Teamwork von konohayuki ("Anfang und Ende") ================================================================================ Kapitel 2: Dimensionsgewaber ---------------------------- Es fühlte sich seltsam an, in das Nichts in seinem Kleiderschrank zu treten. Der Forscher in ihm versuchte, Worte für die Empfindungen und Gefühle zu finden, die ihn erfassten, aber es wollte ihm nicht gelingen. Erst, als das unbeschreibliche Gefühl aufhörte, öffnete Jeremy die Augen. Was er sah, ließ eine seiner Augenbrauen langsam in die Höhe wandern. Er befand sich wieder in seinem Zimmer. Oder zumindest an einem Ort, welcher wie sein Zimmer aussah. Minus seiner kunstvollen Kleidungstürme, verstand sich. Und die - wenn auch spartanisch gehaltene - Dekoration seinerseits war auch nicht zu erblicken. Stattdessen wirkte der Raum beinahe verwahrlost, als hätte schon seit Jahren niemand mehr hier gelebt. Jeremy betrachtete die Szene mit offenen Mund. Wo genau war er denn hier gelandet? Natürlich schalt er sich beinahe im gleichen Moment selbst: In einer anderen Dimension, das war doch wohl klar! Die Frage, die ihn viel eher beschäftigen sollte war: Was würde er in ihr vorfinden? Obwohl ihm eigentlich nach Jubel zumute sein sollte war Jeremy mit einem Mal doch etwas mulmig zumute. Er war in einer anderen Dimension. Das war ein Durchbruch! All seine Experimente hatten zu nichts und wieder nichts geführt, und dann fand er die Lösung seines Problems einfach so in seinem Kleiderschrank? Nun, vielleicht nicht die Lösung an sich, aber zumindest den Beweis dafür, dass seine Theorie stimmte. Oder zumindest eine Grundlage hatte. Eine weitere Dimension bewies schließlich noch nicht, dass es ein ganzes Sammelsurium davon gab. Aber es war ein Anfang. Beinahe ehrfürchtig machte er einen Schritt auf das Bett zu, welches ihm so bekannt und gleichzeitig so fremd vorkam. Eine Matratze hatte dieses Bettgestell schon länger nicht mehr zu Gesicht bekommen. Und geschlafen hatte laut dieser Schlussfolgerung auch schon lange niemand mehr hier. Und doch … da war diese Kerbe. Jeremy erinnerte sich noch gut daran, wie sie entstanden war. Er war gerade dabei gewesen, sich wohnlich einzurichten und hatte gemeinsam mit seiner Mutter - sein Vater hatte sich geweigert, ihm bei seinem Umzug zu helfen - Kisten um Kisten in seine neue Wohnung zu schleppen. Und dabei war es passiert. Er wusste nicht genau, was er gegen den Holzfuß des Bettes gehauen hatte, aber er erinnerte sich noch viel zu gut daran, dass er in das abgesplitterte Holzstück getreten war. Noch heute hatte er von dieser unerfreulichen Begegnung eine kleine Narbe an seinem Fuß. Jeremy ging in die Hocke, um die Kerbe aus der Nähe zu betrachten. Tatsache, dachte er während er die Kerbe in dem dunklen Holz genauer in Augenschein nahm. Das ist meine Kerbe. Aber was hieß das für seine Theorie? War es so, dass es gewisse Fixpunkte gab, die selbst in anderen Dimensionen zu finden waren? Und wenn dem so war, gab es eine „Ursprungswelt“, in der sich diese Fixpunkte festschrieben um dann in anderen Dimensionen wiederholt zu werden? Welche war dann diese Ursprungswelt? Es war, als würden seine Gedanken auf der Welle von Euphorie reiten, die ihn gerade zu überfallen drohte, und zu Höchstleistungen auffahren. So viele Fragen, so wenige Antworten. Aber der Anfang war gemacht! Da war Jeremy sich sicher. Er stand auf, um sich nach weiteren solcher Ähnlichkeiten umzusehen. Doch auch wenn seine Euphorie über die Entdeckung