Babylon-6 - 02 von ulimann644 (Gegner im Dunkel) ================================================================================ Kapitel 1: Der Plan ------------------- Im Licht der roten Riesensonne, welches durch die breite Fensterfront des Raumes herein fiel, ähnelte der Hirolin-Käfer mehr denn je einem grün-blauen glitzernden Stein mit einem feinen Muster von Riefen, das über seinen Panzer lief. Diese eisenharte Panzerung umschloss den empfindlichen Körper des Hirolin-Käfer. Cameron Grant nahm die dünne, aufblitzende Nadel zwischen Zeigefinger und Daumen, ließ sie behutsam über den Panzer des Hirolin-Käfers gleiten und lächelte befriedigt, als er die Stelle gefunden hatte, an der sich der Panzer schloss und öffnete. Grant konnte sich nicht erinnern, wie oft er dieses Spiel schon wiederholt hatte. Das hieß - es war nur für ihn ein Spiel, der Hirolin-Käfer empfand wahrscheinlich Höllenqualen. Cameron Grant trieb die Nadel in die haarfeine Spalte des Panzers. Der Hirolin-Käfer begann auf der polierten Platte des Arbeitstisches zu schwanken. Weißer Schaum quoll hervor. Der Hirolin-Käfer zischte hilflos. Mit einem Ruck bohrte Grant die Nadel in den weichen Körper. Der Hirolin-Käfer gab ein schrilles Pfeifen von sich, das er irgendwo zwischen den kiemenartigen Hautlappen am Kopfansatz seines Körpers erzeugte. Dann sprang der Panzer auf und teilte sich in zwei Hälften, die zur Seite klappten. Frei und ungeschützt lag der Körper des Hirolin-Käfers vor Grant. Mit sicheren Griffen zog der Hüne die beiden Körperhälften des Hirolin-Käfers auseinander. Er nahm eine Pinzette vom Tisch und klemmte damit den murmelgroßen, bläulichen Organfortsatz fest. Mit der anderen Hand nahm Grant eine scharfe, leicht gebogene Schere und durchtrennte die Verbindung zum Körper des Käfers an einer bestimmten Stelle. Der Hirolin-Käfer begann zu zappeln in seiner Vorrichtung, doch ein kurzer Stich mit der Nadel ließ ihn allen Widerstand aufgeben. Gelassen zog Grant den halb durchsichtigen Organklumpen heraus und betrachtete ihn unter dem Licht der Dreieckleuchte. Bereits jetzt begann der Klumpen, sich zu verformen um am Ende einen perfekten Dodekaeder zu bilden. Warum dieser Organklumpen dies tat, sobald man ihn aus dem Körper eines Hirolin-Käfers schnitt wusste Cameron Grant nicht zu sagen, ihm genügte die Tatsache, dass er es tat – und das dieser Organfortsatz, der keinerlei Funktion im Körper des Käfers zu haben schien, permanent nachwuchs. In wenigen Stunden schon würde der abgetrennte Klumpen hart wie Diamant sein und sein natürliches Feuer annehmen, welches ihn unverkennbar zu einem Hirolin-Feuerstein machen würde. Es war natürlich möglich, die Steine synthetisch herzustellen, so dass nur wirkliche Fachleute die Nachbildungen als solche erkennen konnten. Aber es blieben Nachbildungen, deren Schimmer in dunklen Räumen nie den eigenartigen Glanz echter Hirolin-Feuersteine erreichte. Die Hirolin-Käfer besaßen keine Möglichkeit, sich gegen das Entnehmen des Organklumpens zu wehren, waren sie doch viel zu langsam um weglaufen zu können, und noch Niemand hatte einen dieser Käfer fliegen sehen. Cameron Grant wusste nicht, wer zum ersten Mal darauf gekommen war diese Käfer als lebende Schmuckproduzenten zu missbrauchen. Grant nahm an, dass irgend jemand die erstaunliche Fähigkeit der Hirolin-Käfer durch einen Zufall entdeckt hatte. Ein Gesetz, dass auf der Erde galt, verbot die Benutzung eines Hirolin-Käfers für diesen Zweck. Die Gesellschaft zur Erhaltung seltener galaktischer Arten, deren Hauptsitz, auf der Erde war, ermittelte ununterbrochen gegen Personen, die dieses Gesetz brachen. Bei diesem