Schatten von NaschKatzi ================================================================================ Kapitel 1: Schweigen -------------------- Erst als sich die schweren Türen des Zuges mit einem sanften Rauschen hinter ihm schlossen, spürte Arikawa, wie die Anspannung der letzten halben Stunde endgültig von ihm abfiel. Erleichtert fuhr sich der junge Mann durch den verwuschelten Haarschopf und atmete erst einmal tief durch. Dieses Mal war es wirklich verdammt knapp gewesen! Wäre er nur eine Minute später aufgetaucht, hätte er die Nacht auf der unbequemen Couch im Büro verbringen müssen. Und das alles nur, weil er sich von einigen Kollegen hatte bequatschen lassen. Glücklicherweise konnte er sich mit Hilfe eines tollkühnen Hechtsprunges gerade noch so in die überfüllte Bahn quetschen, bevor diese ihm vor der Nase davonrauschte. Dem Braunhaarigen entwich ein tiefer Seufzer. „Puh, nochmal Schwein gehabt …“ Nach und nach räumten auch die letzten Fahrgäste das Feld. Arikawa schloss sich ihnen liebend gern an. Gähnend warf er sich seine Tasche über die Schulter und schlug den Weg Richtung Ausgang ein. Als er den Bahnhof schließlich hinter sich ließ, sprang die Uhr auf seinem Handy lautlos auf 23:05 Uhr. Zerknirscht betrachtete Youichi die blinkenden Zahlen auf dem Display, ehe er das Telefon mit dem Anflug eines schlechten Gewissens schleunigst zurück in die Hosentasche verfrachtete. Hoffentlich war Misaki nicht allzu sauer. Zwar hatte er seinem Freund und Mitbewohner vorsorglich eine Mail geschrieben, in der stand, dass er heute später nach Hause kommen würde, doch Misakis Antwort fiel selbst für dessen Verhältnis ziemlich dürftig aus. Natürlich musste das Nichts heißen, aber seit ein paar Tagen schien sich Jüngere noch mehr als sonst in sein Schneckenhaus zurückzuziehen. Misaki gehörte ja noch nie der geselligen Art von Menschen an, die ihre Gefühle sofort mit der ganzen Welt teilten. Youichi war nicht blind. Selbstverständlich war ihm aufgefallen, dass dem Blonden irgendetwas zu beschäftigen schien. Dafür kannte er Misaki Shouta mittlerweile viel zu gut. Manchmal wünschte Arikawa allerdings wirklich, er könne Gedankenlesen. Denn anstatt mit ihm darüber zu reden, grübelte der andere still und heimlich vor sich hin.   Plötzlich wollte Arikawa nur noch nach Hause. Wie von selbst beschleunigten sich seine Schritte. Außer ihm war zu dieser späten Stunde niemand mehr auf den Straßen unterwegs. Das schummrige Licht der Straßenlaternen warf unruhige Schatten auf den Asphalt und obwohl es nicht gerade warm war, öffnete der Braunhaarige mit raschen Bewegungen die obersten Knöpfe seines Hemdes. Trotz des frischen Windes, der ihm neckend das Haar zerzauste, spürte er eine angenehme Wärme in sich aufsteigen. Das lag jedoch weniger an dem kleinen Sprint von vorhin, sondern viel mehr an den einen oder anderen Drink, den er sich hatte aufschwatzen lassen. Eigentlich wollte sich Arikawa nämlich schon vor zwei Stunden auf den Heimweg machen, aber seine führsorglichen Kollegen waren einstimmig der Meinung, ihn so lange ein Ohr abkauen zu müssen, bis er sich geschlagen gab und sie gemeinsam schlussendlich die nächstbeste Bar ansteuerten. Das Ende vom Lied war, dass er um Haaresbreite den Zug verpasste und nun mutterseelenallein durch die Gegend tappte. Spätestes morgen früh würde er seine Nachgiebigkeit bestimmt bereuen …   *~* *~*  *~* *~*   Das Haus, in dem Misaki und er seit fast einem Jahr zusammen wohnten, lag inmitten eines ruhigen Viertels. Ihre unmittelbare Nachbarschaft bestand vor allem aus älteren Herrschaften und Familien mit kleinen Kindern. Wie die meisten Häuser in der Straße war auch das ihre von viel Grün umgeben. Ein großzügiger Garten, samt Gewächshaus vervollständigte die Idylle. Das aufgeregte Bellen des Nachbarhundes begleitete Arikawa auf seinem Weg. Sanft knirschten die Schritte des jungen Anwaltes auf dem schmalen Pfad, der sich von der kleinen Gartenpforte bis zur Haustür schlängelte. Im Haus selbst herrschte Totenstille. Aufmerksam lauschte Youichi einen Moment, bevor er die Tür leise hinter sich zuzog. Außer dem monotonen Ticken einer Uhr und dem gelegentlichen Knacken einer Diele gab es nichts Großartiges zu hören. Außerdem brannte weit und breit kein Licht. „Misaki … er schläft bestimmt schon …“, raunte er der schemenhaften Gestalt, die ihm aus dem kleinen Spiegel neben der Tür entgegenblinzelte, geknickt zu. Angestrengt stieß er daraufhin die Luft aus, während er sich umständlich aus seiner Jacke schälte. Die Schuhe kickte er dagegen nachlässig von den Füßen. Vorsichtig, um keinen unnötigen Krach zu fabrizieren, schlich Arikawa auf Zehenspitzen durch den dunkeln Flur. Erst in der Küche bemühte er sich darum, ein weinig Licht ins Dunkel zu bringen. Mit einem kaum hörbaren Summen erwachte die Lampe über Anrichte zum Leben. Das