Weil du mich nicht kennst von Vidora (Taito) ================================================================================ Kapitel 1: Gute Ratschläge -------------------------- Manchmal, wenn wir neue Orte betreten oder fremde Menschen treffen, spüren wir sofort, dass sie bedeutungsvoll für unser Leben sein werden, dass ein neuer Abschnitt beginnt, eine neue Ära... Der erste Tag an einer neuen Schule, der erste Tag im Fußballverein, die erste Liebe, der erste Tag in der eigenen Wohnung, die erste Nacht in einem Männerclub, ... in Taichi Yagamis Leben hatte es schon viele solcher Momente gegeben. Aber manchmal kommt es auch vor, dass wir von einem solchen Ort oder einer Person etwas ganz anderes erwarten, als wir letztendlich bekommen. Genau so ein Ort war das Grand Blue Hotel, welches er gerade zusammen mit seinem Kumpel Ryo betrat. Das Foyer allein bot einen postkartenreifen Anblick: Marmorboden, riesige Palmen, kleine gemütliche Sitzecken mit roten Ledersofas und ein Empfangstresen aus dunklem, poliertem Holz mit einer noch polierteren Empfangsdame dahinter. Sie schlenderten zur Theke. Die blonde Dame trug ein weinrotes Kostüm und hatte das Haar in einem perfekten Dutt gebunden. Das strenge Aussehen machte sie mit ihrem charmanten Lächeln wieder wett. „Willkommen im Grand Blue Hotel meine Herren! Haben Sie reserviert?“ Die jungen Männer nickten. „Auf Kobayashi, Ryo.“ Es sollte ein kleiner, feiner, gemütlicher, privater und vor allem ruhiger Urlaub werden. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass solche Vorhaben erfolgreicher waren, wenn er seine Zimmer nicht auf seinen Namen buchte. Die Presse war überall. In Besenkammern, in Kellern, Fahrstühlen und auf Balkonen... Die nette Dame nickte und machte ein paar Klicks an ihrem PC, es dauerte nur ein paar Sekunden, die Tai und Ryo nutzten, um das Foyer eingehender zu betrachten. Der Marmor setzte sich bis zum Fahrstuhl fort, an dessen Seiten sich die Eingänge zum Treppenhaus befanden. Weiter hinten führten Flure zum Hotelrestaurant, dem Wellness-Bereich und den anderen hoteleigenen Einrichtungen, die bereits im Flyer angepriesen worden waren. „Ah, da habe ich Sie gefunden!“, verkündete die Dame schließlich und zauberte im Handumdrehen zwei kleine Schlüssel hervor. „Zimmer 1470 im sechsten Stock! Hier sind Ihre Schlüssel.“ Ein wieseliger Angestellter in ebenfalls weinroter Uniform kam wie auf Befehl herüber geeilt. „Lassen Sie mich das Gepäck erledigen“, sagte er höflich und lächelte hilfsbereit. Tai erwiderte das Lächeln und überließ ihm die Koffer. Ryo hatte sein Smartphone aus der Hosentasche gezogen und hielt es auf Augenhöhe, um ein Foto zu schießen – eine gewöhnungsbedürftige Angewohnheit, mit der Tai sich aber inzwischen arrangiert hatte. So hatte er wenigstens am Ende des Urlaubs tatsächlich mal ein paar Erinnerungsfotos. Meist war er viel zu vergesslich, um selber an so etwas zu denken. * Tai joggte die Treppen hinauf bis zum sechsten Stock. Marmor, überall Marmor. An den Wänden hingen Aquarelle, die größtenteils verträumte Strandszenen zeigten. Keine Menschenseele kam ihm entgegen. Ob Treppen demnächst komplett abgeschafft werden würden? Im Gang wartete Ryo bereits auf ihn. „Da hinten“, sagte er nur und deutete den Flur hinunter. Ihr Zimmer war das letzte auf diesem Gang. Hinter der Tür verbarg sich ein Raum, der deutlich größer war, als erwartet. Links führte eine schmale Tür ins Badezimmer, rechts befanden sich die Schränke. Das Zimmer war komplett mit weinrotem Teppich ausgelegt und das Bett war von dem gleichen dunklen Holz wie die Einrichtung im Foyer. Hier legte jemand Wert auf ein stimmiges Gesamtbild. Über ihrem Bett hing noch ein ein Strandaquarell. Ryo sprintete sofort zum Bett und ließ sich mit Schwung darauf fallen. Grinsend ging Tai an ihm vorbei um den Rest des Raums zu inspizieren. Eine niedliche Sitzecke schmiegte sich an die Wand, es gab einen Fernseher – den sie wahrscheinlich sowieso nicht benutzen würden – und einen Kühlschrank. Das mit Abstand Interessanteste war jedoch die Tür zu ihrem Balkon. Tai drehte den Hebel und öffnete die Tür, die ein leichtes Quietschen von sich gab. Er grinste. Na endlich mal etwas, das hier nicht vollkommen perfekt war. Der Balkon war klein, aber ausreichend. Seine Größe spielte auch eigentlich keine Rolle, denn Tai ging es hauptsächlich um den Ausblick und die frische Meeresluft. Er trat an das weiße Geländer und lehnte sich vor. Ihr Zimmer zeigte direkt zum Meer. Zum etwa zwanzigsten Mal fragte er sich, wie Ryo dieses Hotel ausgegraben hatte. Es war geradezu übertrieben paradiesisch hier und trotzdem wirkte das Grand Blue kein bisschen überlaufen, im Gegenteil. Der erste andere Gast, den er erblickte, stand auf dem Balkon des Nachbarzimmers und rauchte eine Zigarette. Er wirkte völlig gelassen, wie er da an seinem Geländer lehnte und in die Betrachtung des Meeres versunken zu sein schien, während er langsam den Rauch auspustete. Tai hörte erneut das Quietschen der Balkontür und dann stand Ryo neben ihm. „Wahnsinn! Hat sich echt gelohnt!“, rief er aus und holte schon wieder das Handy heraus. Wenn etwas wert war, fotografiert zu werden, dann auf jeden Fall diese Aussicht. Tai ging einen Schritt zur Seite, um Ryo bessere Sicht zu gewähren, da bemerkte er, dass der Nachbar seine Kippe ausgedrückt hatte und zu ihnen herüber sah. Tai schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Sein Gesicht war ebenmäßig und mit dem markanten Kinn, den modisch gestylten Haaren und der perfekten Nase wirkte es beinahe wie das eines Models... nur der leicht genervte Blick – welcher Ryo zu gelten schien - wollte nicht recht dazu passen. „Hi.“ Tai lächelte. Es war zwar nur ein zweiwöchiger Urlaub, aber gute Nachbarschaft konnte ja trotzdem nicht schaden, oder? In dem hübschen Gesicht des Fremden regte sich kein Muskel, einzig seine Augen bewegten sich einen Millimeter – von Ryo zu Tai. Eine Sekunde lang schauten sie sich an, bevor der schweigsame Nachbar den Balkon verließ. „Komischer Typ“, kommentierte Ryo und lachte. „Lass uns gleich runter ans Meer gehen, ja?“ * Nachdem sie in lässigere Kleidung geschlüpft waren, machten sich die beiden auf den Weg nach Draußen, wo deutlich mehr los war, als im Hotel selbst. Auf den Terrassen tummelten sich Sonnenanbeter und planschende Familien, dazwischen huschte das Personal hin und her. Sicherlich war der Pool gut besucht. Ein Plakat vor dem Hotel pries das nächtliche Unterhaltungsprogramm an jedem dritten Abend an. Von Barbecue, Live-Musik und Shows war da die Rede. Tai hatte jedoch keine Zeit, die Informationstafel eingehender zu studieren, denn Ryo stand schon am Fuß der langen, weißen Treppe und winkte ihm hektisch zum Zeichen, dass er doch bitte endlich nachkommen sollte. Es lagen nur zwei kleine Straßen zwischen dem Hotel und der Strandpromenade. Alles war wie erwartet voller kleiner Läden, mehrheitlich Souvenirshops, aber auch Restaurants, Klamottengeschäfte und sogar ein exotischer Körperschmuckladen, der sogleich Ryos Aufmerksamkeit auf sich zog. Die Augen seines Freundes leuchteten, als er das Schaufenster begutachtete. „Glaubst du, mir würde das stehen?“, fragte er und deutete auf einige merkwürdig geformte Piercings, die auf den Beispielfotos an noch merkwürdigeren Körperstellen angebracht waren. Aber bevor Tai seine Antwort geben konnte, war Ryos Fokus schon zu den Tattoos gewechselt. Schlüsselbeine mit Kirschblüten und Lilien waren da zu sehen, Fußknöchel mit Comicfiguren, Oberarme mit Tribals und Nacken mit irgendwelchen englischen Lebensweisheiten. Ryo schob den kurzen Ärmel seines Shirt hoch und drehte Tai die Seite zu. „Hier so?“ Tai musste unwillkürlich grinsen. Ryo war laut eigener Aussage hundert Prozent hetero und Tai hatte keine handfesten Beweise dagegen... aber manchmal fühlte er sich durch sein Verhalten an die Typen in seinen Lieblingsclubs erinnert. „Ich bin für sowas der falsche Ansprechpartner, fürchte ich.“ Er bildete sich nicht ein, zu wissen, ob Frauen Tattoos auf Männeroberarmen mochten oder nicht. Wahrscheinlich konnte man das ohnehin nicht pauschalisieren. Es war doch dasselbe wie mit einem Haarschnitt oder Klamotten – dem einen stand es, dem anderen nicht. Und dass Geschmäcker verschieden waren, wusste ohnehin jeder. Wenn es um seine persönliche Empfindung ging: Die wenigen Tattoos auf Männerkörpern, die er bisher aus der Nähe gesehen hatte, hatten wässrig und eher störend als attraktiv auf ihn gewirkt. Einen schönen Körper konnte zwar nichts wirklich entstellen... „Aber ich denke, das ist etwas, worüber du lieber ein oder zwei Tage nachdenken solltest, bevor du es überstürzt.“ Tai stellte sich die Gesichter von Ryos Eltern vor, wie sie ihn nach der Rückkehr für die Blumenwiese auf dem Oberarm ihres Sohns verantwortlich machten. Wie konntest du das zulassen Tai? Wir dachten, du wärst vernünftiger, als unser Sohn. Ryo seufzte halbherzig und betrachtete seinen „leeren“ Oberarm. Schleunigst startete Tai einen Ablenkungsversuch. „Lass uns lieber endlich ans Meer gehen!“ Sein Kumpel blickte auf, grinste breit und nickte euphorisch. „Ja!“ Puh, da hatte er nochmal Glück gehabt. Er nahm sich vor, beim nächsten Mal einen großen Bogen um diesen Laden zu machen. Ryo war sonst zuzutrauen, dass er ihn noch davon überzeugte, sich aus Solidarität ebenfalls verunstalten zu lassen. * Das Licht der Dämmerung spiegelte sich auf den heranrollenden Wellen. Während Ryo zu den Fackeln der Strandbar und den dort versammelten Gruppen junger Leute joggte, betrachtete Tai das Vor und Zurück des Meeres. Die Wolken hatten sich am orangeroten Himmel verknotet und die Sonne lag wie eine ertrinkende Boje ganz weit hinten im Meer. Die Luft roch angenehm lebendig. Tai lächelte. Das hier war ziemlich nahe an dem, was er als Paradies bezeichnet hätte. „Hey, Tai“, meldete sich Ryo zu Wort und schloss zu ihm auf. Er wandte ihm den Kopf zu. „Das mit dem Doppelzimmer... ich meine...“ Ryo grinste, warf einen kurzen Blick zurück zur Bar und sah dann wieder Tai an. „Oh ich verstehe schon, was du meinst.“ Tai grinste zurück. „Würdest du mir den Vortritt überlassen?“ Tai schnaubte belustigt. Ryo der kleine Aufreißer. Gleich am ersten Abend auf Beutezug. „Kein Problem.“ Wenn man auf Männer stand, war es nicht ganz so einfach an einem fremden Ort. Außerdem war er nicht hier, um Typen abzuschleppen... Für ihn war dieser Urlaub einfach nur eine Auszeit, eine Gelegenheit, andere Dinge zu sehen und neue Kraft zu tanken. Er liebte die Trainings und die Spiele, aber ab und zu brauchte auch er eine Abwechslung. Naja, okay, wenn sich eine gute Chance in Form eines attraktiven Typen bieten würde, würde er sicher nicht nein sagen. Immerhin war das auch eine Art der... Entspannung. * Es war nach Mitternacht, aber Müdigkeit ließ auf sich warten. Umso besser. Er hatte sich vorgenommen, Ryo bis ein Uhr Zeit zu geben. Das würde hoffentlich reichen. Inzwischen standen unzählige Sterne am Himmel und das Meer war zu einer schwarz-silbernen Masse geworden. Tai hatte die Schuhe ausgezogen und joggte auf dem nassen Sandstreifen entlang, der alle paar Sekunden von der Spitze einer Welle befeuchtet wurde. Eigentlich war der Plan gewesen, den ganzen Strand abzulaufen, aber nach ein paar Kilometern waren Felsklippen dazwischen geraten, sodass er umgedreht hatte. Das Laufen am Meer war großartig. Durch den nachgebenden Boden war es anstrengender, als auf hartem, ebenem Untergrund, aber das kalte Wasser und die Meerluft trieben ihn stundenlang voran. Er hatte das Gefühl, tagelang so laufen zu können. Es erschöpfte ihn einfach nicht, er war hellwach. Vielleicht lag es auch am Jetlag. Langsam machte er sich auf den Rückweg zum Grand Blue. An der langen Treppe, die zum Eingang hinauf führte angekommen, schlüpfte er wieder in seine Schuhe. Im Mondlicht strahlte die perfekte weiße Fassade des Hotels wie Schnee. Drinnen schlug ihm Wärme entgegen. Jetzt spürte er den leichten Schweißfilm auf seiner Haut erst deutlich. Im Foyer saßen ein paar ältere Herren und spielten Karten. Die Empfangsdame stand hinter ihrer Theke, als hätte sie sich seit heute Vormittag kein Stück bewegt, und lächelte ihn freundlich an. Er nickte ihr zu und joggte dann im Treppenhaus nach oben. Es brannte kein Licht mehr im Flur, aber durch die Fenster am Ende der Gänge leuchtete der Mond. Hier brauchte man ja auch nicht wirklich welches. Tai schlich durch den Flur und lauschte. Er wollte ungern in etwas hineinplatzen. Tatsächlich hörte er Geräusche, die deutlicher wurden, je näher er ihrem Zimmer kam. Er hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass Ryo so lange – Moment mal. Stirnrunzelnd blieb Tai stehen. Das Keuchen war direkt neben ihm. Hinter der Tür mit der Nummer 1469. Leicht grinsend fuhr Tai sich durchs Haar und ging die zwei Schritte weiter zu ihrem Zimmer. Möglichst leise drehte er den Schlüssel im Schloss und trat ein. Ryo lag auf der Seite, mit zufriedenem Gesichtsausdruck ans Kissen gekuschelt. Ein Fuß hing aus dem Bett. Tai verzog sich in das kleine Badezimmer und entledigte sich seiner Klamotten, um sich den frischen Schweiß von der Haut zu waschen. Dann schlüpfte er mit frischen Boxershorts ins Bett. Ryo hatte zwei Drittel der Bettdecke an sich gerissen und schien keinen Millimeter davon abgeben zu wollen. Egal, es war ohnehin zu warm. Tai schloss die Augen und löste sich von seinen Gedanken. Sein Körper hätte erschöpft und dankbar für die Ruhe sein sollen... aber der Schlaf kam nicht, um ihn davonzutragen. Erst jetzt wurden ihm die Geräusche aus dem Nachbarzimmer wieder bewusst. Es war eine Mischung aus Keuchen und Stöhnen, abgehackt. Hin und wieder mischte sich ein hölzernes Klopfen dazwischen. wow, da drüben bewegten sich sogar die Möbel. Nach Ryos gleichmäßigem Atmen zu schließen, ließ ihn diese Geräuschkulisse völlig kalt. Tai kniff die Lippen zusammen. Er sollte besser schlafen. Er hatte schließlich einen langen Flug und eine anstrengende Trainingseinheit am Strand hinter sich. * Verwundert darüber, dass er tatsächlich irgendwie eingeschlafen war, streckte Tai sich im Licht der Morgensonne, das durch die Balkontür direkt auf seine Bettseite fiel. Ryos Platz war leer. Tai richtete sich auf und wischte sich übers Gesicht. Aus dem Bad war die Dusche zu hören. Es war halb neun. Er sprang aus dem Bett und streckte sich ausgiebig. Die Luft im Zimmer fühlte sich abgestanden an, also öffnete er die Balkontür. Ein kühler Lufthauch belohnte ihn dafür. Als er nach draußen trat, hörte er schon wieder Geräusche. Ihr blonder, nachtaktiver Zimmernachbar stand auf dem Balkon und telefonierte. Zu Tais Überraschung in akzentfreiem Japanisch. Der Typ warf ihm einen kühlen Blick zu, was ihn dazu veranlasste, mit einem Lächeln wieder ins Zimmer zu verschwinden. Es reichte ja schon die unfreiwillige Lauschaktion von letzter Nacht, da musste er ja nicht auch noch private Telefongespräche mithören, oder? „Guten Morgen!“, flötete Ryo, der gerade aus dem Badezimmer kam. „Na, wie war deine Nacht?“ Ryo setzte seinen obszönsten Gesichtsausdruck auf und erwiderte: „Perfekt, ich bin dir zu großem Dank verpflichtet, Kumpel.“ Tai kramte nach seinen Schwimmsachen und beschlagnahmte dann auch erstmal das Bad bevor beide frühstücken gingen. * Nach dem Essen brachen sie wieder zum Strand auf. Die Sonne knallte vom Himmel und es tummelten sich eine Menge Menschen auf Handtüchern und Liegestühlen. Nach einer Weile fanden sie glücklicherweise einen Platz für ihre Sachen und ließen sich nieder. Die ganze Zeit über „beglückte“ Ryo Tai mit einer detaillierten Nacherzählung seiner nächtlichen Aktivität. Tai hörte nur mit einem Ohr hin, denn so wirklich großes Interesse konnte er der Sache nicht entgegenbringen. Als die Strandtücher ausgebreitet waren, machte Ryo ein paar Fotos während Tai mit der Sonnencreme hantierte. Dank seines ohnehin etwas dunkleren Teints war er nicht sehr anfällig für Sonnenbrand, aber man musste es ja auch nicht drauf anlegen. Als er fertig mit Knipsen war, half Ryo ihm mit dem Rücken. „Ich hätte auch gerne so einen Oberkörper wie du“, kommentierte er und verteilte die Creme. „Die Mädels stehen auf sowas.“ „Da hilft nur Sport.“ „Ja~ ich weiß.“ Tai grinste. Ryo legte Wert auf sein Aussehen, aber er setzte am liebsten auf Methoden, die möglichst wenig Schweiß kosteten. Er war schlank und groß und auch nicht unbedingt ein Schwächling, aber von einem Sixpack doch recht weit entfernt. Dafür trug er sein Haar stets nach der neusten Mode und hatte einfach ein unheimlich charmantes Lächeln. „Soll ich mir dann für heute Abend was einfallen lassen?“, fragte er und packte die Sonnencreme weg. Tai lachte und schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht auf der Jagd.“ „Aber das solltest du.“ „Wieso?“ Interessiert schaute Tai zu ihm auf. „Du kennst doch schon gar nichts anderes mehr, als das Fußballfeld.“ „Jetzt übertreibst du aber.“ Ryo kniete sich zu Tai auf die Decke und sah ihm in die Augen. „Wenn wir zurückkommen, gehst du für ganze zwei Monate ins Trainingslager. Da wirst du kaum nochmal so eine Gelegenheit haben.“ Das stimmte schon... auf jeden Fall würde er da sehr diskret sein müssen, denn er wusste, dass einige seiner Teamkameraden seine „Neigung“ verurteilten. „Mag sein, dass du Recht hast. Aber-“ „Jetzt sag nicht, es gäbe nicht genug scharfe Typen hier.“ Tai seufzte und lächelte. Ryo sprach weiter. „Wirf doch wenigstens für zwei Wochen mal ein bisschen was von deiner Sportlerdisziplin über Bord und hab Spaß.“ Ryo hatte ihn bei den Schultern gepackt und sah ihn eindringlich an, was ihn erneut zum Grinsen brachte. Er tat ja beinahe so, als ginge es um Leben und Tod. Fehlte nur noch, dass er ihn schüttelte und rief 'Komm zur Besinnung, Taichi!'. „Am besten ich fange sofort damit an, scharfe Typen abzuschleppen“, sagte Tai mit ernster, tiefer Stimme und strich sanft mit der Hand durch Ryos schwarze Mähne. Sein Kumpel wurde einen Augenblick lang stockstarr und stumm, bevor er Tai einen halbherzigen Schlag verpasste und aufsprang. Tai kippte lachend nach hinten auf die Decke. Er glaubte sogar einen leichten Rotstich auf Ryos Wangen gesehen zu haben. „So meinte ich das nicht.