Zwischen den Fronten von Izu-chan (RusAme) ================================================================================ Kapitel 3: Russische Wanderwege ------------------------------- Es war dunkel und eisig kalt geworden. Der schneidende Wind pfiff Amerika die Schneeflocken ins Gesicht. Auch seine um den Körper geschlungenen Arme konnten die bittere Kälte nicht davon abhalten, sich in seinen tauben Gliedern breitzumachen. Es wurde seit einiger Zeit immer schwerer, durch den Schnee zu stapfen, sodass er zunehmend hinter der beigefarbenen Gestalt zurückfiel. Doch er bemerkte kaum, dass diese bald nur noch ein dunkler Schatten war, denn seine Augen waren müde auf den Schnee direkt vor seinen Füßen gerichtet. Hin und wieder schloss er sie ganz, um ihnen eine Pause von dem stechenden Wind zu gönnen. Nachdem er eine Weile lang beim Gehen nur den Schnee angestarrt hatte, spürte er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter und blieb mit abruptem Aufsehen stehen. Er war zu müde, um gegen irgendetwas zu protestieren, als Russland ihm eine Hälfte seines langen Schals um den Hals wickelte, ihn dann an der Hand nahm und hinter sich her zog. Dieser Mann war seltsam… Eindeutig seltsam. Hatte nicht genau jener Mann ihn erst gestern mit einer eisernen Rohrleitung niedergeschlagen, weil er sich in seinen Konflikt eingemischt hatte? Nein, es war eher gewesen, weil er ihn beleidigt hatte, indem er ihn als schwach bezeichnete… Dabei war Russland so viel stärker als er… Ihrer beider Hände steckten in Handschuhen, dennoch konnte er den starken Händedruck deutlich spüren. „Eine Hütte“, machte ihn die dumpf unter dem Schal erklingende Stimme seines Begleiters auf ein schwaches Licht aufmerksam, woraufhin sie abrupt die Richtung änderten. Amerika stolperte hinterher, als Russland gekonnt einen schneebedeckten Abhang hinab rutschte. Erst als sie beinah schon vor der Tür angekommen waren, fand der Blonde wieder festen Boden unter seinen wackeligen Beinen. Ein Mann mittleren Alters öffnete ihnen, nachdem Russland ohne Zögern geklopft hatte. Ungeachtet seiner enormen Erschöpfung verfolgte Amerika die ihm seltsam erscheinende nonverbale Kommunikation. Russland blickte den Mann bloß lächelnd an, bis dieser zur Seite trat und mit einem einladenden Nicken den Weg in sein Haus freigab, als empfange er einen alten Freund, dem er nicht nur vertraute sondern dem er außerdem tiefen Respekt entgegenbrachte. Ihr offenbar neuer Gastgeber fragte etwas, woraufhin Russland ihn, Amerika, kurz aus dem Augenwinkel musterte, bevor er nickend seine Zustimmung gab. Während der Mann im Haus verschwand, ließ Russland seine Hand los und machte sich daran, ihm den Schal abzuwickeln. „Den nehme ich zurück, da?“ Amerika nickte bloß. Seine Lippen waren so taub wie seine Glieder und er bezweifelte, dass er ein Wort herausbringen konnte. Erschöpft folgte er Russland, als dieser sich wie selbstverständlich in dem fremden Haus bewegte und ein Zimmer betrat. Das Bett sah in seinen Augen aus wie der siebte Himmel. Dennoch steuerte er einen der beiden Sessel vor dem spärlich brennenden Kamin an und ließ sich in voller Montur dort nieder. Das Bett würde er Russland überlassen. Sein Blick war kaum zwei Minuten lang verträumt auf die Glut gerichtet, da sanken seine Lider herab und der Schlaf legte ihn in eiserne Ketten. Amerika schlief wie im Koma. Er