ihn zu noch so genauer Begutachtung einzelner Möbel verleitete, seine Hoffnungen wurden ziemlich schnell enttäuscht. Zumindest in diesem Raum hatte er keine weiteren Übereinstimmungen mit seinem eigenen Zimmer gefunden. Was allerdings zutage getreten war, war ein kleiner, unscheinbarer Notizblock gewesen. Erst hatte Jeremy ihn einfach an seinem Platz belassen wollen, seine Meinung hatte sich allerdings sehr schnell geändert, als er diesen aufgeschlagen und seine eigene Schrift erkannt hatte. Es schien so, als wäre er wirklich derjenige gewesen, der für die Kerbe im Bettpfosten verantwortlich war. Oder zumindest sein Ich in dieser Dimension. Nach einigem hin und her hatte er nun beschlossen, sich erst der Lektüre der Notizen zu widmen, bevor er weitere Räume erkundete. Jeremy setzte sich an seinen Lieblingsplatz - auf dem Boden und gegen die Wand gelehnt direkt unter dem großen Fenster des Raumes - und schlug die erste Seite auf.   Irgendetwas komisches ist im Gange. Es verschwinden ständig Socken aus meiner Waschmaschine. Sie sind auch nicht im Sieb, oder sonst irgendwo auffindbar - sie sind einfach weg. Manchmal frage ich mich, ob ich vielleicht doch in die Forschungsrichtung hätte gehen sollen, anstatt auf meinen Vater zu hören. Dann würde ich vielleicht schlau daraus werden. Habe heute Yvonne gefragt, ob sie vielleicht mal was mit mir essen gehen will. Gelacht hat sie. Und gefragt, warum das so lange gedauert hat, mit dem Fragen.   Jeremy brauchte einige Momente, um diese Informationen zu verdauen. Und das war erst die erste Seite gewesen von dem, was augenscheinlich ein vergessenes Tagebuch war! Dass sein Ich dieser Dimension es geschrieben hatte, war umso erstaunlicher. Augenscheinlich hatte er hier tatsächlich den Weg des Jurastudiums eingeschlagen, so wie sein Vater es gewollt hatte. Und damit wie es aussah seine Popularität bei den Frauen ungemein gesteigert. Wenn Yvonne mit ihm ausging… Das würde sie in seiner Dimension vermutlich nie tun. Er blätterte eine Seite weiter. Die Schrift sah krakeliger aus.   Habe beschlossen, Liste zu führen darüber, was aus meiner Waschmaschine verschwindet. Das ist doch nicht mehr normal. Inzwischen zähle ich neben Socken auch mindestens zwei Hemden und ein T-Shirt zu den Vermissten. Habe mich mit dem Waschmaschinenhersteller in Verbindung gesetzt, bezüglich Fertigungsfehlern. Vielleicht liegt es ja daran.   Inzwischen war Jeremy davon überzeugt, dass sich auch in der Waschmaschine dieser Wohnung ein Portal zu einer anderen Dimension befand. Anders war nicht zu erklären, dass auch in dieser Dimension dieselben Probleme auftraten wie in der Seinen. Auch, wenn es bei ihm noch nicht zu Hemd- und Shirtverlusten gekommen war. Beinahe begierig schlug er die Seite um, scheinbar hatte er in dieser Dimension die Angewohnheit entwickelt, nur eine der Seiten zu beschreiben und dann direkt auf die nächste Doppelseite zu springen.   Langsam wird es unheimlich. Jetzt verschwinden die Dinge auch noch aus meinem Schrank. Vermisse den Pulli, den Yvonne mir geschenkt hat. Muss dringend herausfinden, wo sie den her hatte, sonst wird sie noch fuchsig. Ist sie sowieso in letzter Zeit immer öfter.   Jeremy konnte sich nicht mehr von diesem Notizbuch losreißen. Erlebte er gerade etwa das Leben, was ihm geblüht hätte, wenn er sich für den Weg entschieden hätte, den sein Vater für ihn vorgesehen hatte? Das ließ sich sicher in seine Forschungsarbeit aufbauen. Als er die nächste Seite las, wurde ihm jedoch etwas unwohl.   