“ Tai rappelte sich auf und jagte Ryo in die Wellen. * Nach einem heißen Nachmittag am Strand, einem kleinen Mittagessen und einer weiteren Ansprache von Ryo bezüglich des Spaß-Habens, joggte Tai alleine über den Strand. Dort hinten brannten einige Feuer, meist umringt von angeheiterten jungen Leuten oder kuschelnden Pärchen. Am Ende des Strandes, wo die Klippen den Weg abschnitten, erspähte Tai schließlich auch ein Beachvolleyballfeld und eine Gruppe junger Männer, die sich daran erfreuten. Das war doch schon eher die Art spaßige Abendunterhaltung, die er sich vorstellte. Volleyball war jetzt nicht Fußball, aber genauso gut geeignet, um überschüssige Energie loszuwerden... und vielleicht ein paar nette Kontakte zu knüpfen. Das Feld wurde von zwei Fackeln jeweils in der nähe des Netzpfostens erhellt. Tai näherte sich und betrachtete die Teams. Passenderweise war die linke Mannschaft in der Unterzahl. „Hey, kann ich mitmachen?“, rief er, als der Ball das nächste Mal auf den Boden prallte. Mehrere Köpfe ruckten in seine Richtung, Augenpaare musterten ihn und befanden ihn binnen weniger Sekunden für tauglich. Ein Typ mit dunkelblondem, zu einem kurzem Zopf zusammengerafftem Haar winkte ihn in seine Spielfeldhälfte. Tai grinste und nahm seine Position ein. Nun waren die Seiten ausgeglichen und nach ein paar Runden zeigte sich, dass auch das Kräfteverhältnis relativ gleich war. Die Jungs spielten mit vollem Einsatz und schmetterten sich den Ball um die Köpfe, als ginge es um den Meisterschaftstitel. Tai war beeindruckt und bemühte sich, sich von der besten Seite zu zeigen. Tatsächlich versammelte sich sogar sowas wie Publikum um das Feld. Ein paar attraktive junge Frauen in knappen Bikinis jubelten ihnen von der Seitenlinie aus zu. Tai verlor bald das Zeitgefühl und es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, in der sie abwechselnd punkteten und niemand den zwei-Punkte-Vorsprung erringen konnte. Letztendlich war es der junge Mann mit dem Zopf, der ihnen den Siegpunkt holte und das Spiel damit beendete. Tais Team verfiel in Jubel, einige der Umstehenden applaudierten sogar. Zwei seiner Kameraden klopften ihm auf die Schulter und gesellten sich dann zu den Mädels außerhalb des Feldes. Er hatte sich mehr verausgabt, als er geglaubt hatte. Seine Füße und Knie glühten vom Kampf gegen den Sand und er war ziemlich aus der Puste, aber das fühlte sich gut an. Jetzt die Füße in die brandenden Wellen halten... „Hey du hast toll gespielt. Wie heißt du?“ Es war der Matchsieger. „Danke, dass ich mitspielen durfte. Ich heiße Tai.“ „Ethan“, stellte sich der Mann vor und bot ihm seine Hand zum Gruß an, welche Tai ohne zu zögern ergriff. Ein fester, selbstbewusster Handschlag. „Freut mich.“ „Spielst du professionell, Tai?“, wollte er sofort wissen und ließ seinen Blick unverhohlen über Tais Oberkörper wandern. „Ja, aber Fußball.“ „Na dann lag ich ja fast richtig.“ Ethan lächelte. „Lust mit einem Cocktail auf den Sieg anzustoßen?“ Kapitel 2: Schlechtes Timing ---------------------------- Wenige Minuten später saßen beide am Tresen einer Standbar und nippten an ihren Caipirinha. Ethan war Student und seit drei Tagen mit ein paar Kumpels auf „Abenteuerurlaub“ hier. Dass Abenteuer in diesem Fall nicht Bergsteigen und Rifftauchen bedeutete, schloss Tai aus dem Funkeln in seinen Augen und der Art, wie er das Wort betonte. „Und wie viele Abenteuer hast du schon bestritten?“ Ethan grinste. „Nicht so viele wie die anderen...“ Er blickte Tai tief in die Augen, bevor er weitersprach. „...aber das liegt daran, dass ich nach 'besonderen' Abenteuern suche.“ Tai erwiderte das Grinsen. „Ich verstehe.“ Er kippte sich den Rest seines Drinks hinunter. Gerade als er etwas erwidern wollte, ertönte ein tiefes Grollen, das von einem kühlen Wind begleitet wurde. Verwundert blickte Tai zum Himmel. Die Wolken zogen sich zusehends zu einem schwarzen Bündel zusammen, Sekunden darauf fielen schon die ersten Tropfen. Ein Großteil der Barbesucher sprang auf und eilte davon. Plötzlich zuckten zwei Blitze hinab. Tai schaute zu Ethan. „Da kommt ein Abenteuer.“ Ethan lächelte schief. „Ich schätze, wir sollten auch das Weite suchen. Ich hab' gelesen die Stürme hier können richtig heftig werden und Stunden andauern.“ „Na gut dann... danke für den Drink!“ Tai hörte Ethan seufzen als er vom Hocker rutschte und von einem weiteren lauten Donnern begleitet losjoggte. Schon ein paar hundert Meter später regnete es so stark, dass Tais Haare ihm im Gesicht klebten. Sein Shirt tropfte und die Schritte wurden noch schwerer im feuchten Sand. Angestrengt atmend kämpfte er sich durch Wind und warmen Regen. Ob Ethan gehofft hatte, dass sie gemeinsam irgendwo Unterschlupf suchen würden? Tai war sich noch immer nicht ganz sicher, ob es eine gute Idee war, sich einen wildfremden Mann mit aufs Zimmer zu nehmen. Auch wenn Ethan ziemlich sexy war... Vielleicht war er eben einfach nicht der Typ für Urlaubs-One-Night-Stands. Als Tai endlich in der Hotel-Lobby ankam, triefte er. Er lächelte der Frau am Empfang zu, die ihn ein wenig verwundert anblickte und joggte die Treppe hinauf in den sechsten Stock. Er wollte sich jetzt wirklich nur noch abtrocknen und dann ins Bett... Hinter der Tür war es still. Ryo war nicht im Zimmer... er ging scheinbar wirklich davon aus, dass Tai heute Nacht das Bett für sich brauchte... Hoffentlich würde er nicht zu lange fort bleiben und hoffentlich bekam er nicht den Sturm ab. Viel wahrscheinlicher war zum Glück, dass Ryo hinten in der Hotelbar saß, trank, Frauen anbaggerte oder spielte.... Er ging ins Bad, pellte sich das durchtränkte T-Shirt und die Hose vom Leib und legte beides in die Dusche. Morgen früh, wenn es wieder warm und trocken draußen war, würde er die Sachen auf dem Balkon trocknen und... apropos Balkon. Ob ihre Schuhe schon voll Wasser standen? Tai beeilte sich, in eine frische Shorts für die Nacht zu schlüpfen und huschte dann zum Balkon um die dort deponierte Kleidung vor dem Ertrinken oder Wegfliegen zu bewahren – falls es nicht schon zu spät dafür war. Draußen war das Gewitter in vollem Gange. Er hatte wirklich noch Glück gehabt. Ein Feuerwerk von Blitzen zuckte über den Nachthimmel und der Regen prasselte wie Gewehrfeuer herab. Die Balkone wurden zwar jeweils von einer Art schmalen Überdachung beschützt, aber bei diesem Wind nützte das herzlich wenig. Eine Weile betrachtete Tai das Wetterschauspiel. Das Ausmaß des Gewitters wurde ja erst hier oben wirklich sichtbar, in seiner ganzen Faszination. Er ließ den Blick schweifen. Am Strand war jetzt kein Licht mehr, keine wuselnden Menschen, nur noch Sand und brausende Wellen. Plötzlich drang durch den Regen hindurch ein sehr... Gewitter-untypisches Geräusch an sein Ohr, das ihn dazu veranlasste, zum Nachbarbalkon zu sehen, den er für leer gehalten hatte. Beim nächsten Blitzzucken jedoch, stellte er erstaunt fest, dass noch eine andere Person um diese Zeit und vor allem bei diesem Wetter auf dem Balkon stand. Im Dunkel der Nacht sah er nur Schemen, aber so heftig, wie die Blitze zuckten, erkannte er schnell, dass sein Nachbar nicht hier war, um das Gewitter zu bewundern oder Klamotten nach drinnen zu retten. Nein, der Anblick der sich ihm bot, jagte ihm einen warmen Schauer gefolgt von einer intensiven Gänsehaut über den Rücken. Der Blonde lehnte nackt mit dem Rücken am Geländer, die Arme darauf gestemmt. In Zeitlupe glitt Tais Blick an seinem Körper hinab, folgte den Regentropfen, die sein Haar durchnässt hatten und über sein Gesicht am Kinn hinab perlten, den durchgestreckten Hals entlang übers Schlüsselbein bis zur Brust... der Rest des Bildes wurde vom Balkon versperrt, aber es reichte, um Tais Herz schneller schlagen zu lassen. Der Blonde hatte den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen, den Mund leicht geöffnet. Die Haare klebten ihm in der Stirn und im Nacken. Es sah aus als ob er im Regen duschte, wie eine dieser erotischen Shampoo-Werbungen... nur... besser. Da war wieder das Geräusch, das Tais Atem stocken ließ. Ein lustvolles Stöhnen, aus bebenden Lippen hervorgepresst. Er schluckte hart, als sein Hirn langsam realisierte, was da gerade geschah. Der warme Regen kam ihm plötzlich kalt auf seinem Körper vor. Oh Gott, er musste aufhören, dort hinzusehen! ... Verdammt er konnte nicht! Jeder Blitz brachte mehr Details zum Vorschein, brannte das Bild schärfer in Tais Gedächtnis. Ein Kribbeln ergriff Besitz von ihm, durchzog seine Hände und seinen Bauch, kroch von dort aus weiter nach unten. Sein Hals fühlte sich kratzig und trocken an, als er tief einatmete um seine Fassung zurückzugewinnen. Hatte er es so nötig, dass er Fremde beim Sex beobachten musste? Aber... es sah so verdammt scharf aus... seinen Modelnachbarn, mit dem sonst so steinharten Gesicht, jetzt in dieser Hingabe zu sehen... der Regen, das Gewitter... und dieses Stöhnen! Das war einfach zu viel! Aber er musste endlich verschwinden und zwar schnellstens, bevor er auch noch entdeckt wurde. Das wäre die Peinlichkeit des Jahres! Alle Beherrschung zusammennehmend bückte sich Tai nach den Turnschuhen, die natürlich hoffnungslos durchtränkt waren, schnappte sich die T-Shirts vom Geländer und öffnete die Balkontür wieder. Gerade in diesem Moment blitzte es erneut und Tai kam nicht umhin, noch einen letzten Blick hinüber zu werfen. Dass sein Blick diesmal auf das blaue Augenpaar traf, ließ ihn zusammenzucken und geradezu in die Wohnung springen. Verdammt Yagami, jetzt hast du es doch noch geschafft! Leicht zitternd drückt er die Tür zu und wischte sich über die Stirn. Gott was war da nur mit ihm passiert? Dieser Typ zog seine Blicke magisch an. Es war wie ein Zwang. Er war praktisch wehrlos gegen diese unsichtbare Macht gewesen. Vielleicht hatte Ryo Recht und er sollte... Leise seufzend griff Tai nach einem Handtuch und rubbelte sich erneut trocken. Na zum Glück war er erst beim Hereingehen bemerkt worden... trotzdem – er würde am besten gar nicht mehr auf diesen Balkon gehen! * Nach einer zerwühlten Nacht voller Sexträume, war das erste, was Tai am nächsten Morgen hörte, das Knipsgeräusch von Ryos Handykamera. „Das kann nicht dein Ernst sein“, murrte er und blinzelte. Und tatsächlich hockte sein Kumpel neben seiner Bettseite und hielt ihm das Handy vors Gesicht. „Tut mir leid aber diesen Anblick musste ich einfach für die Nachwelt festhalten.“ Hektisch wischte sich Tai übers Gesicht. Er musste völlig schwitzig sein... hoffentlich hatte er nicht gesabbert oder sowas. „Deine Nacht scheint ja sehr... intensiv gewesen zu sein.“ Den anzüglichen Unterton ignorierend richtete Tai sich auf und gähnte. Es war wohl besser, wenn er Ryo in dem Glauben ließ... „Geradezu stürmisch.“ Knips. Noch ein Foto. Tai zog eine Grimasse. „Wusste ich's doch.“ Ha... wenn du's wirklich wüsstest... würdest du wahrscheinlich um dein Leben rennen. „Du kannst froh sein, einen so guten Freund wie mich zu haben, der dich an deine Bedürfnisse erinnert.“ Er verkniff sich den Kommentar darauf, dass sein Körper ihn in den letzten zehn Stunden ziemlich zuverlässig an seine Bedürfnisse erinnert hatte. So sehr Tai gestern noch daran gezweifelt hatte, musste er nach der letzten Nacht doch einsehen, dass er sich offenbar stärker nach Sex sehnte, als er glaubte. Es war ja auch schon eine ganze Weile her... Er war eben auch nur ein Mann. Wenn er viel trainierte, dachte er kaum an andere Dinge, vergaß manchmal sogar, einzukaufen... und abgesehen davon war er oft auch körperlich viel zu ausgelastet, um sich noch anderweitig verausgaben zu wollen. Jetzt war es aber wohl doch mal an der Zeit. Dann würde er auch wieder besser schlafen können. „Hast Recht, danke Ryo.“ Das zauberte ein breites, selbstzufriedenes Grinsen auf Ryos Gesicht. * Ryo hatte keine Zeit verschwendet, ihre Inselaktivitäten zu planen. Am Strand rumliegen und im Meer baden war einfach zu wenig für seinen quirligen Freund. So stapften die beiden in Badesachen die Straße neben dem Strand entlang. „Bist du sicher, dass wir in die richtige Richtung laufen?“, fragte Tai nach einer knappen Stunde und blickte prüfend zum Strand. Immer wieder wurde die Promenade von Felsen und kleinen oder größeren Anhöhen unterbrochen. Dazwischen gab es Buchten, einige verlassen, einige von Urlaubern besetzt. Manche konnte man von hier auch nicht komplett einsehen, aber Tai hätte sich gerne in den Schatten der Felsen gesetzt. Sein Kopf schwirrte schon vor Sonnenhitze. „Ja, es muss gleich da hinten sein!“ Ryo deutete auf ein winziges Schild, auf dem einfach nur ein nichtssagender Pfeil abgebildet war. Tatsächlich gab es an der Stelle einen kleinen, steilen Pfad, der Richtung Wasser führte. Ryo rannte los, stolperte mehr, als dass er lief, kam aber überraschenderweise unverletzt unten an. Tai schüttelte grinsend den Kopf und folgte ihm. Nahe am Wasser standen zwei kleine Hütten. Neben einer der Hütten stand ein braungebrannter Mann mit Sonnenbrille und klar definierten Muskeln, der sein Haar in kurzen schwarzen Cornrows trug. Er drehte sich zu den beiden um und lächelte breit. Tai schätzte ihn auf Anfang dreißig. „Ah meine neuen Schüler, nicht wahr?“ Ryo nickte und reichte dem Fremden die Hand. „Tai das ist Dale unser privater Surflehrer, Dale – Tai.“ Surfen also. Sofort erschienen vor seinem inneren Auge Bilder von einem surfenden Ryo, der von Monsterwellen gefressen wurde. Würde bestimmt interessant werden. Tai lächelte dem Lehrer zu. „Freut mich.“ Die erste Dreiviertelstunde verbrachten sie zu Ryos Enttäuschung mit Trockenübungen. Am Strand auf dem Brett liegen, Paddeln üben, dann Aufstehen üben, dann Balancieren üben. „Ich will jetzt endlich richtig surfen!“, forderte er schließlich und ähnelte dabei einem Kleinkind. Aber so war er nunmal. Learning by Doing. Oder besser gesagt Learning by auf-die-Nase-falling. Dale hatte scheinbar Mitleid und klatschte in die Hände. „Okay Kumpel, du darfst es als Erster versuchen! Denk dran, Ruhe und Balance!“ Das ließ sich der junge Mann nicht zweimal sagen. Er sprang auf, packte das rote Surfbrett und sprintete aufs Wasser zu. Der Wellengang war gerade eher seicht. „Dein Freund ist ziemlich unruhig.“ Dale trat neben ihn und sie beobachteten gemeinsam Ryos Paddelei. „Unruhig ist untertrieben.“ Aber das war eine der Seiten, die er an ihm mochte. Ryos ungestümes Verhalten erinnerte ihn an sich selbst... also damals... nur dass Ryo kein Teenager mehr war. Indessen paddelte dieser unbeeindruckt weiter aufs Meer hinaus und wartete auf eine geeignete Welle. Tai betete dafür, dass sie nicht allzu riesig sein würde. Er hatte keine große Lust, Ryo von den Klippen zu kratzen. Schon ein paar Sekunden später kündigte sich am Horizont eine größere Wasserwoge an. Nun doch ein wenig besorgt wechselte Tai einen Blick mit Dale. „Glaubst du, er packt das?“ Der Surflehrer rückte seine Sonnenbrille zurecht, antwortete aber nicht. Ryo setzte sich wieder paddelnd in Bewegung und dann fing er an, sich langsam auf dem Brett aufzurichten. Das Brett schaukelte im Angesicht der aufkommenden Wellen und zweimal sah es aus, als würde Ryo gleich seitlich wegkippen – aber zu Tais ehrlicher Überraschung schafft er er es, auf beiden Beinen stehend die Welle zu reiten. Ein langgezogener Jubelschrei wurde vom Wind zu ihnen herangetragen. * Sie übten noch ein paar Stunden, wobei natürlich weder Tais noch Ryos amateurhafte Versuche an die Darbietung von Dale herankamen. Die beiden Freunde standen am Ende ihres Surfkurstages nebeneinander vor der Hütte und sahen zu, wie Dale vor einem Wahnsinnssonnenuntergang postkartenreif dahinsurfte. Ryo zückte schließlich sein Handy und hielt den Moment fest. „Kommst du dir auch gerade vor wie in einer dieser Urlaubs-Filmromanzen?“ „Ja, irgendwie schon.“ Apropos Romanzen... „Ryo? Kann ich das Zimmer heute Abend nochmal für mich haben?“ Ryos Schulterklopfer kam so überraschend, dass Tai einen Schritt nach vorn stolperte. „Aber sicher! Endlich wirst du vernünftig.“ * Es war schnell dunkel geworden. Tai hoffte nur, dass ihn heute Nacht nicht noch ein Gewittersturm von seinem Plan abbringen würde. Plan... wie das klang. Normalerweise machte er sich nicht so viele Gedanken um solche Sachen. Aber die letzte Nacht war ja auch nicht normal gewesen. Diese Machtlosigkeit beim Anblick von... Argh nicht schon wieder dieses Bild! Jedenfalls musste er allein schon für Ryos Sicherheit endlich etwas... Druck abbauen. Nicht, dass er ernsthaft je in Betracht gezogen hätte, sich an seinen Kumpel ranzumachen. Aber seit sein Körper ihm solche Seiten zeigte... nunja, sicher war sicher! Außerdem war er ein Mann im besten Alter, jung, sexy und im Urlaub auf einer traumhaften Insel, in zwei Wochen wieder im Trainingscamp mit der Mannschaft – Ryo hatte schon irgendwo Recht, wenn er davon redete, sich davor besser nochmal auszutoben. Und er musste nichtmal lange auf die Suche gehen, denn er erspähte bald Ethan, seine Sportbekanntschaft von gestern Abend. Er saß an einem der Lagerfeuer nahe des Volleyballfeldes und nippte an einem Cocktail. „Na, schon wieder ein Sieg zu feiern?“, begrüßte Tai ihn und setzte sich daneben. Ethan lächelte ihm zu. „Hey Tai, ich dachte schon, der Sturm hätte dich weggespült.“ Er stellte den Trinkbecher neben sich in den Sand. „Genauso wenig wie dich. Was machen die Abenteuer?“ Ethans Augen funkelten ihn im Feuerschein an. Da war er... dieser Moment, wenn... „Ich weiß nicht, Tai... Vielleicht suche ich einfach an den falschen Stellen danach. Was meinst du?