Zum Inhalt der Seite

Rivale oder Geliebter?

Touya Akira x Shindou Hikaru
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Dieser Urlaub ist gar nicht so schlecht!

Kapitel 1 – Dieser Urlaub ist gar nicht so schlecht!

Das Finalspiel zwischen Shindou Hikaru und Touya Akira war zu Ende. Der göttliche Zug war gespielt worden und Touya war als Verlierer hervor gegangen. Und dann passierte, was passieren musste, wenn man den hitzigen Charakter des jungen Mannes bedachte: Er fiel nach dem geradewegs vom Stuhl in Ohnmacht.

Diese Anfälle häuften sich, je mehr Spiele er darauf versuchte, zu spielen. Und letztlich war es Shindou, der einen Entschluss fasste.

Das geschmeidige Leder des türkisfarbenen Sofas fühlte sich angenehm an. Wo war er? Touya öffnete die Augen und fand sich im Büro des Direktors vom Institut für Go wieder. Aber war war nicht allein. Neben seinem Bett saß sein Erzrivale Shindou Hikaru.

„Shindou! Was machst du hier?!“

„Du bist wieder umgekippt. Du, Touya. Wollen wir vielleicht zusammen in die Ferien fahren?“

„Wie bitte?! Wieso sollte ich mit dir in den Urlaub fahren?“

„Ich glaube eine Auszeit vom Spielen würde dir gut tun.“

„Als ob. Mir geht es prächtig.“

„Ich sehe es. Das ist schon das siebte Mal diese Woche, dass du umgekippt bist ...“

„Tsk. Das ist nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest.“

„Tu ich aber. Komm schon, fahr mit mir weg.“

„Nur über meine Leiche.“

„Entscheiden wir es mit einem Spiel?“

„Wegen so was willst du mit mir spielen?“

„Ja.“

Touya wirkte gekränkt, aber sein Stolz wiederum ließ es nicht zu, dass er ablehnte. Ein Fehler, wie er schnell bemerken musste, denn Shindou schlug ihn ein weiteres Mal. Also war Touya gezwungen, mit Shindou in den Urlaub zu fahren.

Dass er dazu gezwungen wurde, zeigte er mit seiner gekrümmten Haltung während der gesamten Zugfahrt und dem dunklen Gesicht überdeutlich. Aber Shindou ließ sich davon nicht beirren.

'Sturrschädel', dachte er sich nur und blickte zum Fenster hinaus.

Ihr Ziel war Wakabayashi, ein Onsen-Kurort an der Westküste Japans. Es war ein japanisches Hotel mit Meerblick.

„Oh wahnsinn!“, freute sich Shindou und zog erstmal kräftig die Flügel des Balkonfensters auf. Der Balkon war nicht besonders groß, aber der Ausblick war himmlisch. Touyas Blick fiel lediglich auf den niedrigen Tisch, der vor dem Fenster aufgebaut worden war. Er war mit dunkelroten Lack bezogen und zwei Teetassen und eine kleine schwarze Kanne standen darauf.

„Hier kann man sicher gut Go spielen“, murmelte er und kniete sich auf einem Sitzkissen neben dem Tisch nieder.

„Das wirst du nicht!“, schrie Hikaru aber und schlug so laut mit der Hand auf den Tisch, dass Touya zurück wich. „Wir sind hier, damit du dich ein bisschen erholst!“

„Wie ich mich erhole, weiß ich wohl selbst ab besten!“, gab Touya gereizt zurück.

„Wir gehen jetzt erstmal ins Onsen!“, entgegnete Hikaru widerum und zerrte Touya ohne weiteres mit sich.

„Hey – Moment mal – warte! Shindou!!“, schrie Touya, kam aber nicht von Shindous Griff los. Und so schaffte Shindou es schließlich, den anderen jungen Mann bis hinunter ins Onsen zu schleifen.

Als sie im Umkleideraum ankamen, seufzte Touya nur einmal schwer. Aus dem Bad hallten lachende Stimmen und überhaupt war die Vorstellung, sich nach langer Zeit ein heißes Bad gönnen zu können verlockend.

„Wenn ich schon ohnehin hier bin, kann ich auch gleich reingehen …“, gab Touya klein bei.

„Yes!!“, freute sich Hikaru und zog sogleich sein T-Shirt über den Kopf. Als vor Touya plötzlich ein halb nackter Shindou stand, drehte er sich rasch um.

„Hast du eigentlich keine Scham?“, knurrte Touya.

„Wieso? Wir sind doch beides Männer. Und nachher im Bad haben wir doch ohnehin fast nichts mehr an“, wunderte sich Shindou und legte seine Hose ab.

An diese Tatsache erinnert, zuckte Touya für einen Moment zusammen und krallte seine Finger in sein teures Hemd.

„Du bist schon einer. Ich werd dir schon nichts weggucken. Oder hast du etwa Angst?“ Seine Frage schloss Hikaru mit einem deutlichen Grinsen ab.

„Vor was denn bitte?“, zischte Touya und begann, Shindou noch immer den Rücken zugewandt, langsam sein Hemd aufzuknöpfen.

„Ich geh schon rein. Und wehe, du haust ab!“

„Als ob ich so was nötig hätte!“, gab Touya zurück, seufzte dann aber doch erleichtert, als er allein im Umkleideraum war. Er entkleidete sich vollständig und band sich schließlich das weiße Handtuch um die Lende. Dann betrat der das Bad. Shindou hatte sich wohl schon gewaschen, denn er saß bereits im heißen Wasser und hallte den Kopf ab Beckenrand abgelegt. Seine Augen waren geschlossen.

'Ein ziemlich ernste Haltung für diesen Quatschkopf,' dachte sich Touya, ging dann aber wortlos an diesem vorbei und begann sich, der Wand zugewandt, die Haare und den Körper zu waschen. Das heiße Wasser tat gut. Es war ungewöhnlich weich und das Shampoo schäumte richtig gut. Das letzte Mal, dass er in einem Onsen gewesen war, war mit seinem Vater. Aber das war jetzt auch schon gut zehn Jahre her. Damals hatte er noch den Arm heben müssen, um zum Duschgriff greifen zu können. Inzwischen war er weit darüber hinaus gewachsen. Er übergoss sich noch ein letztes Mal mit heißem Wasser, dann begab er sich in Richtung Becken. Mit der Fußspitze prüfte er das Wasser, aber bald zog etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich. Shindou starrte ihn vom Becken aus mit überraschtem Gesichtsausdruck an.

„Ist was?“, fragte Touya schroff.

„Was soll schon sein?“, gab Hikaru beleidigt zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

Hikaru seufzte. Gerade eben hatte er noch gedacht, wie hübsch Touya doch war, und wie schlank. Aber wenn diese hübsche Gestalt den Mund aufmachte, war es vorbei mit der Träumerei. Konnte er nicht ab und zu mal ein bisschen freundlicher sein?

Touya setzte sich zu Shindou. Es war nicht so, dass er Shindou nicht leiden konnte. Aber so intim, dass er nun in einem Bad neben ihm saß, wollte er nun auch nicht mit ihm werden. Andererseits hätte dieser aufdringliche Kerl vermutlich nur wieder lästige Fragen gestellt, hätte Touya sich fort gesetzt. Das einfachste würde sein, neben ihm zu sitzen und ihn zu so gut es ging zu ignorieren, legte Touya für sich fest und schloss die Augen. Shindou würde es ohnehin nicht mehr lange in dem heißen Wasser aushalten.

„Du, Touya. Warst du davor schon einmal in einem Onsen?“

Da war sie schon, eine der lästigen Fragen. „Ja, vor einigen Jahren mit meinen Eltern,“ gab Touya knapp zurück.

„Dann bist du also auch mit deiner Familie her gekommen!“, freute sich Shindou. „Genau wie ich.“

„Hmmm,“ gab Touya desinteressiert zurück.

Hikaru blickte unzufrieden in das sich kräuselnde Wasser. Zu gerne hätte er mit Touya ein Gespräch angefangen, aber er redete wieder nur Mist. Aber Touya hatte auch überhaupt keine Lust, mit ihm zu reden. Jeder normale Mensch hätte sich doch über ein paar Tage Ferien gefreut, aber für Touya war es wohl wirklich so, dass er mitgeschleift wurde. Worüber könnte ich mit Touya nur reden? Außer über Go?

'Langsam wird es echt heiß hier …', stellte Shindou bitter fest. 'Aber ein bisschen halte ich das noch aus.'

Als Shindou nach weiteren zehn Minuten des Grübelns noch immer im heißen Wasser saß, kam ein leichtes Räuspern von Touyas Seite.

„Wenn du noch länger hier sitzen bleibst, dürfen wir dich nachher aus dem Becken aufsammeln.“

Shindou schreckte auf. „Machst du dir etwa Sorgen um mich?“, freute er sich und grinste.

„Nein. Es wäre nur lästig. Aber dir macht es ja nichts aus, anderen Leuten zur Last zu fallen.“

„Wie meinst du das?!“

„Du hältst mich mit diesem Urlaub von meinem nächsten wichtigen Spiel ab.“

„Das sind doch bloß drei Tage!“

„Glaub nicht, dass ich diese drei Tage verbringen werde, ohne Go zu spielen.“

„Das werden wir noch sehen!“, rief Hikaru und begab sich endlich aus dem Becken. Ihm erschienen schon etliche schwarze Punkte auf der Sichtfläche, doch er wankte tapfer bis zur Treppe des Beckens und ging nach draußen, um sich abzukühlen. Touya seufzte wieder und schlug endlich die Augen auf. Vor ihm lag der Stein, aus dem die Onsenquelle rann. Er war schwarz und schön heraus gehauen. Dieser verfluchte Shindou, was hatte er auch die Zeit im Onsen so heraus gezögert? Nun war Touya bereits verflucht heiß und er war gezwungen, das Becken zu verlassen.

Eigentlich wollte er nicht nach draußen auf die Veranda zu Shindou. Andererseits wollte er sich abkühlen und es war nun einmal eines der schönsten Dinge, nach einem heißen Bad draußen ein wenig frische Luft zu schnappen.

'Wieso lasse ich mich von einem Idioten wie Shindou überhaupt einschränken?!', fluchte Touya und ging schon rein aus trotz hinaus auf die Veranda. Über das Geländer gelehnt stand ein leicht muskulöser junger Mann mit breiten Schultern und schwarzem, kurzem Haar. Das Gesicht war Touya verborgen. Sonst war niemand zu sehen.

'Wo ist Shindou?', fragte sich Touya, biss aber gleich darauf die Zähne zusammen. 'Ich sollte froh sein, wenn er nicht da ist.'

Auch wenn es keine wirkliche Freude war, so kam sie dennoch zu früh, denn als der junge Mann sich umdrehte, wurde der blond gefärbte Pony sichtbar. Shindou lehnte sich nun mit dem Rücken an das Geländer gewandt nach hinten und stützte die Ellenbogen auf.

„Hey, Touya!“, rief er, dem noch immer unentschlossen da stehenden jungen Mann zu.

„Zu früh gefreut … “, grummelte Touya und wandte Shindou den Blick zu. „Hall-“, setzte er schon an, als sein Blick auf den bis auf das Handtuch frei liegenden Körper von Shindou fiel.

'Verdammt, sieht der gut aus!', erschrak Touya sich, fasste sich aber schnell wieder und blickte zur Seite. Dass Shindou einen so sportlichen Körper hatte, sah man ihm in seiner normalen Kleidung gar nicht an. Aber Sport betrieb er bestimmt keinen, dazu hatte er keine Zeit. Musste wohl die Veranlagung sein.

„Was ist denn, Touya?“, fragte Shindou verdutzt.

„Was soll schon sein?“, gab Touya nun die Retourkutsche und ging zurück in den Innenraum.

„Dieser - !“, fluchte Shindou und ballte die Faust. Verflucht sei sein Adoniskörper und das hübsche Gesicht!
 

Den Rest der Zeit gingen sich beide so gut es ging aus dem Weg. Zwangsweise fanden sich sich zum Abendessen aber wieder nebeneinander am Tisch. Das Essen war köstlich. Frischer Fisch und sonstige Speisen aus dem Meer, kühler Tee und ein Glas frisch gepresster Saft und als Hauptgang ein Eintopf.

„Lecker!“, freute sich Hikaru und seine Augen strahlten. Gutes Essen konnte schlechte Laune bei ihm wirklich vertreiben. Und deshalb nahm er davon besonders viel und besonders schnell zu sich.

Touya saß in seiner Manier wieder wie festgefroren auf seinem Platz und schob, trotz großem Hunger, langsam Stück für Stück seines Essens in den Mund. Der Fisch war wirklich gut. Aber was sollte man von einem Hotel, das am Meer lag, anderes erwarten? Das Hotel im allgemeinen war sehr schön, und die Atmosphäre perfekt, wenn man von Touyas unmöglicher Begleitung absah. Kein halbwegs erzogener Mensch würde Essen so in sich hinein schlingen. Und jetzt starrte ihn dieser Bengel schon wieder an!

Hikaru hatte eigentlich keine Lust, sich bei diesem Gockel von Touya zu entschuldigen, aber sie würden noch die nächsten zwei Tage miteinander verbringen. Also wäre es sinnvoll, wieder Frieden zu schaffen. Warum war es eigentlich immer er, der auf Touya zu ging? Touyas lange, makellose Finger hielten die Stäbchen elegant und nichts schien ihn bei Essen aus der Ruhe zu bringen. Die Haare hatte er gewöhnt und penibel gekämmt, nachdem sie aus dem Bad gekommen waren. Dafür, dass er Touya dabei zugesehen hatte, hatte schon bereits einen Todesblick von Touya durch den Spiegel reflektiert bekommen. Also hatte Shindou es sich gespart, die Haare zu föhnen, sie mit dem Handtuch kräftig gerubbelt und so gut es ging glatt gestrichen.

'Das wird schon reichen', hatte er sich gedacht.

„Du, Touya,“ begann Shindou und der Angesprochene wandte ihm einen ernsten den Blick zu. Wenn Touya ihn so anblickte, hatte Shindou eigentlich schon keine Lust mehr, weiter zu sprechen. Jetzt bloß kein Hasenherz sein!

„Wollen wir nachher vielleicht einen Spaziergang machen?“

„Kein Interesse,“ war die Antwort.

„Na, dann nicht,“ antwortete Shindou mit einem Lächeln, bei dem er ordentlich die Zähne zusammen biss.

Dieser ****** hatte nicht mal über seine Antwort nachgedacht! Aber schön, dann eben kein Spaziergang. Dann würde er eben nur aufpassen, dass Touya nicht auf die Idee kam, wieder zu Go spielen. Das hatte er bestimmt schon getan, bevor es Essen gab. Seit wann war Shindou überhaupt zu Touyas Aufpasser degradiert worden?! Das nervte echt!

„Du musst nicht versuchen, mich zu beschäftigen“, meinte Touya, während er ein Stück Tofu zwischen seinen Stäbchen fixierte und es ohne fallen zu lassen locker in den Mund schob.

„Du könntest mich wenigstens anschauen, wenn du mit mir redest!!“, schrie Hikaru schon und erhob sich hastig. „Mach doch was du willst! Aber dein Go-Brett nehme ich in Gewahrsam!“

„Shindou! Lass die Finger von meinen Sachen!“, rief Touya und stand gezwungenerweise auf.

„Pah!“

Touya verfolgte Shindou bis in den Gang und hielt ihm am Arm fest, wodurch Shindou zurück gezogen wurde und damit Touya näher kam, als dieser wollte. Sofort wich dieser einige Schritte zurück.

„Was hast du denn?“, ärgerte Shindou sich. „Glaubst du, ich gehe gleich auf dich los, oder was?“

Diese Frage konnte Touya selbst nicht so recht beantworten. Er wollte Shindou einfach nicht zu Nahe kommen. „Lass die Finger von meinem Go-Brett,“ sagte Touya schließlich, klang dabei aber unsicherer als gewollt.

„Nur, wenn du nicht spielst.“

„Ich bin ein Profi-Spieler! Wir sind beide Profis! Um genau zu sein, die Go-Elite von Japan! Was denkst du dir eigentlich?“

„Dass auch die Elite mal Pause braucht, wenn sie beim Spielen umfällt.“

„Tsss. Der Umgang mit dir kostet mich zwanzig mal mehr Nerven als ein Go-Spiel.“

Das tat weh. Hikaru schwieg daraufhin nur noch und wandte den Blick zu Boden. „Mach doch, was du willst.“ Dann drehte er sich um und eilte in Richtung Zimmer.

Touya blieb wie erstarrt im Gang stehen. Ganz so bösartig wollte er nicht sein. Er hatte sogar die Hand erhoben, um Shindou aufzuhalten, doch diese hatte ins Leere gegriffen. Als Touya bemerkte, dass seine Geste sinnlos war, ließ er den Arm betrübt sinken. Warum war er bei Shindou nur immer so hitzig? Das war nicht nur heute so. Schon von Anbeginn raubte ihm der Junge den Schlaf. Wie oft hatte er dagelegen und sich Gedanken darüber gemacht, wie Shindou spielen würde? Vielleicht war er so hitzig, weil er der einzige war der ihm ebenbürtig war? Warum machte sich Shindou bloß Sorgen um ihn, wo sie doch mehr Rivalen als Freunde waren? Wollte er sich vermutlich einen gesunden Rivalen erhalten? Vielleicht war es nicht fair, so mit Shindou umzugehen. Auch wenn er manchmal wirklich anstrengend war.

Geknickt schlich er bis zu ihrem Zimmer. Touya legte noch immer in Gedanken die Hand auf den runden Türknauf auf. Das Messing fühlte sich kalt und glatt an. Natürlich war Shindou sauer. Wie sollte man in so einer Situation auch nicht wütend sein? Der Knauf gab ein unangenehmes Quietschen von sich, als Touya daran drehte. Er selbst trat geräuschlos ein und schloss die Tür hinter sich. Den Blick noch immer zu Boden gewandt zog er seine Hausschuhe aus und betrat den Tatamiboden. Ein Luftzug streifte ihn. Als er den Blick hob, sah er Shindou auf dem Balkon stehen. Dem roten Lichteinfall nach zu schließen, war gerade Sonnenuntergang.

