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With your Wings

von

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Schicksal

In den 16 Jahren ihres Lebens hätte Ryoko nie geglaubt, dass einmal der Moment kommen würde, in dem man sie brauchte.

Es war dieser flüchtige Gedanke, der das Mädchen durchzuckte, während es sich umwandte und die strahlende Digiwelt überblickte. Jetzt und hier erschien es beinahe, als hätte es die große Krise niemals gegeben. Das Gras, die Blumen und die Bäume blühten wie im schönsten Frühling, einzig berührt von heiterer Sonne. Vor den hohen Bergen am Horizont und dem wolkenlosen, blauen Himmel eine Szene so malerisch wie von einem Gemälde.

"Du bist die Erlöserin dieser Welt, wir haben dir alles zu verdanken."

Die Stimme, welche an ihre Ohren drang, war zweifelsohne die von Qinglongmon. Dennoch brauchte Ryoko noch einen Augenblick länger, um ihre Gedanken zu sammeln und zu antworten, denn hier und jetzt wurde ihr eines klar. Trotz der langen Zeit, die sie hier verbracht hatte, trotz der Gefahren, der Ängste und all der traurigen Erlebnisse auf ihrer Reise, hatte Ryoko eine Ewigkeit nicht mehr an ihr Zuhause gedacht. Es war beinahe, als hätte es überlagert von all den Kämpfen aufgehört zu existieren. Selbst jetzt, nach all diesen Monaten, entdeckte Ryoko nichts in ihrem Herzen, das sich beim Gedanken an ihre Tante, ihre Heimat und ihrem Zimmer als Sehnsucht interpretieren ließ. Viel mehr fühlte es sich an, als sei sie mit der Rückkehr in die reale Welt im Begriff alles zu verlieren, was sie besaß.
 

Ryokos konzentrierter, doch unsicherer Blick traf auf Qinglongmon. Die riesige Schlange stand in so voller Pracht vor ihr, dass sein Antlitz das dünne Hologramm ihrer ersten Begegnung aufwog - eine blasse Erinnerung, fortgewischt vom bloßen Hier und Jetzt. Die Energie, mit der das Digimon den Raum um sich herum verdränge war so intensiv, dass es Ryoko noch am Anfang ihrer Reise vermutlich unmöglich gewesen wäre, überhaupt neben ihm zu verweilen.

"Bevor ich dich in deine Welt zurückschicke", fuhr Qinglongmon fort, "Würde ich dir gern einen Wunsch erfüllen."

Ryoko wusste, dass dies die logische Folge ihrer Taten war. Qinglongmon hatte sie hierher geholt, um die Digiwelt zu retten. Sie war kein Digimon und gehörte nicht hierher. Es war nur natürlich, dass es nun an der Zeit wurde, nach Hause zurückzukehren. Doch ganz gleich, wie oft Ryoko auch versuchte, sich diese Tatsache bewusst zu machen - sie musste ihren Körper und wieder und wieder davon abhalten, aus purem Reflex rückwärts zu treten.

Hier und jetzt ließ es sich einfach nicht mehr leugnen. Es gab keinen Grund, wieder nach Hause zu wollen. Es war ebenso traurig wie simpel. Zuhause gab es niemanden, der auf Ryoko wartete.

"Also...", erhob Qinglongmon abermals seine Stimme, "Hast du einen Wunsch, den ich dir erfüllen kann?"

Von seiner Frage angetrieben huschte ihr Blick zu Agumon, denn ganz so wie immer verweilte das treue Reptiliendigimon an ihrer Seite. Es fing ihren Blick auf, kaum hatte es ihn bemerkt. Sein Ausdruck war gesetzt und beherrscht, doch so voller Sorge, dass es Ryokos Herz noch schwerer machte.

"M-Musst du wirklich gehen?", flüsterte Agumon. Sein Ton war distanziert, um es ihr nicht unnötig schwer zu machen, aber der Unwille in ihm ließ sich einfach nicht verbergen. Das dritte paar Augen, das Ryoko fixierte, war von strahlendem Blau und gehörte Pokomon. Der kleine, goldene Fuchs hatte seinen Mund zu einer geschwungenen, unzufriedenen Linie verzogen. Niemand musste etwas sagen. Ryoko wusste auch so, was vorsich ging.

"Ja...", erwiderte sie letztlich und spähte dabei wieder an der gewaltigen, blauen Schlange empor, die dort noch immer geduldig auf ihre Antwort wartete, "Es gibt da einen Wunsch."

Es brauchte einen weiteren Blick auf Agumon, eine allerletzte Begegnung ihrer Augen, bevor Ryoko fortfuhr.
 

Ein Jahr zuvor
 

Die Nacht war lange schon hereingebrochen, doch das Licht der Lampen, Maschinen und Monitore erhellte den Raum so intensiv, als erschaffe es seinen eigenen Tag. Es war Tage her, dass Hiroshi das Labor verlassen hatte. Der Kühlschrank war schon lange leer, doch der schwarzhaarige Mann fand einfach nicht den Elan, sich von seiner Arbeit zu lösen und nach draußen zu gehen. Es mochte an seiner Übermüdung liegen, aber er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie lange er bereits an seiner Forschung arbeitete. Zum ersten Mal seit Jahren - oder waren es Jahrzehnte? - hatte er das Gefühl, wirklich weitergekommen zu sein. Er nahm das unregelmäßige Flimmern der Lichter um sich herum kaum noch wahr, ebenso wenig den Warnton, den der Laptop auf dem Sideboard seit einiger Zeit dann und wann von sich gab. Hiroshi war so vertieft in seine Arbeit, dass er einmal mehr alles um sich herum vergaß - bis zu dem Moment, in dem sich sein Programmierfenster schloss und stattdessen einem großen, schwarzen Loch wich.
 

Es war ein Augenblick absoluter Stille. Hiroshi saß nur da, spähte auf den Bildschirm vor seinen Augen und fixierte das Tor in die Digiwelt mit so starrem Blick, als habe er seinen Erfolg nicht realisiert. Dann, kaum eine Minute später, fluteten Tränen seine Sicht. Das erste, was Hiroshi angesichts seines Ziels tat, war seine Brille abzunehmen und sein Gesicht zu trocknen.

"I-Ich... Ich habe es geschafft!", rief er dann und sprang so unvermittelt auf, dass sein Bürostuhl krachend hinter ihm zu Boden ging. Der Lärm übertönte abermals das Warnsignal des kleinen Computers in der Ecke.

"E-Es ist da!", fuhr Hiroshi fort, mit zitternden Händen vor dem Eintrittstor zur Digiwelt, "So viele Jahre... So viele Stunden!"

Er hatte nie aufgehört zu glauben. An die Digimon, die Digiwelt - nie. Selbst nach dem Abschluss der Schule, als all die anderen damit begonnen hatten, ihre Wünsche und Träume allmählich Realität werden zu lassen, hatte Hiroshi niemals aufgehört, an der Digiwelt festzuhalten. Er teilte eine so tiefe Verbundenheit für die kleinen, digitalen Wesen, dass er einfach nicht anders konnte. Schon als Kind hatten die Spielzeuge ihm Gesellschaft geleistet, wenn seine Eltern lange arbeiteten und die anderen Kinder ihn ausschlossen. Damals, vor so vielen Jahren war seine Liebe zur digitalen Welt entflammt und sie hatte ihn nie, niemals wieder losgelassen. Er hatte Jahre der Forschung damit zugebracht, einen Weg in die Digiwelt zu finden, um endlich persönlich all die Wesen kennenzulernen, die für ihn sein ganzes Leben lang schon wichtige Freunde waren. Und jetzt, in diesem Moment, hatte er sein Ziel erreicht. Hiroshi wischte abermals Tränen des Glücks aus seinen Augen, bevor er entschlossen, doch aufgeregt seine Brille zurechtrückte. Dann richtete er sich auf, atmete tief durch und legte schließlich seine Handfläche auf den Monitor.

