Venusbrüstlein von Suzette_Godault (-- eine Antonio - Salieri - Geschichte basierend auf dem Film "Amadeus" (1984) --) ================================================================================ Kapitel 1: Venusbrüstlein ------------------------- I   „Du, ich bin verliebt in den größten und berühmtesten Musiker Wiens unserer Zeit.“ „Aber das weiß ich doch, Stanzerl. Nicht umsonst bist du mit ihm verheiratet.“ „Verheiratet? Ich? Resi, du irrst dich!“ „Stanzerl, was soll nur dein Wolferl zu deiner Vergesslichkeit sagen? Du bist doch mit ihm verheiratet.“ „Wolferl? Aber ich mein’ doch nicht Wolferl …“ „Wie? Jetzt bin ich verwirrt.“ Constanze huschte ein Lächeln über die Lippen und ihre Augen blitzen vor Freude, als sie ihre Freundin so verwirrt vor sich sitzen sah. Sie kostete diesen Moment aus und nahm ihre Tasse Tee zur Hand, trank einen Schluck, ehe sie wieder aufsah. „Stanzerl, ist es nicht Wolferl?“, hakte Theresia nach und kam ihr näher. „Nein, doch nicht Wolferl. Sondern Antonio.“ „Antonio?“ „Ja, Antonio. Antonio Salieri. „Der Maestro?“, murmelte ihre Freundin, nur um sich sogleich die Hände vor den Mund zu halten. „Du bist in Maestro Salieri …“ „Ja, und er auch in mich.“ „Und … und was sagt Wolferl dazu?“ „Der weiß es nicht.“ „Der weiß es nicht?“ Constanze schüttelte den Kopf. „Nein, der weiß es nicht, denn so etwas sagt man seinem eigenen Ehemann für gewöhnlich auch nicht. Resi, manchmal stellst du Fragen ... Und du, sag’ es bloß nicht weiter, ja?“ „Salieri“, wiederholte Theresia. „Wie ist es denn dazu …?“ „Oh, Resi“, fuhr Constanze auf. „Resi, es war …“ Sie holte tief Luft. „Es war … ich war bei ihm, um Wolferl für die Stelle bei Hofe vorzuschlagen. Ich wollt’ bei ihm für Wolferl ein gutes Wort einlegen. Antonio hat doch so Einfluss. Sein Wort wiegt schwer. Ich bracht’ ihm also all die Werke vom Wolferl, die ich finden konnt’. Er empfing mich und dann aßen wir Venusbrüstlein.“ „Venusbrüstlein? Venus … Ihr habt Brüstlein gegessen?“ Theresia griff sich an die Brust und Constanze lachte laut auf. „Ja, edelstes Konfekt aus Italien. Ein kleines Stückchen Marone umhüllt von feinster Bitterschokolade, dazwischen süße Sahne und oben auf, der Nippel – eine Rosine. Köstlich!“ Sie unterbrach sich, griff sich ebenfalls an die Brust und lachte wieder laut auf. Ihre Freundin betrachtete sie nachdenklich von der Seite. „Und wie seid ihr dazu gekommen?“ „Er hat zwei gegessen, ich drei, weil ich nicht widerstehen konnte“, fuhr Constanze fort und leckte sich die Lippen, so als trüge sie noch immer den Geschmack dieser seltenen Praline auf den Lippen. „Ja, aber wie kamt ihr dazu? Man geht nicht einfach zum Hofkompositeur ein und lässt sich edle Pralinen servieren …“ Constanze winkte ab, um die Freundin zum Schweigen zu bringen. „Er behandelte mich mit Respekt, so wie es einer verheirateten Frau zukommt. Er bot mir einen Platz an, während er sich die Werke vom Wolferl ansah … Sehr auf Abstand bedacht, der Mann. Sehr. Aber seine Augen funkelten, wie, wie … Himmel, Resi, mir fällt kein Vergleich ein. Als er in den Noten vom Wolferl las, da funkelten seine Augen. Und dann schloss er sie auch einmal. Dann erhob er sich, legte seine Kopf in den Nacken und begann mit einer Hand zu dirigieren.“ „Ja, und?“, unterbrach sie Theresia. „Er fragte mich dann, ob ich das nicht bei ihm lassen könne, weil er es sich in Ruhe ansehen wolle. Da aber sagte ich ihm, dass das ganz unmöglich sei, weil es doch die Originale wären. Wolferl schreibt doch alles gleich ins Reine. Und da riss Antonio seine Augen ganz weit auf und kam mir näher. Das, sagte er, sind alles Originale? Ich nickte und sagte ihm auch, dass Wolferl nichts davon wüsste, dass ich hier sei und plötzlich lächelte er …“ „Er lächelte?“, fragte Theresia. „Ja, er lächelte.“ „Aha.“ „Antonio lächelt eigentlich oft, wenn ich’s mir genau überlege“, fuhr Constanze erstaunt fort. „Hast du’s noch nicht bemerkt? Du bist doch immer bei ihm zum Gesangsunterricht.“ Theresia sah ihre Freundin ernst an: „Ja, bin ich, aber dann sitzt er schon am Cembalo, ich trete heran, wir begrüßen uns, dann beginnt er zu spielen und ich singe dazu.“ „Was?“, stieß Constanze lachend hervor. „Er sitzt, du stehst, er spielt, du singst? Nichts weiter?“ Ihre Freundin nickte nur. „Und er ist immer ernst.