Das Mädchen mit den Beybladeteilen von bloodydream ================================================================================ Kapitel 1: Das Mädchen mit den Beybladeteilen --------------------------------------------- Das Mädchen mit den Beybladeteilen Die Tage wurden kürzer, die Nächte kälter. Die Natur verfärbte sich von grün zu bunt und von bunt zu braun bis fast alles endgültig kahl wurde. Freizügige Kleidung wurde gegen Schals, Mützen und dicke Mäntel getauscht. Und als dann die ersten Schneeflocken vom Himmel fielen, wurde jedem bewusst, dass nun der Winter in das Land eingezogen war. Die Zeit der Nächstenliebe. Pah, so ein Schwachsinn. Ein junger Mann mit zweifarbigen Haar blieb kurz vor einem ausladenden Schaufenster stehen und schnaubte nur verächtlich bei diesem Werbeslogan. Die Hände tief rechts und links in den Jackentaschen vergrabend wandte er sich auch schon wieder von diesem ab und folgte mit eiligem Schritt seinen Weg weiter. Dabei ignorierte er vollkommen die herrlich geschmückte Stadt. Überall waren die Kronen der Bäume mit Lichterketten versehen worden. Große leuchtende Girlanden waren hoch über den Köpfen der Menschen zwischen Häusern befestigt. Kleine Stände, die wundervolle Köstlichkeiten, heiße Getränke oder Selbstgebasteltes anpriesen, waren aufgebaut. Der aufkommende Wind blies eisige Luft durch die Straßen und der junge Mann zog seinen Kopf zwischen seine Schultern. Er beschleunigte seine Schritte. Als er um die nächste Ecke bog, konnte er schon von weitem seine Verabredung erkennen. Seine Mundwinkel kräuselten sich kurz zu einem Schmunzeln. Die orange Mütze leuchtete grell zwischen den doch eher trist gekleideten Menschen auf. Auch die Jacke würde man sicher nicht als unscheinbar bezeichnen. Mit suchendem Blick drehte sich seine Verabredung leicht nach rechts und links. Erst als er fast vor ihr stand entdeckte sie ihn, was ihn nicht verwunderte. Auch wenn er, wie er selbst fand, doch schon einen recht imposanten Eindruck machte, so kleidete er sich lieber in dunklen, unauffälligen Farben. Blaue Augen leuchteten erfreut auf: „Hallo Kai, schön das du gekommen bist.“ Seinerseits folgte nur ein Nicken. Er war kein Mann vieler Worte. Der blonde Junge vor ihm lachte fröhlich: „Oh man, wie ich das vermisst habe!“ Kai zog leicht eine Augenbraue in die Höhe. Hatte er etwas verpasst? So lang war ihr letztes Treffen nun auch wieder nicht her und außerdem, Max hatte ihn beziehungsweise sein Verhalten vermisst? Bevor er sich jedoch weiter Gedanken darüber machen konnte, hatte Max sich schon bei ihm eingeharkt und zog ihn über die Straße. „Die anderen kommen auch heute, wir beide treffen uns gleich mit ihnen auf dem Weihnachtsmarkt. Da bei dem einem Stand, direkt neben dem großen Weihnachtsbaum“ plapperte Max direkt weiter. Damit hatte Kai eigentlich schon gerechnet. Nicht unbedingt damit das sie sich auf dem Weihnachtsmarkt treffen würden, obwohl, wenn er so darüber nachdachte, war auch das voraussehbar, sondern das auch die anderen Teammitglieder kommen würden. Ein leises Seufzen verließ seine Lippen, das Treffen würde anstrengend werden. Zu viele Menschen auf dem Weihnachtsmarkt, sprich es würde ein reges Gedränge geben und damit wäre auch die Lautstärke um einiges höher als er vertragen konnte. Gut, eigentlich war er ja hohe Lautstärken gewohnt. Immerhin zählte er zu den berühmtesten Beyblade-Sportlern und bei Wettkämpfen ging es alles andere als leise zu. Doch konnte er bei Wettkämpfen und anderen diversen Veranstaltungen die Lautstärke einfach ausblenden. Dies ging in diesem Fall nicht. Dann hätte er auch direkt zuhause bleiben können. Denn wenn er einmal abgeschalten hatte, bekam er so gut wie nichts mehr mit. „Hey Kai, hörst du mir überhaupt zu?