ein Blick hinauf verriet ihm sogar, dass es dort bereits zu schneien schien. Nun gut. Er hatte halt keine Wahl. Er schloss seine Überjacke etwas fester vor dem Bauch und sprang auf einen nahegelegenen Baum. Von dort aus war es nur ein einziger weiterer Satz und er hatte den Pfad erreicht, den Nozomi genommen hatte, als sie den Berg erklomm. Kaum, dass er auf diesem Weg den Wipfel des ersten Berges erreicht hatte, war ihm klar dass er das Wetter unterschätzt hatte. So hoch oben vielen die Flocken bereits als dichte Masse, doch in der hohen Schneedecke hatte Nozomi mit ihrem Gewand eine tiefe Furche hinterlassen. Es würde so zum Glück eine Weile dauern, bis ihre Spur unterging. Mit einem Satz folgte er dem Weg weiter. Der Schneefall wurde noch dichter. Wie konnte ein Mensch in dieser Umgebung so schnell so weit gekommen sein? Als ihre Spuren verschwanden, hatte Sesshoumaru wenigstens ein Ziel erkannt: Nozomi kehrte zum Kratersee zurück – oder vielleicht auch zu ihrem Dorf, das dort lag. Zitternd zog Nozomi ihren Schleier – der ihr als Schutz vor dem Schnee diente – tiefer ins Gesicht und schloss die Enden um ihre Schultern. Gedanklich versuchte sie sich zu überreden weiter zu laufen und nicht einfach anzuhalten. Wenn sie jetzt stehen blieb, dann würde sie vermutlich nie wieder einen Fuß vor den anderen stellen. Der Wind pfiff ihr um die Ohren und ihr heißer Atem folgte der stürmischen Böe davon. Ihre Nase war inzwischen so kalt, dass sie die Spitze nicht mehr spürte. Angestrengte hob sie die steifen Finger, wickelte sie in den Stoff ihrer Ärmel und hielt sich diese dann zusammen mit dem Schleier vor Mund und Nase. Ja, so war es schon etwas besser. Ganz konnte sie ihr Frieren jedoch nicht verhindern. Bei jedem Schritt in den tiefen Schnee hinein versanken ihre Beine zu Teil schutzlos in der weißen Masse. Die Berührung auf der inzwischen geröteten Haut brannte schlimmer als tausend Feuer. Sie zog die Schultern an und stieß ein fürchterliches Keuchen aus, als könnte sie so die eisige Taubheit vertreiben, die langsam in ihren Körper kroch. Sie hoffte inständig, dass der Weg zu ihrem Heimatdorf nicht mehr weit war. Vom Hof der Dämonenfestung aus, hatte Akira ihr gezeigt, welchen Pass sie nehmen musste, um zu dem Kratersee zu gelangen, wo ihr Vater sie hatte opfern wollen. Er sagte, dass es einen Weg gäbe, dem sie einfach nur folgen brauchte, um zu dem Berg und damit auch zu der Straße zu gelangen, die die Dörfer um ihn herum verband, doch in dem dichten Schneetreiben konnte sie nicht einmal mehr so weit sehen, dass sie zumindest die Silhouetten der Gebirgskette hätte ausmachen können. Sie war sich nicht einmal mehr sicher, ob sie noch dem richtigen Weg folgte, hoffte es jedoch aufgrund dessen, dass die Bäume so weit auseinander standen, als würde es eine Straße geben. Sie schloss die Augen, um sie vor der Kälte zu bewahren und senkte den Kopf. Als gebeugte Gestalt stapfte sie durch das eiskalte Wetter, ohne einen Blick dafür, wohin sie lief. Wann war sie nur endlich da? Ihre Schritte kamen wie automatisch. Einer, dann noch einer... Doch mit jedem Weiteren schien der Widerstand durch die Naturgewalten immer größer zu werden. Der gefrorene Wind, der unter ihren Schleier fuhr und ihn mitzunehmen versuchte, und die schmerzende, weiche Masse, die unter ihren Füßen durch die Sohle ihrer viel zu leichten Schühchen kroch und versuchte ihre Glieder zu Eis werden zu lassen, erschwerten ihr jeden Schritt. „Helft mir doch... Irgendjemand...“, jammerte sie in ihrem Kopf. Wer hätte sie in dieser gottverdammten Gegend schon hören sollen? Sie spürte eine vom scharfen Wind heraufbeschworene Träne in ihrem Gesicht erfrieren und versuchte sie mit eisigen Fingern zu entfernen, dann öffnete sie die Lider. Überrascht hielt sie inne und sah sich um. Sie musste in der Nähe einer Siedlung sein. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sie aus dem Wald getreten war und nun in einer freien Ebene stand. Dem Muster im Schnee nach zu urteilen hatte sie Reisfelder erreicht. Sie hoffte nur, dass es die ihres Dorfes waren. Vielleicht... Sie drehte sich um. Dass ihre Spuren im Schnee bereits beinahe zur Gänze verweht und neu bedeckt waren, realisierte sie kaum. Im Schleier des Niederschlags erkannt sie die Silhouette des Waldes und mit ihr das vertraute Bild. Beinahe hätte sie vor Freude und Erleichterung vergessen, dass sie dennoch noch immer nicht im warmen, rettenden Zuhause ihrer Familie stand. Eine aufbrausende Böe ergriff sie und drängte sie zurück zu den Bäumen. Erschrocken kam sie ins straucheln und wäre beinahe kopfüber im Schnee versackt, fing sich aber gerade so noch einmal. Diesen Moment hatte sie gebraucht, um den Traum von einem heißen Feuer wieder in die Ferne zu schieben. Noch war sie nicht am Ziel. Sie wandte sich wieder dem Weg zu, dem sie folgen wollte, und lief mit neu gewonnener Kraft einem hoffentlich prasselnden Feuer und heißer Suppe entgegen. Als der Giebel einer Hütte in Sicht kam wollte sie rennen, doch sie landete stolpernd auf Händen und Knien. Ihr Schleier flog davon, doch das realisierte sie kaum. Sie hatte es geschafft. Ein Haus. Ein Dorf. Sicherheit! Sie rappelte sich von Schnee bedeckt auf und stapfte mit steifen Beinen weiter. Die Freude darüber, endlich andere Menschen gefunden zu haben, ließ sie den fürchterlichen Wind um ihre Ohren vergessen. „Hallo“, brüllte sie gegen den Sturm an. „Mutter, Vater, Hallo“ Ihr Fuß blieb an einem Hindernis hängen – vermutlich ein Holzscheit oder dergleichen. Sie stolperte und landete erneut im Schnee. Das plötzliche Brennen an ihren nun ebenfalls geröteten Fingern ließ sie hochschrecken. Schnell versteckt sie sie in den großen Ärmeln und erschauderte. Es war so kalt. Sie schloss die Augen. „Nozomi?“ Überrascht hob sie den Kopf. Fünf Männer kamen durch das Schneetreiben auf sie zu gestapft. „Nozomi!“, rief ihr Vater noch einmal. „Das ist doch schwachsinnig! Du hast dich verhört!“, brüllte ihn ein anderer über den Wind hinweg an. „Wir haben Nozomi vor Tagen zum See gebracht, hast du das schon wieder vergessen? Bald ein halber Mondzyklus ist seitdem vergangen.“ Doch die Männer kamen weiter auf sie zu. Geheuer war ihnen die Situation trotz allem nicht. Erleichtert stieß die Fünfzehnjährige die Luft aus und rappelte sich aus der Schneewehe hoch, die sie zu bedecken versuchte. Erschrocken wichen die Männer zurück, als sie sahen, wie sich eine zittrige Gestalt schwach aus der Landschaft erhob, um sich aufzurichten. „Wer da?“, rief ihr einer von ihnen entgegen, doch sogleich hielten sie alle die Luft an. Das Gesicht war bleich, doch fleckig rot vor Kälte. Ihre Augen sprachen von tausenden von Qualen, als sich das Mädchen auf sie zu schleppte. Sie alle erkannten sie, es war Nozomi. Die Tochter des Dorfvorstehers, die sie vor so vielen Tagen der schwarzen Braut auf dem dampfenden See opferten. „Vater“, hauchte sie erleichtert und ließ sich kalt in seine Arme fallen. Erschrocken fing er sie auf. Doch war das wirklich noch seine kleine Nozomi? „Das ist unmöglich.“, verkündete der erste Mann an seiner Seite. „Das ist nicht gut.“, bestätigte auch ein Zweiter, doch ihr Oberhaupt hörte nur das Wispern seiner Tochter: „Ich habe es geschafft. Ich bin Zuhause, endlich Zuhause... mir ist so kalt, Vater...