Merry Christmas von xXKikiXx (Wichteln 2013 und noch weiter...) ================================================================================ Kapitel 1: Schnee ----------------- Scheiße! An diese Arschkälte werde ich mich nie gewöhnen. Auch wenn ich jetzt schon zwei Jahre hier bin. Ich hasse Kälte. Und ich hasse Eis und Schnee. Gut…dann hätte ich mir wohl nicht ausgerechnet Kanada als neue Heimat aussuchen sollen oder? Etwas mürrisch starre ich dem dritten Taxi hinterher das nicht angehalten hat und mich hier in der Kälte stehen lässt. Ich sollte vielleicht doch öfter mit dem Auto zu meinen Jobs fahren. Dann stellt sich dieses Problem erst gar nicht mehr. Der Windchill lässt mich noch mehr frieren. Ein beschissener Wind den es hier gibt und der dazu führt das die tatsächliche Außentemperatur für den Menschen als noch kälter empfunden wird. Genervt schlage ich meinen Kragen noch etwas höher. Ich bin müde, ich bin erschöpft, mir ist kalt und ich will ins Bett. In mein Bett! Von fremden Betten hab ich für heute genug. Waren zwar nur zwei, aber das hat gereicht. Jetzt will ich in mein eigenes Bett und zwar so schnell wie möglich. Endlich erbarmt sich ein Taxifahrer meiner und hält an, was ich sofort ausnutze und in den warmen Innenraum klettere und dem Fahrer meine Adresse nenne. Dieser zögert nicht unnötig lange und fährt los. Dicke Schneeflocken fallen vom Himmel und ich beobachte sie dabei. Das ist das einzige was ich an dem weißen Zeug mag. Die hübschen Flocken, die so elegant und still vom Himmel fallen. Es hat etwas beruhigendes ihnen beim fallen zuzusehen. Toronto im Hintergrund nehme ich schon gar nicht mehr wahr. Auch wenn sie eine Stadt ist die wie New York nie zu schlafen scheint. In solchen Momenten blende ich sie einfach aus und erfreue mich bloß an dem Schnee der draußen fällt. „Cela fait $ 25“, höre ich den Taxifahrer schließlich sagen und bemerke erst jetzt dass er angehalten hat. Ich bin echt erledigt. Der Tag war lang. Mein Bett ruft immer lauter. Ich gebe ihm zwei 20er und sage ihm dass er den Rest behalten soll. Er war schnell am Ziel und hat nicht versucht mich in ein lästiges Gespräch zu verwickeln, so wie andere Taxifahrer das gerne machen. Das belohne ich mit einem anständigen Trinkgeld, für das er sich natürlich erfreut bedankt. Dann werfe ich die Tür zu und steige die Treppen zum Eingang des Hauses hoch in dem sich meine Wohnung befindet. Der Schlüssel landet in der Schale auf dem kleinen Tisch neben der Tür, nachdem diese zugefallen ist. Meine vom Schnee nasse Jacke findet ihren Weg gerade noch so an den Garderobenhacken. Wenn sie auf den Boden gefallen wäre, wäre mir das genauso egal. Die Schuhe halbherzig abgestreift und nun auf Socken, tapse ich durch den Flur und in das Wohnzimmer. Herrlich! Hier ist es so schön warm. Und mit einem zufriedenen Aufseufzen lasse ich mich auf das weiße Ledersofa fallen, welches so im Raum steht das es nicht zu einem Fernseher ausgerichtet ist, sondern zu den großen Fenstern hin, die fast die ganze Frontseite einnehmen, und von wo aus ich weiter den Schnee beobachten kann. Natürlich gestehe ich mir das nicht ein aber…der Schnee, oder die Erinnerung an etwas was mit Schnee zu tun hatte, war der Grund weshalb ich hierhergekommen bin. Nach Kanada! Wo der Winter von Oktober bis Mai andauert und der Boden fast ausschließlich zu dieser Zeit von Schnee bedeckt ist. Schnee der verdeckt und erinnert gleichzeitig. Auf dem kleinen Sofatisch vor mir steht ein Glas und eine Flasche Single Malt Whiskey. Ohne meinen Blick von dem frisch fallenden Schnee draußen vor dem Fenster zu nehmen, greife ich danach und schenke mir etwas ein, lehne mich wieder zurück und genieße den etwas herben Geschmack auf meiner Zunge. Er hilft mir den anderen loszuwerden der dort noch schwach zu finden ist. Ich kann es eigentlich nicht leiden wenn ein Kerl in meinem Mund abspritzt. Aber wenn das schon von Anfang aus so ausgemacht ist und die Kohle stimmt, sehe ich großzügig darüber hinweg. Alles in allem war der Kerl ja wirklich großzügig gewesen. Das Kuvert mit meiner –ich nenne es Gage, weil ich meist echt glaube mehr ein Schauspieler als ein Callboy zu sein- steckt in der Innentasche meines Jacketts, und es ist gut gefüllt. Das hilft darüber hinwegzusehen das der Sex echt mies war. Aber dafür war alles andere nett gewesen. Das Essen, das Philharmoniker Konzert. Anders als die meisten meiner Kunden wollte George vor dem Sex auch noch eine hübsche und amüsante Begleitung. Das kommt manchmal vor, aber es ist selten. Die meisten wollen nur dass wofür sie mich überhaupt erst buchen. Sex! Ich nehme es ihnen nicht übel. Immerhin lebe ich davon, und es ist das einzige was ich wirklich gut kann und das ich immer noch gern mache. Mal abgesehen davon dass meine Möglichkeiten ziemlich begrenzt waren nachdem ich aus dem Gefängnis entlassen worden war. Ich kippe den Whiskey auf Ex hinunter und schenke mir nochmal nach. Ich sollte echt ins Bett gehen wenn die Erinnerungen daran zurückkommen, aber ich kann nicht. Ich will noch etwas den Schnee beobachten. Es ist ähnlich wie damals. Es ist bald Weihnachten und es schneit. Immer wenn es schneit muss ich an ihn denken, auch wenn seit unserer letzten Begegnung bereits sechs Jahre vergangen sind. Scot Lennox! Ich sollte keinen Gedanken an ihn verschwenden. Eigentlich sollte ich ihn hassen. Aber das kann ich nicht. Damals nicht, nicht während der letzten sechs Jahre und auch nicht jetzt hier auf diesem Sofa. Mitten in meinem neuen Leben. Einem Leben für das für sentimentale Erinnerungen eigentlich kein Platz ist aber…sie sind trotzdem da. Sie waren nie weg, und wenn es schneit so wie jetzt gerade, dann kommen sie in immer schnelleren Abständen wieder und brechen über mir zusammen. Aber ich will sie nicht missen diese Erinnerungen. Es sind nicht viele, aber die, die ich habe, die sind mir wichtig. So unglaublich wichtig, und sie waren auch schön. Nicht alle, aber einige. Meine liebsten Erinnerungen an ihn sind schön. Wie die an unseren ersten Kuss –der alles andere als romantisch war, aber auch sehr einprägsam. Dieses Kribbeln in meinem Bauch. Das Wissen dass ich ihn liebe war so stark gewesen. So etwas ist mir nie wieder passiert seither. Gut. Ich bin noch nicht wirklich das was man „alt“ nennen würde. Ich bin 24. Es besteht also noch Hoffnung dass ich mich erneut verliebe aber…will ich das denn? Wenn ich ehrlich bin habe ich für Liebe und Verliebt sein keine Zeit, und ich habe mir dafür die wohl schlechteste Lebensart ausgewählt. Aber es ist die meine. Es ist das was ich tun will, weil ich es tun kann. Ich schäme mich nicht dafür. Darüber bin ich schon lange hinaus. Ich denke da hat mich die Zeit im Gefängnis zu sehr geprägt. Das Gefängnis… Noch ein Grund weswegen ich Scot eigentlich hassen müsste. Nicht dass er Schuld daran ist dass ich dort gelandet bin, aber eine Zeitlang habe ich ihm jedoch diese Schuld gegeben. Inzwischen weiß ich es besser. Ich trage selbst die Verantwortung für meine Taten, und auch für mein Leben. Es hat lange gedauert bis ich das begriffen habe, aber ich habe es begriffen, und ich habe mein Leben selbst in die Hand genommen und alles hinter mir gelassen was früher war. Zumindest erwecke ich nach außen hin den Anschein dass es so ist. Scot hat also keine Schuld daran dass ich vier Jahre lang im Gefängnis war. Aber dennoch…Er hat mich verraten. Er hat nicht zu mir gestanden. Ich hasse ihn nicht dafür, aber auch nach sechs Jahren tut diese Erkenntnis noch so weh wie an dem Tag als es passierte. Es ist wie eine Wunde die nicht aufhören kann zu bluten. Sie tut weh und schwächt einen, aber man stirbt nicht daran. Auch wenn ich mir das oft gewünscht habe, und mehr als einmal versucht habe diesen Umstand zu ändern. Aber ich lebe, und inzwischen finde ich das gar nicht so schlecht. Gewiss. Ich hätte vieles anders machen können, aber es war nun mal geschehen und nun musste ich damit leben. Wieder ist ein Glas leer, und der Alkohol macht die Erinnerungen nur noch deutlicher. Zieht mich sechs Jahre weit zurück. Zu dem Tag an dem ich beschloss das es genug ist. Das diese beiden Männer mich, nein…uns nicht wieder anfassen durften. Sie waren unsere Lehrer verdammt. Sie hätten das nicht tun dürfen. Wenn es freiwillig passiert wäre…gut. Ich wäre der letzte der etwas dagegen gesagt hätte. Jeder sollte tun was er für richtig hielt aber diese beiden…Frank Bloomberg und Simon Baker…sie hatten uns erpresst. Erpresst, manipuliert und irgendwann glaubten wir selbst das es freiwillig passiert war. Bis ich genug hatte. Bis ich es leid war zu schweigen damit meine Familie nichts herausfand. Nicht herausfand dass ich schwul war und mit jedem meiner Mitschüler geschlafen hatte wenn dieser es auch wollte, und zwar noch bevor die Sache mit den Lehrern losgegangen war. Bevor Scot gekommen war. Ich hatte genug davon. Ich wollte nicht mehr mitansehen wie sie ihn berührten, ihn sich nahmen. Ich sollte der einzige sein der dies durfte. Er war MEIN Freund. Ich liebte ihn. Die beiden anderen…es war nur ein krankes Spiel für sie. Und ich wollte nicht mehr dass sie mich berührten. Nie wieder. Nur Scot durfte das. Oder sollte dies dürfen. Aber er hatte Angst. Er hatte so große Angst davor was passiert wenn es herauskommt. Er wollte es nicht riskieren und ich schwieg lange weil ich nicht wollte dass er Schaden dadurch nahm. Sein Vater dieser miese Schläger…ich hatte ihn nie vergessen. Ich wollte nicht dass er zu diesem zurückmusste. Also schwieg ich. Bis ich nicht mehr konnte. Bis ich genug davon hatte und in einem unüberlegtem Anfall von Eifersucht, Schmerz und Zorn auf den Anführer der beiden…Professor Bloomberg, losging. Und zwar mit einem Messer das ich mir aus der Küche gestohlen hatte. Ich erinnere mich nicht genau an das was passiert ist. Ich weiß nur noch dass sie uns bei sich hatten, um mit uns zu „spielen“ wie sie es nannten, und dass ich irgendwie berauscht und trotzdem so wütend war. Irgendwann sah ich dann nur noch rot. Bloomberg und Baker hatten irgendetwas getan was ich nicht wollte das sie mit Scot tun. Ich erinnere mich nicht mehr daran. Es ist wie ein Zimmer voller Nebel und Dunkelheit in dem diese Erinnerung festsitzt. Ich sah rot, und zwar buchstäblich. Ich hatte Blut an meinen Händen, und Blut war an dem Messer welches ich in der Hand hielt. Schnell nehme ich mir einen weiteren Schluck aus der Whiskeyflasche. Auf das Glas verzichte ich, aber der Whiskey hilft mir auch nicht dabei mich an das genau zu erinnern was passiert war, und nicht an das was danach passierte. Es war wie ein schlechter Traum. Ein schlechter Film. Schreie, Hände die mich packten. Ich fand mich schließlich auf einem Polizeirevier wieder und war wegen versuchtem Mord in Gewahrsam genommen worden. Meinen Angriff hatte das Schwein überlebt, aber fortan hatte er ein paar hübsche Narben von mir an seinem Hals, seinen Armen, seiner Brust. Natürlich erzählte ich den Polizisten warum ich es getan hatte. Das es quasi Notwehr war. Das ich es nicht mehr ertragen hatte was sie mit mir, mit UNS getan hatten, und die Polizei stellte Nachforschungen an. Aber Bloomberg und Baker kamen glimpflich davon. Sie gestanden schließlich dass sie eine Beziehung mit uns hatten. Mit mir, mit Scot und auch mit René, der ohnehin auf ihrer Seite gewesen war. Aber sie kamen mit einem Disziplinarverfahren davon, weil René und auch Scot ausgesagt hatten das es freiwillig geschehen war, und auf ihren, sprich unseren –und somit auch meinen- Wunsch. Scot! Er stellte sich auf die Seite der Schuldigen weil er Angst vor ihnen hatte. Er stellte sich gegen mich! Es war wie ein Schlag ins Gesicht und ein Stich ins Herz als ich davon erfuhr. Trotz dem überbezahlten Anwalt meiner Familie wurde ich dann angeklagt. Sie drehten es so hin, dass es aussah als wäre ich aufgrund meiner schlechten Noten darauf aus gewesen die beiden Lehrer zu denunzieren, in der Hoffnung dass sich meine Noten bessern würden wenn ich sie erpresste oder vor Gericht brachte, und da meine Noten wirklich mies waren, und es bekannt war das ich nicht viel von Autorität und Regeln hielt, glaubte man mir nicht. Weder der Richter, noch die Geschworenen. Nicht mal mein eigener Anwalt glaubte mir. Und was am schlimmsten war…nicht mal meine Familie tat es. Auch meine Schwester nicht. Sie meinte nur verstehen zu können warum ich so verzweifelt war, aber auch sie glaubte mir nicht dass ich die Wahrheit gesagt hatte. Also wurde ich verurteilt, und auch das ganze Geld und der Titel meiner Familie konnten nicht verhindern dass ich fünf Jahre wegen versuchtem Mord aufgebrummt bekam. Und da ich schon 18 Jahre alt war zu dieser Zeit, bekam ich auch keine Jugendstrafe. Ich wurde in ein normales Gefängnis überstellt, und als Beinahe Mörder, landete ich bei den richtigen Mördern. Meine Hände zittern und die Whiskeyflasche ist leer. Ich lasse sie achtlos auf den Boden fallen. Maurín, meine Putzfrau kommt irgendwann die Tage. Sie kommt zweimal in der Woche und räumt hinter mir her. Ich kann mir das leisten. Ich verdiene genügend Geld. Womit muss sie nicht wissen und eigentlich interessiert es sie auch nicht wirklich. Hauptsache ihr Gehalt kommt pünktlich auf ihr Konto. Damit können wir beide gut leben. Mir ist kalt, also ziehe ich meine Beine auf das Sofa und an meine Brust. Dann schnappe ich mir die weiche Decke die über der Lehne liegt, wickle mich darin ein und schlinge meine Arme um meine Beine. Dann starre ich wieder vor mich hin. Nicht in den Schnee diesmal, sondern auf den Boden. Aber auch das stimmt nicht. Ich sehe eigentlich nirgendwo hin. Ich bin wieder ganz weit weg. Zurück im Gefängnis. In meiner Zelle die ich mir mit einem kleinen Glatzkopf teile der seine Frau erstochen hat und seine Kinder. Man sagt mir nach das ich hübsch bin. Das wurde mir dort hinter Gittern zuerst mal zum Verhängnis. Ich war jung, gutaussehend, hatte einen Titel was zusätzlich reizte. Aber hauptsächlich war ich Frischfleisch. Nichts anderes. Ein hübscher Arsch der noch nicht verbraucht war, und es war Anfangs schlimmer als mit den beiden Lehrern. In drei Monaten versuchte ich mich fünfmal umzubringen, aber es klappte nicht. Ich war zu ungeschickt, die Waffen zu stumpf und meine „Fans“ zu hartnäckig. Ich überlebte jeden Versuch. Aber eigentlich wollte ich nicht sterben weil ich im Gefängnis die Matratze von jedem notgeilen Typen war, sondern weil es nichts mehr gab auf das ich mich freuen könnte, sollte ich lebend hier rauskommen. Das Scot sich gegen mich entschieden hatte…das hatte etwas in mir zerstört. Etwas das nicht wieder verheilen konnte. Ich sah nicht ein weshalb es sich noch lohnen sollte zu leben. Für wen? Scot hatte mich verraten. Meine Familie glaubte mir nicht, meine Freunde genauso wenig. Einzig und allein Sean war es der mir hier und da Briefe schickte. Er hielt zu mir, aber auch er schien den Lehrern mehr Glauben zu schenken als mir. Dennoch blieb er mein Freund, zumindest auf dem Papier, und er schaffte es mir immer wieder noch ein wenig Mut zu machen wenn ich kurz davor war wieder einen neuen Suizidversuch zu wagen. Und was die anderen Insassen anging…Es war Louis der dem regen Interesse für mich schließlich einen Riegel vorschob. Er war der ungekrönte König hier im Bau. Ein Gangsterboss der, nachdem er die Polizei eine halbe Ewigkeit immer entwischt war und für unzählige Morde verantwortlich war, ihnen schließlich ins Netz ging. Er kam nach mir hinter Gitter und brauchte genau vier Tage und drei Leichen dazu um seinen Status durchzusetzen. Keiner legte sich mit ihm an. Auch die Gefängniswärter nicht. Ich gefiel ihm, und zwar ausnehmend gut, und ich nutzte das für mich, wurde also quasi „seine Freundin“ wie die Jungs das –aus Ermangelung an echten Frauen- hier nannten, und somit zu seinem Privateigentum. Nur noch er durfte mich anfassen, und da dass besser war als von einem zum anderen gereicht zu werden, beschloss ich diesen Status für mich zu nutzen, und ob