Outlaw von Pretty_Crazy (... die Macht der Machtlosen (NaruHina)) ================================================================================ Kapitel 12: Die alte Heimat --------------------------- Ein paar Wochen später im Herbst 1866 Sorgfältig verstaut Sasuke wenige Dinge in einer Tasche und ist krampfhaft darum bemüht, bloß keinen unnötigen Lärm zu machen. Bei jeder knarrenden Diele unter seinen Füßen verkrampft er sich und erstarrt für ein paar Augenblicke zu einer Salzsäule, während er in die Stille hinein lauscht. Es ist tiefste Nacht und er hat Stunden darauf gewartet, bis wirklich jeder in seinem Bett gelegen und die Nachtruhe mit offenen Armen empfangen hat. Es ist die reinste Tortur gewesen, über eine gefühlte Ewigkeit hinweg selbst so zu tun, als würde er schlafen. Er weiß nicht wie lange es dauerte bis er endlich die ruhige und gleichmäßige Atmung seiner Frau vernehmen konnte, doch für ihn war es das Startsignal zum Aufbruch. Überprüfend blickt der Familienvater sich um, ob er auch wirklich nichts vergessen hat und schleicht schließlich zur Haustür. Betont langsam öffnet er die schlichte Holztür, tritt rasch ins Freie und zieht sie hinter sich wieder zurück in das Schloss, bedacht darauf bloß nicht zu fest zu ziehen und nachdem er das geschafft hat, lauscht er wieder für einen kurzen Moment, nur um im Anschluss erleichtert auszuatmen. „Wo willst du hin?“ Erschrocken und nur mit Mühe einen Aufschrei unterdrücken könnend, wirbelt Sasuke herum, als ihm der Schreck in alle Glieder fährt. Er braucht einen Moment, bis er erkennt wer da an dem Geländer der Veranda lehnt und seinen fein zurecht gelegten Plan durcheinanderwirbelt. Es ist Hanzo, der ernst die Arme vor der Brust verschränkt hat und rücklings, halb stehend und halbsitzend an dem Geländer wartet und irgendwie hat Sasuke den Eindruck, als wenn der Indianersprössling auf ihn gewartet hat. Der Familienvater räuspert sich kurz und schultert die Tasche, während er gedanklich nach irgendei-ner plausibel klingenden Erklärung sucht. Mitten in der Nacht ist diese äußert schwer zu finden und bevor er anfängt herum zu stammeln, wie ein verschüchterter Bursche, der bei einem Ladendiebstahl erwischt wurde, spart er sich lieber jedes Wort und lässt stattdessen ein ergebenes Seufzen ertönen ehe er die wenigen Stufen der Veranda herabsteigen will. Hanzo hindert ihn an diesem Unterfangen, indem er sich ihm direkt in den Weg stellt. Die Beiden starren sich einander direkt in die Augen, bis Sasuke leicht mit dem Kopf schüttelt. „Das verstehst du nicht Hanzo.“ „Was soll ich nicht verstehen? Dass du irgendetwas Kriminelles geplant hast? Was hast du vor? Eine Postkutsche überfallen? Die Bank in der Stadt leerräumen? Es steht dir förmlich ins Gesicht geschrieben. Wie kommst du auf solch eine Idee?“ „Ich sag doch: Du verstehst es nicht!“ Energisch schiebt Sasuke den jungen Indianer zur Seite, der es körperlich locker mit dem Familienvater aufnehmen kann. Hanzo ist eine Fingerbreite größer als sein Ziehvater, äußert kräftig und agil, weswegen sich dieser auch nicht einfach so vertreiben lässt. Erbost und felsenfest entschlossen Sasuke vor einem dummen und großen Fehler zu bewahren, schließt der Halbstarke wieder zu ihm auf. „Ich verstehe sehr wohl. Die Ernte war mies. Wir haben kein Geld übrig und nicht genug Lebensmittel. Du hast Angst, dass wir nicht durch den Winter kommen, du dich hoch verschuldest und am Ende Haus und Hof verlierst. Also unterstelle mich keine Unwissenheit.“ „Ich habe keine Angst. Ich tue das für meine Familie.“ „Ach ja? Glaubst du sie würden Loblieder auf dich singen, wenn du am Galgen baumelst? Du lässt sie im Stich, wenn du diese unkalkulierbare Gefahr auf dich nimmst.“ Entschlossen dreht sich Sasuke zu seinem Ziehsohn um und schubst diesen kraftvoll zurück, so dass Hanzo für einen Moment um sein Gleichgewicht kämpfen muss. Mahnend deutet der Familienvater mit seinem Zeigefinger auf ihn. „Misch dich nicht in Angelegenheit ein, die dich nichts angehen.“ „Das geht mich etwas an. Um deiner Tochter willen und du hast meinem Vater dein Wort gegeben, dass du auf uns Acht gibst.“ „Und genau das tue ich. Ich lasse mich nicht von dir aufhalten.“ „Und ich werde dich nicht gehen lassen.“ Wenige Zeit später „Um Himmels Willen, was macht ihr denn?!“ Hastig stürmen Sakura und Hana nach draußen, die durch lautes Poltern und Gebrüll aus ihrem Schlaf gerissen wurden und in der Dunkelheit nur schwach die Umrisse von zwei Personen erkennen konnten, die aufeinander losgehen und nun müssen sie schockiert feststellen, dass es sich dabei um Hanzo und Sasuke handelt, die aufeinander ein prügeln und sich bereits einige blutige Verletzungen zugezogen haben. Sie zerren brutal aneinander, schlagen und treten mit aller Kraft, dass allein schon das Zuschauen genügt, um es selbst als schmerzhaft zu empfinden. Nur bekleidet mit ihren Nachthemden eilen die Frauen des Hauses auf ihre Männer zu „Hört auf. Was ist in euch gefahren?“ Verzweifelt versucht Sakura zwischen die Kämpfenden zu kommen, die auf ihre Beschwichtigungs-versuche jedoch keine Rücksicht nehmen. Sie stoßen sie wiederholt weg, ohne ihr dabei Schaden zu zufügen. Sie packt ihren Gatten wiederkehrend am Arm und versucht ihn von Hanzo wegzuziehen, doch Sasuke reißt sich nur los und stürmt wieder vorwärts. Die verzweifelt klingende Aufforderung, sofort mit diesem unsinnigen Kampf aufzuhören, welche von Sakura als auch von Hana ertönen, werden von beiden Herrschaften einfach ignoriert. Ihr Flehen ist nahezu herzzerreißend und dennoch, zwischen all ihren Rufen, schnellt Sasukes geballte Faust nach vorne und trifft Hanzo kraftvoll an der rechten Wange, wobei dieser zur Seite stolpert und ein wenig Abstand zwischen seinen Kontrahenten bringt. Schmerzerfüllt streicht sich Narutos ältester Sohn über seine rechte Gesichtshälfte und spukt kurz darauf blutigen Speichel auf den Boden. „Wie kann man nur so stur sein?“ Wütend blickt er seinen Ziehvater an, der eine ähnliche Gesichtsmimik trägt. Seine Augenbrauen sind verärgert zusammengezogen und auf seiner Stirn sind tiefe Zornesfalten erkennbar. Die Zwei umkreisen sich wie Raubtiere, die um ein Revier kämpfen wollen. Sasuke wischt sich mit dem Handrücken über seinen blutenden Mundwinkel. „Stur nennst du das?“ „Wie nennst du es denn, wenn du jemanden vor dir hast, der sich energisch weigert Hilfe anzuneh-men, geschweige denn zu suchen und bereit ist, seine Familie im Stich zu lassen?“ Warnende deutet der Familienvater mit einem Finger auf ihn, als wolle er diesen als Schusswaffe gebrauchen. „Und jetzt solltest du mir glauben Hanzo. DAS wirst du niemals verstehen.