Memories von Lina_ ================================================================================ Kapitel 15: Hope ---------------- „Ich will heute Nacht nicht alleine sein. Darf ich in deinen Armen schlafen?“ Überrascht schaute der Sänger auf, da er wirklich nicht damit gerechnet hatte, derartige Worte vom Jüngeren zu hören, obwohl sie in seiner jetzigen Lage nicht einmal abwegig klangen. Er brauchte jemanden. Er brauchte eine Schulter, an die er sich anlehnen konnte und nach dem, was Toru in den vergangenen Wochen, gar Monaten, für Taka getan hatte, war es für den Lockenkopf nur selbstverständlich, seinem besten Freund etwas zurückzugeben. Ein warmes Lächeln zierte Taka bei seinen Gedankengängen, die ihm nur bestätigten, was für einen guten Freund er all die Jahre über gehabt hatte. Dass Toru sich trotz seiner eigenen Probleme so selbstlos für ihn einzusetzen schien, ließ Takas Herz auf eine nicht zu definierende Art und Weise erwärmen. Nichtsdestotrotz schob der Lockenkopf dieses Gefühl beiseite, schaute mit weit offenen, funkelnden Augen in die großen des Blonden und langsam verebbte sein warmes Lächeln wieder. Die Worte, die Taka vorgehabt hatte zu sprechen, blieben ihm in der Kehle stecken, hatten doch die dunklen Augen des Gitarristen irgendetwas in dem kleinen Mann ausgelöst. Doch so sehr Taka dem auch auf den Grund gehen wollte, fürchtete er dieses Gefühl, das an seiner Erinnerung zu kratzen schien. Warum waren ihm diese Augen, deren Farbe es problemlos mit der Nacht aufnehmen könnten, erst jetzt aufgefallen. Es war ja nicht so, als wären sie etwas völlig Neues an seinem besten Freund. Und dennoch… „Taka?“, fragte Toru zaghaft nach einem Moment des Schweigens, in welchem er fürchtete, womöglich die falsche Frage gestellt zu haben. Torus Blick war mit einem Mal in Sorge gehüllt und erst jetzt, wo Taka aus seinen Gedanken gerüttelt worden war, sah er dies. Perplex schüttelte der Ältere den Kopf, dabei flogen die Locken leicht in seiner Bewegung. „Nein, Quatsch, natürlich.“ Taka spürte, wie sich seine Wangen vor Scham röteten. Es war ihm peinlich inmitten einer solch intimen Frage abgetaucht zu sein und seinen besten Freund damit in Verlegenheit gebracht zu haben. „Natürlich kannst du in meinen Armen schlafen.“ Er schenkte dem Blonden ein zuversichtliches Lächeln und nickte schließlich. So etwas wie Erleichterung breitete sich in Torus Körper aus und er musste ein erlösendes Aufseufzen zurückhalten. Als sich dann eine Hand auf seine Schulter platzierte, zuckte der Blonde kurz unter dieser Geste zusammen, war sie doch so unvorhersehbar gewesen. Doch kaum hatte sich sein Blick wieder den Takas gefunden, kam ihm ein weiteres Lächeln entgegen. Eines, welches ihm sagte Es wird alles gut. Auch wenn Toru sich in seinem Inneren immer noch darüber zerriss, ob wirklich alles wieder gut werden würde. Wie könnte es das denn? Ohne Taka an seiner Seite. Ohne den, dessen Liebe ihn grenzenlos erfüllt hatte. Dann konnte er einen Stoßseufzer doch nicht mehr zurückhalten. Aber das wäre in dieser Situation ja ohnehin nicht mehr von Belangen gewesen. „Magst du vielleicht einen Film gucken? Ich kann uns Popcorn machen!“, schlug der kleine Lockenkopf plötzlich begeistert vor, mit der Intention, seinen langjährigen Freund und Bandkollegen auf andere Gedanken zu bringen. „Ich kenne da zufällig einen echt guten Streifen.“ Ein neckisches Grinsen legte sich bei dieser offensichtlichen Anspielung auf Torus fein geschwungene Lippen. „Dieser Streifen heißt nicht zufällig ,Krieg der Sterne‘? Oder vielleicht ,Das Imperium schlägt zurück‘? Oder doch ,Die Rückkehr der Jedi-Ritter‘?“ Spielerisch beleidigt plusterte Taka die Wangen auf, fiel kurz darauf aber in ein herzliches Lachen, welches widererwarten auch den jungen Gitarristen ansteckte, sodass dieser doch ein kleines Kichern über sich bringen konnte. Und es klang wunderbar in den Ohren des Frontmannes, war beinahe zu schön, als dass es so schnell vorbei sein konnte. „Wenn ich so recht überlege habe ich dich bisher echt selten lachen gehört...“, dachte Taka mit einem Mal, schüttelte diese Erkenntnis jedoch schnell wieder von sich. Vermutlich gehörten diese Momente, in denen Toru herzliche lachte, ebenso zu den Ereignissen, die er unbeabsichtigt und ungewollt vergessen hatte. Wie ein Blitz schlug diese Erkenntnis über ihn ein und das wahre Ausmaß des Geschehens brach einmal mehr über ihm zusammen und entriss ihn aus seiner kleinen heilen Welt, die klein und empfindlich wie eine Schneekugel aufgebaut war. Es war ja ohnehin nicht zu ändern. Er, der Sänger einer Band, hatte nicht das Recht und den Einfluss darauf, das Schicksal zu beeinflussen. Es blieb ihm nichts anderes, als jenes zu akzeptieren. Sich den Nasenrücken reibend, schüttelte der Lockenkopf jene Gedanken ab, die ihn zuvor vereinnahmt hatten und konzentrierte sich unweigerlich, wenn auch etwas durch den Wind, wieder auf seinem besten Freund, der ihn mit hochgezogener Augenbraue musterte. Offensichtlich war nicht zu übersehen gewesen, wie er sich in seiner Tagträumerei verloren hatte. „Ich dachte nur…du solltest definitiv öfter dein Lachen mit deinen Freunden teilen!