“ Kurz war er versucht die Arme fester um sein erfrierenden Mädchen zu schlingen, da entdeckte er sie: Eine weiße Strähne an ihrem Hinterkopf. Panik stieg in ihm auf, als er spürte, wie sich die Arme seiner – vermeintlichen – Tochter enger um ihn schlossen. „Vater“, flüsterte sie am Ende ihrer Kräfte. Sie war so erleichtert lebend aus dieser Tortur entkommen zu sein. Mit bebenden Händen jedoch griff ihr Vater an ihren Kopf und strich über das schwarze Haar. Sein schlimmster Alptraum wurde war, auch die Strähnen darunter waren schneeweiß. Er schrie für eine schmerzliche Sekunde auf und taumelte Rückwärts von ihr weg. Seine Begleiter stoben erschrocken auseinander und sahen ihm auf seiner Flucht nach, die ein abruptes Ende fand, als er auf dem Hinterteil landete. Ohne von ihm gestützt zu werden und die Kraft, ihn bei sich zu halten, sackt Nozomi vorn über auf ihre Knie und blieb fröstelnd im Schnee hocken. „Das Haar, das Haar!“, stammelte er entsetzt und zeigte auf seine Tochter. Als die Männer seinem Wink folgten erkannten auch sie, was er gefunden hatte. „Das ist ein Zeichen!“, brüllte einer von ihnen. „Ein böses Omen, sie ist ein verfluchter Geist!“ „Sie wird uns alle vernichten.“ „Die schwarze Braut hat sie uns zurück geschickt. Sie war nicht zufrieden mit ihrem Opfer.“ „Womöglich war sie nicht mehr unschuldig.“ Panik und Verzweiflung stiegen in Nozomi auf. Wie konnten sie so etwas sagen? Sie war doch endlich Zuhause... „Wir müssen sie töten und hoffen, dass die Braut uns gnädig sein mag.“, gesagt, beschlossen, in Angriff genommen. Der Mann wandte sich suchend ab und entdeckte einen Stapel Holzscheite an der Hütte ihres Holzfällers und Schreiners. Durch den tiefen Schnee eilte er hinüber und befreite die gefrorenen Klötze vom der weißen Schicht auf ihnen. Nozomi hatte nicht mehr die Kraft sich zu erheben. Bibbernd vor Kälte richtete sie ihren Oberkörper auf und schlang die Arme um die Brust. „Bitte, ich bin es doch... Ich, Nozomi...“, brachte sie zittrig hervor und sah die Männer an, als letztes ihren Vater. Er sah die Angst in ihren Augen und das unendliche Leid, doch die Gefühle, die auf ihn einzuprasseln begangen waren auch in seinen Augen nicht normal. Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein“, jammerte er. „Meine Tochter ist tot. Du bist nicht meine Tochter... Du bist die Braut.“ „Vater“, heulte sie. Das Krachen der Holzscheite lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder zu dem Mann, der beschlossen hatte sie zu töten. Mit roher Gewalt hatte er das Holz von den anderen Blöcken befreit und fasste es nun mit beiden Händen. Er näherte sich ihr. Hob das Holz über den Kopf und... Schützend duckte sich Nozomi vor dem Schlag und hob die Arme über ihr Haupt. Doch der erwartete Treffer blieb aus. Nur ein sanftes, warmes Tuch legte sich um sie. Ihr Schleier war zurück. Überrascht griff sie nach dem Stoff, ehe er erneut davonfliegen konnte, und hob dann den Blick. Langes Haar wehte in der steifen Brise. Der Dämon, der sich zwischen sie und die Männer stellte, die sie beinahe getötet hätten, ließ ihre Angreifer zurück weichen. Erst dachte sie an Akira, dann an Gorou, doch auch der Inu no Taishou konnte es nicht sein. „Se-Sesshoumaru-sama?“, presste sie bibbernd zwischen den Zähnen hervor. Ohne die Regung einer Emotion oder das Gefühl für die Kälte seiner Umgebung sah der Prinz über seine Schulter hinweg. „Steh auf, Mädchen.“, befahl er ihr barsch. Wankend kam sie wieder auf die Beine und sah an ihm vorbei. Der Mann, der sie erschlagen wollte, saß vor ihm im Schnee und blickte entsetzt zu dem eiskalten Dämonen hinauf. Sein Mordinstrument versackte gerade in der weißen Masse um sie herum. „Wer seid Ihr?“, verlangte Nozomis Vater zu wissen. „Vater...“, verzweifelt versucht Nozomi erneut zu dem Mann zu kommen, der gerade mit Hilfe der Anderen wieder aufstand, doch als die Gruppe sie erneut erschrocken fixierte, hielt Sesshoumaru sie mit einer Hand vor ihrem Bauch auf. Überrascht aber vorsichtig sah sie auf. Seine Augen waren weiter starr auf die Männer gerichtet, als er sie hinter sich schob. „Vater hat mir befohlen, dich unversehrt zu ihm zurück zu bringen.