“ Dieser Dialog hat Hana und Sakura schon hoffen lassen, dass es mit dem Schlagabtausch endlich vorbei ist, doch diese Hoffnung erweist sich in dem Moment als falsch, als die Zwei mit den letzten Wort wieder aufeinander zu stürmen und erneute Schläge austeilen. Dieses markante und immer wieder ertönende Geräusch von einer Faust, die wuchtig auf den Körper des Gegenübers aufschlägt, ist kaum zu ertragen. Dieser Anblick gleicht einem grausigen Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt und so ist Sakura bereits auf die Knie gesunken und bittet nur noch mit Tränen erstickter Stimme darum, dass sie endlich aufhören sollen, während Hana sich entsetzt eine Hand auf den Mund presst. Das kann unmöglich passieren. Ihr Liebster und ihr Vater gehen aufeinander los, wie wilde Tiere und verletzen sich absichtlich. Mutter und Tochter verstehen die Welt nicht mehr und haben keine Möglichkeit, um diese Auseinandersetzung zu beenden. Sie sind körperlich nicht in der Lage genügend Widerstand aufzubringen, um die Zwei erfolgreich und dauerhaft voneinander zu trennen. Sie sind machtlos und können nur dabei zusehen, wie ihre Männer sich gegenseitig blutig schlagen. Die Geräuschkulisse auf dem Hof, die Kampflaute, ebenso wie Hanas Rufe um Hilfe, ruft nun nach und nach die anderen Bewohner auf den Plan, die mit den Gegebenheiten in diesem Szenario auch keine Handlungsalternative wissen und bei dem Schlagabtausch, wagt es keiner dazwischen zu gehen. Sie alle bleiben schockiert bei dem Geschehen stehen und fordern lauthals eine Beendigung, was aber ebenfalls ungehört bleibt. Takeo, Omoi und Darui sind die einzigen Männer die genügend Kraft besitzen, um sich einmischen zu können, doch auch ihnen gelingt es nicht die Zwei voneinander zu trennen. Hanzo und Sasuke schaukeln einander immer höher und haben sich nun in einen einzigen Rausch geprügelt, den auch nur sie selbst beenden können. Sie reißen sich ständig wieder los und haben einander anvisiert, als würden sie Scheuklappen tragen. Selbst den zu Hilfe gekommenen Bewohnern der Farm bleibt keine andere Wahl als den Dingen ihren Lauf zu lassen. Brutal schleudert Sasuke seinen Ziehsohn gegen die Scheunenwand, so dass dieser für einen kurzen Moment auf keucht und nach Luft schnappt doch kaum, dass Sasuke nahe genug an seinen Ziehsohn herangekommen ist, tritt dieser ihm kraftvoll in den Magen und schlägt ihn so zurück, nur um im unmittelbaren Anschluss auf ihn zu zustürmen, wie ein wilder Bulle. Mit seinem gesamten Körpergewicht rammt der Halbindianer seine Schulter gegen den Oberkörper seines Ziehvaters, ehe er mit seinen Armen dessen Oberschenkel umklammert und Sasuke somit jedem festen Stand beraubt. Es hebt den Farmbesitzer von den Füßen, bis er rücklings auf dem Boden aufschlägt und schmerzerfüllt nach Luft schnappt. Es dauert keinen Wimpernschlag und schon ist Hanzo über ihm und verpasst Sasuke einen direkten Schlag ins Gesicht, welcher dafür sorgt, dass der Familienvater benommen wird und kaum noch zu einer Gegenwehr fähig ist. Aufgeben scheint jedoch etwas zu sein, was Sasuke nicht in Betracht zieht. Er versucht tatsächlich wieder auf die Beine zu kommen und startet erneut die Gegenwehr. Schwer atmend kniet sich Hanzo mit seinem linken Bein auf den Oberkörper des Familienvaters und drückt ihn somit zu Boden. Die Gegenwehr flammt nun wieder mehr und mehr auf und so sieht sich der Halbindianer regelrecht zu diesem Handeln gezwungen. Er greift links und rechts den Kragen von Sasukes zerrissenem Hemd, ehe er die rechte Seite zu sich zieht und den linken Kragen quer über den Hals seines Ziehvaters spannt und ihm so die Luftzufuhr abschneidet. Sofort beginnt Sasuke sich zu wehren und zu winden, wie eine Schlange. Er versucht verzweifelt sich zu befreien, schlägt dabei auf Hanzo ein, während seine Atmung mehr und mehr einem heiseren Röcheln gleichkommt. Die anderen beginnen nun lauthals gegen diesen Würgegriff zu protestieren und treten nach vorne, aber wirklich handeln tut niemand. Niemand ist davon überzeugt, dass Hanzo tatsächlich vorhat seinen Ziehvater zu töten. Er will einfach nur verhindern, dass dieser Kampf fortgeführt wird. Er will, dass Sasuke am Boden bleibt und seinen Verstand einschaltet. Er will vernünftig und sachlich mit ihm reden – zumindest hofft das jeder. „Hanzo hör auf. Du bringst ihn noch um!“ Panisch tritt Hana nach vorne, nachdem die Gegenwehr ihres Vaters zusehends erlahmt ist und dessen Hände nur noch locker auf dem Unterarm ihres Freundes liegen. Sasukes Gesichtsfarbe geht mehr und mehr in eine leicht bläuliche Färbung über, doch noch bevor die Tochter des Hauses bei dem Indianerspross angekommen ist, löst Hanzo seinen Würgegriff und stolpert von seinem Ziehvater weg. Dumpf und schwer atmend lässt sich Narutos ältester Sohn auf den Boden fallen, während Sasuke mit rasselndem Laut gierig seine Lunge mit Luft füllt. Er verfällt in einen anhaltenden Hustenanfall und versucht wieder auf die Beine zu kommen, wobei er einen vollkommen orientierungslosen Eindruck macht. Er scheint unfähig sich in die Senkrechte begeben zu können und fällt daher immer wieder auf alle Viere zurück, bis er seine Versuche einstellt und seitlich auf dem Boden liegen bleibt. Sakura ist sofort an seiner Seite und verschafft sich mit ihren geröteten Augen einen Überblick, über die Verletzungen ihres Mannes, wobei sie ihm zittrig zuspricht, dass er ruhig und tief Luft holen soll. Zögerlich tritt Hana an ihren Freund heran und geht neben ihm auf die Knie, ehe sie sein Gesicht betrachtet. Sie haben einander übel zugerichtet. Hanzos rechte Augenbraue ist aufgeplatzt und dass daraus resultierende Blut hat sich nahezu über das gesamte Gesicht verteilt. Sein linkes Auge ist zugeschwollen, aus seiner Nase läuft Blut und die Unterlippe ist aufgeplatzt. Er sieht so aus, als wäre frontal und ungebremst gegen eine Mauer gelaufen, aber Sasuke bietet einen ähnlichen Anblick. Sein linkes Auge ist dermaßen zugeschwollen, dass selbst der Anblick schmerzt, sein linker Mundwinkel scheint eingerissen zu sein und die Nase wirkt gebrochen, was durch die ungewohnte schiefe Stellung vermutet werden kann. Eine Platzwunde prangt an seinem Haaransatz und beide Männer haben sind über und über mit blauen Flecken, Prellungen und Blut bedeckt. „Hörst du mir jetzt zu?“ Keuchend richtet der Familienvater sich wieder auf, bleibt jedoch am Boden sitzen, wo er seine Beine anwinkelt und schließlich seine Arme auf den Knien lagert. Noch immer holt er angestrengt und tief Luft, doch mit einem einfachen Nicken bejaht Sasuke die noch recht provokant gestellte Frage von Hanzo, der erleichtert seufzt und sich mit einer Hand nach hinten weg abstützt. „Ich stimme dir zu, dass die jetzige Situation nicht einfach ist und dass es auch nicht einfacher wer-den wird, aber es ist nicht unmöglich. Mein Volk hat sich oft genug in solch einer Situation befunden. Das Militär hat systematisch unsere Obstgärten, Vieherden und Felder vernichtet, aber trotzdem sind wir immer wieder durch den Winter gekommen. Mit Glück, aber auch mit Können und dem Willen es zu schaffen. Wenn die Ernte reicht, um die Rechnungen zu bezahlen, dann kümmern Takeo, ich und die anderen uns darum, dass wir nicht verhungern.“ Mit einem schmerzerfüllten Laut und verzogener Gesichtsmimik wuchtet Hanzo seinen geschwächten Körper wieder in die Höhe, wird jedoch von Hana etwas unterstützt, um einen sicheren Stand zu gewährleisten. „Du siehst also, es gibt eine Alternative.