man es glauben wollte oder nicht…das was ich zu dieser Zeit im Gefängnis von Louis gelernt hatte, half mir jetzt in meinem Job. Vier Jahre ging das so weiter. Der Kontakt zu meiner Familie nahm stark ab. Verständlich, war ich ja nun das gebrandmarkte schwarze Schaf das Schande über die Familie und den großen Namen gebracht hatte. Ein Sprössling der Le Grands im Gefängnis. Eine Schande! Für meinen Vater war wohl nur eines noch schlimmer. Meine sexuelle Orientierung. Damit konnte er gar nicht umgehen, und mein Bruder auch nicht. Mutter und Schwester wussten das zwar schon früher aber…auch von ihnen hörte ich kaum noch etwas. Das einzige was ich bekam waren Anrufe zu großen Feiertagen oder meinem Geburtstag. Ich passte nicht mehr in ihre Welt, und das änderte sich auch nicht als ich nach vier Jahren mit 22 vorzeitig und wegen guter Führung entlassen wurde. Mein Vater schickte mir Geld für ein Hotel, aber nach Hause kommen sollte, oder besser gesagt, durfte ich nicht. Ich war deswegen nicht sonderlich traurig. Ich hätte sowieso nicht gewusst was ich mit ihm hätte reden oder anfangen sollen. Ich wollte auch ehrlich gesagt nichts mehr mit ihm zu tun haben. Irgendwie vermisste ich Louis. Er war die einzige Konstante in meinem Leben gewesen. Zumindest in den letzten Jahren, und kurz überlegte ich ob ich nicht wieder etwas anstellen sollte um wieder in den Knast zu kommen, doch mein Gehirn funktionierte noch gut genug um das nicht weiter in Erwägung zu ziehen. Zumal mit Louis –der ja Lebenslang bekommen hatte- bevor ich entlassen wurde mitgeteilt hatte das ich noch jung sei, und etwas aus mir machen konnte. Es musste nichts großes sein, wenn ich dies nicht wollte, aber ich könnte mein Leben selbst in die Hand nehmen und leben wie es mir gefällt. In Freiheit“ denn das –so sagte er- war das wichtigste. Darüber hatte ich dann eine Weile nachgedacht und schließlich war ich zu dem Entschluss gekommen dass ich diese Chance nutzen sollte, und zwar ohne das Geld meines Vaters. Aber ich verlangte die Auszahlung des Erbes meines Großvaters, auf welches ich damals in der Schule keinen Zugriff gehabt hatte. Es stand mir zu und mit diesem Geld wollte ich ein neues Leben beginnen. Weit weg von Frankreich, und weit weg von meiner Familie. Ich habe damals auch versucht Scot ausfindig zu machen. Ich weiß zwar nicht weshalb. Also was ich ihm hätte sagen sollen wenn ich ihn gefunden hätte, aber ich wollte ihn noch einmal sehen. Doch er war nicht auffindbar. Alles was ich in Erfahrung bringen konnte war das er seinen Abschluss gemacht hatte und danach auch seine Heimat, seine Familie verlassen hatte um sein Glück in der Welt zu suchen. Ob er jemals noch an mich gedacht hatte? Ich wusste es nicht, aber ich hoffte es irgendwie. Wahrscheinlicher jedoch war das er sich neu verliebt hatte. Vielleicht sogar geheiratet hatte. Vielleicht sogar eine Frau um den Schein zu wahren? Ich konnte ihn zumindest nicht finden, aber ich erinnerte mich an den Schnee und das funkeln in seinen Augen. Das wollte ich für mich bewahren, also beschloss ich fortan dort zu leben wo ich regelmäßig von Schnee umgeben war. Ich nahm all mein Geld und besorgte mir ein One Way Ticket nach Kanada. Hier sprach man auch meine Muttersprache, neben dem Englischen, was es mir leichter machte hier Fuß zu fassen. Als was wusste ich noch nicht als ich hier ankam. Aber als ich das erste Mal meine Füße auf kanadischen Boden setzte, schneite es, und ich wusste ich war hier richtig. Ich kaufte mir eine kleine Wohnung und legte mein restliches Geld klug an. Ich mochte zwar im Gefängnis gesessen haben, aber ich war nicht dumm. Ich wusste noch wie man mit Geld umging, und ich hatte auch meine Erziehung nicht vergessen, weswegen es für mich nicht schwer war Kontakte zu knüpfen. Allerdings wollte ich nicht von dem Geld meines Großvaters leben. Es half mir aber ich musste auch etwas tun. Irgendetwas. Da ich auch im Gefängnis hier und da die Möglichkeit gehabt hatte zu musizieren, wie es meine Leidenschaft gewesen war, war ich nicht völlig aus der Übung und schlug mich zuerst als Barpianist durch. Ich sah ja immer noch gut aus, manche behaupten sogar besser als früher, auch wenn sie mich nicht von früher kennen, aber eben einen dieser Menschen lernte ich dann in den Bars kennen in denen ich spielte. Sein Name war Timothy kurz Tim, und er war ein Callboy. Durch ihn lernte ich diese Seite der Stadt kennen, die zwar eng verwandt mit der Prostitution war, aber dennoch etwas ganz anderes war. Nun ja…nicht vom praktischen Teil, aber theoretisch und finanziell. Ich sah gut genug aus, war gepflegt, hatte Erfahrung und gute Umgangsformen, einen einnehmenden Charme noch dazu und schon seit jeher Spaß an Sex. Warum also sollte ich es nicht versuchen? Die Agentur für die Tim arbeitete war seriös und hatte nichts mit Strichern oder Zuhältern zu schaffen. Sie garantiert für Einverständnis auf beiden Seiten und war sauber. Man konnte jederzeit auf beiden Seiten abbrechen wenn es nicht gut lief oder man sich unwohl fühlte und ich musste keinen Kunden annehmen der mir nicht zusagte, und das obwohl ich diese erst zu Gesicht bekomme wenn ich an dem vereinbarten Ort auftauche. Dort wird dann besprochen was alles passieren soll und bezahlt wird ebenfalls im Voraus. Ich versuchte es und kam gut an. Durch die Zeit im Gefängnis konnte ich auch wunderbar schauspielern und Typen nehmen die ich sonst nicht mal ansehen würde, aber das tat ich nur wenn mir wirklich danach war und der Umsatz stimmte. So wie heute. Ich schlage die Decke enger um mich und sinke seitlich auf das Sofa. Keiner zwingt mich, keiner macht mir Vorschriften. Ich bin mein eigener Herr. Sicher! Das ist nicht das Leben das meine Eltern sich für mich gewünscht haben, oder ich mir früher mal für mich ausgemalt habe. Aber es ist kein schlechtes Leben. Ich verdiene mein eigenes Geld, keiner schreibt mir vor was ich tun oder lassen soll. Ich bin von niemanden abhängig. Es ist ein gutes Leben! Nur eines fehlt um es noch besser zu machen, doch dieser Wusch wird nicht in Erfüllung gehen, und daran denkend wie es wäre wenn doch, schlafe ich schließlich auf dem Sofa ein. *** Etwas kitzelt und vibriert an mir. Ich finde das unangenehm. War irgendwie zu nah an meinem besten Stück und ich habe zwar nichts gegen Morgensex, aber dazu sollte ich echt mal erst wach sein, und nach dem Job gestern…kann ich echt drauf verzichten. Außerdem…bin ich gestern denn dort geblieben? Bei dem Kunden mein ich? Nein oder? Ich bin doch heimgegangen. Zumindest bin ich mir dabei fast ganz sicher. Ich sollte vielleicht keine fast volle Whiskeyflasche zum einschlafen austrinken. Allerdings hört das kitzeln nun auch nicht auf und somit ist an weiterschlafen nicht mehr zu denken. Außerdem werde ich immer wacher dadurch und bin schließlich echt wach genug um zu schnallen dass das nervende vibrieren von meinem Handy kommt. Also suche ich danach und finde es schließlich in meiner linken Hosentasche. Hab wohl gestern vergessen es da rauszunehmen. „Was ist?!?“, fauche ich in das Gerät nachdem ich es am Ohr und den Anruf entgegengenommen habe. Jeder der mich kennt und diese Nummer hat weiß das er mich besser nicht früh morgens aufweckt, und da ich gerade noch auf der Wanduhr in meinem eingeschränkten Blickfeld sehen konnte das es echt noch früh ist –was soviel heißt wie noch nicht Mittags durch- sollte der Anrufer echt nen guten Grund haben mich jetzt zu wecken. „Bonjour ma petite Jolie“, flötet mir eine viel zu vertraute Stimme ins Ohr. Pascal, oder Periné, wie er sich nennt. Diese blöde Transe. Ich bring ihn um! Tu ich natürlich nicht. Eigentlich ist er ein netter Kerl der sich gerne wie eine Frau anzieht aber doch unter den süßen Kleidchen ein ganzer Mann ist. Was mich auch echt nicht stört. Weder das eine noch das andere. Was mich aber stört ist die Tatsache das es –ich sehe auf die Uhr und stöhne entnervt auf- gerade mal kurz nach acht Uhr ist. MORGENS!!! „Wenn deine aufgeplusterte Perücke nicht gerade in Flammen steht und du meine Nummer mit der, der Feuerwehr verwechselt hast, hast du echt ein gewaltiges Problem“, sage ich mit eisiger Stimme und versuche mich wieder bequemer hinzulegen. Aber um ehrlich zu sein, die paar Stunden Schlaf auf meinem Sofa waren auch nicht wirklich bequem und mir tut gerade alles weh. Außerdem habe ich in meinen Klamotten geschlafen was noch unbequemer ist und eine Dusche könnte ich auch echt gut vertragen. „Ah, mon petit chéri hat wieder schlechte Laune. War es gestern Nacht so schlecht?“, fragt er völlig unbeeindruckt und ich weiß das er breit ins Telefon grinst ohne das ich ihn dazu sehen muss. „Was willst du?“, will ich nun wissen, weil auf dieses Spiel habe ich echt keine Lust. Er soll sagen was er will und mich dann wieder schlafen lassen. Oder duschen. Vielleicht auch beides, wobei mir die Reihenfolge schon wieder egal ist. „Ich habe einen Job für dich wenn du interessiert bist?“ Wieder dieses Geflöte. Der Kerl hat viel zu gute Laune um diese Tageszeit. Das kann ich echt nicht ab haben. „Jetzt?“ Ich muss das fragen weil, er kommt durchaus auf solche Schwachsinnsideen. Also kurz bevor ich eigentlich am vereinbarten Treffpunkt erscheinen sollte, erst mal fragen ob ich das überhaupt will. Kam schon mehr als einmal vor. Meine Frage ist also berechtigt. „Nein mon petit fou.“ Er will noch was anfügen aber ich unterbreche ihn: „Nenn mich nicht Dummkopf und auch nicht ständig Kleiner. Ich bin nicht klein!“ Bin ich wirklich nicht. Also vielleicht schon wenn man mich neben einen dieser Holzfäller aus dem Norden stellt aber an sich bin ich nicht wirklich klein. Also vielleicht auch nicht groß, aber bestimmt nicht klein. Höchstens kleinlich wenn man mich so früh morgens weckt und nicht zur Sache kommt. „Nein das bist du wirklich nicht“, sagt er nun und ich kann ihn albern kichern hören und verdrehe entnervt die Augen. Ich weiß worauf er anspielt. Mein Gott man wird doch auch mal nen schwachen Moment haben dürfen. Wir waren beide betrunken und…nun ja…ich war einfach nebenbei auch noch geil. Da ergab eben eines das andere. „Periné“, versuche ich es so schmeichelnd und verführerisch wie ich es in diesem Zustand gerade Mal so schaffe, „Meine Süße. Herzallerliebste“, ich flehe schon fast. „Bitte komm zur Sache“ Blöde Wortwahl! „Ich meine“, korrigiere ich schnell, „sag mir was das für ein Job ist und wann, und vielleicht auch noch wo. Mehr verlang ich nicht von dir.“ Er, oder sie -manchmal weiß ich das selbst nicht so genau- scheint ein Einsehen mit mir zu haben und klärt mich auf. Also über den Job, für alles andere wäre es schon zu spät. „Ich dachte mir ich sag dir gleich Bescheid. Ist ja nicht weit von dir entfernt und du hast heute sonst noch nichts zu tun.“ Ich nicke, was er nicht sehen kann, was mir aber egal ist und überlege aber dennoch nicht lange. Der Job klingt gut. Eine größere Gruppe Geschäftsmänner eines großen Konzerns aus Japan hat sich im Shangri-la Hotel einquartiert und einige davon –eigentlich fast alle- benötigen nun etwas Entspannung, und für einige der Herren soll unsere Agentur die richtigen Leute zur Verfügung stellen, und ich scheine in die gewünschte Kategorie zu passen. Zumindest hat mich einer der Kerle wohl auf der Homepage der Agentur gesehen und Gefallen an mir gefunden. Wenn ich nun also damit einverstanden bin dann steht die Nummer, und da ich wie gesagt heute noch nichts weiter zu tun habe, stimme ich zu und überlasse Pascal den Rest, der mir dann noch die Daten, also Name und Zimmernummer per SMS schicken wird und sich nun von mir verabschiedet um noch andere aus ihrem wohlverdienten Schlaf zu reißen. An Schlaf ist bei mir nun sowieso nicht mehr zu denken, also stehe ich auf, ziehe mich aus und verschwinde unter die Dusche um meine Lebensgeister wieder zu erwecken, was auch ganz gut klappt. Als ich aus der Dusche steige sehe ich als erstes wieder das Tattoo auf meiner linken Brust. Wie immer wenn ich in einen Spiegel schaue. Eine Schneeflocke ziert die Stelle über meinem Herzen, und darunter ist ein kunstvolles „S“ in die Haut gestochen. Wenn ich danach gefragt werde was es bedeutet, antworte ich immer „Snow“ also Schnee, weil ich diesen ja so mag. Die wahre Bedeutung ist eine andere, und so ist er immer bei mir. Nachdem ich im Bad fertig bin, ziehe ich mein Laufzeug an und sorge für ein wenig Bewegung für meine müden Muskeln. Zwar hasse ich die Kälte, aber ich will in Form bleiben, und der Schnee der letzte Nacht frisch gefallen ist hebt meine Laune trotz der Kälte wieder ein wenig. Es ist kurz nach halb zehn Uhr abends als ich das Foyer des Hotels betrete. Bestellt bin ich um 22 Uhr, aber ich habe mir angewöhnt lieber etwas zu früh zu erscheinen und zu warten, als im letzten Moment oder gar zu spät zu kommen. Der Concierge des Shangri-la kennt mich. Er gehört zur Szene und wahrscheinlich hat die Agentur den Auftrag ihm zu verdanken. Wahrscheinlich hat er uns empfohlen. So etwas zu wissen gehört zu seinem Job. Also gehe ich zu ihm, begrüße ihn und melde mich quasi dezent an. Da ich noch etwas zu früh dran bin, schlägt er vor das ich mich ein wenig an den Flügel setzten könnte. Er weiß das ich das gerne tue, und wenn sie keinen Pianospieler für den Abend haben, ist das für das Hotel ein zusätzliches Plus und für mich eine gute Übung. Zwar habe ich auch einen Flügel in meiner Wohnung stehen, aber nicht so ein tolles Instrument wie das hier. Ich habe heute nach dem Laufen und Essen sogar noch etwas darauf gespielt bevor ich noch etwas Schlaf nachgeholt habe und mich anschließend hierher aufmachte. Ich spiele also ein wenig, lasse mich von der Musik tragen und bemerke gar nicht das sich einige der Hotelgäste die sich im Foyer aufgehalten haben, zu mir gesellen und meiner Musik lauschen. Ich weiß dass ich nicht schlecht bin, aber ich bin nicht gut genug um davon leben zu können. War ich wohl nie. Ein Punkt für meinen Vater der ja immer gemeint hatte dass Klavierspielen ein schönes Hobby, jedoch nie ein ertragreicher Beruf sein würde. Gut. Mit meinem jetzigen wäre er wohl auch nicht zufrieden. Der Gedanke bringt mich sogar zum schmunzeln. Dann ist es soweit. Es ist Zeit. Ich beende das spielen und mache mich ohne großes Aufsehen zu den Fahrstühlen auf. Natürlich sieht man mir nicht an weswegen ich hier bin. Es steht nicht „Fick mich wenn du genug Geld hast“ auf meiner Stirn geschrieben. Ich trage einen dunklen, aber eher legeren Anzug. Ich will nicht aussehen wie ein Banker, aber ich will gut aussehen. Der dunkle Anzug und das dunkle Hemd schaffen das. Sie stehen in einem schönen Kontrast zu meinen blonden Haaren und den hellen Augen. Im zwölften Stock steige ich aus. Zimmer 317 stand in der SMS von Pascal. Ein gewisser Herr Toshio Sawada war mein Kunde. Sollte mir Recht sein. Es kursiert zwar in der Agentur das Gerücht das Japaner immer etwas pervers sind, aber damit kann ich leben. Wie gesagt, alles wird vorher ausgemacht und bezahlt. Tut er was das nicht abgesprochen war, habe ich das Recht ohne ein weiteres Wort zu verschwinden. Hab ich auch schon ein paar Mal getan. Nicht weil es mich gestört hätte, sondern damit die Kerle lernen wie das abläuft, und den Fehler machte bisher bei mir keiner zweimal. Es ist Punkt 22 Uhr und ich klopfe an die Tür. Ich kann von drinnen ein „Herein“ hören, und auch das es ausländisch klingt. Der japanische Dialekt nehme ich an. Ich öffne die Tür und trete ein. Es ist kein einfaches Zimmer, sondern eines von jenen die eine Art Flur haben bevor man in das Zimmer kommt, welches für gewöhnlich sehr luxuriös ausgestattet ist. Ich war schon ein paar Mal hier, daher weiß ich das. Ein Man mit eindeutig asiatischen Wurzeln kommt nun durch die Tür und sieht mich an. Seinem Blick nach schient ihm zu gefallen was er sieht, und da ich natürlich über einige der wichtigsten Begrüßungsformen der Welt informiert bin, verneige ich mich vor ihm und stelle mich als Phillippe vor. Da er mein Foto von der Website kennt spare ich mir den Teil mit der Agentur. Er wusste bestimmt selbst wofür er mich hergerufen hatte. Der Kunde ist noch nicht sonderlich alt. Also schon älter als ich, aber wohl irge3ndwas zwischen 30 und 40. Also im besten Alter. Etwas extrem wird es immer erst mit den älteren. Mal abgesehen davon dass ich nicht so sehr auf alte Körper stehe, aber wer tut das schon? „Einen kurzen Moment noch“, meint der Japaner nun. „Ich verabschiede mich bloß noch von einem Kollegen. Er ist als Dolmetscher für unserer Firma tätig.