“, erklärte sich der Sänger, vermutlich etwas zu hastig. Etwas perplex wegen der Wortwahl Takas, aber ebenso verlegen, zogen sich Torus Mundwinkel nach oben und er konnte deutlich spüren, wie seine Wangen etwas wärmer wurden. Wenn er auch versuchte, dieses tunlichst zu unterdrücken. Inzwischen hatten sie es sich auf der großen Couch im anliegenden Wohnzimmer mit einer Schale Popcorn gemütlich gemacht. Taka hatte tatsächlich eine DVD aus der Star Wars Reihe eingeworfen, was aber angesichts ihrer eher kleinen DVD Sammlung auch vorauszusehen gewesen war. Sie hatten sich schließlich nie groß mit Filmen auseinandergesetzt. Oder überhaupt mit dem Fernseher. Ehe Toru sich jedoch wieder in Nostalgie verfangen konnte, aus der er vor lauter Schmerz und Sehnsucht nicht mehr herauskäme, riss er alle Gedanken von sich los und schenkte seine Aufmerksamkeit stattdessen dem Bildschirm, auf dem gerade das Startmenü eingeblendet wurde. Auch wenn Toru es wirklich versuchte, so schaffte er es einfach nicht, sich voll und ganz auf den Film zu konzentrieren, den er mittlerweile ohnehin schon auswendig kannte, so oft wie er ihn in der Vergangenheit mit Taka geschaut hatte. Immer wieder driftete er mit den Gedanken ab, verfing sich in ihnen und ließ zu, wie sie an seinen letzten Kräften zerrten. Beinahe schwindelerregend war die Welle die ihn überkam, als würde sie ihm den Boden unter den Füßen wegziehen, und das obwohl er doch neben Taka auf der Couch saß. Vielleicht war es aber auch gerade das, was ihm so zu schaffen machte. Das und die Tatsache, dass eben dieser Mann, der dort neben ihm saß, nie mehr der seine sein würde. Am liebsten würde er weinen. Aber er tat es nicht, konnte es nicht, aus lauter Schuldgefühlen, die sich in ihm anhäuften. Er würde dem Lockenkopf nur weitere falsche Erklärungen liefern müssen, deren Last er nicht länger würde tragen können. Stumm lief dem Blonden doch eine einsame Träne über die Wange, ohne, dass sie weder von ihm selbst, noch von Taka bemerkt wurde. Allmählich spürte Toru seine Augenlider schwerer werden und er machte nicht einmal Anstalten, gegen dieses zunehmende Gefühl der Schwere anzukämpfen, zumal er das Ende des Films ohnehin schon kannte. Die Töne und auch die Bilder des Fernsehers verschwammen und nur zu gerne ließ sich der junge Mann in eine Welt der Träume ziehen, wissend darüber, dass er der kalten Realität so zumindest für kurze Zeit entfliehen konnte. Sein Kopf sackte zur Seite, landete weich auf Takas Schulter. Zwar sah der Sänger des plötzlichen Gewichts auf seiner Schulter wegen überrascht auf, zierte sich aber auch nicht, den Körper des Schlafenden vorsichtig ein Stück näher zu ziehen. „Schlaf gut, Toru.“, murmelte Taka. „Es tut mir so leid. Was du durchmachen musst, kann ich mir nicht im Geringsten vorstellen. Dabei sollte die Person, die all deine Liebe empfängt, sich glücklich schätzen. Du bist schließlich ein Mann, wie ihn sich jede Frau wünscht.“ Der schwarze Schleier löste sich in einzelne Partikel auf, bis ein klares Bild erschien. Er fand sich in seinem BMW wieder, eindeutig. Das Logo glänzte auf dem Lenkrad, doch seine Aufmerksamkeit galt noch immer der Straße. Zwar war es sein eigener Körper, in dem er sich wiederfand, aber er konnte weder diesen, noch seine Gedanken kontrollieren. Sein Atem lag schwer in den Lungen und erst langsam drang ein stechender Schmerz zu ihm durch. Ebenso die abgedämpften Geräusche, die Stimmen, die versuchten, ihn zu einer Reaktion zu bewegen. Sie prallten an ihm ab, als wäre da eine Mauer zwischen ihnen. Wie in Trance und ohne, dass er es wollte, wanderte sein Blick zur Seite. Und da wusste er es. Es traf ihn wie ein Blitz. Warum hatte ihn sein Gedächtnis ausgerechnet an diesen Ort zurückverfrachtet? Ein Körper, getränkt in Blut, ließ sein Herz in abertausend Stücke zerfallen. Der Anblick der scheinbar leblosen Person, die sich nicht rühren wollte, brannte sich erneut in Torus Netzhaut. „Taka...