“ Hanzo will sich gerade von dem Familienvater abwenden, bis dieser seine Stimme erhebt und sich ohne irgendeine Hilfestellung in die Höhe stemmt, er drängt Sakura sogar zur Seite. Er klopft sich den Staub von der Hose und humpelt ein paar wenige Schritte auf Hanzo zu, so dass Takeo und Omoi schon bereitstehen um gegebenenfalls einzugreifen. Niemand will einem weiteren Kampf beiwohnen, doch Sasuke hat nicht vor in ein neues Handgemenge mit seinem Ziehsohn zu geraten. Er blickt dem Halbindianer nur fest in die Augen. „Naruto... hat er euch je von seiner Kindheit erzählt? Hat euer Vater jemals davon gesprochen, wo er herkommt oder woher er die vielen Narben hat? Wisst ihr, warum er geschlossene Räume nicht leiden kann oder warum er nachts nur schlecht schläft?“ Verwundert und auch ein Stück verwirrt, blickt Hanzo zu seiner Mutter, die einen ebenso unwissenden Eindruck macht wie alle anderen Anwesenden auch. Narutos Narben sind genauso unübersehbar, wie die von Sasuke und seinen auch gar nicht so unähnlich, doch darüber gesprochen hat der Outlaw noch nie – auch nicht auf gezieltes Nachfragen. Von der Raumangst hat jedoch noch niemand etwas gewusst, weder die Familie noch irgendein anderes anwesendes Stammesmitglied. Noch nicht einmal Hinata, die eigene Ehefrau, wusste etwas davon, weswegen sie über diese bisher unbekannten Informationen zu ihrem Mann recht erschrocken wirkt. Hanzo schüttelt den Kopf. „Nein. Er ist immer ausgewichen, wenn wir ihn gefragt haben. Wir wissen nur, dass er ein Waise ist.“ „Die Narben sind eine Sache. Sie zeigen nur die zugefügten körperlichen Schmerzen. Sie zeigen, wozu Menschen fähig sind, doch weitaus schlimmer sind die Wunden, die niemand sieht. Tief verschlossen im Inneren und unheilbar für alle Ewigkeit. Wenn du in der Herzlosigkeit eines Waisenhauses aufwächst, dann lernst du schnell auf eigenen Beinen zu stehen. Du verstaust niemandem, sondern nur dir selbst. Du selbst, bis das Beste was du hast, denn niemand kümmert sich um dich und niemanden interessiert es, was aus dir wird. Dein Vater und ich haben Dinge erlebt, die du nicht einmal zu träumen wagst und die unauslöschlichen Spuren hinterlassen haben. Bei deinem Vater ist es Raumangst. Bei mir, die Unfähigkeit Gefühle zu zeigen oder mich auf andere zu verlassen. Es ist eine Eigenschaft, die ich nicht ändern kann und die mich zu solchen Überlegungen bringt, welche du mir wortwörtlich heraus geprügelt hast. Dem einzigen Menschen, dem ich uneingeschränkt vertraue und dem ich bedenkenlos mein Leben geben würde, ist Naruto.“ Mit einem etwas entschuldigend wirkenden Ausdruck im Gesicht wendet sich Sasuke an seine Frau. „Ich liebe dich. Das kann ich dir mit absoluter Sicherheit sagen, aber meine Gedanken und Empfindungen, wirst du nie nachvollziehen können, egal wie detailliert ich sie dir beschreiben würde. Gemeinsam erlebte Grausamkeit schweißt einfach zusammen und zu zweit lassen sich solche Erlebnisse einfach besser tragen.“ Sakura lächelt verstehend. Es ist das erste Mal seit all den Jahren, dass der Familienvater so offen über seine Kindheit spricht, der er am liebsten aus seiner Biographie streichen würde. Das, was sie aber bisher zu hören bekommen haben ist äußert schockierend, selbst für die ehemaligen Sklaven auf der Farm, die selbst unmenschliche Dinge über sich ergehen lassen mussten. Misshandlungen an Kindern, von denen jedes unschuldig geboren wird. Grausame Szenarien spielen sich in den Köpfen der anderen ab, während Sasuke seinen Blick durch die versammelte Runde gleiten lässt. „Ich wollte hier niemandem im Stich lassen. Ich will nur das beschützen, was mir mehr als alles andere am Herzen liegt. Ich dachte … es tut mir leid.“ Humpelnd und reuevoll für seine doch unüberlegte Handlung, wendet sich der Farmbesitzer um und will zusammen mit Sakura zurück zum Haus, wo sie sich um seine Verletzungen kümmern kann. Weit kommen die Beiden jedoch nicht. „Was haben sie mit Papa gemacht, dass er keine geschlossenen Räume mag?“ Minato wirkt recht eingeschüchtert und beinahe sieht es so aus, als hätte er bis zum jetzigen Zeit-punkt damit gekämpft, ob er diese Frage tatsächlich stellen soll. Sein Gesicht ist zu einer nervösen Fratze verzogen, wobei er fast energisch seine Hände knetet. Er hat Angst vor dem, was er zu hören bekommt. Er weiß, dass die Kindheit seines Vaters ein wohlbehütetes Geheimnis ist, dessen Inhalt nur Naruto selbst und sein bester Freund kennt. Sie beiden teilen ein gemeinsames Schicksal und verdrängen ihre Erinnerungen an früher in die hintersten Ecken ihres Bewusstseins. Nicht darüber reden und nie wieder daran denken. Alle blicken den Burschen kurz an und dann abwartend zu Sasuke, der sein dunkles Augenpaar eine Weile auf dem Blondschopf haften lässt, ehe er nachdenklich zu Boden schaut und Momente des Schweigens vergehen lässt. „Im Keller des Waisenhauses, gab es einen Raum – nicht größer als eine Abstellkammer. Es gab kein Fenster, war kalt und feucht. Sobald die Tür zu ging, war man in einer völligen Dunkelheit gefangen. Es war unmöglich etwas zu sehen. Noch nicht einmal die eigene Hand vor Augen, war erkennbar. Die Erzieher nutzten ihn, neben den üblichen Schlägen und Sanktionen äußert gerne, als Strafverhängung für alle möglichen Taten. Wir Kinder nannten diesen Ort die Gruft. Oft war man dort nur Stunden eingesperrt, in wenigen Fällen waren es auch mal ein oder zwei Tage und wenn er Aufenthalt dort länger dauerte, dann kam nur einmal am Tag für einen winzigen Moment Licht den Raum und zwar dann, wenn sie das Essen durch die Klappe der Tür schoben. Naruto landete oft dort. Er missachtete viele Regeln und das wiederholt, doch nie aus Boshaftigkeit oder weil er die Erzieher reizen wollte. Er tat es, weil er mir und den anderen dieses schreckliche Dasein irgendwie erträglicher machen wollte. Irgendwann schlossen sie ihn dort unten wieder ein. Er war acht. Aus Stunden wurden Tage, aus Tagen wurden Wochen und aus Wochen wurden Monate.“ Mit diesen grausamen Bildern im Kopf schaut Sasuke zu den anderen, die versammelt eine recht blasse Hautfarbe bekommen haben und dieser Erzählung lauschen, als handle es sich dabei um eine Gruselgeschichte. Der Familienvater blickt zu Hinata, der das Entsetzen im Gesicht geschrieben steht. „Sie hatten es vergessen, dass er da unten war. Sie haben ihn einfach vergessen. Er war drei Monate in der Gruft.