“ Mir ist es gleich was er noch tut oder tun will, und die Funktion seines Kollegen ist mir das erst recht. Ich bin pünktlich hier, lächle höflich und charmant und warte, während ich von nebenan zwei Stimmen hören kann. Die des Kunden, und dann noch eine andere, die jedoch viel zu leise ist um sie verstehen zu können, aber ich bin ja auch nicht zum lauschen hier. „Du solltest das auch ausprobieren. Vielleicht macht dich das endlich mal locker. So zurückhaltend und steif wie du bist, das kann doch nicht gesund sein“, höre ich meinen Kunden sprechen und gleich darauf lachen. Fehlt mir grade noch das er mich vielleicht gleich danach postwendend weiterreicht. Das läuft bei mir aber nicht und wenn sie mich zu zweit wollen, sollten sie sich jetzt entscheiden. Der zweite Kerl scheint dankend abgelehnt zu haben, denn ich kann nun Schritte hören die sich mir nähern und höflich sehe ich in Richtung der beiden Männer um einen guten Eindruck zu machen um dann plötzlich zu einer Salzsäule zu erstarren. Es ist als würde das Blut in meinen Adern gefrieren, mein Herz stehen bleiben, mein Kopf explodieren und meine Beine unter mir nachgeben, und zwar alles gleichzeitig, obwohl natürlich nichts davon wirklich passiert, und doch fühlt es sich so an. Ich sehe einen jungen Mann vor mir. Europäischer Herkunft. Helle, fast blasse Haut. Schwarzes, glänzendes Haar. Eine zierliche aber nicht allzu hagere Statur und ein paar Augen von flaschengrüner Farbe…die ich in tausend Leben niemals würde vergessen können. Er ist älter geworden. Wie auch ich, aber er ist es. Es bestehen keine Zweifel daran. Vor mir steht Scot! Scot Lennox! Mein Scot, und auch er sieht mich an und scheint mich zu erkennen, denn ich kann sehen wie er mit seinen Lippen meinen Namen formt und ihn ausspricht. So leise das es keiner hört, aber ich sehe es. Er ist es. Und er steht vor mir. „Ihr beiden kennt euch?“ Die Frage des Japaners höre ich zwar, aber ich bin außer Stande darauf zu antworten. Mir ist heiß und eiskalt zugleich. Mir ist übel und der kalte Schweiß bricht mir aus. „Alles in Ordnung? Fühlst du dich nicht gut?“ Wieder der Japaner, aber ich kann nur ihn ansehen. Scot ansehen, der dasteht und mich ansieht, und plötzlich bekomme ich es mit der Angst zu tun. „Ich…es…ich kann nicht…“, stammle ich vor mich hin und sehe das er einen Schritt auf mich zukommt. Das er etwas sagen will, aber ich habe Angst davor, weiche zurück und stolpere gegen die Tür, öffne diese mit der Hand in meinem Rücken und sehe schnell zu meinem eigentlichen Kunden hin. „Es…es tut mir leid. Ich…ich kann nicht. Ich werde sofort Ersatz herschicken lassen. Bitte verzeihen sie“, bringe ich noch irgendwie hervor, dann bin ich schon draußen im Flur und meine zittrigen Beine tragen mich so schnell sie können zu den Liften hinüber wo ich auf die Knöpfe drücke, aber dann dauert es mir zu lange. Ich kann die verwunderte Stimme des Japaners hören der mir nachruft was denn los sei, aber ich antworte ihm nicht. Ich stoße mich von den Fahrstühlen ab und laufe zum Treppenhaus. Laufe hinunter. Ohne anzuhalten. Ohne mich umzudrehen. Ich muss hier weg! Schnell! Zwölf Stockwerke laufe ich nach unten. Verschwitzt und wie ein gehetztes Tier tauche ich im Foyer auf, laufe an der Rezeption vorbei und nach draußen. Ich kann die Stimme des Concierges hören die auch wissen will was mit mir passiert ist und mich beim Namen ruft. Aber ich bleibe nicht stehen. Ich kann nicht. Ich laufe hinaus in die Dunkelheit der Nacht. Hinaus in die Kälte und den Schnee. Sehe mich nicht um, warte nicht. Halte nicht. Ich laufe einfach nur, und das obwohl ich nicht mal weiß wovor ich weglaufe. Vor Scot? Oder vor dem was er mir vielleicht zu sagen hat? Sechs Jahre sind vergangen und er hat sich nie gemeldet. Ich habe ihn nie wieder gesehen, ihn nie erreichen können. Er wollte mich nicht sehen, und auch wenn es jetzt durch Zufall passiert ist, wird sich seine Meinung nicht geändert haben, und ich bin ein Feigling, denn ich will nicht hören was er mir zu sagen hat. Ich kann es nicht. Kann nicht von ihm hören wie sehr er mich verachtet für das was ich getan habe. Ich kann es einfach nicht. Lieber sehe ich ihn nie wieder als dies von ihm zu hören. *** Es ist 4 Uhr Morgens als ich endlich nach Hause komme. Ich war einfach nur gelaufen, gelaufen, gelaufen und nochmal gelaufen. Bis ich keine Luft mehr bekam und der kalte Wind den Schweiß auf meinen Körper erreichte. Dann habe ich in der Agentur angerufen und gesagt das ich den Job nicht gemacht habe, auch das ich den Kunden so dort habe stehen lassen. Sie sind nicht gerade glücklich darüber, aber sie haben einen Ersatz für mich hingeschickt. Nach diesem Telefonat habe ich mein Handy ausgeschalten. Keine Ahnung wer mich hätte anrufen sollen aber…ich will auf Nummer sicher gehen. Mein nächster Halt war schließlich eine Bar in der ich mich aufgewärmt habe und wo ich mich betrinken wollte. Doch ich brachte nichts hinunter. Ständig hatte ich nur dieses Gesicht vor Augen. Diesen Blick. Diese Augen. Ich wollte sie nicht vergessen, also bezahlte ich vier Drinks die ich nicht trank und lief dann ziellos durch die Stadt und irgendwann dann auch nach Hause. Meine Glieder sind steif und kalt. Ich bewege mich mehr mechanisch als das ich eigentlich weiß was ich tue oder wohin ich gehe. Ich sehe nur noch ihn. Wie in einem Traum. Wie in meinen Träumen, und die Kälte in meinen Knochen lässt mich schon halluzinieren, denn als ich auf meine Wohnungstür zugehe, bilde ich mir ein ihn auch dort stehen zu sehen. Was für ein alberner, dummer Kerl ich doch bin. Doch das Trugbild verschwindet nicht als ich näherkomme. Es bleibt an seinem Platz stehen und plötzlich spricht es zu mir. Spricht meinen Namen aus. „Phillippe“ Ich kann nicht anders. Taumle leicht zurück, spüre das ich wieder losrennen möchte, doch diesmal ist er schneller, stellt sich vor mich und sieht mich an. Sieht mich an mit diesen Augen die ich nie vergessen konnte und bittet mich nicht wieder wegzulaufen. „Ich habe durch die Agentur für die du arbeitest herausgefunden wo du wohnst. Du warst so schnell verschwunden. Ich…ich wollte mit dir sprechen aber du warst dann auch schon weg. Bitte lauf nicht wieder weg ja?“ Meine Verwunderung und Panik schlägt nun ein wenig in Wut und Trotz um. „Ich wohne hier“, knurre ich leise aber deutlich. „Ich bin es nicht der hier nicht sein sollte. Ich bin hier zuhause.“ Er nickt und seine Augen…er schlägt die Lider nieder, sinkt etwas in sich zusammen. „Du musst mich sehr hassen Phillippe. Das kann ich verstehen“, wispert er nun und ich sehe ihn einfach nur an. Er mag älter geworden sein. Das sind wir wohl beide. Aber er hat es immer noch nicht begriffen. Auch nach all den Jahren nicht. Das wird mir gerade schmerzlich klar, und all meine gerade noch aufbegehrende Wut macht sich plötzlich davon. Wie immer. Wie früher und wie auch jetzt. „Ich hasse dich nicht“, höre ich mich sagen und weiß dass es die Wahrheit ist. War es damals schon, und ist es noch. „Ich habe dich nie gehasst. Sondern geliebt.“ „Aber ich habe dich….ich habe dich im Stich gelassen. Ich habe dich verraten!“ Ich lächle. Es ist ein müdes Lächeln und ich schüttle meinen Kopf. „Du hast getan was du für richtig gehalten hast. Ich habe dich überfallen mit meinen Forderungen und als ich Bloomberg mit dem Messer…“, wieder schüttle ich den Kopf. „Das war ein Fehler. Gewalt sollte nie die Lösung sein. Darf nie die Lösung sein. Ich habe einen schlimmen Fehler gemacht und dafür bezahlt. Dich trifft keine Schuld daran und nochmal Scot…ich hasse dich nicht.“ „Warum nicht?“, will er nun wissen und sieht mich mit Tränen in den Augen an. „Ohne mich da wärst du…“ „…niemals so glücklich gewesen wie mit dir“, unterbreche ich ihn und beende seinen Satz somit. „Das verstehe ich nicht. Wie kannst du sowas sagen nach all dem was passiert ist?“, flüstert er und ich kann nicht anders. Hebe meine kalte Hand an und berühre mit den Fingern sein Gesicht, berühre, streichle seine Wange und zwinge ihn sanft mich anzusehen. „Willst du reinkommen? Dann erklär ich es dir.“, biete ich ihm an und bete zu Gott das er es tut. Er sieht mich mit diesen großen, schönen Augen an. Scheint zu überlegen. Vielleicht hält er mich auch für verrückt. Ich würde es ihm nicht verdenken. Dann aber nickt er zaghaft und legt seine Hand auf meine. „Ja. Wir sollten reden.“ „Ja“, flüstere ich und sehe ihn an und weiß dass für mich diese sechs Jahre keinen Unterschied machen. Noch nie gemacht haben. „Wir haben uns wohl viel zu erzählen Snow.“ Natürlich versteht er nicht weshalb ich ihn so nenne. Aber vielleicht…vielleicht zeige ich ihm das Tattoo und seine Bedeutung. Vielleicht wird er es dann verstehen und…alles andere wird die Zeit und Zukunft bringen. Kapitel 2: Eis -------------- Schnee, Schnee und nochmals Schnee. Egal wo man hinsieht, überall liegt das fluffig, weich aussehende Zeug rum und bedeckt das Land. Schon noch im Flugzeug konnte ich es sehen. Sah aus als wäre ganz Schottland unter dem Schnee begraben. Angeblich hat es hier so viel geschneit wie seit Jahren nicht mehr. Die Flugzeugcrew hat das zumindest erzählt und auch die Typen am Schalter vom Flughafen in LA, die es irgendwie nicht fassen konnten das ich aus dem sonnigen Kalifornien weg wollte. Noch dazu in diese Schneehölle hier. Aber genau hier muss ich hin. Hierher nach Schottland. Weil hier mein Herz versteckt ist. Unter all dem Schnee und Eis…irgendwo ist es. Irgendwo ist ER. Der Mann den ich liebe. Dem ich mein Herz geschenkt habe welches er mitgenommen hat hierher, und den ich so sehr verletzt habe, das es mir erst jetzt klar wurde wie sehr. Vielleicht zu spät. Vielleicht kommt die Erkenntnis einfach zu spät. Aber ich muss es wissen. Ich muss ihn sehen. Die letzten zwei Jahre…zum einen rannten sie an mir vorbei wie ein durchgeknallter kenianischer Marathonläufer. Zumindest was meine Laufbahn und Karriere anging, und zum anderen war es eine gefühlte Ewigkeit. Eine Ewigkeit ohne ihn. Ich kann einfach nicht mehr, und das habe ich wohl immer schon gewusst, aber es –wie so vieles andere- einfach verdrängt. Ich wollte es nicht wahrhaben. Wollte weiterkämpfen für meine Ziele, so wie ich es immer gemacht habe und dachte…es würde funktionieren. Doch das tat es nicht, und tut es auch jetzt nicht mehr. Die Erkenntnis, dass es so nicht mehr weitergehen kann –auch wenn sie unterschwellig schon seit Jahren in mir brodelte- kam vor 4 Tagen über mich. Auf dem Eis. Bei unserem letzten Spiel im alten Jahr. Am 27.12. dem zweiten Weihnachtsfeiertag. Ein wichtiges Spiel gegen die New York Rangers. Eine Schlacht auf dem Eis. Immerhin sind sie unser härtester Gegner um den Stanley Cup. Das Ziel aller Ziele, und mein Name steht bereits zweimal auf diesem riesigen Pokal. Doch es soll ein drittes Mal geben. Warum mit einem oder zweimal zufrieden sein? Ich wollte schon immer mehr als andere. Ich bin ehrgeizig und verfolge meine Ziele bis ich sie erreiche. So bin ich nun mal, und niemand hält mich auf. So auch nicht einer der Verteidiger unserer Gegner. Ich war so gut drauf, hab den Winkel zum Tor schon genau im Blick gehabt. Ich war schnell. Das würde das Siegertor werden, ich war mir sicher! Und plötzlich tauch da wie aus dem Nichts der Ranger auf, schießt auf mich zu und will meinen Schuss abfälschen, mir den Puck entreißen. Nein! Das war meine Chance. Das wollte ich nicht zulassen, und bevor ich wirklich wahrnahm was passierte, oder passieren würde, legte ich einen sauberen Pass auf meinen Teamkollegen hin und fuhr den Verteidiger mit einem heftigen Check gegen die Bande. Zu heftig. Ich konnte selbst das knacken einiger Knochen hören, und als ich sah wie er zu Boden ging und nicht mehr von alleine hochkam, wusste ich was ich getan hatte. Ich hatte mit voller Absicht einen anderen Spieler verletzt, und das hatte mit sauberem Eishockey nichts mehr zu tun. Zwei weitere Ranger attackierten mich im nächsten Moment von hinten. Klar dass sie Rache wollten, und dann sah ich Teamkollegen von mir die mir zu Hilfe kamen. Eine wahre Schlacht. Nichts anderes war das mehr. Sicher, eine gute Prügelei gehörte zum Eishockey dazu, aber das…nein…das war nicht mehr das Spiel das ich so liebte und für das ich mein Leben bog wie es am besten passte. Ich hatte es selbst entweiht. Noch dazu war der Verteidiger Don. Einer meiner ehemaligen Teamkollegen als ich noch für die Islanders spielte. Einer meiner besten Freunde, dem ich mich mehr als einmal anvertraut hatte, wenn auch dennoch mit einem Deckmantel über der richtigen Wahrheit, aber er war ein Freund. Ein Freund der meinetwegen und wegen meinem verfluchten Ehrgeiz im Krankenhaus landete. Mit einem Wirbelbruch und drei gebrochenen Rippen. Ich habe ihn natürlich im Krankenhaus besucht und mich entschuldigt. Bei Don und seiner Frau, und auch den beiden Mädchen die mich so schrecklich böse ansahen. Ja. Das hatte ich auch verdient. Das und noch vieles mehr. Aber nicht Dons Worte als er sagte er würde mir verzeihen, und auch seine Frau sagte dies zu mir, nachdem sie mir erzählt hatte das nun Schluss war mit Eishockey. Nicht wegen der Verletzungen. Die waren schwer aber würden wieder heilen. Nein. Er wollte bei seiner Familie bleiben. Er hatte genug und es war an der Zeit sich um die Menschen zu kümmern die er liebte, ließ er mich wissen. Nach diesem Besuch saß ich die halbe Nacht in meinem Auto auf dem Parkplatz der Hospitalstiefgarage und dachte über Dons Worte nach. Aufzuhören um bei denen zu sein die man liebte. Thomas… An die nächsten Tage erinnere ich mich nicht mehr richtig. Es ist alles irgendwie…alles verschwommen. Ich weiß dass ich irgendwann nachhause gefahren bin. Doch ist es ein Zuhause? Meine Wohnung hier in Anaheim, der Heimat der Anaheim Ducks für die ich jetzt spiele, und die ich zum Stanley Cup bringen wollte…es ist eine Wohnung. Groß, schick eingerichtet. Aber es ist kein Heim. Es ist nichts anderes als ein größeres Hotelzimmer. Ich spiele jetzt hier, also lebe ich auch hier. Die meiste Zeit bin ich sowieso unterwegs. Training, Auswärtsspiele. Die wenigen Tage an denen wir Spiel und Trainingsfrei haben…sie verschwimmen einfach. Gehen vorbei. Meist bin ich dann eben in meiner Wohnung und sehe fern, oder ich gehe aus, streife durch die Gegend. Allein wie ein getretener Hund. Früher habe ich mich auf diese Tage gefreut. Ebenso über die Spielfreie Zeit nach der Saison, die ich mit ihm verbracht habe. Natürlich nicht offiziell, denn für mein Umfeld bin ich ein klassischer Hetero. Durch mein gewieftes Management bin ich der Inbegriff eines Singlemannes der keine Lust auf Familie und feste Beziehungen hat. Nur so lässt sich erklären warum ich keine Frau oder Freundin habe. Dass ich schwul bin darf niemand erfahren. Meine Karriere wäre vorbei und somit auch mein Leben. Zumindest dachte ich das immer. Jetzt weiß ich es besser. Aber auch Thomas hatte nicht die ganze Zeit für mich Zeit, denn auch er hat einen Beruf den er liebt und doch…es fehlt mir. Ich dachte ich könnte ohne das leben. Dieses Miteinander leben. Aber nur mit ihm, nur mit ihm an meiner Seite gibt es dieses Gefühl von Zuhause. Seid wir uns kaum noch sehen, und der den Kontinent verlassen hat…er hat mein Herz mit sich genommen und ich Idiot habe es nicht bemerkt. Und falls doch, wollte ich es nicht wahrhaben. Seid er fort ist, lebe ich nur noch als Schatten. Zumindest dann wenn keine Kameras auf mich gerichtet sind. Denn dann bin ich jemand