Der Weg zur Wahrheit von Otogi (5927 / 10591027) ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Das Blut spritzte auf Hayatos Anzug, aber es störte ihn nicht weiter. Rot stand ihm gut, das wusste er. Stattdessen musste er nur kalt lachen und spottete sarkastisch über den Attentäter, der elendig vor ihm hing und der Sturmwächter ihn bald bestimmt soweit hatte, dass er singen würde. „Mit Sicherheit war es nur ein blöder Zufall, dass du Bastard gerade dann vor unserer Nase auftauchst, wenn der junge Decimo sich hier gerade aufhält!“ Weiteres Blut schmückte den Raum aus, welcher ohnehin schon mehr als genug Spuren hinterließ. Auch das machte dem Wächter nichts aus. Wenn er seine Informationen hatte, dann konnte er den Raum danach getrost säubern lassen und niemand würde etwas davon mitbekommen. Niemand, mit Ausnahme von… „Gokudera… kun…?“ Seine braunen Augen weiteten sich, während er geschockt in der Tür stand, die er soeben aufgezogen hatte. Da bisher niemand es gewagt hatte, diesen Raum zu betreten, wenn Hayato sich darin befand, sah er auch keinen Grund dazu, ihn absperren zu lassen. Doch jetzt bereute er seine Entscheidung, als er das entsetzte Gesicht von Tsuna vor sich sah. „Decimo…“ Er trat auf den Jüngeren zu, der diesesmal willkürlich vor ihm zurückwich. Dieses Szenario, das sich Tsuna gerade darbot, war genau das, was er so abgrundtief verabscheute und jetzt musste er mitansehen, wie der Mensch, der ihm im Grunde am wichtigsten war, genau das vollbrachte, was er mit allen Mitteln verhindern wollte. Tränen sammelten sich in seinen Augen. Er spürte, wie ihm schwindelig wurde und er das Gefühl hatte, als würde er sich übergeben müssen. Nichtmal die Hände, die ihn festhielten, konnte er richtig wahrnehmen. „Decimo, sieh mich an, bitte.“ Er öffnete seine Augen einen Spalt breit, sah aber nur alles verschwommen, weil die Tränen seine Augen bedeckten. „Gokudera… Warum tust du sowas?“ Er zitterte am ganzen Leib, so sehr war er von dem Anblick getroffen. Und obwohl er den Älteren am liebsten von sich schlagen wollte, war sein Körper im ersten Augenblick so betäubt davon, dass er sich nicht bewegen konnte. Stattdessen sackte er erschöpft in seinen Armen zusammen und krallte sich an dessen Körper fest. „Du weißt doch, dass ich das alles hier verabscheue! Warum dann ausgerechnet du, dem ich am meisten vertraue?“ Hayato hielt Tsuna solange im Arm, bis er mit ihm den Raum verlassen hatte. Dieses Arschloch dadrin sollte sich allerdings nicht einbilden, dass der Sturmwächter schon mit ihm fertig war. Nur war es besser, erstmal dafür zu sorgen, dass Tsuna das nicht länger mitansehen musste. Nachdem der Braunhaarige sich einigermaßen beruhigt hatte, sah Hayato ihm ernst in die Augen. Dass er seinen geliebten Schützling dermaßen enttäuscht hatte, war nicht zu übersehen, aber inzwischen hatte er sich bereits unbewusst seine innerliche Mauer so stark aufgebaut, dass es an ihm abprallte. So war es einfach leichter für ihn, seine Gefühle ihm Gegenüber im Zaun zu halten. „Decimo, ich werde nicht zulassen, dass dir irgendjemand etwas antut. Und wenn der Bastard nicht reden will, dann muss ich eben dafür sorgen, dass er sein Maul aufmacht!“ „Aber doch nicht so, Gokudera!“ „Genauso so und nicht anders.“ Tsuna schüttelte leicht den Kopf und konnte nicht glauben, wie kalt die Augen von Hayato waren, als er das in so einem festen Ton sagte. „Was ist denn nur aus dir geworden, Gokudera? Ich will nicht, dass du so bist.“ „Ich bin nunmal so, wie ich bin, Decimo. Es ist nicht zu ändern.“ „Nein!“ Tsuna versuchte, sich von dem Älteren frei zu schütteln. „Ich will nicht länger in so einem Haus leben. Lass mich los, Gokudera!“ Mit einem gewaltigen Kraftschub gelang es ihm, den Sturmwächter von sich zu stoßen, sodass dieser gegen die Tür knallte. Wenn Tsuna wollte, konnte er auch ohne die Flamme des letzten Willens eine enorme Kraft an den Tag legen, das war ihm nur nicht bewusst. „Decimo, warte verdammt!“ Hayato schlug mit der Faust gegen den Boden und ignorierte dabei den Schmerz in seiner Hand. Anstatt ihm nachzulaufen, sah er ihm nur hinterher. „Ich bin nunmal so, wie ich bin. Und ich kann nichts dafür, dass ich dich liebe.“ Murmelte er noch einmal vor sich hin und stand dann wieder auf. Wütend darüber, dass er Tsuna so enttäuscht hatte, begab er sich wieder in den Raum zurück, denn mittlerweile hatte er ein gutes Ventil gefunden, um seiner Wut freien Lauf zu lassen. ~~~Past~~~ Gokudera schlug seine Augen auf, als er das Gefühl hatte, jemand würde ihn beobachten. Doch vor ihm war nichts, nur das leere Wohnzimmer des Zehnten. Vielleicht hatte er sich das nur eingebildet. Und natürlich ärgerte es ihn, dass er einfach eingeschlafen war, wo er doch eigentlich für den Zehnten da sein wollte. Er stand auf und sah aus dem Fenster. Es war dunkel. Hatte er etwa den ganzen Tag verschlafen? Etwas erschrocken sprang er auf und rannte durch das das ganze Haus, ehe er zuletzt auf die Terrasse stolperte, auf der er eine dunkle Gestalt wahrnehmen konnte. Der Decimo saß dort und betrachtete die Sterne am Himmel. Dann wandte er sich ab und sah Gokudera an. „Hast du gut geschlafen?