“ Ein entsetzter Aufschrei geht durch die Runde und Hinata presst sich schluchzend beide Hände vor den Mund, wobei sie in die Knie sinkt und gar nicht anders kann, als zu weinen. In ihren Gedanken sieht sie den kleinen achtjährigen Naruto in diesem Raum sitzen, halb verhungert und einsam. Dem Tod so nahe, wie es kaum vorstellbar erscheint. Wie konnten diese Menschen ihm das nur antun? Sasuke erinnert sich noch sehr genau an die verkümmerte Gestalt seines besten Freundes, als man ihn endlich aus diesem Gefängnis holte und wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre Naruto dort gestorben. Diese qualvollen drei Monate hat der kleine blonde Junge auch nur überlebt, weil er eine Grenze überschritt. Er aß die Ratten, die sich in dem Raum hinein verirrten und leckte das Wasser von den Wänden, welches durch das Gestein sickerte. Er wollte überleben und tat Unglaubliches dafür. Es war die Zeit in der Tsunade im Waisenhaus eine gemeinnützige Arbeit anfing. Sie kam und brachte Wärme in dieses triste und lieblose Haus. Sie brachte die Kinder zum lachen, gab ihnen vernünftiges Essen, lehrte vielen von ihnen das Lesen und Schreiben und wurde für viele einfach zu der Mutter, die niemanden mehr von ihnen hatte. Sasuke war verzweifelt. Er wusste wo Naruto war und dass er ihn nicht selbst befreien hätte können, ebenso wie keiner der Erzieher ihn befreit hätte. Er war ein Störenfried. Ein Unruhestifter. Sie hätten sein Ableben also nicht bedauert. Woher er das wusste? Er hatte die Erzieher mehrfach angefleht Naruto wieder frei zu lassen, doch neben höhnischem Gelächter hat er auch mal eine Ohrfeige kassiert, was als Antwort ausgereicht hatte. Sie wollten ihn da unten sterben lassen. Sie hatten ihn nicht vergessen. Naruto sollte verschwinden. In all seiner Verzweiflung und Angst, wandte sich Sasuke irgendwann an Tsunade. Er weiß es noch genau. Sie saß auf einem kleinen Schemel, um sie herum die jüngsten des Waisenhauses und laß ihnen etwas vor. Ein Märchen aus einem abgegriffenen Buch mit Ledereinband. Die Kinder hingen förmlich an ihren Lippen und konnten ihr Elend für die Zeit ihrer Anwesenheit vergessen. Er selbst stand Abseits der Gruppe. Verzweifelt und voller Unsicherheit. Den Blick immer wieder auf die Erzieher richtend, die Tsunade genauso wenig leiden konnten, wie Naruto. Er war jung und hatte schreckliche Angst. Er wusste einfach nicht, was er tun sollte. Es war ihr Blick. Ihre braunen Augen, die ihn musterten und alle Dämme bei ihm brechen ließen. Er strümte schluchzend auf sie zu, klammerte sich an ihren Rock und flehte mit Tränen überströmten Gesicht um ihre Hilfe. Bei all den zittrigen Schluchzern hat sie ihn vermutlich gar nicht verstanden. Er zerrte sie förmlich in den Keller, verfolgt von den giftigen Blicken der Erzieher und drängt sie zu dieser massiv und mehrfach gesicherten Tür, als würde sich dahinter der Leibhaftige selbst befinden. Riegel für Riegel sicherten diese Tür und ließen diese fast mit dem Mauerwerk verschmelzen. Tsunade zögerte einen Moment bis sie diese grausame Zelle öffnete und in eine vollkommen andere Welt schaute. Eine Welt, welche für einen achtjährigen Jungen das Zuhause der letzten drei Monate war. Eine kalte, nasse, stinkende und dunkle Welt in der kein mitfühlender Mensch irgendein Lebewesen einsperren würde. Ihr stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Hinter dieser Tür saß ein Junge, der in einem erbärmlichen Zustand war. Er hockte in seinem eigenen Unrat und Rattenkadavern, war abgemagert und verängstigt. Das plötzlich einfallende Licht tat ihm in den Augen weh, so dass er sie nicht einmal anschauen konnte. Er musste sich die Hand vor Augen halten, um überhaupt irgendetwas erkennen zu können. Der Ausdruck in Tsunades Gesicht verfolgt Sasuke noch heute. Es gibt keine Worte, welche diese Gesichtszüge auch nur im Ansatz treffend beschreiben könnten. Sie trat nur einen kleinen Schritt vor, schnappte sich Narutos gebrechlich wirkende Gestalt und nahm ihn auf die Arme. Sie drückte ihn an sich, trotz seines Gestankes und Zustandes und Naruto selbst brach in einem wahren Tränenmeer aus. Er umklammerte sie, wie ein Ertrinkender einen Rettungsring und schluchzte unkontrolliert. Es war kaum möglich etwas zu verstehen von dem was er von sich gab, doch ein Wort wiederholte er immer wieder und wieder. Er sagte Mama zu ihr und genau das, wurde sie in dem Moment für ihn. Sie wurde seine Mutter. *~*~* Am Morgen in New York New York. Die Hochburg des Fortschritts und repräsentativ für Wohlstand und Erfolg. Es ist eine Ewigkeit her, dass er diese Stadt in all ihrer Pracht zu Gesicht bekommen hat. Es ist die Stadt, in der er geboren ist und die ersten elf Jahre seines Lebens verbracht hat. Eigentlich müsste er sie als Hei-mat bezeichnen, doch ihn überfällt kein Gefühl der Nostalgie oder gar Freude. Dieser Ort bedeutet ihm nichts. Es ist kein Zuhause. Es ist nur ein Ort, von dem er annahm ihn niemals wieder zu betre-ten. In diesen Straßen starben seine Eltern. In diesen Straßen wuchs er auf. Hier lernte er, dass das Leben und am allerwenigsten die Mitmenschen, etwas zu verschenken haben. Hier wurde er seiner Kindheit beraubt. Von hier floh er. Er lief weg, vor all den Dingen, die ihm so zusetzten. Er lief weg vor seinem Leben und nun … nun steht er vor dem Tor zu seinem früheren Leben und fühlt sich in die Zeit zurückversetzt. Es hat sich kaum etwas geändert. Diese stickende Stadt ist noch genau wie damals. Sie ist noch ge-nauso erdrückend und überfüllt wie früher. Es ist kalt und dunkel, obwohl noch immer eine Rest-wärme des Sommers zu spüren sein sollte. Er verabscheut diesen Ort aus tiefster Seele und während er durch die Straßen marschiert, hat er das Gefühl wieder der kleine blonde Junge zu sein, der mit verdreckten zerlumpten Kleidern, erbarmungslos der Gleichgültigkeit seiner Mitmenschen ausgesetzt ist. All diese Leute, speziell solche die aus der gehobenen Schicht der Stadt kommen, reden nur mit ihres Gleichen. Für die Armen haben sich nicht einmal einen Blick übrig. Sie gehen vorbei und rümpfen höchstens die Nase. Eigentlich nahm er an, dass all diese Erinnerungen aus seinem Denken verbannt hat. Er hatte gehofft sie vergessen zu haben, doch sie sind noch sehr präsent. Er erinnert sich daran, wie er hungernd und frierend um ein paar wenige Penny bettelte und stets abgewiesen wurde. Gelegentlich hat er sogar Schläge kassiert. Pelzträger, deren Hiebe mit dem Gehstock er gerade noch ausweichen konnte. Kupfersternträger, die ihn jagten und Adelsfrauen die aufschrien, als würde ihnen eine Ratte über die Füße laufen wenn sie ihn erblickten. Es war eine grausame Zeit, von der er dachte sie nicht zu überstehen. Die ganzen Bilder seiner erbärmlichen Kindheit vor Augen, bleibt Naruto vor einer kleinen Gasse stehen. Eine von vielen in dieser Stadt und eine von vielen, in denen die Bevölkerung gerne ihren Abfall beseitigt und in denen die Straßenkinder Zuflucht suchen. Sie bauen sich dort kleine Verschläge, die kaum vor den Witterungen schützen und dessen Boden sie mit Zeitungspapier und anderem Müll abdecken. Diese Gasse war sein Zuhause, sofern er es so nennen kann. Er schlief immer zusammengerollt auf einer von Milben befallenen Decke, zwischen zwei Aschetonnen auf denen ein armbreites, verfaultes Brett lag. Holzabfall von irgendeiner Schiffswerft. Er hat es als löchriges Dach über den Kopf benutzt, doch vor Regen war er deswegen nicht geschützt. Mit einem schmerzlichen Ziehen in der Brust blickt Naruto auf die Stelle, an der er sein Zuhause hatte. Es ist nichts mehr davon da. Keine Tonnen, kein Brett. In dieser Gasse liegt nur Abfall und trotzdem sieht er sich an Ort und Stelle sitzen. Ein einsamer Junge mit verdreckten Kleidern, welcher zusammen gekrümmt an der Hauswand lehnt und bibbernd in seine