“ Einen Augenblick lang herrschte Schweigen und Constanze betrachtete ihre Freundin aufmerksam. Sie kannten sich beide noch nicht allzu lange, waren sich vor etwa zwei Jahren hier in Wien zum ersten Mal auf einem Empfang begegnet und das eher durch Zufall. Theresia hatte in einer Ecke gestanden und sich mit niemandem unterhalten. Sie wirkte auf Constanze so, als wüsste sie nichts rechtes mit sich anzufangen zwischen all den Leuten. Sie war eine Gesangsschülerin von Maestro Salieri und mit dem war sie auch erschienen. Doch nun stand sie da, ein Glas Wein in der Hand, so allein. Da dachte sich Constanze, dass Theresia ein wenig Ablenkung benötigte. Und wie recht sie damit gehabt hatte, wusste sie, als Theresia schallend über ihre Witze lachte – und gelacht, das hatte sie gewiss noch nicht oft getan. Jedenfalls, so fand Constanze, sah Theresia nicht danach aus. Aber manchmal schaffte es auch Theresia Constanze zum Lachen zu bringen – so wie jetzt. Nur war sie sich nie sicher, ob Theresia überhaupt bewusst war, wie komisch sich einige ihrer Äußerungen anhörten. Doch die Zeit, darüber nachzudenken, wollte sich Constanze jetzt nicht nehmen. Jetzt musste sie loswerden, was ihr auf der Seele brannte. „Also“, hob sie wieder an. „Er geleitete mich zu einer Sitzgruppe, ließ sich mir gegenüber nieder und betrachtete mich mit leicht schräg gelegtem Kopf, dann zog er eine Schale heran – mit eben diesen Venusbrüstlein … Probieren Sie, bitte probieren Sie, Frau Mozart, hatte er gesagt. Ich nahm mir eines, biss hinein und … und ich kann dir gar nicht beschreiben, wie wundervoll dieser Geschmack ist. So sahnig, so süß und gleichzeitig herb. Dazu diese kleine Marone in der Mitte … Er nahm sich auch ein Venusbrüstlein und fragte dann: Sind Sie sicher, dass Sie die Werke Ihres Mannes nicht hier lassen möchten, um am Abend noch einmal wieder zu kommen?“ Constanze unterbrach sich, hob ihre Tasse Tee an die Lippen, trank. „Und seither seid ihr …“, fragte Theresia verwirrt. Constanze schüttelte den Kopf. „Nein, erst am Abend, als ich nackt vor ihm stand.“ „Nackt? Nackt vor dem kaiserlichen Hofkompositeur?“ „Ja, ja … anders geht’s ja nicht. Nicht wahr? Also Resi, Fragen stellst du …“ „Und … und er?“ Constanze zog ihre Nase kraus: „Er griff zum Glöckchen, wollte schon läuten, um mich hinauswerfen zu lassen, da dacht’ ich mir: Jetzt oder nie! Und dann ging ich auf ihn zu, nahm ihm die Schelle ganz flink weg und … küsste ihn …“ „Du hast ihn …?“, brachte Theresia mit heiserer Stimme hervor. „Du hast ihn …?“ „Geküsst, ja, und dann zog ich ihm seine Perücke herunter, du weißt, die mit dem Zopf hinten. Die steht ihm nicht, find’ ich. Die macht ihn so alt. Mir gefallen seine kurzen schwarzen Haare viel mehr.“ Theresia sah die Freundin nur an, brachte aber keinen Ton hervor, sodass Constanze fortfuhr: „Das sagte ich ihm auch, als er mich verwirrt ansah. Ich sagte ihm einfach: Wissen Sie, Ihnen steht diese Perücke nicht. Dann küsste ich ihn wieder und er …“ „Er …“, brachte Theresia mühsam hervor. „Schellte er?“ „Aber nicht doch.“ Constanze schüttelte den Kopf. „Er ließ es zu und reagierte dann auch. Er ist nicht kühl, nicht gefühllos. Er ist … Nun, er will Feuer spüren, dann gibt er es auch. So, mehr sag ich nicht.“ Constanze nahm ihre Tasse, setzte sich zurück und trank einen Schluck, doch die Freundin ließ sie dabei keinen Moment aus den Augen. „Er begann mich zu berühren“, setzte sie dann wieder an. „Wie?“ „Ja. Weißt’, er hat so große, kräftige und dennoch schlanke, sensible Hände.“ Theresia zuckte mit den Schultern. „Ich hab’ da noch nie so drauf geachtet.“ „Und jetzt brauchst du’s auch nicht mehr, denn er gehört mir.“ Theresia schwieg und Constanze fuhr fort: „Er berührte mich und ich glaube, da ist es passiert. Da habe ich mich in ihn verliebt. Er küsste mich und berührte mich. Ich war ja schon nackt oben rum und er berührte mich, so fein und zärtlich, wie er immer Cembalo spielt und doch ganz anders – intensiver, auch für ihn. Ich spürte es deutlich an meinem Leib und auch sein Blick verriet es mir. Seine Augen strahlten. Und wie sie strahlten, diese schönen dunkelbraunen Augen. Sie besaßen diesen seltsamen Schimmer, den man bei Männern nur ganz ganz selten sieht und da ist es passiert, da … Er ist ein wirklicher Italiener.