“ „Zehnter, wieso hast du mich nicht geweckt?“ „Warum sollte ich?“ „Na weil… ich…“ Ihm fiel auch kein Grund ein. Es war ihm nur einfach unangenehm, dass der Decimo ihn dabei erwischt hatte. Schweigend setzte er sich dann zu ihm und blickte ebenfalls zu den Sternen. „Du machst dir Sorgen um den jungen Tsuna, hab ich recht?“ Gokudera schnaufte etwas angespannt. Natürlich machte er das, aber es gefiel ihm irgendwie nicht, wenn der Decimo das so einfach ansprach. Trotzdem nickte er. Worauf wollte er denn hinaus? „Solange ich hier bin und es mir gut geht, musst du das nicht, Hayato. Denk daran, immerhin ist er meine Vergangenheit.“ Er lächelte. Zuerst guckte Gokudera ihn etwas irritiert an, musste dann aber auch lächeln. Der Decimo hatte natürlich recht mit dem, was er sagte. Aber es gab da noch etwas anderes, was ihn interessierte. „Seit wann nennst du mich Hayato, Zehnter?“ „Seit du mich darum gebeten hast.“ „ICH hab dich darum gebeten?“ Gokudera spürte, wie er wieder rot anlief. Warum sollte er den Zehnten um so etwas bitten? Und dann lief er gleich noch mehr rot. Er schüttelte seine Hände und rutschte etwas vom Decimo weg. „Aber aber aber… Ich werde dich dann doch hoffentlich nicht auch mit deinem Vornamen ansprechen, oder Zehnter?“ Der ältere Tsuna lachte, weil er die Reaktion von ihm sehr niedlich fand. „Nein, du nennst mich Decimo.“ „Decimo? Vongola Decimo?“ Eigentlich überraschte es ihn nicht wirklich, denn er hatte sich vorgenommen, ihn als seine rechte Hand so zu nennen, sobald er offiziell die Nachfolge des Neunten antreten würde. Also musste das bedeuten, dass der ältere Tsuna jetzt tatsächlich der zehnte Decimo war. „Du meine Fresse!“ Gokudera fiel sofort vor ihm auf die Knie und verbeugte sich vor ihm. „Decimo, verzeih mir, dass mir das nicht gleich eingefallen ist.“ Jetzt musste der ältere Tsuna noch mehr lachen. „Schon gut, Hayato. Steh wieder auf. In dieser Zeit bin ich es ja noch nicht. Du kannst mich also weiterhin Zehnter nennen. Ich mag es.“ Es erinnerte ihn an ihre Jugend, die er manchmal vermisste. „Gut, wenn du das sagst, dann bleibe ich bei Zehnter.“ Der Decimo nickte nur und wand sich dann wieder zu den Sternen. Gokudera sah ihn immernoch an. Im Gegensatz zum gestrigen Abend kam ihm der ältere Tsuna auf einmal viel vertrauter vor. Obwohl es immernoch unglaublich fremd erschien, dass er offenbar kein Problem damit hatte, dass er jetzt Mafiaboss war. Er wusste doch, dass Tsuna eigentlich von Anfang an dagegen war, dieses Erbe anzunehmen, aber der Decimo wirkte sehr gelassen darüber. Oder tat er einfach nur so? Gokudera wusste nicht, was er davon halten sollte. Stattdessen blickte er auch wieder zu den Sternen und spürte sein Herz schneller schlagen, wenn er dabei an Tsuna dachte. Hoffentlich ging es ihm wirklich gut. ~~~Future~~ Es war kurz nach Mitternacht, als Hayato erschöpft die Treppen aus dem Keller stieg. Der Kerl war hartnäckiger, als er zuerst angenommen hatte und dass er ihn nicht zum Reden brachte, ärgerte ihn. Normal verdiente dieser keine erholsame Pause, aber die Sorge um Tsuna war letztendlich doch größer. Kurz sprang er unter die Dusche, damit er sich von diesem dreckigen Blut reinigen konnte, weil er seinem Schützling nicht nochmal so beschmutzt vor die Augen treten wollte. Dann betrat er ohne zu klopfen das Zimmer des Decimos, aber nur, um dann festzustellen, dass es leer stand. „Yamamoto, wo ist Decimo?“ Schnell atmend stand er in der aufgerissenen Tür dessen Zimmers. Der Angesprochene blickte auf und sah ihn fragend an. „Ich dachte, er wäre bei dir?“ „Ist er nicht, du Idiot!“ Er packte den Schwarzhaarigen am Kragen und hatte Mühe, ihm nicht gleich eine reinzuschlagen. Ein Glück für ihn, dass Hayato sich schon genug ausgetobt hatte. „Warum zum Teufel hast du ihn überhaupt zu mir geschickt? Ich hab dir klar gesagt, dass du deine verdammte Schnauze halten sollst!“ Yamamoto schwieg. In so einer Situation war es besser, einfach garnichts zu sagen. Hayato war mindestens genauso Stur wie Tsuna selbst und wenn sie sich beide am Ende die Köpfe einschlagen wollten, dann konnte keiner was dagegen unternehmen. „Scheisse, ich hab keine Zeit dafür! Hilf mir lieber, ihn zu suchen!