Lumpen weint. Naruto schluckt hart. Er hatte zwei Gesichter zu der Zeit. Tagsüber war er der kleine Rebell, der sich auch durch eine Ohrfeige nicht vom Betteln abhalten ließ, der immer ein freches Grinsen auf den Lippen trug und allerlei Blödsinn anstellte, um andere zum lachen zu bringen. Sobald jedoch die Sonne unterging verschwand das Lachen und die Lebensfreude aus seinem Gesicht. In der Nacht, war er ein einsames kleines Würmchen. Ihn brachte niemand zum lachen und so konnte ein jeder sein wahres Gesicht, seinen wahren Empfindungen, nur in der Dunkelheit sehen. Er hat sich nur niemandem gezeigt. In der Nacht suchte er exzessiv die Einsamkeit, obwohl er sie gleichermaßen fürchtete. Er hat das Geräusch seiner unterdrückten Schluchzer, die von den Wänden wieder halten noch immer in den Ohren. Mit einem Seufzen und zusätzlichem Kopfschütteln, verbannt er die Bilder aus seinen Gedanken und wendet sich von seinem ehemaligen Heim schließlich ab. Er ist schließlich nicht hierhergekommen, um irgendwelche vergrabenen Erinnerungen wieder hervor zu holen, sondern um Tsunade zu sprechen. Die Schwierigkeit besteht jedoch da drin, sie in dieser Masse an Menschen und Bauten ausfindig zu machen. Zumal die Stadt von einigen Katastrophen nicht verschont geblieben ist und sich das Stadtbild entsprechend geändert hat. Ein Großbrand im Jahr 1845, ausgelöst durch ein Feuer in einer Walölfabrik, hat zahlreiche Blocks in Downtown bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Eine Katastrophe bei dem 30 Menschen den Tod fanden und der Wiederaufbau läuft bis zum heutigen Tag. Es ist schwer sich an diesem Ort zurecht zu finden, wenn die einzig brauchbaren Erinnerungen aus der Kindheit stammen, doch er wäre nicht er selbst wenn der Familienvater dafür keine Lösung parat hätte. Die Zeitungsjungen sind ein wahres Füllhorn an Informationen, genau wie Gaara es gesagt hat. Diese Burschen wissen immer als erstes, was in ihren Straßen geschieht und selbst die jüngsten unter ihnen besitzen eine hervorragende Menschenkenntnis, die ihnen die Fähigkeit verleiht mit nur einem einzigen Blick zwischen Freund und Feind unterscheiden zu können. Ein solches Exemplar steht auf der gegenüberliegenden Straßenseite und verkündet lauthals die vorherrschenden Schlagzeilen. Ein schlaksiger Junge mit schiefer Nase, großen Augen und kantigem Gesicht. Er trägt eine weite, wadenlange Hose aus der er etwas herausgewachsen scheint. Sein weißes Baumwollhemd ist fleckig und die offensichtlich viel zu kurzen Ärmel hat er sich bis zu den schmalen Ellenbogen hochgekrempelt. Die dafür viel zu große Schiebermütze verdeckt seine ungewaschenen Haare. Eine Zeitung in den Händen und wild damit herum wedelnd, während der restliche Stapel zu seinen Füßen liegt, tätigt der Bursche, der vielleicht um die zehn Jahre alt ist, sein Tagewerk. Wenn dieser Junge nicht weiß wo sie zu finden ist, dann ist dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt. Bedacht wechselt Naruto die Straßenseite, lässt einige Droschken und einen Omnibus passieren, ehe er bei dem Jungen ankommt und in seiner Hosentasche nach ein paar Münzen sucht. Der Junge blickt auf und seine aufmerksamen brauen Augen fixieren den Outlaw, als dieser neben ihm stoppt. „Ich nehme eine.“ Sowohl das Geld als auch die Zeitung wechseln den Besitzer, doch anstatt die neusten Schlagzeilen zu betrachten, klemmt sich der mehrfache Familienvater die Zeitung einfach unter den Arm und hockt sich vor den Burschen, dem er ein Silber glänzenden Dollar präsentiert. Die Augen des Knaben bekommen einen Ausdruck, als hätte er den größten Schatz der Welt vor sich und so ist es kaum verwunderlich, dass er versucht den Dollar an sich zu nehmen. Die Kinderhand schnellt blitzschnell nach vorne, doch Naruto kennt die Gepflogenheiten dieser Burschen und zieht seine Hand mit einem tadelnden Laut zurück. „Du kannst ihn haben aber nur, wenn du mir eine Frage beantwortest.“ Jetzt verzieht der Knabe das Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. Er presst die Lippen aufeinander und verengt die Augen zu schmalen Schlitzen. „Welche Frage?“ „Tsunade Senju. Wo kann ich sie finden?“ Die Augen werden noch enger und Naruto hat das Gefühl, als würde der Junge versuchen seine Gedanken zu lesen, aber auch wenn der Outlaw aus diesem Milieu verschwunden ist, so beherrscht er dieses Spiel noch immer. In ihm steckt noch immer der Straßenjunge und so ist es dem Zeitungsjungen unmöglich irgendetwas au seiner Mimik abzulesen. Sie blicken einander nur entschlossen in die Augen und das für eine ganze Weile, bis das Kind auf seine Hand schaut, in der er noch immer den Dollar umschlossen hält. „Bist du ein Freund?“ Loyalität wird unter diesen Jungs sehr groß geschrieben und so versucht sich der Knabe abzusichern. Er will sichergehen niemanden zu ihr zu lassen der ihr böses will. Er ist unentschlossen, doch die Aussicht auf einen Silberdollar ist einfach zu verlockend. Der Junge scheint sich jedoch etwas zu entspannen, als Naruto nickt und lächelt. „Ich bin ein sehr alter Freund von ihr. Ich brauche ihre Hilfe und deswegen suche ich sie.“ „Sie hat ein Armenhaus in der Cross Street. Meist ist sie da.“ Auffordernd hält der Bursche die Hand auf und Naruto schnipst die Münze mit einem Zwinkern in die Luft. Mit Leichtigkeit fängt der Zei-tungsjunge den Dollar auf und stopft ihn sofort in seine Tasche, als würde er befürchten, dass Naruto diesen Handel doch wieder rückgängig machen würde. Mit einem ernsten Gesicht steht er wieder auf und schenkt dem Knaben nur ein kurzer Schulterklopfer, ehe er an ihm vorbeigeht und sein Ziel ansteuert. Die Cross Street. Keine hoch angesehene Gegend. Diese Straße gehört mit zu den bekannten Five Points. Ein Handelsplatz für die weniger gut betuchten Bewohner von New York. In dieser Gegend beginnt eine andere Welt, die von Armut und Not geprägt ist. Die Five Points. Eine versumpft wirkende Gegend, mit beißendem Gestank in der Luft, überfüllten Wohnräumen und heruntergekommen Häusern. Morsche, faulige Dachbalken, die jederzeit unter ihrer Last zu scheitern drohen. Zerbrochene Fensterscheiben, die nur notdürftig mit schmutzigen Stofffetzen geflickt wurden und eine Anzahl an Menschen, mit denen die matschigen Straßen überfordert scheinen. Einwanderer aus allen Ländern der Welt, doch überwiegend Iren, hausen in den baufälligen Gebäuden und sehen sich jeden Tag mit Krankheit, Elend und Not konfrontiert und dabei haben diese Menschen ihr Heimatland verlassen, weil sie die Hoffnung auf ein besseres Leben hatten. Eine Hoffnung, die wohl sofort zerschlagen wurde, kaum dass sie einen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt haben. Jeden Tag legen weitere Schiffe im Hafen an und bringen eine neue Welle an Einwanderern, die alles andere als herzlich willkommen sind. Die meisten Amerikaner würden sie am liebsten noch nicht einmal von dem Schiff steigen lassen. Unerwünschte Menschen, denen die alleinige Schuld an wirklich allen Missständen gegeben wird. Niemand nimmt sich die Zeit, um die Hintergründe dieser Leute zu erforschen