anderes. Dann bin ich Marcus Alexander! Einer der bestbezahltesten und gefragtesten Stürmer der NHL. Ich lebe meinen Traum. Gefragt, begehrt von allen wichtigen Eishockeyclubs in den Staaten und Canada. Auch aus Europa kamen Angebote. Doch das höchste ist die NHL. Warum für andere Clubs spielen die mich nicht zum Sieg bringen können? Ja. So ein selbstsüchtiges Arschloch bin ich. Und als solches habe ich zugelassen dass das Beste was mir je passiert ist von mir ging. Dabei…wirklich getrennt sind wir nicht. Keiner von uns hat je Schluss gemacht. Scheinbar brachten wir es beide nicht übers Herz, oder vielleicht haben wir uns nur aneinander gewöhnt? Aber seit dieser Sache damals… wir mussten vorsichtiger sein. So viel hing davon ab, und so wurden es dann Anfangs eine Fernbeziehung und ich flog so oft ich konnte zu ihm. Doch die Katasrophe stand uns noch bevor die mich zwang ihn zu verleugnen, Abstand von ihm zu nehmen, denn sonst wäre alles aus. Keiner will einen schwulen Eishockeyspieler in seinem Team haben. Möglich dass es viel mehr als bloß mich gibt, gab es auch schon in anderen Sportarten, aber die haben sich alle erst nach ihrer aktiven Karriere geoutet, und das war gut so, sonst wären sie noch schneller abgesägt worden. Sie haben ihr Ende selbst bestimmt. Das Karriereende, und genau dafür habe ich mich immer gefürchtet. Denn was bin ich ohne Hockey? Bloß ein Niemand. Ich kann nichts anderes. Ich habe nie etwas anderes gemacht. Ich bin jetzt 36 Jahre alt und werde in ein paar Monaten 37. Ein Oldie unter den Jungs. Es kommen ständig neue nach. Frisch, voller Kraft und Energie. Irgendwann werde ich ersetzt werden, und was dann? Klar. Verhungern werde ich nicht. Ich werde nie wieder arbeiten MÜSSEN wenn ich nicht will. Muss ich jetzt schon nicht mehr. Muss ich seit Jahren nicht mehr. Die NHL zahlt gut und ihre Vereine noch besser. Dazu kommen Werbeverträge. Ich habe genug Scheißgeld um einen kleinen Privatkrieg finanzieren zu können, oder ne Menge hungernder Kinder zu retten. Letztes tue ich auch regelmäßig. Ich unterstütze eine Stiftung zur Rettung von Flüchtlingen in Krisengebieten und für hungernde und kranke Kinder in Afrika. Es ist falsch so viel Geld zu haben und nichts Gutes damit zu tun. Aber ich benötige auch einiges davon um mir meinen Lebensstandard zu erlauben an den ich mich gewöhnt habe. Ich sage ja…ich bin ein egoistischer Arsch, aber so bin ich, und so werde ich auch eines Tages sterben wenn ich nicht bald mal was dagegen tue und mich ändere. Alles ändere. „Mr.Alexander?“, die Stimme der Stewardess reist mich aus meinen Gedanken und ich sehe sie fragend an, woraufhin sie etwas peinlich berührt lächelt und meint das wir schon gelandet sind, und das die anderen Passagiere schon alle das Flugzeug verlassen haben. Tja, jetzt sollte ich wohl peinlich berührt sein, und ein wenig bin ich das auch. Schnell bedanke ich mich und stehe auf. Nehme mein Handgepäck aus dem Fach über meinen Sitz und greife in die Innentasche meiner Jacke. Gut. Er ist noch da. Dann verlasse auch ich den Flieger und betrete nach dem auschecken und dem ewigen hin und her an Flughäfen, endlich schottischen Boden. Scheiße ist das kalt hier! Ich meine ich wusste das es kälter ist als in Kalifornien aber gleich so eisig? Ich schlage den Kragen meiner Jacke hoch und winke einem Taxifahrer zu. Dann sitze ich auch schon in dessen Wagen. Großes Gepäck habe ich keines. Ich bin bloß mit einer kleinen Tasche aufgebrochen. Alles was ich brauche kann ich hier kaufen wenn es sein muss. Der Aufbruch kam auch ziemlich plötzlich. Irgendwann während dieser Tage nach dem Spiel, bin ich aufgewacht und habe erkannt was ich tun muss. Was das einzige ist was ich tun kann. Das einzig Richtige. Das DOPS (Department of Player Safety) hat mich wegen des Checks für fünf Spiele gesperrt. Ich habe trotzdem trainiert und das Straftraining des Trainers über mich ergehen lassen. Eigentlich habe ich es kaum wahrgenommen. Ich funktionierte einfach. Was mich aufgerissen hat, war ein Check einer meiner Kollegen gegen mich. Einfaches Training. Ich stolperte dennoch und landete auf dem Eis. Es war ein Neuer vom medizinischen Betreuerstab, der übereifrig auf mich zukam als ich nicht gleich wieder hochkam und wissen wollte ob alles in Ordnung war. In diesem Moment machte es buchstäblich „Klick“ in meinem Kopf, denn genau so habe ich ihn damals kennengelernt. Meinen sexy Doktor. Ich bin vom Eis gegangen. Wortlos. Der Trainer hat mir hinterhergebrüllt. Es war mir egal. Ich habe das Stadion verlassen -wahrscheinlich für immer- und meine Vorbereitungen getroffen, und nun bin ich hier. Edinburgh ist nicht das Ziel meiner Reise, aber der einzige Ort in der Nähe meines eigentlichen Ziels, der mit dem Flugzeug zu erreichen war. Weiter geht es mit einem Mietwagen, und zu der Firma wo dieser steht, fährt mich nun der Taxifahrer. Da es in den letzten Tagen hier so stark geschneit hatte, war ich vorrausschauend und habe statt eines schnellen Flitzers, einen geländetauglichen Wagen reserviert. Nun ja. Ein Porsche Cayenne ist zumindest beides. Schnell und tauglich für die Fahrt die vor mir liegt. Kaum hat mir der zuvorkommende Angestellte den Wagen und das Navi –welches am Wichtigsten war- erklärt, bin ich auch schon auf dem Weg. Knappe vier Stunden trennen mich noch von meinem Ziel, so sagt es zumindest das Navigationsgerät mit der nervigen Frauenstimme im Wagen. Vier Stunden also noch. Erneut greife ich in meine Jackentasche. Alles da wo es sein soll. *** Beeindruckend! Ein anderes Wort trifft einfach nicht auf das zu was ich sehe. Das Schloss welches die Schule beherbergt in der er arbeitet, wirkt wie aus einem Märchen, oder einem Abenteuerfilm. Braveheart fällt mir dazu nun als erstes ein, oder Robin Hood, oder Harry Potter.ist ja auch eine Schule. Eine gewaltige Kulisse ist es allemal wie es da so steht, mitten in dem dunklen See, der zum Teil wohl zugefroren ist, und unter all dem Schnee. Den Wagen habe ich auf der Uferseite abgestellt. Es führt nur eine schmale Brücke über das Wasser. Zu schmal für ein normales Auto. So hat man es mir zumindest gesagt. Jetzt stehe ich hier wo die Ställe sind die zur Schule gehören. Es wird bald dunkel, und nun trennen mich nur noch diese Brücke und meine Feigheit von ihm. Irgendwie scheine ich festgefroren zu sein. Einer der Angestellten des Schlosses, den ich gefragt habe wo ich denn Doktor Green finden kann, hat mir auch erzählt das er drüben auf dem Schloss ist, und dort mit den hiergebliebenen Schülern und den Angestellten den Jahreswechsel feiern wird. Sein Name ist Cliff wenn ich richtig aufgepasst habe, und er fährt auch dort hinüber mit den Stallbuschen wenn er hier fertig ist und nimmt mich dann mit hinüber. Ich habe mich bei ihm bedankt und stehe nun am Anfang der Brücke uns starre auf die andere Seite während ich warte. Was wenn er mich nicht sehen will? Wenn es zu spät ist? Zwei Jahre…ja wir haben dazwischen telefoniert. Auch mal geskypet. Praktisch diese technischen Spielsachen. Auch Mails geschrieben und so. Aber das letzte Mal das wir uns gesehen haben. Es verlief unglücklich. Er wollte mich überraschen und das ging…gelinde gesagt, voll in die Hose. Was wenn das hier und heute auch so sein wird? Hätte ich vorher vielleicht anrufen sollen? Nein. Ich will ihn sehen. Ich muss ihn ansehen und mit ihm sprechen. Er soll nicht auflegen können. Wenn er mich dennoch nicht sehen will, werde ich wieder gehen. Er hat jedes Recht der Welt mich wegzuschicken, Nichts anderes habe ich all die Zeit immer mit ihm getan. „Na dann wollen wir mal junger Mann.“ Die Stimme des Stallmeisters schreckt mich etwas auf, was ihn lachen lässt und er mir dann auf die Schulter klopft als er sich entschuldigt. Ich versuche mich auch an einem Lächeln, aber ich bin viel zu nervös als das ich es wirklich zustande bringen könnte. Wir steigen also in eine Art umgebautes Golfwägelchen, und dieses fährt uns dann über die Brücke zum Schloss, welches aus der Nähe betrachtet noch beeindruckender auf mich wirkt als vorhin am Ufer. „Der Doc muss irgendwo im Schloss sein. Er hat zwei Patienten hier. Am besten Sie fragen mal in der Küche nach junger Mann. Kommen Sie. Ich bringe Sie hin.“ Cliff ist ein netter älterer Herr. Hat etwas von einer Vaterfigur. Ich mag ihn und bedanke mich artig. Auch wenn ich die Anrede: „Junger Mann“, nicht mehr so passend finde. Dafür bin ich schon zu alt, auch wenn ich deutlich jünger bin als Cliff. Soweit man das auf den ersten Blick beurteilen kann. Also folge ich ihm über die steinernen Stufen nach drinnen und bin angenehm überrascht dass der alte Kasten scheinbar echt gut beheizt ist, und auch hier komme ich erstmal aus dem Staunen nicht heraus, da ich mich echt wie in einem Film fühle. Harry Potter trifft es angesichts des Schulhintergrundes doch noch am besten. Nur das hier eben keine Eulen rumflattern oder lebende Bilder an der Wand hängen. In der Küche weiß leider auch niemand wo sich Thomas aufhält. Nicht viele Schüler scheinen in den Ferien hiergeblieben zu sein, weswegen wohl auch das Personal recht reduziert wurde, und die Schule war groß. Thomas konnte demnach überall sein. Also hieß es wohl weitersuchen. Ich verlasse die Küche wieder und finde mich plötzlich in einem großen Speisesaal wieder. Bin wohl durch die falsche Tür gegangen. Hier scheinen auf jeden Fall ein paar der Schüler Partydeko anzubringen. Wohl für die Silvesterfeier in ein paar Stunden. Das alte Jahr hat kaum noch acht Stunden über. Klar mustert man mich interessiert, aber die Jungs wenden sich alle schnell wieder ab. Alle bis auf einen. Ein etwas schlaksiger Junge mit großer Brille und fast orangeroten Haaren. Seine Augen funkeln aufgeregt und seine Hände zittern als er vorsichtig näher kommt weil ich ihn anlächle. „Sie sind es wirklich oder?“, flüstert er beinahe ehrfürchtig und ich bin zugegeben etwas überrascht. Hätte nicht gedacht hier im tiefsten Schottland Fans zu treffen. Aber der Junge spricht nicht den hier üblichen, etwas schwer zu verstehenden Dialekt. Er ist Amerikaner, das hört man sofort. „Sie sind Nummer 17. Marcus Alexander. Wahnsinn!“ Der Kleine ist irgendwie putzig. Obwohl, so klein ist er gar nicht, und wenn er hier zur Schule geht dann ist er mindestens sechzehn. Aber vielleicht wirkt er nur so klein wegen der Brille und diesem riesigen Gebäude um ihn und uns herum. Hier fühle ich mich auch irgendwie klein. Dass er mich Nummer 17 nennt. Zeigt mir dass er ein echter Fan ist. Weil ich nur die Nummer 17 bin. Sol heißen, ich spiele nur mit dieser Nummer. Meine Glücksnummer. Seit den Islanders trage ich nur noch die, und gibt es die Nummer in einer Mannschaft schon, dann bekommt der andere eine neue oder ich spiele nicht. Ist Teil meines Vertrages. Inzwischen kann ich mir diese Sonderleistungen erlauben. Ich bin so gut dass es jeder toleriert. „Und du bist?“, frage ich freundlich, worauf er sich wohl so erschreckt das ich wirklich ICH bin, das er scheinbar einen Moment überlegen muss bis ihm sein Name wieder einfällt. „Trevor!“, platzt er dann doch noch heraus. „Trevor Jones! Oh mein Gott! Es ist mir so eine Ehre sie kennenlernen zu dürfen Mr.Alexander.“ „Nenn mich Marc. Freunde dürfen mich Marc nennen“, biete ich ihm aus Gewohnheit an. Außerdem ist er ein netter Junge. Trevor schnappt überrascht nach Luft und würde wohl am liebsten Luftsprünge machen. Zumindest zappelt er gerade ziemlich aufgeregt herum. Vielleicht muss er aber auch bloß aufs Klo. Dann platzt es aus ihm heraus. Was er für ein großer Fan von mir ist. Das er alle meine Spiele gesehen hat wenn er konnte, und noch vieles mehr. Ich lächle, nicke und stimme zu als er mich fragt ob ich denn sein Anaheim Trikot unterschreiben würde und ein Foto mit ihm mache. Auch wenn mich etwas Wehmut beschleicht als ich ihm nachsehe wie er aus dem Speisesaal rennt um seine Sachen zu holen. Ob er immer noch so ein großer Fan von mir ist wenn der heutige Tag vorbei ist? Ich sehe auf meine Armbanduhr. Noch sieben Stunden. Wie viele Menschen dann meine Trikots und andere Fanartikel wohl wegwerfen werden? Aber ich bringe es nicht über mich dem Jungen jetzt seine Freude zu zerstören, und ein klein wenig bin ich auch egoistisch weil ich selbst will das es nicht endet. Aber es muss sein. Genug ist genug. Während ich jetzt also auf Trevor warte, fällt mein Blick auf zwei andere Jungs die mich nach diesem Ausbruch ihres Kameraden interessiert beobachten. Der Dunkelhaarige sieht schnell weg als ich hinsehe. Ist wohl etwas schüchtern. Der Blonde hingegen guckt mich weiter an, und da fällt mir das Pflaster an seiner Stirn über dem Auge auf. Mit etwas Glück wissen die beiden wo Thomas steckt. Immerhin ist er ja hier der Schularzt soweit ich weiß. Also gehe ich zu ihnen, grüße freundlich und frage ob sie den Doktor vielleicht gesehen haben. Blondi ist nicht auf den Mund gefallen und will wissen was ich denn von Doktor Green will. Sein Dialekt ist französisch, und der seines Freundes neben ihm -welcher ihm jetzt zuflüstert, dass man sowas nicht einfach so fragt weil es unhöflich ist- ist von hier. Oder zumindest von dieser Insel. Hört man eben. „Kein Problem. Ich bin ein alter Freund des Doktors und wollte ihn mit meinem Besuch hier überraschen. Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen, und ich wollte das in diesem Jahr noch nachholen“, antworte ich dem hübschen blonden Bengel und seinem ebenso hübschen Freund –die beiden gäben ein hübsches Paar ab- auf Französisch, so dass diese die Augenbrauen überrascht anheben. Ja. Ich hab es noch nicht verlernt. Außerdem habe ich letztes Jahr wieder für ein Kanadisches Team gespielt, und die sprechen eben diese Sprache. Es schadet daher nicht es zu können, und so schlecht bin ich wohl nicht den sie haben mich verstanden, auch wenn sie wieder auf Englisch antworten. Zumindest der Dunkelhaarige. Blondi scheint sprachlos zu sein. „Dr.Green ist in der Kapelle. Wenn sie möchten bringen wir sie hin? Ich wollte ohnehin noch ein wenig nach draußen gehen und frische Luft schnappen.