“ * Das hier war eine der wenigen Ausnahmen, die die Nutzung eines Fahrstuhls rechtfertigten. Sie warfen sich einen Blick zu, als die Tür aufging und die Kabine sich als leer herausstellte. Nachdem die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, entlud sich endlich die Spannung, die sich den ganzen Abend zwischen ihnen aufgebaut hatte. Tai schaffte es gerade noch, die Taste mit der Sechs zu drücken, bevor Ethan ihn gegen die kühle Metallwand der Kabine drückte. Der Kuss schmeckte nach Limette und stürmischer Entschlossenheit. Ein angenehmes Kribbeln braute sich in Tais Bauch zusammen und breitete sich weiter nach unten aus, während Ethans Hände sein Gesicht umfassten und er seine Arme um ihn legte, ihre Körper so noch näher aneinander presste. Er konnte Ethans Herzschlag an seiner Brust fühlen, ebenso wie die harten Muskeln und die zunehmende Ausbeulung in seiner Hose an seiner eigenen. Die Sehnsucht nach diesem Gefühl ließ Tais Knie weich werden. Zum Teufel mit der „Sportlerdisziplin“. In den Kuss hineingrinsend glitt er mit seinen Händen weiter nach unten, bis er den Hosenbund von Ethans Shorts erreichte, schlüpfte hinein und begann genüsslich, den knackigen Hintern zu kneten. Ihren Aufenthaltsort hatte er schon ausgeblendet, doch als der Boden ruckte und er die Augen öffnete, wurde es ihm wieder bewusst. Ethan machte jedoch noch keine Anstalten, von ihm abzulassen und setzte den Kuss fort. Mit einem „Pling“ ging die Tür auf. Mit halb geöffneten Augen spähte Tai zur Tür. Ein leichtes Zucken konnte er sich nicht verkneifen, als er plötzlich eine Bewegung von dort wahrnahm. Jemand betrat die Fahrstuhlkabine – kühle blaue Augen musterten ihn und seine Begleitung – sein „Nachbar“! Tai keuchte vor Schreck auf und drückte Ethan mit sanfter Gewalt ein wenig von sich, was diesen dazu veranlasste, den Kuss abzubrechen und den Kopf neugierig zur Tür zu drehen. Tai nutzte den Moment und schlüpfte aus der Umarmung an Ethan vorbei und aus der Fahrstuhlkabine nach draußen auf den Flur. Ethan folgte ihm... ebenso wie der Blick des Blonden. Tai suchte nach irgendeiner Reaktion, er hätte Abscheu oder irgendetwas in der Art erwartet, aber da war nichts dergleichen, nur dieser eindringliche Blick, der sich anfühlte, als könnte er tiefer in ihn sehen und dann plötzlich ein... Grinsen? Erst als die Türen wieder zugingen, registrierte Tai, dass Ethan ihn an der Hand gepackt hatte. „Tai? Alles okay?“ „Ja... entschuldige.“ Hoffentlich nahm Ethan es ihm nicht übel. Aber der lächelte nur erleichtert und ließ sich von ihm durch den Flur führen. Nochmal Glück gehabt. Es wäre doch extrem unbefriedigend, mit dieser Hitze im Körper allein ins Bett gehen zu müssen. * Keuchend ließ sich Tai neben dem noch immer schwer atmenden Ethan auf die Matratze fallen. So entspannt hatte er sich seit einer ganzen Weile nicht mehr gefühlt. Außerdem würde er heute Nacht sicherlich besser schlafen können. Nach ein paar tiefen Atemzügen, rappelte er sich wieder auf und ging ins Badezimmer um das … beträchtlich gefüllte … Kondom loszuwerden. Duschen würde er wenn Ethan fort war. Dieser war ihm lautlos gefolgt und drückte ihm einen Kuss auf den Nacken. Tai wandte sich ihm zu und küsste ihn auf die Stirn. „Du kannst noch duschen, wenn du willst. Aber dann müsste ich dich bitten, zu gehen, weil es zu dritt doch etwas unbequem im Bett werden könnte.“ Ethan lächelte müde. „Ich verstehe, kein Problem.“ Dann stieg er in die Dusche und Tai beschloss, die Wartezeit auf dem Balkon zu verbringen – im Moment konnte er sich ja ausnahmsweise mal sicher sein, dass der Blonde nicht da war. Hier oben war der Sternenhimmel noch beeindruckender. Tai lächelte. Unten am Strand leuchteten viele kleine Lichter und hinten schlummerte das Meer. Er atmete tief ein. Bei der Betrachtung des Himmels kamen ihm wieder diese Augen in den Sinn. Klar und blau... und irgendwie kalt. Aber das schien der Normalzustand zu sein. Warum hatte er ihn angegrinst? Und warum beschäftigte ihn dieser Typ so? Bevor er den Gedanken vertiefen konnte, klappte die Badezimmertür. Tai ging wieder nach drinnen, um Ethan zu verabschieden. „Danke für dieses besonders aufregende Abenteuer“, grinste er und band sich die Haare wieder zusammen. „Nichts zu danken.“ Ethan öffnete die Tür. „Vielleicht sehen wir uns ja nochmal...“ Tai nickte ihm zu. „Gute Nacht.“ Er schloss die Tür hinter ihm. Ja, vielleicht begegneten sie sich nochmal... aber eigentlich wollte Tai es nicht drauf anlegen, noch ein „Abenteuer“ mit ihm zu bestreiten. Ethan sah gut aus, war nett und sie hatten keinen schlechten Sex gehabt, aber das war es dann auch. Er wusste aus Erfahrung, dass es nicht vernünftig war, aus einem One-Night-Stand eine größere Sache zu machen. Solche Dinge führten nur ins Chaos und zu unnötigen Verletzungen. Eine ernsthafte Beziehung konnte man nicht auf Sex aufbauen. Und erst recht nicht im Urlaub. Nachdem er geduscht hatte, machte Tai das Bett neu. Aus Rücksicht auf Ryo, hatte er Ethan eins von seinen Kondomen abgegeben. Wenn er ihn schon so selbstlos das Bett benutzen ließ, wollte er auf keinen Fall unschöne Spuren hinterlassen. Zufrieden legte er sich schlafen. Kapitel 3: Starallüren ---------------------- Morgens war der Aufenthalt am Strand noch angenehm, aber Mittags war die Sonne kaum mehr zu ertragen. Nachdem sie sich Vormittags in den Wellen ausgetobt hatten, suchten sie nun Schutz unter einem der riesigen Sonnenschirme am Standcafé und bestellten sich jeder ein Eis. Während sie warteten, merkte Tai, wie sein Kumpel ihn die ganze Zeit von der Seite anstarrte. „Habe ich was im Gesicht?“ „Nicht direkt.“ Ryo, Meister der ausführlichen Antworten. Tai bedachte ihn mit einem fragenden Blick. „Ich habe nur gerade überlegt, wie das wohl ist, wenn du auf die Jagd gehst.“ Tais Stirnrunzeln vertiefte sich. Na wenigstens ging es nicht wieder um Körperschmuck. „Wie meinst du das?“ „Na für mich ist das Jagdrevier klar abgesteckt. Aber wenn du irgendwo bist... woher weißt du, wer im selben Team spielt? Ich meine... du gibst dich ja auch nicht gerade wie der 'typische' Schwule... du weißt schon, was ich meine.“ Er machte eine elegante Geste mit der Hand, die wohl „tuckig“ aussehen sollte. Tai schmunzelte. Dass Ryo sich über sowas überhaupt Gedanken machte. Lag das etwa an dem Scherz, den er vorgestern mit ihm gemacht hatte? Hatte er Angst, von schwulen Männern als „Beute“ angesehen zu werden? „Das war anfangs in der Tat ein bisschen schwierig. Aber mit der Zeit entwickelt man irgendwie ein Gespür dafür.“ Diese allgemeine Aussage schien Ryo nicht zu reichen. „Gib mir ein Beispiel. Woran hast du es bei deiner gestrigen Eroberung gemerkt?“ „Oh das war nicht so schwer.“ Tai lachte. „Bestimmte Formulierungen, die er benutzt hat... die Tonlage, in der man miteinander spricht... dieser Moment, wenn man sich eine Sekunde länger in die Augen sieht... Eigentlich ist es wie ein 'normaler' Flirt... nur etwas subtiler wahrscheinlich.“ Ryo schien ein paar Sekunden darüber nachzudenken. „Also sollte ich einem Mann nicht zu lange in die Augen sehen?“ Tai grinste und schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall, sonst fällt noch einer an Ort und Stelle über dich her.“ Endlich bekamen sie ihr Eis serviert. Während sie sich über ihr „Mittagessen“ hermachten, musste Tai weiter über die Sache mit den Blicken nachdenken. Ihr Zimmernachbar, der Blonde mit den blauen Augen, hatte ihn so tief und eindringlich angesehen... vielleicht war das gar kein Zeichen von Genervtheit oder Ablehnung, sondern von Interesse? Aber normalerweise waren solche Blicke... wärmer. Aber dieses Grinsen... „Ich habe mich gestern Abend nochmal mit Dale getroffen.“ „Surfen hat es dir angetan, was? Ich wusste gar nicht, dass du so strebsam sein kannst.“ Ryo zögerte verdächtig lange, bevor er antwortete. „Es ging, glaube ich, weniger ums Surfen. Er hat mir seine Piercings gezeigt und... mich gefragt, ob ich schon mal in einer Hängematte geschlafen hätte...“ Tais Augenbrauen zuckten nach oben. Er verkniff sich das Grinsen angesichts Ryos leicht verstörtem Gesichtsausdruck. Sein kleiner Ryo kam wohl nicht nur bei den Frauen gut an. „Ich gehe davon aus, dass du es nicht darauf angelegt hast, es auszuprobieren.“ Ryo kippte vor Entrüstung fast seinen Eisbecher um. „Tai! Natürlich nicht! Ich bin nicht-!“ „Ja ja ich weiß doch, schrei nicht so.“ „Im Ernst, ich frage mich, was ich falsch mache. Liegt es an meiner Frisur, Tai? Er hätte doch dich fragen können, da hätte sein Radar doch piepsen müssen! Nicht bei mir!“ Er wirkte nahezu verzweifelt. Tai schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich war er so beeindruckt von deiner Surfleistung.“ Sein Freund blickte schmollend auf seinen Eisbecher. „Ryo sowas kann doch passieren. Mich sprechen auch öfter mal Frauen an. Mach dich deswegen nicht verrückt.“ „Das ist nicht das selbe“, murrte sein Kumpel und schob sich eine riesige Ladung Eiscreme in den Mund. * Die nächsten zwei Tage verliefen relativ ruhig. Keine Gewitterstürme, keine sexuellen Übergriffe auf Ryo – zumindest nicht von der unerwünschten Sorte, wenn man seinen Ausführungen glauben durfte – keine überschäumenden hormonellen Ambitionen und vor allem keine unangenehmen Balkon- oder Fahrstuhlbegegnungen. Es war schon fast Mittag, als Tai sich auf den Weg ins Hotelrestaurant machte, um zu frühstücken. Ryo hatte sich zeitig mit einer netten jungen Frau treffen wollen. Aber so hatte Tai wenigstens einmal richtig ausschlafen können. Mit einem heiteren Lächeln stellte er fest, dass das Restaurant fast leer, das Buffet hingegen gerade frisch nachgefüllt worden war. Also schnappte er sich einen Teller und sammelte alles ein, was ihm gefiel. Als er endlich mit seinem gefüllten Tablett in den Händen nach dem besten Sitzplatz suchte, wäre es ihm beinahe heruntergefallen – nur ein paar Plätze entfernt saß sein blonder Zimmernachbar, den er jetzt mehrere Tage lang effektiv gemieden hatte, an einem der Tische und trank Kaffee. Jetzt auf dem Fuße kehrt zu machen, wäre zu auffällig, oder? Der kühle Blick ruhte bereits auf ihm, das spürte er, ohne direkt hinzusehen. Ob die beiden peinlichen Begegnungen bereits in Vergessenheit geraten waren? Unwahrscheinlich. Aber... am besten er benahm sich ganz normal, oder? Tai mühte sich ein unverfängliches Lächeln ab, wünschte aus der Ferne einen Guten Morgen und setzt sich dann so weit entfernt wie möglich an einen Tisch. So richtig genießen konnte er sein Essen jetzt doch nicht mehr. Die ganze Zeit war da dieses Gefühl des Beobachtetwerdens. Aber er strengte sich an, sich den Stress nicht anmerken zu lassen. Wieso zum Geier scherte es ihn überhaupt? Konnte ihm doch eigentlich egal sein, was der Fremde über ihn dachte... Tai sah während der ganzen Zeit nicht von seinem Essen auf, um ja nicht auf diesen bohrenden Blick zu treffen, der ihn aus irgendeinem unerfindlichen Grund wahnsinnig machte. Das Scharren der Stuhlbeine und die darauf folgenden Schritte waren Musik in seinen Ohren. Der Blonde war aufgestanden und auf dem Weg, das Restaurant zu verlassen. Tai sah ihm nach und seufzte erleichtert. So konnte er zumindest noch die letzten paar Bissen seines Frühstücks mit Genuss verzehren, ohne beobachtet – nein, angestarrt – zu werden. Nebenbei überlegte er, was er mit dem Tag anfangen sollte. Ob und wann Ryo zurückkehren würde, hatten sie nicht geklärt, somit würde er heute wohl schwimmen gehen. Also richtig schwimmen, nicht Ryos Definition davon. Nicht bei einer Entfernung von zweihundert Metern zum Strand wieder umkehren, sondern weit raus schwimmen, bis dahin, wo die Wellen sich gerade erst formten und man die Strandbesucher nur noch als bunte, wirre Masse wahrnahm. Voller Tatendrang stand Tai auf, stellte sein Tablett auf die Geschirrablage und schlenderte Richtung Ausgang. Auf einmal erspähte er etwas auf dem Marmorboden, ein zusammengefaltetes Stück Papier. Ob der Blonde das verloren hatte? Seiner Neugier nachgebend blickte Tai sich um und hob den Zettel schließlich auf. Gespannte faltete er ihn auseinander. The trail of crumbs you left somehow got lost along the way If you never meant to leave then you only had to stay But the memories that haunt us are cherished just the same As the ones that bring us closer to the sky, no matter how grey Yet I fall, through these clouds, reaching, screaming Don't let me go Mehrmals huschten seine Augen über die Zeilen. Ein Gedicht? Was sollte das bedeuten? Eine geheime Botschaft für ihn? Blödsinn... wahrscheinlich war das nur irgendeine pseudo-poetische Krakelei, die einem anderen Gast oder einem Angestellten aus der Hosentasche gerutscht war. Was hatte er denn erwartet? Eine Schatzkarte? Eine Telefonnummer? Eine Erklärung, warum er permanent angestarrt wurde? Eine Glückskeksbotschaft? Schulterzuckend und irgendwie trotzdem ein bisschen enttäuscht machte er sich auf den Weg zum Strand. * Es war wie immer ein wettertechnisch idealer Tag mit endlos blauem Himmel, einer leichten Brise und einem gut besuchten Stand. Tai hatte ziemlich weit am Strand entlangwandern müssen, um in die weniger stark beschlagnahmten Bereiche vorzudringen. Hier reihte sich nicht mehr ein Handtuch ans andere. Die meisten Urlauber hatten offenbar keine Lust, ein paar Schritte zu laufen und verzichteten dafür auf solchen Luxus wie Ruhe und … Beinfreiheit. Es war seltsam ruhig ohne Ryo. Niemand der unaufhörlich irgendwelche Frauen- oder Partygeschichten oder gar Witze erzählte und vor allem: kein Kameraklicken... Ja, er vermisste es ein bisschen. Nachdem er sich der Klamotten und seiner Sonnenbrille entledigt hatte, stapfte er Richtung Meer. Der Sand verbrannte ihm beinahe die Fußsohlen, aber das Wasser war danach umso angenehmer. Nach ein paar Minuten war er schon so weit hinaus gekrault, dass die Geräusche des Meeres und des Windes das allgemeine Gemurmel und Kindergeschrei am Strand übertönten. Unter ihm schien nichts als wässrige Schwärze zu sein. Ryo hatte ihm mal anvertraut, dass er nicht gerne weit schwamm, weil er Angst vor dem hatte, was auch immer da unten lauern konnte. Kraken, Haie, Seemonster und so. Tai teilte diese Ängste nicht. Er hielt einen Moment Inne und betrachtete den Strand aus dieser verkehrten Perspektive. Hier wurde der Kontrast zwischen den überlaufenen Strandbereichen gegenüber den nahezu verwaisten erst richtig deutlich. Und inmitten der einzelnen Abschnitte und Buchten erhoben sich die großen und kleinen Klippen, die von hier aus noch imposanter wirkten. Tai setzte seinen Weg nun parallel zum Strand schwimmend fort; bloß nicht Gefahr laufen, von einem Gewitter überrascht zu werden... nicht nachdem er bereits erlebt hatte, wie schnell die sich über der Insel zusammenbrauen konnten. Was Ryo wohl gerade machte? Vielleicht war er inzwischen zurück und suchte nach ihm... oder er lag im Bett irgendeiner Schönheit und ließ es sich gutgehen. Letzteres war wahrscheinlicher. Er wartete immer noch auf den Tag, an dem sich Ryo unsterblich verlieben und sesshaft werden würde. Er konnte ja nicht ewig so weitermachen, oder? So ohne Ziel im Leben, immer nur am schnellen „Spaß“ orientiert... Andererseits machte das einen wichtigen Teil seiner Persönlichkeit aus, die lockere Art, nicht über Morgen nachzudenken und jedes Abenteuer – sei es nun Surfen oder Frauen – mitzunehmen. Naja, fast jedes. Aber konnte man auf Dauer so zufrieden sein? Wenn er so über sich selber nachdachte... Was für Ryo die Frauen waren, war für ihn wohl der Sport. Er lebte dafür. Jeden Tag und zu hundert Prozent. So sehr, dass er vieles von dem, was sich außerhalb dieses Kosmos' abspielte, ausblendete und vernachlässigte. Freundschaften außerhalb der Mannschaft pflegte er so gut wie keine und auch innerhalb war er nicht unbedingt mit jedermann ein Herz und eine Seele. Bei manchen lag es an seiner Strebsamkeit und Disziplin, bei manchen an seiner Art, bei vielen wohl an den Gerüchten, die über ihn kursierten. Aber auch das war nicht so wichtig, solange er den Fußball hatte. Das war sein Leben. Er wollte ganz nach vorne, an die Spitze. Die Welt erobern, Tore schießen, über den Rasen dribbeln bis er alt und grau wurde. Er drehte sich auf den Rücken und betrachtete den Himmel, während er nun etwas langsamer dahinpaddelte. War am Ende sein Leben nicht genauso... einseitig wie das von Ryo? Auf eine andere Art vielleicht... aber ein bisschen wohl schon. Neben dem Sport gab es eigentlich nur noch seine Familie. Wenn er als Teenager mit seiner Schwester Zukunftsfantasien zurecht gesponnen hatte, war da immer auch sowas wie eine eigene Familienplanung im Spiel gewesen. Oder wenigstens eine Partnerschaft... oder überhaupt irgendetwas in Richtung Liebe. Tja... aber seit er seine Homosexualität entdeckt und akzeptiert hatte, war die Sache immer mehr verwässert. Es war in seiner Szene damals irgendwie immer schwierig gewesen, jemanden zu finden, dem es um Gefühle ging. Meistens ging es nur um Sex. Also hatte er aufgehört, danach zu suchen, sich damit zufrieden gegeben. Und dann hatte sich die Chance mit der Mannschaft ergeben... zu zögern wäre dumm gewesen. Und er war zufrieden mit seiner Entscheidung. Fußballspielen war sein Traum und machte ihn glücklich. Trotzdem blieb in nachdenklichen Momenten dieser leise Zweifel. Das war wohl gleichzeitig das Schlechteste und das Beste am Schwimmen: Es war so entspannend, ja beinahe hypnotisch, dass man sich völlig in seinen Gedanken verlieren konnte. Die Regelmäßigkeit der Bewegungen, die Sanftheit des Wassers, das Atmen... Tai seufzte, wechselte wieder ins Kraulen und orientierte sich neu. Dales Surferhütte war schon in Sicht – von hier aus ein Spielzeughäuschen. Wie lange er wohl bis hierher gebraucht hatte? Dem Sonnenstand nach zu urteilen, war es zwischen drei und vier. Noch zu früh, um wieder an Land zu gehen. Außerdem hatte er noch immer so viel Energie... die ganze Insel zu umrunden würde wohl zu lange dauern aber... zumindest wollte er noch ein Stück weiter und dann zurück laufen. Gerade kam er wieder an einer der Klippen vorbei. Es war eine von der mittleren Größe, aber sie ragte etwas weiter ins Meer hinein, als die anderen, die er passiert hatte – ein bisschen wie ein Steg. Rundherum ragten einzelne Felsen aus dem Wasser. Überrascht registrierte Tai, dass eine Person auf der Klippe stand. Wohl um den Ausblick zu genießen, der von dort aus unendlich weit sein musste. Kurz darauf verschwand die Silhouette wieder und Tai wollte gerade den Blick abwenden, als sie plötzlich wieder auftauchte und – sprang! Perplex stoppte er und beobachtete fassungslos, wie der Körper fiel und dann mit Wucht und einem lauten Platschen ins Wasser eintauchte. Er hatte ja von Klippenspringern gehört aber...! …. Und dann tauchte er noch nichtmal wieder auf! Sekunden vergingen. Nichts geschah. Oh Gott! Panik und auch etwas Übelkeit stiegen in ihm auf. Aus dem Instinkt heraus schaltete Tai in den Turbogang, kraulte so schnell er konnte in Richtung Klippe und kam sich dabei trotzdem so langsam vor wie noch nie. An der Stelle angekommen blickte er sich hektisch um. Nichts. Nirgends. Verdammt! Er nahm einen tiefen Atemzug, hielt die Luft an und tauchte, um Unterwasser nach dem Springer zu suchen. Er öffnete die Augen. Weit sehen konnte er nicht. Fieberhaft suchte er nach einem Lebenszeichen, nach einem Arm, einem Strampeln, einem Blubbern... irgendwas!... suchte bis die Luftnot ihn zum Auftauchen zwang. Sein Herz schlug so schnell, dass ihm fast schwindelig wurde. Scheiße! Was sollte er tun? Hilfe rufen! Aber- Plötzlich ein Plätschern und lautes Luftholen hinter ihm. Erleichterung! Was für ein Glück! Tais Herz blieb stehen, als er sich im Wasser umdrehte. Das Meer gefror. Blaue Augen blinzelten ihn an. Er? Hier? Tai öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Da formte sich wieder dieses Grinsen auf den Lippen des Blonden, das er im Fahrstuhl zuletzt gesehen hatte. „Was gibt’s da zu grinsen, verdammt! Ich dachte du wärst tot!