Memories von Lina_ ================================================================================ Kapitel 8: With you near ------------------------ Es war mitten in der Nacht, zumindest ging Toru davon aus, als er von einer sanften, aber bestimmten Berührung an seiner linken Wange geweckt wurde. Schlaftrunken blinzelte er einige Male, ehe er verstand, woher diese Berührung kam und auch, in was für einer Situation er sich befand. Das vertraute Gefühl, welches er beim Aufwachen gehabt hatte, war trügerisch schön gewesen und jetzt, wo er den kleinen Lockenkopf in seinen Armen registrierte, fühlte es sich für einen winzigen Augenblick vollkommen richtig an, ehe Toru die Realität dann doch wieder einholte. Taka lag nicht aus Liebe zu ihm in seinen Armen, sondern weil er Schutz suchte. Schutz vor dem Unsichtbaren, den Ängsten, die sich tief in seine Seele gebrannt hatten. Vermutlich hatte er Angst bekommen und Toru deswegen geweckt.   „Alles in Ordnung?“ Vorsichtig strich er dem Sänger eine dunkle Strähne aus der Stirn. In dieser Situation konnte es von Taka eher als eine beruhigende, als eine liebevolle Geste verstanden werden, weswegen sich der Blonde diese kleine Zärtlichkeit nun auch traute.   „Ja, schon.“, murmelte Taka leise und Toru bemerkte, wie rot dessen Augen waren. Hatte er geweint, während Toru geschlafen hatte? „Das klingt vielleicht komisch, aber wenn du bei mir bist, fühle ich mich sicher.“ Ehe der Gitarrist auf diese Worte eingehen konnte, sprach der Ältere schon weiter. „Als ich eben aufgewacht bin, hab ich mich nicht alleine gefühlt und dunkel war es auch nicht. Ich fühlte mich nicht tot, sondern irgendwie…sehr lebendig.“   „Das bist du ja auch.“ Wieder fuhr Toru mit seiner Hand durch die dunklen Locken des Kleineren, brauchte länger als nötig für diese Bewegung und merkte, wie sich Taka in seine Berührung lehnte. Vielleicht tat er es, weil er sich sicher fühlte bei ihm, dass hatte er selbst gesagt, vielleicht war es aber auch aus einem anderen Grund. Es war vermutlich nur naives Wunschdenken, resultierend aus Müdigkeit und auch Verzweiflung, aber bestand vielleicht doch noch die Chance für einen Neuanfang? Wäre es wirklich möglich, dass sich Taka noch ein zweites Mal in ihn verliebt? Es war zu spät, um derartige Gedanken zu verfolgen, beschloss Toru. „Hast du mich geweckt, um mir das zu sagen?“ Taka hatte bereits wieder die Augen geschlossen, genoss die Wärme von Torus Hand sichtlich. Auf die Frage des Jüngeren hin, löste er sich ein wenig von diesem und schüttelte leicht den Kopf.   „Nein, nicht direkt. Aber das wollte ich dich so oder so noch wissen lassen.“ Ein warmes Lächeln legte sich auf die vollen Lippen des Kleineren und endlich schaffte Toru es, sich dazu durchzuringen, seine Hand aus den weichen Locken Takas zu ziehen, was für diesen scheinbar das Zeichen gewesen war, weiterzusprechen. „Eigentlich wollte ich etwas trinken, aber es ist alles dunkel…alleine traue ich mich nicht.“ Toru schenkte dem Kleineren ein verständnisvolles Lächeln, ehe er sich zusammen mit diesem im Bett aufrichtete.   „Schon verstanden, ich komme mit.“ Ehe der Blonde realisieren konnte, was gerade passierte, hatte Taka bereits nach seiner Hand gegriffen und krabbelte zusammen mit dem Jüngeren aus den Federn, hielt sich dicht hinter diesem, als sie in den unbeleuchteten Flur traten. Toru spürte, wie der Sänger seine Finger drückte, ganz offensichtlich tatsächlich Angst hatte, was dem Größeren nur noch mehr Sorgen bereitete. Als er das Licht anknipste, merkte er deutlich, wie sich der Griff um seine Finger entspannte, Taka diese aber keinesfalls losließ. Barfuss trotteten sie in die Küche, wo er dem Lockenkopf ein Glas reichte, welches dieser sich am Waschbecken volllaufen ließ. Toru lehnte an der Küchenzeile und musterte Taka, welcher am Esstisch platzgenommen hatte und schluckweise sein Glas leerte, dabei irgendwie mehr als verloren aussah.   „Wie lange hast du das schon?“ Sichtlich aus den Gedanken gerissen, blickte Taka Toru an, stellte anschließend sein Glas ab und fuhr den Rand mit dem Zeigefinger nach.   „Was meinst du genau?“, fragte er leise. Es war offensichtlich, dass er genau wusste, worauf Toru anspielte. Sehr wahrscheinlich war es ihm selbst unangenehm, oder er wollte sich nicht eingestehen, dass mit ihm doch nicht alles so stimmte, wie seine Papiere es vielleicht bescheinigten.   „Deine Angstattacken. Seit wann hast du die?“ Taka unterbrach die Bewegung seines Fingers für einen Augenblick, setzte sie dann unverändert fort, sah Toru beim Sprechen nicht an.   „Meine…erste hatte ich direkt nachdem ich aus dem Koma aufgewacht bin. Es war früh am Morgen und alles verdunkelt. Ich wusste nicht wo ich war und was geschehen war.“ Das Zittern von Takas Hand war nicht zu übersehen, als er sich das Glas erneut an die Lippen führte und einen Schluck nahm. „Ich hörte Piepen um mich rum, Geräusche die ich nicht zuordnen konnte. Mir war kalt und warm zugleich und ich konnte mich an nichts erinnern, ich dachte ich sei tot, also…also hab ich einfach angefangen zu schreien, bis schließlich eine Schwester zu mir kam. Sie mussten mir Beruhigungsmittel injizieren, weil ich auf ihre Worte und Anweisungen nicht reagierte und sonst Gefahr gelaufen wäre, mich selbst zu verletzten. Später an dem Tag kamst du mich besuchen und ich hab das mit der Amnesie erfahren. Die Ärzte hielten meine Panikattacke für stressbedingt, daher gingen sie ihr auch nicht weiter nach und ich glaubte ihnen. Als ich dann in der zweiten Nacht aufgewacht bin, wusste ich, woher all die Geräusche kamen, wer ich war und wo ich war, trotzdem bekam ich unglaubliche Angst, als ich einfach nur Schwarz sah, einfach…ich dachte jemand oder etwas schnürt mir die Kehle zu.“ Erst jetzt bemerkte Toru, dass Taka angefangen hatte zu weinen. „Ich hab mich panisch von all den Kabeln losgerissen und hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, ich war so orientierungslos. Irgendwie hab ich’s dann geschafft, das Licht anzumachen. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich da am Boden saß und geweint habe. Ich kam mir so…blöd und hilflos vor. Und allein. Ich hab mir dann von den Schwestern unter einem Vorwand eine Taschenlampe besorgen lassen, mit der ich solche Attacken in den Nächten, die ich auf der normalen Station verbracht hatte, in den Griff bekommen hatte. Die musste ich aber natürlich bei meiner Entlassung wieder abgeben, da sie dem Krankenhaus gehörte, sonst wäre das heute Nacht…ich meine, ich hätte…“ Das herzzerreißende Schluchzen war nun unüberhörbar und ohne weiter nachzudenken, ließ sich der Blonde auf den Stuhl neben Taka nieder und zog den Kleineren in eine enge Umarmung, fühlte bereits zum zweiten Mal in dieser Nacht, wie der Körper des Sängers in seinen Armen zitterte.   „Warum hast du nichts gesagt?“ Beruhigend strich Toru mit seiner Hand über Takas Hinterkopf, kraulte leicht den Nacken des Älteren.   „Was hätte ich denn sagen sollen?“, murmelte der Lockenkopf in das Shirt des Bandleaders, ehe er sich ein Stück von diesem löste und zu ihm hinaufsah. Nasse Wangen, rote Augen. Das Bild war herzzerreißend. „Dass ich Angst vor der Dunkelheit habe? Dass mit meinem Kopf etwas nicht stimmt? Nicht, dass das etwas Neues wäre. Wenn ich ganz viel Glück hab, bin ich vielleicht für immer auf die Hilfe anderer angewiesen, toll, oder?