Es dauerte nur eine Sekunde, bis sein Körper sich dematrealisierte. Binnen eines Augenblicks war Hiroshis Körper aus dem Labor verschwunden. Das einzige, das ihm folgte, war der schrille Warnton seines Laptops.
 

Als Hiroshi zu sich kam, fand er sich wieder in einem Gewirr aus Binärcodes und Datensträngen. Das erste, das sein Herz von ihm verlangte, war Furcht, doch der schwarzhaarige Wissenschaftler unterdrückte sie so entschlossen er nur konnte. Er hatte soeben die großartigste Entdeckung gemacht, welche die Menschheit seit langem gesehen hatte und er würde sie sich nicht durch Angst verderben lassen. Außerdem war er kurz davor, endlich die Freunde zu treffen, die ihm immer schon die liebsten gewesen waren. Kopfüber und ohne jede Gegenwehr strauchelte Hiroshi in dem Wirbelsturm aus Dimensionen, in den er sich soeben begeben hatte. Die schwarze Wolke, die ihm durch das Tor der Digiwelt gefolgt war, bemerkte er nicht.

"Hallo?", rief Hiroshi stattdessen mit vor Aufregung dünner, stockender Stimme, "Ich bin Hiroshi! Bitte lasst mich zu euch! Ich möchte euch kennenlernen!"

Gefangen zwischen der realen Welt und der Digiwelt erreichte ihn keine Antwort, doch die schwarze Masse hinter ihm kam rasch und bedrohlich näher. Zum ersten Mal warf Hiroshi einen Blick über seine Schulter und angesichts dessen, was ihm gefolgt war, erstarrte er plötzlich zur Salzsäule. Einen langen, stummen Moment starrte er die Materie hinter sich nur an, bis die Panik sich allmählich in sein Gesicht zu kämpfen vermochte.

"N-N-Nein!", quietschte er mit vor Angst schriller Stimme, während er mit Armen und Beinen versuchte, sich schneller fortzubewegen, "Geh weg!"

Er wusste genau, was das war. Dieses Ding, das ihm folgte. Hatte der Laptop ihn nicht gewarnt? Hatte er den Ton womöglich überhört?

Wieso jetzt, ausgerechnet...?!

"B-Bitte!", wimmerte Hiroshi, doch der dunkle Nebel hatte bereits Besitz von ihm ergriffen und hüllte ihn ein wie ein pechschwarzer Kokon aus Teer. Vollends hilflos versuchte Hiroshi noch, die Masse von sich abzuschütteln, doch sein letztes, klagendes Flehen verließ seinen Mund zu spät. Der Virus hatte seinen Körper längst zu etwas verzerrt, das mit einem Menschen nichts mehr zutun hatte.

...
 

"Ich gehe ins Bett", sagte Ryoko. Ihre Stimme war leise und gesetzt, als sie die Hand an den Türrahmen des Wohnzimmers legte, denn ihre Tante hasste laute Stimmen. In den letzten dreizehn Jahren, die Ryoko bei ihr lebte, hatte sie das längst gelernt. Die schwarzhaarige Schwester ihres Vaters, die das Mädchen nach dem Unfalltod seiner Eltern bei sich aufgenommen hatte, saß wie so oft auf dem Sofa, um die Spätnachrichten zu verfolgen. Weil Ryoko nur ihren Rücken sah, war sie unsicher, ob man sie gehört hatte.

"Minami-San?", fragte sie deswegen vorsichtig nach, "Ich gehe ins Bett, okay?"

Es war immer das Selbe. Jedes Mal, wenn Minami ihre Stimme erhob, zuckte Ryoko zusammen. Dabei war es völlig egal, ob sie tatsächlich eine Antwort von ihr erwartete oder nicht, denn es waren nicht Minamis Worte, sondern die kalte Distanz in ihnen, welche dem Mädchen seit Jahren immer wieder durch Mark und Bein fuhr.

"Ich hab's gehört", sagte Minami nur, ein simpler Satz aus wenigen Silben, bei dem sie keine Anstalten machte, sich zu Ryoko umzudrehen, "Und morgen machst du die Küche sauber, verstanden?"

Ryokos Hand umgriff abermals den Türrahmen. Eine Geste, die ihr ein wenig Sicherheit verschaffte.

"Ja...", versprach sie daraufhin leise, "Tut mir leid, dass ich das heute nicht machen konnte, aber die Schule war...-"

"Oh bitte, verschone mich damit", unterbrach Minami ihre Nichte, noch immer kein bisschen freundlicher als zuvor, "Ich arbeite von früh bis spät, um dich durchzufüttern, also verlange ich von dir, dass du das Mindeste zu der Sache hier beiträgst."

Minami scheute sich nicht davor, ihre Regeln klarzumachen. Ryoko war es nicht anders gewohnt, doch ihre Trauer ließ sich dennoch kaum verbergen. Einmal mehr blickte sie an ihrer Tante vorbei in den Fernseher und versuchte zu verstehen, wieso die Frau sie so wenig mochte. Gleichzeitig kam sie immer wieder von selbst auf die Antwort, denn Minami hasste Kinder. Sie war eine Karrierefrau, die große Pläne für ihr Leben gehabt hatte, bevor Ryokos Eltern bei dem Autounfall ums Leben gekommen waren. Als einzige Verwandte war Minami mehr oder weniger dazu gezwungen worden, ihre Nichte aufzunehmen, wenn sie sich nicht in der gesamten Nachbarschaft unbeliebt machen wollte. Ryoko konnte es nur erahnen, doch wahrscheinlich hatte sie Minamis Ziele durchkreuzt. Ihre Tante sprach nie darüber, also blieb Ryoko nichts weiter, als es sich selbst zu erklären. Der Gedanke daran, dass einzig Minamis Bestreben, nicht ihren Ruf zu ruinieren Ryoko vor dem Heim bewahrt hatte, schlug dem Mädchen immer wieder auf den Magen.

"V-Verstanden", murmelte Ryoko unterwürfig und mit trauriger Stimme, "Ich gehe dann... Gute Nacht."

Ryoko wartete noch einen Moment, bevor sie sich umwandte und schließlich langsam die Tür ihres Zimmers schloss, doch von Minami kam keine Antwort.

Hals über Kopf

Wach auf...

Das leise Gemurmel, das an Ryokos Ohren drang, fühlte sich fast an wie der leise Singsang eines Radios. Es mischte sich in ihren Schlaf, durchzog ihre Träume und brachte das Mädchen schließlich so dicht an die Oberfläche seines Bewusstseins zurück, dass Ryoko das blasse Licht im Zimmer bemerkte. Müde, verschlafene Augen suchten in der Dunkelheit nach der Störquelle, doch die Stimme war verschwunden und das kleine Zimmer ganz und gar still. In der raschen Vermutung, nur geträumt zu haben, war Ryoko bereits im Begriff sich umzudrehen, als sie schließlich das Licht sah. Es war ein weißer, warmer Schein, der von irgendetwas auf ihrem Nachtisch ausging. Nun offenkundig verwirrt rieb Ryoko über ihre Augen, um sich gleich darauf auf die Ellenbogen zu stützen und die Hand nach dem Gerät auszustrecken. Für gewöhnlich bewahrte sie nur ihr Handy auf dem Nachtschränkchen auf, doch das lag ausgeschalten daneben.