“, wisperte er heiser. Doch seine Stimme erreichte den kleinen Sänger nicht. Sie hatte sich lediglich in seinen Gedanken eingenistet. Er wollte nach seiner Hand greifen, doch er war nicht länger Herr seines Körpers. Dabei wollte er so sehr für seinen Liebsten da sein, ihn in den Arm nehmen und ihm sagen, dass er sicher sei. Aber er konnte einfach nicht die geringste Kontrolle über seinen Körper erlangen – als wäre er ein Gefangener seiner selbst. Selbst der Moment, in dem er von den Sanitätern aus dem Wagen gezogen wurde, ging an ihm vorüber, ohne, dass er auch nur eine einzige Berührung spürte. War er wirklich lebendig gewesen? Oder war zu diesem Zeitpunkt bereits ein großer Teil in ihm gestorben? Eine Welle der Übelkeit überkam den Blonden; lauter grelle Blitze schienen hinter seinem inneren Auge zu explodieren. Alles drehte sich und ein panischer Schrei holte den Gitarristen letztendlich in die kalte Gegenwart zurück, die sich wie ein Eimer, gefüllt mit Eiswasser, über ihm ergoss. Erschrocken riss sich der Blonde in eine aufrechte Position, einige Schweißperlen rannen dabei seine Stirn hinab. Seine Lungen füllten sich nur schwerlich mit Sauerstoff, was womöglich an der totalen Dunkelheit lag, die ihn erneut begrüßte, der er nicht entkommen konnte. „Toru?“, fragte eine sanfte Stimme vorsichtig. So orientierungslos wie Toru war, konnte er nicht ausmachen, woher sie kam; konnte nicht einmal sagen, wessen Stimme es war. Dabei lag es doch auf der Hand. „Toru!“, sprach sie erneut. Ein stechender Schmerz begrüßte den Kopf des jungen Gitarristen, so krallten sich seine Finger krampfhaft in seine Haare und er musste seine Ellenbogen auf den Oberschenkeln abstützen. Was hatte er der Welt angetan, dass sie ihm nun so einen Streich spielte, fragte er sich. Doch egal in welcher Ecke seiner Gedanken er auch nach einer Antwort suchte, er bekam sie nicht. Sie existierte ganz einfach nicht. Tränen überrannten ihn so plötzlich, dass er nicht einmal die Gelegenheit dazu bekam, sie zu stoppen. „Hör auf...Hör auf...“, winselte er leise. Für einen Moment war alles still, als wäre er erneut in eine einsame, verlassene Welt gesunken. Es war ein entferntes Kribbeln auf seinem Rücken, welches mit einem Mal immer deutlicher zu spüren war und sich schließlich als angenehmen Druck bezeichnen ließ. Takas Hand. „Hey, Toru. Hörst du mich?“ Die abgedämpfte Stimme wurde plötzlich klar und auch die Konturen des leuchtenden Bildschirms zeichneten sich ab. Langsam aber sicher wurde auch Torus Atmung ruhiger. Seine Hände aus den Haaren lösend, schaute der Blonde schwächlich und mit rot geweinten Augen hinauf in die mandelförmigen, besorgten Augen seines Freundes. Einen Augenblick brauchte der Jüngere noch, um nochmal tief durchatmen zu können, ehe er dem Kleineren eine Antwort geben konnte. Jedoch kam ihm dieser zuvor. „Hast du etwa schlecht geschlafen?“ Natürlich hatte er das, das war ja wohl offensichtlich gewesen und so tat der junge Mann nicht mehr, als ein schwaches Nicken von sich zu geben. „Möchtest du darüber reden?“, fragte Taka vorsichtig nach. Jene Worte blieben dem Leader im Halse stecken, so blieb ihm nichts weiter als ein verlorenes Kopfschütteln von sich zu geben. „Aber darüber zu reden kann vielleicht helfen, denk doch nur mal an mich.“, versuchte der Lockenkopf nun. „Ich bin doch auch immer zu dir gekommen und habe mich dir anvertraut.“ Am liebsten würde Toru ihm die Wahrheit sagen; die Wahrheit über das, was vor dem Unfall gewesen war, wie glücklich sie gewesen waren. Sobald er aber auch nur daran dachte, seinem Sänger alles offenzulegen, breitete sich ein schwerer Kloß in seiner Kehle aus, der ihm selbst das Schlucken nur schwerlich erlaubte. Toru verdrängte den Kloß, konnte einen kurz aufkommenden Schmerz jedoch nicht verhindern. Er atmete die Luft unsicher aus und wieder ein. Dann setzte er an. „Manche Dinge bleiben lieber ungesagt.“, begann er leise. „Und es war ja auch eigentlich nur ein Traum, nichts weiter...“ Lüge. Es war kein Traum gewesen, sondern die eiskalte Realität, die sich über Toru lustig zu machen schien, indem sie ihn in seine Träume verfolgte. Auch wenn Taka über diese Worte nur grübeln konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Entscheidung seines Freundes hinzunehmen und zu akzeptieren. Würde er aufdringlich werden, würde sich der Blonde womöglich irgendwann noch verschließen und eigentlich war Toru ja auch alt genug, um selbst entscheiden zu können, was er mitteilte und was er lieber für sich behielt. Resigniert nickte er. „Der Film ist gleich zu Ende und es ist ohnehin schon spät. Willst du dich schon mal ins Bett legen und ich komme nach oder soll ich jetzt schon mitkommen?“ Takas Frage war verlockend, doch Toru sträubte sich innerlich davor, sie zu beantworten, auch wenn sie in den Augen des Älteren angesichts der Situation eine völlig gerechtfertigte war. „Schau du den Film ruhig noch zu Ende. Ich versuche schon mal einzuschlafen...