und damit ergeht es den Einwanderern genauso oder wenigstens ähnlich schlecht, wie den Rothäuten. Das Armenhaus befindet sich mitten in den stinkenden Gassen der Five Points. Ein heruntergekommenes Gebäude, eingepfercht zwischen anderen Bauten. In einer Schulterbreiten Gasse, mit verfaultem Abfall, abgestandenem Regenwasser und einem matschigen Fußweg. Die Luft ist geschwängert von einem Geruchsgemisch aus Urin, Erbrochenem und dem aufdringlich süßlich, beißendem Gestank von Verwesung. Der Lichteinfall des Tageslichtes ist nur minimal und eigentlich kaum vorhanden und neben dem Inhalt eines geleerten Nachttopfes, liegt ein verendeter Hund. Fliegen schwirren um den Kadaver und Maden fressen sich an dem verfaulenden Fleisch satt. Bei dem Anblick und diesem schier unerträglichen Gestank, steigt eine bohrende Übelkeit in einem auf und so hält sich Naruto den Kragen seines Hemdes vor Mund und Nase, während er seine Schritte sorgfältig gewählt durch die Gasse setzt. Er kann es kaum glauben, dass an diesem Ort alle Hilfsbedürftigen Obdach und Nahrung bekommen. Schimmel frisst sich die Wände empor und im Allgemeinen ist die Umgebung eher abschreckend, als einladend. Es ist offensichtlich, dass sich der Umgang mit Waisenkindern, Bettlern oder Behinderten nicht geändert hat. Sie werden abgeschoben, sich selbst überlassen und niemand fühlt sich für sie zuständig und dabei sind sie auf die Gnade ihrer Mitmenschen angewiesen und diejenigen, die ein Herz zeigen und sich ihrer erbärmlichen Existenz annahmen, erhalten nur abschätzige Blicke und niveaulose Kommentare. Tsunade hat all diese negativen Dinge stets zu ignorieren gewusst und jeden einzelnen Stein aus dem Weg gerollt, der ihr in vor die Füße gelegt wurde und in manchen Fällen hat sie eben jenen Stein auch einfach zurückgeworfen. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht allen zu helfen, die ihre Hilfe brauchen und diese auch wollen. Sie ist die gute Seele in diesem heruntergekommenem Viertel und für so manch einer Person wohl auch der einzige Lichtblick in deren Leben. Mit einem letzten Schritt tritt Naruto an eine abgegriffene und schiefe Tür heran und tritt ohne ein formelles Anklopfen auch schon ein. Die Scharniere quietschen unüberhörbar und es ist auch etwas Kraftaufwand nötig, um die verzogene Tür überhaupt öffnen zu können und obwohl seine Anwesenheit durch diese akustischen Signale kein Geheimnis mehr ist, kommt niemand auf ihn zu oder wirft einen neugierigen Blick in seine Richtung. Dem anhaltenden Gemurmel lässt sich aber deutlich entnehmen, dass eine Vielzahl an Menschen in den anschließenden Räumlichkeiten sein müssen, doch in Anbetracht der Tatsache, dass in einem Armenhaus wohl ein ständiges Kommen und Gehen herrscht, kann der Outlaw das offensichtliche Desinteresse nachvollziehen. Wieso sollte sich jemand ein Gesicht einprägen, wenn die meisten Leute sich innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden schon wieder verabschieden? Etwas unentschlossen verharrt der Familienvater in dem schmalen Ganz zwischen Tür und offensichtlichem Aufenthaltsraum. Obwohl die Luft recht abgestanden ist, herrscht in diesen Wänden ein vollkommen anderes Bild. Es ist sauber und gepflegt. Kein Ungeziefer huscht über den Boden, kein Abfall türmt sich an den Wänden und kein Dreck verunreinigt den Fußboden. Es gibt keinen Unrat und keinen Gestank der Fäulnis. Für die Dunkelheit oder die beengten Räumlichkeiten können die Bewohner nichts und so ist es einfach unvermeidbar, dass es sehr stickig und warm ist, als er den Flur hinter sich lässt und den nächsten Raum betritt. Dort angekommen trifft er auf eine große Anzahl an Menschen, die sich in jedem Alter befinden und diese Räumlichkeiten nach besten Nutzen gebrauchen. Es existieren Betten, Stühle und Tische und auch wenn kaum ein freier Zentimeter zur Verfügung steht, so ist es schnell ersichtlich, dass die hier hausenden Menschen – trotz aller Lebenswidrigkeiten und Schicksalsschlägen – sich ihren Lebenswillen noch bewahrt haben. Sie sind gesund und wohlgenährt. Es sind keine verdreckten Gestalten, die an irgendwelchen Hausecken kauern und um eine kleine Spende bitten. Sie wirken allesamt ganz anders, als die zerlumpten Bettler auf der Straße. Naruto kommt nicht umhin, diesen Zustand zu bewundern. Er steht im Eingangsbereich diese Behausung und lächelt still in sich hinein, während seine Augen versuchen jeden noch so kleinen Eindruck zu erfassen. Diese stille Bewunderung bleibt allerdings nicht lange unbemerkt. Mit seiner Erscheinung gehört er nicht zu der Sorte Mensch, die in solch einem Armenhaus Zuflucht suchen. Mit seinem Aussehen vertritt er das typische Aussehen eines Menschen, der mit beiden Beinen fest im Leben steht und daher wird er von einer Dame mit einer gewissen Skepsis beobachtet, während er seinen Blick noch immer durch die Räumlichkeit gleiten lässt. Es vergehen ein paar Augenblicke voller Untätigkeit, ehe die skeptische, schwarzhaarige Frau sich seiner annimmt. Sie schlängelt sich durch die Reihen, der zahlreichen Betten und tritt schließlich etwas zögerlich an ihn heran. Vielleicht hält sie ihn für einen Geldeintreiber, der völlig abstruse Finanzeinnahmen verlangt. „Entschuldigen Sie, Mister. Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“ Die Frau ist recht klein und zierlich. Sie wirkt nahezu schwächlich und besitzt dennoch eine Ausstrahlung, die viel Selbstsicherheit voraussetzt. Die Länge ihrer Haare reicht gerade mal bis zu ihrem Kinn und ihre dunklen Augen haben durchaus etwas Mystisches an sich. Er kennt sie noch von früher und daher kann er es nicht vermeiden sie für einen Augenblick überrascht und freudig zugleich zu betrachten. Shizune Katou. Treue Begleiterin von Tsunade und ihre rechte Hand. Nach dem Unfalltod ihrer Eltern, wurde sie von ihrem Onkel aufgezogen und dieser war der Ehemann von Tsunade. Von der familiären Seite aus betrachtet, ist Tsunade ihre angeheiratete Tante und nachdem ihr Onkel Dan plötzlich verstorben ist, blieb sie bei ihr. So betrachtet ist Shizune das erste Waisenkind gewesen, dem Tsunade sich angenommen hat. Als Naruto sie kennenlernte war er acht und obwohl er nach der Flucht aus dem Waisenhaus sehr viel Zeit bei den Frauen verbracht hat, scheint er keinen sehr bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen zu haben. Sie erkennt ihn nicht und auch wenn er diese Tatsache als bedauerlich empfindet, so ist es vermutlich besser so. Shizune hat sich im Laufe der Jahre verändert. Nicht nur, weil die Zeit auch bei ihr Spuren hinterlassen hat, sondern weil sie eine sehr viel direkte Ausstrahlung besitzt. Sie ist aus dem Schatten ihrer Tante herausgetreten, wobei es früher eher den Anschein machte, als hätte sie sich eben in genau jenem versteckt. Sie tritt ihm sehr entschlossen gegenüber und trotz dieser sehr höflich und formell gestellten Frage, ist der Outlaw sehr beeindruckt von ihr und um ihr die potenziellen Sorgen zu nehmen, nimmt er höflich seinen Hut ab und neigt seinen Kopf grüßend. Sie wirkt schlagartig entspannter. Er wird sich ihr dennoch nicht zu erkennen geben. Es ist weniger risikobehafteter, wenn möglichst wenig Leute von seiner wahren Identität wissen. „Entschuldigen Sie mein unangekündigtes Erscheinen, aber ich bin auf der Suche nach Tsunade Senju. Man sagte mir, ich würde sie hier finden.