“ „Was?“, fragte Nozomi irritiert. „Was soll das heißen, Dämon?“, brüllte ihr Vater ihm entgegen, doch der Prinz antwortete nicht. Irritiert sah der Mann in seine Augen und versuchte einen erneuten Blick auf das verängstigt geduckte Mädchen hinter ihm zu erhaschen. „Heißt das, dass das doch Nozomi ist und nicht die Braut aus dem Schrein?“ Wenn er nur wüsste, dass er irgendwo mit beiden Aussagen recht hatte... „Das ist unmöglich. Warum sollte die Braut das Opfer gehen lassen?“ „Ein Mönch brachte dem Daiyoukai des Westens ein Opfer, damit er den Fluch zerschlägt. Das ist geschehen.“, erklärte Sesshoumaru hochnäsig, als läge dieser Umstand klar auf der Hand. „Was? Das heißt... wir sind frei?“, fragte ihr Vater noch einmal, doch erneut antwortete er nicht. „Aber das Haar! Was geschieht mit ihrem Haar?“ Auch hierzu schwieg Sesshoumaru. Er hatte seinem Vater versprochen nichts zu sagen. Der Inu no Taishou wollte persönlich mit Nozomi darüber sprechen, was mit ihr geschehen würde. „Ist es ein Zeichen, dass sie mit dem Fluch in Berührung kam? Wurde sie auch verflucht?“ Dass der Dämon vor ihnen nicht die Anstalten machte weiter zu sprechen, gefiel den Männern nicht. Sie sahen einander an. Was sollten sie nun tun? Wenn sie eine andere Frau aus ihrem Dorf gewesen wäre, dann hätten sie wohl um sie gekämpft – zumindest solange der Gegner ein Mensch war. Doch hier handelte es sich um Nozomi, ein Mädchen, dass sie bereits vor etlichen Tagen einem Fluch opferten. Nun kam sie zurück, was ihnen nicht geheuer war, und zu allem Überfluss erschien ein Dämon mitten zwischen ihren Hütten. War das alles eine List? Das Monster vor ihnen hatte den Befehl, Nozomi wieder mit sich zu nehmen und zurück zu bringen, wohin auch immer. Selbst wenn es dem Kind gut ging und sie ein gutes Leben bei ihrer Familie hätte aufnehmen können, wer sagte ihnen, dass nicht weitere Dämonen kamen, um sie zu holen, so wie dieser vor ihnen? Es gab nur einen Weg um eine drohende Katastrophe aufzuhalten. „Nimm sie mit dir!“ „Was?“, Nozomi trat wieder aus dem Windschatten Sesshoumarus heraus und sah ihren Vater entsetzt an. „Nimm sie verdammt noch mal mit dir. Wir haben genug von euch Dämonen. Geh und nimm sie und all die anderen Geister mit. Geh! Verschwinde!“ „Vater!“, brüllte Nozomi entsetzt und wollte zu ihm. Sesshoumaru griff nach ihrem Handgelenk und zog sie zurück. „Nein, Sesshoumaru-sama, der Fürst sagte, ich sei ein Gast. Ich könnte gehen, wann ich will. Und ich will hier bleiben.“ Er war gewillt sie loszulassen und seinem Vater hiervon zu berichten, doch die harten Worte ihres Vaters erhoben sich über den Sturm: „Wir wollen dich hier aber nicht. Du bringst nichts als Ärger. Kommt ein Dämon wegen dir, dann kommen sie alle. Geh mit ihm! Wenn du es nicht tust, dann bringen wir dich zu dem Mann zurück, der nach dir verlangt. Andernfalls wird er womöglich unser Dorf angreifen und uns alle umbringen. Dein Leben für unser aller Wohl.“ Nozomis Herz setzte einen Moment aus. Konnte das wahr sein? Konnte ihr Vater sie so einfach von sich stoßen, um sie einem Dämonen zu opfern? Das war eine dumme Frage, wie ihr in diesem Moment klar wurde. Er konnte, er hatte und er würde es wieder tun. Sie spürte, wie ihr schwindlig wurde. Ihre Sicht verschwamm und sie drehte sich zu Sesshoumaru um. Ein letztes Mal sah er zu den Männern des Heimatdorfes des Mädchen, dann senkte er den Blick zu ihr hinab, doch ihre Augen waren geschlossen. Die Kälte ihrer Finger war selbst durch seine vielen Lagen von Kleidung hindurch zu spüren, als sie die schmalen Glieder in den Stoffen verhakte. „Nehmt mich mit Euch, mein Herr, ich flehe Euch an...“, flüsterte sie kaum hörbar. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)