“ Auf wackeligen Beinen taperte der Gitarrist noch immer etwas schlaftrunken und ohne ein weiteres Wort zu verlieren in Richtung Schlafzimmer. Dabei fragte er sich, ob Taka seine Bitte von vorhin wirklich ernst genommen hatte. Alle Kräfte verließen den schlanken Körper, sodass er sich nicht mal mehr die Mühe machen konnte, sich aufs Bett zu setzen, stattdessen kraftlos in die weiche Matratze fiel. Selbst die Decke blieb unberührt, trotz der Tatsache, dass er leicht fröstelte. Sie hätte die Kälte aus seinem Inneren ohnehin nicht verbannen können, das konnte nur derjenige, nach dem sein Herz schrie. Nässe fand den Weg in sein Kopfkissen. Es vergingen 15 Minuten, dann kam auch Taka ins Schlafzimmer geschlichen. Wissend, dass das Nachtlicht angeschaltet war, schaltete er das große Licht aus und taperte an seine Seite des Bettes, griff nach seiner Decke und machte es sich bequem. Dass der Blonde ihm den Rücken zugedreht hatte, hatte er bereits registriert, was ihm irgendwo ein schlechtes Gewissen bereitete. „Toru?“, wisperte er, wollte prüfen, ob sein Freund nicht vielleicht schon von alleine in den Schlaf gefunden hatte. Als der Körper kurz zuckte und Toru sich schließlich umdrehte, erschrak Taka und etwas in seinem Inneren zerfiel in Scherben. „Oh Gott, es tut mir so leid. Ich hätte sofort mitkommen sollen. Warum hast du nichts gesagt?“ Verheulte Augen fixierten den lockigen Sänger, während Toru keine Anstalten machte, den Älteren aufzuklären, stattdessen drehte er sich zu ihm und flüchtete schüchtern an Takas Brust, auf die allem vorhergegangene Bitte zurückgreifend. Alle Dämme brachen in ihm und die Tränen rannen stumm und heiß über seine Wangen. Verzweifelt griff der Blonde in das Hemd des Sängers, hielt sich an ihm fest aus Angst, der Kleinere würde sich jeden Moment in Luft auflösen. „Ich… kann nicht schlafen...“, schluchzte er in den Stoff des Shirts, das durch die Tränen langsam dunkel färbte. Seinen besten Freund in solch einem Zustand zu sehen, löste in Taka eine Welle von Schuldgefühlen aus, da es doch auf der Hand gelegen hatte, dass Toru vorhin von einem bewegenden Alptraum gequält worden war und er hatte ihn einfach alleine gelassen. Einmal mehr. Wenn es auch nicht wirklich seine Schuld gewesen war, so schämte er sich jetzt umso mehr dafür, nicht weiter nachgefragt zu haben. Irgendwie war das alles doch unfair; Toru opferte all seine Kräfte für ihn auf, was es auch immer kostete und Taka selbst gab ihm dafür so wenig zurück. Er wollte den Blonden nicht weinen sehen, nicht mehr. Er hatte sich doch zuvor noch geschworen, für den Jüngeren da zu sein, ihm zu zeigen, dass er ebenso eine stützende Hilfe sein konnte, wie Toru es für ihn immer gewesen war. Jetzt aber fühlte es sich danach an, als hätte er kläglich versagt, dabei hatte er wirklich nicht damit gerechnet, mit einem solchen Gefühlsausbruch konfrontiert zu werden. „Toru, sieh‘ mich bitte an.“, bat er mit zittriger Stimme, in deren Ton schon eine kleine Spur Hilflosigkeit mitschwang. Hauchdünne, elektrisierende Luft lag zwischen ihnen in der Zeit, die Toru brauchte, um zu reagieren und seinen Kopf soweit von Taka zu lösen, um ihm in die Augen sehen zu können. Ein fragender, vielleicht auch bittender Blick wurde von Takas Augen empfangen und für einen Moment sah er den Blonden einfach nur an, strich zaghaft eine der unzähligen Tränen auf Torus Wangen fort. Erst dann wagte er es zu sprechen und die elektrisch geladene Luft zu durchbrechen. „Würde es dir beim Einschlafen helfen, wenn ich dir etwas vorsinge?“ Wieder herrschte stickige Stille, musste Toru die Worte, die an ihn gerichtet wurden, noch verarbeiten, da er sich immer wieder von ihrer Echtheit überzeugen musste. Dann ein leichtes Nicken. Der Sehnsucht. So lange hatte er Taka nicht mehr singen gehört, das war ihm erst jetzt, nachdem Taka ihm diesen Vorschlag unterbreitet hatte, klar geworden. Und er hatte es nicht einmal bewusst vermisst, da er sich viel zu lange nach der Liebe gesehnt hatte, die ihn mit dem Unfall alleine gelassen hatte. Dabei glich die Stimme Takas ebenso sehr einem Engel, wie die Liebe, die er all die Zeit von ihm empfangen hatte. Als die sanfte Stimme Takas erklang, wich jede Sorge, jede Angst aus Toru und machte Platz für pure Erleichterung und jene Geborgenheit, die Toru so lange nicht gefühlt hatte und die ihn auf einer Wolke schweben ließ. Eine Wolke, auf der es keine Sorgen gab. Eine Wolke, wo es nur Platz für ihn gab – einen Rückzugsort, der die Mauern vor jenen Ängsten und negativen Ereignissen der vergangenen Monate hochzog. Lediglich Takas Stimme war es erlaubt, den blonden Gitarristen auf diese Wolke zu begleiten. Etwas unsicher summte der Lockenkopf eine Melodie eines Songs, den er – wie er erfahren hatte – für ihr letztes Album geschrieben hatte. Wenn er auch die Hintergründe des Songs nicht mehr kannte und sich nur langsam mit den letzten veröffentlichten Songs vertraut machte, so sang er ihn dennoch für seinen besten Freund, eben weil er eine so beruhigende Wirkung auf den Blonden hatte. «Just wanna be with you, only you, alyways you, you‘re so beautiful to me it‘s true...» Die Stimme des