“ Nach dieser Begründung scheint sie zwar davon überzeugt zu sein, dass es sich bei ihm nicht um einen skrupellosen Steuereintreiber handelt, aber dennoch wandern ihre Augen sehr misstrauisch über seinen Körper und der Unterton ihrer Worte, lässt eben jenes Misstrauen sehr deutlich werden. „In der Tat. Würden Sie mir verraten, was Sie von ihr wollen?“ „Es handelt sich um eine sehr private Angelegenheit, wenn Sie das verstehen.“ Ihr Misstrauen wächst. Naruto kann es deutlich in ihren Augen ablesen und auch verstehen. Er ist für sie ein völlig Fremder, der augenscheinlich nicht aus New York kommt, sondern aus irgendeiner Gegend, die vorwiegend von der Viehzucht profitiert. Er sieht aus wie ein typischer Kuhhirte und fällt in einer viel belebten Stadt auf, wie ein bunter Hund und dazu bittet er um ein Treffen mit der Leiterin dieses Armenhauses. Eine gesunde Portion Skepsis, ist unter diesen Gesichtspunkten nur verständlich. Trotzdem scheint sie seine Worte zu akzeptieren, weswegen sie schließlich eine anweisende Geste tätigt und voranschreitet. „Folgen Sie mir bitte.“ Das Armenhaus ist sehr viel größer als Naruto es bei dem äußeren Anblick vermutet hat. Es gibt viele Nebenräume, die nicht weniger überfüllt sind, aber dennoch einen saubereren und hygienischen Zustand aufweisen. Es ist ein seltsamer Schnitt der gegebenen Räumlichkeiten, mit lang läufigen Fluren und vereinzelten Gaslampen an den Wänden. Ein kleines Labyrinth, in dem er sich ohne eine weisende Person wohl nur schlecht zurechtfinden würde. Tsunade hat es weit gebracht, wenn er an die klapprige Behausung von früher denkt. Ein Schuppen, mehr stand ihr damals nicht zur Verfügung, der bei einem kräftigen Regenschauer noch nicht einmal Schutz bot. Das war als ein Kind sein Zufluchtsort. Egal wie zugig dieses Gebäude auch gewesen sein Mag, nirgendwo sonst hat er so viel Wärme und Güte erfahren. Es ist dennoch ein recht untypisches Bild, in solch einer Einrichtung auflachende Menschen und spielende Kinder zu treffen. An diesem Ort herrscht mehr Leben und Hoffnung, als in dem ganzen Viertel zusammen. Es ist ein Bild welches nicht mit der sonstigen Situation in den Five Points kompatibel erscheint. Es wirkt wie eine Parallelwelt und ist ein offenkundiger Beweis dafür, dass Tsunade das Unmögliche möglich gemacht. Ein stolzes Lächeln bereitet sich auf den Lippen des Outlaws aus, während er Shizune durch die Flure folgt und dabei immer wieder kurze Blicke in die vorbeiziehenden Räume wirft. Er ist von diesen harmonischen Anblicken so fasziniert, dass er beinahe in sie hineinläuft, als Shizune ihren Weg am Ende des Flures beendet und eine große Bodenluke öffnet, unter der sich eine Treppe verbirgt. „Sein Sie vorsichtig. Die Treppe ist sehr steil.“ Sie schaut nur für einen kurzen Augenblick zu ihm, ehe sie damit beginnt die Treppe hinab zu steigen. Narutos Herz beginnt zu rasen, als wäre er über Meilen nur gerannt. Ihm tritt der kalte Schweiß auf die Stirn und ein unkontrolliertes Zittern befällt seine Gliedmaßen. Er hat das Gefühl, als würde ihm etwas die Kehle zu schnüren und anstatt Shizune zu folgen, tätigt er einen Schritt rückwärts, während er mit vor Schreck und Entsetzen geweiteten Augen in den Keller herunter starrt. „Worauf warten Sie?“ Verwundert und vielleicht auch etwas ungeduldig, dreht sie sich auf der un-tersten Stufe zu ihm herum. Es ist Unverständnis, welches sich in ihrem Gesicht wiederfinden lässt. Da sie ihn ja nicht in eine Grube voller Giftschlangen führt, kann sie sein Zögern nicht nachvollziehen. Er unterstellt ihr keine bösen Hintergedanken und auch keine schlechten Absichten, doch der Gedanke diese Treppe hinab zu steigen, versetzt ihn in einen Angstzustand, der ihn fast die Flucht ergreifen lässt. Erst mit mehrmaligem, tiefem Durchatmen kann sich der Outlaw dazu überwinden die Stufen hinabzusteigen, wobei er sein Blut in seinen Ohren rauschen hören kann und sein Herz erbarmungslos gegen seinen Brustkorb hämmert. Er hasst fensterlose Orte und enge Räume. Er hasst Keller und obwohl dieser weder noch übermäßig eng, noch feucht, noch dürftig beleuchtet ist, spürt er diese tiefsitzende Beklemmung. Es handelt sich nicht um ein herunter gekommenes Kellerloch, indem die Ratten die Herrschaft innehaben, sondern um einen gut gepflegten Ort mit zahlreichen Gaslampen an den Wänden. Trotzdem setzen die fehlenden Fenster seinem Gemüt bedeutend zu. Diese Beklemmung ist kaum mehr zu ertragen. „Geht es Ihnen gut?“ Mit einem nun besorgt wirkenden Gesicht, betrachtet Shizune seine Gestalt, welche nun eine vollkommen andere Ausstrahlung angenommen hat, kaum dass er die letzte Stufe hinter sich gelassen hat. Er nickt auf die Frage fahrig. „Ja... alles in Ordnung. Ich bin nur nicht so gerne in Räumen ohne Fenster.“ Sein Lächeln wirkt sehr verkrampft und sie verzieht nur verstehend das Gesicht. „Raumangst?“ „So etwas in der Art.“ „Keine Sorge. Im nächsten Raum haben Sie wieder Tageslicht.“ Ein durchaus beruhigender Gedanke, doch nicht intensiv genug um seinen Gemütszustand abzumildern. Um nicht in einen beherrschenden und vielleicht auch verräterischen Angstzustand zu verfallen, verlagert sich der Outlaw darauf, ihren Rücken zu fixieren während sie durch den langen unterirdischen Gang marschieren. Dieser Flur scheint auch als eine Art Lagerraum zu fungieren. Es gibt Kisten mit Lebensmitteln, Säcke voller Kleider und noch weiter sorgsam verpacktes Zeug, was ein weiterer Beweis für eine gut laufende Strukturierung und Organisierung dieses Armenhauses ist. Die Spenden werden augenscheinlich genau an richtiger Stelle eingesetzt, doch Naruto kann seine Gedanken in diesem Zusammenhang nicht weiter fortführen. Ehe sich der Outlaw versieht, steigt er am Ende des Flures eine zweite Treppe empor und landet schließlich in einem quadratischen Raum, welcher bloß ein einziges Fenster besitzt und bei dem es sich auch durchaus um ein Behandlungszimmer für Kranke handeln könnte. Tücher, Schüsseln, zahlreiche Phiolen mit Beschriftung, Kräuter, Salben und noch vieles mehr, was sich eigentlich eher bei einem gelehrten Arzt in der Innenstadt wiederfinden lässt. Dieser Anblick ist jedoch nicht sonderlich überraschend. Tsunade hat ein Händchen für medizinische Behandlungen und wohl weitaus mehr Talent dafür, als so manch ein Arzt, dennoch wirft Naruto einen leicht ratlosen Blick zurück durch die Bodenluke und versucht eine Erklärung, für diesen unterirdischen Gang zu finden, während Shizune dabei ist, sich ein nasses Tuch um Mund und Nase zu binden. Die Erklärung ist simpel und mit ein wenig Anstrengung kommt der Outlaw auch selbstständig hinter den Sinn. Tsunades aufopferungsvolle Hingabe, für Kranke und Schwache. Der Keller ist nicht nur ein Lagerraum, sondern vielmehr eine Schutzmaßnahme, um Krankheiten dort zu halten, wo Gesunde sich nicht anstecken können. Es ist ein Personalgang und dieser Raum dient als Hygienebereich. Naruto ist sich sicher, dass der Gang zwei separate Häuser miteinander verbindet und dass die Kranken selbst, nur durch die Vordertür des zweiten Hauses kommen können. Eine äußert simple aber effektive Vorgehensweise, mit verbleibendem Restrisiko. Diejenigen, welche die Kranken behandeln, sind trotz größter Vorsicht nicht vor eventuellen Ansteckungen geschützt. „Ich werde ihr mitteilen, dass Sie da sind. Wie ist Ihr Name?