Home Sweet Home von Rabenkralle ================================================================================ Epilog: Epilog -------------- Epilog Gaara schaute auf seine Armbanduhr. „Tut mir leid“, bedauerte er aufrichtig, „aber ich muss leider wieder los. Die Versammlung ruft.“ „Ist doch okay“, erwiderte Temari mit einem Lächeln. „Ich hätte nicht mal gedacht, dass du deine kurze Frühstückspause opferst, um herzukommen und dann auch noch riskierst, zu spät dort aufzutauchen.“ „Ich wäre auch hergekommen, wenn sie nur fünf Minuten lang gewesen wäre“, meinte ihr Bruder und lächelte ebenfalls. „Den ersten Blick auf meinen Neffen lasse ich mir auf keinen Fall nehmen.“ Er betrachtete den kleinen Jungen noch einmal, der in den Armen seiner Schwester lag, verabschiedete sich und verließ das Zimmer. Temari seufzte und sank ein Stück am hochgestellten Kopfteil des Bettes herunter. Sie schloss die Augen und drückte ihr Kind, das erst seit sieben Stunden auf der Welt war, etwas fester an sich und lauschte seinen leisen Atemzügen, die warm ihr linkes Schlüsselbein streiften. Körperlich fühlte sie sich wirklich nicht besonders, aber das was sie für dieses kleine Wesen empfand, ließ sie das für ein paar Augenblicke vergessen. Sie küsste ihren Sohn sanft auf die Stirn, strich ihm behutsam über den Kopf und spürte den weichen Flaum seiner kurzen Haare zwischen ihren Fingern. Er hatte schon einen beachtlichen Haarschopf und der Kontrast zu seiner hellen Haut machte dies nur noch deutlicher, denn sie waren in einem tiefen Schwarz. Es klopfte an der Tür, die Klinke senkte sich und zwei Augenpaare linsten sie an. „Dürfen wir reinkommen?“, flüsterte Matsuri. „Oder passt es dir gerade eher nicht so?“ Temari nickte und winkte die beiden herein. Kankurou schloss die Tür leise hinter sich und schlich zusammen mit seiner Freundin zu seiner Schwester herüber. „Wie geht’s dir?“, fragte er besorgt. „Es könnte besser sein“, sagte sie und lächelte matt. „Aber es wird schon wieder.“ Ihr Bruder runzelte die Stirn. „War die Geburt wieder so schlimm?“ „Ich würde lügen, wenn ich sage, dass zwölf Stunden Wehen ein gemütlicher Spaziergang sind“, entgegnete sie, „aber ganz so schlimm wie bei Kairi war es dann doch nicht.“ „Na, wenigstens etwas“, seufzte er und musterte seinen Neffen ausgiebig. „Der kleine Mann hat dich die letzten Wochen schließlich schon genug gequält.“ Bevor Temari ihn empört über seine Äußerung korrigieren konnte, verpasste Matsuri ihm einen Ellenbogenstoß in die Seite. „Gott, bist du unsensibel!“, schalt sie ihn. „Auch wenn’s natürlich weniger schön ist, dass er es sich vorher noch einige Tage lang auf ihrem Ischias bequem gemacht hat, ist es doch irgendwie süß, dass er sich nicht von seiner Mama trennen konnte. Findest du nicht auch, Temari?“ Die Angesprochene musste lachen. „Mehr oder weniger vielleicht. Wegen mir hätte er jedenfalls nicht noch zehn Tage bis nach dem Termin dort drin bleiben müssen.“ „Na ja, seh’s doch mal so: Kairi kam eineinhalb Wochen zu früh, der Kleine eineinhalb Wochen zu spät. Unter dem Strich warst du trotzdem zweimal vierzig Wochen schwanger.“ „Wie du meinst“, sagte sie belustigt und scherzte: „Vielleicht wollte er auch unbedingt ein Februarkind werden, wer weiß?“ Die beiden Freundinnen lachten los und Kankurou schüttelte amüsiert den Kopf. „Wie heißt er eigentlich?“, fragte Matsuri im Anschluss. Temari seufzte. „Wenn ich das mal wüsste …“ „Aber du hattest doch so viel Zeit! Wie kommt es, dass du keinen Namen gefunden hast?“ „Ich habe keinen gefunden, weil ich nicht gesucht habe.“ „Und warum nicht?