“ Bevor ich mich bedanken, oder sonst irgendetwas dazu sagen kann, mischt sich sein Freund wieder ein der ihn flüsternd daran erinnert das der Arzt im Krankenhaus gesagt hatte er solle sich schonen. Davon will aber Scot –wie ich eben aus der Unterhaltung erfahren habe- nichts wissen. Er erklärt Phillippe –also Blondi- das er sehr gut selbst einschätzen kann was er kann und was nicht, aber er bedankt sich auch bei ihm dafür, dass er sich um ihn sorgt. Echt niedlich die beiden. Irgendwie unbeschwert, auch wenn man ihnen ansehen kann, das nicht alles so unbeschwert in ihrem Leben zu verlaufen scheint. Aber ich habe kein Recht das zu hinterfragen oder mich einzumischen. Im selben Moment kommt Trevor wieder durch die Tür gestürmt und auf mich zu, wobei er den anderen beiden einen irgendwie finsteren Blick zuwirft. Aber auch das geht mich nichts an. Ich unterschreibe auf einem Basecap, einem Shirt, einen Trikot und nochmal auf einer seiner Schulmappen wenn ich das richtig sehen. Dann machen wir noch ein paar Fotos und unwillkürlich muss ich daran denken dass das die letzten Fotos von meinem alten Ich sein werden. Aber das weiß der Junge nicht. Wenn er allerdings so ein Fan ist, wird er es schon bald erfahren. Vielleicht brennen die Dinger hier dann alle kurz darauf in dem großen Kamin dort nahe dem Weihnachtsbaum. Nachdem ich mich dann schließlich von Trevor verabschiedet habe, folge ich den beiden anderen Jungs nach draußen, wobei ich auch beginne mich zu fragen, was Thomas denn in der Kapelle tut? Hat er inzwischen zum Glauben zurückgefunden? Weihnachten ist ja schon vorbei wo man halt auch mal in die Kirche geht auch wenn man es sonst nie tut. Meine Familie hält es zumindest so, und soweit ich weiß auch viele andere. Durch den hohen Schnee wurde hier draußen ein schmaler Trampelpfad freigeschaufelt, oder getreten. Es ist als wenn man durch einen Gang läuft, nur das man über den Rand der Mauern sehen kann. Blondi hat seine Sprache inzwischen wiedergefunden und versucht sich in Smalltalk. Hauptsächlich ist er allerdings wohl bloß neugierig und will wissen was ich denn für ein Sportler bin und woher ich dann den Doktor kenne. Ich gebe bereitwillig und unschuldig Auskunft. Erzähle dass Thomas und ich für denselben Verein gearbeitet hatten vor etlichen Jahren. Er als Arzt ich als Spieler. Das wir uns verliebt haben und sogar zwei Jahre eine richtige Beziehung geführt haben, lasse ich natürlich aus. Das ist privat und geht niemand etwas an. Niemand außer uns beiden. Dann haben wir das Schloss irgendwie halb umrundet und stehen vor dem Seiteneingang der kleinen schuleigenen Kapelle. Die beiden Jungs verabschieden sich und schlendern ein paar Schritte in die andere Richtung davon. Ich stehe immer noch vor der Tür und starre das Holz an. Immer noch stelle ich mir die Frage ob er mich überhaupt sehen will. Jetzt bin ich hier. Aber ich könnte rein theoretisch auch wieder gehen. Klar. Inzwischen wissen ein paar Leute dass ich hier war und Thomas gesucht habe, aber… Ach was soll`s! Ich bin hier weil ich ihn sehen will. Weil ich ihn endlich wiedersehen will. Ihn im Arm halten, ihn küssen, ihm einfach nahe sein will. Wenn er das nicht will, wird er es mir sagen müssen. Entschlossen schlucke ich meine Ängste hinunter, die mir natürlich auf halbem Wege im Halse stecken bleiben, wage es aber dennoch die Tür zu öffnen und einzutreten. Auch hier ist es schön warm, und wie es sich für eine Kirche gehört –auch wenn sie noch so klein ist- wirkt es beruhigend mit den vielen Kerzen, und trotzdem ist es etwas unheimlich. Das könnte aber auch an dem Dämmerlicht von draußen liegen, welches durch die Buntglasfenster nach drinnen scheint. Allerdings bin ich hier alleine wie ich feststellen kann. Ob ich Thomas verpasst habe? Ich will gerade wieder umkehren, als ich Stimmen hören kann. Dumpf zwar nur, aber ja. Eine davon gehört Thomas. Ich würde seine Stimme überall erkennen. Aber wo ist er? Gerade will ich schon nach ihm rufen, als ich entdecke woher die Stimmen kommen. Dort ist eine Tür auf der anderen Seite der Kapelle. Vielleicht geht es dort zu den Räumen des Priesters? Leben die nicht immer in der Nähe ihrer Kirchen? Ich bilde mir zumindest ein etwas in der Art schon mal gelesen oder gehört zu haben. Nun ja. Wenn er hier arbeitet wird er wohl auch den Priester kennen. Vielleicht wünscht er ihm ein frohes neues Jahr oder etwas in der Art. Ob ich warten soll? Nein. Ich kann nicht mehr warten. Ich muss ihn sehen. Auch wenn ich jetzt einfach ungeladen auftauche. Ich muss ihn sehen. Die Tür ist nur angelehnt und ich schiebe sie ein klein wenig auf, um nicht wie ein Elefant reinzutrampeln. Könnte immerhin die Wohnung eines Priesters sein. Aber als ich sie weit genug offen habe um in den Raum sehen zu können, sehe ich einen großen Spiegel an der Wand, und in diesem die Spiegelung von zwei Männern. In einem erkenne ich den Priester –an seiner Kleidung-, und in dem anderen…meinen sexy Doktor, der sich kaum verändert hat in letzter Zeit. Nur etwas müde sieht er um die Augen herum aus aber, was mich stutzig macht, ist die Art wie er den anderen Mann, diesen Geistlichen ansieht. Ich kann es im Spiegel sehen. Dieser Blick…Ich kenne diesen Blick. So hat er mich früher auch angesehen. Ganz am Anfang. Unsicher, aber mit diesem Funkeln in den Augen. Die beiden stehen dicht beieinander. Ich kann nicht hören was sie sagen, aber sie unterhalten sich. Ich kann auch nicht sehen was sie mit ihren Händen machen. Vielleicht gar nichts. Vielleicht aber auch… Ich schließe die Augen und taumle zurück. Ich weiß nicht was ich denken soll. Ich kann im Moment gar nicht denken. Mir brennen plötzlich die Augen, mir ist übel und…ich bekomme wahnsinnig schwer Luft. Bevor ich etwas anderes tun kann, mache ich kehrt. Ich muss hier raus und zwar gleich. Mit der Schulter stoße ich an irgendetwas das dann klirrend und plätschernd zu Boden fällt, aber ich bleibe nicht stehen. Kann es nicht. Ich erreiche die Tür und im nächsten Moment bin ich draußen in der Kälte, höre den knirschenden Schnee unter meinen Sohlen und fange an zu rennen. Wohin ich renne sehe ich nicht. Alles ist verschwommen. Ich weiß dass ich heule, aber ich ignoriere das. Egal ob nun Männer nicht heulen und so harte Jungs wie ich –zumindest sagt man das ja uns Eishockeyspieler nach- schon gleich gar nicht. Aber ich muss hier bloß weg. Bleiben kann ich nicht. Mein Weg führt mich an der Schlossmauer entlang, doch dann pralle ich plötzlich gegen etwas, oder jemanden, wie das empörte „Hey“ schnell deutlich macht, und durch die Wucht des Aufpralls, lande ich rücklings im tiefen Schnee, wie auch derjenige gegen den ich gelaufen bin, und noch bevor ich sehen kann wer es war den ich da über den Haufen gerannt habe, höre ich eine Reihe von Flüchen in französischer Sprache. Anscheinend habe ich Blondi von vorhin erwischt. Schnell raffe ich mich wieder auf und wische mir über die Augen damit ich etwas sehen kann. Dann helfe ich dem Jungen wieder auf die Beine der mich besorgt fragt was denn passiert ist dass ich hier so kopflos rumrenne. „Ist etwas mit Doktor Green?“, fragt Scot nun auch besorgt und sieht mich mit großen Augen an, weswegen ich schnell den Kopf schüttle und kurz nach einer brauchbaren Ausrede suche. Es wird der Klassiker. Ein Notfall per Telefon. Dass mein Handy seit meinem Abflug in LA ausgeschalten ist, muss ja niemand wissen. Ich stammle also irgendetwas von Notfall in der Familie und das ich Thomas gar nicht erst gefunden habe, aber sofort wieder zurück muss. Eigentlich bin ich diesen Kindern gar keine Erklärung schuldig. Ich bin einfach fiel zu durcheinander als das mir das klar wird. Aber dann klopfe ich mir den Schnee fahrig von den Klamotten und laufe weiter, noch eine Entschuldigung den Jungen zu murmelnd, diese aber schon wieder vergessend. Wichtig ist nur das ich von hier verschwinde. Irgendwie schaffe ich es wieder an die Vorderseite der Schule und renne über diese komische Brücke. Es dämmert bereits, aber das spielt keine Rolle mehr. Wie ferngesteuert erreiche ich mein Auto und steige ein, lasse den Motor an, und dann wird das Märchenschloss langsam in meinem Rückspiegel kleiner und kleiner, bis es schließlich ganz verschwindet. *** Das Cola in meiner Hand schmeckt irgendwie nach nichts. Ist auch aus dem Automaten. Könnte eventuell daran liegen. Vielleicht bekomme ich aber auch einfach nichts mehr mit. Wie auch die Fahrt hierher zurück zum Flughafen. Ich habe keine Ahnung wie ich es hierher geschafft habe ohne unterwegs gegen irgendetwas zu fahren. Nicht mit Absicht, aber ich weiß einfach nichts mehr. Nichts von der Fahrt. Nur das ich ziemlich schnell gewesen sein muss. Ein Blick auf die Uhr macht das klar. Jetzt sitze ich also hier in der großen Halle auf einem der fest montierten Plastikstühle, mit einem Automatencola in der Hand und starre ins Leere. Es sind noch zwei Stunden bis Mitternacht. Der Jahreswechsel steht unmittelbar vor der Tür. Der erste Flug den ich bekommen konnte, geht um halb fünf Uhr morgens nach London. Es war mir egal wohin der Vogel fliegt. Ich war froh dass noch ein Schalter geöffnet war und ich hier wegkomme. Wenn auch erst in ein paar Stunden. Wenn der Vogel nach Timbuktu fliegen würde…ich hätte das Ticket trotzdem genommen. London ist somit schon ganz in Ordnung. Von dort komme ich überall hin wenn ich will. Auch zurück nach Hause, wo es kein richtiges Zuhause gibt, aber wo soll ich sonst hin? Zurück zu meinen Eltern nach Canada? Besser nicht. Sicher. Ich hätte mir auch ein Hotelzimmer nehmen können. Doch wozu? Schlaf werde ich so oder so nicht finden. Kann ich also genauso gut hier auf dem Flughafen warten. Je weniger ich mich bewege desto besser. Meine Beine fühlen sich ohnehin irgendwie schwammig an. Sitzen ist ganz gut. Sitzen und nachdenken. Darüber das es eine dumme Idee war hierher zu kommen. Obwohl…so dumm war es nicht. Ich wollte ihn so gerne sehen. Es war dumm zu glauben dass…ja was eigentlich? Das er freudestrahlend in meine Arme gelaufen kommt, mir sagt das er mich liebt und sich nie wieder von mir trennt? Ja…Kitschig, aber sowas in der Art habe ich gehofft. Ein bisschen wie in den kitschigen Filmen die ich offiziell nie, aber in Wahrheit gerne ansehe. Das war dumm von mir. Ich hätte es wissen müssen. Das ich zu spät bin. Das es vorbei ist. Immerhin haben wir uns kaum noch gesehen und die gelegentlichen halbherzigen Anrufe die ich gemacht habe. Ich hätte es früher erkennen müssen. Dass ist das wirklich Dumme daran. Dass ich nicht früher erkannt habe was ich im Begriff war zu verlieren, und nun verloren habe. Dass ich nicht früher getan habe was ich jetzt getan habe. Mein Leben ändern. Endgültig. Und ich werde es nicht wieder aufhalten. Eine der Kellnerinnen der geöffneten Flughafenbar kommt irgendwann vorsichtig etwas näher. Als ich hochsehe, lächelt sie und fragt mich ob ich nicht hinüberkommen möchte in die Bar. Immerhin sei es gleich Mitternacht und niemand sollte das neue Jahr alleine beginnen. Ja. Das hatte ich so auch nicht vorgehabt. Alleine zu sein. Der Plan war ein ganz anderer. Trotzdem schüttle ich den Kopf und lächle wenigstens freundlich zurück. „Danke dass Sie das vorschlagen, aber ich bin ganz zufrieden hier. Feiern sie ruhig mit Ihren Kollegen. Lassen sie sich von einem Idioten wie mir nicht den Spaß verderben.“ „Sind Sie sicher?“ Wieder nicke ich und ihr Lächeln wird nun etwas mitleidiger, aber das macht nichts. Ich verdiene ihr Mitleid bloß nicht. Immerhin bin ich selbst Schuld an dem was passiert ist. „Wenn Sie es sich anders überlegen, kommen Sie einfach rüber ja?“ Ich verspreche es ihr und dann geht sie wieder. Der Flughafen ist so gut wie leer. Bloß das Sicherheitspersonal –welches mich vorhin schon so seltsam angesehen hat und meine Personalien sicherheitshalber überprüft hat- und ein paar Angestellte, sowie ein paar Stammkunden, oder Familienmitglieder sind dort in der Bar anzutreffen. Aber mir ist nicht nach Feiern zumute. Irgendwann fällt mein Blick auf die Uhr und ich zucke unwillkürlich zusammen. Es ist 23.35 Uhr. Seit fünf Minuten ist das Video online. Dass Video das ich gemacht habe bevor ich zum Flughafen gefahren bin. Das Video das etwas zittrig ist weil ich es mit der Frontkamera meines Handys aufgenommen habe, und meine Hände dabei irgendwie nicht aufhören wollten zu zittern. Inzwischen kann man so eine Art Zeitschaltuhr auf YouTube, Facebook und Twitter einstellen. Damit können Postings oder hochgeladene Videos zu einer bestimmten Zeit online gehen, auch wenn man dann nicht selbst an einem Rechner sitzt. Praktisch diese technischen Spielereien. Zumindest für mich. Meine Hände zittern bereits wieder wenn ich daran denke wie ich es aufgenommen habe. Was ich gesagt habe. Ich bereue es nicht. Kein einziges Wort. Es wurde Zeit das ich es gesagt habe. Gern hätte ich den Mut gehabt es persönlich zu tun, aber das konnte ich nicht. Dieser Weg schien mir am sichersten zu sein. Ich habe die Zeit so eingestellt weil ich dachte, dann wäre ich bereits bei ihm und wir könnten es uns gemeinsam ansehen. Noch im alten Jahr, um das Neue dann neu zu beginnen. Ohne Heimlichkeiten, ohne dass wir uns verstecken müssen. Zusammen in das neue Jahr. Tja…so kann man sich irren. Mein Handy ist in der Innentasche meiner Jacke. Ich hole es heraus und schalte es an. Es dauert ein wenig bis es alles hochgeladen hat. Praktisch diese Smartphones. Minicomputer in der Tasche. Da Thomas nicht bei mir ist, drücke ich eben alleine auf das rot-weiße Symbol welches den Videochannel öffnet und gehe auf meine Seite. Ja es ist freigeschalten, und wow…da sind schon eine Menge Klicks rechts unten zu sehen. Auch einige Kommentare gibt es schon. Aber das will ich nicht sehen. Ich kann nicht. Bin zu feige. Aber ich drücke auf die Playtaste und lasse es laufen. Sehe mein eigenes Gesicht, etwas nervös zwar, und man sieht auch dass ich nicht fiel geschlafen habe, aber wie hätte ich schlafen sollen? Ich habe ständig an das gedacht was ich hier bereit bin der Welt zu sagen. Auch wenn die Nachricht hauptsächlich an Thomas geht, so ist sie auch für den Rest der Welt. Sie sollen es wissen. Sollen wissen das ich es satt habe mich zu verstecken. Ich höre mir zu wie ich mich dafür entschuldige meine Fans mit diesem Video zu enttäuschen, aber ich spreche auch eine Entschuldigung an Thomas aus –ohne seinen Namen zu nennen- immerhin ist er Arzt, wenn auch schon seit langem geoutet, aber ich will ihn nicht ans offene Messer liefern. Er sollte nur wissen was ich empfinde und wie dankbar ich ihm dafür bin das er so lange auf mich gewartet hat. Ich fasle ziemlich wirr, aber schaffe es doch immer wieder dem eigentlichen Punkt sehr nahe zu kommen. Rede von der Diskriminierung von Homosexuellen im Profisport, als würde das meine langen Jahre der Lügen rechtfertigen. Ja. Ich habe bis vor kurzem selbst geglaubt dass es das tun würde. „Wir bringen unseren Kindern bei das es falsch ist zu lügen“, höre ich mich sagen und sehe mich unsicher in die Kamera sehen, „Aber ich selbst, wo ich doch als Sportler ein Vorbild sein soll, habe mein ganzes Leben lang gelogen, und ich habe den Menschen, den ich von ganzem Herzen liebe dadurch unendlich verletzt. Damit ist nun Schluss! Ich habe uns Jahrelang versteckt und verleugnet, damit ich der Sportler sein konnte der ich sein wollte. Ich dachte dass wäre das einzig Richtige, doch es war falsch. Wie falsch, wurde mir nun endlich klar, und deswegen höre ich nun auf zu lügen.“ Ich kann sehen wie ich mich straffe und wie mein Blick klarer wird. Das klingt bescheuert aber, ich kann sehen dass ich es ernst meine. So ernst wie nie etwas anderes zuvor. „Ja! Ich bin schwul. Ich liebe einen anderen Mann. Aber nicht irgendeinen Mann. Ich liebe den besten Mann der Welt.“ Und ab dieser Stelle ist die Welt nur noch Gast denn ich spreche bloß noch zu ihm. „Du bist mein Gefährte, mein Geliebter, mein Vertrauter. Mein bester Freund. Ja! Wir können uns manchmal tierisch auf die Nerven, und einander auch mal am liebsten an die Gurgel gehen. Aber ich hoffe die schönen Momente sind dir auch noch in Erinnerung geblieben. Du warst trotz allem immer für mich da. Wenn ich dachte ich kann nicht mehr, hast du mir geholfen durchzuhalten. Und auch wenn ich ein egoistisches Schwein war, und meine Karriere über uns und unsere Beziehung gestellt habe…warst Du immer noch für mich da. Du hast mich…UNS nie aufgegeben, und dafür danke ich dir. Wenn dieses Video online geht, bin ich hoffentlich schon bei dir und kann sehen wie du mein nutzloses Gestammel erträgst weil ich zu feige war es dir selbst zu sagen. Aber jetzt werde ich es hier und auch noch viele male nach dem Video sagen. Ich liebe dich! Und ich möchte dich bitten das neue Jahr mit mir gemeinsam zu beginnen und wenn du es willst und du mich lässt…“, ich sehe wie ich unterbreche und etwas hervorkrame und vor die Kamera halte. Es ist die Innenseite eines Ringes, und dort ist in geschwungenen Lettern “Together forever“, zusammen mit einer kleinen Schneeflocke zu lesen und man hört meine Stimme wieder die sagt: „…für den Rest unseres Lebens.“ Der Ring verschwindet wieder und man sieht wieder mich. Nun etwas erleichterter aber immer noch nervös lächelnd, während ich die Hand zum Gruß hebe, winke und meine: „In diesem Sinne: Happy New Year euch allen. Ich habe einen Flug zu erwischen.“ Dann ist das Video zu Ende und YouTube schlägt einen Haufen Videos vor die mich bei meinen Spielen zeigen, damit weiß dann auch die ganze Welt wer ich wirklich bin. Sofern sie das überhaupt interessiert, was der wachsende Aufrufzähler aber schnell beweist. Das Handy in meiner Hand fängt an zu klingeln und zu vibrieren. Flyn, mein Manager klingelt durch. Jetzt sehe ich auch dass er schon mehrmals versucht hat anzurufen als das Telefon noch ausgeschalten war. Soll ich überhaupt abheben? Was hab ich schon zu verlieren. „Alexander?