„Touya, komm schnell her!“, rief Shindou ihm begeistert mit einem Lächeln entgegen. „Der Ausblick ist der Hammer!“

„Shindou … “, murmelte Touya leise und seufzte. War Shindous Wut schon wieder verflogen? Oder war Shindou charakterlich so stark? Dann tat er, wie ihm geheißen und trat ebenfalls auf den Balkon hinaus. Für einen Moment blendete ihn das Licht, dann aber gab sich ihm ein unvergleichlicher Blick frei. Die Abendsonne lag umspielt von blauen und weißen Wolken knapp über dem glitzernden Meer. Noch war es nur der Himmel, der in ein kräftiges Rosé getaucht war, die Sonne selbst war Golden. Das Bild war gerahmt in schwarze Silhouetten von Riffen. In weiter Ferne zogen Möwen über das Meer. Ein Windhauch kam ihm entgegen und brachte die salzige Luft vom Meer mit sich. Der Anblick war so schön, dass er Touya Herzklopfen bereitete. Und für ein paar Sekunden nur, liefen ihm keine Go-Muster durch den Kopf. Der Anblick des Meeres nahm seinen Geist ein. Touya lächelte. Dieses Gefühl war lange her.

„Du hast recht, Shindou“, meinte er schließlich und wandte sich diesem noch immer mit dem Lächeln auf dem Gesicht zu.

Hikaru erstarrte bei Touyas Anblick augenblicklich. Mit halb geöffnetem Mund starrte er die schöne Gestalt vor sich an. So schön konnte Touya sein, wenn er lächelte. Shindous Herz begann, heftiger zu schlagen. Er schluckte einmal heftig.

„Shindou?“, fragte Touya besorgt. „Was ist?“

„N-Nichts! Gar nichts!! Vergiss es!“, rief Shindou aufgeregt und schüttelte abweisen die Hände. Sein Kopf war hochrot.

„Was soll ich vergessen?“, fragte Touya verwirrt.

„Ah – Eh – nichts! Ähm … wollen wir eine Runde Go spielen?“, fragte Hikaru unbeholfen.

„Wie bitte? Meintest du nicht, ich solle nicht spielen?“

„Ach ja, richtig! Dann ähm … ich hole die Futons raus!“

„Jetzt schon?!“

„Dann … haben wir nachher nicht mehr so viel Arbeit!“

„Das stimmt schon, ja …“, antwortete Touya grübelnd. Irgendetwas war gerade komisch mit Shindou. Nun ja, er ging ihn nichts an. „Dann lass mich dir helfen.“

„Ah – Danke!“, entgegnete Hikaru und zog die Tür vom Wandschrank so hastig auf, dass ihr anderes Ende knallte. Hikarus Herz klopfte noch immer wie verrückt.

'Verdammt!', rief er sich zu. 'Was mache ich nur!' Und in seiner Hast warf er das Kissen über die Schulter und traf Touya dabei mitten im Gesicht.

„Hey!“, beschwerte sich Touya und Shindou drehte sich um. Durch den Treffen waren Touyas Haare statisch aufgeladen worden und nun ziemlich zerzaust. „Pass ein bisschen auf!“

Das Bild, das sich ergab, war so lustig, dass sich Shindous Anspannung in einem Lachen auflöste. Er hatte Touya noch nie schmollend und zerzaust gesehen. Und statt aufzupassen griff Shindou nach einem weiteren Kissen und warf es Touya ins Gesicht.

„Shindou, was machst du da?!“, schimpfte Touya.

„Kennst du keine Kissenschlachten?“

„Kissenschlachten?“

„Los, werf zurück!“

„Was?! Wozu?“

„Weil es Spaß macht!“

Touya sah sich die beiden Kissen in seinen Händen an warf Shindou schließlich unschlüssig eines der Kissen zu.

„Nicht so! Richtig werfen!“, entgegnete Shindou aber nur und traf Touya wieder mit voller Wucht im Gesicht.

„Du -“, ragte Touya sich auf und warf nun auch richtig zurück. Genau das, was Shindou sich gewünscht hatte. Und so ging es einige Male hin und her, bis beide auf den noch unordentlich heraus gezogenen Futons landeten, wo Shindou sich auf Touya stürzte und ihm das Kissen in die Haare rieb.

„Shindou!“, brüllte Touya. „Du machst meine Frisur kaputt!“ Und tatsächlich, als Shindou das Kissen anhob und sich Touya näher besah, musste er feststellen, dass dieser wirklich aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Wieder brach er nun auf Touya liegend in Lachen aus.

„Du siehst lustig aus! So kennt man dich gar nicht!“, rief Shindou, den Kopf noch immer auf Touyas Brust ruhend.

„Sh-Shindou … “, durchbrach Touyas peinlich berührte Stimme nach einem Moment der Stille die Stimmung. „Du bist mir zu nah. G-Geh bitte von mir runter.“

„O-Oh, ja! Entschuldige!“, rief Shindou, als sei er sich der Situation erst jetzt bewusst geworden und krabbelte so schnell er konnte von Touya herunter. Durch die Kissenschlacht hatte sich auch der Bade-Yukata ein wenig gelockert und gab mehr Haut von Touyas Brust frei, als gewollt.

„Lass uns die Futons richtig auslegen …“, murmelte Touya nahezu in den Tatami hinein und richtete sogleich den Yukata. Das Gesicht wandte er absichtlich von Shindou ab. War es die Überraschung? Oder die viele Bewegung? Oder warum klopfte sein Herz so schnell?

Ohne weitere Worte schoben sie die Futons an eine freie Stelle und richteten Kissen und Decken. Beide schienen in eigene Gedanken vertieft zu sein, weshalb es dem jeweils anderen nicht aufzufallen schien, dass sie beide sehr still waren.

„E-Entschuldige,“ meinte Shindou. „Ich bin zu -“ Doch zugleich hatte auch Touya einen Gedanken gefasst und er unterbrach Shindou.

„Danke für vorhin. Dass du mir den Sonnenuntergang gezeigt hast.“

„Wie?“, wunderte sich Shindou. Ein Danke von Touya? Und noch dazu für so etwas? „Gern geschehen!“, freute er sich.

Touya blickte ihn nicht an. Sein Blick galt mal wieder dem nun mit einem Futon bedeckten Tatami.

„Dieser … Urlaub ist vielleicht gar nicht so schlecht.“

Hikarus strahlte. Ein Lob von Touya! Das war mehr Wert, als zehn Kilo Gold!

„Lass uns morgen auch wieder einen tollen Tag haben!“, meinte Shindou.

Touya lächelte ihm schüchtern zu und nickte.

Dieser Urlaub ist das Letzte!

Kapitel 2 – Dieser Urlaub ist das Letzte!

Ein bekanntes Rascheln weckte Hikaru. Es war, als ob jemand in den Topf mit Go-Steinen griff, um den Stein für den nächsten Zug zu spielen. Und da war es schon, dass vertraute Klicken, wenn einer der glatten, kleinen, runden Steine auf das Brett gelegt wurde. Wo war er? Hikaru öffnete die Augen. Mondlicht fiel spärlich in seine Richtung. Er lag in einem Futon. Komisch, er hatte doch eigentlich ein Bett …

„Ah!“, schreckte Hikaru hoch. 'Stimmt ja, ich bin ja mit Touya in einem Ryokan!', fiel ihm schlagartig wieder ein. Und wenn jemand Go spielte … Hikaru warf einen Blick auf Touyas Futon. Er war aufgewühlt und leer. Der Go-Profi saß an dem niedrigen Tisch am Balkon und legte im Licht des Vollmondes konzentriert Steine auf das Go-Brett.

'Wie viel Uhr ist es?', fragte sich Hikaru. Seine Augen brannten noch vor Müdigkeit. Es war zwei Uhr zweiundvierzig.

„Viertel vor drei?!“, fuhr Hikaru hoch. „Warum um Himmelswillen spielst du um diese Zeit Go?!“, rief er Touya entgegen. Aber Touya schien ihn nicht zu hören. Er war vollkommen konzentriert.

„Touya!“, rief Hikaru erneut, nun direkt neben dem Angesprochenen. Zum ersten Mal kam eine genervte Reaktion.

„Was? Du siehst, dass ich gerade spiele.“

„Es ist Viertel vor drei!! Normale Menschen schlafen um diese Zeit!“

„Ich muss das jetzt spielen. Sonst vergesse ich es.“

„Was vergisst du?“

„Das Spiel.“

„Hä?!“

„Du nervst! Sei einfach still!“

„Aber -“ Ein böser Blick von Touyas Seite genügte, um Shindou ruhig zu stellen. Stattdessen blickte dieser nun auf das Spielbrett. Was Touya da konstruierte, sah extrem kompliziert aus. Wer würde schon so spielen?

„Hast du das nicht auch?“, fragte Touya, nachdem er einige weitere Steine auf das Brett gelegt hatte.

„Was?“

„Träume über Go-Spiele. Das solltest du kennen.“

„Öhm …ja, ab und zu. Aber -“

„Dann solltest du mich auch verstehen. Ich musste es nachspielen. Es lässt mir keine Ruhe …“

„Du bist echt ein Freak, Touya. Kein Wunder, dass du umkippst. Mich wundert es, wie du bis jetzt überlebt hast. Wobei, Augenringe hattest du schon des Öfteren …“

„Go ist alles für mich.“

„Hmmm. Wenn du meinst …“

„Und gegen jemanden wie dich aber ich verloren?!“, schrie Touya Shindou plötzlich entrüstet an.

Shindou blickte ihn eine Weile überrumpelt dämlich an. Touya wollte dieses Gesicht nicht sehen. Also konzentrierte er sich lieber darauf, das Spiel zu rekonstruieren. Aber viel weiter als bis zu dem Zug, den er gelegt hatte, kam er nicht. Die Erinnerung verblasste.

„Verdammt!“, fluchte Touya. „Shindou!“

Shindou zuckte zusammen. Jetzt gab es bestimmt gleich wieder eine Abfuhr.

„Spiel mit mir!“

„Was?! Jetzt?!“

„Ja.“

„Und dann? Wenn ich mit dir spiele, versprichst du mir dann, dass du schlafen gehst?“

„Ich verspreche es!“

„Na meinetwegen,“ grummelte Hikaru und setzte sich gequält hinter das Go-Brett.

Touya übergab ihm die weißen Steine.

„Warum denn ich? Kannst du es nicht alleine weiter spielen?“

„Du warst mein Gegner!“

„Im Traum?“

„Ja.“

„Du träumst von Go-Kämpfen mit mir?!“, wunderte sich Hikaru.

„Du bist mein Rivale.“

„Ähm …ja. Klar,“ antwortete Hikaru, war aber alles andere als einverstanden. Zugegeben, Hikaru hatte auch von Touya geträumt, allerdings waren das Träume anderer Art gewesen. Er hätte ihn gestern einfach nicht im Onsen nackt sehen sollen … oder war es die Szene nach der Kissenschlacht? „Du bist dran,“ rief er sich mit seinen Worten selbst aus seinen Gedanken. Eines seiner Körperteile machte ihm deutlich bewusst, dass die Bilder aus seinen Träumen noch sehr klar vor seinem inneren Auge waren.

„Ich weiß, lass mich nachdenken.“

„Hmm …“ Hikaru besah sich Touya nochmals genauer. Ob es nun an der späten Zeit lag, oder nicht, Touyas Yukata war wieder leicht geöffnet. Shindou schluckte bei dem Anblick. Touya war nur zwei Armlängen von ihm entfernt …

Touya setzte einen Stein. Hikaru klopfte das Herz mal wieder bis zum Hals. Er warf einen kurzen Blick auf das Spielfeld und setzte.

„Du spielst unkonzentriert!“, schimpfte Touya. „Normalerweise hättest du dort oder dort gesetzt. Dieser Zug ist viel zu schwach!“

Dieser elende kämpferische Blick. Der war echtes Gift für die schönen Dinge, die Hikaru sich mit Touya ausgemalt hatte. „Was denkst du eigentlich?! Wir haben drei Uhr morgens! Natürlich spiele ich unkonzentriert. Wenn du eh alle Züge besser weißt als ich, dann kannst du doch auch genauso gut alleine spielen!“

Shindous Ausbruch verschlug Touya die Sprache. Er senkte den Blick. „Entschuldige.“

Dieses Mal war es Shindou, dem es die Sprache verschlug. Touya hatte die Zähne zusammen gebissen und schien offensichtlich mit sich zu kämpfen. Shindou seufzte. Sollte doch einer diesen Mann verstehen.

„Soll ich den Stein verlegen?“, fragte er.

„Nein. Dann würdest du verlieren.“

„Wir sind hier nicht in einem Turnier.“

„Nein. Lass es.“

„Also gut. Dann spiel.“

Dieses Spiel gewann Touya, aber er schien nicht im geringsten mit sich zufrieden zu sein. Dennoch stand er wortlos auf und legte sich in den Futon.

Kaum brachen die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster herein, hörte Hikaru es wieder Rascheln.

„Touya!,“ schimpfte er.

„Der nächste Tag hat bereits angefangen!“

„Ja, aber …Ach, mach doch, was du willst.“ Gähnend räkelte sich Hikaru und ging erst mal ins Bad, um Zähne zu putzen und das Gesicht zu waschen. Als er zurück kam, saß Touya noch immer am Go-Brett. Hikaru blickte auf die Uhr. Es war Punkt Acht Uhr.

„Touya, es gibt schon Frühstück. Wollen wir nicht was essen?“

„Gleich.“

„Freak.“ Touya schien noch immer in das Spiel vertieft. „Wenn ich gegen dich gewinne, essen wir dann zusammen Frühstück?“

Touya überlegte ein Weile. Dann willigte er ein. Die Steine lagen wieder wie zu dem Zeitpunkt, an dem Hikaru in der Nacht in das Spiel eingestiegen war. Dieses Mal war es Shindou der gewann. Damit schien Touya zufriedener zu sein, auch wenn sein Gesichtsausdruck noch immer bitter war.

'Dem kann man's echt nicht recht machen,' dachte Hikaru und seufzte erschöpft. Shindou war das Go-Spielen ja auch nicht egal. Aber andererseits waren Pausen wie so ein Urlaub manchmal einfach notwendig.
 

„Guten Appetit!“, rief Shindou.

„Guten Appetit!“, kam es nüchtern zurück. Shindou und Touya waren nicht die einzigen, die so früh wach geworden waren. Es gab einige betagte Leute, aber auch eine Gruppe junger Mädchen, die bereits auf den Beinen waren. Genau diese Mädchen steckten gerade eifrig die Köpfe zusammen. Ob Shindou und Touya aufgefallen waren? Andererseits, so bekannt war Go nun auch wieder nicht, dass sie in einem Hotel von Fremden angesprochen werden würden. Vielleicht ging es um etwas anderes.

Hikarus Blick galt nun wieder Touya, der mal wieder säuberlich Tofustückchen vom Teller holte, ohne ein Schlachtfeld zu hinterlassen. Im Gegensatz zu Shindou.

'Verdammt, wie macht er das!', ärgerte sich dieser. 'Oh, da fällt mir ein -!'

„Touya?“

„Hm?“

'Das mit dem Anschauen beim Reden üben wir nochmal …', fuhr es Shindou durch den Kopf, als Touya mal wieder konzentriert Tofu zu sich nahm.

„Was machen wir heute? Wollen wir in die Stadt gehen? Vielleicht finden wir ein paar gute Souvenirs.“

Touya haderte. Eigentlich würde er den Vormittag lieber nutzen, um konzentriert ein oder zwei Spiele zu spielen. Aber da würde Shindou vermutlich wieder so lange nerven, bis Touya keine Konzentration mehr hatte. Außerdem war es vielleicht gar nicht so schlecht, nach Souvenirs zu sehen, solange es noch nicht so warm war. Vielleicht fand er ein paar gute Sachen für seine Eltern oder sogar Ogata-Kun? „In Ordnung.“
 

Der Einkaufsbummel war weniger stressig, als Touya es sich vorgestellt hätte. Er und Shindou gaben gar kein so schlechtes Team ab in puncto gute Dinge finden. Nur dass er wirklich ungeduldig sein konnte, wenn Touya sich ein paar Dinge ein wenig länger anschaute. Aber da hieß die Devise dann ignorieren.

Die Altstadt, die sie besuchten, war gesäumt von Momiji. Im Herbst würde diese gerade so grüne Stadt in kräftigem Rot stahlen. Jetzt zwitscherten Vögel zwischen den dünnen Zweigen und so mancher Spaziergänger setzte sich in den Schatten einer der üppig bewachsenen Bäume. Auch Shindou und Touya gönnten sich eine kurze Rast auf einer Bank und kauften sich ein Grüntee-Eis beziehungsweise ein Erdbeer-Eis. Der Sommer war noch nicht ganz angekommen, deshalb war das Wetter noch mild, aber warm genug, um ein Eis genießen zu können. Shindou kam zwischendrin auf die Idee, bei Touya zu klauen, kam aber wie zu erwarten zu spät und bekam stattdessen eine über gebraten.

„Wie alt bist du?!“

„Ist doch egal. Grüntee sieht auch lecker aus.“

„Dann kauf dir doch selbst eines!“

„Zu faul.“

„Dann kann man dir auch nicht helfen.“

„Doch, du könntest mich abbeißen lassen!“

„Bei der Menge, die du verputzt?! Niemals.“

„Wie gemein!“

Shindou war manchmal schon ein echtes Kleinkind. Dabei hatte Touya den Eindruck gehabt, er wäre in den letzten Jahren erwachsener geworden. Er seufzte.

„Wenn ich bei einem Go-Spiel gewinne, bekomme ich dann einen Biss?“, fragte Shindou.

„Bis dahin ist das Eis doch ohnehin geschmolzen.“

„Dich schlag ich auch in fünf Sekunden!“

„Was soll das denn heißen?!“, fuhr Touya hoch.

„Gewonnen!“, freute sich Shindou, ergriff in diesem Moment Touyas Handgelenk und nahm sich einen Biss.

„Du -!“

„Hehe!“, grinste Shindou.

Nun war es Touya, der aussah wie ein beleidigtes Kind. Bei dem Anblick musste Shindou wieder Lachen. Er war in so guter Stimmung, dass er Touya am liebsten um den Hals gefallen wäre. Aber Shindou war schon so einfach froh, dass gerade gute Stimmung zwischen ihnen war, dass er sich hütete, Touya unnötig zu verärgern. Sein lautes Herzklopfen konnte er aber nicht unterdrücken.
 

Gegen Nachmittag schleppte Shindou Touya erfolgreich zum Strand mit dem Versprechen, später eine Partie gegen ihn zu spielen. Touya wurde in seiner ganzen Körpersprache sowie in seiner Sprechweise immer gelassener und Shindou fiel es zunehmend schwerer, Touya nicht zu nahe zu kommen.

Shindou staunte, wie ruhig Touya außerhalb eines Kampfes sein konnte. Er konnte stundenlang einfach nur da stehen und das Meer anstarren. Wahrscheinlich dachte er dabei über irgendwelche Go-Züge nach. Schließlich war es Touya. Aber trotzdem, auch wenn Shindou auch seine nachdenklichen Momente hatte, Touya war einfach ein anderer Mensch.