“, wollte ihre Freundin wissen. „Er kann doch nicht namenlos bleiben! Das ist doch eine furchtbare Vorstellung!“ „Keine Sorge, er bekommt bald einen Namen. Ich gebe seinem Vater noch ein bisschen Zeit, um einen auszusuchen.“ „Dann war es also kein Witz, als du gesagt hast, dass du Shikamaru die Namenswahl überlässt?“ „Nein“, gab sie zurück. „Ich habe ihn schon bei Kairi komplett übergangen, also ist er diesmal an der Reihe.“ Matsuri stieß einen Pfiff aus. „Das ist aber mutig von dir.“ „Wieso?“ „Stell dir mal vor, er sucht einen Vornamen aus, den du furchtbar grässlich findest!“ „Dann ist es eben so“, meinte sie gelassen. „Ich halte mich komplett heraus. Es wird genommen, was er vorschlägt.“ „Und was, wenn die Bedeutung so lächerlich ist, dass sich der Kleine später dafür schämen muss?“ Temari zog die Augenbrauen nach oben. „Ich glaube“, begann sie, „dass du deine Einschätzung von Shikamaru noch mal überdenken solltest. Meinst du wirklich, er würde seinem Sohn einen Namen geben, der ihn ins Lächerliche zieht?“ „Wohl nicht“, lenkte ihre Freundin ein. „Trotzdem weiß ich nicht, ob dein grenzenloses Vertrauen in ihn bewundernswert oder verrückt ist.“ „Vielleicht beides“, sagte sie und ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Ich hab schon mehrmals daneben gelegen, was ihn betrifft, also ist es angebracht, wenn ich ihm wenigstens dieses eine Mal uneingeschränkt vertraue, oder?“ „Wenn das kein Liebesbeweis ist, weiß ich auch nicht“, bemerkte Matsuri und schmunzelte. „Ich beneide euch irgendwie. Ihr habt so viel wegen einander durchgemacht und euch trotzdem wieder zusammengerauft. Das muss echte Liebe sein.“ Temari suchte den Blick ihres Bruders, doch dieser zuckte nur die Achseln. „Bist du irgendwie unter die Romantiker gegangen oder was stimmt mit dir nicht?“, fragte sie skeptisch. „Ach, Quatsch!“ Ihre Freundin winkte ab. „Aber in manchen Fällen kann romantischer Kitsch doch mal ganz schön sein.“ Erneut schaute sie Kankurou an. „Du hast sie doch nicht etwa geschwängert?“, fragte sie geradeheraus. „Hast du sie noch alle?“, fuhr er seine Schwester an. „Ich hab jetzt jeden Tag eine zickige Nichte und einen schreienden Neffen um mich, da brauche ich nicht noch ein eigenes Kind, das mir den letzten Nerv raubt.“ Matsuri starrte ihn entrüstet an. „Was soll denn das heißen?“, fragte sie aufgebracht. „Nur dass ich jetzt noch kein Kind möchte“, erwiderte er beschwichtigend. „Und das bedeutet, dass wir ein ernsthaftes Problem haben, solltest du meiner Schwester in Verhütungsfragen nacheifern.“ „Danke für die Blumen“, murmelte Temari sarkastisch und unterdrückte den Reiz, ihrem Bruder eine zu scheuern. „Du bist wirklich ein unsensibler Arsch“, legte ihre Freundin fest. „Dass du mir das zutraust, ist echt daneben. Und dass du diese alte Kamelle, für die sich kein Schwein mehr interessiert, ausgerechnet an dem Tag auspackst, an dem ihr zweites Kind geboren wurde, ist noch mehr daneben!“ „Aber –“, stammelte Kankurou los. „Es sollte keine Kritik oder Beleidigung, sondern lediglich eine kleine Anmerkung sein.“ „Ja, ja, wer’s glaubt …“ Seine Freundin zog eine Grimasse und richtete ihren Blick wieder auf den neuen Erdenbewohner, der nun anfing, sich zu regen. Der Junge zog seine Beine etwas an, seine kleinen Hände wurden zu Fäusten und seine Augenlider gingen ein wenig auf. „Wie niedlich und knautschig!“, stieß Matsuri entzückt aus. „Er ist wirklich zuckersüß!“ Kankurou nahm ihn ebenfalls näher in Augenschein. „Wenn ich nicht wüsste, wer sein Vater ist“ – er grinste breit – „würdest du jetzt in arger Erklärungsnot stecken, Schwesterherz.“ Temari musterte ihren Sohn eingehend. Eine gewisse Familienähnlichkeit konnte sie nicht verschweigen, aber … „Sieht er ihm wirklich so ähnlich?