“ Etwas aufgeschreckt schaute er zu seinem blonden Begleiter. Dieser war stehen geblieben und sah Kai vorwurfsvoll in die roten Augen. Doch schon wenige Augenblicke später zeichnete sich wieder ein Lächeln in Max Gesicht. „Hach Kai, wenn du mal in Gedanken bist, bekommt man dich wirklich schwer wieder zurück. Ich hab gesagt, da vorne ist schon unser Treffpunkt mit den anderen. “ Max zeigte mit seinem Finger an Kai vorbei. Dieser folgte mit seinem Blick und es grauste ihn ein wenig. Er konnte die riesige geschmückte Tanne erkennen und unter ihr massenhaft viele Menschen, die sich eng aneinander und um die verschiedene Stände tummelten. Ohne auf eine Antwort von Kai zu warten, zog Max ihn inmitten dieser Menschenmassen. Zum Glück dauerte es nicht lange und sie waren am Treffpunkt angekommen. Dort standen auch schon die restlichen Jungs aus ihrem Team. Tyson, Ray und Kenny. Auch sie waren in dicke Mäntel gehüllt. Freudig wurden sie begrüßt. „So, wo wir jetzt alle da sind, können wir es uns ja jetzt gemütlich machen und uns was warmes zu trinken holen“, Ray lächelte in die Runde und rieb dabei seine Hände aneinander. Seine Wangen waren bereits von der Kälte schon leicht gerötet. „Wer will was?“ Jeder der Jungs gab seine Bestellung auf. Ray und Max holten die gewünschten Getränke. Die Gesprächsthemen waren wild durchmischt. Hin und wieder gab Kai einen Kommentar ab. Natürlich kam auch das Thema Lieblingsjahreszeit auf. „Also ich mag ja den Winter am liebsten. Wenn alles so schön verschneit ist. Die vielen geschmückten Städte, dass sieht einfach nur wundervoll aus. Und außerdem ist Weihnachten im Winter. Man trifft seine Familie und Freunde..“ weiter schwärmen konnte Max nicht mehr, da Kai ihn unterbrach. „Und die ganzen Streitereien. Das Abgehetze nach Geschenken. Das ganze rumgeheuchel mit der Verwandtschaft. Die Kälteopfer. Überteuerte Heizkosten. Hab ich was vergessen? “ Völlig entgeistert starrten ihn seine Freunde an. Doch das kümmerte ihn wenig. Kai zuckte mit den Schultern: „Der Winter ist die verlogenste Jahreszeit. Oder zumindest die Einstellung der Menschen in der ersten Hälfte davon. Sie predigen etwas von Nächstenliebe und Familienzusammenhalt, doch in Wirklichkeit juckt es doch niemanden wie es den anderen geht. Nur weil man sich für ein paar Tage zusammenreist und die Familie besucht oder etwas Geld an irgendeine soziale Organisation überweißt, ist das noch lange keine Nächstenliebe. Die meisten Menschen haben dadurch nur ihr Gewissen beruhigt. “ Kai kotzte sich richtig aus. Er mochte den Winter nicht. Auch wenn er in Russland aufgewachsen war. Der Frühling war ihm um einiges lieber. Er war für ihn ein Zeichen der Hoffnung. „Aber Kai, so kannst du da doch auch nicht sagen“ empörte sich Tyson. „Wenn du dich so darüber aufregst, dann erzähl doch mal was du so machst. Oder heuchelst du uns auch etwas vor? “ Kais Augenbraue hob sich elegant nach oben, mit dem Ellenbogen lehnte er sich auf den kleinen Tisch um den sie alle standen. „Eigentlich geht es euch ja nichts an, aber damit du es weißt: Die Hälfte von dem Erbe meines Großvaters wurde an ein russisches Kinderheim gespendet. Und auch hier erhalten einige soziale Organisationen regelmäßige Checks.“ Damit hatte wohl keiner gerechnet. Betrübt ließen die Jungs ihre Köpfe hängen. Die Stimmung war dahin. Und Kai tat es etwas leid. Es war nicht wirklich seine Absicht gewesen ihnen die Stimmung zu versauen. Aber er mochte den Winter einfach nicht. Er kannte das Leid auf den Straßen nur zu gut und er konnte die Ignoranz der Menschen einfach nicht verstehen. Vor allem wenn sie anfingen von Weihnachten und Nächstenliebe zu sprechen. Doch zurück zu seinen Teamkameraden. „So und nun hebt alle mal wieder eure Köpfe nach oben. Ich lade euch jetzt zum Essen ein. Kommt, lasst uns gehen. Mir ist es hier eh viel zu laut“ versuchte Kai, die Stimmung etwas zu heben. Und siehe da, es funktionierte. Er kannte sein Team eben gut genug. Es war eben ein verfressener Haufen. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Der Kindergarten hatte ihn doch verändert. „Hey Kai! Komm!“ Verwundert schaute Kai vor sich. Tyson hatte laut nach ihm gerufen. Er und die restlichen Jungs waren schon einige Meter weiter vorne. Seufzend schüttelte er sein blau-graues Haar, Situationen wie diese, würden sich wahrscheinlich nie ändern. Die gerissene Stimmung war schnell vergessen und so verbrachten die Fünf doch noch einen gemütlichen Abend in einem Restaurant. Da Kai die Rechnung übernahm war er auch der Letzte aus seinem Team der das Restaurant verließ. Die schneidend kalte Luft blies ihm direkt in sein Gesicht als er auf die Straße trat. Er blieb noch einen Moment stehen, klappte den Kragen seines Mantels nach oben und schob seine ungeschützten Hände in die Taschen. Gerade als er eine Straße überqueren wollte, bemerkte er auf der anderen Seite ein Mädchen. An sich keine Besonderheit. Doch ihre Bekleidung war alles andere als passend für diese kalte Jahreszeit. Verwundert blieb er stehen und betrachtete sie sich genauer. Sie hatte etwas schulterlanges braunes Haar, welches schlaff und glanzlos herunterhing. Ein schmutziger grauer Mantel hing von ihren knochigen Schultern und reichte ihr knapp bis über die Hüfte. Darunter kam ein schwarzer zerschlissener Rock zum Vorschein, welcher gerade so ihre Knie bedeckte. Sein Blick glitt an ihren nackten Beinen herab. Wenigstens ihre Füße sollten in warmen Schuhen einen Platz finden, doch nur einer steckte in einem ausgebeulten, wahrscheinlich drei Nummern zu großen, Stiefel. Bei diesem Anblick wurde dem jungen Mann direkt noch kälter. Einige Passanten liefen an dem armen Mädchen vorbei und ignorierten sie vollkommen, als es einige Schritte auf diese zuging und ihnen scheinbar etwas zeigen wollte. Die Braunhaarige schaute sich um und ging erneut auf eine kleine Gruppe Passanten zu. Und auch diese ignorierten sie. Enttäuscht lies es den Arm und ihren Kopf sinken. Nun war Kai neugierig geworden, denn sie schien nicht zu betteln, sondern den Leuten irgendetwas anbieten zu wollen. Mit schnellen Schritten überquerte er die Straße und folgte dem Mädchen mit einigem Abstand. Als eine Mutter mit ihrem Kind die Straße entlang lief, konnte Kai erkennen was das Mädchen in den Händen hielt. Es waren Beybladteile. Der kleine Junge war vor ihr stehen geblieben und betrachtete sie aus großen verwunderten Augen: „Ist dir nicht kalt?“ Die Mutter versuchte ihren Jungen weiter zu ziehen, doch er blieb einfach stehen. Sanft lächelte das Mädchen und beugte sich zu ihm herunter: „Ach, das geht schon. Aber danke für die Frage.“ Der kleine Junge schien nicht zu verstehen warum sich dieses Mädchen bei ihm bedankte und legte den Kopf schief: „Warum bedankst du dich denn? Ich hab doch gar nichts gemacht.“ Erneut lächelte sie und legte ihre rechte Hand auf seinen Kopf: „Doch hast du und wenn du mal älter bist, wirst du auch verstehen was ich meine.“ Nun schien der Mutter der Geduldsfaden zu reisen, sie zog nochmals kräftig an ihrem Sohn, sah dabei das Mädchen missbilligend an und verschwand. Das Mädchen drehte sich um und sah den Beiden hinterher. Der kleine Junge winkte ihr und auch sie hob lächelnd ihren Arm um zurück zuwinken. Als Mutter und Sohn endgültig aus ihrem Sichtfeld verschwunden waren, entdeckte sie Kai. Dabei zuckte sie kurz zusammen. Sie hatte gar nicht bemerkt, das noch jemand hinter ihr stand. Schüchtern ging sie auf ihn zu, streckte ihre Hand aus und fragte ganz leise: „Entschuldigen Sie Sir, aber…würden Sie mir vielleicht ein Beybladeteil abkaufen?