“ Nachdem sie das ganze Haus abgesucht hatten, rannte Hayato hinaus, um im Garten und in der näheren Umgebung nach ihm zu suchen. Aber wie sollte er ihn denn in der Dunkelheit finden können, er konnte so gut wie garnichts erkennen? Er war so dumm gewesen, seinen Schützling laufen zu lassen, weil er einfach vergessen hatte, dass Tsuna mit fünfzehn Jahren leichtsinnig genug war, um das Haus ohne darüber nachzudenken zu verlassen. Warum machte der Ältere eigentlich immernoch alles falsch, was man falsch machen konnte? Aber der Punkt war, dass Tsuna überhaupt nicht das Haus verlassen hatte, so wie Hayato es angenommen hatte. In einer Sache hatte er seinen Sturmwächter richtig eingeschätzt. Nämlich, dass Hayato nicht darüber nachdachte an dem Ort nach ihm zu suchen, der für Tsuna am unwahrscheinlichsten in Frage kam. Nachdem er von dem Älteren weggerannt war, hatte er im ersten Augenblick schon darüber nachgedacht, das Haus zu verlassen. Aber als er merkte, dass Hayato ihm nicht gefolgt war, hatte er sich dann lieber dazu entschlossen, sich in seiner Nähe zu verstecken und abzuwarten. Er stand jetzt vor dem Raum, in dem Hayatos ‚Verhör‘ stattgefunden hatte und schluckte, als er den Schlüssel umdrehte. Kaum zu glauben, dass das alles hier das Werk seines Wächters gewesen sein sollte. Er konnte den Mann nichtmal richtig ansehen, als er leise zu ihm trat. Ob er überhaupt noch lebte, diese Frage wollte Tsuna sich lieber nicht stellen. Er hatte auch keine Ahnung, was ihn dazu bewegte, dem Kerl die Fesseln abzunehmen. Vielleicht hatte Hayato recht damit, dass Tsuna manchmal einfach viel zu leichtsinnig war. Worauf der Jüngere allerdings nicht geachtet hatte, war das Grinsen, welches sich im Gesicht des Mannes abzeichnete, als dieser bemerkte, wie der junge Decimo ihm näher kam und ihn letztendlich dummerweise befreite. In Sekundenschnelle hatte der blutüberströmte Mann Tsunas Arm gepackt und ihn schmerzhaft auf dessen Rücken gedreht. Damit er nicht losschreien konnte, legte er die zweite Hand auf den Mund des Jungen und zog den Körper an sich heran. Erschrocken darüber, wie unglaublich stark der Kerl auf einmal war, obwohl er noch eben halbtot gewirkt hatte, wurde Tsuna erst jetzt bewusst, dass er einen riesigen Fehler gemacht hatte. „Was hast du denn mit mir vorgehabt, kleiner Vongolaboss? Wolltest du mich unauffällig hier rausschleppen, dass deine Wächter nichts davon mitbekommen?“ Das tiefe Kichern verhieß nichts Gutes. Während Tsuna vehement versuchte, sich gegen den Griff des Anderen zu wehren, schien dieser ungestört weiter zu erzählen. „Die Gerüchte sind also wahr, dass du eine ziemliche Memme bist und den Rang eines Mafiabosses nicht verdient hast. Kein Wunder, dass sie dich loswerden wollen. Zu blöd, dass du nur vier Wächter hier hast, die in dieser alten Bruchbude auf dich aufpassen, kleiner Vongolaboss. Hätten sie dir erzählt, dass sie dieses alte Gemäuer nur als Übergangslösung benutzen und hier kein Sicherheitssystem vorhanden ist, wärst du vielleicht nicht so unvorsichtig gewesen.“ Übergangslösung? Was hatte das zu bedeuten? Sollte er dem Kerl denn glauben, was er ihm hier erzählte? Wenn das wirklich wahr sein sollte, warum hatte Yamamoto ihm dann etwas anderes erzählt? Und warum vier Wächter, wenn er bisher nur mit Ryohei, Yamamoto und Hayato beim Essen war? Er verstand es nicht. „Zugegeben, der Ruf deines gefürchteten Sturmwächters macht ihm alle Ehre, aber er hat mich gewaltig unterschätzt.“ Wieder blitzschnell, bevor Tsuna irgendetwas unternehmen konnte, griff der Kerl zu seinem Ohrring und stieß den kleinen, spitzen Gegenstand direkt in Tsunas Nacken, sodass er Augenblicke später zwar zusammensackte, aber noch bei Bewusstsein war. „Wofür so ein kleines Schmuckstück mit einem Nervengift doch gut sein kann. Keine Sorge, es schadet dir nicht, sondern sorgt nur dafür, dass deine Nerven für einige Zeit gelähmt sind. Oder warum denkst du, hat dein Wächter so lange seinen Spaß an mir haben können? Hinterher ist es wesentlich weniger schmerzhaft.“ Der Junge wog leichter als erwartet, sodass es dem Kerl ein leichtes war, ihn zu tragen. „Und weil du so nett warst und mir geholfen hast, kleiner Vongolaboss, werde ich dich auch nicht sofort umbringen, sondern dir in aller Ruhe dabei zusehen, wie du jämmerlich krepierst. Draußen wartet nämlich schon dein Abholservice auf dich.“ Tsuna konnte nicht glauben, was er da hörte. Er war wirklich so dumm gewesen, dass er auch noch Mitleid mit diesem Kerl empfunden hatte. Trotzdem wollte er nichts weiter davon hören, was Hayato mit ihm angestellt hatte. Es reichte ihm schon zu wissen, dass er überhaupt zu sowas im Stande war. Und noch mehr enttäuschte es ihn, dass Yamamoto ihn ebenfalls angelogen hatte, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass der Mann sich diese Geschichte nur ausdachte. Gerade weil er hier so seelenruhig hinausspazierte, ohne, dass ihn jemand dabei aufhielt. Dass das Schloss am nächsten Morgen nach so einer Party so still gewirkt hatte, hatte ihn doch gleich misstrauisch gemacht. Warum nur wollte ihm niemand die Wahrheit erzählen? Stattdessen musste er es auf diese Art und Weise erfahren. Er schloss seine Augen, weil er zu mehr gerade nicht in der Lage war. ~ Hayato hatte das Gefühl, dass er verdächtige Laute vernehmen konnte, während er weiter draußen herumgeisterte. Und tatsächlich, er konnte hören, wie eine Autotür zugeschlagen wurde und der Wagen dann mit quietschenden Reifen davonfuhr. „Verdammte Scheisse nochmal!