„Du magst das Meer, oder?“, fragte Shindou.

„Ja. Wenn sich eine Welle aufstaut klingt es, als ob tausende Go-Steine übereinander prasseln würden.“

„Was du nicht alles hörst …“

„Machst du dich schon wieder lustig?!“

„Nein. Ich bewundere deine Ruhe, Touya.“

„Was?“, wunderte sich Touya. Dabei war in Shindous Nähe meistens alles andere als ruhig.

„Es ist zwar besser geworden, aber ich bin oft zu unüberlegt und überstürze viele Dinge. Hat natürlich auch seinen Vorteil so viel Power zu haben!“, grinste er Touya entgegen, „Aber … manchmal hätte ich gerne auch deine Ruhe und deine Genauigkeit.“

„Red keinen Unsinn. Du hast deine eigenen Stärken. Ich schaffe es dafür nie, locker zu lassen. Ich kann mir keine Freizeit gönnen. Für mich gibt es in dieser Welt nichts außer Go. Entsprechend sieht es auch mit Freunden aus. Mein soziales Umfeld besteht ausschließlich aus Menschen, die Go spielen. Wenn es darunter überhaupt jemanden gibt, den ich als wirklichen Freund bezeichnen kann …“

Das war wieder ein Stich in Hikarus Herz. Doch er schwieg dazu. Einerseits war es verletzend, so etwas gesagt zu bekommen, wo Shindou sich so sehr um eine Freundschaft bemühte. Auf der anderen Seite sah Touya so einsam aus, wie er auf das Meer hinaus starrte. Eine teils selbst verschuldete Einsamkeit, aber trotzdem war er einsam. Touya musste unter sehr strengen Bedingungen aufgewachsen sein und noch dazu als Sohn eines berühmten Go-Spielers. In Touya wurden seit er denken kann große Hoffnungen gesetzt. Da war nicht viel Zeit für Freunde. Ob es schwerer war, welche zu finden, wenn man erst später Freunde begann, welche suchen? Hikaru hatte immer Freunde gehabt und die Welt des Go erst mit zwölf Jahren durch Zufall betreten. Wäre damals Sai nicht begegnet …

„Und ich bin ein schlechter Verlierer,“ durchbrach Touya Shindous Gedanken.

„Finde ich gar nicht. Du bist viel gelassener als ich und überlegst, wo deine Fehler lagen.“

„Schaust du mich eigentlich an, wenn ich gegen dich verliere?“, fragte Touya ihn mit zweifelhaftem Grinsen.

„Also gut, ich bin vielleicht eine Ausnahme. Aber sonst bist du sehr gelassen.“

„Du doch auch.“

„Nach außen hin, ja.“

„Wir sollten langsam aufbrechen, wenn wir noch rechtzeitig zum Abendessen kommen wolle,“ unterbracht Touya ihr Gespräch.

„Hmmm,“ Hikaru war weniger begeistert davon, aufzubrechen. Das war das erste persönliche Gespräch, das sie geführt hatten. Shindou dachte immer, dass Touya es einfacher hatte, als er selbst. Aber mit nur ein wenig Nachdenken war er schnell dahinter gekommen, dass das nur Einbildung war.
 

Nach dem Abendessen spielten sie die versprochene Partie, aber dieses Mal wirkte Touya weniger angespannt, als sonst. Auch diesen Abend gönnten sie sich nochmal den Ausblick aus dem Fenster bei Sonnenuntergang. Doch den gestrigen Moment konnte dieser Sonnenuntergang nicht übertreffen.

„Gibt es eigentlich Augenblicke, an denen du nicht an Go denkst?“

„Sehr selten. Über ein Spiel nachzudenken ist für mich wie das Atmen.“

Angesichts dieser Tatsache musste Hikaru vor Stolz grinsen. Und gegen so einen Maniac hatte er schon mehrmals gewonnen! „Wann zum Beispiel?“

„Gestern.“

„Wie?“

„Als ich den Sonnenuntergang gesehen habe,“ erklärte Touya und lächelte allein schon bei der Erinnerung daran leise und traurig.

„Oh, verstehe.“

„Ich glaube, ich gehe nochmal ins heiße Bad unten. Schließlich fahren wir morgen ja schon wieder ab. Was ist mit dir?“

„Ich … bleibe hier. Geh nur,“ antwortete Hikaru mit unsicherem Lachen.

'Wer weiß, was ich heute Nacht tue, wenn ich ihn nochmal so sehe?', fragte sich Shindou. 'Ich sollte lieber ein wenig Abstand gewinnen.'

„Wie du meinst. Bis später.“
 

Doch Touya ließ sich erstaunlich viel Zeit. Als er um 22 Uhr noch immer nicht zurück gekehrt war, wurde Shindou unruhig. War Touya alleine spazieren gegangen? Aber sie waren doch heute schon ziemlich viel unterwegs gewesen …

'Sicherheitshalber könnte ich ja nachschauen gehen …', dachte sich Hikaru und warf sich in seinen Bade-Yukata.

Doch Shindou musste nicht bis zum Bad gehen. Er fand Touya in der Lobby mit den Mädchen vom Frühstückstisch vor. Sie schienen ihn zum Go heraus gefordert zu haben, denn er spielte vier Spiele gleichzeitig. Shindou schüttelte nur den Kopf. Touya musste man echt überwachen.

„Touya!“, brüllte er durch die halbe Lobby.

„Oh, da ist Shindou Hikaru!“, quietschten die Mädchen.

„Spielst du nachher auch noch eine Runde mit uns?“, fragte eine von ihnen. Aber Shindou ignorierte sie. „Touya ist nicht hier, um Go zu spielen.“

„Wieso? Er ist doch Weltmeister!“, wunderte sich das Mädchen links von Shindou.

„Touya!“, rief Shindou dem Weltmeister zu. Touya blickte unschuldig auf. Shindou schüttelte nochmals den Kopf. „Es ist schon zehn. Irgendwann will ich auch schlafen gehen.“

„Mensch bist du ein Griesgram!“, meckerte nun das Mädchen rechts von ihm. „Er kann doch einfach nachkommen.“

„Und dann macht er das Licht an und läuft einmal quer über mich drüber. Am besten tritt er mir dabei dann noch ins Gesicht“, meinte Shindou sarkastisch.

„Sowas für Touya-sama nie tun!“

„Shindou hat aber recht. Es ist leider schon spät geworden. Das Spielen mit euch hat Spaß gemacht. Vielen Dank,“ erklärte Touya, schlug alle vier auf einmal im Folgezug und verbeugte sich. „Schlaft gut.“

„Touya!“, schwärmten die Mädchen. „Du bist ein echter Gentleman!“

„Tsss“, Shindou stieß dazu nur Luft durch die Zähne aus.

Als die Mädchen außer Hörweite waren, äffte er sie sogar nach: „Du bist sooooo ein Gentlemän! Was sollte das?!“

„Du benimmst dich wieder wie ein Kleinkind.“

„Und du? Du ergreifst echt jede Chance zum Spielen, oder? Auch wenn die Gegner noch so schwach sind.“

„In diesem Fall war das nicht meine Idee.“

Hikaru gähnte dazu nur ausgiebig. „Lass uns schlafen gehen.“

„Entschuldige, dass es so spät geworden ist.“

„Schon gut.“
 

Wenn Hikaru ehrlich war, war er richtig eifersüchtig auf diese dummen Nüsse gewesen. Wenn Touya auf Frauen stand, war es im Grunde egal, welche Frau es war; sie wäre Shindou überlegen. Das machte ihn wahnsinnig.

'Ach, was denke ich da!', schimpfte er sich selbst und drehte sich in seinem Futon. Aber er konnte nicht einschlafen. Auch Touya drehte sich noch ein paar Mal. Was Shindou dann tat, hatte keine logische Erklärung mehr. Er kroch einfach mit unter Touyas Futon und umarmte ihn.

„Sh-Shindou?“, flüsterte Touya. Der Schreck war ihm an dem erstarrten Körper anzumerken.

Shindou antwortete nicht sofort. Das war also Touya. Er war wirklich schlank. Shindous Kopf reichte gut über Touya hinaus, doch er legte ihn zu der Halsbeuge des Kleineren. Und das war Touyas Duft. Shindou schloss die Augen und genoss unauffällig einige wenige Atemzüge.

„Shindou?“, kam es nochmal vorsichtig von vorne.

„Heute Nacht stehst du nicht mehr auf, um Go zu spielen.“

Hikaru war nicht der einzige mit Herzklopfen. Touya war genauso aufgeregt, wenn nicht noch aufgeregter.

„Wenn du nicht an Go denkst, lächelst du dann immer so?“, fragte Shindou.

„Was meinst du?“, fragte Touya verwirrt.

„Hör auf an Go zu denken,“ sagte Hikaru nun entschlossener. Dann stieg er über Touya, drehte sein Gesicht zu sich und küsste ihn.

In diesem Moment dachte Touya tatsächlich nicht an Go. Er hatte einen kompletten Herzstillstand. Eigentlich sollte er Shindou von sich drücken. Oder ihn schlagen. Aber er war wie erstarrt. Im Gegenteil, er gab dem Kuss sogar für den Bruchteil einer Sekunde nach, versuchte dann aber, einfach nichts zu tun. Wieso machte Shindou das?

Shindou war verzweifelt. Was hatte er auch erwartet? Dass Touya jetzt durch seinen Kuss unter ihm zerfließen würde? Das war doch kein Traum hier. Diese Tatsache wurde ihm schmerzhaft bewusst. Was machte er nur? Er brauchte eine Ausrede, eine Ausrede! Also löste er sich so trocken wie möglich von Touya und rollte wieder zur Seite.

„Und, hast du gerade an Go gedacht?“, fragte er, als sei das von Anfang an Teil seines Plans gewesen.

Touya schwieg und drehte sich zur Seite.

'Wieso habe ich ihn nicht weggestoßen?', dachte er nur verzweifelt. Er schien Shindous Worte gar nicht wahrzunehmen. Shindou wiederum deutete dies als Wut Touyas und schluckte nur.

'Was habe ich bloß angestellt?', verfluchte er sich selbst. 'Dabei lief es heute und gestern noch so gut!'

„Das … ich dachte, es wäre gut, dich ein bisschen zu erschrecken. Tut mir Leid, ich …“, versuchte sich Shindou zu verteidigen. Doch es machte die Sache nur schlimmer.

„Mich erschrecken?“, fragte Touya wütend.

'Er hat nur mit mir gespielt!', kam es ihm. Das tat weh. 'Wie oft will dieser ****** sich noch über mich lustig machen?!'

„Es tut mir Leid, echt. Das war du -“

„Halt die Klappe!“, brüllte Touya, Shindou noch immer abgewandt. Das war ihr letztes Wort für diesen Abend.
 

Sobald die ersten Sonnenstrahlen in das Zimmer drangen, glitt Touya aus seinem Futon und packte seine Sachen. Er hatte kein Auge zugetan wegen der Sache und es war ihm egal, wie laut die Go-Steine vom Brett in ihren Behälter prasselten. Shindou war es das ebenfalls. Auch er hatte nicht geschlafen. Wie konnte er auch? So war es ja noch viel schlimmer. Die Aktion gestern Nacht hatte ihm gezeigt, dass er Touya gegenüber wesentlich mehr empfand als einfache Freundschaft. Er musste es ihm sagen.

„Touya!“, rief er entschlossen, als dieser wieder zurück kam und begann seinen Futon zusammen zu legen. Es kam keine Antwort. Also kroch Shindou aus seinem Futon, stellte sich neben den Geschäftigen und griff nach dessen Arm. „Touya!“

„Lass mich los“, knurrte dieser nur.

„Hör mir zu!“ Und mit diesen Worten riss er Touya den Futon aus der Hand und drehte ihn zu sich. „Das gestern … ich … Wahrheit ist … ich habe mich in dich verliebt. Ich liebe dich, Touya.“

Diese Worte taten Touya aber nur noch mehr weh.

„Für wie dumm hältst du mich eigentlich?! Spar dir die billigen Ausreden! Dass du jemand bist, dem das Wort 'Respekt' fremd ist, weiß ich doch schon lange. Lass mich einfach in Frieden. Mit dir bin ich fertig.“

„Touya! Das ist die Wahrheit!“ Aber Touya hörte nicht mehr. Er riss sich von Shindou los, packte seinen Futon zusammen und schritt aus dem Zimmer. Shindou hatte nicht einmal mehr die Kraft, ihm hinterher zu rennen. Tränen rannen ihm die Wangen herab. „Verdammt.“

Er war nicht der einzige, der weinte. Auch Touya kämpfte gegen Tränen, als er allein im Zug saß. Warum ging ihm das nur so nah? Dieser Urlaub war wirklich das Letzte!

Nomikai

Kapitel 3 - Nomikai

Ein Wiedersehen der beiden war jedoch unvermeidbar. Eine Woche später saßen sie sich im Finalspiel des Bundeswettkampfes für Go gegenüber. In der Zwischenzeit hatte Shindou mal um Mal versucht, Touya anzusprechen, doch dieser war einfach nur wortlos davon geschritten. Also hatte Shindou einen Entschluss gefasst, den er während dieses Spiels umsetzen würde.

Für den Wettkampf war eine kleine, gut beleuchtete Bühne mit einem Gobrett und zwei Stühlen hergerichtet worden, die zu einem Dreiviertel von Zuschauerplätzen umgeben war. Die übrige Seite stand an einer Wand, sodass die Spieler nicht durch die Zuschauermenge zu gehen hatten, wenn sie in der Pause das Spiel verließen.

Die ersten Züge ihres Spiels verliefen ruhig. Aber es war nicht, als würden zwei miteinander spielen, die sich lange Zeit kannten. Touya blickte stumm auf das Spielbrett und vermied damit jeglichen möglichen Blickkontakt zu Shindou. Und auch Shindou saß mit gesenktem Blick am Spielbrett. Umso überraschender war es, als er plötzlich mit lauter Stimme das Wort ergriff:

„Touya!“

Der Angesprochene reagierte nicht. Auch nicht, als das Publikum, das um sie herum saß das leise Murmeln einstellte.

„Touya, hör mir zu!“ Langsam wurde Shindou wirklich wütend. Dann setzte er den ersten entscheidenden Zug. Er ging voll in den Angriff über. Touya legte überlegt an.

„Touya!“, rief Shindou, und legte einen Stein.

Touya verteidigte.

„Ich liebe dich!“, rief Shindou Touya entschlossen entgegen, stand auf und knallte einen weiteren Stein in den Angriff.

Touya zuckte zusammen und schlug dann mit gleicher Wucht einen Stein in die volle Verteidigung. Doch Shindou ließ sich nicht beirren und eröffnete eine neues Schlachtfeld. „So sehr, wie ich das Go-Spielen liebe!“ Shindous Blick verharrte auf Touya. Dessen Blick war noch immer gesenkt, doch Touyas erstarrte Miene war deutlich erkennbar. Dann, nach einem Moment scheinbar ewiger Stille erklang das Rücken eines Stuhls und Touya stand auf.

„Ich brauche eine Pause“, meinte dieser trocken und trat aus dem Raum. Kaum war Touya durch die Tür verschwunden, war wieder lautes Gemurmel aus den Zuschauerreihen zu hören. Dass Touya-Meijin-Junior den Raum während eines Spiels verließ, war unüblich. Natürlich war jedem bewusst, dass dies nicht ohne Grund geschah, aber dennoch hatte man von Touya mehr Gegenwehr erwartet. War da etwa tatsächlich mehr hinter dem Geständnis?
 

Touya war sich der Schande seiner Flucht bewusst. Und dennoch, wusste er nicht, wie er hätte besser reagieren sollen. Dieser Affe von Shindou hielt ihn schon wieder zum Narren. Und wenn es ernst gemeint war? Welcher normale Mensch würde zum Spaß soweit gehen, ein Geständnis vor einer solchen Zuschauermenge zu machen? Andererseits war es Shindou. Vielleicht tat er das gerade, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Schließlich badete er ja gerade zu in seiner Berühmtheit ganz im Gegensatz zu Touya, dem das ganze öffentliche Theater nur eine Last war. Es nützte nichts, sich den Kopf zu zerbrechen. Touya schwang die Tür zu den Herrentoiletten auf und trat ans Waschbecken, um sich das Gesicht mit kaltem Wasser zu waschen.

Nachdenklich stützte er sich dann am Rand des Waschbeckens ab. Shindou liebte ihn also genauso wie das Go? Dass er nicht lachte. Go war Shindou nicht halb so wichtig, wie es für Touya war. Für ihn war Go wie ein besserer Zeitvertreib. Sonst könnte er nicht so einfach Ferien machen, wie sie es vor nur einer Woche getan hatten. Es war eine Beleidigung, ihm, Touya gegenüber ein Geständnis dieser Art zu machen. Erst war Touya verwirrt gewesen. Der Vergleich zu Go … für Touya hieße das, dass dieser Mensch ihm über alles in dieser Welt wichtig wäre. Aber genau darin lag der Fehler. Shindou war nicht er. Wie naiv er doch war, zu glauben, dass Shindous Gefühle wirklich so tief reichen würden. Touya nahm sich noch bis nach der regulären Mittagspause Zeit, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Den Sieg errang er jedoch nicht. Seine emotionale Abwehr am Anfang des Spiels kostete ihn letztlich einen halben Moku Unterschied. Diese Tatsache brachte Touya noch mehr in Rage, da er sich nun dachte, dass das Ganze vermutlich sogar nur ein dummer Trick gewesen war, um Touya während dem Spiel aus der Bahn zu werfen. Dass Shindou überhaupt auf so miese Tricks zugreifen würde, hätte Touya nie erwartet. Und er Idiot war schon wieder darauf herein gefallen!
 

Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit Touya, denn am selben Abend noch fand zu Shindous Sieg hin ein Trinkabend statt, an dem er schon aus reiner Höflichkeit teilnehmen musste. Shindou schien über seinen Sieg jedoch alles andere als erfreut und saß den ganzen Abend nur trüb neben Touya und Waya und kippte ein Bier nach dem anderen.