"Nanu...?", murmelte Ryoko noch immer dösig. Sie schloss die Finger um das unbekannte Licht und zog das Gerät zu sich. Es war eiförmig, mit einem Karabinerhaken besetzt und wurde von einem großen Display und Knöpfen geziert. Der erste Gedanke, der Ryoko angesichts des unbekannten, scheinbar elektronischen Geräts durchzuckte, war der an ihre Tante. Bis auf ihren Geburtstag hatte Ryoko noch nie ein Geschenk von ihr bekommen und die begrenzten sich für gewöhnlich auch auf Schulsachen oder Süßigkeiten, deswegen konnte sie nicht glauben, dass das Gerät von ihr war. Doch kaum hatte Ryoko diese Überlegung beendet, erstrahlte das Ding plötzlich so grell, dass sie vor Schreck die Hand vors Gesicht warf.

"W-Was zum...!", stieß sie aus. Hastig begann sie mit dem Finger auf die Knöpfe zu tippen, doch das Gerät zeigte keine Reaktion. Stattdessen war es eine Bewegung in ihrem Augenwinkel, die Ryoko nun von dem Geschehen ablenkte. Noch immer geblendet von dem grellen Licht in ihrer Handfläche warf sie den Kopf zur Seite und erstarrte augenblicklich zur Salzsäule.

Das ist nicht wahr.

Der Fußboden ihres Zimmers schien sich von jetzt auf gleich in Luft aufgelöst zu haben. Stattdessen sah Ryoko eine kahle, verlassene Steppe mit Kratern und toten Bäumen, fast so, als blickte sie von oben aus dem Bauch eines Luftschiffes herab. Mit offenem Mund und geweiteten Augen starrte sie auf das Bild, das sich ihr bot, für den Moment vollends unfähig, etwas zu tun oder sich zu rühren. Und als hätte das Gerät in ihrer Hand auf diesen Moment gewartet, begann es sich plötzlich zu bewegen. Innerhalb einer Sekunde, die Ryoko nicht einmal vorausahnen konnte, wurde sie plötzlich und mit solcher Macht aus ihrem Bett gezogen, dass jede Gegenwehr unmöglich war. Aus purem Reflex versuchte sie noch, mit der Hand das hölzerne Kopfende ihres Bettes zu umgreifen, doch unter der Kraft des unbekannten Gerätes rutschten ihre Finger ab. Noch bevor der spitze Schrei sich aus ihrer Kehle befreien konnte, fiel Ryoko durch das Loch im Fußboden und verlor ihr Bewusstsein.
 

Wach auf...

Es war wie ein Déja Vu. Jener monotone Singsang, der Ryoko auch zuvor schon aus dem Schlaf geholt hatte, schien sich abermals wieder und wieder in ihrem Kopf abzuspielen. Eine ruhige, tiefe Stimme, doch so verlangend, dass Ryokos Lider zuckten.

"W-Wo...", flüsterte sie, als sie zu sich kam, doch die Erinnerungen an die letzten Momente in ihrem Zimmer erwachten erst in Ryokos Geist, als sie das Gerät bemerkte. Es lag in ihrer Hand, als hätte es jemand dort hingelegt - oder als hätte sie es die ganze Zeit über nicht losgelassen.

Das Licht!

Just als ihre Erinnerungen zu ihr zurückfanden, sprang Ryoko so hastig ins Sitzen auf, dass ihr Kopf einen unangenehmen Schmerz in den Rest ihres Körpers sandte. Einen Augenblick lang fasste sie sich an die Stirn, doch ihr Stöhnen wurde beinahe sofort unterbrochen.

'Wach auf!', verlangte die Stimme, nun plötzlich energisch und völlig klar verständlich in ihrem Kopf, 'Du bist in Gefahr. Nimm' eines der Eier und flüchte!'

Ryoko jedoch saß nur da und starrte völlig verwirrt auf die Umgebung vor ihren Augen. Die Worte in ihrem Kopf schienen kaum zu ihr durchgedrungen zu sein, denn Ryoko hatte soeben erst bemerkt, dass sie tatsächlich nicht mehr in ihrem Zimmer war. Zwar trug sie noch immer ihren gelben Pyjama und das merkwürdige Gerät in ihrer Hand, doch alles andere erinnerte kein bisschen mehr an das Leben, das sie bis eben geführt hatte. Stattdessen fand sie sich in jener kahlen, trostlosen Wüste wieder, die sie soeben schon von ihrem Bett aus betrachtet hatte. Knorrige, verdorrte Bäume und zerklüftetes Felsgestein ragten in die Luft wie verlassene, uralte Grabsteine. Ryoko sah Staub und Gestrüpp über den Boden rollen wie traurige Boten der Einsamkeit.

'Komm' zu dir!', verlangte da die tiefe Stimme abermals und zum ersten Mal schien sie Ryoko zu erreichen, denn sie zuckte erschrocken zusammen und suchte noch irritierter als zuvor in derUmgebung. Als hätte es ihr einen elektrischen Schlag versetzt ließ Ryoko das Gerät in ihrer Hand auf den Sandboden fallen, kaum war ihr klargeworden, dass es vermutlich Schuld an dieser Misere war.

'Verzeih' mir, dass ich dich herbringen musste', hörte Ryoko in ihrem Kopf, als sie sich endlich auf die Worte zu konzentrieren begann, 'Aber ich hatte keine andere Wahl.'

Vollends unfähig, die Quelle der Stimme ausfindig zu machen, richtete Ryoko ihren verwirrten Blick in den grauen, wolkenverhangenen Himmel über sich. Es gab keinen Zweifel daran, dass sie diese seltsame Person direkt in ihrem Kopf sprechen hörte, doch diese Gewissheit beunruhigte sie nur noch mehr.

"W-Wer bist du?!", verlangte sie zu wissen, doch die Worte kamen leise und zögerlich über ihre Lippen. Ryoko war viel zu ängstlich, um ihre Contenance zu behalten.

'Keine Zeit für Erklärungen', erwiderte der Unbekannte hingegen entschlossen, offenkundig froh, endlich von Ryoko gehört zu werden, 'Dreh' dich um.'

Es war fast, als hätte Ryoko das Unheil in dieser Anweisung erahnt, denn sie brauchte eine gefühlt endlose Zeit, um ihr Folge zu leisten. Als sie schließlich den ersten, scheuen Blick über ihre Schulter warf, brauchte es nur einen Bruchteil der Zeit, um ihren Magen krampfen und das Mädchen vor Angst drei große Schritte zurücktreten zu lassen. Dort, am östlichen Horizont dieser kargen Steppe, hatte sich ein langer, dunkler Schatten aufgetan, der sich überdeutlich auf Ryoko zubewegte.