“ Er rannte zur Garage und schwang sich kurzerhand auf sein Motorrad, weil ihm das gerade als schnellste Möglichkeit erschien. Mit lautem Motor folgte er den Wagenspuren auf der Straße, die das Fahrzeug offensichtlich hinterlassen hatten und nach wenigen Kilometern hatte er das rasende Auto auch schon eingeholt. Es bog in eine Seitenstraße ein und bot Hayato eine gute Gelegenheit, um mit seiner Beretta direkt auf die Reifen zu zielen und abzudrücken. Sofort kam das Auto ins Schleudern und bremste scharf ab, ehe es zum Stillstand kam. Hayato schützte sich hinter dem Motorrad und richtete seine Waffe auf den Wagen, weil er davon ausging, dass gleich jemand hinausstürmen würde, aber nichts geschah. Skeptisch betrachtete er den stehenden Wagen vor ihm. Und als er sich gerade vorsichtig nähern wollte, wurde er im nächsten Augenblick von einer Explosion zurückgeschleudert. Nachdem er sich von der Straße aufgerichtet hatte, konnte er nur die Flammen sehen, die das Auto einhüllten. „Ein Ablenkungsmanöver?“ Verfluchter Mist, er war auf einen so billigen Trick hereingefallen! Schon allein, dass das Auto so auffällig laut losgefahren war, hätte ihm doch verdächtig vorkommen müssen. „Scheisse! Decimo...“ ~~~Past~~~ Er hatte das Gefühl, als würde ihn ein stechender Schmerz durchbohren. Heftig atmend fiel er auf die Knie und hielt sich den Kopf. „Was ist los mit dir, Zehnter?“ „Ich weiß es nicht, Hayato. Aber ich fühle mich auf einmal so schlecht.“ Gokudera schaffte es gerade noch, den Decimo ins Bett zu tragen, ehe dieser dann die Augen schloss und einfach weggetreten war. Der Jüngere befühlte seine Stirn und erschrak über die drastisch angestiegene Temperatur, die der Decimo auf einmal hatte. Was sollte das denn, vor einpaar Minuten war er doch noch kerngesund? Konnte jemand denn von einem auf den anderen Schlag so erkranken? Oder hieß das etwa…? Nein, daran wollte er nicht denken! Es war sicher nur ein Fieberanfall, sonst nichts. Vielleicht hatte der ältere Tsuna einfach nur viel durchgemacht in letzter Zeit und war so viel Freizeit nicht gewohnt. Es gab doch Menschen, die durch nichts tun auch krank wurden! Irgendeine dämliche, logische Erklärung würde Gokudera sich schon zusammenreimen, aber er musste daran glauben, dass alles in Ordnung war. Er legte ihm ein kaltes Tuch auf die Stirn und strich ihm sanft das Haar hinters Ohr. „Wenn ich nur wüsste, was ich im Moment für dich tun kann.“ Unwillkürlich umschloss er Decimos Finger mit den Seinen und hielt dessen Hand gegen seine eigene Stirn. Dann spürte er, wie die Hand Druck auf ihn ausübte und erwiderte es automatisch. Die Wärme, die er dabei empfand, ging nicht von der Temperatur des Fiebers aus. Er hatte das Gefühl, als würde der ältere Tsuna sich seit einer Ewigkeit nach dieser Berührung gesehnt haben, so stark, wie sie ihn hielt. „Zehnter, du wirst wieder gesund!“ Er hielt seine Augen geschlossen und wachte still neben seinem Bett. ~~~Future~~~ Es dauerte nicht lange, ehe Tsuna seine Arme und Beine wieder bewegen konnte. Aber die Männer, die im Auto neben ihm saßen, hielten ihn die ganze Zeit fest, sodass er sich trotzdem nicht rühren konnte. Der blutüberströmte Kerl saß ihm direkt gegenüber und hatte ihn die ganze Zeit beobachtet. „Wer sind Sie überhaupt?“ „Ah, du kannst dich also wieder vollständig bewegen, kleiner Vongolaboss. Naja gut, das Nervengift wirkt ja auch nur, wenn man direkten Kontakt damit hat. Danach lässt die Wirkung recht schnell wieder nach.“ „Sagen Sie mir einfach nur, wer Sie sind!“ Der Mann packte Tsunas Kinn und hob es an. Von seinem Gestank nach getrocknetem Blut wurde ihm leicht übel. „Weißt du, wenn dein Sturmwächter nichts aus mir herausbringen konnte, dann wirst du kleiner Bengel es schon dreimal nicht schaffen! Aber willst du stattdessen etwas anderes wissen? Dadurch, dass deine Wächter so unvorsichtig sind, kann man sie sehr leicht durchschauen.“ Tsuna knurrte, weil er das Gefühl hatte, als würde der Kerl sich nur über ihn lustig machen. Im Moment wusste er überhaupt nicht, was er über die anderen denken sollte. „Was reden Sie da für einen Blödsinn? Ich glaube Ihnen kein Wort.“ Da er seinen Kopf nicht wegdrehen konnte, wandte er angewidert seinen Blick von ihm ab. „Ach, wirklich nicht? Deine Augen verraten mir aber etwas ganz anderes, kleiner Vongolaboss. Schein so, als hättest du dich von deinem eigenen Nebelwächter ganz schön hinters Licht führen lassen.