“, brach es aus ihm heraus. „Oh, Entschuldigung. Ich wusste ja nicht, dass ich dir so viel bedeute“, kam es von dem anderen mit einem leichten Lachen in der Stimme. „Das ist nicht – Ich wusste nicht-! Ich meine... nicht wegen dir!“, stammelte er in seiner Wut und Überraschung zusammen. Er wusste selber nicht, warum er auf einmal so sauer war. Eigentlich hätte die Erleichterung überwiegen müssen. „Jetzt verletzt du mich aber... ich dachte, du magst mich... immerhin lässt du keine Gelegenheit aus, mich zu beobachten, hm?“ Was sollte diese Show? Musste er sich hier lächerlich machen lassen, weil er versucht hatte, ein Leben zu retten?! Wie war der Kerl denn drauf? „Wie bitte? Du bist doch derjenige, der mich dauernd anstarrt, als wäre ich ein Außerirdischer!“ Der Blonde schenkte ihm noch ein spöttisches Grinsen und schwamm dann einfach ohne eine Erwiderung los. Was? Er wollte endlich eine Antwort! Jetzt einfach abzuhauen nach allem! Unfassbar! Was bildete sich der Kerl ein? „Hey-!“ Energisch schwamm Tai hinterher und holte schnell auf. Nebeneinander wateten sie aus dem Wasser. „Siehst du, du verfolgst mich schon wieder... wie ein Stalker.“ „Sag mir, warum du mich ständig anstarrst!“ Tai versperrte dem Blonden den Weg, sodass dieser ihn erneut ansah. „...forderte der Spanner.“ Hitze schoss in Tais Wangen. „Das... ähm... war ein Versehen.“ Der Blonde lachte auf und schüttelte leicht den Kopf. „Schon klar.“ Damit setzte er sich in Bewegung um an ihm vorbei zu gehen. Tai reagierte schnell und wiederholte das Manöver. „Wirklich!“ „Also auf diese Art wirst du niemanden davon überzeugen, kein Stalker zu sein. Willst du vielleicht ein Autogramm? Bist du dann zufrieden?“ „Autogramm?!“ „Leider habe ich gerade keinen Stift bei mir. Sorry.“ Der Typ wollte ihn eindeutig verarschen. „Aber wir können das später nachholen. Hast du dir verdient, wo du mich doch so heldenhaft retten wolltest. Du kannst mir ja schonmal sagen wie du heißt, Mister Rettungsschwimmer.“ Dieses Gerede brachte ihn völlig aus dem Konzept! Wieso sollte er ein Autogramm von jemandem haben wollen, den er gar nicht kannte? Und wie konnte jemand nach so einer Aktion so... drauf sein? „Ich will kein Autogramm, verdammt! Lass doch den Quatsch! Ich.. will nur wissen, warum du mich immer so anstarrst. Und warum du das gemacht hast! Du hast mir einen Wahnsinns-Schreck eingejagt, Mann.“ Das Grinsen wurde zu einem versöhnlichen Lächeln. Was war der Typ? Schauspieler? Psychopath? Besoffen? Oder lag es an der kürzlich erworbenen Nahtod-Erfahrung? „Okay wir machen einen Deal: Du verrätst mir zuerst deinen Namen.“ Er hatte noch nie so eine merkwürdige Unterhaltung geführt. Selbst im Suff nicht. „Ich bin Tai. Taichi Yagami.“ „Gut. Dann schreibe ich „Für Tai, meinen Beinahe-Lebensretter“.“ Unwirsch schüttelte er den Kopf. „Und?“ „Du darfst mich Yamato nennen.“ „Das meinte ich nicht!“ „Hmm?“ „Meine Antworten?“ „Warum ich dich im Auge behalte? Oder warum ich von der Klippe gesprungen bin?“ „Beides.“ „Komm mit.“ Dieser Kerl machte ihn wahnsinnig. * Irgendwie war ihm unwohl dabei, hier auf dieser Klippe zu stehen. Der Blonde stand vorn am Rand. Hier oben wehte ein harscher Wind, der sie kühl umwehte und ihm eine seichte Gänsehaut auf die Arme zauberte. „Komm her.“ Damit du mich da runter stoßen kannst? Nein im Ernst... Yamato wirkte so unberechenbar auf ihn, dass ihn ihrer beider Aufenthalt hier unruhig machte. Aber er war ja kein Angsthase. Außerdem war er dem anderen körperlich überlegen. Also trat er noch zwei Schritte vor, sodass er nun genau neben dem anderen stand. Ein heftiges Kribbeln erwachte in seinem Magen, als er nach unten blickte. Das Meer breitete sich in seiner tiefblauen Endlosigkeit vor ihnen aus. Direkt unter ihnen blitzten die Felsspitzen gefährlich aus dem Wasser aber das orange-violette Dämmern am Horizont mit der flammenden Sonne in seiner Mitte, zog seinen Blick schnell davon ab. Eine Windböe strich ihm durchs inzwischen fast wieder trockene Haar. Der Wunsch, die Arme auszubreiten und loszufliegen war plötzlich nicht mehr so abwegig. Aber niemand, der bei Verstand war, hätte es drauf ankommen lassen. Yamato neben ihm nahm einen tiefen Atemzug. „Verstehst du mich jetzt?“ Die blauen Augen blickten ihn wieder an, diesmal so nah wie noch nie. Ernst und ohne den sonst gegenwärtigen Hauch von Spott. Tai wandte den Blick ab um wieder das Panorama zu betrachten, welches in weniger als einer halben Stunde in der nächtlichen Dunkelheit verschwinden würde. „Vielleicht... aber wenn du dir die Felsen da unten anguckst, die dich mit ein bisschen Pech bei lebendigem Leib aufspießen könnten.“ „Manchmal...“, er drehte den Kopf noch ein Stück und sprach nun direkt in Tais Ohr, „...muss man einfach springen, um Grenzen zu überwinden.“ Seine Stimme war nicht mehr, als ein Hauchen. Kapitel 4: Stürmische Nächte ---------------------------- Von der Klippe aus hatten beide den Weg zurück zum Hotel angetreten. Tai war einige Minuten schweigend hinter Yamato hergetrottet, den Blick auf dessen Rücken geheftet, wo neben dem kleinen Rucksack, den er auf der Klippe aufgelesen hatte, ein riesiger blau-silberner Wolf auf einem Felsvorsprung einen Vollmond anjaulte. Die Farben leuchteten ihn förmlich an – Tai hatte bisher kein Tattoo gesehen, das so lebendig aussah. Es war ein echtes Kunstwerk. „Gefällt dir mein Tattoo, Tai?“ Der Blonde warf grinsend einen Blick über die Schulter. Verwirrt hob dieser den Blick, bemerkte erst jetzt, dass er die ganze Zeit auf den Wolf gestarrt hatte. „Ich.. war nur in Gedanken.“ „Oh, dann war es wieder ein „Versehen“. Verstehe.“ Hmpf. Tai legte einen Schritt zu und ging nun neben ihm her. So konnte er ihm jedenfalls nicht mehr unterstellen, dass er ihn bespannte. „Ich habe auch Autogrammkarten, auf denen es zu sehen ist...“ Ging das schon wieder los? „Du nennst mich Möchtegern-Lebensretter und benimmst dich selber wie ein Möchtegern-Promi...“ Ha! Das hatte gesessen! Schade, dass ihm das nicht früher eingefallen war. Ein triumphierendes Grinsen zierte sein Gesicht. Der Ausdruck des Möchtegern-Promis hingehen wechselte von belustigt auf argwöhnisch. Da war es auf einmal wieder: dieses Gefühl, als könne er tiefer in ihn hineinsehen, als andere Menschen... auf der Suche nach irgendetwas. Es war unheimlich. Tai brach den Augenkontakt und sah nach vorne. „Du könntest wirklich Rettungsschwimmer sein.“ Er spürte den Seitenblick auf seinem Oberkörper. „Nein ich bin Fußballer.“ Warum erzählte er ihm das? Um ihm neue Angriffsfläche zum Spotten zu geben? Sehr schlau. „Und bist du gut?“ „Du stellst merkwürdige Fragen. Verrat mir doch erstmal, was du machst.“ „Ich bin Künstler. Sozusagen.“ „Und bist du gut?“ Er fing Yamatos Grinsen auf und kam nicht umhin, es zu erwidern. Der Weg zurück zum Hotel schien noch unendlich weit zu sein. Ob Ryo sich inzwischen doch Sorgen machte? Wie spät mochte es sein? Der Himmel verdunkelte sich bereits. Mit zunehmender Anspannung registrierte er, dass sich verdächtig viele Wolken am Himmel zusammenballten und Wind aufkam. „Es sieht nach einem Sturm aus“, kommentierte sein Wegbegleiter. Tai nickte. Schon wenige Sekunden später spürte er den ersten Regentropfen auf seiner Stirn. Verdammt! Es war noch so weit bis zum Grand Blue. „Wir sollten uns lieber beeilen.“ Dieser Sturm wollte den ersten, den Tai auf der Insel erlebt hatte, offensichtlich in den Schatten stellen. Schnell war der Regen zu einem waschechten Monsun angewachsen – sie konnten vor lauter Wasser kaum noch etwas sehen. Dazu kam der peitschende Wind, der die vereinzelt herumstehenden Palmen bedrohlich wanken ließ. Tai konnte gar nicht mehr genau sagen, ob sie überhaupt in die richtige Richtung liefen. Seine Haaren klebten ihm klatschnass im Gesicht und es fiel schwer, überhaupt irgendwie die Augen offenzuhalten, da unaufhörlich Regentropfen auf sie einprasselten. „Das hat keinen Sinn, Tai“, hörte er die Stimme neben sich rufen. „Komm mit!“ Da wurde auch schon sein Handgelenk gepackt. Yamato zog ihn durch den Regen, irgendwohin, abseits der Straße, auf der sich bereits eine Wasserschicht befand. Dann spürte er nassen Sand unter seinen Füßen, stolperte über kleine Felsen. Na hoffentlich wusste der andere, wohin er ihn da zerrte. Plötzlich stoppte das Prasseln der Tropfen. Tai wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und schob sich dann die nassen Haare aus dem Gesicht. Wo waren sie? Er blickte auf eine gewölbte Felswand, eine Art kleine Höhle. Hinter ihnen waren der Strand und das außer Kontrolle geratene Meer. Tai trat einen Schritt näher an die Wand und betastete den kalten Stein. „Woher kennst du solche Verstecke?“ Yamato trat neben ihn und lehnte sich an den Felsen, sodass er das Meer beobachten konnte. „Ich bin hier schon eine ganze Weile herumgewandert.“ Tai wandte sich ebenfalls dem Ausgang zu. Draußen ging die Welt unter. Unzählige Blitze zuckten herab. Donnergroll, Wellenrauschen und Windpfeifen konkurrierten miteinander. „Jetzt... hast du uns beide gerettet schätze ich.“ Er spürte den Blick des anderen. „Dann sind wir ja jetzt quit.“ Eine Weile schwiegen beide und lauschten dem Sturm, der nicht den Eindruck machte, als würde er der nächsten zwanzig Minuten aufhören wollen. Tai seufzte. „Ich glaube wir werden die ganze Nacht hier verbringen. Also falls die Welt nicht direkt untergeht.“ Yamato kramte in seinem triefenden Rucksack. Neugierig beobachtete Tai ihn dabei. Irgendwie hoffte er auf etwas Essbares, aber... „Was machst du?“ „Na wenn die Welt untergeht, sollten wir uns gebührend verabschieden, oder?“ Etwas blitzte in seinen Händen, Tai konnte es nicht richtig erkennen. Dann hörte er, was es war: Eine Mundharmonika. Überrascht musterte er den Blonden, der an die Felswand gelehnt mit Blick nach Draußen anfing, zu spielen. Die Töne glitten weich vibrierend durch den kleinen Raum, begleitet vom Donnern des Sturms und dem Regenprasseln. Als würde alles zusammen eine eigene Komposition ergeben. Tai verstand nicht allzu viel von Musik, aber das musste er auch nicht, um von ihrem Klang fasziniert zu sein. Er konnte sich nicht erinnern, jemals jemanden so Mundharmonika spielen gehört zu haben. Die Melodie klang leicht melancholisch, mit einem Hauch verzweifelter Sehnsucht, aber auch kraftvoll. Am meisten beeindruckte ihn aber die Intensität, die Hingabe, die man heraushören konnte. Als es blitzte, konnte Tai sie in Yamatos Gesicht erkennen: Er spielte mit geschlossen Augen, umfasste das kleine Instrument mit beiden Händen. Nasse Haarsträhnen klebten auf seiner Stirn. Er wiegte den Körper leicht hin und her. Im Moment schien er in einer anderen Welt zu sein, ganz weit weg. Eine Gänsehaut kroch über Tais Schultern und seine Arme. Ja, dieser Mann war ein Künstler, es war keiner seiner Scherze gewesen. Tai fühlte, wie er sich entspannte, während er der Melodie lauschte. Sie trug auch ihn fort. Schon bald spürte er die Kälte seiner nassen Haut nicht mehr, sondern nur noch das wohlige Vibrieren der Töne. Als das Lied erstarb, schauten sie sich an. Yamato lächelte... sah glücklich aus. „Du bist gut“, setzte Tai ihre Unterhaltung von vorhin fort. „Danke.“ Die Mundharmonika verschwand in einem Lederetui. „Das.. Versehen auf dem Balkon... ich muss mich dafür entschuldigen.“ Ein besserer Zeitpunkt dafür würde wohl nicht mehr kommen. Yamato lachte. „Es ist nicht so, als ob es mich wirklich stören würde, Taichi. Ich habe mir auch nicht gerade einen abgeschotteten Raum dafür ausgesucht, oder?“ Im Licht zweier Blitze trafen sich ihre Blicke. „Aber manchmal überkommt es einen eben einfach... an Ort und Stelle, wenn du verstehst, was ich meine.“ Tai nickte still, unfähig, etwas zu erwidern. Die Stimmung war auf einmal angespannt und aufgeladen mit stiller Erwartung. Es lag an Yamato, an der plötzlichen Tiefe und Sanftheit seiner Worte und an dieser Situation die wahrscheinlich sie beide – aber ihn im Besonderen - allzu deutlich an die „Begegnung“ der letzten Sturmnacht erinnerte. Seine Augen gewöhnten sich langsam an die Finsternis, die Blitze und Reflexionen auf dem Meer erhellten den kleinen Raum unregelmäßig, dafür aber teils für mehrere Sekunden. Aber er musste eigentlich nichts sehen, denn er spürte den Blick und die Nähe Yamatos. Und sie schürte Unruhe in ihm. Allein diese Stimme, die weich aber trotzdem maskulin klang und unter seine Haut zu kriechen schien, an seinem Ohr zu hören, ließ sein Herz schneller schlagen. „Du wolltest doch wissen, warum ich dich immer so angesehen habe.“ Jetzt war die Stimme noch näher. Yamatos Kinn berührte seine Schulter. Er spürte den warmen Atem auf seiner Haut und die Gedanken in seinem Kopf entglitten ihm, verloren sich in dem leichten Schwindel, der ihn erfasste. Der Halt, den ihm die raue Felswand hinter ihm gab, schien plötzlich überlebenswichtig. „Du gefällst mir.“ Das gehauchte Bekenntnis ließ seine Knie weich werden; seine Beine fühlten sich schwach an, zu schwach um wegzulaufen. Die aufregendste Erkenntnis aber war: Er wollte gar nicht weglaufen. Zwei überraschend warme Finger griffen nach seinem Kinn. In Zeitlupe drehte er den Kopf in die Richtung, die sie ihm mit sanftem Druck vorgaben. Atemlos blinzelte er ins Halbdunkel. Donner, dann mehrere Blitze. Verführerisch funkelnde Augen blickten in seine. Er wusste, was passieren würde, wollte, dass es passierte. Egal wie unvernünftig das sein mochte, inmitten dieses Sturms, völlig abgeschottet von der Außenwelt mit einem Fremden. Aber... für den unwahrscheinlichen Fall, dass es wirklich das Ende der Welt war... Sein Herzschlag setzte aus, als ihre Lippen sich berührten. Sanft und kribbelnd, fast unschuldig. Die Finger, die sein Kinn dirigiert hatten, strichen an seinem Kiefer entlang in seinen Nacken. Er hatte einen wilden Ansturm erwartet, einen räuberischen Überfall, wie mit Ethan im Fahrstuhl. Das hier war... beinahe romantisch, aber nicht weniger anregend. Er neigte den Kopf ein wenig, erwiderte die zarten Liebkosungen, legte seine Arme um Yamato und zog ihn näher zu sich heran. Wie gut sich die Haut des anderen an seiner anfühlte... Seine Unterlippe prickelte. Wann war er zuletzt so geküsst worden? Er hätte stundenlang hier so stehen und ihn küssen können, es war perfekt. Zumindest glaubte er das bis zu dem Moment, als Yamatos Zunge schließlich seine Lippen teilte und seinen Mund gänzlich vereinnahmte. Er schmeckte nach dem Meer, salzig, wild und friedlich zugleich... Seine Hände streichelten seine Schultern und den Nacken, Fingernägel kratzten federleicht über seine Haut und jagten ihm wohlige Schauer über den Rücken. Es fühlte sich unglaublich gut an, Yamato schien genau zu wissen, wie er ihn berühren musste. Tai kam sich angesichts dessen fast unsicher vor, als er seine Hände über die Seiten und den Rücken des anderen gleiten ließ und sich fragte, ob es ihm wohl gefiel. Als wäre er zurückversetzt worden in die Nacht seines ersten Mals. Er sah das Tattoo in seinen Gedanken deutlich vor sich, sah das leuchtende Blau und Weiß des Wolfs und den Vollmond, während er die Konturen der Schulterblätter mit seinen Fingerspitzen nachzeichnete und dann langsam weiter nach unten glitt. Obwohl er am ganzen Körper hätte frieren und bibbern müssen, breitete sich eine angenehme Wärme in ihm aus, die bis in seine Zehenspitzen kroch. Die Quelle waren ohne Zweifel die heißen Küsse, die sie unentwegt austauschten und die forschen Hände, die gerade von seinen Haaren abgelassen hatten und nun zärtlich an seinem Oberkörper hinab wanderten. Yamato löste ihren Kuss, aber noch bevor Tai seinen Unmut darüber äußern konnte, spürte er seine Lippen an einer mindestens genauso guten Stelle – seinem Hals. Überrascht von der plötzlichen Aktion und dem aufregenden Kribbeln, das sie ihm bescherte, entglitt ihm ein Keuchen. Er spürte, wie der andere den Mund zu einem Grinsen verzog, dabei aber nicht aufhörte, ihn mit seinen Küssen und dem leichten Knabbern seiner Zähne zu verwöhnen. Nur beiläufig registrierte er, dass seine Hände ihn währenddessen der klammen Badeshorts entledigten. Der Gedanke wurde erst wirklich präsent, als er Yamatos festen Griff spürte. Er biss sich auf die Unterlippe als ihm klar wurde, dass allein ihre Knutscherei ausgereicht hatte, … „Ich scheine dir auch zu gefallen.