'Du musst fliehen', verlangte die mysteriöse Stimme, aber Ryoko war längst zur Salzsäule erstarrt. Nun, da ihre Augen sich an die Distanz gewöhnt hatten, konnte sie es klar und deutlich sehen. Es war nicht eine, sondern eine ganze Gruppe von Silhouetten, die sich mit hastigem, entschlossenem Schritt in ihre Richtung bewegte und keine von ihnen war auch nur ansatzweise menschlich. Ryoko sah einen kleinen, trollartigen Umriss, der eine Keule trug, eine vierbeinige Kreatur mit langen Ohren und zwei kleine, fledermausartige Wesen, die neben ihnen herflogen. Weit eindrucksvoller jedoch war derjenige, der die Gruppe führte. Eine große, schlaksige Gestalt mit langen Gliedmaßen, Hörnern am Kopf und zwei großen, dunklen Flügeln. Das erste, das Ryoko zu diesem Anblick einfiel, war das Wort Engel. Doch diese Beschreibung schien jeder Wahrheit zu trotzen, denn der bloße Blick auf den Anführer dieser Gruppe sandte eine so unangenehme Gänsehaut über ihe Wirbelsäule, dass Ryokos Beine unkontrolliert zu zittern anfingen. Sie konnte nicht erklären, ob es an der Art lag, wie das Wesen sich bewegte oder schlichtweg an der Energie, die es umgab - was es auch war, es machte unumstritten deutlich, dass es nicht freundlich gesonnen war.

'Du musst fliehen', war die Anweisung in ihrem Kopf, nun mit einem Ton, der jegliche Widerrede ausschloss, 'Hörst du?'

Fliehen - doch wohin? Ryoko hatte längst schon ein Level der Angst erreicht, in dem sie nicht mehr dazu in der Lage war, eine objektive Entscheidung zu fällen. Stattdessen stand sie nur da, spürte das Zittern ihrer Gliedmaßen und starrte ihrem Schicksal entgegen. So lange, bis der Unbekannte abermals seine Stimme erhob und sie zurück in die Realität riss.

'Sie werden dich töten, wenn sie dich erwischen!', zischte sie nun selbst allmählich hektisch, 'Verstehst du nicht?!'

"D-Doch!", stieß Ryoko da aus, denn es war beinahe, als hätte sie dieses eine, simple Wort gebraucht, um endlich ihre Überlebensinstinkte zu aktivieren. Wenn sie nicht flüchten konnte, würde sie sterben. Die unbekannte Stimme hatte dem unausweichlichen Gefühl des Unheils, das sie beim Anblick dieser angsteinflößenden Gruppe dort am Horizont empfunden hatte, soeben eine Bedeutung verschafft.

"W-Was soll ich tun?", rief sie also unsicher, doch verzweifelt genug in Richtung der Wolken, um sich auf Hilfe zu verlassen.

'Sieh' nach Norden', kam auch prompt die Antwort, für die Ryoko in dieser Sekunde unendlich dankbar war, ganz gleich, von wem sie auch kommen mochte, 'Siehst du den Wald?'

Der Anweisung folge leistend, schickte Ryoko einen nervösen, hastigen Blick über ihre Schulter. Tatsächlich erstreckte ein ganzes Stück von ihr entfernt ein grüner Klecks in der Landschaft, der offenkundig von saftig blühenden Baumkronen gemalt wurde. In dieser kargen Umgebung eine solche Oase zu sehen kam ihr mehr als merkwürdig vor - seltsam genug, um es ohne die Hilfe des Unbekannten vermutlich als Fata Morgana abgetan zu haben. Dabei sprachen die Temperaturen kein bisschen dafür, dass sie sich in einer Wüste befand, denn die gnadenlosen Windböen ließen Ryokos Haut in ihrem Pyjama wieder und wieder erzittern.

'Dort bist du sicher. Du musst ihn erreichen, bevor sie dich kriegen', sagte die Stimme, 'Doch warte!'

Der letzte Einwand kam just in dem Moment, in dem Ryoko bereits im Begriff gewesen war, loszurennen. Mit einer steifen, zittrigen Bewegung blieb sie stehen, um abermals zurückzublicken.

"W-Was?", fragte sie, nun offenkundig hektisch, denn der Schatten am Horizont schien sie nun bemerkt zu haben - die Silhouetten hatten begonnen, sich viel schneller zu bewegen. Zudem trennten sich die schwarzen Gestalten und begannen sich in verschiedene Richtungen aufzuspalten, fast so, als wollten sie ihre Beute einkesseln. Allein der Gedanke daran tauchte Ryokos gesamten Verstand in solche Panik, dass sie ihre zitternden Hände zu Fäusten ballte.

'Hör jetzt genau zu!', verlangte die Stimme laut und energisch, um nicht wieder in Ryokos vor Angst rotierendem Geist verloren zu gehen, 'Nimm' eines der Eier, bevor du gehst. Pass' auf, dass es nicht kaputt geht!'

"E-Eier?!"

In diesem kurzen Moment der Panik schaffte es beinahe so etwas wie Wut in Ryokos Stimme, denn sie wollte einfach nur weg. Sie konnte nicht verstehen, wieso sie nun ausgerechnet nach einem Ei suchen sollte. Ganz offensichtlich war da etwas, das ihr ernsthaft etwas antun wollte, und sie...-

'Nun mach' schon!', verlangte da die Stimme harsch, fast als könne sie ihre Gedanken aufnehmen und bewegte das Mädchen endlich dazu, aus seiner Starre zu erwachen. Mit hektischen, unkoordinierten Blicken suchte Ryoko nun den Boden ab, ununterbrochen im Bestreben, nicht wieder und wieder Zeit mit Blicken über ihre Schulter zu vergeuden, die ihre Panik nur intensivierten. Stattdessen erspähte sie Dinge im Sand, die ihr zuvor nicht aufgefallen waren - bunte Fetzen von Plastik oder auch Stoff, zerbrochene Spielzeuge und an einem der riesigen Steine fand sich sogar etwas, das wie ein Teil einer Wiege aussah. Noch bevor Ryoko jedoch über diese Eindrücke nachdenken konnte, blieben ihre Augen an vier runden Objekten haften, die sich in den Wurzeln eines toten Baumes verkeilt und die Wüstenstürme deswegen unbeschadet überstanden zu haben schienen - Eier. Ein beherzter, hastiger Schritt brachte Ryoko zu ihnen.

'Nimm eines!', rief die Stimme und schien mit jedem Schritt, den die Feinde auf Ryoko zukamen, lauter zu werden, 'Halt' es gut fest und lauf' in den Wald! Und vergiss' nicht dein Gerät!'

Angesichts der Panik, die mit jeder Sekunde dieses Albtraums mehr Besitz von Ryokos Gedanken ergriff, hörte sie auf zu fragen. Mit einer Konzentration, die sie selbst nicht wahrnahm, leistete sie einfach nur noch Folge. Im Bruchteil einer Sekunde griff sie eines der Eier - ein Weißes mit roten Punkten - und warf es weg, weil seine untere Hälfte fehlte. Der nächste Griff nach einem weißen Ei mit orangefarbenen Streifen bescherte ihr einen Erfolg, denn es war in einem Stück. Ohne darüber nachzudenken oder eine bewusste Auswahl zu treffen klemmte Ryoko das Ei unter ihren Arm. Dann machte sie kehrt, rannte ohne zurückzublicken in Richtung der Stelle, an der sie erwacht war und umgriff mit einer einzigen, groben Bewegung das Gerät, das sie hierher gebracht hatte. Einzig die unzähligen Sandkörner, welche sich dabei unter ihre Fingernägel bohrten, vermochten Ryoko dabei einen Augenblick zurück ins Geschehen zu holen. Das hier war zu realistisch für einen Traum. Ein kurzer, pfeilschnell vorübergezogener Gedanke, der sogleich wieder zugunsten ihres Überlebens ausgelöscht wurde, denn es gab nur eines, auf das sie sich nun konzentrieren musste: Flucht. Das Gerät und das Ei fest umgriffen, stieß Ryoko sich im Sand ab und begann auf den Wald vor ihren Augen zuzulaufen.
 