“ Constanze seufzte und lehnte sich an ihre Freundin. „Du, Resi, ich glaub’, es ist Liebe …“ Diese rieb sie sich die Stirn. „Liebe?“ Constanze nickte mit leicht geöffnetem Mund und sah ihre Freundin an. „Ja, Liebe. Du … du singst doch ständig von der Liebe, oder? Vom Verliebtsein, von den Schmetterlingen im Bauch.“ „Ja und?“, entgegnete Theresia schulterzuckend. Constanze grinste. „Na, du bist ja eine. Aber weißt’, Wolferl schreibt gerad’ an einer Oper und er würde dich gerne haben. Dich! Was sagst? Er wird auch noch mit Antonio sprechen, ehe er dich fragen möcht’. Immerhin bist du seine Schülerin.“ Theresia nickte nur und Constanze sah sie nun ihrerseits irritiert an. „Also ich werd’ aus dir nicht schlau. Entweder bist du eiskalt oder dir ist gar nicht bewusst, was dieses Angebot bedeutet.“ „Und was geschieht dann, wenn ihr euch seht?“, fragte Theresia, so als hätte sie gar nicht mitbekommen, was ihre Freundin gesagt hatte. Constanze lächelte sogleich wieder: „Wenn wir uns bei ihm treffen, meinst du? Hmm … oft ist es ja nicht, aber dann will ich immer gleich – na ja, ihm ganz nah sein. Er aber zwingt mich zur Ruhe, sagt, ich solle mich setzen und ihm zuhören. Dann spielt er mir seine neuesten Kompositionen vor und dann, dann halt ich es irgendwann doch nicht mehr aus und schleiche mich von hinten an ihn heran und lege ihm meine Arme um die Schultern und küsse ihn aufs Haar, die Perücke trägt er ja nicht mehr. Obwohl, sie ihm herunterzuziehen, auch etwas hat.“ Constanze strahlte. „Und dann wendet er sich um und …“ „Mehr möchte ich gar nicht wissen“, winkte Theresia ab, doch Constanze fuhr unbeeindruckt fort: „ … und zieht mich auf seinen Schoß. Weißt’, wir sind dann wie Kinder. Ich beginne auf seinem Cembalo zu klimpern, viel kann ich ja nicht, und er tuts mir nach. Manchmal sind wir dabei ziemlich laut. Und zwischendurch füttert er mich mit den köstlichsten Pralinen und dann flüstert er mir ins Ohr, wie sehr er mich begehrt und wie sehr er meine Jugend liebt.“ „Und dann?“, warf Theresia ein. „Dann geht ihr in sein Gemach?“ „Ach, wo denkst du hin? Dann ruft er zuerst einmal seinen Diener und der bringt uns die herrlichsten Köstlichkeiten, an denen wir uns stärken und erst dann … Dann ...“ Constanze hob den Finger und riss die Augen ganz weit auf. „Dann, dann“, sagte sie nur und ließ den Finger wieder sinken. „Dann?“, murmelte Theresia und schloss die Augen. „Er hatte mich zu sich bestellt an jenem Abend, um sich die Noten vom Wolferl noch einmal anzusehen“, hörte sie die Freundin sagen. „Warum hast du sie ihm dann nicht gezeigt?“ „Noten, Noten, du denkst nur an die Noten. Aber ich rede von Liebe. Verstehst du, von Liebe! Natürlich habe ich sie ihm nicht gezeigt …“ „… und hast dich stattdessen einfach vor ihm entkleidet?“ Constanze schüttelte den Kopf. „Nein, nein, nein, so war das nicht. Er hatte mir gesagt, wenn Wolferl die Stelle unbedingt haben wolle, müsse ich am Abend wieder kommen. Das sei der Preis.“ „Und das hast du getan? Ja, warum denn nur?“ Constanze nickte. „Ja warum denn nur? Resi, du bist dumm. Ich hab’s getan, weil ich es wollte. Ich wollte es einfach.“ „Weil du Wolferl helfen wolltest, nicht wahr? Nur deswegen.“ Constanze zuckte mit den Schultern. „Ja auch, aber vor allem …“ Sie unterbrach sich, zog die Nase kraus und kicherte. „ … weil die Venusbrüstlein so köstlich sind.“ Theresia schüttelte nur den Kopf. „Ja“, beharrte Constanze. „Weil sie so köstlich sind. Und das sagte ich ihm auch. Weißt’, was er dann tat? Weißt du’s?“ Theresia zuckte mit den Schultern. „Was?“ „Kommst nicht drauf? Wie? Das, sag’ ich dir, hat’s Wolferl noch nie mit mir gemacht … Noch nie.“ Sie unterbrach sich, doch ehe Theresia etwas erwidern konnte, fuhr sie schon fort: „Er nahm sich ein Venusbrüstlein, biss hinein, dann ließ er die sahnige Füllung auf meine Schultern rinnen und dann …“ „Dann?“, hauchte Theresia, die Hände am Mund. „Ein wenig tropfte mir auch auf die Brüste“, kicherte Constanze. „Ja, und dann? Dann? Was tat er dann mit dir?“, fragte Theresia atemlos.   II Daheim fand sich Theresia vor dem großen Spiegel im Salon wieder und betrachtete sich lange: ihre kleine Gestalt, die abfallenden Schultern, das runde Gesicht. Sie sah sich in die geröteten Augen, spürte, wie ihr die Tränen hochkamen, sie sie kaum noch zurückhalten konnte. Ihre Lippen bebten und sie griff sich an die Brust. Dann holte sie tief Luft und wandte sich ab. Sie hatte einen Entschluss gefasst. Den ersten in ihrem Leben. „Warum möchten Sie den Unterricht bei mir nicht mehr besuchen?