Dieses Geständnis war für Shindou quasi die letzte Lösung gewesen, um Touya aufrichtig zu zeigen, dass er es ernst meinte mit seinen Gefühlen. Doch auch wenn Touya wenigstens zu Anfang des Spiels aus seiner gefühlsmäßigen Abwehr gekommen war, so war er doch wieder gestählt zum Spiel zurück gekehrt. Nicht einmal ein klares „Ja“ oder „Nein“ hatte er bekommen. Zwar meinte Waya kurz nach dem Spiel, dass Touyas Spielweise, die fast durchgehend aus Abwehr bestand wohl eine ziemlich klare Antwort war, aber theoretisch ergab sich viel auch aus dem Spielverlauf. Wobei, wenn Shindou es sich genau überlegte, hätte Touya ganz zu Anfang des Spiels nicht zwangsweise in die Abwehr gehen müssen. Ach, das brachte doch alles nichts! Er hatte sich schon den halben Tag bis jetzt über Touya den Kopf zerbrochen. Und hops – das fünfte Bier. Sein Bauch fühlte sich jetzt schon an wie ein Fass. Er sollte mit Touya reden … aber wenn er ehrlich war, hatte er Angst vor der Antwort. Heute jedenfalls nicht … ihm war schon ganz schwummrig vom Alkohol und so merkte er nicht, wie er zur Seite kippte und sein Kopf sich an Touyas Schulter lehnte.

Touya saß am Tisch wie eine Statue aus Stein. Als er Shindous Gewicht auf seiner Schulter mitbekam, kippte er zwangsweise ebenfalls leicht zur Seite. Seine Mundwinkel zuckten. Glücklicherweise befand sich seine Uhr an dem noch freien Arm. 23 Uhr. Er war wohl schon lange genug geblieben. Mit Mühe drückte er Shindou von sich und erhob sich. Kaum war Touya einen Schritt zurück getreten, kippte Shindou komplett zur Seite. Aber das konnte Touya egal sein. Sollte sich der Idiot doch besinnungslos trinken. Mit einer kurzen Verbeugung verließ er den Raum und trat schließlich ins Freie, wo er sich seinen Mantel übertstreifte. Es war ziemlich frisch und windig geworden. Blitze zuckten am Himmel und ein leiser Donner war aus der Ferne zu hören. Wenn er noch einigermaßen trocken nach Hause kommen wollte, sollte er zügig laufen. Vorsichtshalber kramte er seinen Schirm aus der Ledertasche, dann setzte er sich in Gang.

Shindou brauchte eine Weile, bis er begriff, dass Touya nicht mehr da war. Bis gerade eben war seine menschliche Lehne zwar ein wenig hart, aber warm gewesen. Aber nun Lage er komplett auf dem Tatamiboden.

„Touya?“, wunderte sich Shindou.

„Der ist gerade gegangen. Ich glaube er war nicht sehr glücklich darüber, dass du dich an ihn angelehnt hast …“, klärte Waya ihn auf.

Shindou hatte sich an Touyas Schulter angelehnt? Und jetzt war Touya vermutlich sauer! Er musste sich entschuldigen! Und so gut er konnte, rappelte er sich auf und lief hinaus.

„Shindou?!“, hörte Shindou Waya ihm nachrufen, doch er nahm es eigentlich kaum wahr. Sein Blick galt der Straße, an deren Ende er gerade Touya in den Stadtpark einbiegen sah. In genau diesem Moment begann der Regen schlagartig einzusetzen. Doch Shindou störte sich nicht daran und hastete Touya so gut wie möglich nach.

'Verdammt, ich habe zu viel getrunken …', dachte er verbittert, als er feststellte, wie sehr er beim laufen torkelte. Innerhalb der kurzen Strecke bis zum Stadtpark war Shindou bereits triefend nass geregnet. Der Wind ließ ihn frieren, aber er lief weiter. Im Park angekommen teilten sich vor ihm die Wege in zwei Richtungen. Touya war nirgends zu sehen, also lief Shindou dem Weg seiner Intuition nach. Er wusste ohnehin nicht, in welcher Richtung Touyas Wohnung lag. Seine Intuition führte ihn richtig und bald kam Touyas weißer Regenschirm wieder in Sicht. Shindou seufzte erleichtert und überbrückte die noch fehlenden Meter.

Shindous platschende Schritte ließen Touya prüfend einen Blick nach hinten werfen. Die Zeit reichte aber nicht, um in eine passende Haltung zu gehen, um den betrunkenen Shindou, der sich nun auf ihn stürzte, von sich zu stoßen. Statt dessen segelte der Regenschirm zu Boden und Shindou hing in Touyas Armen. Touya gab einen genervten Laut von sich. Nicht nur, dass er nun diese Nervensäge wieder am Hals hatte, nein, jetzt wurde er auch noch komplett nass geregnet. Er konnte froh sein, dass er wenigstens so geistesgegenwärtig war, seine Tasche nicht auch noch zu Boden zu werfen. Shindou krallte sich an Touyas Oberarmen fest und hiefte sich mühsam hoch, um mit diesem auf Augenhöhe zu sein.

„Es tut mir Leid!“, rief er, wobei das mehr gelallt als gesprochen war. Shindou hatte eine furchtbare Fahne. Aber … es tat ihm Leid? Es tat ihm Leid, dass er ihn vor allen Leuten zum Affen gemacht hatte? Und dann kam das Unerwartete: Shindou hielt die Distanz nicht mehr aus, zog Touya zu sich und der Alkohol tat sein Übliches. Er küsste ihn.

Shindou roch wirklich furchtbar nach Bier. Aber da war ein Gefühl in Touya, das stärker war, als der klare Verstand. Er wollte Shindou auch küssen. Im Hinterkopf segnete er den Gedanken mit der Begründung ab, dass sie ohnehin niemand sah und Shindou so dicht war, dass er sich ohnehin nicht erinnern würde. Und selbst wenn, dann könnte Touya noch immer behaupten, dass Shindou geträumt hätte. Es gab ja keine Zeugen. Er schloss die Augen und begann, Shindous Lippen mit den seinen zu massieren. Sein Herz klopfte. Er war aufgeregt, aber es fühlte sich toll an. Shindou empfand wohl genauso, oder sogar noch mehr, denn er begann nun, Touya unter das Hemd zu fassen. Aber das war Touya wirklich zu viel. Mal ganz abgesehen davon, dass sie im Regen standen und es furchtbar kalt war. Mit Mühe hielt er Shindous Arm eisern fest und schließlich gab Shindou nach und umarmte Touya stattdessen. Noch in der immer locker werdenden Umarmung fing Touya Shindou wieder auf. Shindou gehörte ins Bett. Touya hielt Shindou in einem Arm und griff zugleich mit dem belasteten Arm um den breiten Körper herum, um das Handy aus der Tasche zu pfriemeln. Er rief ihnen beiden ein Taxi. Dann fasste er mit der Hand, in der schon seine Tasche war nach dem nun rutschigen Griff seines Schirms und schleifte sie beide zurück zur Straße.

Glücklicherweise wartete das Taxi dort bereits und der Taxifahrer war so nett, Shindou gemeinsam mit Touya in den hinteren Sitzraum zu hiefen. Dann fuhren sie los. Als das Auto außer Sichtweite war, löste sich aus dem Schatten der Bäume ein ebenfalls tropfnasser Waya, der sich verwirrt am Kopf kratzte.
 

Touya versuchte während der Fahrt mehrmals, Shindou nach seiner Adresse zu fragen, doch dieser war scheinbar nicht mehr ansprechbar und so ließ Touya ihn an seine Schulter gelehnt schlafen und bat den Fahrer, sie zu Touyas Haus zu bringen.

Als Touyas Mutter die beiden tropfend nassen Gestalten im Eingang stehen sah, erschrak sie.

„Touya, was ist denn passiert?!“

„Nichts besonderes. Shindou hat zu viel getrunken und ist ohne Schirm durch den Regen gelaufen und mir hat der Wind den Schirm umgeknickt.“

„Warum hast du nicht gleich ein Taxi gerufen?“

„Ich dachte, die paar Meter schaffe ich es auch mit einem Schirm. Ich habe den Wind unterschätzt.“

„Herr je. Kommt erst einmal rein. Ich fülle euch ein Bad auf. Legt eure nassen Sachen hier im Gang gleich ab, ich kümmere mich darum.“ Kaum eine Minute später kam sie mit zwei Handtüchern, mit denen sich Touya das Gesicht und die Hände trocknete. Dann nahm er erst Shindou, dann sich sich die Weste beziehungsweise Jacke ab und sie betraten das Haus.

„Das Bad ist schon angewärmt. Ihr könnt gleich rein. Shindou sieht wirklich nicht gut aus. Dass junge Männer immer so übertreiben müssen.“

„Steck mich bitte nicht mit diesem Kerl in eine Tasche!“

„Du hast ihn mitgebracht.“

„Ich weiß. Ich hatte keine andere Wahl.“

Touya schleifte Shindou noch die wenigen Meter ins Bad und zog dann die Schiebetür hinter ihnen zu.

„Hey Shindou!“, rief er dem mit geschlossenen Augen da hängenden zu. Shindou gab keine Antwort. Erst jetzt wurde es Touya bewusst, in was für eine Situation er war. Er würde Shindou die Kleider abnehmen müssen und ihn baden müssen. Wie, verdammt nochmal, war er da hinein geraten? Er kniff die Zähne zusammen und begann wohl oder über die Kleider von Shindous Körper zu lösen. Shindou war mit offener Jacke durch den Regen gerannt, was zur Folge hatte, dass er bis auf die unterste Schicht durchgeweicht worden war. Wären sie noch eine weitere Viertelstunde dort im Regen gestanden, wäre Shindou mit Sicherheit krank geworden. Er war jetzt schon erstaunlich heiß. Hoffentlich hatte er kein Fieber. Als Touya zu dem Punkt kam, an dem er Shindous Boxershorts herunter zog, galt sein Blick der Decke. Er hätte nie gedacht, dass er jemals so etwas Erniedrigendes machen müsste. Dann setzte er Shindou auf dem Boden ab, zog sich selbst aus und hob Shindou wieder an, um durch die zweite Tür in den eigentlichen Waschraum zu gehen. Shindou wurde auf den kleinen weißen Badehocker gesetzt. Touyas Beine dienten ihm quasi als Stuhllehne, solange Touya die Wärme des Wassers prüfte. Als diese stimmte, begann Touya, Shindou mit dem heißen Wasser aus dem Duschkopf zu übergießen und fuhr ihm durch das Haar. Es war erstaunlich dünn für japanisches Haar. Zum Shampoo zu greifen, ohne Shindou umkippen zu lassen war eine Aktion, bei der Touya mehrere seiner Muskeln, die er sonst nie aktiv benutzte einmal ordentlich dehnte. Dann, nach einer gefühlten halben Stunde seifte er Shindou erst die Haare, dann den Körper mit einem kleinen Schwamm ein. Die privaten Teile sparte er aus in der Hoffnung, dass Shindou eine Resthygiene besaß. Nach getaner Arbeit hiefte er Shindou zu guter Letzt vorsichtig ins nun bis zum Rand gefüllten Bad. Erst hatte Touya Sorge, dass Shindou absinken würde, doch glücklicherweise schien dieser wieder einigermaßen zu sich zu kommen und so konnte Shindou sich selbst halten. Shindou blickte Touya, der mit sorgenvollem Blick über ihn gebeugt war durch halbgeschlossene Augen an. Wenn er ehrlich war, war er weniger betrunken, als er vorgab. Aber wann würde er wieder die Chance bekommen, von Touya Akira persönlich ausgezogen und eingeseift zu werden? Was genau passiert war, nachdem er sich Touya entschuldigend in die Arme geworfen hatte, wusste er zwar nicht mehr, aber spätestens seit sie im Flur der Touyas gestanden hatten, war er wieder einigermaßen zurechnungsfähig gewesen.

„Bist du wieder wach?“, fragte Touya.

Shindou murrte eine Art „Ja“.

„Gut. Ertrink mir nicht. Ich wasche mich erst mal selbst. Und wehe, du fängst an, zu gaffen!“

Shindou murrte wieder ein „Ja“, doch aus den Augenwinkeln beobachtete er sehr genau den anderen Jungen Mann, der, ihm den Rücken zugewandt, nun mit einem kleinen gelben Schwamm an seinem Körper entlang fuhr. Die schüchterne Art, in der er es aber tat war noch um vieles reizvoller, als wenn er sich ungezwungen gewaschen hätte. Touya begann, sich abzuspülen. Als Shindou mit den Augen die Wasserflüsse verfolgte, die an den Lenden von Touya herab liefen, sich ihren Weg über den runden, kleinen Hintern bahnten und schließlich an den Beinen herab rannen, musste er unweigerlich schlucken. Wie gerne wäre er einer dieser tausend kleinen Wassertropfen gewesen. Touyas weiße, reine Haut war sicher weich. Als sein Körper im Wasser das Signal gab, dass ihm diese Szene alles andere als egal war, biss Shindou die Zähne zusammen und versuchte, seine Gefühle herunter zu regeln. Das war wirklich Folter. Touya war nicht einmal einen halben Meter von ihm entfernt. Er müsste nur den Arm ausstrecken … mit Mühe verkniff er sich eine Einladung, um Touya zu sich in die Wanne zu holen. Nun drehte er sich sogar leicht zu ihm um!

In Shindous weit geöffneten Augen, die er ihm zu wandte sah Touya, dass dieser wohl wieder einigermaßen nüchtern war. Er gaffte doch!

„Wenn du noch länger in der Wanne bleibst, komme ich gar nicht mehr zum baden,“ meinte Touya verärgert. Es war so klar, dass er diese Situation ausnutzen würde! „Der Föhn liegt in dem linken Wandschrank. Handtücher liegen auf der Waschmaschine bereit.“

Etwas enttäuscht, dass die Show schon vorbei war, zog Shindou eine leichte Schnute, stieg aber dann folgsam aus der Wanne und verschwand unsicher stapfend in den Vorraum. Wenige Minuten später stand Touya neben ihm und föhnte sich die Haare. Der Vorraum war eng und sie beide trugen noch immer nur ein Handtuch um die Lende. Doch Touya wusste die Atmosphäre gut zu zerstören.

„Jetzt, wo du wieder nüchtern bist, kannst du ja nach Hause gehen,“ rief er Shindou zu, nachdem er das Föhnen für einen Moment unterbrochen hatte.

Der Vorschlag traf Shindou wie ein Stich ins Herz. Störte Touya seine Anwesenheit so sehr? Aber wenn es das war, was Touya wollte, konnte er nicht anders. Also schlüpfte er in seine noch nassen Kleider und wandte sich zur Tür. Ein „Gute Nacht“ von Touya bedeutete ihm den endgültigen Rausschmiss.

Dieser war ihm jedoch nicht vergönnt. Gerade als er aus dem Bad kam, lief ihm Touyas Mutter über den Weg.

„Oh, geht es dir wieder besser, Shindou-Kun? Warum hast du denn deine nassen Sachen wieder angezogen? Touya hätte dir für das kurze Stück doch ein großes Handtuch geben können.“

„Ich werde nach Hause gehen. Vielen Dank, dass ich ein Bad nehmen durfte. Und verzeihen Sie bitte die Umstände. Es wird nicht wieder vorkommen,“ entschuldigte sich Shindou und verbeugte sich.

„Nach Hause? Mit den nassen Kleidern? Damit erkältest du dich nur. So ein Unsinn. Weißt du überhaupt, wie spät es ist? Ich schlage dir vor, dass du heute hier übernachtest. Ich habe dir im Gästezimmer auch schon einen Futon hergerichtet. Hast du morgen früh denn einen wichtigen Termin?“

„Nein, das nicht, aber …“

„Dann bitte ich dich inständig, zu bleiben. Ich fühle mich auch nicht wohl, dich in diesem Zustand in den Regen hinaus zu lassen.“

„Ich …“

„Akira!“, rief seine Mutter gegen den Föhn im Bad an. Touya schien die Stimme gehört zu haben, denn das Geräusch des Föhns stoppte. „Gib mir bitte ein neues Handtuch, damit Shindou-Kun sich wieder abtrocknen kann.“ Touya reichte ihr wortlos ein Handtuch heraus.

„Danke. Shindou-Kun,“ wandte sie sich diesem zu, „hier links die Tür führt zu deinem Zimmer. Ich habe dir dort einen Schlafyukata hingelegt. Lass dir von Akira nachher noch eine Zahnbürste geben, es sollten noch ein paar neue im Schrank liegen.“

„Danke, Touya-san.“

„Gern geschehen. Ich werde jetzt auch schlafen gehen. Falls ihn noch Hunger haben solltet, ihm Kühlschrank findet ihr noch ein paar Dinge, die ihr euch aufwärmen könnt. Ansonsten wünsche ich euch eine gute Nacht.“

„Ich habe verstanden. Gute Nacht, Touya-san.“

„Gute Nacht,“ kam es auch aus dem Bad.

Touya hatte das Gefühl, er müsse seine Haare heute Abend besonders gründlich föhnen und kämmen, auch wenn es in der Wohnung alles andere als kalt war. Er hatte schon wieder Herzklopfen. Dabei hatte er doch extra vermeiden wollen, Shindou noch länger um sich zu haben. Aber seine Mutter hatte recht. Natürlich hatte sie recht. Vermutlich hatte Shindou bereits Fieber. Zu allem Überfluss hatte Touya nun auch noch ein schlechtes Gewissen.

Als es still im Gang geworden war, traute Touya sich aus dem Bad und fand sich unweigerlich vor Shindous Tür wieder. Eigentlich sollte er sich entschuldigen. Shindou in die Kälte und Dunkelheit hinaus zu schicken, nur weil er in betrunkenem Zustand über ihn hergefallen war, war egoistisch und kindisch noch dazu. Aber da kam er auch schon wieder auf das Thema, über das er selbst nicht nachdenken wollte. Warum Shindou ihn geküsst hatte, war klar. Aber warum hatte er sich darauf eingelassen? Wahrscheinlich auch nur die Wirkung des Alkohols. Schließlich hatte er an dem Abend auch nicht wenig getrunken und das musste ihm den Kopf vernebelt haben. Auch wenn er sich das nach außen hin nicht anmerken ließ.

'Es ist nur eine Entschuldigung …', redete Touya sich in Gedanken ein, doch seine Hand verharrte regungslos auf dem runden Türknauf.

In diesem Moment aber erklang das Geräusch der Klospülung und Shindou kam aus der Toilette. Zugegebenermaßen, die Szene amüsierte ihn. „Willst du zu mir?“

„Tsk,“ kam es nur von Touya. „Nein. Schon gut. Ich wollte nur -“, meinte Touya und wandte sich schon zum Gehen um. Doch Shindou ergriff seinen Arm und zog ihn fröhlich zu sich ins Zimmer.