“ Kai legte bei dieser Frage den Kopf schief und betrachtete sich den Gegenstand auf ihrer Hand. Schon von weitem konnte er erkennen das der Abwehrring, den sie da offenbarte aus billigem Material bestand. Nun gut, woher sollte sie auch Beybladeteile bekommen die aus wirklich hochwertigen Materialien angefertigt worden waren? Seine Augen wanderten über ihre schmale Gestalt. Sie schien nicht viel jünger als er selbst zu sein. Ihr Gesicht wirkte leicht grau, die Wangen waren eingefallen. Was ihm jedoch sofort auffiel, waren ihre großen dunkel-braunen Augen. In ihnen war immer noch Leben zu erkennen. Umso schwerer wurde Kai ums Herz als er erneut auf ihre Schuhe blickte. Zumindest auf einen, der andere nackte Fuß, war schon ganz blau. „Wo ist dein anderer Schuh Mädchen?“ Verlegen lächelte sie: „Es ist eigentlich eine ganz lustige Geschichte.“ Zweifelnd hob Kai eine Augenbraue, dass konnte er sich bei besten Willen nicht vorstellen. „Also wissen Sie, vorhin musste ich mich ganz schnell beeilen und dabei hab ich dann den einen Stiefel verloren. Ich bin dabei über die Straße gelaufen und als ich ihn mir wieder holen wollte, kam ein kleiner Junge und hat ihn mir vor meinen Augen weggeschnappt. Als ich ihm dann gesagt habe, dass es mein Stiefel sei, sagte er das er ihn unbedingt haben wolle um ihn als Bettchen zu benutzen wenn er selber einmal Kinder habe. Lustig nicht wahr?“ Ihr Lachen klang jedoch eher hol als freudig. Ein kalter Luftzug lies das Mädchen zusammen zucken. Und in Kais Hals formte sich ein dicker Klos, den er versuchter hinunter zu schlucken. Das Mädchen vor ihm tat ihm undendlich leid. Traurig sah er auf die dürre Gestalt herab. Ein trauriges Seufzen verließ seine Lippen, als er sah wie sehr sie fror. Und somit machte er etwas, was ihm als einzigRichtig erschien und streifte sich seinen dicken Mantel von den Schultern und legte ihn dem Mädchen um. Erstaunt sah sie ihn mit ihren großen braunen Augen an. Noch nie in ihrem Leben hatte je jemand so etwas für sie getan. „Aber Sir, das kann ich doch nicht annehmen. Der Mantel ist viel zu teuer, als das ich ihn verdient hätte. Und außerdem wird Ihnen jetzt bestimmt auch sehr kalt und Sie werden dann krank“ Und diesmal war es Kai der lächelte: „Ach Mädchen, mach dir um mich keine Sorgen. Ich hab davon noch einen.“ Er zwinkerte. Mit ihren langen dünnen Fingern zog sie sich den schönen wärmenden Mantel noch enger um den Körper. Er war so schön warm. Sie konnte noch die volle Körperwärme des Mannes vor ihr in dem Mantel spüren. Auch sein angenehmer Geruch kroch ihr in die Nase. Seit sehr langer Zeit fühlte sie wieder etwas Glück in sich aufsteigen. „Vielen, vielen Dank. Wie kann ich dies nur wieder gut machen?“ Sie fühlte sich unsicher. Auch wenn der Mann vor ihr keine Gefahr ausstrahlte, so konnte man ja nie wissen was jemand als Gegenleistung erwartete. Denn so waren die Menschen die sie bisher kennen gelernt hatte. Niemand gab einem anderen einfach so etwas. Und Kai schien ihre Gedanken zu erahnen, denn er erwiderte einfach: „Nimm es einfach als Geschenk. Zu Weihnachten“ Unsicher sahen ihn dunkle Augen an. „Nun glaub mir, ich erwarte keine Gegenleistung von dir.“ Skeptisch hob sich eine ihrer Augenbraue: „Sicher?“ Kurz tat Kai so als ob er überlegen müsste. Jedoch fiel ihm wirklich noch etwas ein. „Mhm, wenn du mich schon fragst, fällt mir doch noch etwas ein.“ Sie hatte es gewusst. Jeder, egal wie nett er auch erschien, wollte eine Gegenleistung. „Ich möchte das du mit mir etwas essen gehst.“ Völlig überrumpelt starrte sie ihn an. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht mit so was. „Du hast doch bestimmt Hunger und richtig aufwärmen kannst du dich dann auch “ meinte Kai. „Och wissen Sie, irgendwann merkt man den Hunger gar nicht mehr“, sie senkte ihren Kopf. Ihre letzte Mahlzeit war schon eine Weile her. Wenn sie so darüber nachdachte konnte sie sich gar nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte mal etwas gegessen hatte. Sein Angebot erschien ihr so unwirklich. Warum tat er das für sie? „Na komm, wir suchen uns jetzt irgendwo was leckeres zu essen. Hast du irgendeinen Wunsch?“ Kai bugsierte sie sanft die Straße entlang. Vor einem indischen Restaurant blieb sie stehen und schaute auf die Karte. Hier wollte sie schon immer einmal die Speisen probieren. Sie hatte schon so viel davon gehört, doch nie konnte sie es sich leisten in einem solchen Restaurant essen zugehen. „Magst du indisches Essen?“ er beugte sich etwas über sie um auch einen Blick auf die Speisekarte, welche vor dem Lokal aushing, zu werfen. „Keine Ahnung. Ich wollte es aber schon immer einmal probieren“ unsicher drehte sie sich zu Kai um. Und erst jetzt fielen ihr seine roten Augen auf. Eine seltsame Farbe bemerkte sie im Stillen. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen: „Na dann komm, sie haben noch geöffnet. Dann kannst du herausfinden ob es dir schmeckt.“ Vorsichtig schob er sie in das Lokal. Als die Tür aufging schauten einige Gäste auf und verzogen augenblicklich ihr Gesicht als sie das Mädchen sahen. Sie wollten solch eine Gestalt nicht in ihrer Nähe haben. Und kaum stand sie richtig im Eingangsbereich kam auch schon der Oberkellner angelaufen. „So geht das nicht. Sie zu das du Land gewinnst! “ dabei fuchtelte er mit seinem Arm vor ihrer Nase herum. Kai, welcher gerade noch die Eingangstür geschlossen hatte, verzog grimmig das Gesicht. Er sah zu der Braunhaarigen die verängstigt vor dem Kellner stand und sich schon wieder in seine Richtung drehte um wieder zu gehen. Doch Kai legte nur schützend den Arm um sie und drehte sie wieder um. „Gibt es ein Problem“, fragte er den Kellner recht unterkühlt. „Ja, das sehen Sie doch. Sie können nicht einfach…“ der Kellner verstummte plötzlich und betrachtete sich den jungen Mann vor sich genauer. Kai zog eine Augenbraue skeptisch nach oben. Das Gesicht des älteren Mannes erhellte sich und schon hatte er sich vor ihm verbeugt: „Es tut mir sehr leid Herr Hiwatarie, das ich Sie nicht direkt erkannt habe. Natürlich gibt es kein Problem. Folgen Sie mir. Ich habe noch einen ganz besonderen Tisch für Sie.“ Der Mann vor ihnen dackelte davon und Kai schob aufmunternd lächelnd das Mädchen hinter her. Sie hingegen glaubte jeden Augenblick in Ohnmacht fallen zu müssen. Wie konnte sie nur so blind sein. Natürlich seine roten Augen, spätestens da hätte sie ihn doch erkennen müssen. Innerlich klatschte sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Und ausgerechnet ihm, hatte sie diese billigen Beybladteile angeboten. Jetzt war ihr alles noch viel unangenehmer und peinlicher als zuvor. Als der Kellner den Stuhl für die Braunhaarige zurück ziehen wollte, machte Kai ein kurzes Handzeichen. Der Mann nickte und machte ihm Platz. Sanft schob er die Jüngere vor den Stuhl und schob diesen dann so zu ihr, das sie sich bequem setzten konnte. Er vernahm ihr leises: „Danke.“ Und setzte sich genau gegenüber von ihr. Sie hielt ihren Kopf gesenkt und das schon seitdem der Kellner ihn erkannt hatte. „Ist alles ok?“, fragte er nach. „Ja, klar. Ich..ich hatte Sie nur nicht direkt erkannt und…“ schreckte sie auf. „Und das ist dir jetzt peinlich?“, beendete er ihren Satz. Schüchtern nickte sie. Kai lachte kurz auf: „Das muss dir doch nicht peinlich sein. Weißt du wie nervig das ist immer direkt erkannt zu werden? Ich bin froh das es bei dir nicht so war.