“ „Ähnlich ist kein Ausdruck!“, gab er zurück. „Dieses Kind kann er unmöglich verschweigen.“ „Du bist ein Blindfisch“, bemerkte Matsuri spitz. „Er hat ja wohl eindeutig Temaris Augen geerbt.“ „Okay, der Punkt geht an dich“, pflichtete er ihr bei. „Auch wenn ich nicht weiß, ob dieses Merkmal für einen Jungen von Vorteil ist.“ Seine Freundin schaute ihn einen Moment lang tadelnd an, dann prusteten sie beide los. Temari hätte ihnen für diese Frechheit, die auf Kosten ihres Kindes ging, am liebsten ein paar Ohrfeigen verpasst, wenn sie sich nicht selbst ein wenig über diesen Spruch amüsiert hätte. Sie küsste ihren Sohn, den sie nach den wenigen Stunden schon so sehr liebte, und streichelte mit dem Zeigefinger über seine Hand. Er zuckte bei der Berührung zusammen, doch nach wenigen Sekunden entspannte er sich und sein Gesicht, das noch nicht zu vielen Gefühlsausdrücken fähig war, wirkte eine Spur zufriedener auf sie. Sie beobachtete ihn eine Weile und schließlich fielen seine Augen zu und er schlief wieder ein. Abermals klopfte es an der Tür. Kankurou öffnete sie und kaum, dass der Spalt breit genug war, stürmte Kairi hindurch und lief zum Bett herüber. „Mama!“, rief sie und wedelte aufgeregt mit den Armen herum. „Nicht so laut.“ Temari legte einen Finger auf die Lippen und bedeutete ihr, leise zu sein. „Dein kleiner Bruder schläft.“ Ihre Tochter sah sie groß an, dann murmelte sie „Buder“ und zeigte auf den Bauch ihrer Mutter. Diese schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, da drin ist er nicht mehr. Er ist jetzt hier.“ Das Mädchen folgte ihrem Blick, deutete ein Stück höher und fragte: „Baby?“ „Genau“, erwiderte sie. „Das ist dein kleiner Bruder.“ Kairi kicherte, dann drehte sie sich um und flitzte zur Tür und zu ihrem Vater zurück. Sie zog an seinem Hosenbein, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen und streckte dann die Arme nach ihm aus. Shikamaru hob sie hoch und sie gluckste fröhlich. Temari lächelte. In dem halben Jahr, das seit seiner Versetzung vergangen war, hatten die Zwei eine bemerkenswerte Vater-Kind-Beziehung aufgebaut. Kairi war von Anfang an offen auf ihn zugegangen und hatte ihn als neue Bezugsperson sehr schnell akzeptiert. Tatsächlich war er inzwischen ihre erste Anlaufstelle geworden, wenn sie getröstet werden wollte – und wenn sie etwas haben wollte, von dem sie wusste, das sie es von ihrer Mutter definitiv nicht bekam. Temari hatte schon gelegentlich das Gefühl, dass sie nur noch die zweite Geige spielte, aber das war in Ordnung für sie. Sie hatte ihre Tochter die ersten vierzehn Monate ganz für sich gehabt und es war ihr nicht schwer gefallen, einen Teil ihrer Zuneigung an Shikamaru abzutreten, der sich von Anfang an so rührend um sie gekümmert hatte. Ihr Blick fiel auf die ausgeprägten Ringe unter seinen Augen. Er hatte wie sie die ganze Nacht nicht geschlafen und war erst vor viereinhalb Stunden unter Protest nach Hause gegangen. „Du solltest dich doch ausschlafen!“, begrüßte sie ihn. „Wirklich, was machst du schon wieder hier?“ Er zuckte die Achseln. „Zwei Stunden Schlaf müssen wohl erstmal reichen.“ „Tun sie aber offensichtlich nicht“, legte sie fest. „Warum ist Kairi überhaupt bei dir?“ Sie wandte sich an Kankurou und Matsuri. „Ihr beide solltet doch auf sie aufpassen!“ „Haben wir doch“, verteidigte sich ihr Bruder. „Aber dein Freund musste ja unbedingt die Zimmertür offen lassen.“ Beleidigt rümpfte er die Nase. „Wir haben’s versucht, aber als sie ihn gesehen hat, hatte sie keine Lust mehr, sich mit uns zu beschäftigen.