„Shindou!“

Der Raum, den sie betraten, war bis auf einem Futon auf einer Tatamimatte fast leer. Links von ihnen war eine mit Goldpuder verzierte Schiebewand, vor ihnen eine Schiebewand aus einem Holzgitter, das mit weißem Papier überspannt war. Vermutlich lag dahinter das Fenster, das auf den Garten ausgerichtet war. Rechts von ihnen standen in einer Ecke, die in der Wand ausgespart worden war, ein Blumentopf, der gerade so hoch war, dass er die Hängerolle an der Wand dahinter nicht bedeckte. Sie zogen die Schuhe aus und setzten sich auf den Futon. Touya schwieg noch immer verbittert. Es war ihm peinlich, bei seiner Grübelei entdeckt worden zu sein. Shindou hingegen war fröhlich, schließlich war es Touya gewesen, der scheinbar das Gespräch mit ihm aufgesucht hatte. Und tatsächlich, nach einigen Minuten des Schweigens würgte Touya einige wenige Worte hervor.

„Geht es dir wieder besser?“

„Ja, ich denke, ich bin wieder halbwegs nüchtern. Danke, dass du mich mit zu dir genommen hast. Ich habe wirklich einen über den Durst getrunken. Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung mehr, was passiert ist, seit ich dir in den Park gefolgt bin. Ich habe sogar nicht einmal so recht eine Ahnung, wie ich in den Park gekommen bin.“

Also hatte Shindou den Kuss tatsächlich nicht mitbekommen.

'Glück gehabt …', Touya atmete einmal erleichtert durch. Dieses Erlebnis würde er mit ins Grab nehmen.

„Du bist umgekippt. Man könnte meinen, dass du in diesem Alter deine Grenzen schon kennst.“

„Tut mir Leid.“ Ein wenig ärgerte Shindou sich schon. Eigentlich müsste es doch jedem vernünftigen Menschen klar sein, weshalb Shindou sich so betrunken hatte. Es war nun wirklich nicht gerade so, dass es ihm leicht fiel, die Abfuhr von Touya einzustecken. Für ihn war Touya nicht irgendeine Affäre. Er war der wichtigste Mensch in seinem Leben. Nur Touya schien das wohl nicht zu begreifen. Wenn Touya wüsste, dass Shindou wirklich quasi ununterbrochen an ihn dachte, wie sehr er sich im Zaum halten musste, wenn Touya auch einfach nur neben ihm stand! Und auch jetzt machten es die dünnen, luftigen Schlafyukatas es ihm nicht leichter. „Ich … habe aber eben auch nicht ohne Grund so viel getrunken. Ich wünschte, du würdest verstehen, dass das auch nicht gerade leicht für mich ist.“

„Was meinst du?“, fragte Touya.

„Du hast mir nicht mal eine klare Antwort gegeben.“

„Fängst du allen Ernstes mit dieser Sache an? Hör zu, wenn du ernsthaft glaubst, ich lasse mich zum Narren machen -“

„-Was heißt hier zum Narren machen?!“

„Du willst doch nicht behaupten, dass du ernsthaft solche Gefühle für mich hast. Das ist vielleicht gut für's Marketing, aber -“

„-Natürlich meinte ich das ernst. Ich liebe dich Touya! Wie oft denn noch! Ich dachte, du würdest es begreifen. Ich dachte, dass eine Botschaft über das Spiel dich erreichen würde. Ich dachte, dass du verstehen würdest, wie ernst ich es meine. Von allen Menschen, du liebst das Go doch genauso wie ich! Warum - “

„-Werf mich nicht in einen Topf mit dir. Du hast gar keine Ahnung, was Go für mich bedeutet! Nur, weil wir uns in einem zweitägigen Urlaub halbwegs gut verstanden haben, redest du von Liebe?! Was soll das denn bitte für ein oberflächliches Gefühl sein. Wir beide sind Rivalen. Wir waren es schon, seit wir uns kennen und wir werden es immer bleiben. Das ist die Rolle, mit der wir gewachsen sind. Also bleib mir vom Leib mit irgendwelchen Gefühlen.“

Shindou war verstummt. Er war den Tränen nahe. Aber Touya wollte er sie nicht zeigen. Seine Gefühle waren vielleicht eine neue Erkenntnis, aber nicht oberflächlich. Nur kam das bei Touya einfach nicht an. Aber im Grunde war es auch egal. Touya hatte ihm deutlich gesagt, dass er sich nicht für seine Gefühle interessierte. Er wollte ihn nicht. Es war alles egal.

„Ich denke, das Thema ist besprochen. Ich gehe schlafen,“ meinte Touya und ging zur Tür. Shindou brachte noch immer kein Wort heraus. Er verfolgte Touya lediglich mit den Blicken. Staunte dann aber nicht schlecht, als Touya die Schuhe, statt hinein zu schlüpfen in die Hände nahm und durch die linke Schiebetür abtrat. Ein kurzer Blick genügte, um zu zeigen, dass sich dahinter Touyas Zimmer befand.

'Warum hat der Kerl überhaupt so einen Aufstand gemacht zu mir rein zu kommen, wenn sein Zimmer ohnehin daneben liegt?!', ärgerte sich Shindou.

Herausforderung an Ogata-Sensei

Kapitel 4 – Herausforderung an Ogata-Sensei
 

Mit Shindou schien das Thema Beziehung besprochen gewesen zu sein, doch es gab noch einen weiteren Menschen, der dieser Szene beigewohnt hatte. Und eben dieser verfolgte Touya und Shindou mit seinen neugierigen Blicken, wann immer einer von beiden in Sichtweite war. Und schließlich war es Touya, der Waya ansprach:

„Sag mal, willst du mir irgendetwas mitteilen?“

„Ich hatte mich nur gefragt … wie es mit euch beiden weiter gegangen ist? Seit der Szene gestern im Park …“

Touyas Miene erstarrte. Warum wusste Waya davon?

„Wir waren beide betrunken. Da gibt es nicht viel zu erklären. Geschweige denn, dass viel passiert wäre. Den Rest kann dir Shindou selbst erzählen. Aber wehe, du verlierst auch nur ein Wort über das, was passiert ist!“, zischte Touya und seine Augen blitzen einen kurzen Moment auf.

„Dann wäre ich wohl ein toter Mann, nicht wahr?“, gab Waya mit zweifelndem Lächeln zurück.

„Wie kam es überhaupt dazu, dass du ebenfalls anwesend warst?“

„Ich hatte mir Sorgen um Shindou gemacht und bin ihm nachgelaufen. Ich denke, du wirst wohl am besten gewusst haben, in welchem Zustand er war.“

„Was soll das heißen?“

„Ach, schon gut. Ich halte also fest: Zwischen euch beiden ist nichts?“

„Als ob ich mich auf so einen Idioten einlassen würde.“

Das hatte Shindou gehört. Eigentlich war er nur kurz zum Automaten gegangen. Wer hätte gedacht, dass Touya Waya in der Zwischenzeit sein Herz ausschüttete.

„Herzlichen Dank“, kam es von Shindou aus nur einem halben Meter Abstand.

Das war jetzt schon das zweite Mal, dass Touya heute zu Stein erstarrte. Er warf Waya einen letzten warnenden Blick zu, dann zog er an Shindou vorbei, ohne ihm einen Blick zuzuwerfen.

Waya hätte ohnehin dicht gehalten. Er hatte seine ganz eigenen Motive und war, um ehrlich zu sein, froh, dass Touya kein Interesse an Shindou hatte. Waya war Shindou auch nicht komplett uneigennützig nachgelaufen. Hätte Touya ihn am Vortrag abblitzen lassen, so hätte sich vielleicht eine Chance für ihn ergeben. Nun, das Thema war nun ohnehin vom Tisch.

„Es gibt Dinge, die will man nicht als Dritter mitbekommen …“, murmelte Shindou und starrte auf den Boden.

„Wem sagst du das?“, gab Touya zurück, klopfte seinem Freund aber tröstend auf die Schultern.

„Ich sollte einfach aufgeben … ich weiß auch nicht so recht, was in mich gefahren ist …“, meinte Shindou schließlich. „Ich sollte mich mehr auf Go konzentrieren. Ich habe noch immer einen weiten Weg vor mir.“

„Sagte der Champ … “, grummelte Waya.

„Ich bin kein Champ. Ich habe nur ein paar wenige Titel. Es gibt noch viele andere dort draußen. Ich sollte mich langsam Ogata-Sensei stellen.“

Waya gab nur einen Seufzer von sich, nickte dann aber.
 

Auch wenn Touya an jenem Abend nach dem Nomikai sehr überzeugt geklungen hatte, war er alles andere sicher, welche Gefühle er für Shindou hatte. Ständig musste er an die Szene im Park denken und wie diese hätte enden können, und immer wieder verwarf er den Gedanken. Durch seine Grübelei machte er ungewollt Leichtsinnsfehler beim Go, die Ogata-Sensei zunehmend ins Auge fielen. Irgendwie rettete sich Touya immer wieder, aber bei einem ernsthaften Turnierkampf könnte ihn das ein Spiel kosten.

„Touya,“ sprach Ogata-Sensei ihn eines Tages nach einem besonders wackligen Spiel an.

„Ogata-Sensei!“

„Hättest du nicht Lust auf ein Spiel mit mir?“

„Nun … ich … “, gab Touya unsicher zurück. Er spielte gerade alles andere als glanzvoll, aber die bitte eines so langjährigen Bekannten konnte er nicht ausschlagen. „Sicher. Wann?“

„Wie wäre es mit heute Abend in meinem Apartment? Dort haben wir unsere Ruhe und ich garantiere dir eine gute Aussicht.“

„Das klingt gut!“, antwortete Touya und lachte.

„Gut, dann bis später. 19 Uhr?

„In Ordnung.“
 

Touya brauchte nur wenige Züge zu spielen, da setzten seine Gedanken an Shindou wieder ein. Inzwischen dachte er nicht mehr nur über die Szene im Park nach. Er machte sich Gedanken darüber, was im Badezimmer hätte passieren können, ihm kamen Shindous Liebesschwüre immer wieder in den Sinn, dann waren da noch ihre schönen gemeinsamen Tage zu zweit …

„Touya, du spielst unbedacht. Was ist los? Beschäftigt dich etwas?“, rief Ogata-Sensei plötzlich und Touya blickte auf.

„Ich …“

„Ich weiß nicht, was es ist, aber du solltest es möglichst bald loswerden. Ich möchte, dass du weißt, dass Shindou eine Herausforderung an mich eingereicht hat. Die Konkurrenz schläft nicht.“

Diese Aussage traf Touya wie ein Schlag. Während er vor sich hinträumte, ging Shindou bereits den nächsten Schritt? Wie merkwürdig. War diese ganze Liebesgeschichte am Ende nur ein Ablenkungsmanöver gewesen?

„Wirklich?“, fragte Touya fassungslos.

„Ja. Ich habe sein Schreiben hier, wenn du es sehen möchtest.“

„Nein, danke“, gab er trocken zurück.

„Es wäre also gut, wenn du wieder auf den Boden kommst. Verzeih mir meine Ehrlichkeit, aber du hast heute sehr schlecht gespielt. Wenn du dich aufhalten lässt, wird Shindou an dir vorbei ziehen.“

„Jawohl“, antwortete Touya und verbeugte sich tief. Er war ein solcher Idiot gewesen. Er war schockiert, aber vor allem wütend auf sich selbst, dass er sich von so einem billigen Trick hatte an der Leine herum führen lassen. Von wegen Liebe! Shindou war noch um vieles gerissener, als er gedacht hatte!

Wutentbrannt ging er am Folgetag sicheren Schrittes auf Shindou zu. Wie er so direkt vor ihm stand, begann sein Herz wieder zu rasen, doch er drängte jeden Gedanken zur Seite.

„Ich habe Ogata-Sensei ebenfalls herausgefordert. Nur damit du es weißt. Glaub nicht, dass du mich mit deinen billigen Tricks loswirst. Du elender linker Feigling.“

Shindou staunte nicht schlecht über die Vorwürfe. Er wusste noch nicht einmal, wovon Touya sprach.

„Worum geht es, Touya?“

„Du weißt genau, worum es geht! Um dein elendes Schauspiel, dass du Gefühle für mich hättest. Dieses widerliche Verwirrspiel. Und am Ende nutzt du meine Unsicherheit, um in der Zwischenzeit dir den nächsten Titel zu holen.“

Die Worte waren zwar alles andere als freundlich, aber Shindous Herz machte bei Touyas letzten Satz doch einen Sprung.

„Du bist unsicher? Warum?“

„Ich bin nicht unsicher!“ Wieso musste Shindou gerade dort einhaken?

„Aber du hast doch gerade -“

„Ich meinte damit, dass das … das deine Taktik ist. Ich rede nicht von Tatsachen!“, brüllte Touya schon fast. Seit wann bereitete Shindous bloße Anwesenheit ihm solche Herzklopfen?

Shindou wusste nicht so recht, ob er sich freuen sollte oder ob er Touyas Wut ernst nehmen sollte.

„Touya, ich bleibe bei meinen Worten. Ich lie-“

„-Bleib mir vom Leib damit!“, wehrte Touya ihn ab.

„Also schön! Wenn du das schon nicht hören willst, dann lass mich dir erstmal die Wahrheit erzählen.“

„Die Wahrheit …“, äffte Touya ihn nach.

„Die Wahrheit, ja! Ich habe Ogata-Sensei doch bloß heraus gefordert, weil ich mich von dir ablenken wollte, verstehst du?“

Da war es schon wieder. Dieses unterschwellige 'Ich liebe dich'. Alles sagte ihm das, diese wehleidige, stechende Blick, seine Haltung, sein Tonfall. Er durfte jetzt nicht nachgeben. Shindou war ein guter Schauspieler. Das war alles.

„Ich habe dir gesagt, was ich sagen wollte“, gab Touya nur als Antwort und drehte Shindou den Rücken zu.

„Wieso glaubst du mir nicht?“, fragte Shindou in verzweifeltem Tonfall.

„Es gibt nichts zu glauben. Viel Glück bei deinem kommenden Match, du wirst es brauchen. Ogata-Sensei bringt man mit billigen Tricks nicht aus der Ruhe.“

„Touya!“

Doch Touya ließ nicht mehr mit sich reden.
 

Touya war wütend. Wütend zum einen auf Shindou, dass er ihn so zum Affen hielt und zum anderen wütend auf sich selbst, dass er auch noch auf diese Masche herein fiel. Irgendwo tief in sich konnte und wollte er nicht glauben, dass Shindou ihn so derart dreist anlog. Und dennoch: Dass Shindou in der Zeit, in der er gezögert hatte, Ogata-Sensei herausgefordert hatte, sprach doch nur dafür, dass Touya hier der Dumme war. Andererseits hatte Shindou auch gesagt, dass er sich nur von Touya ablenken lassen wolle.

„Zum Teufel!“, fluchte Touya und raufte sich die Haare. „Ich tue es schon wieder! Ich muss endlich aufhören, mir über diesen Idioten den Kopf zu zerbrechen. Was bringt es denn schon? Selbst wenn sein Geschwafel von Liebe stimmen sollte – wir sind zwei Männer. Das wäre vollkommender Unsinn. Ich bin doch nicht schwul. Reiß dich zusammen, Touya. Du wolltest dein Leben dem Go widmen.“

Wieder gefasst begab sich Touya zum Spielzimmer seines Vaters und klopfte.

„Vater, störe ich?“, fragte er. Sein Vater brütete gerade nur wie so oft über einer Partie Go, die er wohl bei einem seiner letzten Spiele gespielt hatte. Touya musste unweigerlich lächeln. Dieser Anblick war für ihn so vertraut.

„Was gibt es?“

„Würdest du mit mir spielen?“

„Sicher.“

Das Spiel mit seinem Vater beruhigte ihn. Auch wenn er wie üblich streng mit Touya war und sein Sohn mal um mal verzweifelt mit sich hadern musste, wo er nur seinen nächsten Stein legen sollte, war dieser Kampf zwischen Vater und Sohn das, wo er sich Zuhause fühlte. Er liebte Go wirklich. Das spürte er mit jedem Zug, den er ausspielte. Die Routine, in der die verschiedenen Muster und Möglichkeiten durch seinen Kopf flossen, die Ruhe, die sie umgab, der Zweikampf, der sie beide für den Augenblick, den das Spiel andauerte vom Rest der Welt abtrennte. Endlich hatte er wieder zu seinem Ort gefunden, der ihm Ruhe gab vor seinen eigenen Gedanken. Immer wieder zwickten ihn Gedanken an Shindou, doch sein Wunsch danach, wieder aus vollem Herzen Go spielen zu können, ließen die Gedanken an seinen Rivalen verschwinden. Für die Vorbereitungszeit für das Spiel gegen Ogata-Sensei hatte er sich auch so gut es ging frei genommen. Und so führte ihn von diesem Tag an sein Weg fast ausschließlich vom Bett ans Go-Brett und zurück.

Seine Mutter brachte ihm wieder wie früher Häppchen an das Go-Brett und in dieser Zeit fühlte er sich wieder wie das Kind und später der Jugendliche, der nichts kannte, als das Go-Spiel und den Traum, eines Tages Titelmeister zu werden und den göttlichen Zug spielen zu können. Und doch nagte etwas an ihm. Langsam, schleichend, aber doch stetig. In Stunden, in denen nicht mal sein Vater anwesend war und er selbst nur einige Kifu nachspielte, verstärkte sich dieses Gefühl. Er hielt dann inne und blickte in den Garten, der erfüllt war mit dem Zirpen der Zikaden und dem Klopfen des Bambus. Ihm tat das Herz weh, dass er Seufzen musste. Oft drängten sich dann wieder Gedanken an Shindou in sein Bewusstsein, doch spätestens dann spielte er sein nächstes Spiel oder machte im schlimmsten Fall einen Spaziergang.

Zwei Monate vergingen auf diese Weise und Touya spürte förmlich, wie sein Go-Spiel Gestalt annahm. Manchmal staunte er selbst über sein Vokabular an Mustern, aus denen er wählen konnte, wie er als nächstes spielte.

„Vater, habe ich mich verbessert?“, fragte Touya offen.

„Ja“, antwortete ihm sein Vater, wirkte dabei jedoch nachdenklich.

„Ich denke auch. Das intensive Spielen hat mir wirklich gefehlt“, gab Touya begeistert zurück.

„Es gibt da eine Sache, die ich dir sagen muss.“

Touya blickte auf.