'Lauf!'

Sie rannte so schnell sie konnte, doch nicht der Wald, sondern einzig die Wesen hinter ihr schienen näherzukommen. Ryoko hatte keine Ahnung, wie viele Kilometer sie von dem rettenden Schutz der Bäume entfernt war, denn ganz gleich, wie viele hektische Atemzüge ihre Lungen durch ihren Körper pumpten, die Distanz erschien endlos. Irgendwo im Hintergrund ihres Bewusstseins tat sich schon in dieser Sekunde die Frage auf, ob sie den Wald überhaupt erreichen konnte. Niemand versicherte ihr, dass es nicht doch eine Fata Morgana war - niemand bezeugte, dass die Stimme in ihrem Kopf ihr tatsächlich helfen wollte. Doch so sehr Ryokos Panik sie auch zu verwirren vermochte, der Unbekannte blieb die ganze Zeit bei ihr, sprach mit ihr und ermutigte sie, sich zu beeilen.

'Du schaffst es.'

Angetrieben von seiner Hilfe, doch noch immer durchweicht von Panik warf Ryoko abermals einen Blick zurück, um gleich darauf beinahe vor Schreck zu erstarren. Ihre Verfolger waren inzwischen so nahe, dass sie ihre Gesichter erkennen konnte und obwohl es schon vorhin deutlich gewesen war, wurde Ryoko in diesem Moment endgültig und eiskalt bewusst, dass es keine Menschen waren. Stattdessen erblickte sie die blutroten Klauen der geflügelten Kreatur, welche sich schon jetzt bedrohlich nach ihr ausstreckten und just in dem Moment, in dem Ryoko stolperte, sah sie etwas mit Wucht an sich vorbeirauschen, das keine feste Form besaß. All das geschah nur im Bruchteil eines Augenblicks. Ryoko verlor den Halt, fiel nach vorn und drehte sich gerade rechtzeitig auf die Seite, um das Ei in ihrem Arm nicht mit ihrem Gewicht zu zerbrechen. Noch während ihre Füße beim hektischen Aufstehen den Sand fortschoben, explodierte neben ihr ein Stoß purer Energie. Die Druckwelle war so mächtig, dass sie Ryokos Haar zurücktrieb und Sand und Steine in ihre Augen katapultierte. Ein Schrei von Angst entrann ihrer Kehle, denn nun hörte sie nicht nur die Schritte, sondern auch das Schlagen der Flügel ihres Verfolgers überdeutlich hinter sich.

'Lauf!', wurde Ryoko da so intensiv von der Stimme in ihrem Kopf erfüllt, dass sie zusammenfuhr, 'Du hast es gleich geschafft!'

Es war ein letzter, verzweifelter Blick in Richtung ihrer Rettung, der Ryoko abermals aufstehen ließ. Die Geräusche, ja gar den Atem ihrer Verfolger hinter sich rannte sie weiter, umklammerte das Ei und das Gerät in ihrer Hand und vergeudete nun keine Zeit mehr mit Blicken über ihre Schulter. Stattdessen streckte sie ihren Rücken, atmete so flach wie bei einem Marathonlauf und durchbrach das Dickkicht des Waldes schließlich in so einer Geschwindigkeit, dass sie erst Meter hinter den Bäumen tatsächlich realisierte, sie erreicht zu haben. Für den Bruchteil einer Sekunde drohte die Erschöpfung sie zu packen, doch zuvor warf Ryoko einen panischen Blick zurück.
 

Es war, als hätte sich Raum und Zeit verzerrt. Die Gestalten, welche bis eben so dicht auf ihren Fersen gewesen waren, zeigten sich plötzlich meterweit entfernt. Die Stelle, an der sie den Wald betreten hatte, erschien merkwürdig gebogen. Sie wusste nicht wieso, doch es kam Ryoko vor, als blickte sie durch ein Fenster in eine andere Welt. Die Monster, welche ihr bis eben nach dem Leben getrachtet hatten, liefen plötzlich desorientiert herum, als würden sie vergeblich nach etwas suchen. Ryoko vermutete, dass sie sehr schnell gelaufen war, doch zumindest das menschenähnliche Wesen mit den Klauen hatte sie beinahe eingeholt. Es hatte auf sie geschossen. Mit dieser Klarheit vor Augen fluteten plötzlich Tränen ihre Sicht. Das erstickte Schluchzen vermischte sich dabei mit den unregelmäßigen, vollends erschöpften Atemzügen, die sich wieder und wieder aus ihrer Kehle emporkämpften. Ryokos Hals brannte wie Feuer und mit der Gewissheit, in Sicherheit zu sein, sank sie einen Moment schlicht mit dem Rücken an einen der Bäume. Doch die Stimme in ihrem Kopf war noch immer da - und sie ließ ihr keine Zeit, lange zu verschnaufen.

'Gut gemacht.'

Sie lobte Ryoko sanft, fast mit einer Spur von Anerkennung und klang so ganz anders als noch zuvor. Dieser Wandel machte abermals deutlich, in welcher Gefahr Ryoko sich bis eben befunden haben musste.

'Komm zu mir. Wir können uns nun treffen', bat man Ryoko daraufhin, 'Hab' keine Angst. Ich will dir alles erklären.'

"Wo bist du...?", fragte das Mädchen. Nach diesem Sprint hatte Ryoko schlichtweg nicht mehr die Energie, den Worten in ihrem Kopf noch zu misstrauen.

'Geh' geradeaus, bis du den See erreichst. Dort warte ich auf dich.'

Mit dieser simplen Beschreibung verstummte die Stimme, als hätte sie Ryoko verlassen. Irritiert, doch nun auch mit einem winzigen Gefühl von Neugierde verschnaufte der Teenager noch einen Moment, ehe er sich schließlich erhob. Das Ei war ein wenig schmutzig geworden, doch wohlauf und zeigte keinen Kratzer. Kurz nach ihrem Sturz war Ryoko sich dessen gar nicht mehr so sicher gewesen. Auch das Gerät schien, wenn auch eingehüllt von Sandkörnern, noch zu funktionieren. So verängstigt Ryoko sich auch von all dem fühlte, was ihr heute widerfahren war - es wurde an der Zeit, einige Antworten zu finden. Das dieses Szenario hier kein Traum sein konnte war ihr schmerzlich, doch längst schon bewusst geworden. Nach einem weiteren Augenblick der Ruhe, in dem sie darauf wartete, dass ihr Körper zu zittern aufhörte, machte Ryoko sich auf den Weg. Sie musste denjenigen finden, der sie hierher geholt hatte.

Bürden

Ryokos Fußmarsch dauerte nur wenige Minuten, denn bald schon dünnte sich das Dickicht aus und schaffte freie Sicht auf eine große, ebene Lichtung, in dessen Mitte der Teenager tatsächlich den besagten See erkennen konnte. Ryoko staunte nicht schlecht, denn die Kulisse vor ihren Augen wirkte wie die Landschaft aus einem Traum. Blumen in unzähligen Farben und Formen spiegelten sich in der kristallklaren Wasseroberfläche, während das Gras vom Wind gewogen wurde wie ein grellgrünes Meer. Es war nicht so, dass Ryoko noch nie zuvor einen Wald gesehen hatte, doch das hier stellte alles in den Schatten, was sie aus ihrer Heimat kannte.

