Geteilte Freude ist doppelte Freude - aber geteilter Pudding ist bloß halber Pudding von Umi (eine One-Shot- und Story-Schnipsel-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 1: Schneeengel (FF-Adventskalender 2013 - Türchen Nr. 3) ---------------------------------------------------------------- Winter war scheiße. Franzi seufzte leise und wippte ein wenig zum Takt der Musik mit, die aus ihren als Ohrenschützern zweckentfremdeten Kopfhörern kam. Sie warf einen flüchtigen Blick auf ihr Handy. Gleich viertel vor fünf schon. In einer halben Stunde fing bereits der Film an. Aber statt auf dem Weg zum Kino befanden sie sich in einem kleinen Kaff, nicht unweit der Stadtgrenze. Von hier aus brauchten sie sicher gut zwanzig Minuten – gesetzt den Fall, sie fanden gleich einen Parkplatz. Die Fünfzehnjährige verlagerte ihr Gewicht etwas, um zumindest einen ihrer Füße ein bisschen zu entlasten (vielleicht hätte sie sich von der Verkäuferin im Schuhgeschäft doch diese Einlegesohlen mit den Gelkissen andrehen lassen sollen?), und warf einen ungeduldigen Blick zu ihrem Vater, der ihr jedoch den Rücken zugewandt hatte und sich bereits seit gefühlten Ewigkeiten seelenruhig mit der Polizei unterhielt. Franzi reckte sich etwas, konnte von der Leiche jedoch nichts erkennen.   Wie öde...   Sie seufzte leise, vergrub die Hände noch etwas tiefer in den Manteltaschen und rieb die Beine etwas aneinander, um diese warm zu halten. Natürlich war es irgendwo schon cool, von sich sagen zu können, dass ihr Vater als Detektiv arbeitete. Und noch cooler wurde es natürlich, wenn er tatsächlich endlich mal in eine richtige Ermittlung verwickelt war. Aber ausgerechnet heute? Das eine Mal, wenn sie den Film hatte aussuchen dürfen? Sie seufzte noch einmal und näherte sich auf leisen Sohlen ihrem Vater, der mit seinem kupferroten Haar und der Tatsache, dass er selbst dem kleinsten der Polizisten gerade Mal bis zu den Ohren reichte, recht deutlich aus der Gruppe herausstach. „Papa.“ Er reagierte nicht. War vermutlich zu sehr in das Gespräch mit den anderen Erwachsenen vertieft, zu deren Arbeitskollegen er heute vielleicht gehören würde, wären ihm nicht seine Körpergröße und ein leichtes Asthma dazwischen gekommen. Franzi konnte einzelne Gesprächsfetzen ausmachen, nach denen die Tote wohl die Frau war, deren nachmittägliche Wochenend-Aktivitäten ihr Vater die letzten drei Wochen über im Auftrag seines aktuellen Klienten beobachtet hatte. „Papa!“ Diesmal winkte er immerhin ab und brummte etwas davon, dass er gleich fertig war. Was auch immer 'gleich' zu bedeuten hatte. Vermutlich irgendwas zwischen 'in zwei Minuten' und 'in einer Stunde'. Franzi murrte leise und versuchte erneut, einen Blick auf die Leiche zu erhaschen. Diesmal gelang es ihr, wenn auch nur flüchtig, bevor einer der Polizisten ihre Neugier bemerkte, sich in ihr Blickfeld schob und sie darum bat, doch bitte ein Stück weiter entfernt zu warten, sie wären gleich fertig mit der Befragung ihres Vaters. Franzi nickte bloß und ging wieder zurück zum Wagen. Die Tote war hübsch. Zumindest dafür war die klirrende Kälte gut; wer wusste schon, wie lange sie da gelegen hatte, bevor sie entdeckt worden war. Bei wärmeren Temperaturen wäre sie inzwischen vielleicht schon von irgendwelchem Ungeziefer bevölkert. So aber fiel es schwer, sich vor Augen zu halten, das sie wirklich tot war. So richtig. So wirklich richtig tot. Tot tot eben. … Wie sie wohl gestorben war... Ob sie ermordet worden war? Aber wieso hatte ihr Mörder sie dann ausgerechnet hier, an einem Feldweg, der das Dorf mit dem Waldrand verband, abgelegt? Und dann so... alle Viere von sich gestreckt, so dass es beinahe aussah, als hätte sie versucht, in der gefrorenen Matschpfütze, in der sie lag, einen Schneeengel zu machen... Ob sie und ihr Mörder (wenn es denn einen gab) gekämpft hatten? Ob es um Geld ging? Eifersucht? Oder ob die ganze Sache doch bloß ein dummer Unfall