Sängers verschwamm allmählich, als Torus Bewusstsein begann, ihn in einen immer tiefer werdenden Sog von Dunkelheit zu ziehen. Diese Dunkelheit war anders. Sie war nicht feindlich, sondern…still. Ruhig. Dann war alles verstummt. Und er, er war in einen traumlosen Schlaf gesunken. Beruhigend strich Takas Hand über das breite Kreuz Torus, zog den schlafenden Körper dicht an seine Brust, um ihm selbst durch den Schlaf hindurch zu vermitteln, dass er bei ihm war. Und blieb. Es beruhigte Taka ungemein zu sehen und zu spüren, wie entspannt Toru so an seiner Brust gekuschelt lag, dieses Mal offensichtlich in einen besseren Schlaf gefunden hatte. Wie sehr sein Beisein daran beteiligt war, vermochte sich Taka zu diesem Zeitpunkt noch nicht auszumalen. Wärme stieg in seine Wangen, sowie er den Jüngeren so ruhig in seinen Armen schlafen sah. Vermutlich lag es am Unfall, oder daran, dass sie alle einfach älter geworden waren, doch diese Intimität fühlte sich anders an, als an den Erinnerungen, die ihm geblieben waren. Er erinnerte sich daran, wie er mehr als nur einmal in den Armen des anderen eingeschlafen war, wenn er seinerseits nicht in den Schlaf hatte finden konnte, geplagt gewesen war von seinen Dämonen. Die Nähe war dieselbe gewesen, die Tränen ebenso vielzählig. Und doch war da, irgendwo in Taka, ein Gefühl, eine Gedanke, eine versiegelte Erinnerung, die ihm vermittelte, dass sich etwas zwischen ihnen geändert hatte. Irgendwann in diesem 6 Jahre großen Loch. Zittrig stieß der Sänger die Luft aus und fuhr sich erschöpft durch die dicken Locken. Es war zu spät um jetzt noch derartigen Gedanken nachzugehen. Für ihn zählte nur eins: Er würde immer an Torus Seite bleiben und für ihn da sein, so, wie Toru Selbiges für ihn tat und dafür war der junge Sänger mehr als dankbar. Beruhigten Gewissens schlossen sich allmählich auch die Augen des Lockenkopfes und er fiel in einen sanften Schlaf, hielt auch während er schlief seinen besten Freund fest im Arm. - - - Ein Kribbeln in der Nase ließ Taka mit einem Niesen aufwachen, waren es doch tatsächlich die Sonnenstrahlen, die trotz dieser Jahreszeit ihren Weg durch die Jalousien des Schlafzimmers gefunden hatten und den Sänger auf diese eher ungewöhnliche Art und Weise weckten. Einen Moment brauchte der Lockenkopf, um zu registrieren wo er war, mit wem und warum. Als er an sich herunter sah – er realisierte allmählich das deutliche, nicht unangenehme Gewicht auf seiner Brust – rief sich die gestrige Nacht zurück in seine Erinnerung. Toru schlief noch immer seelenruhig, trotz seines Niesens, dicht an seine Brust gekuschelt und Taka konnte genau beobachten, wie sich der Rücken seines Freundes gleichmäßig hob und senkte, der gleichmäßigen Atemzüge wegen, die Taka sogar hören konnte, wenn er selbst nur still genug war. Der Anblick seines Freundes – so musste Taka sich eingestehen – war doch recht süß und entlockte ihm ein kleines Lächeln. Zufrieden legte sich der Lockenkopf zurück in die Kissen und beschloss noch eine Weile zu dösen. Vermutlich so lange, bis der Jüngere aufwachte, da Taka es beim besten Willen nicht übers Herz bringen konnte, sich von diesem zu entfernen, nach all dem was am gestrigen Tag passiert war. Sowie der Lockenkopf schon auf halbem Wege zurück in den Schlaf gefunden hatte, regte sich der Körper über ihm und ein Paar verschlafener Augen blickte zu ihm hoch. Vorsichtig rollte sich der schlanke Körper vom Sänger und mit den Händen rieb Toru sich übers Gesicht, scheinbar völlig irritiert der Tatsache wegen, dass es ihm erlaubt gewesen war, einen solchen intimen Moment mit Taka noch ein letztes Mal teilen zu dürfen. Es war unbeschreiblich, wie viel Sicherheit und Geborgenheit die Arme Takas ausstrahlten, wenn er sich diesen hingab. Geradezu irreal. Und dennoch war es ihm erlaubt gewesen. „Guten Morgen“, grüßte die warme Stimme des Lockenkopfes. Ein Nicken seitens des Jüngeren sollte Taka Selbiges wünschen. „Wie hast du geschlafen?“ Ein Moment des Schweigens trat ein. Einige Sekunden verstrichen, ehe Toru eine reichlich knappe Antwort von sich gab. „Gut.“ Dass sich sein Freund zu knapp ausdrückte, ließ Sorge und Bedenken in Takas Brust aufbrodeln. Wahrscheinlich aber lag der Wortlaut des Anderen daran, dass noch immer der Liebeskummer an ihm kratze, vermutete Taka. Ein verständnisvolles Lächeln legte sich auf seine Lippen, sowie er Toru eine blonde Strähne aus der Stirn strich. „Wie sieht‘s aus mit Frühstück?“ Keine 10 Minuten später fand Toru einen reichlich gedeckten Tisch im Esszimmer vor, hatte sich doch Taka voller Tatendrang aufgemacht und diesen mit allerlei Leckereien geschmückt, auch wenn die noch immer im Ofen aufbackenden Brötchen das Bild vom perfekten Frühstück etwas störten. Jedoch nicht in einem solchen Ausmaß, dass der Blonde dieses als mangelhaft oder Ähnliches deklarieren würde. „Setz dich.