“ Da war er wieder, der leicht spöttische Unterton. Jedoch konnte er weder leugnen noch widersprechen denn die Beweislage war eindeutig. Noch einmal trafen sich ihre Münder zu einem Kuss, diesmal deutlich ungestümer und fordernder. Währenddessen begann die Hand sich langsam zu bewegen, ihn zu massieren. Tai stöhnte unterdrückt in den Kuss. Ihre Lippen trennten sich, aber die Küsse hörten nicht auf, sondern wanderten an seinem Hals hinab, zum Schlüsselbein und dann über seinen Oberkörper. Kurz neckten die kecken Lippen seine Nippel, zogen dann eine feuchte Spur nach unten. Seine Haut schien an den Stellen, die der andere berührte, in Flammen zu stehen. Jede einzelne Berührung pflanzte ein neues Kribbeln, sendete kleine Impulse, die wie elektrische Wellen durch seinen Körper wanderten. Seine Bauchmuskeln wurden mit vielen kleinen Küssen bedacht, dann umkreiste die Zungenspitze seinen Bauchnabel. Gott, zu was würde dieser Mund erst fähig sein, wenn er sein offensichtliches Ziel erreicht hatte? Schon der Gedanke daran ließ ihn erneut aufkeuchen. Aber viel Zeit, es sich in Gedanken auszumalen hatte er gar nicht, denn Yamato ging vor ihm in die Knie, schien nicht vorzuhaben, ihn weiter auf die Folter zu spannen. Eine viel zu freche Zunge umkreiste und neckte seine empfindlichste Stelle und rang ihm ein weiteres Stöhnen ab. Sein Herz hämmerte aufgeregt gegen seinen Brustkorb, obwohl er innerlich versuchte, sich zu beruhigen. Seine Hände lagen auf den Schultern des anderen, der Griff fester, als beabsichtigt. Als es blitzte, riskierte Tai einen Blick nach unten, sah den oberen Teil des Tattoos, den blonden Haarschopf, die Hand, die ihn seit einer gefühlten Stunde in den Wahnsinn trieb und schließlich diesen göttlichen Mund, dessen warme Zunge mit ihm spielte. Als es wieder dunkel wurde, schloss er die Augen und lehnte seinen Kopf vorsichtig gegen den Felsen. Weiche Lippen umschlossen ihn heiß und feucht, machten das Gefühl noch sensationeller, als es ohnehin schon war. Intuitiv schob er sein Becken vor, wollte mehr davon, viel mehr. Sein Verstand verflüchtigte sich, verdrängt von der überschäumenden Gier und Lust, die in ihm brodelte. Er wusste nicht, was genau Yamato da tat, konnte die einzelnen Impulse jetzt schon nicht mehr richtig voneinander unterscheiden. Da war der stete Rhythmus seiner Hand, unnachgiebig und fest, die warme Mundhöhle, dann wieder ein kühler Lufthauch. Er hatte den Mund geöffnet um nicht zu ersticken, gab es auf, die Geräusche, die aus seiner Kehle kamen, zensieren zu wollen, konzentrierte sich stattdessen ganz auf die Gefühle, die ihn umspülten. Seine Finger gruben sich in Yamatos Haare, strichen fahrig hindurch, krallten sich hinein. Er hörte den anderen ebenfalls keuchen, war sich nicht sicher, ob er ihm vielleicht wehgetan hatte. Tai lockerte den Griff seiner Hände, öffnete die Augen und blickte abermals hinab, um sicherzugehen. Der Anblick, der sich ihm bot, brachte den Boden zum Wanken. Eine neue Welle der Hitze schoss in sein Gesicht, als er sah, wie Yamato sich mit der linken Hand selbst befriedigte während er ihn um den Verstand brachte. Wie gern er ihn angefasst hätte... Das Keuchen des anderen vermischte sich mit seinen eigenen Lauten, die Bewegungen wurden schneller, die Anspannung größer. Er musste sich zusammenreißen, um sein Becken halbwegs stillzuhalten, presste sich stattdessen gegen die Felsen, aber er spürte bereits, dass er nicht mehr lange aushalten würde. Erneute verfestigte sich der Griff seiner Hände im Haarschopf den anderen. „Yamato... ich..“, presste er zwischen bebenden Lippen hervor, aber der Rest seiner Warnung verlor sich in unkontrolliertem Stöhnen und Keuchen. Das leichte Ziehen in seinem Unterleib vermischte sich mit einer unerwartet heftigen Gefühlsexplosion, die ihn Sterne sehen ließ. Ein paar Sekunden lang war er völlig in sich und diesen Empfindungen gefangen, spürte und hörte nichts anderes, merkte kaum, wie Yamato sich von ihm löste und wie er an der Felswand hinabglitt. * Als sie endlich den Gang erreichten, war es schon fast wieder Morgen. Vor den Zimmertüren zog Yamato ihn nochmals zu einem langen Kuss an sich heran. Ein letzter Blick in diese unglaublichen Augen... „Süße Träume“, raunte sein Nachbar ihm mit einem anzüglichen Grinsen auf den Lippen zu und verschwand dann in seinem Zimmer. Benebelt und ausgelaugt von den Ereignissen der letzten Stunden wankte Tai in sein Zimmer. Hatte er tatsächlich erwartet, Ryo würde wach sein, schlaflos vor Sorge? Mit einem langgezogenen Gähnen kroch Tai neben ihn ins Bett. * An diesem Morgen war es nicht die Sonne, die Tai weckte, sondern das Jammern und Zappeln seines Freundes. „Tai! Hilf mir doch mal! Tai, wach auf!“ Diese Nacht war viel zu kurz gewesen. Er hatte geschlafen wie ein Stein und zwar gut, nur eben nicht lange genug. Gähnend streckte er sich und rollte sich auf die Seite um zu sehen, wobei Ryo Hilfe brauchte... wahrscheinlich saß eine Spinne auf seinem Nachtschrank oder so. Fehlanzeige, keine Spinne. Und auch sonst nichts, was einen Hilferuf gerechtfertigt hätte. „Was denn?“ Sein Kumpel lag neben ihm auf dem Rücken im Bett, den Kopf zu ihm gedreht. In seinem Gesicht stand die blanke Panik. „Hast du was Schlechtes geträumt?“, murrte Tai, zog sich die Decke höher und schloss die Augen wieder. Er hatte beschlossen, noch ein bisschen zu schlafen. Eine oder zwei Stunden vielleicht. „Tai! Du sollst mir helfen verdammt! Nicht weiterschlafen!“, kam sofort der Protest. Nun doch etwas angesäuert setzte sich Tai auf. „Wie wär's wenn du mir mal sagst, was du für ein Problem hast.“ „Naja... ich...“ Tais Gesichtsausdruck wechselte von genervt-verständnislos auf verärgert. Erst Krach schlagen und dann rumdruksen? „Ryo. Entweder du sagst mir jetzt, was der Grund dieser Lärmbelästigung ist, oder ich gehe ins Foyer und schlafe da weiter.“ Ryo seufzte verzweifelt und grinste Tai schief an. „Na gut... aber du musst mir versprechen, dass du dich nicht aufregst.“ Tai hob eine Braue. „Im Ernst Ryo-“ „Jaja, schon gut, bleib da! Bitte! Also... ich war gestern... nochmal bei dem Körperschmuckladen und...“ Er ahnte Schreckliches. „Ich hab mich tätowieren lassen.“ Nicht wirklich, oder? Ryos Eltern würden ihn töten. Aber vorher würde er ihn töten. Überfordert mit der Situation rieb Tai sich die Schläfen und stand dann auf. Inzwischen war er schon zu wach um weiterschlafen zu können. Vielleicht würde er später ein Nickerchen machen oder so. „Deine Beichte in allen Ehren, aber ich hätte das sicher besser aufgenommen, wenn du mich länger hättest schlafen lassen.“ Ryo fuchtelte wild mit den Armen. „Nein. Nein. Es geht nicht ums Beichten. Ich klebe fest, Mann!“ „Wie du klebst fest?“ Tai lief ums Bett und stellte sich neben seinen Freund, der in einer ziemlich unbequem aussehenden Pose dort lag und zu ihm aufschaute. „So wie ich es sage!“ Voller Unverständnis schüttelte er den Kopf. Das war echt zu viel, so früh am Morgen nach so einer Nacht. „Verstehe ich nicht... Zeig mal.“ Ryo machte Anstalten, sich im Bett aufzusetzen, kam aber irgendwie nicht hoch und verzog schmerzhaft das Gesicht. „Das Laken...“ Er sank wieder zurück. „Lass mich raten. Das Tattoo ist auf deinem Rücken.“ „Ja verdammt. Blitzmerker!“ Er war versucht 'selber schuld' zu sagen, aber dann tat ihm Ryo doch leid, wie er da lag. Wie eine auf dem Panzer liegende Schildkröte, hilflos, zum Tode verurteilt... „Soll ich es dir abziehen?“ Er deutete auf das Laken. „NEIN!“ „Ist ja gut, schrei' nicht so. Wie soll ich dir dann helfen?“ „Ähm... “ „Haben die in dem Laden dir denn nicht gesagt, wie du damit umgehen sollst? Muss man nicht normalerweise irgendwie... eine Einweisung oder sowas bekommen?“ „Nein.“ Ryo war plötzlich kleinlaut, sah fast aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Tai seufzte abermals. Dann hatte er plötzlich eine Idee. „Warte, mir ist gerade was eingefallen. Ich bin gleich wieder da.“ „Echt? Okay, aber beeil dich!“ „Nicht weggehen.“ „Haha, sehr witzig.“ Ein wenig unangenehm war ihm die Situation zwar, aber es ging um die Rettung seines Kumpels also... sprang er über seinen Schatten und klopfte an Yamatos Tür. Er hatte schließlich ein Tattoo auf dem Rücken und würde hoffentlich wissen, was man in so einer Situation tun konnte. Zu seiner Erleichterung wurde die Tür nach wenigen Sekunden geöffnet. Yamato schien ebenfalls noch nicht lange wach zu sein, sein Haar stand ab und er trug nach wie vor nur eine Shorts. Als er Tai erblickte, formte sich ein Grinsen auf seinem müden Gesicht. „Nicht gierig werden.“ Tai räusperte sich. „Ich... nein - mein Kumpel braucht deine Hilfe.“ Sein Gegenüber legte den Kopf schief. „So? Wobei denn?“ War da noch immer ein Hauch Anzüglichkeit in seiner Stimme? „Er hat sich tätowieren lassen und klebt am Bett fest“, legte Tai trocken die Fakten auf den Tisch um jegliche Zweideutigkeit auszulöschen. Yamato gab ein belustigtes Zischen von sich. „Bitte! Ich wüsste sonst nicht, wer sich mit so was auskennt.“ „Schon gut, schon gut.“ „Komm mit.“ Erleichtert führte Tai ihn in ihr Zimmer, wo Ryo in Selbstmitleid versunken auf sie wartete. Yamato postierte sich vor dem Bett, verschränkte die Arme und schüttelte grinsend den Kopf. „Was ist?“, brummte Ryo in Richtung des Blonden und wandte sich dann an Tai. „Ich dachte, du wolltest mir helfen! Stattdessen schleppst du Schaulustige an, die sich an meinem Schicksal ergötzen, oder was?!“ „Beruhig dich, Mann“, sagte Yamato, zog Ryo mit einem Ruck die Bettdecke weg – was dieser mit einem ziemlich schrillen Aufschrei quittierte - und ging dann zu der anderen Bettseite, um dort das Bettzeug abzusammeln. Unter Ryos misstrauischem Blick zupfte er das Bettlaken von der Matratze. „Mach die Dusche an.“ Tai nickte und verschwand ins Bad. „Steh auf.“ „Aber-!“ „Na dann bleib eben auf ewig da liegen.“ „Das tut weh Mann!“, jammerte Ryo und rappelte sich nun doch hoch. Das lose Laken klebte felsenfest an ihm und sah aus, wie ein riesiger weißer Umhang. Tai, der neben der Badtür stand, musste sich das Grinsen verkneifen. Ryo jammerte bei jedem Schritt. „Das brennt!“ „Gott was bist du für 'ne Memme. Ich frage mich, wie sie die Nadeln überhaupt in dich reingekriegt haben.“ Yamato schob Ryo an Tai vorbei durch den kleinen Flur ins Bad bis in die Duschkabine. Dann nahm er die Brause in die Hand. „Halt still.“ Als das Wasser über seinen Rücken lief, schrie sein Kumpel auf und begann zu zittern, aber Yamato machte ungerührt weiter. Langsam durchnässte er so den Stoff und löste ihn schließlich mit der anderen Hand von Ryos Rücken ab. Kopfschüttelnd drehte er das Wasser ab und legte das Laken über den Handtuchhalter. „Ist.. ist es noch da?“, fragte Ryo vorsichtig. „Ja. Du solltest es eincremen. Und vielleicht für ein paar Tage auf der Seite schlafen...“ Tai warf Yamato ein erleichtertes Lächeln zu. Die Lösung war so einfach gewesen... aber er wäre nie darauf gekommen. „Danke!“ „Kein Ding“, erwiderte er und klopfte ihm auf die Schulter bevor er aus dem Zimmer verschwand. * Tai verbrachte den ganzen Tag mit Ryo, der sich benahm, wie ein Schwerverletzter, was den schwarzen Drachen auf seinem Rücken beinahe ironisch wirken ließ. Das Tattoo sah zum Glück nicht so übel aus, wie Tai befürchtet hatte. Inzwischen war es Mittag und sie saßen in einem Café nahe des Hotels. „Was hast du eigentlich den ganzen Tag getrieben? Ich hatte dich gesucht.“ „Ich war schwimmen... und auf dem Rückweg hat mich das Gewitter überrascht, sodass ich Unterschlupf suchen musste bevor ich zurück ins Hotel konnte.“ Ryo schüttelte den Kopf und setzte seinen „Typisch-Tai“-Ausdruck auf. „Du hast den ganzen Tag mit Schwimmen verbracht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ja.“ „Gott, Tai. Du bist echt nicht mehr zu retten.“ „Wenigstens klebe ich mich nicht über Nacht ans Bett.“ „Dir würde ein Tattoo bestimmt auch gut stehen!“ „Nein danke.“ „Sei doch nicht so spießig! Du bist 24, du musst Abenteuer erleben, das Leben genießen!“ Tai lachte. „Oh - ich genieße, keine Sorge.“ Sie plauderten noch eine Weile über die vergangenen und die vor ihnen liegenden Abenteuer, die dieser Urlaub bereit halten könnte, aber seine Gedanken schweiften immer wieder zu einem ganz bestimmten Abenteuer. Blond. Blauäugig. Verdammt sexy... Zu ärgerlich, dass das alles so schnell wieder vorbei gewesen war. Beinahe so schnell, wie es sich angebahnt hatte. Im Nachhinein war er doch ziemlich überrascht, dass sein Nachbar Gefallen an Männern fand. So viele hübsche schwule oder zumindest bisexuelle Männer auf einer Insel? Ethan, Dale, Yamato... Ein leises Kribbeln meldete sich in seinem Bauch zu Wort, als er wieder den Gedanken an sein Intermezzo mit Yamato nachgab. Dieser Mann hatte es ihm irgendwie ganz besonders angetan. Wahrscheinlich lag es daran, dass er in ihrer Begegnung fast vollkommen passiv gewesen war, viel mehr von diesem heißen Körper hätte haben wollen. Es fühlte sich unvollständig an, als würde er ihm noch etwas schulden; aber das war natürlich Blödsinn, denn Yamato hatte es ja im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand gehabt. Er hatte gewollt, dass alles genau so passierte. Aber das änderte nichts an seinem eigenen Bedürfnis. Er wollte eine zweite Runde. Das war nicht gut. Er sollte es lieber darauf beruhen lassen. Es hieß schließlich nicht umsonst One-Night-Stand. „Du siehst auf einmal so unzufrieden aus.“ „Ich habe nur gerade daran gedacht, dass unser halber Urlaub schon wieder vorbei ist.“ Kapitel 5: Salsa für Anfänger ----------------------------- „Mit dem Tattoo werden dir jetzt alle Frauen zu Füßen liegen, hm?“ Sie hatten beschlossen, den Strand heute zu meiden. Ryo hatte Angst, das frisch gestochene Meisterwerk durch Sonneneinstrahlung zu beschädigen. Einmal mehr bewunderte Tai die Ernsthaftigkeit, mit der Ryo offenbar über die Entscheidung für oder gegen ein Tattoo nachgedacht haben musste. Der Urlaub auf einer Sonneninsel war scheinbar nicht der geeignete Zeitpunkt... Also standen Sie nun in einem der Clubs am Billardtisch und spielten. „Auf jeden Fall, aber ich muss mir noch überlegen, wie ich es richtig in Szene setzen kann. Rückenfreie Shirts wirken wahrscheinlich wieder zu...“ „Schwul?“, ergänzte Tai und machte seinen Zug. Die Kugel traf genau ihr geplantes Ziel und versenkte so gekonnt zwei andere. „Dann wohl am besten Schwimmbäder.“ Ryo grinste schief. „Ja, wahrscheinlich. Mann Tai, es macht keinen Spaß gegen dich, du brauchst ein Handicap oder sowas.“ Er lachte. „Du musst dir nur mehr Mühe geben, besser zielen, mehr darüber nachdenken, was passieren wird und wie du-“ „Jaja... Tai, das Spiel soll Spaß machen und nicht in Wissenschaft ausarten.“ „Also mir macht es Spaß.“ Tai grinste und Ryo setzte seine Kugel in den Sand. „Immerhin heißt es ja Pech im Spiel – Glück in der Liebe.“ „Na dann wirst du wohl heute Abend deine Traumfrau finden und dich unsterblich verlieben“, prophezeite Tai und stellte seinen Queue weg. „Vielleicht habe ich das ja schon.“ Mysteriös grinsend spazierte er an Tai vorbei in den anderen Raum Richtung Bar, wo er Platz nahm und Tai mit einer Geste neben sich einlud. Ryo und ernsthaft verliebt? Das war schwer zu glauben. Sollte das Ereignis, auf das er nun schon die gefühlten zehn Jahre ihrer Freundschaft wartete, ausgerechnet gestern eingetreten sein? „Erzähl mir mehr.“ Sie bestellten sich zwei Wodka Martini und dann ließ Tai sich die Geschichte über Ryos Traumfrau in allen Einzelheiten erzählen. Sie hieß Nadine, war Französin und studierte Musik in Paris. Ryo hatte den ganzen gestrigen Tag mit ihr verbracht. „Diese langen kupfernen Haare Tai, ich sage dir – einzigartig! Wunderschön! Und ihre Stimme, ihr Akzent, sie könnte tagelang reden und ich könnte tagelang dabei zuhören ohne mich zu langweilen. Im Ernst.“ „Du klingst tatsächlich ziemlich fasziniert.“ „Und ihre Augen! Das schönste Hellblau, das du je gesehen hast.“ Oh ja.. wie schöne blaue Augen aussahen, wusste er. Er wusste auch, wie diese Augen aussahen, wenn sie halb geschlossen waren, wenn sie ihn angrinsten oder wenn sie auf ihre charmante Art und Weise spotteten... „Tai? Hörst du noch zu?“ „Ja sicher. Es scheint dich ja ziemlich erwischt zu haben... aber was soll mit euch werden, wenn der Urlaub vorbei ist, Ryo? Frankreich und Japan sind nicht gerade Nachbarländer.“ Ja, er musste jetzt wieder den Buhmann spielen und die unbequemen Fragen stellen. Das war seine Pflicht als guter Freund, oder nicht? Ryos Gesichtsausdruck blieb verträumt. „Ich könnte nach Frankreich ziehen.“ Das waren ja ganz neue Töne! Ryo und das Land verlassen? Und ausgerechnet für die Liebe? Tai schmunzelte. „Sprichst du denn Französisch?“ „Das lerne ich schon.“ Gut, im Moment hatten solche Einwände offenbar keinen Sinn. Wahrscheinlich war die Sache auch noch viel zu frisch, um sich ernsthafte Sorgen darum zu machen... „Okay... und wann trefft ihr euch wieder?“ „Heute Abend. Ich gehe sie besuchen. Du hast also das Zimmer für dich allein.“ „Aber denk dran: Nicht auf dem Rücken liegen!“ Ryo boxte ihn gegen die Schulter. * Heute wollte Tai ausnahmsweise mal zeitig ins Bett gehen, nicht in einen Sturm geraten und einfach nur entspannen und Schlaf nachholen. Die Voraussetzungen waren perfekt, er hatte das Bett für sich und Ryo würde wohl nicht vor Morgen früh auftauchen um ihn zu wecken. Grinsend nahm er die letzten paar Stufen in den sechsten Stock und schlenderte dann durch die ruhigen Flure. Um diese Zeit waren die meisten anderen Gäste noch unten am Strand oder am Pool. Umso überraschter war Tai, als er um die Ecke bog und Yamato erspähte, der wohl gerade aus seinem Zimmer gekommen war. Tai wollte mit einem Gruß an ihm vorbeigehen. „Hey wie geht es deinem Kumpel?“ Tai suchte nach dem Schlüssel in seiner Hosentasche und warf seinem Nachbarn ein kurzes Lächeln zu. „Danke, ihm geht’s gut. Es war ihm hoffentlich eine Lehre.“ Er hatte kaum bemerkt, wie Yamato näher gekommen war, aber plötzlich stand er direkt neben ihm und berührte ihn an der Schulter. „Gehst du schon schlafen, Taichi?“ Der verführerische Tonfall seiner Stimme reichte aus, um ihm eine Gänsehaut zu bescheren. Tai nickte und hatte endlich den Schlüssel zu fassen bekommen. Vielleicht etwas zu hektisch steckte er ihn ins Schloss und drehte daran herum. „Ganz allein?“ Heißer Atem an seinem Hals... sein Herz machte einen euphorischen Hüpfer, als sein Blick auf die blauen Augen traf und er sofort wieder darüber nachdachte, doch noch nicht sofort schlafen zu gehen.... Verdammt. Es ging nicht. Nein, er hatte sich doch schon ausgiebig mit dem Thema Yamato auseinandergesetzt! Es gab keine zweite Runde. Aus und vorbei. Nur schnell raus aus dieser Situation. Entschlossen drehte er den Knauf. „Ich.. bin ziemlich müde. G-Gute Nacht!