Gedanken verzog sich Grants Gesicht zu einem ironischen Lächeln. Niemals würde er solche kleingeistigen Gesetze achten, wenn sie nicht mit seinen eigenen Zielen und Wünschen im Einklang standen. Solche Vorschriften galten für unbedarfte Narren, die dem Irrglauben nachhingen, dass man aus der Galaxis eine gewaltige Völkervereinigung machen könnte, wie es die Interstellare Allianz tat. Grant ergriff den dreißig Zentimeter langen Hirolin-Käfer, setzte ihn in das große Terrarium zurück, dem er es entnommen hatte, und schloss achtsam den Deckel. Gerade als er die Utensilien der Organklumpen-Entnahme wieder in einem Schubfach seines ausladenden Arbeitstisches verstaut hatte, inklusive des Organklumpens, der in eine Panzerkassette gewandert war, wurde der Meldekontakt am Schott seines geräumigen Arbeitsraumes betätigt. Grant warf einen Blick zur Uhr. Das konnte nur Galen Kilrain sein, denn er hatte ihn für diese Zeit zu sich bestellt, und Kilrain würde es sich nicht erlauben unpünktlich zu sein. Galen Kilrain betrat den Raum, nachdem Grant, der ihn für diese Abendstunde herbestellt hatte, das Schott für ihn öffnete. Er blickte zu Cameron Grant, dessen hünenhafte Gestalt sich vor dem hellen Hintergrund des Fensters für einen Moment nur als Silhouette abzeichnete, bis sich die Augen des Iren an die herrschenden Lichtverhältnisse im Raum gewöhnt hatten. Wie sein Gegenüber trug auch Galen Kilrain eine schwarze Lederkombination auf deren linker Brustseite ein Omega-Logo prangte – das Abzeichen ihrer Geheim-Organisation. Was zuerst an den tiefblauen Augen Grants auffiel, so sinnierte Kilrain, war die unglaubliche Härte und die Brutalität, die darin zu finden waren. Jedes Lebewesen, egal ob Mensch oder Alien, schreckte unwillkürlich zurück, wenn Cameron Grant es mit diesen eiskalten Augen fixierte. Auch Galen Kilrain empfand so, obwohl er Grant seit gut zwei Jahren kannte, und seitdem mit ihm zusammenarbeitete. Wiederholt hatte er sich gefragt, wie viele intelligente Wesen man gequält oder umgebracht haben musste damit das Leben einem Menschen einen solchen Blick verlieh, wie ihn Grant besaß. Vor wenigen Minuten hatte er sich bei Grant angemeldet, um nochmal mit ihm die Details der bevorstehenden Aktion zu besprechen. Noch immer jagte ihm das, was sie zu tun beabsichtigten einen leisen Schauer über den Rücken. Cameron Grant seinerseits schien nicht von solchen Bedenken geplagt zu werden, denn er strahlte, wie immer eine geradezu unglaubliche Ruhe und Selbstsicherheit aus. Cameron Grant personifizierte die Hoffnung aller Mitglieder ihrer Organisation, bald schon einen bedeutenden Faktor im Konzert der galaktischen Großmächte zu spielen. Die bevorstehende, nicht zuletzt von Grant geplante, Aktion stellte so zu sagen den Auftakt dazu dar. Die rote Riesensonne Queralin, die bereits dicht über den fernen Bergen stand, wurde von insgesamt sechzehn Planeten umlaufen, von denen der vierte diesen Stützpunkt beherbergte. Auf dieser öden Wüstenwelt konnten sich die meisten Humanoiden ohne Schutzanzüge bewegen. Die Atmosphäre besaß einen genügend hohen Sauerstoffanteil, um auf Atemgeräte verzichten zu können, obwohl ein längerer Aufenthalt im Freien zu Kurzatmigkeit führen konnte. Die Gravitation entsprach beinahe irdischen Werten, so dass Grant zufrieden war. Er legte Wert auf eine gewisse Bequemlichkeit, obwohl er sich bereits auch unter widrigeren Umständen bewährt hatte. Cameron Grant besaß die seltene Fähigkeit, sich rasch auf eine unerwartete Entwicklung einstellen zu können. Während andere Wesen darauf warteten, bis sich ein Geschehnis nach ihren Vorstellungen entwickelte, konnte sich