“ Nebelwächter? Chrome? Tsuna erinnerte sich daran, wie Hayato das Weinglas aus ihrer Hand genommen hatte, nachdem er sich mit Lambo gestritten hatte. Und wenn er jetzt richtig darüber nachdachte, dann fiel es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen! Lambo, der sofort einige Schritte zurückgetreten war, anstatt sich irgendwie weiter über Hayato aufzuregen. Die anderen, die einfach nur schweigend dastanden und ihm ausgewichen waren, mit Ausnahme von Yamamoto und Ryohei, mit denen er sich unterhalten hatte. Und dann diese vielen fremden Gesichter, die so getan haben, als wäre es ihnen nicht aufgefallen, dass er plötzlich aus der Vergangenheit aufgetaucht war. Und dann noch die Tatsache, dass der Gang, in den er anschließend getreten war, so leer war. Bei einer so lebhaften Party hätten doch mindestens einpaar Menschen den Saal verlassen oder wieder eintreten müssen, um sich die Beine zu vertreten. Sogar das Dienstmädchen am nächsten Morgen hatte so seltsam monoton und unreal gewirkt. „Offenbar hast du es jetzt begriffen, kleiner Vongolaboss. Hat aber lang gedauert.“ „Eine Illusion?“ Der Mann ließ ihn wieder los und musste lachen. „Natürlich war das eine Illusion. Ich sagte dir doch schon, dass sie die Bruchbude nur als billiges Versteck benutzen, das übrigens überhaupt nichts bringt.“ Hatte Chrome ihn wirklich mit einer Illusion getäuscht? Aber warum? Und woher wusste sie überhaupt, dass er hier auftauchen würde? ‚Ich weiß, dass ich daran schuld bin, dass du jetzt hier bist. Und ich weiß auch, dass du die nächsten fünf Tage hier festsitzt und genau deswegen bin ich auch dafür verantwortlich, dass dir hier nichts zustößt, was die Vergangenheit verändern könnte.‘ Bildete er sich das jetzt nur ein, oder war es tatsächlich Hayato, der ihn absichtlich täuschen wollte? Er schüttelte heftig den Kopf. „Sie lügen!“ „Keine Sorge, kleiner Vongolaboss. Jetzt, wo du nichtmehr lange zu leben hast, musst du dich auch nicht weiter darum kümmern. Je mehr sie dich getäuscht haben, desto leichteres Spiel hatten wir mit dir.“ „Woher wollen Sie das alles überhaupt wissen?“ Er grinste süffisant. „Eigentlich kann ichs dir ja sagen. Sozusagen als kleine Gegenleistung, dass du mich vor deinem Sturmwächter gerettet hast.“ Tsunas Blick verfinsterte sich. Noch immer bereute er seine Aktion. „Als Spion ist es meine Aufgabe, solche Dinge herauszufinden, kleiner Vongolaboss. Die Vorkehrungen deines Sturmwächters für deine Ankunft waren so offensichtlich gewesen, dass er darüber hin vergaß, darauf zu achten, ob ihn jemand dabei beobachtet. Und dass er sein altes Zuhause dafür benutzte, um dich solange dort verstecken zu wollen, bis du wieder zurück in die Vergangenheit reisen würdest, war genau der richtige Ort für uns, um zuzuschlagen. Nachdem sein Vater das Schloss auch für immer verlassen hatte, hat sich niemand darum geschert. Deswegen hat es auch überhaupt keine Sicherheitsvorkehrungen mehr. Dass dein Wächter den Scharfschützen im Restaurant bemerkt hat, war nicht geplant. Also musste ich kurzfristig die Rolle des Attentäters übernehmen, damit wir uns in Ruhe überlegen konnten, wie wir als Nächstes vorgehen sollten. Die beiden Wagen parkten schon die ganze Zeit unauffällig vor dem Schloss, falls du dich dafür entscheiden solltest, eine Runde spazieren zu gehen. Aber dass du es mir gleich so leicht gemacht hast, indem du mich befreit hast, passte natürlich auch ganz gut. So, jetzt weißt du es. Aber diese Information wird dir nichtmehr viel bringen.“ Tsuna schüttelte erneut den Kopf. „Ich verstehe das nicht.“ „Soll ich es dir etwa noch ausführlicher erklären, kleiner Vongolaboss?“ „Nein, ich verstehe Ihren Aufwand nicht, den Sie wegen mir betreiben. Wenn Sie mich einfach nur töten wollten, dann hätten Sie es doch schon längst tun können! Wir saßen mindestens über zwei Stunden in dem Restaurant, der Scharfschütze hatte genug Gelegenheit dazu gehabt, jederzeit abzudrücken! Gokudera SOLLTE ihn zuerst sehen und erst dann losschließen, wenn er mich bereits aus der Schusslinie gebracht hat, also lügen Sie mir nichts von irgendwelchen ungeplanten Dingen vor! Der Schütze war doch nur eine billige Ausrede für Sie, damit Sie ins Schloss kommen konnten. Deswegen haben Sie auch ihren Ohrring mit diesem Nervengift dabeigehabt, weil Sie über den Ruf meines Sturmwächters Bescheid wussten. Also, warum das alles?“ Genau solche Aktionen waren es doch, die Gokudera letztendlich als seine rechte Hand dazu zwangen, ihn zu dem Menschen werden zu lassen, von dem Tsuna nicht wollte, dass er so wurde wie Hayato es jetzt war. Der Schlag, der daraufhin folge, war nichtmal annähernd so schmerzhaft gewesen, wie der Gedanke daran, dass er Gokudera vielleicht nie wieder sehen würde. Außerdem hatte er Hayato doch versprochen, dass er ihnen keine Schwierigkeiten bereiten würde und trotzdem saß er jetzt hier. „Du bist rotzfrech, du kleiner Bengel!