Ich will hier ausziehen. Die Waschmaschine macht komische Geräusche. Manchmal denke ich, dass es sich um ein dreckiges Lachen handelt. Aber das kann nicht sein. Das ist nicht möglich. Und dann knarzt der Schrank auch noch so komisch. Ich komme gar nicht mehr zum Schlafen, wie soll ich so ordentlich ausgeruht sein für meine Prüfungen? Irgendwas ist an dieser Wohnung faul. Das würde auch den spottbilligen Preis bei dieser Lage erklären.   Nun packte Jeremy doch die Neugierde. Den Schrank würde er sich später anschauen, immerhin ging er davon aus, dass dieser auch sein Weg nach Hause sein würde. Aber er hatte die Waschmaschine noch nicht gesehen. Er stand auf und steckte das kleine Notizbuch in seine Tasche. Mitnehmen würde er das nämlich auf jeden Fall. Beinahe selbstständig trugen ihn seine Füße zu dem Raum, in welchem er die Waschmaschine wusste. Dort erwartete ihn jedoch eine weitere Enttäuschung. Das Gerät stand dort, aber…war einfach eine Waschmaschine. Eine ganz normale Waschmaschine. Kein dreckiges Lachen. Keine Geräusche. Noch nicht einmal einer seiner Socken - zumindest das hätte ihm das Schicksal doch in die Hand spielen können, oder? Vielleicht war es diese Entdeckung, vielleicht aber auch etwas anderes, was ihn schlagartig das Interesse daran verlieren ließ, diese Dimension weiter zu erforschen. Genau das hätte ihn eigentlich stutzig machen müssen, aber er hinterfragte es nicht. Hätte er den Socken gehabt, hätte er einen definitiven Beweis gehabt. Zumindest für sich selbst. Doch dem war nicht so. Jeremy zuckte mit den Schultern. Es war sowieso Zeit, zurückzukehren. Das nächste Mal würde er mit einigen seiner Versuchswerkzeuge zurückkehren. Dann würde er auch das Abenteuer in die Außenwelt dieser Dimension wagen, das nahm er sich fest vor. Nach einem abschließenden enttäuschten Blick auf die Waschmaschine machte Jeremy sich auf den Weg zurück zu dem Schrank, der ihn hierhergeführt hatte. Als er dessen Tür öffnete, empfing ihn ein wohliges Wabern. Wie vertraut ihm dieses Nichts schon schien, dabei war er doch erst einmal hindurch gereist. Mit einem Lächeln schritt Jeremy durch die Wand, die eigentlich ein Portal war. Er würde es schon allen zeigen. Das war jetzt sicher. Und mit diesen Gedanken verschwand er ins Nichts.   Der junge Mann, der auf den Namen Jeremy hörte, hatte gerade sein Kunststudium begonnen.   In der Stadt waren gut gelegene und vor allem erschwingliche Wohnungen schlecht zu bekommen, sodass er sich eigentlich einen wahren Glückspilz nennen konnte, dieses kleine Prachtstück gefunden zu haben. Sogar das Mobiliar hatte er übernehmen können! Natürlich hatte er die Geschichten gehört. Die Geschichten über den Studenten, der in dieser Wohnung gelebt hatte und der eines Tages einfach verschwunden war. Keine Spur von ihm, nur ein leergeräumter Kleiderschrank und Stapelweise Kleidung in der Wohnung verteilt. Das war es zumindest, was in den Medien gestanden hatte. Doch wenn er ehrlich war, um die ganzen Spuk- und Geistergeschichten, die seitdem gesponnen worden waren, konnte er sich keine Gedanken machen. Er brauchte eine Wohnung, und diese hier konnte er sich leisten. Ende der Geschichte. Jeremy zog also in die Wohnung, so, wie er es gewollt hatte. Und wenn beim Waschen immer mal wieder eine Socke auftauchte, dann war das halt so. Auch wenn er sich nicht daran erinnern konnte, ein solches Sockenpaar jemals besessen zu haben… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)