bekam nicht mit, dass Russland eine Weile später nach ihm sah, nicht, dass Russland ihn auszog und näher an die Glut schob und noch weniger, wie Russland mit einem gequälten Gesichtsausdruck, den er niemandem je zeigen würde, seine Hand anblickte, nachdem er festgestellt hatte, dass er Amerikas Körpertemperatur nur als „heiß“ einstufen konnte, obgleich dessen Glieder Frostbeulen aufwiesen. Er bekam nicht mit, wie viel Zeit er verschlief. Dafür bekam er es umso deutlicher mit, als sich eine kühle Hand auf seine Brust legte, und öffnete daraufhin schlagartig die Augen. Es war finster und er lag. Von draußen schien ein schwaches Sturmlicht hinein, doch nichts an dieser Situation, in der er sich plötzlich befand, konnte das Gefühl der kalten Hand auf seiner Brust verblassen lassen. Der Atem in seinem Ohr hingegen war warm. „Russ-“, setzte er unbehaglich zu einer Frage an, woraufhin sich abrupt eine Hand über seinen Mund legte, die jegliches Wort verbot. Amerika schielte hinter sich, konnte jedoch keinen noch so geringen Blick auf den Größeren werfen. „Schht“, wurde leise in sein Ohr gezischt. Dem Blonden pochte sein Herz durch den ganzen Leib, selbst seine Kopfhaut begann zu kribbeln. Jede Region seines Körpers sendete Gefahrensignale aus, die in Angst überfluteten und ihn zur Flucht antreiben wollten. Doch das konnte er nicht. Die amerikanische Nation fühlte sich schwach, unbekleidet, wenigstens in eine wärmende Wolldecke gehüllt, aber doch im Griff einer zukünftigen Weltmacht, die allgemein hin für alle Adjektive von kalt über grausam bis hin zu wahnsinnig stand. Das Herz wollte ihm aus der Brust springen und die Flucht ergreifen, doch er zwang sich, ruhig zu atmen. Soweit er sich erinnerte, hatte er nichts Falsches getan, und ein Held würde niemals ohne Grund fliehen. Auch hatte Russland ihm bisher nie etwas angetan. Langsam holte er seine Hand aus der Decke hervor und zog die kühlen Finger ein wenig hinab, ohne jedoch zu reden, oder auch nur Anstalten dazu zu machen. „Tut es weh?“, erkundigte sich Russland wie üblich mit kindlicher Freunde. „Was denn?“, stutzte Amerika mit einem vorsichtigen Blick über seine Schulter. Gleichzeitig überzeugte er sich davon, dass er nirgendwo Schmerzen spürte und bemerkte, dass Russland seinen Schal trug, obwohl er mit ihm unter der dicken Bettdecke lag. „Meine Berührung“, lächelte Russland fröhlich. Nachdenklich ließ Amerika den Kopf wieder ins Kissen sinken. Die Hand auf seiner Brust war ganz eindeutig jene, die Stunden zuvor seine genommen hatte und ihn sicher durch den Sturm geführt hatte. „Nein“, murmelte der Blonde leise. „Nur ein bisschen kühl…“ „Da bin ich aber froh…“ „Hey, Moment mal“, protestierte Amerika, als Russland auch die zweite Hand unter die Decke schob und sich an ihn kuschelte. „Das heißt nicht, dass du dich an mich klammern kannst!“ „Würdest du still sein?“, erkundigte sich sein Hintermann in aller gruseliger Freundlichkeit, woraufhin der Blonde verstummte und die schwache, auf ihn einströmende Kälte ertrug. Aus irgendeinem Grund machte ihn dieses einengende Gefühl schläfrig. „Gib mir nur ein bisschen…“, hörte er ein leises Murmeln im Nacken, kurz bevor er einschlief, „… nur ein bisschen Wärme ab… Nur ein bisschen…“ Als Russland am nächsten Morgen langsam die Augen öffnete, spürte er aus der Richtung, aus der die Wärme kam, sofort, dass er seinen Verbündeten in der Nacht anscheinend als Kissen missbraucht hatte. Amerika, auf dessen Rücken er gekuschelt lag, atmete etwas flach, aber gleichmäßig. Sich streckend setzte Russland sich auf. „Ah… ich hab‘ so gut geschlafen, da…“ „Wenigstens einer von uns“, murrte Amerika hinter ihm leise, woraufhin er amüsiert über seine Schulter grinste. Nur deshalb bemerkte er den Blonden, der sich nach ihm umgedreht hatte, nun stutzen. „Seit wann bist du verletzt?