“ Das bewies doch nur, dass Tsuna Recht hatte mit dem, was er sagte. Wenn das die Zukunft sein sollte, in der er Leben musste, dann wollte er das nicht. Und ob er das hier überhaupt überlebte, bezweifelte er gerade sehr stark. Ihm tat es im Augenblick nur furchtbar leid, dass er Hayato solche Vorwürfe gemacht hatte, obwohl er im Grunde selbst daran schuld war, dass es soweit kommen musste. Durch seine Gedanken bekam er überhaupt nicht mit, wie das Auto zum Stehen kam und die Männer ihn hinauszerrten. Seine Augen starrten nur leer vor sich hin, während sie ihn in ein Gebäude schleppten und in einen Raum einsperrten, indem nicht mehr als eine Matratze vorzufinden war. Erst als die schwere Tür hinter ihm zufiel, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. „Hey, du Scheisskerl!“ Er merkte garnicht, dass er Gokuderas Wortwahl übernahm, weil er gerade ziemlich wütend und enttäuscht über sich selbst war. „Lass mich hier raus, dann werde ich dir zeigen, wie rotzfrech ich bin!“ Nach wenigen Minuten gab Tsuna es dann schließlich auf, gegen die Türe zu schlagen und sank daran hinunter. „Was willst du denn überhaupt von uns?“, murmelte er vor sich hin. Tsuna verstand wirklich nicht, warum diese Typen so ein aufwendiges Manöver starteten, wenn es ihnen darum ging, ihn einfach nur umzubringen. ~~~Past~~~ Der Decimo öffnete seine Augen. Ihm war zwar immernoch schwindelig und er spürte sein Fieber sehr deutlich, aber es war erträglich. Er setzte sich etwas auf, sodass ihm das nasse Tuch von der Stirn fiel und bemerkte erst jetzt, dass seine Hand gehalten wurde. Er musste lächeln. „Ich erwische dich wohl ständig nur beim Schlafen, was Hayato?“ Der Jüngere hatte sich neben ihn ins Bett gelegt und sich nichtmal die Mühe gemacht, seine Klamotten ausziehen, so ungern wollte er von ihm fern bleiben. Der ältere Tsuna schloss seine Augen wieder und musste über einiges nachdenken. Nur war das nicht so einfach, wenn das Fieber seine Sinne benebelte. „Ich weiß, dass du ihn beschützen wirst. Ich weiß es. Aber pass auch auf dich selbst auf, Hayato.“ ~~~Future~~~ Er stellte die Weinflasche am Tisch ab und bediente sich wieder an seiner Zigarette. Während er mit der einen Hand den Glimmstängel an seine Lippen führte, hatte er seinen anderen Arm über die Augen gelegt und hing mehr im Sessel, als dass er saß. „Gokudera, was machst du da?“ Yamamoto betrat die Bibliothek und erblickte zuerst die zum Glück noch fast volle Weinflasche neben ihm. „Er ist weg!“ „Wer, Tsuna?“ „Ja und dieser Bastard im Keller auch! Keine Ahnung, wie er sich befreien konnte, aber sie sind beide weg.“ „Und deswegen besäufst du dich jetzt? Hast du nichts Besseres zu tun?“ Hayato stand auf schlug Yamamoto mit der Faust direkt ins Gesicht, sodass dieser nach hinten flog. „Du hast doch überhaupt keine Ahnung, du Idiot!“ Er meinte es nicht so, aber er brauchte gerade etwas, um sich abzureagieren. Yamamoto knurrte und rieb sich die Wange. Er war wirklich sehr geduldig mit Hayato gewesen, aber jetzt reichte es auch ihm. Er setzte zum Gegenschlag aus und traf sein Gegenüber ebenfalls mitten ins Gesicht, der dann gegen Tisch flog und die Flasche umstieß. Das Glas zerberste und der kostbare Wein verteilte sich auf dem Boden. Hayato wischte sich die Wange ab und rappelte sich wieder auf. Dass Yamamoto sich wehrte, machte ihn nur wütender. Er stürmte auf den Regenwächter zu, der allerdings auswich und Hayatos eigenen Schwung dazu nutze, um ihn direkt über die Schulter zu werfen. Mit einem lauten Keuchen landete er unsanft auf dem Boden und sah dann direkt in die zornigen Augen über ihm. Yamamoto hatte sein Knie auf dessen Brust gelegt, um ihn auf dem Boden zu halten und packte ihn dann am Kragen. Er wollte es wirklich nicht so weit kommen lassen, aber wer nicht hören wollte, musste eben fühlen und Hayato Gokudera war nunmal ein Typ, der erst zuhörte, wenn er vorher vermöbelt wurde. „Ich Idiot habe also keine Ahnung, ja? Aber du hast wieder voll den Durchblick, oder wie?!“ Man konnte den Sarkasmus förmlich spüren. So kannte er den Schwarzhaarigen garnicht und das überraschte ihn dann doch. „Tsuna hat hier niemanden, an den er sich wenden kann, außer uns.“ Yamamoto zog stärker am Kragen. „Vor allem dir vertraut er am meisten, aber du musstest ja darauf bestehen, dass wir ihn alle anlügen so tun, als wäre alles in Ordnung! Das konnte doch nur schiefgehen, Gokudera!“ Der Sturmwächter wandte den Kopf ab und knurrte wütend, weil er nichts darauf zu sagen wusste. „Und während du hier tatenlos rumsitzt und dich betrinkst, schwebt er jetzt vielleicht in Lebensgefahr!“ „Denkst du, was weiß ich nicht, Yamamoto?“ „Wenn ich ehrlich bin, Gokudera… Sieht‘s nicht so aus, als ob du das weißt.“ Der Angesprochene krallte seine Finger die die Hände von Yamamoto. „Natürlich bin ich schuld daran, wenn dem Decimo etwas passiert. Und ich bin auch schuld daran, dass er jetzt weg ist und…“ „Hör gefälligst auf damit, dich ständig selbst zu bemitleiden! Und hör auch damit auf, alles im Alleingang machen zu wollen!