“ Er sah noch aus dem Augenwinkel, wie Yamato ihm einen irritierten Blick hinterher schickte, dann zog er die Tür hinter sich zu. Puh. Das war ziemlich schwierig gewesen. Schwieriger als erwartet. Yamato brauchte ihn nur ansehen, um seinen Entschluss ins Wanken zu bringen. Tai schüttelte den Kopf über seine eigene Unbeherrschtheit. Seine Hände zitterten leicht. Er beschloss, noch eine kühle Dusche zu nehmen, bevor er sich schlafen legte. * Nach einer wunderbar langen Nacht voll erholsamen Schlafs und unbedenklicher Träume saß Tai im Grand Blue Restaurant und aß zusammen mit Ryo zu Mittag und übte sich als Zuhörer. Sein Kumpel schwärmte weiterhin von seiner französischen Traumfrau, erzählte von einem romantischen Abendessen und einer perfekten Nacht. Die Details ihrer intimen Liaison blendete Tais Hirn gekonnt aus, aber dann kam eine Aussage, die ihn aufhorchen ließ. „Ich will, dass du sie kennenlernst!“ Ryos erwartungsvoll leuchtende Augen machten ihm klar, wie wichtig ihm das war. Er wollte nicht nur seine Meinung, sondern seinen „Segen“. Als er sich gewünscht hatte, dass Ryo sich verlieben und etwas bodenständiger werden sollte, hatte er sich das anders vorgestellt. Er befürchtete, dass Ryo sich da in etwas verrannte. Aber wahrscheinlich war es gut, wenn er sich die junge Frau selbst mal ansah. Dann konnte er besser einschätzen, ob sie nur auf einen intensiven Urlaubsflirt aus war, oder Ryo tatsächlich ähnliche Gefühle entgegenbrachte. „Okay.“ Sein Kumpel klatschte in die Hände. „Super! Heute Abend beim Grand Blue Barbeque! Und mach dich ordentlich zurecht ja? Ich möchte mich nicht für dich schämen müssen.“ Tai unterdrückte ein Lachen und nickte. * Das Areal hinter dem Hotelgebäude war riesig. Um den großen quadratischen Pool herum drängten sich kleine runde Tischchen, zwischen denen die Kellner mit ihren Tabletts hin und her huschten. Zahlreiche Fackeln erhellten die Umgebung und die kleine Bühne am nördlichen Ende der Hotelterrasse. Die Veranstaltung sollte laut Werbetafel um acht Uhr beginnen, aber als Ryo und Nadine eintrudelten, war die Terrasse schon so überlaufen, dass sie sich regelrecht zu ihm durch drängeln mussten. Bereits aus der Ferne analysierte Tai die junge Frau. Ihre zierliche Gestalt steckte in einem kurzen dunkelroten Kleid, die Haare hatte sie hochgesteckt und riesige Kreolen baumelten an ihren Ohrläppchen. Ryo hielt ihre Hand während sie sich den Weg zu ihm bahnten. Tai stand auf, um Nadine standesgemäß zu begrüßen. Ihr Lächeln war höflich und blendend weiß. „Gut, dass du uns Plätze freigehalten hast. Ich hätte nicht gedacht, dass es so voll wird!“ Sofort kam eine der Bedienungen zu ihnen und nahm ihre Getränkewünsche entgegen. Eine Weile blickten sie einander an, Ryo natürlich hauptsächlich Nadine, sie wiederum etwas unsicher zwischen Ryo, Tai und dem Gewimmel um sie herum. „Ryo hat erzählt, dass du Musik studierst. Wie läuft es denn so und was wirst du nach dem Studium machen?“, brach Tai schließlich das leicht unangenehme Schweigen, von dem Ryo überhaupt nichts bemerkt hatte; er wirkte geradezu hypnotisiert. Nadine lächelte, dankbar über die Bemühung um einen Gesprächsanfang. „Ja das stimmt. Oh es läuft sehr gut, ich werde bald fertig sein.“ „Sie ist jetzt schon ein Star“, brabbelte Ryo verträumt dazwischen, aber sowohl Nadine als auch Tai übergingen seinen Kommentar. „Ich denke ich werde komponieren, oder Musik lehren.“ Ihr Akzent war tatsächlich sehr charmant. Tai nickte freundlich. „Dann kannst du sicher auch einige Instrumente spielen?“ „Ja, ich spiele Geige, Klavier und singe.“ „Wow, du scheinst sehr begabt zu sein. Ich bin eher unmusikalisch.“ Ryo war noch immer geistig abwesend. „Aber du bist ein großer Sportler, das hat Ryo erzählt.“ „Ich spiele Fußball, aber ob ich das Prädikat 'großer Sportler' verdient habe, wird sich dann erst noch zeigen.“ Die Kellnerin brachte ihre Getränke. „Na dann auf einen tollen Abend.“ Tai hob sein Glas und blickte zu Ryo, der nun endlich aus seiner Starre erwachte und es ihm gleichtat. Sie stießen an und tranken. Die Gespräche schleppten sich mehr oder weniger gut voran. Aber der Zustand besserte sich, als Ryo sich endlich halbwegs sattgesehen zu haben schien. Sie redeten über die Insel und den Urlaub, übers Studieren, über Sport, über Frankreich und Japan und über allerlei Unwichtigkeiten. Nadine schien Ryo zwar gern zu haben, aber sie wirkte bei weitem nicht so vernarrt, wie er. Inzwischen hatte auch die Show auf der Bühne begonnen. Es gab Livemusik und zwischendurch kleine Showeinlagen wie Feuerspucken und Artistik. Außerdem wurden kleine Snacks serviert. Die Stimmung war gut, was sicherlich auch durch die zunehmende Menge an Drinks begünstigt wurde – besonders an Ryo war der Effekt deutlich zu bemerken, denn er wurde immer zudringlicher, streichelte Nadines Wange, legte den Arm um sie, wollte sie küssen, und so weiter und so fort. Anfangs wehrte sie seine Versuche möglichst charmant ab, nach einer Weile dann vehementer, sodass Ryo sich schmollend seinem frisch gefüllten Glas zuwandte. Tai nutzte den Moment und ging kurz zur Toilette, nur um bei seiner Rückkehr feststellen zu müssen, dass sein Platz besetzt war. Von jemandem in einem modischen schwarzen Hemd, einer engen Jeans und einem spöttischen Funkeln in den Augen. Yamato hatte die Arme hinterm Kopf verschränkt und grinste ihn an. „Hallo Taichi, schön dich zu sehen.“ „Das ist mein Platz.“ „Oh entschuldige, es war der einzige, der frei war.“ „Ich hab ihm gesagt, dass der besetzt ist, aber er hat nicht drauf gehört“, brummte Ryo. Etwas unschlüssig starrte Tai den Blonden an, wie er da selbstgefällig auf seinem Platz saß und sich über ihn amüsierte. Kurz spielte er mit dem Gedanken, einfach zu gehen, aber das erschien ihm selbst im leicht angetrunkenen Zustand ein wenig kindisch. Außerdem würde das wahrscheinlich einen schlechten Eindruck bei Nadine hinterlassen und das wollte er sich morgen von Ryo nicht vorhalten lassen... Suchend blickte er sich in der näheren Umgebung um. Gerade wankte ein Typ, der wohl noch mehr intus hatte, in Richtung Toiletten und ließ seinen Stuhl unbeaufsichtigt zurück. Auge um Auge! Was auch immer – eigentlich konnte man es als gute Tat betrachten, denn wenn der Kerl bei seiner Rückkehr keinen Platz mehr hatte, würde er vielleicht auch nicht mehr Alkohol in sich rein schütten und stattdessen schlafen gehen. Das war vertretbar! Tai fackelte nicht lange und schnappte sich den Stuhl. Triumphierend setzte er sich an den Tisch. Wirkte jetzt vielleicht auch nicht unbedingt höflich auf Nadine, aber sicherlich besser, als zickig abzuhauen. Er lächelte entschuldigend in ihre Richtung. Ryo schien gar keine Notiz von der Aktion genommen zu haben, denn er war schon wieder damit beschäftigt, ihre Hand zu streicheln. „Ich glaube, ich habe einen schlechten Einfluss auf dich“, raunte Yamato zu ihm herüber. Tai schüttelte den Kopf und griff sich seinen Drink. Wenigstens den hatte sich der Eindringling nicht unter den Nagel gerissen. Tai fing Nadines irritieren Blick auf und merkte erst jetzt, dass vielleicht eine Erklärung angebracht war. „Nadine, das ist unser Zimmernachbar Yamato. Er hat Ryo gestern mehr oder weniger das Leben gerettet.“ Dafür kassierte er einen halbherzigen Tritt gegen sein Schienbein. „Irgendwie kommst du mir bekannt vor Yamato, haben wir uns schonmal getroffen?“ Der Angesprochene schien kein bisschen verwundert über diese Frage zu sein. Er lehnte sich lässig zurück. „Nicht, dass ich wüsste.“ Nadine musterte ihn nun eindringlicher, sie schien weiterhin darüber nachzudenken. „Wie geht es denn deinem Rücken?“, fragte Yamato nun Ryo. „Gut, danke.“ Ryo schien mit seiner Anwesenheit nicht so recht glücklich zu sein. Yamato hingegen richtete sich häuslich ein, indem er einem vorbeihuschenden Kellner winkte und sich einen Indian Summer bestellte. „Warum hast du eigentlich kein Tattoo, Tai?“ „Es muss ja nicht jeder eins haben, oder?“ „Magst du tätowierte Männer, Nadine?“ Spielte er jetzt Talkmaster? Naja... zumindest schwiegen sie sich dann nicht an. „Ich mag Ryo.“ Das wiederum hob die Laune seines Kumpels in den Himmel. Selig lächelnd drückte er sich an sie. Fast war Tai versucht, 'ich auch' zu sagen... musste am Alkohol liegen. Aber diese Unterhaltung brachte ihn trotz allen gedanklichen Widerstands auch dazu, sich an den blauen Wolf zu erinnern, wie er ihm von Blitzen erhellt entgegen leuchtete während... Tai atmete angespannt ein und aus. Yamatos blaue Augen funkelten ihn an. Der Kellner kam zurück und reichte ihm seinen bestellten Drink. Er nippte daran und stellte das Glas dann vor sich auf den Tisch bevor er sich wieder an Tai wandte. „Hast du vielleicht Angst vor den Nadeln... ich meine, manchmal kann so ein Stich schon etwas wehtun. Aber... es ist den Schmerz wert, finde ich.“ Warum nur hatte er das Gefühl, dass dieses Gespräch in eine ganz falsche Richtung abdriftete? „Vielleicht hier...“ Yamatos Finger strichen federleicht über seinen Oberarm. Sofort überkam ihn eine Gänsehaut. Ein lautes Klimpern lenkte Tais Blick von Yamato ab. Hinter ihnen bahnte sich eine Gruppen-Showeinlage bestehend aus zwei leicht bekleideten Bauchtänzerinnen und zwei nicht stärker bekleideten Tänzern an. Alle Köpfe ruckten in deren Richtung, nur Ryo himmelte weiterhin Nadine an. Tai erkannte ihn kaum wieder. Mehrere halbnackte Frauen tanzten um ihn herum und er sah nicht hin!? Das Publikum johlte und Tai registrierte, wie sowohl Yamatos als auch Nadines musternde Blicke die beiden Tänzer abcheckten. Dann aber lehnte sich der Blonde zu ihm hinüber und flüsterte gerade noch hörbar in sein Ohr. „Ich wüsste auch noch andere Stellen...“ Die Tänzerbande rasselte hüftschwingend an ihnen vorbei aber Tai hatte keine Augen dafür. Er war zu sehr damit beschäftigt, sich innerlich gegen Yamatos Anziehung zu wehren. Er kippte sich den Rest seines Drinks hinunter. Am besten Ablenkung... vielleicht würde er ja einfach von selber wieder gehen, wenn Tai es lange genug schaffte, nicht auf ihn einzugehen. Plötzlich berührte jemand seine Schulter. Es war eine der Tänzerinnen. „Tanzen, tanzen!“ Tai schüttelte freundlich lächelnd den Kopf. Er hatte wirklich keine Lust sich hier vor allen Leuten zum Affen zu machen. Aber die Dame ließ nicht locker, sie griff nach seinem Arm und zog ihn rasselnd hoch. „Los mach schon, Tai!“, feuerte Ryo ihn an. Ach, auf einmal war der werte Herr wieder ansprechbar? Menno, er wollte doch nur in Ruhe hier sitzen und seinen Drink schlürfen... aber er schien keine Wahl zu haben. Er warf den anderen einen leicht verzweifelten Gesichtsausdruck zu, als er von der Tänzerin hinterher gezerrt wurde. Er war grundsätzlich für fast jeden Sport zu haben, aber ausgerechnet Tanzen war eine der Ausnahmen. Klar, er hatte das Körpergefühl und so weiter, aber er kam sich irgendwie immer blöd dabei vor und nun saß er hier fest, in einer Art Salsa-tanzenden Karawane, jeder hielt den Nächsten bei der Hand – es gab kein Entkommen. Todesmutig stolperte er hinterher. Auf einmal stand Yamato auch auf und schloss sich dem rasselnden Mob an, indem er Tais Hand griff und sich mit perfekt anmutenden Salsa-Bewegungen in die Kette einfügte – verdammt, wieso konnte er das? Er grinste ihm zu. „Mach dich locker Tai, so schwer ist es nicht. Schau hin.“ Zweifelnd beobachtete Tai seine Bewegungen und versuchte sich in deren Nachahmung. Aber bei ihm sah es garantiert nicht halb so geschmeidig aus. Der schien das jeden Tag zu machen. Er tat sein Bestes um die Peinlichkeit in Grenzen zu halten, konzentrierte sich so sehr auf die Schritte seines Nachbarn, dass er das klatschende und johlende Publikum um sie herum völlig ausblendete. Ja, so ging es einigermaßen, langsam bekam er den Dreh raus. Erst als die Musik aufhörte und die Gruppe stehen blieb, bemerkte er, dass sie fast die komplette Terrasse umrundet hatten. Seine Hände wurden losgelassen. Erleichtert atmete Tai aus, als sie sich den Weg zurück zu ihrem Tisch bahnten. Er legte Yamato eine Hand auf die Schulter. „Danke.“ Eigentlich wäre es ja Ryos Part gewesen, ihm Beistand zu leisten, so als bester Freund, oder? Aber er war momentan zu sehr mit Verliebtsein beschäftigt. „Tolle Show!“, lobte Nadine die beiden, als sie sich hinsetzten. „Ja Tai, ich dachte immer, du kannst nicht tanzen. Damals im-“ Nein! Das musste er jetzt nicht auch noch herauskramen! Schnell unterbrach Tai ihn, indem er das Gespräch mit Nadine fortsetzte. „Erzähl uns doch noch was von deinem Studium, Nadine. Hast du Ryo schonmal was vorgesungen?“ Ryo warf ihm einen enttäuschten Blick zu, schwieg aber artig. Nochmal Glück gehabt. „Ähm, nein habe ich noch nicht. Ich fürchte, dass er klassische Musik nicht besonders mag. Dabei ist das das einzig Wahre.“ „Ich mag alles, was du magst.“ Tai verdrehte die Augen. Bevor er etwas darauf sagen konnte, hatte sich sein Sitznachbar überraschend eingemischt. „Klassische Musik, ja?“ „Ja. Alles andere ist doch nur noch Kommerz. Fließbandware. Musik für die Massen, da ist nichts kunstvolles oder besonderes mehr dran.“ Tai blickte verwirrt zwischen Nadine und Yamato hin und her. „Soso. Dann lieber Fließbandmusik als Rentnermusik.“ „Klassik ist keine Rentnermusik!“ Fast sprang sie auf, so sehr schien dieser Satz sie zu erzürnen. Ryo warf Yamato einen bösen Blick zu. Der aber blieb ganz ruhig. „Und moderne Musik ist keine Fließbandware. Das kannst du nicht so verallgemeinern.“ „Doch.“ „Vielleicht ist es besser, wenn du gehst, Yamato“, fuhr Ryo dazwischen. Stirnrunzelnd blickte der Blonde ihn an und deutete auf sein Glas. „Ich habe noch nichtmal ausgetrunken.“ „Ist mir doch egal!“, fauchte er zurück und stand auf. Mit zwei Schritten war er bei Yamato und fasste ihn am Kragen. „Ich würde dir raten, loszulassen.“ „Ach ja?“ „Stopp Ryo, das reicht!“ Tai schob seinen Kumpel ein Stück auf Abstand. „Bist du etwa auf seiner Seite?!“ „Ich bin auf gar keiner Seite, ich will nur nicht, dass man uns rausschmeißt. Du hast vielleicht etwas zu viel getrunken, Ryo.“ Jetzt stand Nadine auch noch auf. „Jungs ich bin sowieso müde. Ich werde gehen. Gute Nacht.“ Da stöckelte sie auch schon davon. „Warte!“, rief Ryo hinterher aber sie bleib nicht stehen, sondern wurde noch schneller. „Das ist alles seine Schuld!“ „Komm mal runter Mister Drachentattoo.“ Tai legte den Arm um Ryos Schultern und zog mit ihm von dannen. „Lass uns gehen. Schönen Abend, Yamato.“ Es war ziemlich anstrengend den doch recht benebelten Ryo bis ins Zimmer zu bugsieren, aber schließlich hatte er es geschafft. Er packte ihn ins Bett, deckte ihn zu und seufzte erleichtert. Was für ein turbulenter Abend. Mit diesem Ausgang hatte er wirklich nicht gerechnet. Auf dem Weg zum Bad klopfte es auf einmal an der Tür. Etwas spät schon für den Zimmerservice. „Was ist?“, fragte Tai und blieb vor der Tür stehen. „Du hast was vergessen, Taichi.“ Es war Yamatos Stimme. Seufzend öffnete er die Tür. Ein fataler Fehler, wie sich schnell herausstellte. Yamato sah verdammt sexy aus, wie er so im Türrahmen lehnte und ihn ansah. „Was denn?“ Ein paar Sekunden dauerte es, bis Tai realisierte, dass er gar nichts dabei gehabt hatte, was er hätte vergessen können. Zu spät. Kapitel 6: Stiche ----------------- Yamato zog ihn an sich heran, küsste ihn ohne Chance zur Gegenwehr. Der kleine Funke Widerstand in ihm ergab sich der forschen Zunge nur zu gerne. Zum Teufel mit den Prinzipien, eine einzige Ausnahme würde ihn nicht umbringen! Eher würde es ihn umbringen, etwas nicht tun zu können, nach dem es ihn so sehr verlangte. Gierig erwiderte er den Kuss, drängte sich gegen den anderen. Yamato schloss die Tür und zog ihn mit sich in sein Zimmer. Schon auf dem Flur begann Tai, das Hemd aufzuknöpfen, merkte kaum, wie sie in dem Raum ankamen. Yamato zog ihm das Shirt über den Kopf und warf es fort. Keine Sekunde später streifte Tai ihm das störende Hemd ab. Yamato drängte ihn rückwärts gegen das Bett, seine Lippen an seinem Hals, seine Hände einfach überall. Tais Herz schlug wie wild, er zitterte förmlich vor Erregung als Yamato ihn aufs Bett drückte, sich auf ihn stürzte wie ein hungriger Wolf. Ein leichter Schwindel überkam ihn, die Erinnerung an ihre letzte Zusammenkunft, so donnernd wie das Gewitter, das sie umgeben hatte. Yamato hatte diese zweite Begegnung forciert, hatte ihn gestern geneckt, heute erneut provoziert und nicht locker gelassen. Alles geschah, so wie er es haben wollte... Yamato machte sich an seiner Hose zu schaffen. Nein! Diesmal würde er ihn nicht einfach nur machen lassen. Dieses Mal würde er derjenige sein, der die Zügel in der Hand hatte, würde sich nehmen, was er haben wollte und würde dann endlich befriedigt loslassen können. Mit einem geschickten Manöver wechselte er ihre Positionen, vergrub seinen Mund in Yamatos Halsbeuge knabberte an der weichen Haut, sog seinen Duft in sich auf. Ein überraschtes Keuchen belohnte ihn. Seine Hände wanderten über Yamatos Oberkörper, erkundeten jeden Zentimeter, spürten den rasanten Herzschlag, das Heben und Senken, die harten Muskeln. Seine Zunge spielte mit der Ohrmuschel, die blonden Haare kitzelten sein Gesicht als der andere sich unter dieser Liebkosung wand und versuchte, den Kopf zu drehen und ihm so das Ohr zu entziehen. Zwecklos, er war stärker, ließ sich nicht davon abbringen, machte in aller Ruhe weiter, ergötzte sich an dem süßen Stöhnen, das er damit hervorlocken konnte. Er schien hier eine Schwachstelle gefunden zu haben. Das war nur eine kleine Rache, aber sie fühlte sich großartig an. Er würde sich nie daran satthören können, zeigte aber schließlich Erbarmen, als er spürte, dass Yamato immer unruhiger wurde und wandte sich anderen spannenden Regionen zu, öffnete die Jeans und zerrte sie herunter. Unterwäsche war nicht vorhanden. Tai grinste und drückte mit seinen Knien Yamatos Beine auseinander, um es bequemer zu haben, nahm sich einige Sekunden um den Anblick zu genießen, zu sehen, wie erregt dieser schöne Mann unter ihm war, sich genauso nach seinen Berührungen sehnte, wie umkehrt. Yamato stützte sich auf die Unterarme und schaute ihn an, fragte sich vielleicht, warum er aufgehört hatte. Er beugte sich vor und stahl noch einen Kuss bevor er den Kopf in Yamatos Schoß senkte, sodass dieser sich zurück auf die Matratze fallen ließ und ein wohliges Aufseufzen von sich gab. Unruhige Finger zerzausten sein Haar während er ihn tiefer in sich aufnahm und wieder freigab, ihn neckte, saugend, leckend, kreisend, alles versuchte, um ihm weitere lustvolle Laute zu entlocken. Jedes einzelne Keuchen verstärkte die Hitze in seinem eigenen Körper, machte es schwieriger, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er verlangsamte seine Bewegungen, wollte das Gefühl noch länger auskosten, erinnerte sich daran, wie frech und selbstgefällig Yamato sich bei Tageslicht präsentierte... jetzt lag er hier keuchend unter ihm. Ausgeliefert, verletzbar, berauschend. Unter das Keuchen mischte sich bald immer öfter auch ein raues Stöhnen, Yamato konnte nicht mehr still liegen, wand sich unter seinen Zärtlichkeiten. Ein salziger Geschmack legte sich auf seine Zunge. Tai ließ von ihm ab, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und stand kurz vom Bett auf, um seine Hose loszuwerden, in der es inzwischen unaushaltbar eng geworden war. Nun völlig nackt krabbelte er wieder aufs Bett zu Yamato, der sich – noch immer etwas außer Atem – aufgesetzt hatte und ihn misstrauisch beäugte. Tai verwickelte ihn in einen feuchten Kuss und drückte ihn dabei mit sanfter Gewalt nach hinten. Ohne ihr Zungenspiel zu unterbrechen, versuchte Yamato jedoch seinerseits, ihn umzuwerfen und auf den Rücken zu drehen, was innerhalb weniger Sekunden in eine handfeste Rangelei ausartete. Ihre nackten Körper prallten aufeinander, der Geruch von Sex klebte an ihnen, Fingernägel gruben sich in seinen Oberarm. Obwohl Tai sich als deutlich überlegen betrachtete, gelang es ihm nicht gleich, seinen Gegner zurück in die Kissen zu drücken und dort zu halten. Aber schließlich schaffte er es, seine Handgelenke zu fassen und mit einer Hand über seinem Kopf festzuhalten, sodass kurz Ruhe einkehrte. Sie hörten nicht auf, sich zu küssen, jetzt langsamer und intensiver als zuvor. In dem Glauben, dass der andere sich ergeben hatte, lockerte Tai den Griff. Sofort entfachte der Kampf von neuem. Yamato versuchte ihn auf die Seiten zu werfen, aber Tai grinste und trennte ihre Lippen, gewann noch schneller als zuvor die Oberhand, weil er sich nicht mehr ablenken ließ. Er spürte das Zittern in den Armen des anderen. Finstere Blicke durchbohrten ihn, als er sich hinunterbeugte, diesmal zu Yamatos Ohr. „Hast du etwa Angst? Ich meine, manchmal kann so ein Stich schon etwas wehtun...