“ Verdutzt strich er über den Verband an seinem Oberarm, der die Schusswunde bedeckte, die ihm Frankreichs Gefolge zugefügt hatte. Auch sein Unterarm war einbandagiert sowie seine Brust, dort, wo Frankreichs Messer ihn erwischt hatte. „Keine Ahnung“, lächelte er schulterzuckend, während er sich erhob und anzog. Dabei musterte er kurz die kleinen, geflickten Stellen in seiner Uniform, bevor er sie anlegte. Bisher hatte er angenommen, dass Amerika ihn verbunden hatte, während er bewusstlos gewesen war, doch anscheinend hatte er das sowie die Flicken in seiner gewaschenen Uniform der alten Frau zu verdanken. „Ist es noch weit?“ Kurz sah er sich nach Amerika um, der abgewendet von ihm auf dem Bettrand saß und sich ebenfalls anzog. „Ich bin groß, also ist es noch ein ganzes Stückchen“, antwortete er unbestimmt. Wohl wissend, dass die Strecke, die ihm wie ein kurzer Spaziergang vorkam, für die andere Nation eine endlose Wanderung werden würde. Dennoch wunderte es ihn, dass Amerika sich anscheinend schnell vom gestrigen Marsch erholt hatte. Schließlich hatte er noch am Vorabend im Schlaf Tränen vergossen und sich gewunden, als er ihn angefasst hatte, um ihn ins Bett zu legen. Die Frostbeulen mussten unter seiner Berührung geschmerzt haben und dabei war es so angenehm in der Nähe dieser Wärme… Er hasste sie, wenn er sie während der Konferenzen nur auf Entfernung spüren konnte und sich dann wieder von ihr losreißen musste, doch sie so lange so nah bei sich zu haben war zu schmerzhaft, um sich zurückzuhalten. Amerikas Stimme riss ihn aus den Gedanken, während er aus dem Fenster starrte. „Ich frage mich das schon eine Weile… Wissen diese Leute, wer du bist?“ „Hm…“, lächelte Russland unschuldig. „Wer weiß? Ich hab‘ mich nie als Land vorgestellt, falls du das meinst.“ Mit verabschiedend erhobener Hand wendete er sich der Tür zu. „Ich geh raus.“ „Du würdest mich nicht zurücklassen, oder?“ Es enttäuschte Russland ein wenig, dass Amerikas Stimme nicht verängstigt oder zumindest ein wenig besorgt klang, dennoch drehte er sich an der Tür grinsend um. „Nein, nein, niemals würde ich sowas Gemeines tun.“ Und wieder lächelte Amerika nur vertrauensvoll, wenn auch ein wenig amüsiert, als erkenne er die Lüge als solche. Während Russland sich auf dem Flur seine braunen Stiefel anzog, war er keineswegs überrascht, als der aktuelle Hausherr hinter ihn trat. „Es ist nicht nötig, uns zu entschädigen“, bemerkte der Schwarzhaarige ernst. „Das ist selbstverständlich, nicht?“, lächelte Russland über seine Schulter, woraufhin sein Namensvetter ihn weniger zurückhaltend zu überzeugen versuchte. „Sie werden bei dem Sturm da draußen nichts finden! In diesem harten Winter sowieso nicht! Es ist in Ordnung, wirklich!“ Er band seinen zweiten Stiefel zu und erhob sich, bloß über seine Schulter lächelnd. „Dieser Mann wird immer etwas finden, Ivan“, erklang aus dem Hintergrund eine alte Stimme. „Lass ihn tun,wonach ihm ist.