Grant in kürzester Zeit auf alle Gegebenheiten einstellen und sie umsichtig selbst gestalten. Das, und seine Skrupellosigkeit, machte ihn so gefährlich. Der Mann mit den weißblonden Haaren, der leicht gebogenen Adlernase, und der markanten Narbe unter dem rechten Auge bedeutete Kilrain mit einer knappen Geste, in einem der Sessel Platz zu nehmen, die vor seinem ausladenden Arbeitstisch standen. Während sein Gegenüber sich setzte, warf Grant einen Blick über die Schulter. Durch die große Glasfront konnte er in die Wüste hinaus blicken. In den Strahlen der tiefstehenden Sonne wirkte der Sand dieser Welt, die den Eigennamen Merakan trug, blutrot. Die grauen Betonpisten und Landefelder erinnerten Cameron Grant an Adern, die willkürlich in dieses Land eingefügt waren. Sich von dem grandiosen Anblick des nahenden Sonnenuntergangs losreißend nahm Grant hinter dem Tisch platz und fixierte den dunkelblonden, untersetzten Mann, mit dem er die abschließenden Details seines Plans zu besprechen gedachte. Galen Kilrain war nach der Meinung von Cameron Grant zwar nicht übermäßig intelligent, dafür besaß er drei Eigenschaften, die Grant an ihm schätzte. Unbedingte Loyalität und Zuverlässigkeit – und er war Telepath, so wie er selbst. Cameron Grant grinste kalt, als er bemerkte, dass die grün-grauen Augen Kilrains seinem stechenden Blicken auch diesmal auswichen, wie so oft zuvor. Grant verzichtete im Umgang mit Kilrain darauf per Gedankenübertragung zu kommunizieren. Stattdessen lehnte er sich etwas in seinem Sessel zurück, bevor er mit angenehm tiefer Stimme das Gespräch eröffnete und sagte: „Mein Kontakt auf dem Mars hat vor einer Viertelstunde den Abflug der sieben neuen Kreuzer bestätigt. Niemand weiß, in welchen Teil des Weltalls sie unterwegs sind. Nur der Orientierungspunkt, der sich auf halber Strecke zwischen dem Zielort und dem Sonnensystem befinden soll, konnte mein Kontakt herausfinden. Aber das besagt nicht sehr viel über den Zielsektor, sondern nur über die grobe Richtung – und vielleicht nicht einmal das. Möglicherweise ist das Ganze nur eine Finte, und der wahre Zielsektor liegt genau in der entgegengesetzten Richtung. Wie gefällt Ihnen diese Vermutung, Mister Kilrain?“ Der Ire kratzte sich ungeniert am Hinterkopf und antwortete vage: „Das wäre möglich. Ich frage mich allerdings, warum wir uns nicht gleich die neuen Kreuzer schnappen, Grant. Warum wollen Sie die alten Kästen haben?“ Cameron Grant lächelte ohne dabei Freude zu vermitteln. „Das, mein lieber Kilrain, ist der Grund, warum ich diese Organisation leite, und nicht Sie. Was glauben Sie denn, was passieren würde, wenn wir versuchen würden, die neuen Kreuzer der ALPHA-II-KLASSE zu stehlen? Deren neuartige Abwehrsysteme sind zu stark, um sie schnell genug außer Gefecht zu setzen, damit sie keinen Notruf zum Sonnensystem absetzen können. Da die zusätzlichen Besatzungsmitglieder mit an Bord sind, haben die auch genug Personal an Bord, um die Waffensysteme zu steuern. Wir hätten also nicht nur mit heftigem Widerstand zu rechnen sondern auch umgehend die Flotte der Erd-Allianz, und vermutlich auch die der ISA, am Hals. Die Erdstreitkräfte würden außerdem den Diebstahl, falls er überhaupt glücken würde, an die große Glocke hängen, so dass wir keine Aktion mit diesen Schiffen starten könnten, bevor die halbe Galaxis weiß, dass diese Raumschiffe nicht mehr unter der Kontrolle der Erdstreitkräfte stehen. Verschwinden jedoch sieben alte Kreuzer auf mysteriöse Weise spurlos so werden einige Leute zu spät Zwei und Zwei zusammenzählen.