“ Theresia schwieg, während Salieri sie mit leicht zur Seite geneigtem Kopf betrachtete. „Können Sie mir den Grund nennen? Haben Sie etwa von anderer Seite ein vermeintlich besseres Angebot erhalten?“ Sie schüttelte den Kopf und er erwiderte ernst: „Und ich rate Ihnen, auch nie solch ein Angebot anzunehmen, denn es würde Ihrem Ruf schaden. Und dann könnte selbst ich Ihnen nicht mehr helfen.“ Sie schwieg. „Also, was ist der Grund?“, drang er wieder in sie. „Niemand hört einfach so bei mir auf.“ Sie betrachtete ihn nur, wie er am Klavier saß, die Hände schon auf der Tastatur, bereit sie zu begleiten. Wie immer. „Ich möchte den Unterricht bei Ihnen nicht fortführen“, wiederholte sie. Es entstand eine Stille, die er dadurch unterbrach, dass er sich erhob und Theresia zu einer Sitzgruppe führte. Er bat sie, sich zu setzen, er nahm ebenfalls Platz und betrachtete sie so lange, wie es einem Mann einer Frau gegenüber gerade noch gestattet war, ohne ihm ein ungebührliches Verhalten unterstellen zu können. Dann bemerkte sie plötzlich ein Lächeln in seinem Gesicht und sah, wie er ihr eine Schüssel hinschob. „Theresia, überlegen Sie es sich bitte“, sagte er leise. „Es wäre schade, wenn Sie all das aufgeben würden – zumal Sie selbst wissen, dass Sie in wenigen Wochen in meiner neuen Oper auf der Bühne stehen werden und wenn Sie das gut meistern, dann spricht ganz Wien über Sie ...“ Die Schüssel stand genau vor ihr, darin diese köstlichen Pralinen. „Wirklich schade, denn …“, setzte er wieder an und sah ihr in die Augen, ehe er den Blick abwendete. „ …verzeihen Sie mir meine Offenheit, aber, wenn Sie singen, sind Sie eine ganz andere Person, als die, die jetzt hier vor mir sitzt … Wissen Sie das? Sie bemerken das gar nicht, scheint’s … Und ich frage mich, woran das liegt.“ Er unterbrach sich, griff sich an den Mund. „Ich denke aber, Ihnen tut das Singen dennoch gut.“ „Ich singe eben ganz gern“, erwiderte sie und starrte die Pralinen an. „Sie singen ja eben ganz gern? – So nennen Sie das? So?“, brauste er auf, nur um sich im nächsten Moment wieder an den Mund zu greifen. „Ja, wie soll ich’s denn sonst nennen?“ Salieri schnaubte hörbar und schüttelte den Kopf. „Ich hatte bereits Schülerinnen, die ich wegen noch viel geringerer Dinge hinauswerfen ließ.“ „Sie müssen nicht schellen, Maestro, ich gehe von allein“, entgegnete sie. „Nun, nun“, hielt Salieri dagegen. „Habe ich gesagt, dass ich Sie hinauswerfen lassen möchte?“ „Nein, das nicht“, erwiderte sie und er nickte lächelnd, dann deutete er auf die Pralinen. „Möchten Sie vielleicht etwas davon nehmen? Es ist etwas ganz Besonderes.“ Sie schwieg. „Kennen Sie diese Köstlichkeit?“, flüsterte er. „Das sind Venusbrüstlein“, entgegnete sie ebenso leise und befeuchtete sich die Lippen. „Oh, woher wissen Sie das?“ „Ich habe sie schon einmal probiert“, antworte sie und schloss kurz die Augen. „Ach ja? Und wo?“ Sie schwieg und er betrachtete sie abwartend. „Was, wenn ich Ihnen das nicht glaube?“, begann er wieder. „Diese Pralinen sind nämlich sehr selten, um nicht zu sagen: Es gibt sie nur hier, in meinem Hause, da ich sie extra aus Italien kommen lasse. Und da ich nicht annehme, dass Sie sich heimlich hinter meinem Rücken … Oder möchten Sie mir tatsächlich gestehen, eine Nachkatze zu sein?“ Er lächelte. „Sie sind immer so schweigsam. Ich weiß nie, was sie denken.“ „So bin ich eben“, erwiderte sie und machte Anstalten zu gehen. „Gut!“, setzte er an. „Dann kann ich Ihnen nur wünschen, dass Sie diese Entscheidung niemals bereuen werden. Sollten Sie sich doch noch einmal umentscheiden, mein Haus steht Ihnen immer offen.“ Sie nickte, brachte ein Danke hervor und war schon bei der Tür, als er noch einmal das Wort an sie richtet: „Sagen Sie mir, warum haben Sie eigentlich mit dem Singen begonnen – und das dann auch noch bei mir? Immerhin verlange ich einen sehr hohen Preis.“ Sie wandte sich um, sah ihn genau vor sich stehen, schwieg einen Moment, dann öffnete sie den Mund: „Weil … weil ich schon als kleines Kind gesungen habe und mir meine Eltern gesagt haben, dass ich das recht gut könne, ebenso wie ich auch ganz gut zeichnen kann.