“, rief Taka ihm geradezu voller Freude zu, während er in der angrenzenden Küche gerade einen prüfenden Blick in den Ofen warf. Schweigend nahm Toru seinen gewohnten Platz ein, betrachtete den voll bedeckten Tisch. Würde ihn jemand fragen, wie es ihm ginge, er wüsste keine Antwort auf diese so scheinbar simple Frage. Und würde er erläutern warum, dann erwies sich diese Frage auf einmal schon gar nicht mehr als so simpel, denn eigentlich, dachte Toru, war es doch unmöglich all die Gedanken und Gefühle, die binnen Millisekunden durch den eigenen Kopf huschten, mit nur einem einzigen Wort zu beschreiben. Dafür war das Spektrum der zu empfindenden Dinge einfach viel zu groß. Und würde man doch mit einem einfachen „Gut“, oder „Schlecht“ antworten, so belog man sich unterm Strich nur selber, da einer solchen Gefühlslage immer eine Emotion vorausging, die ebenso erläutert werden sollte. Doch diesen Teil der Antwort interessierte wohl die wenigsten Menschen und langsam fing Toru an sich zu fragen, wann genau er begonnen hatte, sich selbst mit dieser Frage gedanklich im Kreis zu drehen. Sowie der Brötchenkorb vor ihm abgestellt wurde, war Toru wieder gänzlich zurück in der Realität angekommen und schüttelte innerlich über sich selbst den Kopf. In früher Morgenstunde sollte derartig philosophischen Fragen nicht nachgegangen werde. „Guten Appetit!“ Eine Weile verstrich und sie beide waren in eine angenehme, beinahe vertraute Stille gehüllt und nur das Radio steuerte im Hintergrund leise die neusten Pop-Songs als Untermalung dieser Szene bei. Während Taka noch immer auf dem letzten Bissen seines Brötchens herumkaute, dachte er über den gestrigen Tag nach, den er mit Takeru im Café verbracht hatte. Ein Date. Kommendes Wochenende. Auf einer Party der edleren Sorte. Bei der Tanzen wohl ganz oben auf der Liste stand und dieses Wissen verunsicherte den Sänger mehr als nur geringfügig. Denn nach all den Jahren konnte sich Taka nicht entsinnen, jemals gelernt zu haben, wie man tanzt. Ob er es tatsächlich nie gelernt hatte, oder schlichtweg wieder vergessen hat, war vorerst zweitrangig, da die Party in seinen Gedanken schon jetzt zu einem Horrorszenrio wurde, mit dem Bewusstsein, dass er nicht mal die Schritte eines einfachen Walzers beherrschte. Und selbst wenn er sie einst gekonnt hatte, so hatte er jetzt nichts mehr davon. Schwerlich schluckte Taka den mittlerweile süß schmeckenden Bissen des Brötchens und damit ebenso den Kloß in seinem Hals hinunter. „Toru…?“, fragte er zaghaft. Angesprochener, der wie geistesabwesend auf sein Brötchen gestarrt hatte, blickte überrascht auf. Takas Herz begann zu rasen, obgleich er sich diese Reaktion nicht einmal erklären konnte. Vielleicht waren es die Umstände, die es ihm erschwerten, eine solche Frage an seinen besten Freund zu stellen, aber rechtfertigten sie wirklich ein solches Rasen in seinem Herzen? „Takeru hat mich auf ein Date eingeladen.“ Er wusste, diese Nachricht würde Toru nicht überraschen und angesichts der Tatsache, dass sein blonder Freund ohnehin wusste, dass Taka schwul war, hatte er auch keine außergewöhnliche Reaktion von diesem zu befürchten. „Nun, er hat mich auf so eine edle Party eines wohl ziemlich reichen Kunden eingeladen und-“ „Wo liegt das Problem?“, schoss ihm plötzlich diese prompte Frage von Toru entgegen, die seine Wangen erröten ließ. Das Rasen in Takas Herzen nahm zu. „Der Dresscode besagt Anzug oder Smoking, Krawatte oder Fliege. Also worauf ich hinaus will ist...dass, also...“ Taka hielt an, atmete ein letztes Mal tief durch. „Kannst du tanzen, Toru?“ So sehr er das Glühen seiner Wangen spürte, vermochte er nicht sich vorzustellen, wie beschämend rot diese tatsächlich waren. Toru, der ihn noch immer mit großen Augen anstarrte, dessen Mimik jedoch nichts verriet, ließ sein Brötchen auf den Teller sinken. „Wieso fragst du nicht Takeru, ob er mit dir übt?“ Die Tatsache, dass Taka ihm eben gerade gestanden hatte, dass er nach all den Jahren kein bisschen tanzen konnte, schien den Blonden nicht zu überraschen, aber vielleicht hatte Taka ihm das im Laufe der Zeit auch einfach schon anvertraut. „Ich will mich nicht vor ihm blamieren, ich schäme mich irgendwie, ihm sagen zu müssen, dass ich nicht tanzen kann. Dann wird er sicher ein schlechtes Gewissen wegen des Dates haben, dass er mich womöglich bloßstellen würde.“ Nervös zupfte der Sänger unter dem Tisch, unsichtbar für Toru, an seinen Fingern, kaute jedoch, und das war sichtbar für Toru, auf seiner Unterlippe. Eine Eigenschaft, die er sich scheinbar noch immer nicht abgewöhnt hatte. Bei diesem Anblick brach die Fassade, die Toru seit seinem Erwachen versucht hatte aufrecht zu erhalten. Sein Herz wurde mit einem Mal so weich, schlug so wild, als wäre für einen Moment alles wie früher. „Ich werde es dir zeigen.