“ Ihre beste Freundin zog die Augenbrauen hoch und nickte zur Bestätigung. „Wir waren für sie genauso interessant wie Fliegendreck, der an der Wand klebt.“ „Echt ’ne Sauerei“, beschwerte sich Kankurou weiter. „Da reiß ich mir für sie ein Dreivierteljahr lang den Allerwertesten auf und das ist der Dank dafür.“ „Beschwerst du dich gerade etwa über zu viel Freizeit?“, fragte Temari. „Absolut nicht“, entgegnete er rasch. „Ehrlich, ich bin froh, dass ich den Nervenzwerg so gut wie los bin.“ Er musterte seine Nichte geringschätzig. Sie erwiderte seinen Blick, beugte sich vor, griff nach seiner Nase und kicherte. Kankurou blickte einen Moment entgeistert drein und lachte ebenfalls los. „Geht’s nicht ein bisschen leiser?“, warf Matsuri ein und hielt ihm die Hand vor den Mund. „Oder willst du deinen Neffen gleich wieder aufwecken?“ Sein Lachen verstummte und er sagte: „Okay, Chefin!“ Danach salutierte er und grinste übertrieben. Seine Freundin verdrehte die Augen, packte ihn am Arm und zog ihn in Richtung Tür. „Wir machen besser einen Abstecher zur Cafeteria“, schlug sie vor. „Mir scheint, dein Gehirn könnte ’ne kleine Abkühlung vertragen.“ „Nö“, protestierte er, „meinem Hirn geht’s bestens. Ich –“ „Du kommst jetzt mit!“, legte sie fest. „Oder willst du ihnen die ersten Momente zu viert als Familie komplett verderben?“ Bevor er antwortete, ging sie weiter und anstatt zu protestieren, ließ er sich widerstandslos von ihr mitziehen. Temari schaute zur Tür, die sich gerade schloss. Die gelegentliche Feinfühligkeit ihrer besten Freundin überraschte sie immer wieder und es beschlich sie das Gefühl, dass sie sich dafür bei ihr erkenntlich zeigen sollte. Sie hörte das Getrappel ihrer Tochter und schaute ihr nach. Kairi war zum Fenster gelaufen und versuchte sich an der Fensterbank hochzuziehen. Als das nicht klappte, sah sie ihren Vater an – mit diesem Hundeblick, der fast schon ein wenig einstudiert wirkte, der bei ihm aber meist funktionierte. „Soll ich?“, fragte Shikamaru. Temari, die über die Masche des Mädchens immer noch staunte, zuckte mit den Schultern. Sie hätte es ihr auf gar keinen Fall erlaubt – was ihr Kind natürlich wusste –, aber nach der letzten Nacht konnte sie ausnahmsweise darüber hinwegsehen. Ein Zickenanfall ihrer Tochter war im Augenblick nicht unbedingt etwas, das sie gebrauchen konnte. Er ging zu ihr und setzte sie hoch und Kairi legte die Hände an die Fensterscheibe und spähte nach draußen in den sandigen Innenhof. „Du bist viel zu nachlässig mit ihr“, bemerkte Temari. „Ich weiß.“ Obwohl ihr sein gleichgültiger Unterton nicht entging, sparte sie sich weitere Kritik. Auch wenn sie es eher weniger guthieß, dass er so oft dem Willen seiner Tochter nachgab, konnte sie verstehen, warum er so handelte. Sie vermutete, dass es seine Weise war, um die vierzehn Monate, die Kairi ohne ihn verbracht hatte, wieder gutzumachen – wobei sie arg bezweifelte, dass er nun ein sehr viel strengerer Vater wäre, wenn er sie von Anfang an um sich gehabt hätte. Nicht bei der Mutter, für die es seit seiner tiefsten Kindheit nichts Wichtigeres gegeben hatte, als Regeln einzuhalten. „Wie geht es euch beiden?“, fragte er schließlich. „Unserem Sohn scheint es großartig zu gehen“, antwortete sie. „Er wird jede Stunde wach, weil er Hunger hat. Und ich“ – sie gähnte – „fühle mich furchtbar. Ich würde ihn dir gerne für ein paar Stunden überlassen und schlafen, aber da du keine Milch gibst, geht das schlecht.“ „Dann kann ich wohl nur für dich hoffen, dass die Abstände schnell länger werden, hm?“ „Hoffen ist gut. Bei meinem Glück dauert das Tage.“ Sie lachte auf und fragte: „Und wie geht’s deiner Hand?