“ Bei dieser Antwort blies er die Wangen auf, dann stieß er die Luft geräuschvoll aus. „Mir …“, hob er erneut an, bemüht seine Fassung zu halten. „Mir ist durchaus bewusst, dass Sie verwirrt sind. In den nächsten Tagen und Monaten wartet viel Arbeit auf Sie, aber bitte sagen Sie sich immer eines: Sie könnten es schaffen und deswegen bitte ich Sie, sich alles noch einmal genau zu überlegen. Denn, wenn Sie jetzt alles hinwerfen, dann …“     III Als Theresia auf die Straße hinaustrat, wusste sie nicht recht wohin. So lehnte sie sich an die Hauswand, schloss die Augen. „Stanzerl, …“, murmelte sie, „ …was, wenn du vom Maestro schwanger wirst, was dann? Ja, was machst du dann? Hast du dir das schon überlegt?“ Augenblicklich richtete sie sich gerade auf, hob den Kopf, sah kurz zur Seite und antworte sich selbst mit Constanzes Lächeln vor Augen und in deren Tonfall: „Ach, das passiert schon nicht. Antonio und ich, wir passen schon auf und außerdem will ich noch gar kein Kind.“ Dann hüpfte sie davon, so wie es Constanzes Art war, bis sie abrupt stehen blieb und sich die Hände vor den Mund hielt. „Und wenn es herauskommt, dass du und er …? Wien hat 1000 Ohren und noch mehr Münder“, flüsterte sie, wieder in sich zusammengesackt, nur um sich augenblicklich erneut aufzurichten und abzuwinken: „Wie soll das herauskommen? Es sei denn …“ Und gerade in dem Moment, da sie das Constanze zu sich selbst sagen ließ, fand sie sich vor dem Haus, in dem Constanze und Wolfgang wohnten, wieder und sah hinauf zu den Fenstern. Um diese Zeit, das wusste sie, war nur Wolfgang daheim. Er komponierte, während Constanze für gewöhnlich bei ihrer alten Mutter weilte, um diese bei ihren täglichen Verrichtungen zu unterstützen. Theresia biss sich auf die Unterlippe und ihr war in diesem Moment bewusst, dass sich die Wege von Constanze und ihr fortan trennen würden.     IV Seit Theresia keinen Unterricht mehr bei Salieri nahm, ging sie kaum noch aus dem Haus. Stattdessen begann sie zu malen – zumeist Gesichter: mit Bleistift, mit Kohle, auch Tinte mochte sie sehr. An Farbe wagte sie sich nicht heran. Sie hatte schon mindestens 10 Blätter fertig gestellt. „Kind, …“, klagte ihre Mutter. „ …du kannst doch nicht ewig diese verhutzelten, eingefallenen, kränklichen Gesichter zeichnen.“ „Fratzen“, schimpfte ihr Vater. Fratzen? Traurig? Eingefallen? Verhutzelt? Das fand Theresia gerade nicht. Sie empfand diese Gesichter, die keine Vorlage besaßen und einzig ihrer Phantasie entsprangen, eher als nachdenklich, vielleicht etwas melancholisch, aber keineswegs als traurig. Es waren eben Gesichter. Gut, hätte man sie gefragt, warum sie sie malte, dann hätte sie darauf keine direkte Antwort geben können. Diese Gesichter wollten einfach aus ihr heraus. Und sie konnte sich im Grunde auch nichts anderes mehr vorstellen, als einzig diese Gesichter zu malen. Aber eines Abends war Salieri im Haus ihrer Eltern erschienen. Ihm war es wohl noch immer ein Rätsel, warum sie keinen Unterricht mehr bei ihm nehmen wollte. Zumindest hatte er das gesagt. Dann hatte er auch mit ihr unter vier Augen gesprochen. „Überlegen Sie es sich noch einmal.“ Sie hatte geschwiegen. „Ich erwarte Ihre Entscheidung bis morgen früh. Ansonsten werde ich Madame Cavalieri bitten, Ihre Rolle zu übernehmen.“ „Ich fühle nichts“, hatte sie da einem Impuls folgend geantwortet. „Wie bitte? Was wollen Sie mir damit sagen, Theresia?“ „Nichts“, wiederholte Theresia, so als hätte sie die Frage nicht verstanden. Salieri hatte sie daraufhin lange betrachtet, so als wolle er etwas erwidern, unterließ es dann aber und war mit ihr wieder zu ihren Eltern gegangen. „Nun?“, hatte ihr Vater gefragt. „Ich kann Ihre Tochter nicht zwingen, aber ich möchte Sie bitten, dafür zu sorgen, dass sie etwas lernt, was ihren Fähigkeiten und Neigungen entspricht. Vielleicht wäre eine Kunstschule nicht schlecht. Ich kenne da eine sehr gute für junge Damen.“ „Meinen Sie nicht, …“, hatte Theresias Vater erwidert, „ … dass wir ihr einen Mann suchen sollten, damit sie endlich heiratet und Kinder bekommt? Salieri hatte mit den Schultern gezuckt: „Es ist Ihre Entscheidung, aber …“ „Sie haben ja recht, die nimmt eh keiner. Wir haben’s schon einmal versucht. Und was soll ich Ihnen sagen, Maestro, nichts. Keiner da, der sie auch nur eines Blickes gewürdigt hätte. Im Grunde wundert mich das auch nicht. Sehen Sie sie sich doch an“, hatte ihr Vater gesagt und abgewunken. „Ach, Kind“, hatte ihre Mutter gejammert. „Warum nur schmeißt du all das weg? Sieh, der Herr Hofkompositeur kommt extra her und will dir noch eine Chance gebe und du, du malst stattdessen diese Gesichter hier?