“, melde ich mich teilnahmslos und werde sofort niedergebrüllt. „Bist du noch zu retten???“ „Flyn ich…“ „Was hast du dir denn dabei gedacht?“ „Flyn ich wollte…“ „Weißt du was das für einen Skandal geben wird?“ „Hör mir doch mal zu!“ „Du bist mitten in der Saison! Was denkst du werden die Ducks jetzt tun?“ „Es ist mir egal.“ „WAS???“ Jetzt habe ich seine Aufmerksamkeit. „Es ist mir egal Flyn. Ich hab genug. Ich will mich nicht mehr verstecken. Wenn sie mich deswegen aus dem Team schmeißen, dann soll es so sein.“ „Deswegen können sie dich nicht rausschmeißen. Da gibt es Gesetzte. Aber sie drehen es anders. Du weißt wie das laufen kann.“ Ich weiß was er meint. Das ist dasselbe wie wenn man dem Trainer nicht passt. Dann sprechen sie von Unstimmigkeiten aufgrund der Spielweise und anderen Ausreden. Aber jeder weiß wie das wirklich abläuft. Zumindest jeder der da seinen Hals mit in der Schlinge hat. „Dann höre ich eben auf. Ich hab es satt Flyn. Es ist genug.“ „Hättest du denn nicht noch bis zum Ende der Saison warten können? Oder noch ein zwei Jahre? Du hättest dich nach Beendigung deiner aktiven Karriere immer noch outen können.“ „Aber der Zeitpunkt an dem ich es gemacht habe ist jetzt. Es ist genug. Stell was auf die Beine. Pressetermin, Vorstandssitzung. Tu was nötig ist. Ich werde auch noch ein echtes Statement abgeben, damit die Geier aufhören können zu kreisen.“ „Du willst das wirklich durchziehen? Ist er dir das wirklich wert?“ „Ja. Ich liebe ihn Flyn. Er ist alles wert. Und ich bin es mir auch selbst schuldig. Ich will nicht mehr aufpassen was ich sage oder tue. Wie es mir ausgelegt wird. Ich hätte schon vor Jahren damit aufhören sollen.“ „Hat er wenigstens „Ja“ gesagt?“, fragt mein Manager nun und klingt schon etwas ruhiger dabei. Dafür wird mir das Herz schwer. „Was meinst du?“, stelle ich mich absichtlich dumm. „Dein Video ist doch ein versteckter Heiratsantrag gewesen oder? Was bedeutet sonst der Ring?“ //Nichts//, denke ich verbittert, denn ich habe ihn ihm ja nicht gegeben. Ich habe nicht mal mit ihm gesprochen. „Marc?“ Nun klingt er besorgt, weil ich wohl zu lange zum Antworten brauche. Aber ich greife stattdessen in meine Jackentasche und will den Ring herausholen den ich dort verwahrt habe, werde dabei allerdings hektisch als ich ihn nicht finden kann. „Marc? Alles in Ordnung?“ „Lass uns morgen die Details besprechen ja? Ach ja…frohes neues Jahr, und grüß Alice und die Kinder von mir“, meine ich noch schnell und würge ihn dann ab. Lege einfach auf und fange an in den Jackentaschen nach diesem verdammten Holzkistchen zu suchen das dort die ganze Zeit versteckt war. Inzwischen höre ich von der Bar her die Menschen von zehn rückwärts zu zählen. Ich suche derweil und suche, aber ich finde ich nicht, und als sie bei Null ankommen und sich „Prosit Neujahr“ wünschen, sinke ich wieder auf dem Stuhl zusammen und starre auf meine leeren Hände. Er ist fort. Ich habe ihn verloren. Den Ring und denjenigen für den er gemacht war. Ich habe ihn extra anfertigen lassen. Bei einem kleinen Juwelier wo ich mir sicher war das niemand mich kennen würde. Weißgold. Ich weiß Platin ist teurer und wertvoller, aber irgendwie sollte es doch Gold sein. Wichtig war das er silbern von der Färbung her ist, und das sind sie alle. Silber, Weißgold und Platin. Nur ein Juwelier erkennt den Unterschied. Die Oberfläche habe ich vereisen lassen. So nennt man das Muster und damit sieht er aus wie angefroren. Ich mag die Symbolik dahinter, weil es Eis war auf dem wir uns kennengelernt haben, und das unser Leben bestimmt hat. Fortan sollte nur noch dieses Eis an seinem Finger für mich von Bedeutung sein, und jetzt ist er fort. Verloren. Wahrscheinlich dort in der Schule als ich mit dem Jungen zusammengestoßen bin. Egal. Dort liegt so viel Schnee, bis der geschmolzen ist hat ihn sich vielleicht ein Tier geholt. Ist vielleicht besser so. Obwohl ich wollte das er ihn bekommt. Wenn auch nur als Erinnerung. Er ist das wichtigste in meinem Leben, und das sollte er wissen… … Ja… Das sollte er wissen, ging mir durch den Kopf. Das sollte er erfahren und zwar von mir. Ich starre immer noch auf meine leeren Hände. So leer sind die aber gar nicht mehr. Beim durchforsten meiner Taschen habe ich das Flugticket in die Hand bekommen. Der Flug nach London. Ich starre das Papier einfach nur an und dann…zerreiße ich es in lauter kleine Stücke, stehe auf und werfe es in den Papierkorb. Dann nehme ich mein Handy in die Hand und wähle seine Nummer. Auch wenn ich zwei Versuche dafür brauche, weil sie schon wieder so zittern. Nach dem vierten Klingeln hebt er ab. „Hi“, sagte ich unnötigerweise. „Hi“, höre ich auch ihn sagen. „Happy New Year.“ „Wünsche ich dir auch.“ Die Stimmung zwischen uns ist komisch, aber ich weiß woran das liegt. Er ist schließlich nicht so bescheuert wie ich. „Ich bin auf der Insel Thomas.“ „Ich weiß.“ Wusste ich`s doch. „Und…ich war…in der Schule.“ „Weiß ich auch.“ „Ich denke…wir sollten reden“, murmle ich weil auch meine Stimme etwas zittert. „Ja. Sollten wir wohl.“ „Darf ich dich sehen? Es sollte persönlich sein denke ich. Nicht am Telefon.“ „Ich ruf dich an okay?“ „Klar. Okay. Ich bleib hier.“ „Okay.“ Dann legt er auf und ich spüre mein Herz schmerzhaft in der Brust schlagen. Ja. Das tat weh, und tut es noch. Und ich weiß nicht was er weiß, und ob er überhaupt etwas von dem ganzen Videoding mitbekommen hat? Aber ich muss mit ihm sprechen. Persönlich. Das bin ich ihm schuldig, und mir selbst auch. Ich werde nicht einfach so aufgeben. Ich werde um ihn kämpfen! Wenn er mich nicht mehr will, dann muss er mir das selbst sagen. Aber bis es soweit ist, werde ich uns nicht aufgeben. Dafür liebe ich ihn zu sehr. Ich will nicht dass er aus Mitleid zu mir zurückkommt, oder wegen meines Outings. Wenn, dann wegen mir. Nein! Wegen UNS. Wenn er nichts mehr für mich empfindet werde ich gehen, aber ich werde versuchen ihn zurückzugewinnen. Außer er sagt mir das er das auch nicht mehr will. Dann werde ich dennoch weiterleben. Nicht so wie ich es wollte, aber wenigstens so wie ich bin. Kein Verstecken mehr. Nur noch die Wahrheit. Und lieben…lieben werde ich ihn dennoch für den Rest meines Lebens, auch wenn es vielleicht zu spät dafür ist…. Kapitel 3: Kälte ---------------- Blondes Haar, welches im kalten, grellen Licht der Neonröhren gespenstisch schimmert. Verschiedene, so unterschiedliche „Spielzeuge“ an den Wänden, den Kommoden, auf dem Fußboden…überall. Weg! Ich möchte davon wegkommen, während ich zusehe, wie die großen Hände nachdenklich über die verschiedenen Gegenstände gleiten. Unsicher welches es heute werden soll, oder welche? Weg! Nur weg hier! Aber ich kann nicht. Wenn ich mich bewege, klirrt es. Ketten, Fesseln, die mich halten wo ich bin. Ein eiserner, geschmiedeter, kalter Ring liegt um meinen Hals, und die Kette daran ist an der Wand festgemacht. Ich komme hier nicht fort! Ich komme niemals hier fort! Ich gehöre ihm! Ich kann ihm nicht entkommen! Niemals!!! Die Hände…sie greifen nach mir. Ich kann sein Lächeln sehen, seine Zähne. Er ist glücklich dass ich bei ihm bin, er wird mich nie wieder fortlassen. Nicht lebendig, und bis ich sterben darf, werde ich hier in Ketten seinen Launen, seinen Trieben weiterhin hilflos ausgeliefert sein. Er kommt! Er kommt näher. Seine Hand greift nach der Kette und zieht daran. Zieht mich erbarmungslos näher an sich heran. Ich kann das goldene Haar sehen, die kalten Augen die durch mich hindurchsehen, die meine Angst sehen, und ich kann seine Stimme hören, die mir sagt das ich SEIN bin. Er ist so nah! Ich kann seinen Atem auf meiner Haut spüren, mein Herz schlägt so schnell und fest vor Furcht dass es wehtut, aber er kommt dennoch näher. Seine Lippen…dieses hinterhältige, siegessichere Lächeln…. Ein Ruck an meinem Halsband, dann spüre ich sie auf mir, seine Lippen, und ich höre ihn sagen dass er gewonnen hat. Schon wieder… Hektisch atmend, sitze ich aufrecht in meinem Bett. Mein Blick flattert panisch umher. Dunkelheit, aber nach ein paar Wimpernschlägen sehe ich klarer. Ich sehe das Mondlicht durch das Fenster hereinscheinen, und wie sich der Vorhang davor leicht in der sanften Brise bewegt die Nachts um das Haus streicht. Meine Hand zittert als ich sie auf meine Brust lege, und mein Herz darunter, schlägt als wäre ich einen Marathon in Bestzeit gelaufen, aber etwas Ähnliches ist auch passiert. Ich bin gelaufen, so schnell ich nur kann, das tue ich jede Nacht, und jede Nacht verliere ich dieses Rennen. Ja, es ist nur ein Traum vor dem ich davonlaufe, aber es ist dennoch mehr als das. Es ist passiert, es ist nicht bloß ein Traum, oder Träume, es sind Erinnerungen, und ich schaffe es nicht von ihnen loszukommen. Sie sind immer da. Jede Gottverdammte Nacht sind sie da und quälen mich! „Hattest du wieder einen Alptraum?“ Die dunkle aber sanfte Stimme Kazuyas neben mir lässt mich gleichzeitig zusammenzucken, und mein Herz vor Freude schneller schlagen. Ich drehe meinen Kopf und sehe in die dunklen Augen des Mannes der neben mir liegt. Augen die ich so gut kenne, so liebe, und in denen so oft meinetwegen Sorge zu sehen ist. Wie auch jetzt wieder. „Alles in Ordnung Seiji?“, will er nun wissen, und ich tue das einzige dass ich kann. Ich lüge! Zwinge mich zu einem Lächeln und nicke. „Alles in Ordnung, und nein kein Alptraum. War eigentlich ganz komisch der Traum. Ich war ein Rennfahrer, wie die von der Formel 1. Du weißt schon, wie die, die wir in Monaco gesehen haben.“ Ich sehe ihn langsam nicken, und ich spüre seinen intensiven Blick auf mir. Ich weiß dass er mir nicht glaubt, aber er unterbricht mich auch nicht. Er weiß dass ich nicht darüber reden will, und er akzeptiert das. Akzeptiert das schon so lange… „…dann bin ich plötzlich aus der Kurve geflogen. Die große am Hafen, weißt du noch?“, plappere ich weiter, und Kazuya nickt wieder. „Tja, und dann bin ich mit meinem Wagen dort im Hafenbecken abgesoffen. Deswegen bin ich so hochgeschreckt. Albern oder? Tut mir leid dass ich dich damit geweckt habe.“ „Schon gut. Kann passieren“, meint er, und ich sehe das Lächeln auf seinen Lippen. Er weiß dass ich lüge, und trotzdem lächelt er. Mein Innerstes zieht sich zusammen, das schlechte Gewissen quetscht meinen Brustkorb, aber ich schweige, nicke und starre auf meine Hände, welche immer noch zittern. „Komm. Leg dich wieder hin. Versuch zu schlafen“, flüstert er mir nun zu und streckt seine Hand nach mir aus, vor der ich zusammenzucke und etwas weiter an den Rand des gemeinsamen Bettes rutsche. „Verzeih“, höre ich ihn nun sagen, und ich erkenne die Traurigkeit, aber auch die Wut in seiner Stimme, die in solchen Momenten immer da ist. Wahrscheinlich nicht auf mich, sondern auf den Mann der mir das angetan hat. Der Schuld daran hat, dass er mich nicht einfach so anfassen kann wie früher. Das ich immer wieder zusammenzucke wenn man mich berührt. Auch wenn Kazu das tut. Auch wenn er dabei sehr sanft und zärtlich ist. Die Erinnerungen gehen nicht weg. Sie sitzen so tief in meinem verkorksten Gehirn fest und lassen mich das was Claus mit mir getan hat immer und immer wieder durchmachen. Eigentlich bin ich ein Fall für die Klapsmühle seid er mich gerettet hat. Als er plötzlich da war, zwischen all dem Schmerz und der Verzweiflung in mir…plötzlich war er da. Die Schießerei, das Geschrei, die Toten…ich habe nichts davon wirklich mitbekommen. Ich stand unter irgendwelchen Drogen. Wahrscheinlich meinen eigenen. Aber ich erinnere mich nicht wirklich an Einzelheiten. Nur das Kazu da war und das er denjenigen getötet hat, der mir das angetan hat. Das weiß ich noch. Ich sah Claus sterben, und ich…ich wollte ebenfalls tot sein. Wollte nicht das Kazuya mich so sieht. So schwach…so unwürdig… Aber er hat mich nicht getötet. Auch nicht nachdem ich ihn darum gebeten habe. Er sagte er liebt mich und will bei mir sein. Das wir zusammen fortgehen werden. Irgendwohin wo niemand ist außer uns. Wo mir niemand je wieder etwas antun wird, weil er mich beschützt. Aber ich…ich wollte dennoch sterben, bis ich wieder klar im Kopf war obwohl…so richtig klar werde ich wohl nie wieder sein, das beweisen meine Träume schließlich doch nur zu deutlich oder nicht? Trotzdem bin ich hier. Auf einer einsamen, kleinen, privaten Insel mitten in der Karibik. Mit dem Mann den ich über alles auf der Welt liebe, der mir so wichtig ist wie nichts anders, aber der mich dennoch nicht anfassen kann, wen ich gerade einen Alptraum von meinem Peiniger hatte, wie ich sie jede Nacht habe… „Da gibt es nichts zu verzeihen“, murmle ich und taste nach seiner Hand, halte sie fest und versuche mich zu fangen. „Du kannst schließlich nichts dafür“, flüstere ich nun mehr zu mir selbst als zu ihm. „Du warst es schließlich nicht der dieses Monster hergeholt hat.“ Nein. Das war ich selbst gewesen. Es ist meine Schuld, und wird es immer bleiben! „Seiji hör auf!“ Kazuyas Stimme ist fester geworden. Ich kann die Ungeduld darin hören. Er mag es nicht wenn ich mir die Schuld daran gebe, auch wenn es der Wahrheit entspricht. Er will dass alles wieder gut wird. Aber kann es das denn überhaupt noch werden? „Entschuldige“, flüstere ich nun und sehe auf unsere Hände hinunter. Streiche mit dem Daumen über seinen Handrücken und weiß dass ich das eigentlich nicht verdiene. Seine Nähe, seine Stärke, seine Liebe. Aber ich sehne mich danach und bin egoistisch genug um ihn nicht von mir zu stoßen. Er wird wahrscheinlich schon bald erkennen, dass er mit mir seine Zeit verschwendet, und dann wird er mich verlassen. Es ist unvermeidbar. „Versuch noch zu schlafen. Es ist noch zu früh um aufzustehen.“ Ich entziehe ihm wieder meine Hand und schlage die dünne Decke zurück um aufzustehen. „Ich hol mir nur etwas Wasser und geh ein bisschen am Strand spazieren. Ich bin noch…zu aufgewühlt um zu schlafen.