“ Toru wollte gerade dazu ansetzen schwärmend hinzuzufügen, was für ein guter Tänzer er war und wie sie an warmen Sommerabenden einfach aus einer Lust heraus während eines Dates im Park begonnen hatten, zu tanzen. Ein plötzlicher Mechanismus ließ ihn jedoch verstummen, so schluckte Toru jene Erinnerung an einen ihrer vielen Tänze schweren Herzens herunter. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stand er auf, ging auf den Lockenkopf zu, der ziemlich überrascht aufsah, als der Jüngere sich vor ihm kniete und eine Hand nach ihm ausstreckte. „Darf ich um diesen Tanz bitten?“ Eine unübersehbare Röte schoss hinauf in Takas Wangen und der Sänger gab seine Hand vertraut in Torus Handfläche und musste verwundert feststellen, wie perfekt ihre Hände ineinander passten. Ehe Taka die Chance hatte, diesen Gedanken weiter zu bewerten, schob er ihn in die hinterste Ecke, stand plötzlich auf wackel-weichen Beinen und begleitete Toru ins anliegende Wohnzimmer. „Entschuldige.“ Elegant löste Toru ihre Hände voneinander und wandte sich ab, was Taka den Kopf schief legen ließ. „Mit Musik sind die Takte für dich leichter zu verfolgen.“ Als wüsste Toru genau nach was er zu suchen hatte, wanderte sein Finger die CD-Rücken entlang, die ihren Platz in einem dunklen Regal im Wohnzimmer gefunden hatten und zog mit einem „Na also“ eine recht unscheinbare CD aus der Sammlung. Taka sah dabei zu, wie der Jüngere sie in die Anlage legte und mit jeder Sekunde stieg die Nervosität in ihm, bis schließlich die ersten Töne, langsame Klaviermusik, begleitet von Cello und Violine, aus den Lautsprechern kam und Toru zu ihm zurückkam. „Schau nicht so ängstlich, du bist Musiker, der Rhythmus liegt dir im Blut.“ Ein warmes Lächeln zierte die fein geschwungenen Lippen Torus, die der Sänger einmal mehr bewunderte, als Toru seine Hand nahm und diese langsam auf seiner Schulter ablegte. „Ich kann mich nicht daran erinnern jemals getanzt zu haben, ich finde es ist mein gutes Recht nervös zu sein.“, verteidigte sich Taka und erschauderte leicht, als Torus Arm sich um seinen Oberkörper schlang und er unweigerlich näher an den größeren Mann gezogen wurde. Von Torus Hand in seinem Rücken ging angenehme Wärme aus, auf die sich der Lockenkopf nur viel zu kurz konzentrieren konnte, da Toru seine freie Hand vorsichtig mit der eigenen umfasste und sie hoch hielt. Es überraschte den Sänger, mit was für einer Vorsicht der Blonde ihn berührte, als sei er zerbrechlich, aus Porzellan und unsagbar wertvoll. „Dazu gibt es keinen Grund, du bist ein ausgezeichneter Tänzer, auch wenn du dich da nicht mehr dran erinnern kannst.“, erklärte Toru und für den Bruchteil einer Sekunde meinte Taka etwas wie sehnsüchtige Nostalgie in Torus Stimme mitschwingen zu hören. „Lass dich einfach von mir leiten.“ Taka nickte nur und gab einen überraschten Laut von sich, als sich der Jüngere plötzlich in Bewegung setzte und einen Schritt nach vorne machte, dabei an Takas Fuß stieß, sodass sich dieser ebenso bewegen musste. „Halt mich bloß fest!“, mahnte der Lockenkopf und verstärkte seinen Griff an der Schulter des Gitarristen, während sein Blick nach unten wanderte und krampfhaft ihre nackten Füße fixierte. Toru spürte augenblicklich, wie sein Herz an Geschwindigkeit zunahm und mit rasender Schnelle das Blut durch seine Adern pumpte. „Schau mich an, nicht deine Füße. Ich führe dich, du musst es nur zulassen.“ Ruhig bleiben, wiederholte er immer wieder in Gedanken. Sie bewegten sich nur jeden zweiten Takt, sodass Taka den Bewegungen des Blonden folgen konnte, welche sich nach einigen Wiederholungen als doch überraschend leicht herausstellten und selbst als sie das Tempo anzogen und nun original zur Musik tanzen, hatte Taka nicht das Gefühl, dass ihm etwas zu schnell ging. Er tat einfach das, worum Toru ihn gebeten hatte und ließ sich ohne Wenn und Aber von ihm führen, weswegen er auch erst, als dieser ihn darauf ansprach, realisierte, dass sie sich bereits einige Male gedreht hatten. Die Wangen des Lockenkopfes glühten. Einerseits vor Stolz, da er es doch tatsächlich geschafft hatte sich das Tanzen wieder zu erarbeiten, andererseits aber auch, da er und Toru so sah aneinander tanzen, dass er irgendwo froh darüber war, Takeru gerade nicht um sich zu haben. Ein breites Grinsen zierte seine vollen Lippen, wer hätte gedacht, dass Walzer tanzen so viel Spaß machen konnte? „Und? Was hab ich gesagt?“, fragte Toru, viel näher an seinem Ohr als Taka erwartet hatte. „Ich glaube das Aufblühen meines neu entdeckten Talents liegt eher an meinem Lehrer, als an meinen eigentlichen Fähigkeiten.