"Wow", getraute Ryoko sich leise zu sagen, einen Moment ganz und gar eingenommen von dem Panaroma, bevor gleich darauf etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.

Direkt über der Wiese, nicht allzu weit vom Rand des Wassers entfernt, schien sich etwas aufzubauen. Auf den ersten Blick beinahe unsichtbar veränderte es die Luft immer offensichtlicher, je länger der Teenager es beobachtete.

"Komm zu mir."

Obwohl die Stimme einmal mehr nur in ihrem Kopf zu hören war, trat Ryoko nun zögerlich voran. Schon der erste Schritt auf das flache Gras der Lichtung schien dabei dem Gerät in ihrer Hand wieder Leben einzuhauchen, denn es entsandte plötzlich und völlig unvermittelt ein gleißend helles Licht. Einmal mehr vor Schreck zur Salzsäule erstarrt beobachtete Ryoko, wie es sich zu einem breiten, grellen Strahl formte, um sich mit der seltsamen Anomalie in der Luft zu verbinden. Was gleich darauf an eben jener Stelle erschien, raubte Ryoko nicht nur den Atem, sondern ließ ihr Herz mehr als einen Takt überspringen.

"O-Oh mein Gott..."

Die ängstlichen Worte waren kaum mehr als ein heiseres Flüstern, doch angesichts der gigantischen Schlange direkt vor ihren Augen konnten sie kaum beschreiben, was Ryoko tatsächlich empfand. All das hier war zu viel, dessen war sie sich schon seit ihrem Erwachen vollkommen sicher. Aber mittlerweile hatten die Ereignisse eine Stufe erreicht, die nur einen einzigen Wunsch in Ryoko erweckte - die Hände über die Ohren zu legen und schlicht zu bestreiten, dass sie sich nicht mehr in ihrem Bett befand.

Ryoko war noch nie in die Verlegenheit geraten, ein unbekanntes Lebewesen vor ihren Augen in Metern schätzen zu müssen, doch das brauchte sie auch nicht zu tun, denn 'gigantisch' traf gut genug zu, um vollends ausreichend zu sein. Ryoko hatte keine Ahnung, wie viele Windungen diese Schlange besaß. Selbst die Tatsache, dass sie so durchsichtig war wie ein Geist tat ihrem Einfluss keinen Abbruch. Ryoko war ganz sicher, dass diese Kreatur - was auch immer sie auch war - ausgerollt die Höhe eines Hauses mit Sicherheit weit in den Schatten gestellt hätte.

"Komm her", verlangte da die Stimme noch einmal, nun allerdings untermauert von einem sanften, doch auffordernden Blick der Schlange. Obwohl Ryoko sich bis eben noch entschlossen gefunden hatte, den Urheber zu finden und zur Rede zu stellen, war sie sich dieses Vorhabens nun nicht mehr allzu sicher. Letztlich blieb ihr jedoch nichts anderes übrig, als ihre Bedenken hinunterzuschlucken und auf das große, blaue Wesen zuzutreten.
 

Seine Augen waren klein und fixierten sie aus den tiefen Höhlen eines großen, metallisch wirkenden Helms, auf dessen Nasenspitze ein Horn prangte. Das sein Körper nicht nur durchsichtig, sondern obendrein auch noch aus geformtem Wasser zu bestehen schien, machte ihn nur mit Mühe sichtbar. Die kleinen weißen Flügel, die hier und dort auf der Gestalt verteilt waren, fielen Ryoko erst Sekunden später auf. Allzu offensichtlich wanden sich dafür eiserne Ketten um den Körper der Schlange, so eng, als hätte sie jemand für die Ewigkeit mit ihnen fesseln wollen. Nach dem Schrecken war es Ryokos erste Eingebung, ob sie das Wesen von ihnen befreien sollte.

"Danke", sprach Ryokos eigentümliches Gegenüber, noch bevor das Mädchen selbst Worte hatte finden können. Dabei verschwand seine Stimme prompt aus Ryokos Kopf, um ganz und gar von seiner Gestalt auszugehen. Das Gerät in Ryokos Hand hatte aufgehört zu strahlen, doch glomm noch immer dann und wann vor sich hin, als wäre es noch nicht zufrieden.

"Hab' keine Angst", bat die Schlange anschließend. Obwohl sie kaum drei handbreit über der Wiese schwebte, war sie dennoch so hoch, dass Ryoko den Nacken strecken musste, um ihr ins Gesicht zu sehen. Diesen Umstand bemerkend beugte das Wesen sich ein Stück hinab - eine simple Bewegung, die jedoch das gesamte Wasser in seinem Körper in Schwingungen versetzte.

"I-Ich versuch's...", erwiderte Ryoko, wenngleich ihre ersten Worte kaum mehr als ein leises Flüstern aus den Tiefen ihrer Kehle waren, "Wer bist du...?"

"Mein Name ist Qinglongmon", stellte die übernatürliche Kreatur sich ganz ohne Umschweife vor, "Und du bist...?"

"Ryoko..."

"Nun, Ryoko...", fügte das große Wesen hinzu, "Ich bin derjenige, der dich hierher geholt hat. Ich bin einer der vier Götter dieser Welt."

"E-Ein Gott?", japste Ryoko. Sie konnte nicht leugnen, dass es ihr noch immer schwerfiel, all das hier zu glauben. Doch das Gespräch mit dieser rätselhaften Gestalt gab ihr zumindest Gelegenheit, das Chaos in ihrem Kopf einen Moment lang auszublenden.

"Ja", bestätigte Qinglongmon, nicht ohne dabei seinen Augen einen sichtbar betrübten Glanz zu verleihen, "Aber zu allererst muss ich mich bei dir entschuldigen. Ich weiß, dass du große Angst hast. Und ich weiß auch, dass ich kein Recht dazu hatte, dich ungefragt aus deinem Zuhause zu reißen."

Diese ehrliche Entschuldigung berührte Ryoko, auch wenn sie kurz tatsächlich darüber nachdachte, wann ihre Tante den neuen Stand der Dinge wohl bemerken würde. Wenn sie morgen früh in ihrem Bett fehlte, erschien es vermutlich, als wäre Ryoko weggelaufen. Der Gedanke mochte schmerzlich sein, doch Ryoko war sich allzu sicher, dass Minami ihr Verschwinden nicht bekümmerte. Zumindest nicht ohne Beisein der Nachbarn.

"W-Was geschieht nun mit mir?", fragte Ryoko schließlich, nachdem sie ihren Verstand wieder ein wenig geordnet hatte - Minami-San war das Letzte, um das sie sich jetzt sorgen sollte.

"Ich habe dich hierher geholt, weil ich deine Hilfe brauche", antwortete Qinglongmon mit ruhiger Stimme, während sein langer Bart in einem Wind wehte, der überhaupt nicht vorhanden war, "Du befindest dich in der Digiwelt - meiner Heimat."

"D-Digiwelt...", murmelte Ryoko verwirrt, doch auch das Wort zu wiederholen machte es nicht vertrauter - sie hatte noch nie in ihrem Leben davon gehört.

"Die Bewohner dieser Welt sind Wesen wie ich. Digimon."

Das die Wesen, welche sie bisher erblickt hatte, sich keinesfalls als Tiere beschreiben ließen, wusste Ryoko bereits. Nun hatte sie jedoch auch einen Namen für sie.