“, wechselte sie das Thema. „Ganz gut.“ Shikamaru schüttelte seine Linke demonstrativ aus. „Es sind nur ein paar Quetschungen.“ „Wenn Kankurou das erfährt, wird er sicher enttäuscht sein“, antwortete sie belustigt. „Wegen mir hättest du dich nicht zurückhalten müssen.“ „Ich hab mich nicht zurückgehalten“, sagte sie. „Ich bin einfach schwächlich geworden. Aber das bringt die Zeit wohl mit sich, wenn man sein Kunoichidasein aufgibt und stattdessen nur noch Mutter ist.“ Er schmunzelte. „Dafür, dass du nur noch Mutter bist, ist meine Hand aber ganz schön blau.“ Temari warf ihm ein entschuldigendes Lächeln zu und widmete sich wieder ihrem Sohn. Sein Atem war flach und seine Augenlider zuckten und sie fragte sich, ob er gerade träumte. Vorsichtig fuhr sie ihm über die Haare und achtete darauf, dass sie seinen Hinterkopf nur leicht berührte, um ihn nicht zu wecken. „Hast du dich inzwischen für einen Namen entschieden?“, fragte sie. Shikamaru seufzte nur. „Das ist wohl ein Nein, was?“, bemerkte sie. „Du hast zwar noch einige Tage Zeit, bis du dich festlegen musst, aber ich möchte nicht noch tagelang ›der Kleine‹ sagen müssen, wenn ich von ihm spreche. Das klingt so schrecklich unpersönlich.“ „Das sehe ich genauso“, pflichtete er ihr bei, „aber es ist … so schwierig.“ Nun stieß Temari ein Seufzen aus. „Wenn du ihm den Namen von deinem Vater geben möchtest, kannst du es ruhig sagen.“ „Bloß nicht“, erwiderte er, „das ist doch viel zu abgedroschen. Und meine Mutter rastet völlig aus, wenn wir das machen.“ „Wir?“ Sie hob eine Braue. „Die Namensgebung ist deine Aufgabe.“ „Schon, aber gefallen sollte dir der Name trotzdem.“ „Es geht aber nicht darum, was mir gefällt, sondern um das, was du möchtest“, sagte sie bestimmt. „Bei Kairi hab ich dich auch nicht um deine Meinung gebeten.“ „Das war doch eine ganz andere Situation“, argumentierte er. „Außerdem gefällt mir ihr Name. Ich hätte so oder so Ja gesagt, wenn du mich gefragt hättest.“ „Darum geht’s hier gerade aber nicht. Du bestimmst den Namen allein und Punkt.“ Shikamaru drehte sich wieder zu Kairi um, die nach wie vor in den Hof schaute. „Ich weiß, dass dich das gerade nervt“, setzte Temari nach, „aber es kann doch nicht so schwer sein, einen Namen auszusuchen. Bei Kairi wusste ich nach zwanzig Minuten, wie ich sie nennen möchte, und das war einige Wochen, bevor sie auf der Welt war. Du denkst aber schon seit Monaten darüber nach und hast immer noch keine Idee?! Das kann doch nicht sein!“ „Eine Idee hab ich schon“, sagte er. „Aber …“ „Es ist so ein Familientraditionsding, oder?“, warf sie ein. „Oder sollte ich lieber klanübergreifendes Traditionsding sagen?“ Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht und trotzdem wusste sie, dass sie mit ihrer Vermutung Recht hatte. „Okay“, fuhr sie fort, „dann weiß ich den Anfang des Namens schon mal. Wie lautet die Endung?“ „Ist doch egal“, meinte er rasch. „Ich denk mir was anderes aus.“ „Jetzt sag schon“, forderte sie ihn auf. „Oder soll ich Rätselraten? Hab ich gerade echt Lust drauf, so ausgeruht, wie ich bin.“ „Gut“, gab er nach, „wenn du es unbedingt wissen möchtest …“ Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er: „Dai.“ „Shikadai?!“ Sie ließ den Namen kurz auf sich wirken, dann senkte sie die Stimme und flüsterte ihrem schlafenden Sohn zu: „Hast du gehört? Du hast endlich einen Namen.“ „Nein, hat er nicht“, widersprach Shikamaru so bestimmt, dass sich Kairi verwundert zu ihm umdrehte. Er kitzelte sie am Kinn, sie lachte und richtete anschließend ihre Aufmerksamkeit wieder auf das, was sich vor dem Fenster abspielte. Ihr Vater betrachtete sie noch ein wenig und fuhr in einem ruhigeren Tonfall fort: „Ich sagte doch, dass ich mir etwas anderes überlege.