“ Naruto ist so in seinen Gedanken vertieft gewesen, dass er die nun wiedereinsetzende Stimme Shizunes mit einem leichten Zusammenzucken registriert, ehe er auf ihre Frage antwortet. „Charles Dyami.“ Sie nickt verstehend, öffnet die Tür und schiebt gleich ein großes Laken zur Seite. Er kann für einen kurzen Augenblick noch ihre Silhouette erkennen, nachdem das Laken zurück in Position gefallen ist, ehe sie ganz verschwunden ist. Seufzend verstaut Naruto seine Hände in den Taschen und beginnt gedankenverloren damit, die zahlreichen Phiolen zu betrachten. Allerdings verraten ihm die Beschriftungen nicht wirklich viel und er interessiert sich auch weitaus mehr dafür, wie er Tsunade gleich gegenübertreten soll. Diese Frau ist ihm sehr wichtig und es ist nicht übertrieben, wenn er sagt, dass sie den Stellenwert einer Mutter für ihn hat. Er liebt sie, als wäre sie seine Mutter und gerade deswegen hat er ein sehr schlechtes Gewissen ihr gegenüber. Sein plötzliches Verschwinden aus New York, ohne ein Wort der Verabschiedung oder Erklärung, ist nicht gerade eine Aktion gewesen, welche sie verdient hat. Nach all den Dingen die sie für ihn getan hat, hätte sie wahrlich etwas Anderes verdient. Er bereut sein Handeln und dass nicht erst seit den letzten Minuten, sondern schon seit seinem damaligen Verschwinden. Er blickt auf, als Shizune zurückkommt, das Tuch in einen Korb wirft und sich in einer Schüssel gründlich die Hände wäscht. Erst nach einem durchstrukturierten Handelsablauf, wendet sie sich ihm wieder zu und reicht ihm ebenfalls ein Tuch, mit der Aufforderung es sich dicht um Mund und Nase zu binden. Es ist etwas, was er nicht hinterfragt sondern einfach tut. Das Stück Stoff ist nass und ein beißender, scharfer Geruch sorgt dafür, dass seine Augen zu tränen beginnen. Einen solch intensiven Geruch hat er seit seiner Schussverletzung vor zwanzig Jahren nicht mehr in der Nase gehabt. Es schüttelt ihn regelrecht, was Shizune ein sehr amüsiert klingendes Kichern entlockt, wobei sie ihm mit einer Geste und der mahnenden Worte nichts zu berühren, den Eintritt erlaubt. Es handelt sich tatsächlich um ein weiteres Haus, in dem sich jedoch kein harmonischer Anblick bie-tet. Hier herrschen Elend, Krankheit und Tod. Ein Patient sieht schlimmer als der andere aus. Rö-cheln, husten, wimmern und jammern sind die Geräusche, welche in diesen Wänden einen sehr dominierenden Part einnehmen. Von der vorherigen Hoffnung und Lebensfreude, wie sie in dem anderen Gebäude vorzufinden sind, fehlt hier jede Spur. Hier haben sich die Bewohner mit ihrem unmittelbar bevorstehenden Ende abgefunden. Die Wenigsten werden auch tatsächlich wieder auf die Beine kommen und mitten drin steht sie. Tsunade Senju. Die gute Seele von New York. Sein Herz macht einen erfreuten Sprung, als er sie erblickt und zeitgleich hämmert sein schlechtes Gewissen auf ihn ein. Er würde es ihr noch nicht einmal verübeln, sollte sie wegen seines Wegganges noch immer wütend auf ihn sein. In gewissen Dingen ist sie sehr nachtragend. Er weiß nicht, wie sich die vergangenen Jahre auf sie ausgewirkt haben, doch in Anbetracht der Tatsache, dass sie nun über siebzig Jahre ist, wirkt sie erstaunlich jung. Er würde sie um die zwei Jahrzehnte jünger schätzen, wenn er ihr Alter nicht wüsste. Wie war das noch gleich? Viel Schlaf, viel Bewegung, eine ausgewogene und gesunde Ernährung, viel Wasser trinken und um der Haut ihre Spannkraft zu lassen und täglich mit einer Feuchtigkeit spendenden Creme einreiben. Tsunades Patentrezept für ein langes und gesundes Leben, was auch ganz offensichtlich Früchte trägt. Sie hat ein Alter erreicht, von dem die meisten Menschen noch nicht einmal zu träumen wagen. Die wenigstens werden älter als Mitte Vierzig. Ihre langen blonden Haare, welche sie zu einem dicken Zopf zusammengebunden hat, sind erst an einigen Stellen ergraut, ihre braune Augen ruhen konzentriert auf ihren Handlungen und auch wenn sie jünger aussieht, als sie eigentlich ist, wurde auch ihr Gesicht nicht von der Zeit verschont. Feine Falten zieren ihre Haut und bezeugen ihr fortgeschrittenes Alter. Sie ist eine lebenserfahrene Frau. Tsunade ist gerade dabei einem Mann Wasser einzuflößen. Eine vollkommen ausgemergelte und kraftlose Gestalt, jeder Selbstständigkeit beraubt und nur mit ihrer Hilfe überhaupt fähig den Kopf anzuheben. Die Tage dieses armen Teufels sind eindeutig gezählt und laufen erbarmungslos ab. Wenn die anhaltende Pflege in diesem Gemäuer nicht wäre, dann wäre er wohl schon längst in irgendeiner Seitenstraße geendet – wie so viele andere in diesem Raum auch. Sorgsam und genausten darauf achtend, nichts zu berühren, schlängelt sich Naruto durch die zahlreichen Krankenbetten und stoppt seine Schritte erst wieder, nachdem er an dem besagten Bett angekommen ist. Tsunade schenkt ihm noch nicht einmal einen kurzen Blick, sondern fährt einfach in ihrer Behandlung fort. Sie ignoriert ihn, während sie von Pritsche zu Pritsche wandert und er einfach nur stumm folgt. „Ich kenne niemanden mit Ihrem Namen. Weswegen sind Sie hier?“ Sie blickt bei diesen Worten noch nicht einmal auf. Sie schenkt ihm nun einen Teil ihrer Aufmerksamkeit, während sie einer jungen Frau neue Wadenwickel umlegt. Naruto lächelt nur, wobei er für einen Augenblick ihr Profil betrachtet und seinen Blick anschließend durch die Krankenstation gleiten lässt. „Über zwanzig Jahre und trotzdem sehen die Five Points noch genauso aus, wie ich sie in Erinnerung habe. Nur du hast es geschafft. Von einem einfachen Schuppen zu einem Armenhaus mit Lazaret.“ Er kann aus den Augenwinkeln erkennen, wie sich ihr Körper plötzlich verkrampft. Sie hält in ihrem Tun inne und blickt mit geweiteten Augen auf ihre zitternden Hände. Er richtet seinen Blick wieder auf sie, während Tsunade ihr Gesicht so langsam in seine Richtung dreht, als hätte sie Angst er würde sich auflösen, wenn sich ihre Augenpaare treffen. Sie erkennt ihn. Sie kennt seine Stimme, auch wenn er nun erwachsen klingt. Sie kennt seine Art zu reden und sie kennt seine Augen. Diese verräterischen blauen Augen, die sie unter tausenden herauspicken könnte. Er ist wieder zurück und hat sich durch seine Äußerung auch absichtlich zu erkennen gegeben. Sie ist fassungslos über seinen Anblick und scheint ihrer Stimme beraubt worden zu sein. Er hingegen lächelt nur und auch wenn das Tuch dieses verbirgt, zeigen die altersbedingten Fältchen um seine Augen herum, deutlich seine Gesichtsmimik. „Hallo Ma.“ Hosted by Animexx e.V. 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