“ „Fratzen“, hatte ihr Vater eingeschoben. „Wenn es wenigstens hübsche Gesichter wären, aber so …“ „Ich mag sie“, hatte Theresia entgegnet und das stimmte tatsächlich. Denn manchmal betrachtete sie sie ganze Stunden lang, berührte sie auch mit den Fingerspitzen. Es waren Gesichter von Menschen, die es vielleicht gar nicht gab und dennoch lebten sie. Sie fühle sich wie eine unter ihnen, von ihnen verstanden, angenommen – im stillen Reigen mit ihnen. „Also, wenn du das Zeichnen nicht lassen kannst, dann geh eben auf eine Kunstschule, wie Maestro Salieri uns geraten hat, und lerne was Schönes zu malen. Nicht immer so dieses olle Zeug. Vielleicht nimmt dich dann einer“, hatte ihr Vater schließlich gesagt. Sie konnte nicht sagen, dass sie sich auf dieser Kunstschule zwischen all den anderen Mädchen wirklich wohl fühlte, noch dazu, da sich diese außerhalb Wiens befand und sie somit gezwungen war, im Internat zu wohnen. Noch nie zuvor war sie auch nur einen Tag von ihren Eltern getrennt gewesen. Die vielen anderen Mädchen machten ihr überdies Angst. Zum Glück hatte sie ein eigenes Zimmer, in das sie sich zurückziehen konnte, wann immer ihr danach war. Und ihre Gesichter durfte sie auch weiter malen – in einem eigenen kleinen Atelier, das sich eine Treppe über ihrem Zimmer befand. Hier verbrachte sie Stunde um Stunde mit ihren Bildern. Und anders als ihre Eltern erkannten die Lehrer darin keine Fratzen, sondern Gesichter. „Die leben“, hatte ihr ein Dozent gesagt. „Sie sprechen zu Ihnen, nicht wahr?“ Theresia nickte. „Wissen Sie denn auch, was sie sagen?“, hatte er gefragt. Sie schüttelte den Kopf. „Na dann …“, hatte ihr Dozent erwidert. „ … finden Sie heraus, was sie Ihnen erzählen möchten. Versuchen Sie auf sie zu hören. Hier haben Sie die Gelegenheit dazu.“ Er hatte sie leicht an der Schulter berührt und im Atelier allein gelassen. Allein mit ihren Gesichtern, die ihr etwas sagen wollten und sie aus großen Augen ansahen. Seit dieser Zeit spürte sie einen Schmerz in sich, wann immer sie eines dieser Gesichter fertig stellte. Zuerst war’s nur ganz schwach gewesen, aber je mehr Gesichter sie malte, desto intensiver wurde es – vor allem in der Magengegend. Sie kannte diese Art von Schmerz noch nicht, denn es war nicht so, als hätte sie sich den Magen verdorben. Auch der Schmerz, der sie einmal im Monat ereilte, war anders. Es war ein neuer Schmerz. Reißend, auch klopfend. Und als sie eines Abends ein schmales Gesicht mit großen dunklen Augen vollendet hatte, da spürte sie auch einen Stich im Herzen – so heftig, dass sie zusammenzuckte und meinte, ernstlich krank zu sein. Sie ließ sich nichts anmerken, nickte nur, wann immer ihr Lehrer auf sie zukam und sie fragte, ob sie Fortschritte mache. Doch im Grunde hatte sie nur noch Schmerzen und sie musste die Zähne zusammenbeißen. „Was?“, murmelte sie. „Was wollt ihr mir sagen?“ Und im Kerzenschein ging sie Bild um Bild ab, blieb vor jedem einzelnen stehen und auch vor ihrem letzten. Und wieder spürte sie ein Reißen im Leib, als sie ihm in die Augen blickte. „Du? Was willst du mir sagen?“ In den wenigen Stunden, die sie sich niederlegte, träumte sie wirr – sah sich durch Wien irren, getrieben von etwas Unbenennbarem und wachte am Morgen vollkommen verschwitzt auf. Wenn sie sich jetzt fragte, was sie fühlte, dann war da nur Angst in ihr. Große Angst. Sie wusste mit diesem Reißen im Bauch nicht umzugehen, sie wusste auch die Herzstiche nicht einzuordnen. Heimlich ging sie zum Doktor des Ortes. Der untersuchte sie, fand aber nichts. „Kerngesund“, meinte er. „Vielleicht ein bisschen blass, aber das ist bei jungen Damen nichts Außergewöhnliches.“ Die Worte des Arztes änderten nichts daran, dass es ihr nicht gut ging. Und das bemerkte auch ihr Dozent. „Vielleicht ist es besser, wenn Sie einmal eine Pause machen und zurück zu ihren Eltern gehen?“, fragte er sie. Sie aber schüttelte den Kopf. „Ich muss zeichnen, ich muss. Die Gesichter wollen aus mir heraus.