“ „Und wozu?“, fragte Temari. „Ich gebe ja gern zu, dass der Name wahrscheinlich nicht meine erste Wahl wäre, aber sonst ist er doch ganz schön.“ „Er macht aber keinen Sinn.“ „Und warum nicht?“, gab sie zurück. „Ino ist schwanger und Chouji ist doch vor Kurzem –“ „Eine Tradition symbolisch aufrechtzuerhalten ist doch genau so abgedroschen wie sein Kind nach einem verstorbenen Familienmitglied zu benennen“, erwiderte er. Obwohl er es in sehr netten Worten verpackt hatte, wusste sie genau, was er ihr damit sagen wollte. Ihr Sohn war hier, drei Tage von Konoha entfernt in der Wüste, und das bedeutete, dass es mit Ino-Shika-Chou nach mehreren Generationen definitiv vorbei war. Sie rutschte auf ihrem Bett noch etwas tiefer und ihre rechte Hand, mit der sie nicht ihr Baby festhielt, vergrub sich in ihrer Decke. Sie hatte sich in den letzten Wochen öfter mit dieser einen Frage beschäftigt und schließlich war ihr eines klar geworden. „Du musst keinen anderen Namen finden.“ Sie suchte seinen Blick und als sie ihn fand, sagte sie: „Ich habe nachgedacht. Wenn du in eineinhalb Jahren zurück musst, komme ich mit dir mit.“ Shikamaru schaute sie einen Moment argwöhnisch an, dann erschien in seinem Gesicht wieder die für ihn typische neutrale Miene. „Das musst du nicht tun“, meinte er gefasst. „Dein Zuhause ist schließlich hier.“ „Mein Zuhause und das unserer Kinder ist dort, wo du bist“, sagte sie. „Egal, ob es nun hier, in Konoha oder sonst wo ist.“ Sie ließ die Decke los und legte ihre Hand wieder auf ihren Sohn. Es war schlimm genug, dass sie überhaupt so lange gebraucht hatte, um das zu erkennen. „Das ist doch Quatsch.“ Er nahm seine Tochter wieder auf den Arm, als sie versuchte, sich mit wilden Balanceübungen auf der Fensterbank hinzustellen, und sagte: „Kairi ist dann drei und bekommt den Schock ihres Lebens, wenn sie so plötzlich auf ihre Onkel verzichten muss.“ „Das wird sicher nicht leicht für sie“, stimmte Temari zu, „aber weißt du, was ihr wirklich das Herz brechen würde?“ Er schwieg. „Wenn sie dich nicht mehr ständig sehen kann“, sagte sie. „Über Gaara und Kankurou wird sie hinwegkommen, aber dich braucht sie.“ Sie lachte kurz auf. „Ich meine, sieh sie dir an: Sie kennt dich gerade mal seit einem halben Jahr und liebt dich trotzdem abgöttisch. Und das nicht erst seit letzter Woche.“ Shikamaru schmunzelte flüchtig. „Und –“ „Shikadai wird einmal verdutzt gucken, weil es eine neue Umgebung für ihn sein wird, aber er wird sein erstes Zuhause schnell vergessen haben.“ „Ich meinte nicht ihn, sondern dich.“ „Du bist einen Kompromiss eingegangen“, begann sie, „also bin ich jetzt dran.“ „Vielleicht bin ich das“, sagte er, „aber eine Versetzung auf Zeit ist nicht mehr als ein halbherziger Kompromiss.“ Er ging zu ihr herüber und setzte sich auf die Bettkante. Kairi kroch auf den Schoß ihrer Mutter und musterte interessiert ihren kleinen Bruder. Sie warf ihren Kopf von links nach rechts und kicherte leise vor sich hin. „Für dich ist es das vielleicht“, begann Temari und nahm seine Hand, „aber für mich nicht.“ „Bist du dir sicher, dass du alles aufgeben möchtest, das du hier hast?“ „Wieso gebe ich alles auf?“ Ihr Blick schweifte zu ihren beiden Kindern. „Das Wichtigste nehme ich doch mit.“ Ihre Augen wanderten zurück zu ihm und sie schloss mit einem Lächeln: „Und hast du etwa schon vergessen, dass du ein paar Versprechen zu erfüllen hast?“ Shikamaru lächelte dankbar. „Wie könnte ich nur?“, erwiderte er und gab ihr einen Kuss. - Ende - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)