“ Letzteres stimmt wenigstens, und Kazuya lässt mich gehen, sagt mir noch dass ich nicht zu lange draußen bleiben soll und legt sich wieder hin. Hoffentlich kann er schlafen. Ich fürchte jedoch er wird mich beobachten, weil er sich sorgt. Ich bin nicht gut für ihn. Nachdem ich mir ein Glas Wasser geholt habe, gehe ich wirklich nach draußen. Über die Terrasse aus Bambusholz, die drei Stufen von selbiger hinunter und schon stehe ich auf weichem Sand, welcher sogar noch etwas von der Wärme des Tages gespeichert hat. Ich habe mir ein Shirt übergezogen, die Shorts hatte ich vorhin schon an, und nun tapse ich barfuß durch den Sand auf das Meer zu, welches im Mondlicht funkelt und glitzert. Es ist wunderschön hier, und niemand stört uns. Niemand bedroht uns, und es gibt kein Auslieferungsabkommen in diesem Inselstaat. Warum auch keiner uns verhaften kann, falls sie nicht bereits davon überzeugt sind das wir bereits tot sind. In Tokio gibt es nun andere die das Zepter schwingen. Die Yakuza hat sich ausgebreitet und auch noch einige andere mischen jetzt das Geschäft auf, das früher meines und Kazuyas war. Manchmal vermisse ich es, mein altes Leben. Den Livestile, das Tempo, die Gefahr…aber dann sehe ich meinen Geliebten an und weiß, dass ich es jederzeit für ihn aufgegeben hätte dieses Leben, wenn es nicht so gekommen wäre, wie es nun mal gekommen war. Unser Zuhause ist nun hier. Oder besser gesagt, mein Zuhause ist da wo er ist. Es hätte auch ein Iglu am Nordpol sein können, aber ich gestehe mir gerne ein, dass mir dieses Klima deutlich besser gefällt. Wenn ich den Kopf hebe, so wie jetzt, dann kann ich Sterne sehen. Tausende von Sternen, und ihr Anblick bringt mich zum Lächeln. Nicht das ich noch nie zuvor Sterne gesehen habe, aber in einer Stadt, mit all ihrem künstlichen Licht, da verblassen sie Buchstäblich, und man sieht nur noch die hellsten von ihnen. Aber hier wo es weit und breit kein grelles, falsches Licht gibt, da strahlen sie. Hell und stark, und ich liebe es sie anzusehen, denn wenn ich das tue, dann vergesse ich für einen Moment was war und verliere mich in diesem Anblick. Das Wasserglas liegt nun leer im Sand und ich habe ein paar Schritte ins Wasser gemacht, welches immer noch nicht kalt ist. Welches hier nie kalt wird, oder nie so kalt das ich nicht hineingehen würde. Jetzt ist es angenehm lau, und sanfte Wellen umspielen meine Fußknöchel. Ich gehe noch ein paar Schritte weiter und setzte mich dann hin, lasse zu dass das Meer meinen Körper umspielt und sehe hoch zu den Sternen. Sitze einfach nur da und bewundere ihren Glanz aus der Ferne, während mir dadurch nur wieder klar wird wie glanzlos, und wenig besonders, wenig bewundernswert ich eigentlich bin, und trotzdem gibt es da einen Menschen der mich schätzt, ja sogar behauptet mich zu lieben. Mich lieben… Ich stütze meine Arme hinter mir in den nassen Sand und sinke etwas tiefer, lasse das Wasser mehr von mir berühren. Es ist beruhigend. Wie ein Streicheln von jemand der einem nichts tun will, aber sehr wohl die Kraft hat es zu tun. Kann man mich denn überhaupt lieben? Was gibt es da zu lieben? Ich war ein Krimineller. Ein Monster unter den Menschen. Habe diese für meine Zwecke missbraucht, klein gehalten und auch sterben lassen. Nur damit es meinen Reichtum nicht schmälert, damit ich nicht zurückstecken muss. Ja gewiss. Kazuya ist auch kein unbeschriebenes Blatt. Er ist genauso ein Gangster gewesen wie ich. Das Geld von dem wir hier leben, haben wir nicht verdient indem wir ehrlich gearbeitet haben. Wir haben andere für uns arbeiten lassen und trotzdem…bedenkt man was ich alles getan habe, so kommt es mir moralisch verwerflicher vor als alles was Kazuya je getan hat. Wir kann dieser also behaupten mich zu lieben? Was liebt er an mir? Als wir uns kennengelernt haben, da war es vielleicht mein gutes Aussehen, gepaart mit meinem Charme, meinem Witz und den Einfluss den ich hatte. Aber was ist es heute, wo nichts mehr davon übrig ist? Wo ich nicht mehr bin als ein kaputtes Spielzeug voller Narben die nie wieder weggehen werden. Narben die man zum Teil sehen kann, zum Teil nicht, weil sie mir auf andere Art zugefügt worden sind. Was sieht er in mir? Was bringt Kazuya Iwaki dazu mich zu lieben? Er könnte so viel glücklicher sein als jetzt, wenn er nur fortgehen würde, oder ich weg wäre. Weg von ihm, weg aus seinem Leben. Er könnte glücklich sein, so wie Aiko und Break es sind, die sich auch zurückgezogen haben aus den Machenschaften der Unterwelt und nun unter falschen Namen irgendwo leben wo sie keiner je wieder behelligen wird. Ich habe mit Aiko vor ein paar Tagen über Skype gesprochen. Sie lächelt viel. Viel mehr als sie es früher getan hat, und sie hat richtig gestrahlt als sie mir von ihrer Schwangerschaft erzählt hat. Ich war der erste dem sie es gesagt hat. Nicht mal Break hat es zu dem Zeitpunkt gewusst. „Du bist mein bester Freund Seiji“, hat sie zu mir gesagt und gelächelt. “Ich wollte das du es zuerst weißt.“ Ich wusste nicht was ich darauf sagen sollte. Also habe ich gelächelt, ihr gratuliert und gesagt das ich mich für sie freue, was auch stimmte, aber sie hat bemerkt dass mein Lächeln nicht echt war. Ich habe es an ihrem Blick gesehen. Diese unausgesprochene Frage, ob es mir denn gut geht, schwebt ständig wie ein Damoklesschwert über mir, als fürchten alle ich würde von einen Moment auf den anderen durchdrehen und Amok laufen. Nun ja…ich kann es ihnen nicht verdenken. Der Arzt zu dem mich Kazuya gebracht hat, nachdem er mich aus den Händen von Claus befreit hat, schlug vor mich einzuweisen, bis es mir besser ginge, bis ich den Schock überwunden hätte, aber er hat mich nicht einweisen lassen. Er hat mich mit sich genommen. Hierher, auf diese Insel, und er hat mich gepflegt, mich nicht alleine gelassen. Er hat Tagelang nicht geschlafen um auf mich aufzupassen, weil er das niemand anderen zugetraut hätte, oder wie ich es nenne, es keinem anderen zumuten wollte. Das Wasser umspielt nun meinen Hals. Ich habe mich hingelegt um die Sterne besser sehen zu können, und langsam setzt die Flut ein. Der Meeresspiegel steigt. Ich sehe zum Mond auf. Angeblich ist dieser für Ebbe und Flut verantwortlich. Auch dieser ist hier viel größer und schöner als er es früher war, oder empfinde ich das nur so, weil ich nun Zeit habe darüber nachzudenken, und nicht über Mord, Drogen und Geld? Kazuya… Was wenn er bemerkt wie kaputt ich wirklich bin? Was wenn er fortgeht? Warum ist er noch nicht gegangen? Es wäre besser für ihn… Das Wasser läuft in meine Ohren. Ich schließe die Augen. Ein bisschen ist schon in meinen Mund geschwappt. Es schmeckt salzig. Nicht gut salzig, so wie Chips oder ähnliches. Es schmeckt irgendwie nach Leben, auch wenn es komisch ist, bedenkt man wie viele schon im Meer ihren Tod gefunden haben. Ich kann Schritte hören. Trotz des Wassers höre ich eilige Schritte. Jemand läuft auf mich zu. Ich weiß wer es ist, und trotzdem bewege ich mich nicht, bis ich feste Hände an meinen Armen spüren kann, und ich nach hinten gezogen werde. Raus aus dem Wasser, und auf dem Sand wieder losgelassen werde. „Was sollte denn das jetzt?“ Seine Stimme ist aufgebracht, voller Sorge und auch Wut. „Du hättest ertrinken können. Ist dir das klar?!?“ Ich sehe in sein Gesicht. Sehe die dunklen Haare die ihm etwas wirr in die Augen hängen, und wie sich seine Brust schnell hebt und senkt, weil er so gerannt ist. Er hat mich beobachtet. Wohl vom Fenster aus. Hätte er geschlafen so wie er es gesagt hat, hätte er sich nicht so aufregen müssen. Ich sage ja…ich bin nicht gut für ihn. „Es ist dir klar“, flüstert er jetzt und sein Blick…ich kann ihn nicht länger erwidern. Ich tue ihm weh. Ich sehe es so deutlich, und trotzdem kann ich es nicht verhindern. Treibe die Klinge nur mit jeder meiner Handlungen weiter und tiefer in die Wunde die ich geschlagen habe, und Kazuya…er ist das Opfer. Mein Opfer… Er dreht sich nun um und stapft zum Haus zurück. Ich nehme es ihm nicht übel. Es tut mir sogar Leid dass ich ihm so wehtue. Das tut es wirklich, aber es ändert nichts daran dass ich es dennoch tue. Nass und nun etwas frierend sitze ich im Sand und sehe auf das Meer hinaus, in dem sich die Sterne spiegeln, sowie der Mond. Wie schön das Meer sein kann, und wie sehr selbst ich es schon mehrmals missbraucht habe um schreckliches zu tun. Bilder tauchen in meinem Kopf auf. Bilder von den Jungen und Mädchen die ich mit Steinen um den Hals in den Hafen habe werfen lassen, und wie sie aussahen als sie dort wieder herausgezogen wurden. Nein. Das war nicht das Meer gewesen. Das war ich. Ich bin das Monster das solche Dinge getan hat, und das werde ich immer bleiben. Wieder kann ich Schritte hören. Kazuya, er kommt zurück. Warum? Hat er es noch nicht bemerkt? Hat er noch nicht genug von mir? Erschrocken zucke ich zusammen als ich das typische Geräusch hören kann, welches beim Entsichern einer Waffe zu hören ist, und mit großen Augen sehe ich hoch, und direkt in den schwarzen Lauf von Kazuyas Pistole. Er hat es also doch erkannt? Ich lächle. Furcht fühle ich keine. Zumindest nicht vor dem Tod. Ich fürchte mich eher vor dem alleine sein, aber nichts anderes habe ich verdient. Aber ich habe mich wohl getäuscht, denn im nächsten Moment nimmt er die Waffe am Lauf, dreht sie und hält mir nun den Griff hin. Sie ist nicht mehr gesichert, wie ich erschrocken feststelle, und fragend sehe ich ihn nun an. Was soll das denn werden? „Wenn du sterben willst“, höre ich nun seine dunkle Stimme, „dann tu es richtig. Aber bevor du dich erschießt…“ Seine Augen…ich kann bloß in seine Augen sehen und nicht fassen was er als nächstes sagt: „…tötest du gefälligst mich!“ „Nein.“ Meine Stimme klingt komisch. Viel zu zittrig. So wie der Rest von mir…schwach und unbrauchbar. Trotzdem lege ich jegliche Kraft in diese Worte. „Das werde ich nicht tun. Ich werde dich nicht töten.“ Er verdient das nicht. ER nicht! „Doch das tust du. Das wirst du tun.“ Ich schüttle vehement meinen Kopf. Das könnte ich nie. „Wenn du das tust“, er hebt die Waffe etwas an um es zu verdeutlichen, „wenn du dich tötest Seiji…dann tötest du auch mich. Also wenn du es tun willst, tu es richtig. Lass mich nicht zusehen wie du stirbst. Lass mich das letzte was ich auf dieser Welt sehe, du, frei und am Leben sein. Denn dann weiß ich, ich habe erreicht, was ich in meinem Leben noch erreichen wollte. Wenn ich dich sterben sehe, sehe ich nur mein Versagen.“ Sprachlos starre ich ihn an. Ich kann in seinen Augen erkennen dass er es ernst meint. „Kazuya ich…“, versuche ich meine Stimme wiederzufinden, aber er schüttelt den Kopf und hält mir die Waffe noch dichter vor die Nase. „Nein Seiji. Keine Ausreden mehr. Ich habe schon versagt als es darum ging dich rechtzeitig zu retten. Ich werde nicht zusehen wie du mir erneut weggenommen wirst. Das hier“, er deutet auf die Insel um uns herum, „Das war unser Traum. Unser gemeinsamer Traum. Wenn du das aber nicht kannst, nicht hier glücklich werden kannst mit mir, dann beende es jetzt und hier, aber ich will dir nicht beim Sterben zusehen. Das kannst du nicht von mir erlangen. Also bitte ich dich. Wenn, dann bring es für uns beide zu Ende, wenn du denkst das es keinen anderen Ausweg mehr gibt!“ Zitternd greife ich nach der Waffe. Sie ist kalt. So wie die Kälte die in mir sitzt seit Claus… Meine Finger schließen sich um den Griff, und auch mein Griff wird dabei fester. „Ich will nicht dass du stirbst“, höre ich mich selbst sprechen, während ich auf das im Mondlicht schimmernde Meer hinausstarre. „Ich will dass du lebst und glücklich bist.“ „Das deckt sich passenderweise sehr gut mit meinen Wünschen“, meint Kazuya nun, und ich kann am Klang seiner Stimme hören das er lächelt. Aber so einfach ist das nicht. „Warum denkst du dass du mit mir glücklich sein kannst?“, flüstere ich nun, meine Hände zu Fäusten geballt. „Sieh mich doch an! Ich bin dich bloß…“ Weiter komme ich nicht, weil ich seine Hände auf meinen Schultern spüren kann, und er mich energisch unterbricht: „Ich SEHE dich an Seijiro! Ich sehe dich immer an, und ich sehe wie sehr du verletzt worden bist, und das ist auch meine Schuld. Wenn ich schneller gewesen wäre… Wenn ich mehr hätte tun können…“ „Nein!“ Ich drehe mich u ihm um und sehe ihn an. „Du trägst KEINE Schuld daran. Wenn einer Schuld ist, dann bin das ICH. ICH allein! Denn ich habe ihn…“ Der Schlag kommt zu plötzlich um ihm ausweichen zu können. Mein Kopf dröhnt für einen Moment und ich spüre die Hitze die sich auf meiner rechten Wange ausbreitet. „Das habe ich verdient“, ist alles was ich sagen kann, auch wenn ich immer noch etwas überrascht bin das er mich wirklich geschlagen hat. Obwohl es mich gleichzeitig wundert warum es nicht schon früher passiert ist. „Ja das hast du“, kommt es nun von Kazuya, der mich an den Schultern gepackt hält und mich zwingt ihn anzusehen. „Aber nicht weil du Claus hergeholt hast, oder weil du davor Scheiße gebaut hast! Sondern weil du dir ständig die Schuld daran gibst. DU hast keine Schuld daran Seiji! Dieser Mann war ein Monster! Ein kranker Freak der sich an deinem Schmerz gelabt hat und dich beinah getötet hat! ER trägt die Schuld! Er allein! Keiner hat ihn gezwungen dir das anzutun. Es ist nicht deine Schuld. Du bist das Opfer, nicht der Täter.“ Jetzt spüre ich wieder seine Hand auf meiner Wange. Diesmal sanft und zärtlich. Er streichelt mich, und ich kann diese verdammten Tränen nun nicht mehr zurückhalten als ich ihn frage warum es sich denn dann trotzdem so anfühlt? „Wenn ich nicht gewesen wäre, wäre er nie zurückgekommen“, flüstere ich erstickt, bemüht nicht zu heulen, was mir aber nicht mehr gelingt. „Das weißt du nicht. Er war besessen von dir. Er hat bestimmt nach einer Möglichkeit gesucht dich zu finden.“ „Und ich hab es ihm einfacher gemacht.“ „Das spielt keine Rolle mehr Seiji. ER ist tot! Er kann und wird dir nie wieder wehtun können. Hörst du? Nie wieder!“ Ich weiß das, deswegen nicke ich auch. Aber das allein ist es nicht. Ich kann Kazuya unter den Tränen nicht deutlich sehen, als ich zu ihm hochsehe. Aber ich muss es ihm sagen. „Er ist trotzdem immer noch da“, flüstere ich und deute mit meinem Finger auf meinen Kopf. „Da drinnen! Er ist immer da. Ich werde ihn nicht los. Egal was ich versuche, oder was du für mich tust. Er kommt immer wieder zum Vorschein und lässt mich nicht vergessen!“ „Dann müssen wir uns mehr anstrengen.“ Kazuya spricht mit dem Brustton der Überzeugung, während seine Hände sich auf meine Wangen legen, damit ich seinem Blick nicht wieder ausweichen kann. „Wir haben doch früher auch nie einfach so aufgegeben oder? Warum sollten wir es jetzt tun? Warum sollen wir ihn gewinnen lassen? Kämpf mit mir dagegen an Seiji. Lass uns ihm zeigen das er uns nicht zerstören kann.“ Sprachlos sehe ich in seine Augen. Augen voller Hoffnung und Stärke, aber auch voll mit versteckter Wut. Er gibt sich selbst die Schuld an dem was passiert ist. Das kann ich nicht begreifen. Wie auch etwas anderes nicht. „Warum tust du das?“, frage ich ihn, und spüre mein Herz dabei schneller schlagen. „Warum willst du mich immer noch nachdem was passiert ist? Du hast gesehen was er mit mir….“, meine Stimme versagt und ich muss kurz die Augen schließen, weil die Erinnerungen wieder zurückkommen. Doch plötzlich spüre ich weiche Lippen auf meinen, auch wenn der Kuss hart und alles andere als sanft ist. Überrascht schlage ich meine Augen wieder auf, und sehe in die meines Geliebten, die beinahe funkeln vor…vor was? Kampfgeist? „Weil ich dich liebe Seijiro Nagano! Egal was passiert ist, und weil du mir gehörst und nicht ihm. Und das werde ich dir und ihm beweisen. Wenn du sagst er ist in deinem Kopf, dann bekommen wir ihn eben dort raus. Gemeinsam“ Gemeinsam schaffen wir das. Gemeinsam bekämpfen wir ihn. Was passiert ist, ist passiert. Das lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Aber die Zukunft Seiji! Die Zukunft liegt noch vor uns. Du kannst also aufgeben und ihn gewinnen lassen, oder du bekämpfst ihn mit mir und wir bestimmen den Rest unseres Lebens selbst. So oder so. Wir tun es gemeinsam, denn das ist es was ich vom Leben will. Mit dir leben, oder mit dir sterben. Aber ohne dich, bin ich bereits tot.“ Ich sehe in seine Augen und erkenne dass er die Wahrheit sagt. Das er wirklich meint was er sagt, und ich spüre mein Herz aufgeregt in meiner Brust flattern. Was ist das für ein Gefühl? Hoffnung? Immer noch halte ich Kazuyas Pistole in meiner Hand, und diese Hand hebe ich nun, halte sie zwischen uns. Dann geht es sehr schnell. Mit geübten Handgriffen sichere ich die Waffe und lasse das volle Magazin herausschnellen, so dass es in den Sand fällt. Dann werfe ich, und sehe das schwarze Metall durch die Luft fliegen, und mit einem lauten „Platsch“ kurz darauf im Meer versinken. Das Magazin folgt nur einen Wimpernschlag später nach. „Ich will mit dir zusammen sein Kazuya Iwaki. Weil du der einzige Mensch auf dieser Welt bist, den ich liebe. Denn ich je geliebt habe und je lieben werde. Aber ich habe Angst davor zu verlieren. Dich zu verlieren und IHN gewinnen zu sehen“, gestehe ich ihm nun und kralle meine Hände in das Shirt welches seine breite Brust bedeckt. „Was wenn er gewinnt?“ Kazus Stimme ist warm und sanft, aber dennoch stark. „Darüber machen wir uns Gedanken wenn es soweit kommen sollte, und bis dahin, kämpfen wir dagegen an. Du bist nicht schwach Seiji. Du bist stark, und sobald du das selbst wieder einsiehst, wird auch dieser böse Geist in deinen Erinnerungen weiterziehen, weil dann für ihn kein Platz mehr dort sein wird. Denn den beanspruche ich ganz für mich allein. Weil du mir gehörst, und ich dir!“ Ich nicke, lasse mich von ihm halten und schließlich ziehe ich ihn zu mir, um ihn zu küssen. Seine Lippen auf meinen, die kosten, liebkosen. Ich will mehr. Ich dränge mich an ihn, mit der Verzweiflung eines Ertrinkenden, klammere mich an ihn und vertiefe den Kuss, während wir gemeinsam auf den Sand hinabsinken, ich ihn an meinem Rücken spüren kann. Warm und weich, und Kazuya über mir, auf mir. Ja. Ich will kämpfen! Ich will vergessen was war. Nicht alles, denn es war ein Teil von mir, aber ich will leben. Ein neues Leben Mit dem Mann den ich liebe. Ich will ihm Raum geben. Auf dass er ein Sturm wird der uns tragen wird. Dieser Hauch von Hoffnung… *~*~* „CUT! Perfekt Leute, die Aufnahme ist im Kasten!