gewesen war? Franzi warf wieder einen Blick zu ihrem Vater. Dann auf ihr Handy. Fünf vor fünf. Warum musste die Zeit immer so rennen, wenn man eh schon knapp dran war? Fair war das nicht unbedingt... Und konnte es nicht wenigstens ein paar Grad wärmer sein, damit ihr die Finger nicht abfroren, sobald versuchte, sich mit einer Runde Plants vs. Zombies die Zeit zu vertreiben? Die kleine Gruppe löste sich auf. Einer der Polizisten klopfte ihrem Vater mit einem „Mach's gut, Hannes, man sieht sich“ auf den Rücken, während ein anderer mit dem Handy am Ohr die Kollegen von der Spurensicherung durch das Dorf zu lotsen versuchte. Franzi kam ihrem Vater ein paar Schritte entgegen und bemühte sich gar nicht erst, den vorwurfsvollen Tonfall aus ihrer Stimme zu verbannen. „Es ist fast fünf!“ Hannes nickte mit einem entschuldigenden, schiefen Lächeln, murmelte ein nicht allzu überzeugendes „Wir schaffen's schon noch rechtzeitig“, und beschleunigte seine Schritte etwas. Seine Tochter folgte ihm missmutig zum Wagen, stieg ein und schnallte sich an, während er bereits den Motor startete. Nicht, dass ihr nicht klar war, dass er nichts dafür konnte, dass das Ziel seines aktuellen Auftrags sich einen so ungünstigen Zeitpunkt zum Sterben (beziehungsweise gefunden werden) hatte aussuchen müssen... es wurmte sie einfach nur, dass der heutige Tag, auf den sie sich nun schon seit einer ganzen Weile gefreut hatte, bisher alles andere als geplant verlief. Es kam auch so schon selten genug vor, dass ihr Vater Zeit hatte, etwas mit ihr zu unternehmen. Zu zweit. Ohne seinen Freund. Und vor allem ohne dessen Kinder, die Franzi zwar inzwischen irgendwo ins Herz geschlossen hatte, die aber einfach... nun ja, klein waren. Zu klein zumindest, um bei den gemeinsamen Ausflügen als 'Großfamilie' nicht in erster Linie einfach nur zu nerven - und vor allem zu klein, um in die wirklich guten Filme mit rein zu dürfen, wenn man den Tag mit einem Kinobesuch ausklingen lassen wollte. Machte sie ihr Frust über die Situation zu einem verwöhnten Einzelkind? Franzi wusste es nicht. Und wenn sie ehrlich war, war es ihr eigentlich auch egal. Ihr Blick streifte desinteressiert das Ortsschild, als sie an diesem vorbei fuhren. „Und?“ „Was und?“ „Was ist mit ihr passiert?“ Hannes seufzte leise und zuckte mit den Schultern. „Kann ich dir auch nicht sagen. Ist jetzt Sache der Polizei.“ „Bist du dann jetzt raus aus dem Fall?“ Er schmunzelte. „Nun, viel zu beobachten gibt es bei ihr nicht mehr, von daher... Denke schon. Wird am Ende mein Klient entscheiden.“ Franzi nickte bloß abwesend. Als sie noch kleiner war, hatte sie sich immer gewundert, warum ihr Vater, obwohl er als Detektiv arbeitete, nie in so spannende Fälle verwickelt war, wie man sie im Fernsehen zu sehen bekam. Heute kannte sie den Unterschied zwischen Fiktion und Realität. Ihr Vater bemühte sich um ein optimistisches Lächeln. „Tut mir leid, dass das eben dazwischen kam. Vielleicht haben wir ja Glück und die Werbung läuft noch, wenn wir ankommen.“ Sie hatten kein Glück. Nachdem sie endlich einen Parkplatz im Stadtzentrum gefunden hatten, lief der Film bereits. Aber immerhin hatten sie noch nicht allzu viel verpasst. Als sie das Kino gut eineinhalb Stunden später wieder verließen, schwebte feiner Puderschnee vom Himmel und hatte bereits eine feine, halbtransparente, weiße Schicht auf den wenigen Flächen hinterlassen, auf denen er nicht von vorbei eilenden Passanten zu Matsch zertreten werden konnte. Franzi hakte sich bei ihrem Vater ein und vergrub die freie Hand tief in ihrer Manteltasche. Diesmal konnten sie sich Zeit lassen und schlenderten den Weg zurück zum Auto, der sie über den Weihnachtsmarkt führte. Als sie unterwegs an einem Stand mit glasierten und mit Schokolade überzogenen Früchten einkehrten, war Winter zwar immer noch irgendwo scheiße, aber an sich eigentlich auch ganz okay. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)