“ Kurz lachte Toru auf, ehe er den Älteren erneut in eine Linksdrehung führte. Nur spärlich konnte der kleine Sänger das Grinsen zurückhalten, welches sich den Weg auf seine Gesichtszüge suchte, wo sein bester Freund doch wieder so befreit lachte. „Danke für die Blumen, aber ich habe dir beim ersten Mal das Tanzen bedauerlicherweise nicht beigebracht.“ „Sondern?“ Interesse glomm in den dunklen Augen des Sängers auf, wann immer sich ihm die Chance bot, etwas über seine verlorene Vergangenheit zu erfahren, über die ihm scheinbar niemand Auskunft geben konnte. „Das weiß ich nicht, ehrlich. Du kamst nur eines Abends ganz stolz zu mir und meintest, dass du mir was zeigen wolltest.“ Die Wahrheit. Toru empfand es nicht als nötig diese Geschichte zu verbiegen, zumal sie ohnehin keine pikanten Details enthielt. „Aber weißt du was lustig war? Du hast partout den Männerschritt nicht auf die Reihe bekommen hast.“ „Hab ich damals auch den Frauenschritt getanzt?“ Taka war sich im Klaren darüber, dass er eben diesen gerade tanzte, fragte sich aber dennoch, warum dies auch damals der Fall gewesen war. Dass er ihn jetzt lernte, lag angesichts des größeren Takerus ja auf der Hand, aber warum damals? „Als du mit mir getanzt hast, ja. Aber ob du den Männerschritt als erstes gelernt hast, kann ich dir nicht beantworten.“ Toru persönlich ging davon aus, dass Taka von Anfang an im Frauenschritt getanzt hatte, denn wozu sollte er den Männerschritt lernen, wenn der Blonde diese Rolle stets übernommen hatte. „Einmal musstest du mit deiner Mutter tanzen. Das war vielleicht peinlich. Letztendlich hat sie die Rolle des Mannes übernommen. Dein Vater hat sich vor Lachen gekringelt.“ „Wow, hättest du nicht wenigstens, jetzt wo ich solche Peinlichkeiten schon vergessen habe, so tun können, als wäre all sowas niemals passiert.“ Beschämt ließ Taka den Kopf hängen und bemerkte erst, als es bereits zu spät war, wie er an Torus Schulter gelandet war. Hitze stieg ihm in den Kopf und er spürte, wie seine Finger begannen zu kribbeln, also sprach er das Nächstbeste an, was ihm in den Sinn kam, ohne den Kopf von der Schulter seines Freundes zu lösen. „Was ist eigentlich mittlerweile mit meinen Eltern?“ Toru, der seinerseits ebenso spürte, wie seine Ohren verdächtig wärmer wurden, räusperte sich. „In der Kurzfassung: Nach einigem Hin und Her habt ihr euch alle wieder vertragen, selbst deine Eltern haben wieder zueinander gefunden. Ich hab nach dem Unfall bereits mehrmals versucht sie zu erreichen, aber mir wurde stets gesagt, dass sie sich momentan nicht in Japan befänden. Wahrscheinlich wandern sie gerade durch die Sahara oder segeln auf dem Amazonas.“ „Als ob.“, gab Taka nur schroff von sich. „Nein, kein Witz! Ich weiß nicht wie und warum, aber deine Eltern haben über die letzten Jahre eine ganze Liste an Dingen gemacht, die sie schon immer machen wollten und jetzt wo sie sich beide zur Ruhe gesetzt haben und daher nochmal extra viel Zeit zur Verfügung steht für sie, haben sie sich wohl dazu entschlossen, diesen langjährigen Plan in die Tat umzusetzen.“ Taka konnte nicht anders, als während der gesamten Erläuterung seines Freundes breit zu grinsen. Es klang fast zu schön um wahr zu sein, dass seine Eltern sich wieder vertragen hatten und auch er mittlerweile ein gutes Verhältnis zu ihnen pflegte. Das war so ziemlich das Gegenteil von dem, an das sich der Sänger erinnern konnte. Das Lied hatte mittlerweile geendet und Toru machte Anstalten sich von Taka zu lösen, als dieser seinen Griff um ihn verstärkte und mit großen, flehenden Augen zu ihm aufsah. „Noch ein Lied, ja? Das ist gerade so entspannend und es macht Spaß.“ Ein wenig überrumpelt wirkte Toru dann doch, als Taka diese Bitte an ihn richtete, nickte aber schließlich. Er würde seinem Taka ohnehin nichts verweigern können. Noch bevor der Gitarrist zu einer Antwort ansetzen konnte, begann bereits das nächste Lied aus den Boxen zu tönen. „So lange du möchtest, du sollst auf deinem Date schließlich eine gute Figur machen.“ Die Stimme des Jüngeren erklang geschmeidig in den Ohren des Sängers, sodass er ihn mit großen Augen musterte und sich sofort in denen des Blonden verlor. Zwar schmeckten die Worte bittersüß in Torus Mund, doch mit Taka in seinen Armen konnte er diese Gegebenheit akzeptieren. Wie in Trance, ließ sich Taka vom Größeren führen, legte dabei wieder seinen Kopf an die Schulter Torus, wobei ihm nur unterbewusst auffiel, wie viel einfacher sich das Tanzen auf diese Weise gestaltete. Jetzt wo Taka die Schritte immer leichter fielen, wo sie so geschmeidig im Takt der Musik tanzten, fühlte er sich so schwerelos, so frei. So als würde er fliegen. Langsam ließ der Lockenkopf die Lider bewusst schwerer werden, schloss seine Augen irgendwann gänzlich und ließ zu, wie vor seinem Geiste das Bild von ihm und Takeru entstand, wie sie auf dem kommenden Date miteinander tanzten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)