“ Ein räuspern ließ Kai seinen Kopf nach rechts drehen. Den Kellner hatte er schon fast wieder vergessen. „Oh Entschuldigung. Wir nehmen eine große Flasche Wasser und noch einen wärmenden Tee für die Dame. Und natürlich noch die Speisekarte“, damit war seine Bestellung erst einmal beendet. Der ältere Herr notierte sich alles, beugte sich dann leicht vor und fragte: „Irgendeinen bestimmten Tee, Madam?“ „Ähm ja, einen Früchtetee bitte.“ Der Kellner nickte, verschwand für einen kurzen Moment und kam dann mit zwei Speisekarten zurück, die er vor die beiden Gäste legte. Weiterhin eingeschüchtert klappte das Mädchen diese auf. Kai derweilen ließ sie unbeachtet auf dem Tisch liegen. Er hatte ja erst gegessen und verspürte keinen weiteren Appetit. „Du kannst dir alles bestellen worauf du Lust hast, nur keine Scheu, …ähm.. wie heißt du eigentlich?“, bei dieser Frage legte er leicht seinen Kopf schief. „Hilary..“, mehr sagte sie nicht. Warum auch. Ihr Nachnamen zu nennen machte keinen Sinn, denn es war eher unwahrscheinlich das er ihre Telefonnummer oder Adresse in einem Telefonbuch nachschauen würde. Denn beides war nicht vorhanden. „Ok Hilary, dann nenn mich einfach beim Namen und hör auf mich zu siezen. So groß ist unser Altersunterschied wahrscheinlich nicht.“ Nun lächelte sie endlich wieder und nickte. Eine Tasse Tee und die Flasche Wasser mit zwei Gläsern wurde vor ihnen abgestellt. „Haben Sie schon gewählt?“, erwartungsvoll sah er die Beiden an. Hilary nickte und gab ihre Bestellung auf, jedoch achtete sie darauf dass es nichts zu teures war. Dann sah sie zu Kai der nur leicht abwinkte: „Danke, aber ich möchte momentan nichts.“ Der Kellner zuckte mit den Schultern und verschwand wieder. Ihm passte es ganz und gar nicht das sich dieses Mädchen hier aufhielt. Sie störte das Ambiente in diesem Restaurant. Auch die anderen Gäste warfen immer wieder einen Blick auf das ungleiche Paar. Jedoch traute sich keiner von ihnen etwas verlauten zulassen. Und schon gar nicht, seit sie alle erkannt hatten, wem sie diesen seltsamen Anblick zu verdanken hatten. Kai bemerkte diese Blicke natürlich, doch ließ er sich davon nicht stören. Jedoch konnte er sehen, das Hilary sich unwohl fühlte. Sie rutschte auf ihrem Stuhl hin und her und zeichnete mit ihrem Finger unsichtbare Kreise auf die Tischdecke. Um sie etwas abzulenken fragte er: „Möchtest du nichts trinken?“ „Und du willst wirklich nichts essen?“, war ihre Gegenfrage, doch nahm sie danach einen Schluck von ihrem warmen Tee. Sofort begann sich die Wärme in ihrem ausgekühlten Körper zu verbreiten. Auch die Wärme die in dem Lokal herrschte tat ihren Teil dazu bei und schnell wurde ihr unter dem dicken Mantel heiß. Doch diesen abzulegen traute sie sich nicht. Denn er war das einzige Kleidungsstück, welcher ihre zerschlissene Kleidung einigermaßen verbarg. „Nicht wirklich, ich hab mich vorhin mit Freunden getroffen und hatte da schon was gegessen.“ „Du hättest mich wirklich nicht hier hin bringen müssen. Ein Stück Brot hätte es auch getan“, gab Hilary leise von sich. Doch Kai schüttelte nur seinen Kopf: „Nein, ein Stück Brot hätte es nicht getan. Du warst ganz durchgefroren und hast wahrscheinlich schon seit Tagen nicht mehr richtig gegessen. Deshalb, genieß es einfach.“ „Aber..