“ „Mhm“, stimmte Russland zu, bevor er zur Tür hinaus im weißen Sturm verschwand. Es machte ihm nichts aus – nicht einmal Handschuhe hatte er für seinen kurzen Ausflug mitgenommen. Selbstverständlich würde er immer etwas finden und selbstverständlich würde er niemals gehen, ohne seine Schuld beglichen zu haben. Der Großvater des jungen Ivan wusste das, schließlich hatte Russland bereits dessen Großvater besucht und während seiner Reisen um Unterkunft gebeten. Sein Schal wirbelte wild hinter ihm her, während er durch den Schnee stapfte und ihn hier und da unter den Bäumen zur Seite schob, um die Stöcke darunter aufzusammeln. „Such mir etwas Essbares“, sagte er vor sich hin, als sich ihm ein Schatten näherte. „Nicht zu klein.“ Der Wolf verschwand, ohne dass Russland seine Tätigkeit unterbrochen hätte. Sorgfältig schnürte er das Reisigbündel zusammen und ging ein paar Schritte auf die abschüssige Lichtung hinaus. Dieser Wald war unwegsam und voller verborgener Unterholzansammlungen, in die man leicht einbrechen konnte. Es war kein Wunder, dass sich die Familie nur schwerlich aus diesem Wald ernähren konnte. Tief atmete Russland die eisige Luft ein und legte die Handflächen aneinander, währen der Sturm um ihn herum tobte. „Beruhig dich, General“, sprach er leise. „Mein Begleiter wird erfrieren, wenn du ihm noch weiter zusetzt.“ „Lass ihn sterben“, dröhnte der Wind. Russland lächelte. „Nicht nur du bist wütend“, antwortete er und schloss die Augen über seinen aneinander gelegten Händen. „Aber ihm schulde ich etwas und ich hasse es, in jemandes Schuld zu stehen. Deshalb beruhig dich, da?“ Es war widerwillig und anfangs nahm der Wind noch an Stärke zu, doch dann legte er sich langsam und Russland spürte deutlich, wie sich der General entfernte, um sich anderswo auszutoben. Durch den sanften Schneefall war es ein Leichtes, den zurückhaltend am Waldrand wartenden Wolf zu bemerken. Kaum wendete er sich ihm zu, kam das Tier auf ihn zugesprungen und tänzelte vor ihm im Kreis. „Mhm“, bestätigte er gutgelaunt. „Ich folge dir, keine Sorge. Was du gefunden hast, möchte ich wirklich gern sehen.“ Auch ohne, dass ihn das Tier über die wegsamen Passagen des Waldes führte, wäre Russland in keine der Unterholzfallen geraten, dennoch nahm er zufrieden wahr, wie sorgfältig der Leitwolf darauf bedacht war, ihn nicht in die Irre zu führen. Es freute ihn, ebenso wie es ihn freute, dass sein Volk ihn allerorts kompromisslos aufnahm, wenn er an ihre Tür klopfte, doch das war natürlich. Schließlich waren sie sein Volk, seine Flora und seine Fauna. Sie alle gehörten zu ihm und würden sterben, sollte er es verlangen. Ob es nun ein Baum, ein Hase oder ein Familienvater war. Doch obwohl er Macht über sie besaß, konnten sie ihm keine Wärme geben. Das einzige, das er sich im Winter wirklich wünschte, konnte ihm keiner von ihnen geben… Die Wärme, die ihn beim Anblick einer Sonnenblume streifte und hauchzart sein schweres, frierendes Herz berührte… Mit einem Lächeln verdrängte er die trübseligen Gedanken, als die Führung des Wolfes vor einer Lichtung endete, auf der ein paar Wildschweine nach Futter suchten. Kein Lächeln der Welt konnte die Trauer in seinen Augen überspielen, als er in die Hocke ging, das Reisigbündel ablegte und seine Waffe zog. „Seid mir nicht böse, ja?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)