“ Der triefende Sarkasmus in der Stimme des Älteren schmerze Toru auf eine nicht zu definierende Art und Weise. Er wollte Taka so nicht sehen, ihm fiel aber auch nichts ein, was das Leid von den Schultern des Kleineren hätte nehmen können. Alles was er tun konnte, war dem Lockenkopf Mut zuzusprechen, auch wenn das beim wiederholten Mal wahrscheinlich nicht mehr die erwünschte Wirkung hatte. Doch Ehrlichkeit war das Aufrichtigste, was er ihm bieten konnte.   „Du hättest alles sagen können, Taka. Ich hätte dir alles geglaubt und bei allem meine Hilfe angeboten.“ Kurz zögerte Toru, ehe er seine Hand dann doch auf die nasse Wange seines Sängers legte. „Dass du Angst vor der Dunkelheit hast, ist nichts für das du dich schämen solltest, da es von einem Trauma herrührt für das du nicht kannst.“ Dass die Schuld stattdessen ganz alleine bei ihm lag, schluckte der blonde Gitarrist herunter. Noch mehr Pessimismus wollte er dem Kleineren keinesfalls zumuten. „Wegen so etwas bist du nicht krank im Kopf, die Ärzte bescheinigten dir nicht umsonst einen einwandfreien Zustand. So etwas lässt sich behandeln, vielleicht therapieren. Und alleine bist du auf keinen Fall.“ Über seinen Handrücken lief eine warme Träne, welche Sekunden zuvor Takas Auge verlassen hatte und aus dem Augenwinkel sah Toru, wie sich der Ältere auf die Unterlippe biss, während diese leicht zitterte. Er kannte diese Angewohnheit von damals, Taka tat offensichtlich sein Bestes die Fassung wenigstens halbwegs zu bewahren. „Es ist in Ordnung zu weinen, Taka. Es ist in Ordnung zu weinen weil du Angst hast. Und für mich ist es mehr als in Ordnung nachts von dir geweckt zu werden, wenn du jemanden brauchst, der dich im Arm hält deswegen.“ Das Zittern von Takas Unterlippe war nun unübersehbar. Langsam lehnte er sich wieder vor und legte seinen Kopf auf der Schulter des Jüngeren ab, krallte sich in dessen Oberteil, als fürchte er, jeden Moment losgelassen zu werden.   „Ich hätte dir alles von vornherein sagen sollen, Toru, es tut mir so leid.“   Seine Vermutung, dass bei Taka noch alle Dämme brechen würden, hatte sich im Laufe ihrer Unterhaltung am Esstisch bestätigt. Völlig aufgelöst hatte ihn der Lockenkopf in all seine Ängste und Bedenken eingeweiht und, so egoistisch es auch war, Toru empfand Dankbarkeit und Genugtuung, als Taka ihn darum bat, all das für sich zu behalten. Sie hatten sich darauf geeinigt nach dem Frühstück erneut ins Krankenhaus zu fahren, um Takas Angst untersuchen zu lassen und ihm gegebenenfalls Medikamente dagegen verschreiben zu lassen. Nachdem der kleine Sänger so viel geweint hatte, war er einfach in Torus Armen eingeschlafen und einmal mehr hatte ihn in dieser ins Bett getragen, sich aber dieses Mal zu ihm gelegt und ihn ganz eng an sich gedrückt. „Ich wünschte, all das wäre mir passiert, Taka.“   - - -   „Hey, Toru, die sagen heute wird es warm und sonnig, lass uns nachher noch irgendwo hin gehen, ja?“, drang Takas Stimme aus dem Wohnzimmer, wo es sich dieser, mit einem Brötchen in der Hand und einer Tasse Kaffee auf dem Tischchen vor sich, auf dem Sofa eingerichtet hatte und interessiert den Fernsehnachrichten lauschte.   „Nach was wär dir denn?“ Das, was in der Nacht passiert war, hatte keiner von ihnen nochmals angesprochen und Toru hatte für sich entschieden, dass es zumindest seinerseits auch dabei bleiben würde. Wenn Taka ein weiteres Gespräch suchte, sollte die Initiative von ihm aus gehen, Toru würde ihn zu nichts zwingen. Den Schwarzhaarigen musternd, biss er ein Stück von dem Apfel ab, welchen er zuvor geschält hatte, hielt dem anderen die Platte anschließend ebenfalls hin, woraufhin dieser das Angebot dankend annahm.   „Ich weiß nicht, nach der großen Action ist mir noch nicht, aber in die Stadt gehen klingt so verlockend.“, murmelte Taka vor sich hin, während er gedankenverloren an seinem Apfelstück knabberte. Kurz überlegte Toru.   „Hm, nahe der Hauptstraße ist ein Café in das wir früher oft gegangen sind. Wir können uns da ja nach draußen setzten und Kuchen essen, wenn wir das im Krankenhaus erledigt haben?“ Begeistert nickte Taka und trank seine noch halbvolle Tasse in wenigen Schlucken leer, griff anschließend nach einem weiteren Stück Apfel.   „Da kann ich mich nicht mehr dran erinnern, also war er noch nicht immer da?“ Toru schüttelte den Kopf.   „Es hat sich einiges in den letzten Jahren verändert, aber ich glaube die Geschäfte, in die du am liebsten gegangen bist, sind noch da.“   „Was, das kannst du mir nicht mit Sicherheit sagen? Ich bin entsetzt!“ Wild gestikulierte der Lockenkopf, setzte ein erschrockenes Gesicht auf und verließ das Wohnzimmer, sammelte offensichtlich seine Sachen zusammen und Toru beschloss, es ihm gleichzutun.     Dass er das Krankenhaus nach nur so kurzer Zeit bereits wieder betreten musste, war nicht wirklich das Ziel, auf das Taka hingearbeitet hatte, jedoch blieb ihm angesichts der Umstände wohl keine andere Wahl. Ein kleiner Trost war Toru, neben dem sich der Lockenkopf hielt und den er gebeten hatte, der ärztlichen Besprechung doch beizuwohnen, da er immerhin versprochen hatte, das mit ihm gemeinsam durchzustehen. Sie waren mit der Straßenbahn gefahren, da Toru sich noch kein neues Auto gekauft hatte und insgeheim war Taka ein wenig enttäuscht gewesen, da er gehofft hatte, dass es eventuell Erinnerungen wieder aufgeweckt hätte, wenn er neben dem Blonden in einem Auto gesessen hätte. Stumm saß er neben dem Jüngeren im Sprechzimmer und sah sich im Raum um, welcher eine gewisse Büroatmosphäre aufwies. Dieses Zimmer hatte er während seines Aufenthaltes nicht betreten und suchte daher nach etwas Neuem, Interessantem, was er betrachten konnte, entschied aber recht schnell, dass es nichts gab, was er seine Aufmerksamkeit schenken konnte. Das Spannendste waren vielleicht noch die paar Fotos auf dem weißen Schreibtisch, welche zwei Mädchen zeigten, vermutlich die Töchter das Arztes, ebenso wie die Palme in der hinteren Ecke des Raums, von der Taka unter Umständen hätte die Blätter zählen können. Er seufzte.   „Alles klar?“, fragte ihn Toru und der kleine Sänger sah auf. Toru sah in dieser Umgebung und vor allem in diesem Licht – sie saßen dem großen Fenster, durch das die Mittagssonne schien, gegenüber – so anders aus. Als würde er herausfinden wollen, was genau so anders an dem Blonden war, musterte Taka ihn ausgiebig. Die blonde Mähne des Jüngeren wirkte etwas zerzaust, schien aber so, wie sie war, perfekt zu liegen und große, dunkle Augen sahen ihn durch einzelne Strähnen hindurch an. Mit dem Blick weiter nach unten wandernd bemerkte Taka, dass die Lippen des Gitarristen ein Stück geöffnet waren und versuchte sich zu erinnern, ob sie schon immer so rosig gewesen waren. Noch weiter unten blieb sein Blick an dem tiefen Ausschnitt von Torus schwarzem Oberteil hängen, woraufhin sich Taka wieder fing und zu dem Jüngeren aufsah, sich fragte, was in aller Welt das jetzt sollte.   „Ja, alles klar. Etwas nervös vielleicht.“, antwortete er wahrheitsgemäß, konnte seine knappe Antwort aber nicht weiter ausführen, da sich hinter ihnen die Tür auftat und ein Mann in weißem Kittel das Zimmer betrat. Er gab ihnen beiden die Hand und setzte sich anschließend auf die andere Seite des Tisches. Taka schätze ihn anhand der Falten auf seiner Stirn und der deutlich weniger gewordenen Haardichte auf Mitte bis Ende vierzig.   „Herr Morita,“, begann der Arzt und tippte einige Worte in seinen Rechner, sah dann erwartungsvoll zu dem Lockenkopf. „Was kann ich für Sie tun?“   „Ich…also, die Sache ist…die…“ Taka räusperte sich, vermied offensichtlich Blickkontakt mit dem Mann in Weiß und fühlte sich augenscheinlich ganz und gar nicht wohl, das entging auch Toru nicht. Er würde doch nicht so kurzfristig doch noch einen Rückzieher machen?   „Herr Morita?“ Vorsichtig griff Toru nach Takas Hand, verschränkte ihre Finger miteinander, wissend, dass der Arzt ihnen gegenüber dies unmöglich sehen konnte, wobei ihm das eigentlich recht gleichgültig war. Seit er Taka in der Nacht zuvor so eng in seinen Armen gehalten hatte, hatte der Blonde sich stetig ausgemalt wie es wäre, wenn sich der Sänger tatsächlich noch ein zweites Mal in ihn verliebte. Ihm war bewusst, dass es sehr wahrscheinlich lediglich sein naiver Wunsch nach der Person war, die er so sehr liebte, dennoch gab ihm dieser Gedanke die Kraft, dem Älteren zumindest kleine, nach außen fürsorgliche, freundschaftliche Zärtlichkeiten zukommen zu lassen, obwohl sie für den Blonden so viel mehr bedeuteten. Taka schien sich auch keineswegs an ihnen zu stören, so auch jetzt nicht, im Gegenteil. Er schien erleichtert über den warmen Kontakt, drückte die Hand des Gitarristen leicht und fand endlich die Kraft zu sprechen.   „Seit ich aus dem Koma erwacht bin, durchlebe ich Angstzustände, die teilweise in Panikattacken ausarten, ausgelöst durch Dunkelheit. Es macht keinen Unterschied, ob ich weiß, wo ich mich befinde, oder nicht, sobald ich nichts mehr sehen kann, beginnt mein Herz zu rasen und…“ Toru spürte, wie der Kleinere seine Hand drückte. Beruhigend strich er mit dem Daumen über Takas Handrücken. „Und ich habe das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen.“   „Und wie äußern sich diese Zustände körperlich?“, fragte der Arzt und tippte er erneut etwas in seinen Computer ein.   „Ich…bin mir nicht sicher…“   „Er weint und ist orientierungslos.“, warf Toru in das Gespräch ein. Er hatte eine Attacke miterlebt, also konnte er zumindest das schildern, was er gesehen hatte. „Sein ganzer Körper zittert und er neigt zur Kurzatmigkeit.“   „Verstehe. In Ihren Akten steht, Sie hatten vor wenigen Wochen einen Unfall, hatten Sie vor diesem jemals einen derartigen Anfall?“ Unsicher, was er antworten sollte, sah Taka hilfesuchend zu Toru. Er wusste nicht, ob er in den sechs Jahren vor dem Unfall jemals solche Anfälle hatte.   „Nein, hatte er nicht. Sehen Sie, er hat durch den Unfall die letzten Jahre seines Lebens vergessen, daher wird er wohl auf einige Fragen, welche ein „vor dem Unfall“ behandeln, nicht antworten können.“ Toru hatte nicht vor, seine Worte so schnippisch klingen zu lassen, aber es war offensichtlich, wie unwohl sich Taka gerade fühlte und im Interesse des Älteren, wollte er das hier so schnell hinter sich bringen, wie möglich. „Ich habe die letzten Jahre mit ihm zusammengelebt und ich versichere Ihnen, dass er nie so auf Dunkelheit, oder andere Dinge reagiert hat.“ Er sah dem Arzt an, dass dieser zu gerne ihre Beziehung zueinander hinterfragen würde, da war Toru schon fast dankbar, dass das über das Interessengebiet eines Arztes weit hinausging. Die Wahrheit hätte er ohnehin nicht preisgeben können.   Die Fragerei ging noch eine geschätzte Viertelstunde lang. Mal konnte Taka vollständige Antworten geben, mal musste Toru einspringen und mal wussten sie beide keine und zuckten nur mit den Schultern. Letztendlich wurden Taka Beruhigungsmittel verschrieben, welche er im Notfall einzunehmen hatte, ebenso wie einige Vitamintabletten, da er noch immer recht schwach wirkte.     Mürrisch betrachtete Taka die weißen Verpackungen seiner soeben aus der Apotheke geholten Medikamente. Der Gedanke daran, jetzt auch noch darauf zu achten, diese ständig bei sich zu tragen, missfiel dem Sänger und er kam sich der Psychopharmaka recht ausgeliefert vor.   „Als ich das letzte Mal Tabletten nehmen musste, hatte ich eine Woche lang Durchfall.“, murmelte er und sah zu Toru hinauf, der neben ihm die Straße entlangschlenderte. Etwas irritiert über diese Information, hob der Blonde eine Augenbraue, lachte aber anschließend kurz auf.   „Ich glaube an das wahre letzte Mal kannst du dich nicht erinnern, Taka. Und da hattest du bestimmt keinen Durchfall.“, scherzte er, woraufhin Taka die Wangen aufplusterte, das Thema aber vorerst auf sich beruhen ließ. Er wollte in der Öffentlichkeit nun wirklich nicht über seine Verdauung und deren Reaktion auf Medikamente sprechen. Stattdessen blickte sich der Sänger staunend um und bemerkte, dass sich die Stadt doch mehr verändert hatte, als Toru am Morgen gesagt hatte. An viele Läden erinnerte sich Taka noch, einige waren aber auch neu hinzugekommen, sogar ganze Straßen und Passagen schienen in den letzten sechs Jahren gebaut worden zu sein. Zu wissen, dass man hier aufgewachsen ist und einem trotz dessen vieles so fremd vorkam, fühlte sich mehr als eigenartig an.   „Toru, gibt es diesen Park hier in der Nähe eigentlich noch? Lass uns da nachher auch noch hingehen, okay?“ In der Ferne sah Taka ein Café, konnte aber nicht mit Sicherheit  sagen, ob es sich auch um das handelte, von dem Toru zuvor gesprochen hatte. Erst, als der Blonde deutlich in die Richtung einlenkte, bestätigte sich seine Vermutung.   „Ja, den gibt es noch, können wir von mir aus gerne machen. Die haben da vor drei Jahren oder so große Teiche angelegt, die sind wirklich schön.“, merkte der Jüngere an, während er sich an einen der vor der Tür platzierten Tische setzte und bereits eine der auf den Tisch gelegten Karten aufschlug.   „Ah, das klingt fantastisch!“, merkte Taka an und setzte sich neben Toru, schaute einfach frech mit in dessen Karte, anstatt eine eigene aufzuschlagen. „Wenn es die Alleen da noch gibt, dann sehen die Bäume zur jetzigen Jahreszeit bestimmt wahnsinnig toll aus.“   „Das tun sie, glaub mir.“ Kurz erinnerte sich Toru an ein Date, auf das er Taka vor einigen Monaten ausgeführt hatte. Es war Frühling gewesen und überall hatten die Kirschblüten geblüht, er hatte Taka sogar dazu überreden können, sich eine ins Haar zu stecken. Irgendwo musste er sogar noch ein Foto davon haben…   „Also ich nehme einen Cappuccino und ein Stück von dem Schokoladenkuchen.“, entschied Taka und deutete auf das Bild von dem mit Sahne verzierten Kuchenstück in der rechten, oberen Ecke der Karte.   „Tust du immer.“ Ein Grinsen stahl sich auf das Gesicht des Bandleaders. Manche Dinge würden sich wohl nie ändern. „Dann nehme ich einen Espresso und erlaube mir auch ein Stück Schokokuchen.“   „Ich würde ja sagen, dass du das immer tust, nur weiß ich das bedauerlicherweise nicht.“ Nun grinste der Lockenkopf ebenfalls und irgendwie kam es Toru so vor, als wären sie gerade auf ihrem ersten Date. Die Zeit, in der noch eine gewisse Distanz zwischen zwei Menschen besteht, obwohl sie wissen, dass sie sich zueinander hingezogen fühlen. Wobei Taka das vermutlich nicht mal tat. Ein Klingeln aus seiner Hosentasche holte den Blonden wieder zurück in die Realität und nach Zücken seines Smartphones sah er, dass Ryota ihn anrief.   „Es ist Ryota, bestell du bitte für mich mit.“, sagte er und stand auf, um in einigen Metern Entfernung in Ruhe telefonieren zu können. Taka nickte lächelnd und blätterte anschließend aus Spaß ein wenig weiter in der Karte rum, spielte mit dem Gedanken sich noch ein weiteres Dessert zu bestellen, da die Backwaren alle – zumindest auf den Fotos – köstlich aussahen.   „Haben Sie sich schon für etwas entschieden?“, fragte eine männliche Stimme, die neben dem Schwarzhaarigen aufgetaucht war, vermutlich die Bedienung.   „Ah, ja, haben wir.“, antwortete er und legte die Karte vorsichtig beiseite. Als er aufsah, stockte Taka der Atem und er war sich nicht sicher, ob er je in seinem Leben sein Herz so laut hat schlagen hören. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)