„Ich glaube“, sprach sein Vater, „dass ich dir nichts mehr beibringen kann.“

„Wie bitte? Aber ich habe doch noch immer keine Chance gegen dich!“

„Darum geht es nicht. Du kannst zwar mit mir üben, aber Neues kann ich dir momentan nicht mehr beibringen. Du brauchst andere Spieler mit deinem Niveau, um weiter zu wachsen. Deshalb wird das heute für's Erste das letzte Spiel sein, das wir zusammen spielen.“

„Aber du meintest doch, dass du noch mit mir üben kannst! Und überhaupt glaube ich, dass ich noch viel von dir lernen kann!“, rief Touya aufgebracht. Der Gedanke an Spieler mit seinem Niveau versetzte ihn in Panik. Er wusste genau, wen sein Vater damit meinte. Hier in greifbarer Nähe gab es nur einen von gleichem Rang, der ihm das Wasser reichen konnte. Und das war die Person, die er am allerwenigsten sehen wollte.

„Ich weiß nicht, was dir solche Angst bereitet, aber wenn du besser werden möchtest, musst du über deinen Schatten springen und gegen Shindou Hikaru antreten. Hast du etwa Angst, gegen ihn zu verlieren?“

„Nein!“

„Mit deinem jetzigen Fortschritt sollte das nicht mehr so leicht passieren.“

„Das ist es nicht. Ich habe keine Angst davor, zu verlieren …“

„Was ist es dann?“

Touya brachte eine ganze Weile kein Wort zustande. Dann seufzte er einmal kurz und meinte schließlich: „Ich kann ihn nicht ausstehen.“

„Das ist alles? Deswegen läufst du vor ihm weg? Touya, das willst du mir gerade nicht ernsthaft erzählen?“

Touya schwieg wieder. Es gab nichts, was er zu seiner Verteidigung sagen konnte. Er wusste, dass es kindisch war, aber dennoch war ihm so zuwider bei dem Gedanken, gegen Shindou antreten zu müssen, dass er lieber hier in diesem Zimmer noch hundert Jahre trainieren würde, selbst wenn es weniger effizient war.

„Ich werde nicht mehr gegen dich antreten, bis du mir nicht beweisen kannst, dass du deinen Schwachpunkt ernsthaft bekämpft hast. Ich sehe, dass du dich quälst. Nur wenn du davor davon läufst, wird es nicht besser.“ Kurz darauf erhob sich Touyas Vater und ging aus dem Raum.

Er hatte so recht. Das wusste Touya besser als jeder andere. Er musste gegen andere mindestens gleichstarke Gegner antreten, um die erlernten Züge auch in einem anderen Umfeld auszutesten und seinen eigenen Spielstil zu finden. Aber er wollte nicht. Noch nicht.
 

Es brauchte eine ganze Woche, bis Shindou endlich eine Nachricht von Touya bekam, in der er in wenigen Worten um ein Spiel bat. Auch wenn Touya beinahe Stunden damit verbracht hatte, sich zu überlegen, wie er Shindou schreiben sollte, schickte er letztlich doch nur die üblichen kalten Worte:

„Wenn du gegen mich antreten möchtest, komm morgen Abend um 19 Uhr in den Go-Salon meines Vaters.“

„Was denkt sich dieser Kerl eigentlich?!“, fluchte Shindou, als ihn aus heiterem Himmel Touyas Nachricht erreichte. Wochenlang hatte er gebangt, auf ein Lebenszeichen gewartet und ihn mit Nachrichten bombardiert und jetzt rang sich dieser Trampel nicht einmal dazu auf, sich für die lange Stille zu entschuldigen?!

„Meinetwegen,“ schrieb Shindou nur genervt zurück.

„Hey, was'n los?“, fragte Waya belustigt, als er Shindou nach langer Zeit wieder energiegeladen vorfand. Die leichenähnliche Aura, die den Blonden die letzten zwei Monate umgeben hatte, war wirklich nicht auszuhalten gewesen. „Touya?“

„Ja. Dieser -!“

„Darf ich?“, fragte Waya, nahm dem Kleineren aber schon das Handy aus der Hand.

„Ja“, warf Shindou unnötigerweise nach.

Als Waya Touyas Nachricht las, begann er zu lachen. „Na ja, charmant, zuvorkommend und liebenswürdig wie immer. Touya halt, was hast du erwartet?“

Shindou schnaubte zur Antwort bloß. „Dem werde ich was erzählen, wenn wir uns sehen.“

„Tu das“, gab Waya zurück und gähnte. „Wollen wir langsam was essen gehen?“
 

Dass Shindou seine Herausforderung ohne zu zögern angenommen hatte, machte Touya alles andere als glücklich. Das hieß, dass er nur darauf gewartet hatte, gegen ihn anzutreten. Sämtliche sonstige Versuche, mit Touya in Kontakt zu treten, hatte Touya beflissentlich ignoriert. Auf Shindous menschliche Annäherungsversuche konnte er gut verzichten. Er hatte nur einen einzigen Grund, Shindou zu treffen und das war, um Go gegen ihn zu spielen. Dennoch breitete sich bei dem Gedanken daran, dass er ihn morgen treffen würde, Aufregung in Touya aus. Es kam ihm vor, als durchlebe er ein déjà vu von dem Tag, an dem er damals in der Mittelschule gegen ihn antreten wollte und vor Aufregung den Deckel des Go-Steine-Behälters hatte fallen lassen. An diesem Abend beschloss er, keine Partie zu spielen und zur Ruhe zu kommen. Er saß noch bis spät in die Nacht auf der Terrasse und lauschte den Geräuschen des Gartens. Er nahm jedes Zirpen von den Bäumen und der Wiese oder Blubbern im Teich so klar wahr, als spiele sich dieses direkt neben seinem Ohr ab. Morgen würde er nicht gegen Shindou verlieren. Weder das Spiel noch sein Herz.

Die Macht des göttlichen Zuges

Kapitel 5 – Die Macht des göttlichen Zuges
 

Diese Überzeugung hielt in Touya auch bis zum Abend des nächsten Tages an. Er kam bereits eine Stunde früher und setzte sich an seinen üblichen Platz. Dieser Ort rief wieder alte Erinnerungen hervor, doch heute ließen sich seine Gedanken nicht zerstreuen. Er ging nochmals in Ruhe verschiedene Muster im Kopf durch und bemerkte nicht einmal, wie ihm ein Glas eisgekühlter Saft an die Seite gestellt wurde.

Shindou kam pünktlich. Eine positive Eigenschaft, die er sich über seine Zeit als Profi erst angewöhnen musste. Als Shindou Touya erblickte, hätte er am liebsten gleich seinem Ärger Luft gemacht, doch als sich ihre Blicke trafen, verstummte Shindou, ohne ein Wort gesagt zu haben. Touyas Blick traf ihn mit einer Intensität, die er nicht in Worte fassen konnte.

„Fangen wir an?“, fragte Touya, als er merkte, dass Shindou im Stehen Wurzeln zu schlagen schien.

„Ja“, gab Shindou leise zurück.

Beide griffen in jeweils einen Behälter mit Go-Steinen und machten das Nigiri. Auch wenn um sie zahlreiche andere Go-Spieler waren, kam es Shindou so vor, als säßen nur sie beide in diesem Raum. Touyas durchdringender Blick und die Stille zwischen ihnen nahm ihn voll und ganz ein.

„Ich habe schwarz“, kommentierte Touya und legte den ersten Stein.

Touya spielte schnell. Er musste sich daheim bereits genau überlegt haben, wie er legen würde. Diese hochkonzentrierte Art zu spielen und seinen Kampfgeist hatte Shindou schon immer bewundert. Sie spielten eine ganze Weile ohne ein weiteres Wort. Und auch wenn sich Shindou seine Züge gut überlegte, war ihm, als schwebten seine Steine nur über den geradezu auf das Spielbrett fliegenden Steine von Touya. Das Spiel floss von ganz alleine.

'Sterne', kam es Shindou wieder. 'Es ist, als lege ich Sterne auf das Brett.' Dann hielt er kurz inne und blickte zu Touya auf. Sein Gegenüber erwiderte seinen Blick. 'Er sieht durch mich hindurch', dachte Shindou. Aber er empfand Touyas Blick keineswegs als negativ. Ihm war mehr, als blicke er in ihn hinein. Es gab nur noch Touya und ihn. Und mit einem Mal bekam er das Gefühl, dass sie auf eine unerklärliche Weise verbunden wären.

Auch Touya nahm diese merkwürdige Verbindung zwischen ihnen wahr. Ohne zu blinzeln blickte er Shindou in die Augen, dann richtete er den Blick wieder auf das Spielbrett. Er brauchte eine ganze Weile, bis er begriff, was vor ihm lag. Erst waren es nur weiße und schwarze Steine, doch dann erkannte er Wirbel in den äußeren Feldern, innen Sterne, schwarze Tiefe und alles in einer perfekte Linie, einem Fluss angeordnet – er musste nicht mehr länger nachdenken, was vor ihm lag. Der Göttliche Zug, sie waren ihm näher gekommen! Bei dem Anblick des Universums, dessen Konturen sich auf dem Go-Feld andeuteten, lächelte er leise. Shindou hingegen wurde durch Touyas Lächeln komplett aus der himmlischen Sphäre gezogen. Wie unglaublich schön Touya war, wenn er lächelte!

„Siehst du das, Shindou?“, fragte Touya ihn euphorisch.

„W-Was denn?“, erwiderte Shindou verdutzt.

Touya zeigte auf das Spielfeld und beschrieb ihm, was er sah. Irgendwie ähnelte es Shindous Vorstellung, von dem, was er gespürt hatte, aber er hörte auch nur auf halbem Ohr zu. Touyas Anblick bereitete ihm wieder Herzklopfen.

„Wir können den göttlichen Zug zusammen spielen!“, freute sich Touya. Shindou war nicht wirklich begeistert. Einerseits wusste er, wie bedeutend das hätte sein können, aber er hätte sich mehr darüber gefreut, wenn Touya ihm das Lächeln aus einem anderen Grund gezeigt hätte. Doch so sehr Touya sich auch freute, der nächste Zug, den Shindou spielte, ließ die Illusion zersplittern. Das Bild, das sich ihm ergeben hatte, verzerrte immer mehr, je länger sie das Spiel fortsetzten und letztlich schlug Touya frustriert mit der Hand auf den Tisch. Sie würden nicht wieder in ihren vorherigen Spielfluss zurück finden.

„Das ist alles deine Schuld!“, fluchte Touya.

„Meine Schuld? Von wegen! Wenn du nicht plötzlich angefangen hättest, zu lächeln und dabei so süß auszusehen, dass mir dabei das Herz stehen bleibt- !“

„Was bitte?“, fragte Touya und wusste nicht, ob er entsetzt oder wütend sein sollte. Jetzt bekam er wieder Herzklopfen wegen Shindous geschmacklosem Kompliment! Um mehr Peinlichkeiten aus dem Weg zu gehen, stand Touya ruckartig auf und stolzierte aus dem Salon.

„Touya!“, maulte Shindou, wollte aber nicht schon wieder derjenige sein, der dem anderen hinterher rannte. „Ach, mach doch, was du willst!“
 

„Ach Shindou!“, begrüßte ihn Waya in mitleidigem Tonfall am nächsten Tag auf der Arbeit. Wie jede Mittagspause trafen sie sich im Gemeinschaftsraum der Mitarbeiter. „Hat Touya sich wieder daneben benommen?“ Als Shindous bester Freund war er inzwischen zwangsweise in das Gefühlschaos der beiden eingeweiht.

„Woher weißt du, dass ich mir wegen Touya den Kopf zerbreche?“

„Weil es nur dieser Kerl sein kann, der deine Laune so in den Keller treibt. Glaub mir, dass ist jetzt nicht gerade das erste Mal, dass ich dich so sehe.“

„Also schön. Nein, er hat nichts falsch gemacht. Aber ich habe mal wieder meinen Mund nicht halten können. Und jetzt will er mich bestimmt nicht mehr treffen.“

„Sagt wer?“, fragte eine vertraute Stimme aus Richtung Tür. Touya stand im Eingang an die Tür gelehnt. Er musste wohl den letzten Teil des Gesprächs mitbekommen haben.

„Touya!“, rief Shindou und es schwang mehr Freude darin, als er wollte.

„Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du heute nicht nochmal gegen mich spielen möchtest. Wenn man bedenkt, was wir gestern revolutionäres erlebt haben – da ist es mir doch gerade egal, ob wir uns wieder gestritten haben. Also, wie sieht es aus?“, versuchte Touya möglichst locker rüber zu bringen. Es fiel ihm schwer, als er sah, wie niedergeschlagen Shindou über seine Worte war.

„Du willst also wegen dem Göttlichen Zug gegen mich spielen, richtig?“, fragte Shindou geknickt.

„Natürlich. Neben meiner eigenen Neugierde sehe ich es auch als unsere Pflicht als Elite, den Göttlichen Zug anzustreben.“

„Du bist schon ein bisschen kaltherzig?“, fragte Waya an Shindous Stelle, da dieser kein Wort herausbrachte. Natürlich war es der Göttliche Zug, der Touya zu ihm brachte und nicht das Interesse an ihm.

„Wie du willst“, meinte Shindou schließlich, drehte dann aber den Kopf zur Seite.

„Sehr schön. Dann heute Abend um 19 Uhr? Wir können nach der Arbeit einfach ein wenig länger hier bleiben.“

„Okay“, kam es von Shindou.

„Dann bis heute Abend.“

„Mmh.“
 

„Das kann doch nicht dein Ernst sein?“, fragte Waya entrüstet, als Touya den Raum verlassen hatte.

„Wenn ich dafür Zeit mit ihm verbringen kann, ist das schon in Ordnung. Ist ja auch nicht so, dass mir die Spiele mit ihm keinen Spaß machen würden.“

„Und am Ende liegst du dann wieder heulend da.“

Den eigentlich übertrieben gemeinten Kommentar Wayas kommentierte Shindou nur mit einem Schulterzucken. Er konnte nicht leugnen, dass er wegen Touya schon des öfteren geweint hatte.

„Weißt du was? Ich bleibe heute einfach auch da. Muss der ja nicht wissen. Aber ich lasse dich nicht allein mit der Sache.“

„Waya!“, rief Shindou. Er war gerade sehr froh um seinen Freund. So hatte er wenigstens jemanden, falls er heute wie zu erwarten war, wieder enttäuscht wurde.

„Aber glaub nicht, dass ich das ein paarmal mitmache. Bitte versprich mir, dass du mit dem Unsinn aufhörst, wenn sich heute nicht wirklich was ergibt!“

Sie wussten beide, wie ausgeschlossen es war, dass Touya innerhalb dieses Tages plötzlich seine Einstellung Shindou gegenüber ändern und seine Gefühle auf den Kopf stellen würde, doch Shindou nickte trotzdem. Er war sich bewusst, wie masochistisch das auf Außenstehende wirken musste, was er hier abzog. Wenn es nur um ihn ginge, wäre ihm das egal. Doch Waya machte sich ernsthafte Sorgen um ihn. Und die wollte er ihm nicht bereiten.
 

Wie verabredet trafen sich Shindou und Touya um 19 Uhr im Übungsraum des Go-Verbundes. Tagsüber tummelten sich hier Go-Spieler aller Altersklassen, um zusätzlichen Unterricht zu bekommen. Jetzt, wo nur sie beide in dem Raum waren, wirkte er plötzlich ungewohnt groß und leer. Touya schien diese Tatsache nicht zu stören, denn er trat so sicher auf wie am helllichten Tag.

„Danke, dass du dich heute mit mir triffst,“ meinte er zu Shindou, als sie sich am Go-Brett gegenüber saßen. Nun, wo sie beide unter sich waren, war sein Tonfall viel weicher als noch wenige Stunden zuvor. „Ist das wirklich in Ordnung für dich?“

Shindou war über Touyas plötzliche Freundlichkeit überrascht, nickte aber nur.

„Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht genau, was ich glauben soll. Einerseits weiß ich, dass es naiv wäre, dir deine Liebesschwüre abzukaufen. Aber andererseits sehe ich, wie niedergeschlagen du bist. Und das kommt mir nicht gespielt vor.“

„Was muss ich dir denn sagen, damit du mir glaubst?! Ich meinte es ernst, wenn-“

„-Das spielt keine Rolle. Ich sagte dir bereits, dass wir geboren wurden, um Rivalen zu sein.“ Shindous verärgerter und verletzter Blick zwang Touya, selbst den Blick abzuwenden.

„Als ob es für so etwas eine Bestimmung gäbe!“, sprach Shindou weiter.

„Wären wir denn hier, wenn wir nicht gegeneinander spielen würden? Ich glaube, dass jedes andere Verhältnis es unmöglich machen könnte, den Göttlichen Zug zu spielen. Also, ich mache den Nigiri.“

„Du bist ein Egoist und ein Ignorant! Du hörst mir nicht zu und redest nur selbst. Schön, dass du den Göttlichen Zug spielen willst. Aber hast du mal mich gefragt, ob ich das will?“

„Wenn du es nicht wolltest, wärst du doch nicht hier, oder?“

„Du weißt, warum ich hier bin. Aber du willst es einfach nicht begreifen, oder? Schön, wenn du es nicht mit Worten verstehen willst, werde ich es dir auf meine Weise zeigen. Ich nehme schwarz.“

Shindou hatte sich geschworen, dass er dem Ganzen heute ein Ende setzen würde. Seine Worte halfen nichts. Die einzige Sprache, die Touya zu akzeptieren schien, war die, die über ein Go-Brett lief. Also blieb ihm nichts, als ihm seine Gefühle über das Spiel zu übermitteln. Er wusste nicht, wie, aber er betete innerlich bei jedem Stein, den er spielte, dass er Touya tief in seinem Inneren erreichte. In seinem Eifer merkte er, dass er aggressiver spielte, doch Touya blieb genauso eisern bei der Sache. Seine Verteidigung schien unmöglich zu durchbrechen und doch versuchte es Shindou mal um mal. Ohne, dass er es wollte, kamen ihm Tränen und zugleich waren seine Gefühle so aufgewühlt, dass er sich vorstellte, wie er Touya genau in diesem Augenblick umarmte, küsste und an sich drückte, wie er es sich schon so lange gewünscht hatte.

„Hör endlich auf, deine Steine immer so nah an meine zu spielen!“, fluchte Touya. In seiner Stimme lag ein Zittern. Shindous Spielweise hatte ihn alles andere als kalt gelassen. Er wusste nicht, wieso, aber bei jedem Stein, den Shindou über das Spielfeld gleiten ließ, war es ihm, als fuhr mit der selben Bewegung einer von dessen Händen an seinem Körper entlang. Und je näher der Stein in Touyas Spielhälfte drang, desto intensiver war dieses Gefühl. Doch Shindou gab in seiner Verzweiflung nicht nach. Er sah dieses Spiel als seine letzte Gelegenheit. Und er würde diese mit jedem Stein nutzen.