“ „Passen Sie auf, dass es nicht in Besessenheit ausartet.“ Und wieder saß sie des Nachts im Atelier, die Kerzen entzündet und betrachtete ihre Bilder. Sie wusste, dass da etwas war. Wusste es, denn sie fühlte es, auch wenn sie es nicht benennen konnte. Es tat so weh, aber sie zwang sich trotzdem, auch ihr letztes Bild zu betrachten. Und wieder die Frage: „Was willst du?“ Dabei sah sie die dunklen Augen auf sich gerichtet. Und plötzlich sprang sie, von einem Impuls gepackt, auf, holte sich eine Leinwand, stellte sie auf die Staffelei und rührte sich im Schein der Kerzen Farben an. Dabei sah sie immer wieder zu diesem Bild hinüber. Die Augen schienen im Kerzenlicht zu funkeln und sie begann zu arbeiten. Tage, Nächte lang. Geriet in einen Rausch und setzte doch jeden Pinselstrich mit Bedacht. Als sie das Braun anrührte, fragt sie sich, ob es an Intensität ausreichte. Und dann spürte sie wieder dieses Reißen ins sich, das sie antrieb. Und als sie die Wiese malte, da überlegte sie, wie grün sie sein durfte, damit sie nicht den Blick auf das Wesentliche versperrte. Dieses Gemälde würde anders werden. Ganz anders. Das wusste sie und ihr Herz tobte dabei. Aber als es fertig vor ihr stand und sie einen Schritt zurücktrat, um es zu betrachten, schlug sie die Hände vor den Mund und sank auf die Knie. So groß war der Schreck! Das hatte sie also gemalt! Das? Tränen traten ihr in die Augen. „Das …“, schniefte sie und robbte zu der Kohlezeichnung hinüber, sah zu ihr hinauf und faltete die Hände. „Das habe ich nicht gewollt. Das nicht. Ich werde es vernichten“, stieß sie hervor, die dunklen Augen auf sich gerichtet wissend. „Ich versprech’s, ich werde es vernichten. Das darf nicht sein! Niemals!“ In diesem Moment packte sie wieder das Reißen im Leib. Sie krümmte sich am Boden zusammen und schrie, weil sie es vor Schmerzen nicht mehr aushielt. Als Theresia wieder zu sich kam, fand sie sich in ihrem Bett im Internat wieder. Es war Tag. Die Sonne schien zum Fenster hinein. Aber sie fühlte sich schwach, müde und nur dunkel konnte sie sich daran erinnern, dass sie es irgendwann geschafft hatte, in ihr Zimmer zu kommen, sich ins Bett fallen zu lassen, um zu schlafen. Aber all das spielte jetzt keine Rolle mehr. Ein vollkommen anderer Gedanke durchzuckte sie: Sie musste wieder hinauf ins Atelier. Sie musste ihr Bild vernichten. Es endlich vernichten. Niemand durfte es sehen! Das hatte sie gestern Nacht noch tun wollen und es nicht mehr geschafft, weil ihr schwarz vor Augen geworden war. Aber jetzt, jetzt musste es geschehen! Es war ein großer Fehler gewesen, dieses Bild zu malen, sich das überhaupt zu gestatten. Noch nie in ihrem Leben war sie so weit gegangen, noch nie! Das kannte sie überhaupt nicht von sich. Und das machte ihre Angst. Und so raffte sie sich jetzt auf, nahm Stufe um Stufe hinauf unters Dach, fand die Tür nur angelehnt, öffnete sie mit klopfendem Herzen und erstarrte im nächsten Moment, denn da stand jemand genau vor ihrem Bild und betrachtete es. Ein Mann. Ihr Herz raste und sie meinte, neben sich zu stehen, als er sich umwandte. „Maestro“, murmelte sie. Schon spürte sie wieder dieses Reißen in der Magengegend. Sie befand sich dort an der Tür und konnte sich nicht bewegen. „Lassen Sie mich dieses … dieses da vernichten“, brachte sie schließlich hervor. Er schwieg, sah sie nur an, sodass sie den Blick niederschlug. „Verzeihen Sie mir“, flüsterte. „Das Bild ist ...“ „Verraten Sie mir, was das sein soll?“, unterbrach er sie. Er deutete auf ihr Gemälde und sah sie unverwandt an. Doch sie schwieg. „Sagen Sie es. Schließlich haben Sie es doch gemalt.“ In seiner Stimme meinte sie einen leisen Groll zu bemerken und duckte sich. Am liebsten wäre sie gegangen, weggerannt. Doch so als wüsste er um ihre Gedanken kam er auf sie zu, nahm sie am Arm und zog sie vor ihr Gemälde. „Was soll das hier sein?“ Beim Anblick ihres Gemäldes spürte sie wieder dieses Reißen im Magen und keuchte leise. „Ich höre“, drang er in sie und sie begriff, dass sie etwas sagen musste, sonst würde er sie nicht wieder loslassen. Er stand genau hinter ihr. Sie meinte seinen Atem im Nacken zu spüren. „Nun?“ Sie schnappte nach Luft. „Ich warte.“ „Ich …“, setzte sie an. „ … weiß nicht.“ „Sie wissen nicht? Sie haben es gemalt und wissen nicht, was es ist?