"Dann... bist du auch ein Digimon?", wollte sie wissen.

"Ganz recht", bestätigte die gewaltige Schlange vor Ryokos Augen, "Und diese Welt ist in großer Gefahr. Allein bin ich nicht mehr in der Lage, etwas auszurichten... also entschied ich, einen Menschen hierher zu holen, um mir dabei zu helfen."

Die Windböe, welche in diesem Moment über die Wasseroberfläche des Sees tanzte, blähte Ryokos Pyjama und schnitt klirrend kalt in ihre Haut. Doch nicht ihr Frösteln war schuld daran, dass sich Ryokos Nackenhaare aufstellten, sondern die Gewissheit, dass sie gemeint war.

"W-Was?", japste sie mittlerweile zu gleichen Teilen ungläubig und entsetzt, "I-Ich? Ich kann das nicht!"

"Bitte weise mich nicht ab, Ryoko", erwiderte Qinglongmon unbeirrt, jedoch mit so offenkundiger Verzweiflung in der Stimme, dass sich Ryokos bereits fest geballte Fäuste einen Augenblick lang entspannten, "Du bist unsere letzte Hoffnung."

"W-Wie... Warum? Wieso ich?", beharrte Ryoko, "Ich bin nichtmal erwachsen!"

"Lass' es mich erklären", bat Qinglongmon, ohne seine Augen auch nur einen Moment von seinem Gegenüber zu nehmen, "Setz' dich und hör mich an."

Noch immer hin- und hergerissen zwischen Skepsis und Verzweiflung warf Ryoko einen Blick über ihre Schulter. Sie hatte sich die Stelle, an der sie das Dickicht verlassen hatte, gemerkt, doch es gab keine Garantie dafür, dass sie zurück in ihre Welt fand, wenn sie in die Steppe zurückkehrte. Zudem waren da noch diese Monster... oder besser gesagt Digimon, die sie ganz offenkundig attackiert hatten.

"Bitte."

Dieses kleine, fast flehend gesprochene Wort zog Ryokos Aufmerksamkeit jedoch abermals auf den Digimon-Gott. Es war nicht so, dass das Mädchen nicht sehen konnte, in welch schwieriger Lage sich Qinglongmon befand. Ryoko mochte noch keine Details wissen, aber die Art, wie die große Schlange sprach, machte ihre Gefühle allzu offensichtlich.

"Okay...", murmelte Ryoko also, richtete einen Moment ihren Pyjama und setzte sich ins Gras. Sowohl das mysteriöse, elektronische Gerät als auch das soeben gerettete Ei lagen direkt neben ihr.

"Normalerweise existiert die Digiwelt neben deiner Welt ohne, dass sie sich gegenseitig beeinflussen können", begann Qinglongmon nun zu erklären, "Genauso wie deine Heimat folgt die Digiwelt einem eigenen Ökosystem und eigenen Regeln."

"Die, die mich vorhin angegriffen haben...", meldete Ryoko dabei zu Wort, "Waren das auch Digimon?"

Der gewaltige Kopf der Schlange nickte.

"Das waren böse Digimon", erläuterte Qinglongmon, "Es tut mir leid, dass ich dich in Gefahr gebracht habe. Aber es gab keine andere Möglichkeit - ich musste dich an diese Stelle beschwören."

Ryoko warf einen automatischen Blick zur Seite.

"Wegen dem Ei...?", wollte sie dann wissen. Qinglongmon nickte abermals. Sein gewaltiger Bart wehte dabei wie ein Fallschirm im Wind.

"Genau deswegen", bestätigte Qinglongmon zufrieden, "Aber lass' mich von vorn anfangen. Für gewöhnlich werden Digimon in gutartige, neutrale und finstere Digimon unterteilt. Ihr Vorkommen gehört zum Gleichgewicht dieser Welt. Ich weiß nicht wieso, doch vor einem Jahr hat sich plötzlich etwas verändert. Von einem Tag auf den anderen explodierte nicht nur die Anzahl von Virus-Digimon, sie schlossen sich außerdem zu Gruppen zusammen und begannen alle anderen rigoros zu töten."

"E-Ein Krieg?", murmelte Ryoko.

"Exakt", erwiderte der Digimon-Gott, "Aus kleinen, gewöhnlichen Konflikten wurde von jetzt auf gleich ein organisierter Überfall von Gruppen böser Digimon. Die drei anderen Digimon-Götter beschlossen herauszufinden, was der Grund dafür ist. Sie zogen los, um das Problem zu lösen, doch sie kehrten nie zurück."

Ryoko schluckte. Sie konnte nicht behaupten, dass sie all diese Informationen wirklich bis ins kleinste Detail verstand, doch sie konnte die prekäre Situation durchaus verstehen. Qinglongmons besorgte Stimme tat ihr Übriges.

"Du musst wissen, dass wir vier Digimon-Götter eine sehr wichtige Aufgabe haben - wir bringen das Licht der Evolution in diese Welt."

"'Licht der Evolution'...?", wiederholte Ryoko, denn sie konnte sich nicht wirklich etwas darunter vorstellen, "Was ist das?"

"Mit der Zeit wirst du die Einzelheiten verstehen lernen...", erläuterte Qinglongmon, "Sagen wir fürs Erste, dass es die Möglichkeit der Weiterentwicklung in der Digiwelt ist. Mit dem Licht der Evolution können Digimon wachsen und neue, stärkere Formen annehmen. Doch ohne die drei anderen Götter wurde das Licht der Evolution schwächer. Ich habe alles dafür getan, die Digimon bei dem Kampf gegen das Dunkle zu unterstützen, doch auch meine Kräfte schwinden. Allein schaffe ich es nicht, die Struktur dieser Welt und das Licht der Evolution aufrecht zu erhalten."

"Verstehe...", murmelte Ryoko lautlos. Das war vermutlich der Grund dafür, dass Qinglongmon nicht mehr als ein Geist zu sein schien - ein Hologramm ohne festen Körper.

"Doch während die Serum- und Datei-Digimon schließlich die Fähigkeit zur Entwicklung verloren, änderte sich für die Virus-Digimon nichts. Obwohl es ohne das Licht der Evolution überhaupt nicht möglich sein dürfte, entwickeln sie sich immer weiter und erlangen immer stärkere Formen. Unsere Seite hat keine Chance mehr."

Ryoko schwieg. Jetzt, da sie die Situation allmählich verstand, konnte sie Qinglongmons Sorge mehr als gut nachvollziehen.

"Es muss also etwas oder jemanden geben, der die Virus-Digimon anführt und stärkt", schlussfolgerte Qinglongmon, "Doch ich bin nicht mehr dazu in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen. Selbst wenn ich den Urheber finden würde, könnte ich ihn mit meiner verbleibenden Kraft nicht mehr besiegen, denn ich brauche jede Konzentration dazu, diese Welt allein aufrecht zu erhalten."

"W-Was würde passieren, wenn du auch...?", fragte Ryoko leise, wenngleich sie sich nicht getraute, es tatsächlich auszusprechen. Die gewaltige Schlange verstand dennoch.

"Die Datenströme deiner Welt, in deren Schatten die Digiwelt existiert, würden anfangen, sie aufzulösen", erklärte Qinglongmon, "Meine Heimat würde Stück für Stück verschwinden, bis sie irgendwann ganz aufhört zu existieren. Doch auch deine Welt wäre in großer Gefahr. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Digimon in die Menschenwelt gelangen können, wenn die Grenzen zu dünn werden."