Plötzlich erhob sich Touya vom Spielfeld. „Entschuldige mich kurz“, murmelte er und verschwand in der Toilette. Erst da registrierte Shindou wieder, dass sie mitten in einem Spiel waren.

Waya, der an der Tür gestanden hatte, runzelte die Stirn. Touyas Verhalten war mehr als merkwürdig. Also folgte er diesem lautlos in die Herrentoilette. Wie war ihm, als er Touya aus eine der Kabinen leise stöhnen hörte! Er schlug die entsprechende Tür auf, die tatsächlich nicht abgeriegelt war und fand dort Touya vor, der mit leicht geöffnetem Hemd und einer Hand in der Hose versenkt an die Kabinenwand gelehnt dastand. Waya wusste nicht recht, ob er Touya für komplett gestört erklären sollte, oder ob er in genau diesem Moment über ihn herfallen sollte. Waya war nicht schwul, dessen war er sich bis zum heutigen Tag zu 100% sicher gewesen, doch dieser Anblick stimmte ihn um.

Als die Tür aufschwang, rutschte Touya das Herz in die Hose. Doch es war nicht Shindou, der dort vor ihm stand, sondern dessen bester Freund. Das war peinlich genug, doch immer noch besser als das, was er befürchtet hatte. Waya würde ihn höchstens für verrückt erklären. Aber das war ihm egal. Nur, dass es anders kam, als Touya es sich gedacht hatte. Waya kam ihm immer näher, bis sie dicht an dicht standen und begann tatsächlich dessen Hemd aufzuknöpfen! Dem schloss sich an, was kommen musste, als Shindou nun ebenfalls in die Toilette kam, um sich bei Touya zu entschuldigen und die beiden so vorfand. Shindous Miene erstarrte, dann verließ er den Raum ohne ein Wort.

Die Miene seines besten Freundes musste Waya wieder in die Realität zurück geführt haben, denn er fluchte plötzlich auf.

„Was ist bloß in mich gefahren! - Shindou, Shindou!“, rief er noch während er aus der Toilette rannte. Doch von Shindou Hikaru war keine Spur zu sehen. „Scheiße!“

Diese Szene hatte aber auch von Touya den Bann genommen und er seufzte einmal tief. Er war noch immer aufgeregt und seine Erregung war noch nicht abgeklungen, doch er hatte sich wieder im Griff. In aller Ruhe knöpfte er wieder Hemd und Hose zu und trat vor den Spiegel. Das unsichere Gesicht mit den geröteten Wangen, das ihm da entgegen blickte, war ihm merkwürdig fremd. Er wusch sich gerade das Gesicht mit kaltem Wasser, als Waya wieder in die Toilette gestürmt kam und Touya durch seinen Schubser von hinten fast mit dem Kopf an den Wasserhahn hatte knallen lassen.

„Touya, wir müssen Shindou sagen, dass nichts war. Hörst du?“

„Was soll auch gewesen sein?“, entgegnete Touya. Bei dem, was er da getan hatte, erwischt worden zu sein, war ihm mehr als peinlich. „Mir war warm. Und dann bist du über mich hergefallen.“

„Das kannst du jemand anderem erzählen! Aber mir ist das auch gleich, was du da getrieben hast. Shindou hat gerade den Schock seines Lebens bekommen.“

„Jetzt red keinen Unsinn. Der wäre doch ein Dummkopf, wenn er glauben würde, dass wir beide plötzlich schwul geworden sind. Der einzige Schwule ist doch wohl er.“

„Du verflixtes – Schön! Verreck doch!“
 

Dieses Ereignis war für Shindou wirklich so schwerwiegend gewesen, wie Waya es aufgefasst hatte, denn er erschien daraufhin zwei Tage nicht zur Arbeit. Touya entging das nicht, aber andererseits dachte er sich, dass er wohl nicht wirklich viel tun könnte. Wenn er nun zu Shindou liefe und erzählen würde, dass er kein Interesse an Waya hatte, würde dieser doch nur wieder Hoffnung schöpfen. Und doch ließ Touyas Sorge um Shindou ihm keine Ruhe, bis er sich schließlich entschloss, noch an diesem Tag bei Shindou vorbei zu schauen.

Noch bevor er die Wohnungstür erreicht hatte, hörte er von drinnen Wayas und gleich darauf Shindous Stimme, wie er brüllte.

„Du weißt, was er mir bedeutet!“

Als er diese Worte hörte, zögerte er, ob er wirklich klingeln sollte, aber entschied sich doch dafür. Waya hatte einen Fehler gemacht, aber er sollte nicht die ganze Abfuhr alleine bekommen. Schließlich war er derjenige, der Shindou für ihn immer wieder auf die Beine stellte.

An Shindous Stelle öffnete Waya die Tür. Er musste schief grinsen, als er Touya dort stehen sah.

„Hat sich doch jemand Sorgen gemacht?“

„Es kann einfach nicht angehen, dass Shindou wegen so einer Lappalie zwei Tage nicht zur Arbeit erscheint“, verteidigte sich Touya.

„Oh, du bist also neuerdings sein neuer Vormund?“

„Mensch Waya, lass mich bitte mit ihm reden!“, platzte nun auch Touya der Kragen. „Ja, ich habe mir Sorgen gemacht. Na und?“

„Ich glaube, dass dir ein wenig Ehrlichkeit besser stehen würde. Das ist alles.“

„Lässt du mich jetzt rein?“

„Sicher.“
 

Shindou lag in seinem Zimmer unter einer Decke vergraben. Als Touya das sah, seufzte er nur und setzte sich ans Bett.

„Shindou, wir müssen kurz reden.“

„Touya?“, wunderte sich Shindou. „Hat Waya dich gerufen?“

„Nein, verdammt nochmal. Ich bin aus freien Stücken hier, danke, dass mich alle aufziehen müssen, wenn ich mir Sorgen um dich mache!“

„Wirklich?“, fragte Shindou und kroch aus seinem Versteck hervor. Seine Augen waren verquollen vom vielen Weinen. Als Waya die beiden so sah, schüttelte er nur den Kopf und ging aus dem Haus.

„Also, ich bin hier, weil ich dir sagen wollte, dass das alles ein Missverständnis gewesen sein muss. Ich weiß nicht, was dich so aufregt, aber falls du denken solltest, dass ich jetzt plötzlich irgendwelche Dinge mit Waya tue, kann ich dich beruhigen. Das mache ich nicht. Eigentlich glaube ich, dass du deinen besten Freund gut genug kennen solltest.“

„Tut mir Leid“, kam es von Shindou. „Ich raste einfach immer aus, wenn es um dich geht. Ich weiß, dass es kindisch ist, aber ich kann es nicht ändern.“

Touya schwieg. Eigentlich war das hier wirklich Beweis genug für die Echtheit seiner Gefühle. Aber was nützte das schon? Sie mussten Rivalen sein, damit sie in puncto Göttlicher Zug weiter kamen, oder nicht?

„Touya?“, fragte Shindou vorsichtig.

„Hm?“

„Darf ich mich auf deinen Schoß legen?“

Touya zögerte. Er wusste nicht, wie er sich am besten verhalten sollte. Nur andererseits mussten sich sich irgendwie arrangieren. Streit führte zu nichts und mit dieser Geste tat Shindou ihm ja auch nicht weh. „Wenn dir das hilft“, antwortete er.

Shindou war mehr als überrascht, freute sich und legte schüchtern den Kopf auf Touyas Schoß. Er hatte Herzklopfen, seine Brust tut etwas weh, aber es war ein schönes Gefühl. Was er nicht wissen konnte, war, dass es Touya in diesem Moment ebenso ging.

Nach einer Weile durchbrach Shindou die Stille. „Touya, ich glaube, dass wir den Göttlichen Zug nie spielen werden.“

„Wie kommst du darauf?“

„Als wir zusammen gespielt haben, ist mir eines klar geworden. Bei diesem einen Spiel, bei dem diese besondere Formation heraus gekommen ist, war das Spielgefühl ein ganz anderes.“

„Das habe ich auch so empfunden. Aber worauf willst du genau hinaus?“

„Es war, als hätten wir nicht gegeneinander, sondern miteinander gespielt. Das war das Entscheidende. Und das weißt du.“

Touya schwieg. Es war tatsächlich so, dass er, als sich ihre Blicke getroffen hatten, so etwas wie eine Verbindung wahrgenommen hatte. Aber es war nicht einmal das Spiel selbst. Die ganze Phase davor, die Aufregung, der Kampf mit ihm selbst, alles war anders als sonst.

„Ich muss zugeben, dass ich Angst hatte, gegen dich zu spielen. Dein komisches Geständnis hat mich komplett aus der Bahn geworfen. Ich hatte Angst vor dir und bin dir ständig ausgewichen. Das ist mir erst vor kurzem klar geworden, als mein Vater mich darauf gebracht hat. Aber so eine Schwäche konnte ich mir nicht erlauben. Das war der eigentliche Grund, warum ich dich heraus gefordert habe. Ich wollte diese Angst überwinden. Es war wie bei unserem Spiel damals in der Mittelschule. Und dann kam eben der entscheidende Tag und es fühlte sich alles anders an. Ich wollte dir nicht länger ausweichen und habe trotz der Angst versucht, deinem Blick stand zu halten. Und da war tatsächlich diese Verbindung, von der du gesprochen hast.“

„Und deswegen sage ich dir, dass wir den göttlichen Zug nie spielen werden. Wir müssten uns kennen lernen, den anderen verstehen und eines werden, wenn wir zusammen spielen wollen. Aber das kann nicht gehen, wenn du mich hasst.“

„Shindou, ich hasse dich doch nicht! Wie kommst du auf diesen Unsinn?! Hör zu, du gehst mir manchmal echt auf die Nerven und wir streiten uns ständig. Und du hast Gefühle für mich, die ich nicht habe, aber hassen tue ich dich nicht. Oder fährt man mit jemandem in den Urlaub, den man hasst?“

„Das war doch nur, weil du gegen mich verloren hattest.“ Der Punkt mit den Gefühlen, die er nicht hatte tat verdammt weh, aber zugleich war Shindou froh darum, dass Touya nicht mehr vor ihm davon lief und ihn abwies. Das war es wohl, das ihm am meisten zu Schaffen gemacht hatte.

„Auf jeden Fall hasse ich dich nicht.“

Ein Weile verharrten sie schweigend. Dann ergriff Shindou wieder das Wort. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen. „Das ist eine Sache, die ich so sehr an dir liebe. Deinen Kampfgeist. Ich habe ihn schon immer bewundert. Egal, wie viel Angst du hast, du stellst dich der Sache. Und egal, wie oft du fällst, du stehst wieder auf. Wie eine Burg, die nicht fällt, weil sie sich immer wieder aufbaut.“

„So ein Unsinn“, murmelte Touya und blickte auf die weiße Eckwand vor sich. „Jede Burg kann fallen.“

Shindous Körper versteifte sich augenblicklich. Er rappelte sich auf und setzte sich zu Touya gewandt auf dessen Schoß.

„Du weißt schon, was du da sagst?“, rief er aufgebracht und lehnte sich über den anderen. „Weißt du, wie gemein es ist, mir erst einen Korb zu geben und dann solche Kommentare abzugeben?“

„Sh-Shindou!“, rief Touya erschrocken. Bei der Nähe bekam er wieder Herzrasen. Gerade wollte er erwidern, wie krank man doch sein müsse, aus diesem Zusammenhang einen anzüglichen Kommentar zu lesen, doch Shindou verschloss ihm bereits die Lippen mit den seinen. Doch dabei blieb es nicht. Shindou schien verzweifelt und küsste Touya umso inniger. Mal um mal massierten seine Lippen die schmaleren des anderen, bis Touya unwillkürlich ein Seufzer entfuhr und er vorsichtig darauf einging. Als Shindou das wiederum spürte, erschrak er, hütete sich aber, sich zurück zu halten. Beiden schlug das Herz bin zum Hals.

Endlich schaffte es Touya, wieder die Kontrolle über sich zu gewinnen und Shindou von sich zu stoßen. Und das mit einer solchen Wucht, dass dieser einmal quer über den Boden rollte und sich den Kopf an der gegenüber liegenden Wand stieß.

„Autsch!“

Ein Weile saß Touya unschlüssig da, ob er Shindou nach seinem Befinden fragen sollte oder ihn einfach nur Genugtuung zu empfinden. Letztlich entschied er sich für keines von beidem und stand nur mit einem „Ich gehe.“ auf und verließ die Wohnung.

„Touya!“, rief Shindou ihm noch hinterher, doch die Tür fiel bereits lautstark ins Schloss.
 

*** Ich entschuldige mich hiermit für das schlechte Kapitel... uu ich werde mich in Zukunft um realistischere Charaktere bemühen***

Annäherungsversuche

Kapitel 6 - Annäherungsversuche
 

„Waaaaaaaaaaya …“, empfing den Braunhaarigen am nächsten Morgen eine heulende Stimme.

„Guten Morgen, Shindou.“

„Ich hab's versaut …“

„Glückwunsch. Was denn?“

Shindou erzählte ihm vom Vortag und ließ dabei seinen Kopf auf die tischplatte im Gemeinschaftsraum sinken. Waya grinste nur amüsiert und meinte, dass er die Sache ganz anders sehe.

„Wie soll ich sie denn sehen?“

„Kann es nicht einfach sein, dass es unserem stolzen Touya peinlich war, dass er den Kuss zugelassen hat?“

Gerade, als würden sie vom Teufel sprechen, kam Touya herein.

„Shindou?“, fragte er in den Raum und schaute sich um.

„Schau mal, wer da kommt“, sagte Waya und verpasste dem halbtot Daliegenden einen leichten Stoß. „Der ist hier!“, rief er Touya zu.

„Oh, guten Morgen“, gab dieser zurück. Shindou wich Touyas Blick aus.

„Shindou, können wir kurz unter vier Augen reden?“

„Bist du nicht böse?“

„Was? Nein“, antwortete Touya nur, erläuterte aber auch sonst seinen emotionalen Zustand nicht.

Überrascht wandte sich Shindou ihm zu.

„Also, hättest du kurz Zeit?“

„Ja, sicher.“
 

Stumm liefen sie eine Weile hintereinander her. Touya führte sie hinter das Gebäude zu einer kleinen mit Bäumen aufgefrischten Anlage, die sonst fast vollständig aus Steinplatten und einigen Bänken aus Stein bestand. Gegen Mittag, wenn es etwas wärmer war, saßen hier gerne einige ihrer Mitarbeiter und genossen ihre Mittagspause hier. Aber zu der nebligen, frühen Morgenstunden waren Shindou und Touya hier unter sich.

„Also …“, begann Touya, schien aber mit sich zu ringen. Sein Blick wich auch Shindous Blick aus. „Es geht um unser Gespräch gestern.“

„Ja?“, Shindous Neugierde war kaum zu halten. Ab und zu versuchte er, Touyas Blick zu erhaschen, doch dieser wich ihm immer wieder aus.

„Ich glaube nicht, dass du darauf eingehen wirst. Ich weiß ohnehin schon, dass ich dir zu sehr wehgetan habe und dass es unmöglich ist, so etwas zu fragen …“

„Was denn?“

Wieder blieben Touya die Worte im Hals stecken. „Nun …, es geht um den Göttlichen Zug.“

„Und?“

„Deshalb denke ich nicht, dass du das möchtest. Aber …, ich glaube, dass du recht hast, mit dem was du gesagt hast. Dass wir uns besser kennenlernen sollten. Und ich wollte fragen, ob wir uns einfach ein paar Mal treffen könnten – nach der Arbeit zum Beispiel – und etwas Zeit miteinander verbringen könnten.“

„Ok“, gab Shindou nur zur Antwort. Irgendwie war es unglaublich süß, wie Touya sich offensichtlich doch Sorgen um ihn machte. Und auch wenn Touya sich wieder so ausdrückte, dass es bei ihm nichts zu holen gäbe, ging Shindou gerne darauf ein. Neben der stillen Hoffnung, dass sich doch noch etwas zwischen ihnen ergeben würde, wollte er Touya auch einfach näher kennenlernen. Sie kannten sich schon so viele Jahre, und doch waren sie sich trotzdem fremd.

„Wirklich?“

„Ja.“

„Aber …“

„Mach dir keine Sorgen. Das ist meine freie Entscheidung.“

„Also gut, dann komme ich morgen Abend zu dir nach Hause, wäre das in Ordnung?“

Die Tatsache, dass Touya ihn gleich daheim besuchen wollte, überrumpelte ihn schon ein wenig, doch er gab sein Einverständnis.
 

Als Touya an Shindous Tür läutete, begann der Himmel bereits, sich orange zu färben. Shindou öffnete ohne zu zögern, hatte er doch, kaum war er heimgekehrt, sehnsüchtig auf Touya gewartet. Dieses Mal nahm sich Touya mehr Zeit, Shindous Wohnung auf sich wirken zu lassen. Vom Eingangsbereich führte ein enger Gang nach links direkt auf eine Tür zu, machte aber auch eine Biegung nach rechts, die den Blick auf drei weitere Türen für je eine Wand freigab. Shindou führte sie zur zweiten Tür auf der linken Seite, wohinter sich, wie Touya bereits wusste, Shindous Zimmer befand. Links im Raum stand das Bett, rechts, an der gegenüberliegenden Wand ein Go-Tisch im alten Stil. Zwei große Fenster, die auf eine Terrasse hinausführten, ließen das warme Abendlicht ins Zimmer, welches das ganze Zimmer in einen Gelbton tauchten. Auch Shindous Schlafzimmer war nicht hermetisch rechteckig abgeschlossen. An der rechten Wand hinten tat sich nochmals eine Einbuchtung auf, in der Touya so etwas wie einen Schreibtisch vermutete.

„Du bist ordentlicher, als ich dachte“, kommentierte Touya den Anblick und lächelte.

„Was soll das denn heißen? Wirke ich nach außen hin so schlampig?“

„Nein, aber wenn man deine Spielweise betrachtet …“

„Für mich fühlt sich das überhaupt nicht unordentlich an!“

„Ich sage nicht, dass es schlecht ist. Wir wissen beide, dass du erstklassig spielst-“ Shindou fühlte sich geschmeichelt. Früher hätte er sich so einen Kommentar von dem Go-Genie Touya niemals erträumen lassen, „-aber zuweilen spielst du schon sehr … impulsiv.“

„Das macht doch den Reiz erst aus!“, meinte Shindou und lachte.

„Meinst du?“, Touya wich ihm wieder mit seinem Blick aus. „Wollen wir?“, fragte Touya und deutete auf das Bett.