“ „Doch“, entgegnete sie matt. „Doch …“ „Dann sagen Sie es mir endlich.“ „Eine Wiese …“ „Eine Wiese? Nur?“ Seine Stimme klang tief und wieder spürte sie dieses Reißen in sich. „Bitte zwingen Sie mich nicht dazu, es zu sagen.“ „Warum, wovor haben Sie Angst?“ Sie spürte Tränen in ihren Augen und biss sich auf die Unterlippe. „Ich habe Sie nicht ohne Grund hierher schicken lassen“, setze er wieder an. „So?“ „Ich wollte, dass Sie zu sich selbst finden und nun stehe ich vor diesem Gemälde hier. Von der Kohlezeichnung da hinten an der Wand möchte ich gar nicht reden“, erwiderte er ruhiger und berührte sie an der Schulter. Sie errötete. „Ich kenne den Leiter dieser Anstalt“, fuhr er fort. „Er unterrichtete mich über alles, was Sie taten. Auch über dieses Gemälde hier und, dass es Ihnen dabei immer schlechter ging. Was bewegt Sie? Was geht in Ihnen vor? Sagen Sie es mir!“ Sie schwieg und er schnaubte leise. „Wollen Sie mir mit Ihrem Schweigen etwa sagen, dass Sie während der Arbeit an diesem Bild auch nichts empfunden haben?“ „Bitte lassen Sie mich los und mein Werk vollenden. Es zerstören. Bitte!“ „Warum?“, fragte er. „Warum wollen Sie ein Liebespaar zerstören?“ „Weil … weil …“ Sie griff sich an die Kehle und er fuhr fort: „Mann und Frau – beide auf einer Wiese – einander so nah. Und er … er träufelt ihr sogar etwas auf die Schulter. Was, so frage ich Sie, was ist das?“ Sie schniefte nur leise. „Etwa Venusbrüstlein?“, flüsterte er. „Ich kann …“, begann sie tonlos und wandte sich halb um. Beider Blicke trafen sich. „Ich kann Sie nur nochmals um Entschuldigung bitten. Das hätte mir niemals passieren dürfen. Wenn … wenn Sie es also wünschen, vernichte ich es. Ich hatte es eh vor. Wirklich, aber ich hab’s nicht mehr geschafft.“ Er sah sie ernst an, ehe er sie losließ und sich wieder dem Gemälde zuwandte. Ihr war klar, dass er sich soeben in die eigenen braunen Augen blickte. „Reden Sie nicht vom Vernichten“, brachte er schließlich hervor. „Damit ist niemandem geholfen.“ „Aber …“ „Aber?“, wiederholte er. Sie starrte ihn an. „Es hat keine Zukunft.“ „Was meinen Sie damit?“ Sie schwieg. „Theresia, bitte, was hat keine Zukunft? Die Erinnerung, die Sie eigentlich gar nicht teilen dürften oder etwa Ihr eigenes Leben?“ Sie schniefte. „Was wollen Sie mit diesem Bild aussagen? Wollen Sie etwas im Nachhinein bewahrheiten, was längst Geschichte ist oder …“ „Ich, das müssen Sie mir glauben, …“, unterbrach Theresia ihn. „… habe es nie … niemandem verraten, dass … Glauben Sie mir, ich habe immer geschwiegen.“ Sie sah ihn von der Seite her an. Um seinen Mund zuckte es. „Ich weiß, denn diese Liaison habe ich selbst beendet“, erwiderte er. „Und das recht bald nachdem sie begonnen hatte.“ „Und … und warum? Stan … Constanze sprach damals von Liebe.“ „Liebe?“, erwiderte er und winkte ab. „Es war bloße Leidenschaft, die mir schnell langweilig wurde.“ „Und da haben Sie es einfach beendet?“ Er nickte lächelnd. „Und außerdem hat die Dame schließlich ein Kind erwartet.“ „Und … und was hat Constanze dazu gesagt, dass Sie sich von ihr …?“ „Wir wollen doch hier nicht über die Vergangenheit sprechen, …“, unterbrach er sie. „ … sondern über das Hier und Jetzt. Und ich möchte gern wissen, was Sie mit Ihrem Bild aussagen wollen? Sagen Sie es mir.“ Sie senkte den Kopf, doch er legte einen Finger unter ihr Kinn und zwang sie so, ihm in die Augen zu sehen. Wieder spürte sie dieses Reißen in sich – diesmal so stark, dass sie zusammenzuckte. Sie öffnete schon den Mund, hielt aber einen Moment lag inne. „Es …“, begann sie dann. „Es ist diese Erinnerung, von der mir Constanze erzählte.“ „Natürlich“, erwiderte er prompt, kam ihr noch näher und berührte sie an der Wange. „Theresia, …“, flüsterte er und neigte sich zu ihr hinab. „ …was, wenn ich Ihnen nicht glaube, dass Sie nichts empfinden?“ Ohne den Blick von ihr abzuwenden, deutete er hinter sich auf die Kohlezeichnung. Sie legte den Kopf schief. „Ich meine beim Malen und auch beim Singen“, fügte er rasch hinzu. „Und deswegen …“ Er holte tief Luft, lächelte: „Theresia, ich brauche Sie ... ich habe gerade meine neue Oper fertig gestellt und nur Sie kommen für die Frauenrolle in Frage.“ Theresia schwieg. „Nun, was sagen Sie?“ „Ich ... ich habe Bauchschmerzen, Maestro.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)