“, raunte er und spürte das Erschaudern als er seinen Hals küsste, sanft daran knabberte. „In der Schublade...“, sprach die raue Stimme. War das die offizielle Friedenserklärung? Nach einem kurzen Zögern ließ er seine Hände frei. Er beugte sich zu dem kleinen Schränkchen hinüber, zog die Schublade auf und angelte sich eins der Kondome, legte es neben sich aufs Laken, dann griff er nach der kleinen Tube und befeuchtete Zeige- und Mittelfinger großzügig mit dem kühlen Gel. Dann lehnte er sich wieder über Yamato, küsste ihn hitzig während seine Finger sich ihren Weg suchten, langsam in ihn hineinglitten. Geübt massierte er den Muskelring während er das Gel ausreichend verteilte und stellte sich vor, wie es sein würde, wenn... Yamato entfuhr ein Seufzen, als er seine Finger zurückzog. Eine neue Welle der Aufregung überlief ihn, als er wieder nach dem Kondom griff, es aufriss und überstreifte. Yamato beobachtete jede seiner Bewegungen. Der Ausdruck in seinen Augen war nicht zu deuten. Da war keine Spur von Angst zu erkennen. Warum auch, Yamato wirkte bei weitem nicht, als würde er das hier zum ersten Mal tun. Nein, es war dieser Blick, der sich anfühlte, als würde er in seine Gedanken sehen. Tai griff nach seinem Becken, hob es leicht an, um sich dann vor ihm zu positionieren. Die pure Aufregung pochte in seiner Brust. Vor ein paar Tagen mit Ethan war er nicht halb so angespannt gewesen. Aber da hatte er sich seine Position auch nicht erkämpfen müssen, Ethan hatte sich ihm willig unterworfen. Das hier hingegen war... spannend. Besonders. Unendlich langsam drang er in ihn ein. Heiße Enge begrüßte ihn. Yamato sog scharf die Luft ein und warf den Kopf zu Seite. Tai verharrte an Ort und Stelle, gab ihm Zeit, sich besser zu entspannen. Es war eine süße Folter. Vorsichtig beugte er sich zu ihm herunter, legte sich ganz auf ihn, die Arme neben ihm abstützend, ließ seine Zungenspitze über das Ohr tanzen. Ein raues Stöhnen kam aus Yamatos Kehle und sein Körper entspannte sich merklich unter ihm. Er versank tiefer in ihm, keuchte überrascht in Yamatos Ohr, als dieser sich ihm plötzlich von selber entgegen schob. Ein heftiges Kribbeln schoss durch seine Venen, wie eine Droge, brachte sein Blut zum Glühen. Das Gefühl verbreitete sich von seiner Körpermitte aus im ganzen Körper, kroch bis in die Fingerspitzen, bis in die Kopfhaut. Sekundenlang bewegte sich keiner von ihnen. Tai hörte nur Yamatos Atmen, spürte dieses Wahnsinnsgefühl, spürte die Hitze, das Pochen, die Anspannung. Dann zog er sich vorsichtig ein Stück aus ihm zurück, küsste seinen Hals, seinen Kiefer, sein Kinn, seine Lippen. Yamatos Hände wuselten durch sein Haar, streichelten seinen Nacken, seine Schultern, schienen brennende Spuren zu hinterlassen. Tai öffnete die Augen, um sein Gesicht zu sehen, während er sich langsam bewegte, sich fragte, wie lange er sich noch so im Griff halten konnte. Yamato schaute ihn an, der Ausdruck in seinen Augen leicht verändert, entspannter, erwartungsvoll, die Lippen einen kleinen Spalt geöffnet, unendlich sexy. Dann bildete sich ein Grinsen. „Es ist den Schmerz wert, finde ich.“ Tai grinste zurück. Und das Spiel begann. Yamatos Finger gruben sich in seinen Rücken. Schon nach den ersten Stößen glaubte er, unter diesem Gefühl zu zerreißen. Aber die Gier trieb ihn weiter, vor und zurück, immer wieder, erst langsam, dann immer schneller. Zwischen heißen Küssen blickten sie sich an, mit glühenden Gesichtern, diesen Ausdruck in den Augen, als befänden sie sich in einer anderen Welt. Es war unbeschreiblich. Aber es war noch nicht genug. Er wollte noch viel mehr. Und vor allem wollte er es hören. Ihn hören. Wollte hören, wie sich Yamatos Stimme überschlug. Er packte sein Becken, änderte den Winkel, versank noch tiefer in ihm, hatte sein Ziel gefunden, Yamato zitterte und schob sich ihm entgegen, krallte sich ins Laken. Noch ein paar tiefe Stöße. Oh Gott. Tai biss sich auf die Unterlippe, versuchte, seine eigene Erregung zurückzudrängen, um das hier länger genießen zu können. Yamato stöhnte seinen Namen. Tais Herz stolperte. Dieses Geräusch – das erotischste, das er jemals gehörte hatte - brannte sich in sein Gedächtnis, machte ihn schwindelig. Seine Gedanken verschwammen. Er wusste bald nicht mehr, wo sein Körper anfing, und wo Yamatos aufhörte und auch nicht, wie viel Zeit vergangen war, Stunden oder Tage, zu viel und nicht genug. Sie bewegten sich gemeinsam, im selben Rhythmus, während ihre Welt nur noch aus einem prickelnden Donnern und Rauschen bestand. Wie Sturm und Meer. Welle für Welle kamen die Klippen näher. Yamato warf den Kopf in den Nacken. Ein lautes Stöhnen, bebende Lippen, seine Beine umklammerten Tais Hüften, warme Flüssigkeit zwischen ihren überhitzten Körpern. Alles kribbelte in ihm. Er glaubte, nicht mehr genug Luft zu bekommen, stöhnte heiser. Sein Körper schien zu vibrieren. Verschwitzte Haut rieb aneinander. Gänsehaut. Verzweifelte Küsse. Es ging nicht mehr. Die nächste Welle überspülte ihn und riss ihn mit sich fort. Keuchend vergrub er sein Gesicht in Yamatos Halsbeuge. * Als er am nächsten Morgen aufwachte, ging gerade erst die Sonne auf. Verschlafen rieb er sich die Augen und blickte neben sich. Dann traf ihn der Blitz. Er unterdrückte ein Stöhnen und wischte sich übers Gesicht als die Erinnerung von letzter Nacht ihn einholte. Da lag er neben ihm, schlafend, das Haar zerzaust, mit einem so friedlichen Gesichtsausdruck... ... Er musste hier weg. Und zwar schnell. Vor allem aber leise. Verdammt er hatte nicht nur Regel Nummer Eins (kein zweites Mal) gebrochen, sondern war auch noch über Nacht geblieben. Ihm war wirklich nicht mehr zu helfen. Seine Beine fühlten sich schwach an, als er aufstand und ums Bett schlich. Seine Klamotten lagen auf dem Boden verteilt. Er schüttelte den Kopf und sammelte sie ein, während er sich bemühte, die Bilder aus seinem Kopf zu verdrängen. Leise schloss er die Tür hinter sich und huschte hinüber in das „richtige“ Zimmer, wo ihn Ryos Schnarchen begrüßte. Ein Glück. Er schlüpfte ins Bett und schloss die Augen. * Es war ein ziemlicher Scheißtag. Ryo war verkatert und zickig und er selber fühlte sich irgendwie leer. Sie saßen am Strand und schauten dem Meer zu. Die Wellen rollten lustlos auf den Strand zu, der Wind strich kühl über ihre Schultern. „Ich hatte mir den Abend einfach anders vorgestellt, weißt du? Es war ja auch alles ganz in Ordnung bis der Typ von nebenan aufgetaucht ist. Ich kann seine Art einfach nicht ab! Wie er mit Nadine geredet hat, total respektlos!“ „Dass er mir meinen Platz weggenommen hat, fandest du aber nicht so schlimm.“ „Was?“ „Nichts, schon gut.“ „Findest du etwa nicht, dass der Kerl sich unmöglich benommen hat?“ Ja, es war unmöglich, wie gut er ausgesehen hatte in dieser engen Hose... unmöglich, wie er ihn aus dem Zimmer gelockt und von der Stelle weg verführt hatte. Unmöglich, wie gut sich sein Körper angefühlt hatte. Unmöglich, wie scharf sich jedes einzelne Detail in sein Gedächtnis gebrannt hatte... „Der „Kerl“ heißt Yamato.“ „Mir doch egal. Meinetwegen kann er Brad Pitt heißen.“ Tai schmunzelte als er in Gedanken Yamato und Brad miteinander verglich. „Ich habe Nadine seit gestern nicht gesehen, Tai! Wenn sie mir die Sache übel nimmt dann-!“ Er brach ab und rieb sich den Kopf. „Du hörst dich an, wie ein verliebtes Schulmädchen, Ryo. Die Sache ist noch nichtmal einen Tag her. Außerdem hast du ja nicht mit ihr gestritten, sondern Yamato. Ich glaube nicht, dass sie auf dich böse ist. Und in deiner heutigen Verfassung würdest du sie doch sowieso lieber nicht treffen wollen, oder? Morgen meldet sie sich bestimmt bei dir.“ Ryo seufzte und nickte. „Wahrscheinlich hast du Recht, danke.“ * Am Abend saß Tai eine ganze Stunde lang auf ihrem Balkon und beobachtete das Meer und den Himmel, das Gewusel am Strand und vor dem Hotel, und fragte sich, was mit ihm los war. Er hatte keinen Kater. Es war eher... Lustlosigkeit, Unzufriedenheit, das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Das schlechte Gewissen wegen des Two-Night-Stands? Er blickte zu dem leeren Balkon nebenan. Er hatte Yamato den ganzen Tag nicht gesehen. Nicht im Flur, nicht im Restaurant, nicht hier. ... Gut so. Das Thema war ein für alle Mal vorbei. Die Gedanken an ihn verwirrten ihn nur. Er versuchte, an zu Hause zu denken, an seine Heimkehr, an das bevorstehende Trainingscamp, alles Dinge, auf die er sich eigentlich freute. Aber über alldem hing ein grauer Schleier. Er blickte nochmal hinüber. Der Balkon blieb leer. * Am nächsten Morgen war Ryo nicht mehr verkatert und auch nicht mehr zickig, dafür aber ungeduldig und nervös. Den ganzen Morgen redete er von Nadine, ob sie sich melden würde, ob er sich melden sollte, was er tun sollte, ob er ihr ein Geschenk kaufen sollte, irgendwann hörte Tai nicht mehr richtig hin. Er fühlte sich heute etwas besser, das Meer sah auch nicht mehr ganz so grau aus. „Ryo, am besten wir unternehmen irgendwas, was dich ablenkt. Du machst mich noch völlig wahnsinnig“, sagte er und betrachtete eine der großen Anschlagtafeln im Foyer. Sie kamen gerade vom Frühstück. „Entschuldige. Aber was denn? … Und es darf nicht zu lange dauern, falls Nadine mich heute noch treffen will.“ Tai rollte mit den Augen. „Wie wär's hiermit: Eine Führung durch die historischen Stadtteile, abseits der üblichen Touristenviertel, das echte Leben und die echte Kultur kennenlernen. Na wie klingt das?“ Zugegeben, er fand es selber nicht allzu spannend, was da stand. Aber er hatte das nicht nur für Ryo vorgeschlagen, sondern auch, weil er das Gefühl hatte, mal etwas anderes sehen zu müssen. Ryo wippte mit dem Kopf hin und her. „Meinetwegen.“ * Als er „das echte Leben und die echte Kultur kennenlernen“ gelesen hatte, hatte er sich darunter etwas anderes vorgestellt. Sicherlich gab es die obligatorischen historischen Bauten, Statuen, Gärten, aber was es vor allem zu geben schien, war Armut. Es war ihm fast schon ein bisschen peinlich mit seinen teuren Turnschuhen und der Sonnenbrille hier entlang zu spazieren, während dürre alte Menschen vor ihren Behausungen saßen und nähten oder Krüge schleppten. Kinder in verschlissener Kleidung spielten auf den Wegen, mit Stöckern und Steinen, aber sie lachten. Es war eine Parallelwelt direkt neben der Welt voller protziger Hotels und 4-Sterne-Restaurants. Die Gruppe zerstreute sich für eine kurze Pause, Erkundung auf eigene Faust für ein paar Minuten war angesagt. Ryo blickte sich unschlüssig um. Wahrscheinlich fürchtete er, sich zu verlaufen, die Gruppe zu verlieren, hier allein zurückgelassen zu werden und des Rest seines Lebens hier verbringen zu müssen. „Kommst du?“ Heftiges Kopfschütteln. „Ich bleibe lieber hier in der Nähe.“ Er zückte sein Handy. „Sieht hier sowieso überall gleich aus.“ Klick. „Wie du meinst.“ Tai folgte der Empfehlung ihres Gruppenführers und schlug den Weg Richtung des kleinen Markplatzes ein, an dem sie vorhin kurz vorbeigekommen waren. Vielleicht fand er ja ein kleines Souvenir, das nicht so 08/15 war, wie der Kram, den Läden nahe des Hotels gab. Die Orientierung war gar kein Problem, schnell hatte er den Platz gefunden. Einige der Stände sahen aus, als würden sie gleich einstürzten, aber das machte auch irgendwie ihren Charme aus. Die Händler priesen ihre Waren in einer Sprache an, die er nicht verstand. Er drehte eine Runde um den Platz, betrachtete alle Auslagen – Schnitzereien, Tücher, Schmuck, Krüge, viel bunter Kleinkram. Keine Massenware, alles Einzelstücke. Es gab hier kein so großes Gedränge, wie er es aus der Strandstraße gewohnt war. Hier waren fast keine Touristen, stattdessen huschten immer wieder Kinder an ihm vorbei. Er sah auf die Uhr. Langsam Zeit, zurückzugehen. Er hatte die Runde sowieso fast beendet. Ein Mädchen rannte genau gegen sein Knie, quiekte, taumelte zurück, rannte weiter. Viele folgten ihr. Sie alle peilten die Seitenstraße an, auf die er gerade zu lief. Nun doch etwas neugierig beschleunigte er seine Schritte und blickte in die Gasse, an deren Ende ein alter, ausgetrockneter Brunnen stand, um den sich bereits etwa zwei Dutzend Kinder versammelt hatten. Dann hörte er Musik. Gitarrenklänge. Und Gesang. Er ging zwei Schritte näher heran, blieb an eine Hauswand gelehnt stehen. Da saß ein junger Mann auf dem Rand des Brunnens und spielte. Sein Herz klopfte auf einmal schneller. Es dauerte mehrere Augenblicke, bis Tai wirklich realisierte, dass es sich um Yamato handelte. Perplex blinzelnd beobachtete er die Szene. Einige Kinder saßen verträumt drein blickend auf dem Boden vor ihm und wiegten ihre Köpfe hin und her, andere standen neben ihm auf dem Brunnenrand und tanzten, manche versuchten, mitzusingen. Aber sie alle schienen die Musik zu genießen. Es war so seltsam, so unerwartet, Yamato auf diese Weise wiederzusehen. Intuitiv schob sich Tai an der Hauswand entlang zurück Richtung Marktplatz. Es war, als müsste er plötzlich flüchten, weglaufen. Warum? Er wusste es nicht. Yamato schenkte ihm sowieso keinen Blick, schien unendlich vertieft in sein Gitarrenspiel. Es klang nach Harmonie und Hoffnung, seine Stimme weich und warm. Den Text konnte er von hier nicht verstehen, aber es spielte auch keine Rolle. „Das echte Leben“, ging es Tai wieder durch den Kopf. War das Yamatos echtes Leben? Sein echter Charakter? Der furchtlose Klippenspringer mit den provozierenden Sprüchen, der hartnäckige Verführer, der heiße Liebhaber – jetzt auch noch ein guter Mensch? Was davon war er wirklich? Konnte er all das gleichzeitig sein? Und was ging es ihn noch an?! Er machte sich zu viele Gedanken um ihn - einen Fremden, auf den er zugegebenermaßen scharf gewesen war. Sie waren einmal im Bett gewesen, nicht mehr und nicht weniger. Aus den Augen aus dem Sinn. Aber das funktionierte in diesem Fall irgendwie nicht. Er würde ihn wohl zwangsläufig noch mehrmals sehen bevor sie abreisten. Es war eine schlechte Entscheidung gewesen, sich ausgerechnet auf den Nachbarn einzulassen... zwei Mal. Aber er hatte ja nicht auf sich hören wollen... Tai seufzte und trat nun wirklich den Rückweg an. Kapitel 7: Abschied ------------------- Tai schob das melancholische Gefühl in seinem Bauch darauf, dass ihr Urlaub sich zusehends dem Ende neigte. Zehn Tage waren so schnell vergangen. Ryo hatte gestern Abend tatsächlich noch seine Wiedervereinigung mit Nadine gefeiert und war erst spät nachts überglücklich von ihr zurückgekehrt, als Tai schon im Bett gelegen hatte – schlaflos. Um vier Uhr hatte Tai beschlossen, dass es sinnlos war, sich weiter im Bett hin und her zu drehen, hatte sich angezogen und war losgelaufen. Die Treppen hinunter ins Foyer, raus aus dem Hotel, dann runter zum Strand. Die Wellen rauschten versöhnlich und umspülten seine nackten Füße. Bei jedem Schritt sank er einige Zentimeter in den nassen Sand ein. Eine kühle Brise strich über sein erhitztes Gesicht. Er rannte und es fühlte sich gut an. Das Blauschwarz des Himmels wechselte langsam zu einem Violett, als er an der Klippe ankam, die den Weg versperrte, und wieder umdrehte. Es war die Klippe, auf deren anderer Seite sich die kleine Höhle befand. Er wollte nicht daran denken, aber die Gedanken drängten sich ihm auf, wie schon so oft in letzter Zeit. Er kniff die Augen zusammen, ballte die Hände zu Fäusten und trieb sich zu einem schnelleren Tempo an. Er sprintete so schnell er konnte, bis sein Herz so hart gegen seinen Brustkorb trommelte, dass es schmerzte und seine Zehen vom Reiben der Sandkörner brannten. * „Du kannst das Training wohl nicht mehr erwarten“, kommentierte Ryo seine Aktion später beim Frühstück im Hotelrestaurant. Tai nickte. Er nickte, weil es so sein sollte. Nachdenklich stützte er den Kopf auf. „Wieso isst du nichts? Machst du jetzt auch noch Diät?“ „Nein.“ Er seufzte und warf seinem Essen einen lustlosen Blick zu. „Ich hab' bloß keinen Hunger.“ Ryo legte sein Besteck aus der Hand und musterte ihn genauer. „Du bist einen halben Marathon gelaufen und hast keinen Hunger. Du wirst doch nicht krank, oder?