“ Yamamoto ließ ihn los ballte seine Hand zu einer Faust, während sein Ring dabei zu lodern begann. „Auch wenn du seine rechte Hand bist, wir sind alle seine Wächter, also sind wir auch alle dafür verantwortlich, dass ihm nichts zustößt. Aber das ist etwas, wovon DU scheinbar keine Ahnung hast, Gokudera!“ Hayato setzte sich auf und hielt sich die Hand vors Gesicht. Natürlich hatte Yamamoto recht mit dem, was er sagte. Und im Grunde wusste er das ja auch, nur musste er ab und zu wieder daran erinnert werden. Meistens dann, wenn es bereits zu spät war. „Es ist noch lange nicht zu spät, Gokudera.“ Nein, Yamamoto konnte keine Gedanken lesen, aber Hayatos Gedanken waren manchmal sehr offensichtlich gewesen. Er hielt ihm die Hand hin. „Wir werden ihn finden, wenn wir zusammenarbeiten.“ Hayato ergriff Yamamotos Hand und stand dann ebenfalls auf. „Sorry für meine Rechte.“ Yamamoto zwinkerte. „Ich bin immernoch Sportler, ich stecke schon was weg.“ Der Sturmwächter grinste und klopfte ihm auf die Schulter. Mittlerweile konnte er ihn sehr gut leiden, denn Yamamoto war der Typ, der ihn meistens auf den Teppich zurückbrachte, wenn er mal wieder den Überblick verlor. Und dafür war er ihm letztendlich sehr dankbar. „Los, holen wir Okto! Chrome kümmert sich währenddessen weiterhin um das Schloss.“ ~~~Past~~~ Gokudera stand schon früh in der Küche und versuchte sich daran, einpaar Spiegeleier zu braten. Der Decimo brauchte neue Proteine, weil das hohe Fieber seine eigenen im Körper zerstörte. Es hatte sich über Nacht verschlimmert, obwohl Gokudera ihm sogar Medikamente besorgt hatte, die als Fiebersenkend galten. So langsam beschlich ihn das ungute Gefühl, dass es sich doch nicht um eine einfache Krankheit handelte. Warum sollte der Decimo denn auch ausgerechnet dann krank werden, wenn Tsuna sich gerade in der Zukunft befand? Er unterdrückte den Reiz, selbst zur Bazooka zu greifen und ihm zu folgen. Er sollte lieber nichts Unüberlegtes tun und stattdessen darauf hoffen, dass sein eigenes zukünftiges Ich dafür sorgte, dass Tsuna nichts Schlimmes widerfahren würde. „Guten Morgen, Zehnter.“ Er stellte das Frühstück neben dem Bett ab und nahm das Tuch von seiner Stirn, während er sie befühlte. Immernoch unverändert heiß. Der Decimo öffnete die Augen, als er die Berührung spürte und lächelte sanft. Dann hob er seine Hand an, sodass Gokudera sie wieder instinktiv ergriff. „Danke, dass du dich um mich kümmerst, Hayato. Ich werde bald wieder auf die Beine kommen.“ „Natürlich, Zehnter!“ ~~~Future~~~ Tsuna wusste nicht, wie lange er sich nun schon in diesem Raum befand. Nach gefühlten Stunden dieser Isolation hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. War es Tag, war es Nacht? Keine Ahnung. Er lag nur auf der Matratze und starrte an die Decke. Das Schlimmste daran war, dass er dadurch viel zu viel Gelegenheit hatte, um nachzudenken. Und je mehr er nachdachte, desto mehr schmerzte es. Der Kerl hatte etwas davon erwähnt, dass er ihm beim Sterben zusehen wollte. Was hatten sie denn vor? Ihn hier drin versauern zu lassen, weil sie ihn nicht selbst töten wollten? Seit sie ihn hier eingesperrt hatten, war es still. Der Gedanke war also garnicht so abwegig. Wie lange war er nun schon in der Zukunft? Es musste jetzt bereits der dritte Tag sein. In zwei Tagen würde er wieder zurückkehren und dann landete der ältere Tsuna hier in diesem Raum. War das ihr Plan? Ihn einfach hier zu behalten, bis die Zeit ablief? Oder darauf zu hoffen, dass er innerhalb der nächsten Tage starb? Tsuna wälzte sich hin und her. „Nein, das kann doch nicht wahr sein!“ Er wollte nicht sterben, das wäre zu einfach! Und wenn es nur darum ging, diese zwei Tage hier auszuharren. Wenn er wieder in die Vergangenheit zurückkehrte, dann würde er schon etwas dagegen unternehmen, aber solange musste er nur irgendwie durchhalten. „Gokudera, ich werde dich wiedersehen, das verspreche ich!“ Der Glaube daran verlieh ihm Kraft. Und ohne es zu merken loderte sein Ring dabei an seiner Hand. ~ „Was ist das?“ Der Kerl, der sich mittlerweile seine Wunden behandelt hatte, starrte auf den Bildschirm, an dem er beobachten konnte, wie der Junge auf der Matratze rumkauerte. „Das ist sein Vongolaring“, antwortete sein Kollege, der nicht gerade darüber begeistert war, dass er diesen Jüngling hier überwachen sollte. „Und was ist an diesen Ringen so Besonderes, dass sie plötzlich anfangen, zu leuchten?“ „Diese Ringe sind der Grund, warum wir die Vongola nicht so einfach auslöschen können, weil sie von ihnen beschützt werden! Oder warum denkst du, veranstalten wir diesen ganzen Zirkus hier?“ „Das hat mich der Bengel auch gefragt, also weiß er das garnicht. Wissen seine Wächter davon?“ „Keine Ahnung, ob sie davon wissen! Mir ist das egal, das Balg interessiert mich nicht. Noch weniger hab ich Lust darauf, ihn zu observieren. Aber wenn der Chef es so will, dann kann ich nichts machen. Außerdem bist du doch hier der Spion, es ist deine Aufgabe, sowas rauszufinden!