“ versuchte sie zu widersprechen und wurde direkt von Kai abgewürgt. „Kein ‚aber‘. Nimm es einfach an“, für den jungen Mann war somit das Thema erledigt. Eine unangenehme Stille breitete sich an ihrem Tisch aus. Um diese wieder zu verjagen stellte Kai ihr verschiedene Fragen zu ihrer aktuellen Lebenssituation. Er wollte unbedingt wissen warum so ein junges Mädchen auf der Straße lebte. Er erfuhr, das ihre Mutter vor einigen Monaten verstorben war und ihr Vater mit dem Tod seiner Frau nicht zurechtkam. Er verfiel in tiefe Depressionen und begann zu trinken. Dadurch hatte er seine Arbeit und ihr beider zuhause verloren. Deshalb lebten sie eigentlich in einer Wohnwagensiedlung außerhalb der Stadt. Doch auch da musste man Miete zahlen. Sie verließ die Schule, verkaufte alles Hab und Gut um die Rechnungen zahlen zu können. Ihr Vater hingegen investierte in seinen Alkoholkonsum. Kurz unterbrach sie sich, als der Kellner ihr Essen brachte. Hilary starrte gedankenverloren auf den Teller. Der Geruch des Gerichts waberte langsam hinauf zu ihrer Nase und holte sie in die Gegenwart zurück. Ihr Magen meldete sich und plötzlich verspürte sie einen richtigen Hunger. Sie musste sich zusammenreisen um nicht alles auf einmal zu verschlingen. Sie nahm einen Bissen von der Gabel und schloss genießerisch ihre Augen. Schon sehr sehr lange hatte sie nichts mehr so feines geschmeckt. Kai beobachtete sie dabei und ein Lächeln schlich sich unbemerkt in sein Gesicht. Als ihm das auffiel, wunderte er sich doch ein wenig über sich selbst. Es war bestimmt eine Ewigkeit her, das er das letzte Mal so oft gelächelt hatte. Und schon gar nicht bei einer eigentlich wildfremden Person. Er bemerkte ihren fragenden Blick und schüttelte sein blau-graues Haar: „Es ist nichts, iss nur weiter.“ Es dauerte nicht lange und ihr Teller war komplett leer gegessen. Satt lehnte sie sich zurück, lächelte und strich sich über ihren gefüllten Bauch. Nun hatte sie auch wieder genug Kraft um weiter zu erzählen: „Irgendwann, hab ich dann auch angefangen meine Kleidung zu verkaufen. Der Alkohol hat meinen Vater vollkommen verändert. Er ist inzwischen nicht mehr wider zuerkennen. Ich kann es nicht leiden wenn er betrunken ist, doch ich hasse es wenn er nüchtern ist. Er wird sehr schnell aggressiv und wenn kein Alkohol im Haus ist, wird er sogar handgreiflich. Ich musste einfach von zuhause weg. Und da hab ich mich eines Nachts einfach davon geschlichen. Ich hab nur das mitgenommen was ich am Körper trage. Viel mehr hab ich ja auch nichtmehr. Hier in der Stadt hab ich dann mir verschiedene Jobs gesucht. Doch wirklich geklappt hatte es nicht. Hin und wieder hab ich Arbeit gefunden, die wurde aber meistens auch ziemlich schlecht bezahlt. Und von dem Geld hab ich dann Beybladeteile gekauft, um diese wieder verkaufen zu können. Doch die Rechnung ging voll und ganz nach hinten los. “ Sie zog eine Grimasse. Kai hatte seine Ellenbogen auf dem Tisch aufgestellt und stützte sein Kinn leicht auf dem Handrücken ab. Aufmerksam hatte er zugehört. Er wusste nicht was er jetzt sagen sollte. Noch nie hatte er sich mit solchen Situationen auseinandersetzten müssen. Erneut gesellte sich der Kellner an ihren Tisch und fragte ob alles gut sei. Beide nickten nur kurz und er verschwand wieder. „Mhmm, das tut mir leid“, mehr kam nicht über Kais Lippen. Hilary aber lächelte ihn an: „Ach das brauch dir nicht leidtun, du kannst ja gar nichts dafür.“ „Trotzdem“, kam es genuschelt von Kai. Er überlegte wie er ihr helfen konnte. „Du könntest für eine Zeit lang bei mir unterkommen. Oder ich helfe dir eine Wohnung und einen Job zu finden “ meinte er vorsichtig. Schnell winkte Hilary ab: „Oh nein. Du brauchst nichts für mich machen. Ich schaff das schon. Du hast mir heute schon so viel Gutes getan. Nein, nein. Aber vielen Dank.“ Der junge Mann verdrehte die Augen: „Jetzt lass dir doch von mir helfen. Bei dem Wetter da draußen erfrierst du doch noch.“ „Nein, danke. Ich schaff das. Wirklich. Und ich würde gern langsam gehen. Ich wollte heute Nacht noch in ein Obdachlosenheim. Dort bekomm ich dann einen warmen Schlafplatz.