“ Ich nehme die Stimme des Regisseurs kaum wirklich wahr, genauso wenig die Tröte die das Ende der Aufnahme für das gesamte Team signalisiert. Plötzlich wird es hell um uns, die Scheinwerfer sind wieder an und vertreiben die Dunkelheit und den Sternenhimmel um uns herum, aber davon bekomme ich alles nur so wage am Rande mit. Meine Finger sind immer noch in das Hemd des Mannes über mir gekrallt, und unsere Zungen tanzen immer noch wild miteinander diesen Kuss den ich nie enden lassen möchte. Weil er so echt, so intensiv ist. Zumindest für mich. „Ähm…Jungs? Die Szene ist im Kasten. Ihr könnt aufhören.“ Das ist der Typ von der Aufnahmeleitung. Egal. Soll er verschwinden, wie auch alle anderen von der Crew. Inzwischen dringen ein paar anfeuernde Kommentare und Pfeifen an mein Ohr. Das restliche Team scheint seinen Spaß mit uns zu haben. „Ich würde ja sagen ihr könnt das in eurer Freizeit machen Jungs, aber da wir fertig sind, ist das wohl schon so“, höre ich nun wieder den Regisseur sprechen, der dann lacht, wie auch der Rest am Set, und ich wohl oder übel aufhöre meinen Partner zu küssen, da auch dieser mit einem Lächeln auf den Lippen andeutet diesen Kuss nun enden zu lassen.“ „Meine Güte das war perfekt.“ Bill, der Regisseur winkt uns zu sich an die Bildschirme. Er ist richtig aufgeregt, also muss die Szene wirklich gut geworden sein, was mich erleichtert aufatmen lässt, denn wenn ich ehrlich bin…ich hätte sie ungern nochmal spielen wollen. Nicht wegen dem Kuss am Schluss oder so, aber…es hat mich ganz schön mitgenommen, diesen Charakter des Seijiro Nagano zu spielen. Besonders seit sein Leben solch einen Verlauf angenommen hat. Ich lebe dabei zu sehr mit. Werde eins mit der Figur die ich spiele, aber das macht mich angeblich zu einem so guten Schauspieler, wie ich –zumindest behaupten das Kritiker und Fans gleichermaßen- wohl bin. „Das war herausragend“, flüstert mir Myako, meine Masken und Kostümbildnerin nun ehrfürchtig zu, während sie mir meinen Bademantel reicht, und ich ihr dafür das nasse Shirt gebe, das voller Sand ist. Der Bademantel hat auch den Vorteil nun zu verbergen was dieser Kuss mit meinen unteren Regionen angestellt hat. Nicht dass das schlimm wäre, denn immerhin sind ich und Kazuya –sein richtiger Name ist übrigens Hiroshi Isamu- auch im wirklichen Leben ein Paar. Er wäre wohl auch beleidigt gewesen wenn mich dieser Kuss nicht scharf gemacht hätte. „Ich meine das ernst. Sie haben so ergreifend gespielt, mein Herz klopft immer noch vor lauter Aufregung“, gesteht mir die Frau neben mir aufgeregt und wischt sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln, und wenn ich mich umsehe, so entdecke ich noch einige mehr die sich verstohlen ein paar Tränen von den Wangen wischen. Hinter den Kameras, am Rand des Sets. „Ja. Das Ende einer Ära kann einen schon emotional aufwühlen“, meint eine andere junge Frau und strahlt mich an. „aber ich glaube felsenfest daran dass sie diesmal den Emmy gewinnen werden Saburo-sama.“ Ich bedanke mich höflich für das Lob und versuche mir den Sand aus den Haaren zu schütteln als ich plötzlich eine warme, vertraute Hand an meiner Wange spüre, und gleich darauf in das Augenpaar sehe, mit dem ich so oft arbeite, und gleichzeitig privat so glücklich bin. „Tut es sehr weh?“, will Hiroshi nun wissen, und streichelt behutsam über meine etwas gerötete Wange, was mich nur leicht den Kopf schütteln lässt. „Nein gar nicht mal so schlimm. Aber du hast ganz schön hingelangt“, antworte ich um zusehen zu können wie er etwas betroffen zusammenzuckt und sich gleich entschuldigt. „Das wollte ich nicht wirklich. Ich war nur… der Dreh und die Situation. Da ist es mit mir durchgegangen.“ Ich lächle stehle mir einen kurzen Kuss um ihn zu beruhigen. „Alles bestens. Dadurch wurde es immerhin authentisch. Nochmal hätte ich die Szene sowieso nicht gedreht wenn du so drauf bist.“ Ringsum Gelächter, und auch Hiro lacht. So ist er nun mal. Ein Schauspieler durch und durch. So sind wir beide. So sind alle hier die für dieses Studio arbeiten. Wir drehen Fernsehserien und Fernsehfilme. Meist Filme, OVA`s zu den Serien, die im ganzen Land der Renner sind, und durch das Internet auch weltweit schon eine beachtliche Fangemeinde besitzt. Ob es für einen Emmy reichen wird, na ich weiß nicht. Aber ich mag den Gedanken und ich freue mich wenn Fans mir das sagen, sowie meinen Kollegen, und ich freue mich für unsere Autoren, eine kleine bunte Truppe die sich aus der Leidenschaft des Schreibens heraus, vor Jahren im Internet kennengelernt hat, und die den Stoff für unsere Storys in ihren Köpfen entstehen lassen. Wir als Schauspieler können nur so gut sein wie das was uns das Drehbuch vorschreibt, und ich bin froh das die Truppe noch lange nicht am Ende mit ihren Ideen zu neuen Storys oder dem Weiterverlauf der aktuellen ist, denn ich spiele gerne in ihren Geschichten eine Rolle. Egal wie wichtig oder nebensächlich diese dann auch sein mag. Wir drehen hier ja deswegen auch nicht bloß eine Serie. Nein! Es laufen mehrere Sets gleichzeitig, und wir spielen in den unterschiedlichsten davon mit. Nicht immer sind Hiro und ich beide dabei, oder wenn doch, dann sind wir nicht immer ein Paar, was es für mich nicht immer einfach macht meinen Freund in Liebesszenen mit anderen zu sehen. Aber das ist eben unser Beruf. Auch ich habe solche Rollen. Manchmal sind wir die Guten, dann wieder die Bösen. Manchmal lieben, manchmal hassen wir uns. Das ist unser Job. Ich gehe nur viel zu oft in meinen Rollen so auf, das ich dann im RL auch so drauf bin, aber ich habe mich daran gewöhnt und mein Partner, sowie auch meine Kollegen genauso. Trotzdem stimmt es mich hier und heute etwas traurig. Das Ende einer Ära, so wurde vorhin gesagt. Nun ja. Zu Seijiro Nagano fühlte ich mich immer schon sehr angezogen. Also die Rolle meine ich. Dieser durchtriebene Gangsterboss, von dem ich anfangs dachte er kann nur das böse Arschloch sein…im Laufe der Jahre entwickelte er seine ganz eigene, tragische Geschichte, wie auch die Charaktere um ihn herum . Ich spiele viele Rollen hier, aber Seiji hat es mir mehr und mehr angetan. Ich fiebere bei jeder neu geschriebenen Folge mit ihm mit, und natürlich auch mit seinem Partner, und versuche dass dann so gut ich es eben kann umzusetzen. Dabei tauchte ich vielleicht etwas zu weit in sein denken, sein Handeln ein, aber es war mir bisher immer eine große Ehre diesen Mann, diese Rolle spielen zu dürfen. Ihm durch mich Leben einzuhauchen, und nun, nun ist ihre Geschichte so ziemlich erzählt. Vielleicht kommen noch ein paar Auftritte in der neuen Staffel mit ihm dazu, aber an sich, wurde die Geschichte von Seiji und Kazuya erzählt, und es fühlt sich irgendwie so leer in mir an, wenn ich daran denke dass ich ihn nun nicht mehr spielen werde. Auch wenn ich mich über das Ende sehr gefreut habe, und auch Angst hatte ob ich dieses Drama, diese Verletzlichkeit, die Verzweiflung richtig rüberbringen kann. Aber scheinbar konnte ich es. Es scheint so als wären zumindest alle vorerst begeistert. Das letzte Wort haben aber ohnehin immer die Fans. Also werden wir uns wohl überraschen lassen. Jetzt aber lasse ich mir von Hiro die Tränen von den Wangen wischen, von denen alle hier glauben sie seien ein Beweis für mein schauspielerisches Talent, obwohl sie in Wahrheit echt waren, oder es immer nach sind, und sehe dann den anderen beim Feiern zu. Eine Flasche Champagner wurde geöffnet und gerade herumgereicht. Man lacht, scherzt, ist glücklich und mit der Leistung, er Arbeit zufrieden. „Alles in Ordnung Riku?“ Die tiefe, samtige Stimme meines Partners erinnert mich jetzt an die Szene die wir vorhin gespielt haben, und wie Seiji es tat, lächle nun auch ich und lüge, sage das alles in Ordnung ist und ich nur etwas müde bin. Es ist keine schwere Lüge finde ich, aber eben nicht ganz die Wahrheit. Ich bin etwas durch den Wind. Sehe mir das Set hier an diesem wundervollen Stand von Mauritius an, an dem wir drehen, und werde schwermütig und auch etwas traurig. Mein Freund durchschaut mich, wie Kazuya es getan hat, und auch er sagt nichts, lässt mir fürs erste meinen Willen, und ich bin ihm sehr dankbar dafür. Stunden später sitze ich alleine hier am Strand. Das Filmset ist abgebaut, die Crew im Hotel. Entweder um dort noch zu feiern, oder sie schlafen schon. Ich weiß es nicht. Ich habe mich vor knapp einer Stunde von der Feier davongeschlichen, die da noch im vollen Gange war, und bin hierher an den Strand spaziert, wo es nun wirklich still ist, und zwar weil keiner mehr hier ist und sich –wie vorhin- hinter den Kameras versteckt hält. Ich bin alleine, sitze im weichen Sand, und sehe mir die Sterne, den Mond und das Meer an, die nun allerdings schon verblassen, da sich langsam der neue Tag am Horizont ankündigt. Zwar noch ohne Sonne, aber einfach mit deren Licht, welches langsam am Horizont das Meer emporzusteigen scheint. Während ich mir also dieses beginnende Farbenspiel am Himmel ansehe, höre ich noch weitere Schritte hinter mir im Sand. Ich muss mich nicht umdrehen um zu wissen wer es ist. „Wie hast du mich gefunden?“, frage ich, ohne vom Ozean aufzusehen, nachdem Hiro hinter mir stehen geblieben ist, und wahrscheinlich auch den Horizont bewundert. „War nicht schwer“, kommt es von hinter mir. „Auf unserem Zimmer warst du nicht, und hier am Strand warst du in den letzten Tagen sehr oft.“ Er setzt sich hinter mich, legt seine Arme um meinen Oberkörper und zieht mich an sich, so dass ich an seiner breiten Brust lehnen kann, was ich nur zu gerne tue, während ich meine Hände auf seine lege. „Du warst heute so aufgewühlt Riku. So ganz anders als sonst“, flüstert er an meinem Ohr und ich zeichne unbestimmte Muster auf seinen Handrücken, während ich seiner Stimme lausche. „Was ist los? Irgendetwas bedrückt dich. Sag mir was es ist. Oder vertraust du mir nicht mehr?“ „Das ist es nicht“, antworte ich, und senke meinen Blick. Ich weiß nicht ob er verstehen kann was mich bedrückt. Heißt das denn automatisch dass ich ihm nicht vertraue? „Ich weiß auch nicht. Es ist als…als hätte ich mich zu sehr mit meiner Rolle beschäftigt. Als würde…als bekäme ich ihn nicht mehr aus meinem Kopf.“ „Seiji?“ Ich nicke stumm. „Ist das denn schlimm? Ich meine…er ist doch inzwischen einer der Guten. Und er hat sich sehr verändert. Zum Guten eben.“ Wieder nicke ich. Aber auch das ist es nicht allein. „Ist es wegen der Beziehung der beiden? Seiji und Kazuya?“ Ich spanne mich an ohne es beeinflussen zu können, und bestätige seine Vermutung damit sogleich. „Du machst dir wieder Sorgen wie es mit uns weitergehen soll oder?“ Voll ins Schwarze getroffen. Er kennt mich inzwischen einfach schon zu gut. Wir sind nicht nur ein Liebespaar, wir sind auch Freunde. Vielleicht auch beste Freunde. Für mich ist es so, und Hiro…er durchschaut mich einfach, zu einfach. Aber auch ich kenne ihn, und ich weiß dass ihn meine Eifersucht stört. Dabei bemühe ich mich sie im Zaum zu halten, und ich bin auch nicht mehr halb so schlimm, wie ich es schon gewesen bin. Auch ich hab mich verbessert. Zum Guten, auch wenn ich es immer noch furchtbar finde meinen Freund in Liebesszenen mit anderen zu sehen, aber hey, das ist unser Job. Ich tu das schließlich auch, also akzeptiere ich es…irgendwie. „Ich weiß auch nicht“, murmle ich schließlich, „die Szene heute…diese Verzweiflung, und dann doch diese immer noch so große Zuneigung zueinander…“ „Du meinst Liebe?“, ich höre ihn lächeln. Ja. Ich kann das auch. „Du hast mir mal gesagt „Liebe“ klingt kitschig“, erinnere ich ihn leicht schmollend. „Es ist trotzdem Liebe zwischen den beiden.“ „Aber es ist Fiktion?“, kontere ich. „Trotzdem…Liebe.“ Ich seufze und schüttle leicht belustigt den Kopf. Dann werde ich wieder ernst. „Und das zwischen uns?“, flüstere ich unsicher. „Was ist das zwischen uns? Wie nennst du das?“ Er schweigt, aber er verspannt sich nicht, oder stößt mich von sich. Er denkt nach, und ich…ich atme, denn nichts anderes kann ich im Moment tun. Diese Frage…wir sind schon lange zusammen, aber ich habe sie noch nie gestellt, weil ich Angst davor hatte. Vor der Antwort, und die steht nun aus. „Du willst wissen ob wir auf ewig zusammen bleiben?“ Keine Ahnung? Will ich das? Ich weiß es nicht. Ich will nur wissen wie er uns sieht. Sich und mich. „Riku, ich weiß nicht was mit uns beiden in 20 Jahren sein wird, und ob wir dann noch zusammen sind, oder ob wir uns getrennt haben… Ich weiß es nicht. Genauso wenig wie du, aber eins weiß ich“, erklärt er mir nun und dreht mich zu sich um, so dass ich ihn ansehen muss. „…jetzt und hier, bin ich verrückt nach dir du Idiot! Jetzt und hier, kann ich mir nicht mal vorstellen mit einem anderen zusammen zu sein, weswegen ich dir auch hierher an den Strand nachlaufe, um dich zu suchen, dich zu finden und dir das zu sagen, obwohl ich finde, du solltest das eigentlich wissen, und es nicht in Frage stellen.“ Sprachlos starre ich ihn an. Hat er das wirklich gerade gesagt? „Du bist verrückt nach mir?“ „Glaubst du mir nicht?“ Jetzt klingt er beleidigt und ich kann nicht anders als zu lächeln, weil ich es niedlich finde wenn er so guckt, worauf er mir ein „Du bist echt ein Idiot“, zuraunt, was mich noch breiter grinsen lässt. „Ja das bin ich wohl“, flüstere ich und küsse ihn stürmisch. „Aber wenn du dir nicht mal vorstellen kannst mit einem anderen zusammen zu sein…dann fürchte ich dass deine Karriere wohl stark darunter leiden wird. Immerhin hast du einen vollen Drehplan und…Autsch! Hey!“ Ich reibe mir den Hinterkopf, weil er mir einen ziemlich unsanften Schlag auf selbigen gegeben hat. „Du bist echt unromantisch weißt du das?“, knurrt er mich nun an und ich ziehe einen Schmollmund. „Ach und mich zu schlagen nennst du romantisch?“ Seine Augen funkeln, und auf seinen Lippen breitet sich ein Lächeln aus dass ich nur zu gut kenne, und welches mir wohlige Schauer über die Haut jagt, die Lust auf mehr machen. „Was?“, will ich jetzt wissen, aber er grinst nur noch breiter und antwortet mit einem leisen Raunen: „Kommt ganz darauf an wie fest ich dich schlage, und wo“, schnurrt er wie eine große Katze und ich muss lachen, will ihn küssen und er schnappt nach seinen Lippen. Mit seinen Zähnen, ehe ich mich schnappen und beißen lasse, und wir uns küssen. Heiß, leidenschaftlich und innig. Ja. Ich habe es nicht nötig ihn in Frage zu stellen. „Uns“ in Frage zu stellen. Ich bin glücklich. Mit dem Mann den ich liebe, mit meinem Leben… ich sollte es genießen, und mich nicht fragen „Was wäre wenn?“, denn dann ist es vorbei. Eine Gruppe von begabten Autoren schreibt die Rollen die ich spiele, aber mein Leben…dessen Verlauf schreibe ich selbst. Und meine Liebe, ist eine Geschichte die zwei schreiben. Mein Lebenspartner und ich, und das haben wir nun vor. „Beweist du mir wie verrückt du nach mir bist?“, bitte ich ihn heiser flüsternd, und schon liege ich wieder mit dem Rücken auf dem weichen Sand, mein Liebster auf mir, der verführerisch lächelt und mir einen kurzem Kuss stiehlt, während seine Hand unter mein Shirt gleitet, und es nach oben schiebt, bevor er ein: „Dein Wunsch ist mir Befehl“, an die Lippen flüstert, und selbige dann wieder mit einem heißen Kuss verschließt, während sie Sonne nun am Horizont aufgeht und alles in ein warmes, weiches Licht taucht, und nicht nur die Dunkelheit um uns herum vertreibt, sondern auch die Kälte verschwinden lässt, welche sich in mein Herz geschlichen hatte, aber für die nun kein Platz mehr dort ist. Weil es voller kitschiger, romantischer, Herzchen auf dem I, Liebe ist, was hoffentlich auch so bleibt. Das ist mein Hauch von Hoffnung, und den erhalte ich mir, koste was es wolle... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)