“ Galen Kilrain grinste verschlagen. „Ich verstehe. Vermutlich sind diese alten ALPHA-Kreuzer auch viel weniger auffällig, als diese neuen Schiffstypen, da sie, bei den Erdstreitkräften quasi überall noch im Einsatz sind.“ Grant nickte zufrieden. „Sie haben begriffen worauf es mir ankommt – sehr schön.“ Kilrain wirkte zufrieden. „Was werden wir mit der Besatzung anstellen, wenn der Angriff funktioniert hat? Ich meine, wir sollten auch unseren Spaß dabei haben, Grant.“ Cameron Grant lächelte kalt. „Wie ich Sie kenne spielen Sie vorwiegend auf weibliche Besatzungsmitglieder an. Nun, ich habe nichts gegen etwas Spaß – solange der Spaß für die betreffenden Damen zum Schluss im Weltall endet. Mit Genickschuss aus einer PPG und ohne Raumanzug versteht sich.“ Ein mörderisches Glitzern spiegelte sich für einen kurzen Moment in Kilrains Augen wider. Er beugte sich etwas in seinem Sessel vor und blickte nun ernster drein. „Der Plan birgt dennoch Risiken, Grant. Was passiert, wenn die doch einen Notruf absetzen können. Dann ist unser schöner Plan dahin.“ Die Kälte in Cameron Grants Blick erfuhr noch eine Steigerung. „Das wäre sehr unangenehm für den Leiter der Aktion, fürchte ich. Genauer gesagt für Sie, Mister Kilrain, denn ich gedenke Ihnen die Leitung der gesamten Aktion anzuvertrauen. Denken Sie, dass Sie dieser Aufgabe gewachsen sein werden?“ Diese Eröffnung von Cameron Grant kam unerwartet für Kilrain, denn er hatte angenommen, dass Grant selbst diese Aktion zu leiten gedachte. Halb aus dem Sessel auffahrend verhielt er schließlich und sank dann sacht in die Polster zurück. Mit einer Mischung aus Respekt vor dieser Aufgabe, und Stolz, dass Grant ihm diese Aufgabe zutraute erwiderte er schließlich mit fester Stimme: „Ich werde es schaffen, Mister Grant.“ Der Hüne nickte zufrieden. „Darauf baue ich. Sie werden also in zwei Stunden mit dem Gros unserer Flotte den Orientierungspunkt der Kreuzer anfliegen und sich an den vereinbarten Stelle auf die Lauer legen. Da wir nicht sicher sein können, ob die Überführungscrews davon Gebrauch machen werden, an diesem Punkt den Hyperraum, zu einer Erholung der Maschinenanlagen, zu verlassen oder nicht, werden Sie den Hyperfeld-Destruktor einsetzen.“ Galen Kilrain nickte beklommen. „Ganz ehrlich, Mister Grant, ich habe immer noch nicht richtig begriffen, wie dieses unheimliche Gerät eigentlich funktioniert.“ Grant lächelte versonnen und erwiderte fast amüsiert: „Ich auch nicht, Kilrain. Mir genügt es zu wissen, dass es funktioniert. Alles Andere überlasse ich unseren Wissenschaftlern. Dem Schiff mit dem Destruktor darf bei dieser Aktion nichts passieren, denn wir werden ihn noch brauchen und momentan ist das Gerät nicht zu reproduzieren. Sie wissen warum.“ Ein Frösteln überkam Galen Kilrain, während er stumm nickte. Cameron Grant erhob sich geschmeidig aus seinem Sessel, und Kilrain tat es dem Hünen unaufgefordert nach. Der Blonde blickte durch die Fensterfront hinaus, wo der gewaltig erscheinende Glutball der roten Riesensonne gerade hinter den Bergen verschwand. Dann meinte er zu Kilrain gewandt: „Kommen Sie, wir wollen unseren Verbündeten, vor der Aktion, nochmal einen kurzen Besuch abstatten.“ Kilrain nickte missmutig. „Ich kann diese Typen nicht ausstehen. Ich vertraue übrigens allen beiden Gruppen, und ihren Motiven uns zu unterstützen, nicht.“ Grant nickte verstehend. „Ich auch nicht. Momentan brauchen wir sie noch, das wissen Sie. Doch wenn der Moment kommt – und er wird kommen, Kilrain – dass wir uns ihrer entledigen, so werden Sie dabei an meiner Seite stehen, das versichere ich Ihnen.“ Beide Telepathen grinsten gleichsam verschlagen, als sie den Arbeitsraum verließen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)