“ Seufzend winkte Kai den Kellner zu sich. Was konnte er schon machen? Sich das Mädchen über die Schulter werfen, mit zu sich nach Hause nehmen und dann bei sich einsperren? Wohl kaum. Er würde sie noch wenigstens sicher zu einem Asyl bringen. Schnell hatte er bezahlt und dem Kellner mit folgenden Worten: „Wenn das nächste mal so ein armes Geschöpf Ihr Restaurant betritt werden Sie ihm gefälligst einen Tee und etwas zu Essen anbieten“ ein ordentliches Trinkgeld gegeben. Vor dem Restaurant wollte Hilary den Mantel ausziehen und ihn Kai wiedergeben. Doch er legte nur eine Hand auf ihre schmale Schulter und verneinte ihr Vorhaben. „Den behälst du mal schön. Ich hab noch den dicken Pulli. Und lass mich dich auch wenigstens noch zu dem Asyl bekleiden. Wer weiß was dir sonst noch passiert“ Sie hielt in ihren Bewegungen inne und sah mit einem fröhlichen Ausdruck in den Augen zu Kai. Dann schritt sie voran und Kai folgte ihr. Einige Tage später fiel der erste Schnee. Pünktlich am Weihnachtstag. Doch Kai konnte sich nicht an dem herrlichen Anblick, der verschneiten Stadt, erfreuen. Zu sehr kreisten seine Gedanken um das obdachlose Mädchen. Er war direkt am nächsten Morgen, nach ihrem Treffen, in ein Geschäft gegangen und hatte dicke Winterstiefel, Socken und einen Gutschein für Kleidung gekauft. Danach ging er zu dem Obdachlosenheim wo er Hilary hin begleitet hatte. Doch sie war nicht mehr da. Und niemand konnte ihm sagen, wo er sie finden konnte. Also suchte er nach ihr. Die Suche blieb erfolglos. Auch die Tage danach suchte er das Mädchen. Schließlich gab er auf. Jedoch trug er die ganze Zeit die Sachen, die er für die gekauft hatte, bei sich in seinem Rucksack. Der junge Mann war auf dem Weg zu Tyson. Sie wollten alle dort gemeinsam den ganzen Weihnachtstag verbringen. Kai hatte nur widerwillig zugesagt. Durch die Gedanken an Hilary konnte er sich nicht mehr entspannen. Er wollte sie gut versorgt wissen. Denn wie konnte er denn sonst wirklich Weihnachten feiern? Noch einmal ging Kai die Straße entlang, wo sie sich begegnet waren. Dies war zwar ein Umweg, aber er nahm ihn gerne in kauf. Nirgends war sie zu sehen. An einer kleinen Kreuzung blieb er stehen und starrte in die winzige Gasse. Langsam trugen ihn seine Füße in diese hinein. Als er sie fast ganz passiert hatte entdeckte er sie. Sie saß zusammengekauert an die Fassade eines älteren Gebäudes gelehnt. Vorsichtig näherte Kai sich ihr. Ihr Körper war immer noch in seinen Mantel gehüllt. Doch schien er sie nicht endgültig gewärmt zuhaben. Denn ihre Augen waren geschlossen, die Lippen durch die Kälte bläulich verfärbt, genau wie ihre Hände und Füße. Sie schien wohl auch den zweiten Stiefel verloren zu haben. Ihre restliche Haut war weiß wie Wachs. Langsam ließ Kai sich vor dem dunkelhaarigen Mädchen nieder und streckte vorsichtig eine Hand nach ihr aus. Als er sie berührte schreckte seine Hand kurz zurück. Sie war eiskalt. Er suchte nach ihrem Puls. Erfolglos. Dann fiel sein Blick neben das Mädchen. Überall waren Streichhölzer verteilt. „Du dummes Ding. Warum hast du nicht einfach mein Angebot angenommen? Warum warst du bei solchen Temperaturen denn hier draußen?“ seine Stimme hörte sich für ihn fremd an. Traurig schloss er die Augen. Er fragte sich, was wohl ihr letzter Gedanke war bevor sie für immer einschlief. Ob sie für einen Moment an ihr letztes Weihnachtsfest mit ihrer Mutter zurückdachte? Mit einer fließenden Bewegung hatte er den toten Körper des armen Mädchens in seine Arme gezogen und drückte sie noch einmal fest an sich. Und während er sein Handy zückte um die Polizei zurufen, fragte er sich, was er hätte anders machen sollen. Wie hätte er den Tod des Mädchens verhindern können? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)