“ Der Angeschnauzte knurrte und zog sich dann seine Jacke an, während sein Kollege daraufhin die Augenbraue anhob. „Was machst du jetzt schonwieder?“ „Ich hau ab!“ „Was? Soll ich jetzt hier allein rumsitzen und das Balg beobachten?!“ „So ist es.“ Er grinste. „Ich muss im Gegensatz zu dir nicht dumm hier rumsitzen, Kyel. Wie du schon gesagt hast, ich bin hier der Spion, also muss ich mehr Informationen beschaffen. Danke übrigens für deinen Tipp mit den Ringen, das erspart mir Arbeit.“ „Arsch!“ „Adios!“ Knurrend wandte sich der Observator wieder zum Bildschirm. Der Spion allerdings machte sich auf den Weg zu seinem eigenen Versteck, da er heute Nacht nichts mehr unternehmen wollte. Stattdessen dachte er darüber nach, wie er als nächstes handeln sollte. Er hätte nicht gedacht, dass die Vongolaringe eine so große Bedeutung hatten. Ihm wurde bisher nur mitgeteilt, dass man die Vongola Famiglia anhand dieser Ringe erkennen konnte, daher hatte er sie nicht mehr als für ein Familienwappen gehalten. Er hatte sich ohnehin schon die ganze Zeit darüber gewundert, dass diese Familie so hoch eingestuft wurde, obwohl die Wächter so unvorsichtig handelten. Die Frage war nur, ob sie selbst das wussten oder nicht. Woher Kyel das überhaupt wusste, ärgerte ihn. Aber sein Kollege wollte ihm nicht erzählen, dass sie es auch nur durch Zufall herausgefunden hatten. Mehr wusste er selbst nicht und das war auch genau der Grund, warum Kyel auch nicht wollte, dass gerade er jetzt dem Vongolaboss zugeteilt wurde. Nun gut, das war sein eigenes Problem gewesen. Der Spion würde das schon irgendwie herausfinden. Im Gegensatz zu seinem Kollegen hatte er keinen Schiss vor ihnen. Schon allein, weil die Vongola, seit er den Auftrag hatte, sie zu beobachten, seine grundsätzliche Neugierde geweckt hatte. Abgesehen davon hatte er noch eine persönliche Rechnung mit dem Sturmwächter offen, denn das wollte er nicht so einfach auf sich sitzen lassen. Selbst wenn er auf eigene Faust handelte, war ihm das egal. Er schraubte den Schalldämpfer an seine Waffe und legte sie dann neben sich auf den Nachttisch. Vielleicht fand er noch einige Stunden Schlaf, ehe er seinen Plan in die Tat umsetzte. ~ Auch Hayato hatte in der Nacht nicht mehr viel unternommen. Er war zu der Stelle gegangen, an der das Auto explodiert war und hatte es durchsucht. Bis auf zwei ausgebrannte Leichen auf den Vordersitzen konnte er nichts entdecken. Immerhin hatte Tsuna nicht im Wagen gesessen, also musste er noch am Leben sein. Aber wer wusste, wie es ihm im Augenblick ging? Hayato durfte nicht daran denken, sonst würde er noch verrückt werden. Auch wenn Yamamoto ihm davon abriet, trank er trotzdem noch mindestens drei Gläser Wein, bevor er einschlafen konnte. Seine Träume rissen ihn allerdings sehr früh auf die Beine. Zumindest war er wieder halbwegs nüchtern geworden. Vielleicht sollte er sich das Trinken abgewöhnen, wenn er schon nicht auf das Rauchen verzichten konnte. Er schüttelte den Kopf und sprang kurz unter eine eiskalte Dusche, um wieder klar in seinen Gedanken zu werden. Danach verließ er das Schloss noch in der Morgendämmerung. Mit Yamamoto und Ryohei hatte er sich am Abend zuvor noch abgesprochen, dass sie getrennt nach Tsuna suchen würden. Aber um genau zu sein, hatte er gar keine Ahnung, wo er mit seiner Suche anfangen sollte. Verzweifelt ging er als erstes zu dem Platz, an dem er seine Kindheit verbracht hatte und der auch heute noch als sein Lieblingsplatz galt, an dem er sich oft befand. Er blickte zum Wasser und griff sich an die Brust. Es schmerzte wie immer. „Wo soll ich nur nach dir suchen, Decimo?“ ~ Der Spion musste breit grinsen, als er eine Gestalt wahrnehmen konnte, die sich dem Park näherte. Er hatte Recht mit seiner Vermutung gehabt, dass der Sturmwächter früher oder später hier auftauchen würde. In dem Fall war es sogar noch früher als erwartet, dementsprechend hatte es sich gelohnt, sich rechtzeitig auf den Weg zu machen und hier abzuwarten. Der Wächter war wirklich sehr leicht zu durchschauen, es war ja schon fast zu einfach gewesen. Nichtmal, dass der Spion sich anschlich und jetzt kaum hundert Meter von ihm entfernt stand, schien dieser zu bemerken. War er wirklich so dumm oder spielte er ihm hier nur etwas vor? Wie dem auch sei, der Kerl hatte keine Lust mehr, noch länger zu warten oder sich zurück zu halten, ganz gleich, welchen Befehl er hatte. Sie sollten doch froh sein, wenn sie die Mitglieder der Vongola Famiglia loswerden konnten. Er richtete seine Waffe direkt auf den Sturmwächter und zielte damit auf dessen Hinterkopf. Noch immer rührte Hayato sich nicht, aber das sollte die Sache wesentlich vereinfachen. Immerhin würde er dann wissen, ob Kyel ihm keinen Scheiss erzählt hatte. „Leb wohl in der Hölle, Sturmwächter!“, murmelte er grinsend vor sich her. Und dann drückte er ab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)