Shindou fiel innerlich die Kinnlage herunter. „Ähm …in Ordnung“, kam es aber nach außen hin nur von ihm. Er wusste nicht so recht, wie er diese Einladung deuten sollte, auch wenn sie eigentlich eindeutig war. Also näherte er sich Touya, stieß ihn sanft auf's Bett und knöpfte dessen Hemd auf. Touya erstarrte augenblicklich. Er schien nicht so recht zu wissen, was er will, schlug dann aber doch die Arme vor die Brust mit den Worten:

„Ich kann das nicht!“

Shindou hielt sofort inne. Eigentlich hätte ihm klar sein sollen, dass Touya das nicht wollte. Um ehrlich zu sein, hatte er sich bis vor wenigen Sekunden auch noch gefragt, ob er gerade in wachem Zustand war.

„Es hat auch niemand erwartet, dass du gleich am ersten Tag mit mir in die Kiste steigst“, antwortete Shindou.

„Das wollte ich auch gar nicht! Ich wollte was ganz anderes!“, zeterte Touya.

„Was wolltest du denn?“, fragte Shindou geduldig und legte sich neben ihn, wobei er seinen rechten Arm durch Anwinkeln zu einem Kopfkissen umfunktionierte. Touya blickte ihn unsicher von der Seite an. In Shindous Augen lag Offenheit.

„Ich …“, meinte Touya wieder nach langem Zögern, „dachte, dass es gut wäre, wenn wir uns auch körperlich kennen lernen.“„Also doch!“

„Nein! Nicht so!“

„Was meinst du dann?“

„Ich würde gerne über deine Haut fahren, um deine Körperform zu erfassen.“

„Ok“, meinte Shindou dazu nur, zuckte mit den Achseln und zog das Hemd aus. „Soll ich gleich alles ablegen?“

„Nein!“, schrie Touya erschrocken und machte mit den Händen eine abweisende Bewegung. „Oberkörper alleine reicht erst einmal vollkommen …“

„Wie du willst“, gab Shindou zurück und versuchte, sich einigermaßen bequem auf den Rücken zu legen. Touya machte ihm gleich darauf bereitwillig Platz und legte sich selbst Shindou zugewandt auf die Seite. Doch dann passierte erst einmal nichts. Touya schürzte ein paar Male die Lippen unschlüssig, was er tun sollte und betrachtete Shindou einfach nur. Also war es Shindou, der die Initiative ergriff und Touyas Hand an seine Wange führte. Touya schürzte abermals die Lippen, dann raffte er sich aber auf und begann, erst über Shindous Arme und dann über seinen Brustkorb zu fahren. Anfangs nahm Shindou kaum etwas von Touyas Berührungen war, so leicht waren seine Bewegungen, doch nach und nach schien Touya auch begriffen zu haben, dass er nicht aus zerbrechlichem Porzellan bestand und die Bewegungen wurden fester. Genießerisch schloss Shindou die Augen.

„Ich hätte mir nie erträumt, dass es wirklich einmal soweit kommen würde“, murmelte er schließlich.

„So weit?“, fragte Touya irritiert.

„Ich liege mit dir in einem Bett und habe schon mal ein Kleidungsstück weniger an, als ich sonst trage. Das nenne ich weit.“

„Aber das ist jetzt nicht in diesem Sinne -!“, protestierte Touya. Shindou versuchte, diesen Kommentar zu überhören.

„Du … bist gut gebaut für einen Go-Spieler.“

„Danke.“

„So meinte ich das nicht! Treibst du Sport?“

„Ja, ich trainiere ab und zu. Ist ein guter Ausgleich für die Kopfarbeit.“

„Dein Brustkorb ist groß.“

„Kann sein. Ich schwimme gerne.“

„Verstehe.“

„Wahnsinn. Und deine Bauchmuskeln sind total hart. Das ist wohl nicht nur ein bisschen Training, das du betreibst.“ Shindou verkniff sich den Kommentar, dass Touya nicht mehr weit davon entfernt war, ein anderes Körperteil von ihm hart werden zu lassen und ließ dem Unschuldigen seine Begeisterung.

Eine ganze Weile kehrte Stille ein und nur Touyas leichte Bewegungen und das Streifen seines Ärmels über Shindous Haut erfüllten den Raum.

„Sag mal …“

„Ja?“

„Hattest du schon mal eine Beziehung?“

„Zwei.“

„Oh. Dann ist das hier ja nichts sehr Neues für dich. Zwei Mädchen, nehme ich an?“, Touyas Tonfall war schwer zu deuten. War da ein wenig Eifersucht? Oder Enttäuschung?

„Zwei Mädchen, aber das waren nur zwei beziehungsweise drei Monate. Und es gibt keine Frau der Welt, die ich so sehr lieben könnte, wie dich, Touya.“

„Danach habe ich nicht gefragt!“, empörte sich der Angesprochene und lief deutlich rot an.

„Wollen wir tauschen?“, fragte Shindou, als hätte es Touyas Antwort nicht gegeben.

„Also gut …“ Touya war sich seiner Sache nicht sehr sicher, doch andererseits sagte er sich, dass es nur fair wäre. Langsam legte er zuerst den Pullover ab und faltete diesen zusammen. Dann knöpfte er säuberlich das Hemd auf und faltete es ebenfalls. Shindou hätte am liebsten den Blick abgewandt. Touya hatte keine Ahnung, welche Wirkung das bei ihm tat, wenn er es auch noch gemächtlich, Stück für Stück seinen Oberkörper entblößte. Nachdem Touya seine beiden Kleidungsstücke neben dem Bett abgelegt hatte, legte nun er sich auf den Rücken und legte seine Arme noch immer leicht schützend vor die Brust. Er konnte Shindou nicht in die Augen sehen. Ihm war diese Sache viel zu peinlich. Ungesehen biss sich Shindou wortlos auf die Unterlippe und begann, Touya nun seinerseits ausführlich zu streicheln. Seine beiden Beziehungen spielten ihm da wirklich zu, dachte sich Touya. Shindous Bewegungen wirkten geübt und fühlten sich wirklich gut an. Er fuhr ihm, wie Touya es zuvor bei ihm getan hatte, über die Wangen, dann entlang am Hals über den Arm bis hin zu seinem Handrücken und beschrieb immer große Linien. Er schien sich seiner Körperformen bewusst zu sein, denn er fuhr sie auf natürliche Weise nach. Zeigte Touya anfangs noch Abwehr, indem er mit den Armen seinen Körper schützte, nahm diese nach und nach ab, bis er letztlich die Augen schloss und die Arme neben sich auf das Bett sinken ließ. Unweigerlich begann er, Shindous Bewegungen mit eigenen zu folgen, was Shindou nur noch mehr anspornte. Er fuhr ihm unter den Rücken und zog seine Linie halb massierend mit den Fingern an seiner Rückenmuskulatur entlang bis zu seinem Hintern, machte dort aber kurz halt, um vorne herum wieder nach oben zu gleiten und ihm ebenfalls kräftiger über den Brustkorb zu fahren. Er war wirklich wunderschön. Sein zart gebauter Körper und die bleiche, reine Haut passten zu dem dünnen, aristokratisch wirkenden Gesicht. Er war schlank, aber nicht dürr und wirkte mit seinem langen Haar hochgradig androgyn. Shindou wollte mehr. Er wollte weiter gehen, mehr sehen. Also beugte er sich dich über Touya und begann, mit der Zunge, seine Brustwarze zu umspielen. Sofort setzte Touyas Abwehr ein.

„Was machst du da?“

„Entschuldige“, nuschelte Shindou und grinste ertappt. Etwas enttäuscht beschloss er, sich Touyas Tempo anzupassen und sich stattdessen jedem einzelnen Winkel von Touyas Oberkörper anzunehmen. Er fuhr ihm nochmals an den Hals und an den Nacken, drang mit seinen Fingern von dort aus in seine Haarpracht ein, ließ wieder davon ab und streichelte dann die Arme bis zu den Händen herab, wo er auch die einzelnen Finger etwas massierte. Bei der rechten Hand ließ er sich mehr Zeit.

„Hier merkt man, wie lange du schon Go spielst“, murmelte er.

Touya, der wegen dem Shindous anzüglichen Annäherungsversuch etwas nervös geworden war, entspannte sich wieder und lächelte. „Das erinnert mich daran, wie ich damals deine Hand ergriffen habe, weil ich dir nicht glauben konnte, dass du Go spielst.“

„Siehst du, und da will mir jemand Vorwürfe machen, dass ich dich angraben würde.“

„Damals war ich Zwölf!“

Shindou lachte nur. „Ich finde es eher schade, dass ich damals nicht schon begriffen habe, was ich mal für dich empfinden würde.“

Dazu schwieg Touya nur. „Ich glaube, wir sollten langsam aufhören …“, meinte er schließlich.

„Hab ich dich verschreckt?“

„Nein, ich denke nur, dass das genug für heute ist. Wobei ich glaube, dass du das weit besser gemacht hast, als ich es je könnte. Ich … bin nicht sehr geschickt in sowas.“

„Nichts, was man nicht ausbauen könnte?“, gab Shindou zurück. Touyas verstecktes Kompliment schmeichelte ihm. Auch wenn es nicht viel war, was er bekam, so war es doch das Schönste, was er sich gerade vorstellen konnte. Und zugegebenermaßen missfiel ihm der Gedanke nicht, von Touya in seine Schranken gewiesen zu werden. Genüsslich streckte er sich und setzte sich neben Touya, der sich gerade aufgerichtet hatte. „So, und was machen wir jetzt?“

„Wir könnten reden“, antwortete Touya und kleidete sich wieder an.

„In Ordnung. Frag mich, was immer du willst. Gibt es denn was bestimmtes, das dich interessiert?“

„Ich hätte da tatsächlich eine Frage. Es ist eigentlich keine neue Frage, aber sie beschäftigt mich schon seit Ewigkeiten.“

„Schieß los.“

„Du … ich kann es nicht wirklich beschreiben. Und jetzt fühle ich es auch nicht mehr. Aber damals, als wir uns kennen gelernt hatten, hatte ich das Gefühl, nicht gegen dich, sondern gegen eine viel größere Macht anzutreten. Das zweite Mal war es wieder so. Du hattest eine Aura, die kein normales Kind hatte. Und als ich dann das nächste mal gegen dich gespielt habe, war es tatsächlich so, dass du so viel schlechter gespielt hast, dass du nicht mehr mit dem Menschen zu vergleichen warst, gegen den ich davor angetreten war. Ich habe mir immer wieder versucht, auszureden, dass du so unglaublich gut sein konntest, und auch du hast mir gesagt, dass du nur Glück hattest, aber trotzdem, trotzdem habe es nicht glauben können. Und dann kam dieser Internetspieler Sai auf, mit dem ich mich duelliert habe. Das Spiel gegen ihn hat sich genauso angefühlt wie das Spiel gegen sich bei unserem ersten Treffen. Aber als ich dich dann am Computer vorgefunden habe, hast du vorgegeben, nicht Go gespielt zu haben. Aber du warst im Internet! Es hätte nur Zufall sein können, dass ich zu einem falschen Zeitpunkt gekommen bin. Das hat mir keine Ruhe mehr gelassen. Du meintest zu meinem Vater, dass dieser Sai ein Freund von dir wäre, aber wer ist er? Und warum hast du bei unserem ersten Treffen gespielt wie er? War er da anwesend und hat dir heimlich gesagt, wie du spielen sollst? Du konntest doch noch nicht einmal die Go-Stein richtig halten!“

Shindou musste lächeln. Noch einmal wollte er Touya nicht belügen. Ohnehin würde es nichts nützen, wenn sie sich wirklich kennenlernen wollten. Wie gut Touya ihn doch die ganze Zeit beobachtet hatte. Die Erinnerungen an Sai wieder wachzurufen, würde schön, aber auch schmerzhaft sein. Shindou schloss die Augen und seufzte einmal tief.

„Also schön, ich werde dir alles vom Anfang bis zum Ende erzählen. Aber halt mich danach bitte nicht für verrückt.“

„Das, was ich gesehen habe, hat mich schon an meinem Verstand zweifeln lassen. Ich habe mich schon auf eine verrückte Geschichte gefasst gemacht.“

Und so erzählte Shindou. Wie er Sai kennen gelernt hatte, wie Sai ihn zum Go-Spielen gebracht hatte, wie er schließlich von Go begeistert war und nur noch selbst spielen wollte, wie Sai ihn auf seine Prüfungen vorbereitet hatte und letztlich auch, wie Sai meinte, dass er verschwinde, aber er ihn ignoriert hatte und ihm nicht einmal ein letztes Spiel gegönnt hatte. Als Shindous Erzählung endete, war er, wie er befürchtet hatte, furchtbar betrübt.

„Ich könnte dir helfen, ihn zu suchen“, bot sich Touya an.

„Ich habe schon alles versucht. Ich habe überall gesucht, wo ich konnte. Letztlich ist alles, was mir geblieben ist, das, was er mir beigebracht hat.“ Shindou hasste sich für seinen damaligen Egoismus und seine Dummheit. Tröstend legte Touya ihm seinen Arm nach langem Zögern um die Schulter und sprach ihm gut zu, dass er glaube, dass es richtig so sei, wie es war.

„Es wird einen Grund geben, warum Sai verschwunden ist. Sei froh, dass du einen so guten Lehrer gehabt hast!“

Doch das verfehlte seine Wirkung nur, da Shindou sich dann wieder daran erinnerte, wie freundlich Sai gewesen war und wie gut er gespielt hatte. Er erinnerte sich auch an das Spiel von Sai und Touyas Vater und dass Sai ihm erklärt hatte, dass er endlich einen Spieler gefunden hatte, der ihm ebenbürtig war.

„Er hatte sich so über das Spiel gefreut.“ Tränen rollten über Shindous Gesicht und er ließ sich auf Touyas Schoß sinken. „Ich bin so ein Idiot gewesen.“

Der andere war sich unschlüssig, was er tun konnte, streichelte dann aber etwas unbeholfen über Shindous Kopf, bis dieser sich wieder beruhigt hatte. Shindou hingegen tat es gut, Touya von dieser Sache zu erzählen. Es gab keinen, mit dem er diese Geschichte hätte sonst teilen können, weil keiner außer Touya sie so nah erlebt hatte, wie er selbst. Er hatte nicht mehr daran gedacht, wie tief er das ganze in sich eingeschlossen hatte. Immer hatte er sich selbst beruhigen können, indem er sich gesagt hatte, dass er Sais Erbe weitertragen würde, doch über dessen endgültigen Tod hatte es ihm nicht hinweg geholfen.

„Morgen komme ich wieder!“, meinte Touya schließlich, als Shindou wieder bei Kräften war.

„Was?“, fragte Shindou erstaunt.

„Soll ich lieber nicht?“

„Ja, doch! Natürlich, ich freue mich!“, rief er und hätte gleich weiter weinen können, auch wenn es dieses mal Freudentränen gewesen wären.

„Dann bis morgen. Wir sehen uns aber ohnehin auf der Arbeit“, sagte Touya und begab sich in Richtung Wohnungstür.

„Ja. Danke für alles.“

„Ich habe mich zu bedanken. Tut mir Leid, dass ich dich an eine so traurige Geschichte erinnert habe.“

„Nein, ich … bin sehr froh, dass ich sie dir erzählen konnte. Ich hatte sonst niemanden.“

„Oh …“

„Geht es wieder?“

„Ja, alles in Ordnung!“, antwortete Shindou und lächelte zur Bestätigung.

„Also gut. Dann mache ich mich jetzt auf den Heimweg.“

„Pass auf dich auf.“

„Als ob mir was passieren würde!“, meinte Touya schon fast beleidigt. Doch seine Miene hellte sich wieder auf. „Schlaf gut.“

„Du auch“, flüsterte Shindou fast schon und winkte ihm. Dann ließ er die Tür ins Schloss fallen.

Eskalation

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  SchwarzflammeDethora
2017-06-04T22:13:13+00:00 05.06.2017 00:13
Holger die Polter
Ging ja jetzt dann doch Ratz fatz. xD
Ich bin jedenfalls durch das Kapitel geflogen und
Hab es noch Mal gelesen. ^^

So nur zur Story
Ich finde sich Recht gut, hab inhaltlich nichts zu nörgeln.
Allerdings verstecken sich sowohl Rechtschreibfehler, als auch Ausdrucksfehler
im gesamten Stück.
Mich persönlich stört es nicht groß, hab ja selbst damit Schwierigkeiten.

Jedenfalls würde es mich freuen, wenn noch mehr erscheinen täte.

Gruß
Antwort von:  Khyre
18.10.2017 19:55
Oh, wow. War ewig nicht mehr online hier :D
Danke für dein Kommi! Schreibe gerade mal wieder an einer anderen Geschichte und muss schauen, bis wohin ich hier gekommen war...
Von:  Riitsuya
2015-10-24T10:03:48+00:00 24.10.2015 12:03
Ich weiß gar nicht, was ich noch anderes in den Kommentar schreiben soll, außer dass mir beide Kapitel wieder sehr gut gefallen *-* Ich find's toll, dass die beiden sich jetzt langsam aneinander annähern und auch körperlich näher kommen, ohne sofort miteinander zu schlafen :3 Besonders liebe ich Touyas tsunderemäßige Art und wie Shindou immer darauf reagiert xD
Antwort von:  Khyre
24.10.2015 22:01
Hahahaha XD Ja, ich konnte mir Touya irgendwie nicht anders vorstellen. Danke auch diesesmal für dein Kommi :3
Von:  Riitsuya
2015-10-17T09:16:30+00:00 17.10.2015 11:16
Ahh~ Ein neues Kapitel *-* Ich freu mich sehr, dass du weiter machst!
Nach dem letzten Satz bin ich echt schon gespannt, wie ihr Spiel verlaufen wir :3
(Und kein Ding wegen den unregelmäßigen Updates, ich kann warten ;D)
Antwort von:  Khyre
20.10.2015 13:58
Super! :) Danke! Und danke auch für dein Kommi ><
Von:  Riitsuya
2015-08-21T14:58:23+00:00 21.08.2015 16:58
Tolle FF! Du hast die Charaktere wirklich sehr gut getroffen :)
Hoffe, dass du die Geschichte irgendwann nochmal fortführst ^.^
Antwort von:  Khyre
16.10.2015 16:12
Vielen Dank! Habe den Kommentar leider viel zu spät gesehen, aber mich dann gleich an eine kleine Fortsetzung gemacht! Momentan schreibe ich noch an einer anderen Geschichte, also werden die Updates nicht so regelmäßig sein, aber ich werde weitermachen. Versprochen :D


Zurück