grelle Licht brannte scheußlich. Höchste Zeit die Kontaktlinsen loszuwerden … Wie ich das hasse …, schoss es Arikawa flüchtig durch den Kopf. Murrend rieb er sich die tränenden Augen, während er sich den ohnehin schon gelockerten Schlips vom Hals zog. Achtlos warf er das Teil über die Schulter. Als er sich einigermaßen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatte, schlurfte er herzhaft gähnend weiter zum Kühlschrank, wo er gierig eine halbe Flasche Wasser hinunterstürzte. „Puuuuh! Genau das habe ich jetzt gebraucht …“ Arikawa schnaufte leise, ein angenehmer Schauer rieselte an seinem Rücken hinab. Zufrieden kühlte er das erhitzte Gesicht an dem herrlich kühlen Glas der Wasserflasche, die er sich einen winzigen Moment an die Wangen hielt. Noch einmal entschlüpfte Youichi ein lautes Gähnen, was prompt dazu führte, dass ihm Tränchen in die Augenwinkel schossen. Halbherzig wurden die Tränchen weggeblinzelt. Ein Herzschlag verstrich, dann landete die Flasche klackernd zurück im Kühlschrank, als sein noch leicht verschwommener Blick an einem der angrenzenden Küchenschränke hängen blieb. Von einer Sekunde auf die andere breitete sich ein liebevolles Lächeln auf seinen Lippen aus.   Ein Jahr. Ein Jahr wohnten sie jetzt schon unter einem Dach zusammen und dennoch brachte es Misaki noch immer fertig, ihm mit kleinen Gesten dieses wohlig warme Gefühl zu bescheren. Gleichzeitig meldete sich sein Magen beim Anblick der vorbereiteten Speisen knurrend zu Wort. Ein stilles Dankgebet an Misaki murmelnd, stürzte sich der junge Mann heißhungrig auf das verspätete Abendessen. Doch nach einer Weile schlug das schlechte Gewissen abermals unbarmherzig zu. Niedergeschlagen schob er sich einen Löffel Reis in den Mund und musste unwillkürlich daran denken, wie sein Freund ganz alleine in dem großen Haus saß und darauf wartete, dass er Heim kam. Im Grunde genommen, war das totaler Schwachsinn, denn sie beide waren erwachsen und hatten ihre Aufgaben, Verpflichtungen. Misaki in Professor Tsujimuras Labor und er selbst in der Anwaltskanzlei, in der er seit kurzem arbeitete. Außerdem war es bei Weitem nicht das erste Mal, dass er später nach Hause kam.   Nichtsdestotrotz fühlte sich Arikawa Youichi gerade echt mies.   *~*  *~*    Fünfzehn Minuten später waren seine Haare noch feucht von der kurzen, allerdings sehr erholsamen Dusche. Barfuß tapste Arikawa vorwärts, streckte ungeniert die Glieder, nachdem er zuvor träge in das Oberteil seins Pyjamas geschlüpft war. Auf einmal spürte er die Anstrengungen des Tages doppelt und dreifach. Der genossene Alkohol spielte dabei eine nicht unwesentliche Rolle. Arikawa schauderte es, fröstelnd zog er die Schultern hoch, als die Kälte langsam in ihm hochkroch. Obwohl die Aussicht auf ein gemütliches Bett verlockend war, bewegten sich seine Füße jedoch wie magisch angezogen auf Misakis Zimmer zu. Irgendetwas zwang ihn regelrecht dazu, noch einen Blick auf seinen Freund werfen zu müssen. Doch, als er die Tür so geschmeidig wie nur möglich aufzog, zerriss für einen klitzekleinen Moment ein verdächtiges Knarren die Stille um ihn herum. Shit! Youichi erstarrte mitten in der Bewegung, hielt automatisch die Luft an. Glück im Unglück, aber nichts geschah. Erleichtert ließ der Braunhaarige den Kopf hängen, doch die Erleichterung wich schnell purer Verwirrung.   Das Zimmer war leer. Kein Misaki weit und breit. Das Bettzeug lag unordentlich in der Mitte des Raumes.   *~*  *~*     „Misaki …“ „…  You...ichi …? Er fand Misaki schließlich in seinem eigenen Zimmer. Das Herz wurde ihm schwer, als er das zusammengekauerte Knäul Mensch unter der flauschigen Daunendecke entdeckte. Zuerst war er verdutzt, aber dann spürte er einen schmerzhaften Stich in der Brust. Selbst ohne Kontaktlinsen konnte er die verräterischen Tränenspuren auf den blassen Wangen des Jüngeren erkennen. Aus trüben Augen blinzelte dieser zu ihm auf. „Ssssh …“ Sanft strich er Misaki die schweißnassen Haare aus dem Gesicht. „… ich bin ja da, Shouta. Ist okay …“ Federleicht streichelte er ihm mit den Fingerkuppen über die Wangen. Die Müdigkeit, die Youichi noch vor wenigen Minuten einzufangen drohte, löste sich schlagartig in Luft auf. Besorg mustere er den anderen, der so zerbrechlich aussah, als könnte er jeden Moment zerbrechen. „Ist ja gut … Ich bin da, Shouta …“, wisperte er dem Kleinere zu, drückte ihm zärtlich einen Kuss auf die Stirn. Behutsam legte er einen Arm um den schmalen Köper Misakis. Deutlich spürte Arikawa, wie sich dieser entspannte und sich vertrauensvoll an ihn schmiegte. Gemeinsam fielen sie zurück in die Kissen, kuschelten sich unter die Decke. Liebevoll umschlang Arikawa seinen Partner, hielt ihn fest bis Misaki endlich eingeschlafen war.   Warum sprichst du nicht mit mir, Shouta …?   **Ende** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)