"W-Was bedeutet das?", wollte Ryoko nervös wissen.

"Im schlimmsten Fall heißt das, dass die Datenströme deiner Welt die Digiwelt vollständig auflösen und in sich aufnehmen. Und das widerrum hätte zur Folge, dass die Virus-Digimon in die Welt der Menschen gelangen und ihren Raubzug dort fortsetzen."

Ryoko musste zugeben, dass sie noch immer nicht jede Einzelheit verstand, aber das war auch nicht nötig. Die Gründe waren letztlich unwichtig, denn der Teenager erinnerte sich lebendig genug an den Angriff vor wenigen Minuten. Allein der Gedanke daran, Scharen von diesen finsteren Wesen ihre Heimat und die ganze Welt zerstören zu sehen, ließ einen eisig kalten Schauer über ihren Rücken laufen.

"Im Klartext heißt das...", folgerte Ryoko nach einigen Minuten des Schweigens, die ihr ungutes Gefühl jedoch nur verstärkt hatten, "...das nicht nur deine, sondern auch meine Welt in Gefahr sind."

Qinglongmon nickte betroffen.

"Ich allein kann nichts mehr tun", fügte das Digimon dann erbittert hinzu, "Deswegen entschied ich mich für den allerletzten Ausweg."

Ryokos Unbehagen wuchs von jetzt auf gleich auf das doppelte Maß, denn sie ahnte, was jetzt kommen würde.

"In der Vergangenheit hat die Digiwelt schon viele Krisen mit der Hilfe von jungen Menschen gemeistert, die sich gemeinsam mit einem Digimon der Bedrohung gestellt haben. Meine letzte Instanz war, meine verbleibende Energie dafür zu nutzen, eine letzte Hoffnung in diese Welt zu rufen: Dich."

"N-Nein...", wehrte Ryoko ab, auch wenn ihr dieses simple Wort angesichts von Qinglongmons hoffnungsvollen Gefühlen unsagbar schwer fiel, "Ich kann das nicht. Bitte glaub mir das. Ich bin die Letzte, die das kann!"

Ryoko war weder ungewöhnlich talentiert noch anderweitig irgendwie besonders - sie war ein 16-jähriger Teenager, ein Schulkind, das für seinen Abschluss lernte, nicht allzu viele Freunde hatte und sich wünschte, die Gunst seiner Tante zu erlangen. Aus mehr hatte Ryokos Leben nie bestanden und der Gedanke daran, plötzlich ein Schicksal - und dann auch noch so eines - auf ihren Schultern zu tragen, überforderte sie nicht nur, sondern trieb sie regelrecht in Panik.

"Ich kann das nicht", fuhr sie fort, nun untermalt von einer abwehrenden Handbewegung, "Ich bin doch nur...-"

"Ryoko... Bitte. Du bist die einzige Chance, die diese und vielleicht auch deine Welt noch hat. Wenn du uns nicht hilfst, sind wir am Ende."

Diese harte, wenn auch unausweichliche Wahrheit vermochte Ryokos Monolog einen Augenblick lang zu unterbrechen, doch sie änderte nichts daran, dass sie dieser Aufgabe nicht gewachsen war.

"Ich bitte dich, es zu versuchen", bekräftigte Qinglongmon, nun mit einem Nicken in Richtung der Wiese, "Das Gerät, das dich hierher gebracht hat, ist ein D-Arc. Es ist mit meiner Macht geladen und wird dir auf deiner Reise helfen."

Ryoko warf einen ungewollten Blick zur Seite. Das hellgraue, eiförmige Gerät hatte aufgehört zu glimmen, der Bildschirm war schwarz und stumm. Bei dieser Gelegenheit fiel ihr auf, dass der Karabinerhaken, die Knöpfe und der Kreis rund um das Display rot gefärbt waren.

"Dieses Ei enthält ein Digimon, das bereits im Krieg gegen das Dunkle gekämpft hat und in ihm gefallen ist. Es wird auf dieser Reise dein Partner werden."

"P-Partner?", fragte Ryoko nun doch, denn sie kam nicht umhin, Qinglongmons Worten über einen Partner zu folgen, "Was meinst du damit? Wer ist es?"

"Das weiß ich auch nicht, denn du hast das Ei ausgewählt", erklärte Qinglongmon sichtlich froh darüber, die Aufmerksamkeit seines Gegenübers einmal mehr auf sich zu wissen, "Aber das Digimon in diesem Ei wird dir überall hin folgen und dich beschützen. Dein D-Arc ist das sichtbare Zeichen eurer Verbindung - du darfst es nie verlieren."

Noch immer über all Maßen unsicher, versuchte Ryoko Worte für das zu finden, was sie empfand. Doch vorerst verließ kein Ton ihre Lippen, denn noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so überfordert und überrollt gefühlt. Momentan kam es ihr vor, als stünde sie vollends allein vor einem riesigen Abrgund, über den es keinen sicheren Weg gab. Ihre Gedanken wurden jedoch unterbrochen, als Qinglongmon plötzlich den Kopf neigte. Im Bruchteil einer Sekunde durchfuhr ein Kribbeln Ryokos gesamten Körper, ein Gefühl wie von tausend kleinen Berührungen gleichzeitig. Ryoko japste vor Schreck, aber bevor sie tatsächlich in Panik geraten konnte, war das Gefühl schon wieder vorbei. Stattdessen sah sie die Veränderung, die sie durchgemacht hatte - ihr Pyjama war verschwunden. Stattdessen trug sie nun Turnschuhe, eine schwarze Jeans mit Gürtel und eine ärmellose, olivgrüne Weste. Das Top darunter konnte Ryoko nicht sehen, doch sie fühlte seine Umrisse auf der Haut.

"W-Woah...!", stieß sie aus, noch damit beschäftigt, sich zu beäugen, doch Qinglongmons Gestalt begann plötzlich zu flimmern.

"...keine Zeit mehr...", sagte die große Schlange, offenkundig bereits mitten im Satz unterbrochen, "...Bitte... ...uns..."

"W-Warte!", stieß Ryoko nun in unverhohlener Panik aus, "B-Bitte sag mir, was ich tun soll! Ich kann das nicht!"

"...Hoffnung...", antwortete Qinglongmon, während sich sein Bild mehr und mehr verzerrte, "Warte... ...deinen Partner."

"B-Bitte geh' nicht...!", flehte Ryoko, nun ohne die Tränen weiter zurückhalten zu können, "Lass' mich nicht hier!"

"...Glaube...", war jedoch das letzte, das sie von Qinglongmon hören konnte. Dann verschwand die Illusion vollends und ließ Ryoko allein zurück.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Kalliope
2017-08-16T13:50:57+00:00 16.08.2017 15:50
Huh, ich habe diese Fanfiction von dir erst jetzt entdeckt und direkt mal reingelesen. Dein Schreibstil hat sich im Vergleich zu den älteren Naruto-FFs auf jeden Fall erheblich verbessert. Du beschreibst gut, welche Atmosphäre bei Ryoko zu Hause herrscht und gleichzeitig machst du es schon zu Beginn sehr spannend, weil man sich fragt, was mit Hiroshi geschehen ist und was Ryoko in den kommenden 12 Monaten alles erleben wird. Es ist natürlich schade, dass es bislang erst drei Kapitel gibt und die FF schon seit zwei Jahren still steht, aber nichtsdestotrotz würde ich wohl weiterlesen, wenn du sie eines Tages weiterschreiben solltest :)


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