“ Tai antwortete nicht. Er fühlte sich völlig gesund... nur... In dem Moment betrat Yamato das Restaurant. Ryo fing Tais Blick auf und sah ebenfalls zur Tür. „Der schon wieder“, brummte er. Tai griff entschlossen nach seinem Sandwich und nahm einen großen Bissen während er seinen Teller anstarrte. „Geht doch“, freute sich Ryo und setzte ebenfalls seine Mahlzeit fort. Aus dem Augenwinkel sah Tai, wie eine junge blonde Frau Yamato folgte und sich mit ihm an einen Tisch setzte. Er kam nicht umhin, immer wieder Blicke nach dort drüben zu werfen. Die beiden unterhielten sich angeregt, lächelten sich gegenseitig an, die Frau legte ihre Hand auf Yamatos. Augenblicklich bereute Tai, etwas gegessen zu haben. Übelkeit schnürte ihm den Hals zu. Er griff nach seinem Wasser und schüttete es hinunter. * Als sie am Nachmittag erstmals die Grand Blue Sauna besuchten, hatte sich seine Laune nicht wirklich gebessert. Die Übelkeit war geblieben und Ryos Nachfragen machten es nicht besser. „Du machst mir langsam echt Sorgen, Tai. Jetzt rück endlich mit der Sprache raus, was ist los?“ Tai legte die Beine hoch und lehnte sich gegen die Wand. „Ich weiß es nicht.“ „Was ist vorgestern Nacht noch passiert?“ Tai zuckte zusammen. „Woher willst du wissen, dass es was mit vorgestern Nacht zu tun hat?“ Shit, seine überschnelle Reaktion war wohl ein wenig verdächtig gewesen. „Na bis zum Abend warst du ganz normal.. naja zumindest soweit ich mich noch daran erinnern kann... und seit gestern früh bist du so komisch, abwesend irgendwie und siehst unzufrieden aus. Hat es was mit dem Kerl-“ - „Yamato!“ - „-zu tun? Als er vorhin reinkam hast du ihn kaum aus den Augen gelassen und -“ Er stoppte. „Mooooment. Hast du mit ihm...?“ „Das willst du doch gar nicht wirklich wissen.“ „Wenn es der Grund für deine schlechte Laune ist, will ich es auf jeden Fall wissen!“ „Es ist bestimmt nicht der Grund.“ „Hat er dir irgendwas getan? Dieser-“ „Hat er nicht. Beruhig dich wieder, okay? Es ist nicht seine Schuld... ich bin mein Problem. Niemand sonst.“ Eine Minute schwiegen sie. Tai konnte förmlich hören, wie es in Ryos Kopf ratterte. Er kratzte sich Sherlock-Holmes-mäßig das Kinn. „Ich glaube, du magst ihn.“ Tai schüttelte den Kopf. „Dann versuch's nochmal.“ „Nein. Lass dir das von jemandem sagen, der frisch verliebt ist. Du magst ihn.“ Tai verschränkte die Arme und bedachte Ryo mit einem zweifelnden Blick. „Okay pass auf: Du starrst ihn an, sobald er in der Nähe ist. Du hast keinen Appetit. Du nimmst ihn in Schutz.“ Er beantwortete Sherlocks Ausführungen mit einem Schulterzucken. Mochte ja von außen betrachtet stimmen... aber deswegen war er noch lange nicht... „Klingt ja alles super Ryo. Aber ich erinnere mich schwach daran, dass Verliebtsein ein gutes Gefühl ist. Grinse ich den ganzen Tag? Rede ich von früh bis spät über Yamato? Nein. Deine These kann also nicht stimmen.“ „Jetzt machst du es dir aber zu einfach Kumpel. Diese Sache hat mehrere Seiten. Glaub mir, du magst ihn. Du solltest mit ihm darüber reden... was auch immer passiert ist. Du willst es mir ja nicht erzählen.“ „Und wenn du es noch drei Mal sagst wird es davon nicht wahrer.“ „Ich wusste gar nicht, dass du so trotzig sein kannst. Ich dachte immer, das wäre mein Part.“ * Am Abend stand Tai wieder auf dem Balkon. Er hatte den ganzen Nachmittag über Ryos Ratschlag nachgedacht. Seufzend musste er sich eingestehen, dass er in dem Punkt Recht hatte: Yamato ließ ihn nicht los. Er beschäftigte ihn. Seine Anwesenheit löste etwas in ihm aus. Aber das was zwischen ihm und Yamato war, war nicht das Gleiche wie mit Ryo und Nadine. Er lief nicht auf Wolken. Er kämpfte gegen Wellen und Sturm. So kam er sich jedenfalls vor. Die Wellen waren seine Prinzipien. Er wusste, dass Urlaubsflirts und Bettgeschichten – und vor allem Mischungen aus beidem – so ziemlich die schlechteste Basis für jede Art von Beziehung waren. Und er wusste, dass es Blödsinn war, sich emotional an jemanden zu hängen, den er zwei Tage kannte und den er in seinem Leben wohl niemals wiedersehen würde. Bei dem Gedanken fühlte sich sein Körper bleiern an. Er wusste im Grunde gar nichts über Yamato, nicht seinen Nachnamen, nicht wo er lebte, warum er für arme Kinder Gitarre spielte und nicht, wer die hübsche Frau war, mit der er sich so vertraut unterhalten hatte. Er seufzte. Er wollte es gerne leugnen, aber es war so: Er hatte Yamato schon zu nahe an sich herangelassen. Er hätte es bei dem schnellen Abenteuer belassen sollen. Zu spät. Aber es war vielleicht nichtmal nur die sexuelle Anziehung. Es war zum Teil auch dieses Mysterium, das er darstellte. Yamato schien mehr als ein Geheimnis zu haben. Er war... aufregend. Wenn sie sich zwei Jahre früher und unter anderen Umständen kennengelernt hätten... aber solche Gedankenspiele halfen ihm jetzt auch nicht weiter. Auch wenn Yamato Japaner war, hieß das nicht, dass diese Sache jemals eine Zukunft haben konnte. Vielleicht lebte er im Ausland, war verheiratet und hatte drei Kinder. Wenn er nach Japan zurückkehrte, würde er direkt ins Trainingscamp gehen und ein paar Wochen nichts anderes tun, als trainieren, essen und schlafen. Er hatte eigentlich gar keine Zeit für Dates oder sowas. Abgesehen davon, dass der Blonde wohl ohnehin nicht von den selben Gefühlen geplagt wurde, wie er. Er hatte aufgehört ihn anzustarren. Ja, sie hatten irgendwie die Rollen getauscht. Die blauen Augen folgten ihm nicht mehr, hatten wahrscheinlich gesehen, was sie sehen wollten. Yamato war weitergezogen. Und er sollte das Gleiche tun. * Hikari roch nach Vanille als er sie umarmte. Der Schleier raschelte. „Ich freue mich für euch.“ Sie war die schönste Braut, die er je gesehen hatte. Erwachsen, eine Frau, verheiratet mit ihrem Traummann, dem der Smoking stand wie angegossen, ein perfektes Foto fürs Familienalbum. „Ich freue mich, dass du da bist! Ich habe es mir so sehr gewünscht!“ Sie lächelte aus tiefster Seele. „Ich habe den Trainer angefleht, herkommen zu dürfen. Aber ich kann auch nicht allzu lange bleiben.“ „Egal, du bist hier, das ist alles was zählt!“ Er nickte, lächelte. „Und jetzt ein Foto mit der Familie der Braut!“, rief der Fotograf und Kari zog ihn zu der Treppe, auf der sich Familie Yagami gerade aufstellte. „Es ist schade, dass du niemanden mitgebracht hast.“ „Den Trainer vielleicht?“ Er grinste. „Ach Tai, vergiss doch mal eine Sekunde den Fußball. Nein, einen Freund vielleicht.“ „Tja da muss ich dich leider enttäuschen.“ „Schade, und ich hatte gehofft, als nächstes lädst du mich zu deiner Hochzeit ein.“ Er lachte. „Weißt du noch, damals? Du hast immer gesagt, du willst in einem großen Apartment wohnen, mit deiner eigenen kleinen Familie und vielleicht eine Kindermannschaft trainieren.“ „Naja, so ist es doch auch fast.“ „Scherzkeks. Wirklich Tai, ich wünsche dir, dass du jemanden findest, der dich so glücklich macht, wie du es verdienst. Du hast den Fußball immer geliebt. Aber ich weiß, dass du mehr als das bist, ich kenne dich lange genug.“ Jemand forderte Hikari zum Tanzen auf. Sie lächelte entschuldigend und verschwand. Nachdenklich sah er zu, wie sie über die Tanzfläche wirbelte. * „Ich bin zu Hause!“ Es brannte Licht und der Geruch von gebratenem Fisch stieg ihm in die Nase. Er stellte seine Sporttasche in den Flur und pirschte sich ins Wohnzimmer. Aber niemand war da. Stirnrunzelnd ging er bis in die Mitte des Raums, blickte sich um. Plötzlich schlangen sich zwei Arme um ihn und jemand drückte sich an ihn. Er lächelte, drehte sich um und begrüßte seinen Freund. „Wie war das Training?“ Er drückte ihm einen Kuss auf den Mund. „Super. Und super anstrengend.“ „Dann musst du dich jetzt unbedingt entspannen, schätze ich. Ich helfe dir gerne dabei.“ Yamato begann, sein Hemd aufzuknöpfen. * „Herr Yagami! Wie fühlt man sich als Fußballer des Jahres?“ „Es ist eine große Ehre für mich. Aber jeder andere Spieler in dieser Mannschaft hätte es mindestens genauso verdient.“ „Sie sind zu bescheiden! Ihr Siegtor war einfach grandios! Sie sind „der perfekte Spieler“ - das sagen Ihr Trainer und Ihre Teamkameraden über Sie. Es muss also etwas daran sein!“ „Nein, es wäre mir alleine niemals möglich gewesen, das zu schaffen. Wenn dir niemand den Ball zuspielt, kannst du auch nicht aufs Tor schießen. Niemand kann alleine 'perfekt' sein. Das ist jedenfalls meine Überzeugung.“ * Er streckte sich. Hatte er es tatsächlich doch noch geschafft einzuschlafen. Mal wieder hatte er stundenlang wach gelegen, sich von blauen Augen beobachtet gefühlt, die gar nicht da waren. Und dann dieser merkwürdige Traum, von dem er nur noch Bruchstücke vor sich sah. Hikaris Hochzeit. Gar nicht so unwahrscheinlich dieses Szenario. Zurückgeblieben war das unangenehme Gefühl, etwas verpasst zu haben, eine Chance nicht wahrgenommen zu haben. Er wusste, was sein Unterbewusstsein ihm damit sagen wollte. Er seufzte. Ob er jemals wieder vernünftig würde schlafen können? Er würde heute etwas dagegen unternehmen. Er würde mit Yamato reden. Er duschte, zog sich an, stapfte durch den Flur und klopfte an die Tür. Erwartungsvoll und etwas nervös lauschte er. Nichts bewegte sich. Ein unschöner Gedanke beschlich ihn. Was wenn Yamato längst abgereist war? Das durfte nicht sein. Er rannte los. * Es war eine unendliche Erleichterung, Yamato zu sehen. Er saß auf einem flachen Felsen auf der Klippe und schien das Meer zu betrachten. Langsam kam Taichi näher, versuchte, die Gedanken in seinem Kopf zu ordnen. Er hatte eigentlich den ganzen Weg hierher darüber nachgedacht, was er sagen sollte. Es war so schwierig, das in Worte zu fassen, was ihn beschäftigte. Aber jetzt schien es klarer zu werden. Yamato hatte ihn bemerkt, wandte sich ihm zu. Die blauen Augen sahen ihn mit dezenter Verwunderung an. „Was treibt dich her, Taichi?“ Tai spürte, dass er lächelte, als er seinen Namen hörte. „Ich will mit dir reden.“ Da war keine Überraschung in Yamatos Blick als er aufstand, sodass sie sich nun auf Augenhöhe unterhalten konnten. Ein kühler Wind umwehte sie. Tai biss sich auf die Unterlippe. „Wir reisen übermorgen ab“, begann er. „Oh wir hätten also noch genug Zeit für...“ „Nein, das meine ich nicht!“, unterbrach Tai den Flirtversuch. Er fuhr sich nervös durchs Haar. Die blauen Augen sahen ihn ruhig an. „Ich... wünschte ich könnte bleiben, um dich besser kennenzulernen. Verstehst du, ich...“ „Das würde nichts bringen.“ Tai sah auf. „Ich reise Morgen früh ab.“ Etwas schien schwer an seinem Herzen zu ziehen. Als hätte jemand einen Stein daran gehängt. Er öffnete den Mund. „Ich mag dich, Tai.“ Die vier Worte ließen ihn große Augen machen. „Weil du mich nicht kennst.“ „Wie meinst du das?“ Yamato lächelte ein Lächeln, das Tai jetzt zum ersten Mal bei ihm sah und das ihm durch Mark und Bein ging. Eine gewisse Traurigkeit, nein Resignation, lag darin. „Es ist schwierig. Ein Urlaubsflirt ist eine Sache, Tai. Aber eine Beziehung im realen Leben ist etwas ganz anderes. Besser, wie belassen es dabei.“ „Nein!“, hörte er sich überraschend laut sagen. „Ich will... ich will nicht, dass es hier endet. Ich wollte das nicht, aber... du gefällst mir. Mehr als gesund für mich ist.“ Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt. „Ich bin keine fünfzehn mehr Yamato... ich bilde mir nicht ein, dass wir jetzt ein glückliches Pärchen werden, zusammenziehen und heiraten, aber... ich kann das nicht einfach abschütteln. Verdammt, ich... ich denke seit Tagen darüber nach und-“ Yamato griff nach seinem Kinn, zog ihn zu sich heran. Ihr Kuss schmeckte nach Abschied. Nach Endgültigkeit. Ein bitterer Kloß blockierte Tais Hals, machte ihm das Atmen plötzlich so schwer. Viel zu schnell ließ Yamato ihn los, wandte sich von ihm ab und blickte wieder Richtung Meer. „Danke Tai... Mach's gut.“ Seine Stimme klang ungewohnt ernst. Damit rannte er los. Rannte auf den Rand der Klippe zu. Tai sah nur noch den Wolf aufblitzen. 'Warte!' lag auf seiner Zunge, aber es kam nicht heraus. Yamato war längst verschwunden. Gesprungen. Er blieb zurück. Geschockt von dem abrupten Ende ihres Gesprächs. Geschockt von Yamatos Worten. Geschockt von den Gefühlen, die ihn durchfluteten. Seine Hände zitterten. Er starrte auf das Ende der Klippe. Ich mag dich, Tai. Verdammt! Er kniff die Augen zusammen. Manchmal muss man einfach springen... Er holte tief Luft. Sein Körper bewegte sich ganz von alleine. Er machte zwei Schritte rückwärts und dann... dann sprintete er los, zum zweiten Mal an diesem Tag. Rannte auf den Abgrund zu, auf die Sonne, auf das Meer. Panik schrie in ihm auf, aber sie blieb ungehört. Seine Füße lösten sich von dem felsigen Untergrund. Er sprang. Sein Magen kribbelte panisch. Das Wasser kam immer näher. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Er tauchte ein. Atemlos. Sein ausgesetzter Verstand teilte ihm mit, dass er vollkommen verrückt sein musste. Sein Herz schlug wie wild. Kaltes Wasser umhüllte ihn. Er paddelte, tauchte auf, schnappte Luft, wischte sich das Wasser aus den Augen und die nassen Haare aus dem Gesicht, blickte sich hektisch um. Nur noch ein Gedanke in seinem Kopf: Wo war Yamato hin? Er konnte doch noch nicht weg sein, oder? Hatte er zu lange gezögert? Hatte er seine Chance vertan? Er schlug mit der Faust ins Wasser. Plötzlich schlangen sich zwei Arme um ihn. Sein Herz setzte einen Schlag aus, um dann noch schneller zu rasen. Er drehte sich in der Umarmung um. Blaue Augen blickten ihn an. „Es scheint, dass ich dich auch nicht wirklich kenne, Taichi.“ Ein Grinsen begleitete die Worte. „Lass uns das ausmerzen“, raunte er. * Tai joggte die Treppen hinunter. Inzwischen hatte er die Marmortreppen und Inselaquarelle lieb gewonnen. Seine Schritte hallten traurig durch den Gang. Er holte den Schlüssel aus seiner Hosentasche, den er gleich zurückgeben musste. Eine einfache Geste, aber für ihn markierte sie mehr, als das Verlassen des Grand Blue. Es fühlte sich an, wie eine Niederlage, als hätte er ein wichtiges Spiel verloren. Seine Füße waren schwerer als sonst. Was war schief gegangen? Seufzend erinnerte er sich an die Küsse im Wasser, ihren Abschied am Strand. Auf einmal hatte alles so hoffnungsvoll gewirkt, als könnten sie den nächsten Schritt doch noch machen. Aber dann hatte Yamato ihn doch zurückgelassen, ohne einen Namen, ohne eine Adresse, hatte ihm den Rücken zugedreht und war einfach abgehauen. Tai hatte nur hinterherstarren können, den im Sonnenlicht leuchtenden Wolf betrachtend. Sein Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken. Jetzt hatte er den Beweis, dass das alles ein Fehler gewesen war. Ein Fehler, so nah auf Yamato zuzugehen. Er war gesprungen, aber es hatte nicht gereicht, um das Hindernis zu überwinden. Nur schöne Worte. Die Frau am Empfang lächelte so freundlich wie am ersten Tag. Der erste Tag... war es wirklich schon knapp zwei Wochen her, seit er Yamato das erste Mal auf dem Balkon gesehen hatte? Es war nun wirklich an der Zeit, diese Erinnerungen zu verbannen. Er warf einen Blick zu den riesigen Pforten des Foyers. Ryo stand schon draußen und schoss noch Fotos mit seinem Handy. „Hatten Sie einen angenehmen Aufenthalt?“ So richtig sicher war er sich seiner Antwort nicht. „Ja, vielen Dank.“ Er legte den Schlüssel auf den Tresen und wollte weitergehen. „Auf Wiedersehen.“ „Warten Sie, ich habe hier noch etwas für Sie!“ Er seufzte. Sollte er jetzt noch einen Werbeflyer mitnehmen? Höflich wartete er, während die Dame etwas aus einem Fach hervorholte. „Das hat ein anderer Gast für Sie abgegeben. Herr Ishida aus Zimmer 1469.“ Der letzte Satz schlug wie ein Blitz in ihn ein. Mit vor Überraschung geweiteten Augen starrte er die junge Frau an und musste dabei total bescheuert aussehen. Sie hielt ihm einen Umschlag hin, den er erst einige Sekunden lang ungläubig anglotzte, bevor er ihn ihr beinahe ehrfürchtig abnahm. Sein Herz schlug wieder. Er wagte es kaum zu glauben. Er sah die Frau nochmal kurz an, lächelte, und versuchte (mit mäßigem Erfolg), dabei nicht wie ein verknallter Teenager auszusehen. * Eine Stunde nach dem Start war Ryo neben ihm endlich eingeschlafen. Tai hielt die Anspannung kaum noch aus. Er konnte einfach nicht mehr warten, bis er zu Hause sein würde. Er musste endlich den Umschlag öffnen. Aber er wollte dabei auch nicht von Ryos neugierigen Blicken verfolgt werden. Nur für den Fall... Vorsichtig zog er den Umschlag aus der Innentasche seiner Jacke und öffnete ihn. Es war fast, wie Geburtstagsgeschenke auspacken. Sein Herz pochte euphorisch. Er runzelte die Stirn. Ein Foto... nein... eine Autogrammkarte? Im Ernst? Yamato war darauf zu sehen, wie er mit dem Rücken zur Kamera stand und einen Blick über die Schulter warf. In schwarzer, lässiger Handschrift stand dort „Für Tai, meinen Beinahe-Lebensretter“. Kopfschüttelnd betrachtete er das Bild. Der Typ hatte tatsächlich Autogrammkarten von sich. Wie selbstverliebt musste man sein, um... Sein Blick fiel auf die kleinere Schrift ganz unten am Rand. Da stand „Yamato 'Matt' Ishida – Teenage Wolves, 2013, Tokyo Records“. Teenage Wolves. Teenage... Je öfter er die Worte las, umso stärker wurde das Gefühl, dass er das schon mal gehört hatte. Plötzlich machte es Klick. Kari! Teenage Wolves! Du darfst mich Yamato nennen... Ich bin Künstler. Sozusagen... Ungläubig blickte er die Autogrammkarte an und sortierte seine frisch erworbenen Informationen. Yamato. Matt. Ishida. Die blauen Augen, die ihm den Verstand geraubt hatten. Er war ein Star. Ein Rockstar. Ein Promi. Auf einmal passte das Bild viel besser zusammen. Sein seltsames Verhalten. Seine Worte. Sämtliche Gespräche, die sie geführt hatten, spulten sich in seinem Kopf ab. Mundharmonika. Salsa. Gitarre. Der Textschnipsel. Ein Songtext? ...Weil du mich nicht kennst. Es ist schwierig. Er drehte die Karte um. Auf der Rückseite stand noch mehr. Eine Handynummer... und ein kurzer Text. Tai, da du keine Angst vor Hindernissen hast, melde dich bei mir, lern mich kennen, und wenn du dann immer noch keine Angst hast reden wir nochmal übers Heiraten. Tai grinste breit. Selbst schriftlich schaffte Yamato es noch, ihn zu verspotten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)