Weihnachten und andere Hindernisse von Kalliope ================================================================================ Kapitel 1: Weihnachten und andere Hindernisse --------------------------------------------- „Du hast keinen Geschmack.“ Faith seufzte theatralisch und zog die Augenbrauen zusammen. Der Weihnachtsbaum, den ihr Freund Joel besorgt hatte, war nicht nur viel zu groß für das Wohnzimmer in ihrem kleinen Haus am See, sondern auch noch dermaßen furchtbar geschmückt, dass Faith nichts Gutes daran finden konnte. Das obere Ende des Weihnachtsbaums war gut dreißig Zentimeter zu lang und wurde von der Wohnzimmerdecke geknickt, der Stern an der Spitze hing dadurch vollkommen schief und kratzte mit seinen Ecken an der Tapete entlang, wodurch sich bereits kleine, goldene und glitzernde Striche gebildet hatten. Joel verzog das Gesicht zu einer Grimasse und trat von der dunkelgrünen Tanne zurück. „Ich weiß gar nicht, was du hast. Der Baum ist doch perfekt.“ „Für das Wohnzimmer bei deinen Eltern vielleicht. Oder für die Eingangshalle.“ Sie konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie Joel die Lippen aufeinander presste und entnervt die Box mit den bemalten Glaskugeln auf das Sofa schmiss. „Hey, so war das nicht gemeint. Ich finde nur, dass wir den Baum kürzen und etwas geschmackvoller gestalten sollten.“ „Trixi hätte es nicht besser formulieren können, ihr zwei hängt in letzter Zeit zu oft zusammen rum. Meine Güte, wenn es dir nicht passt, dann mach es doch selbst, Faith! Ich wollte dir doch nur eine Freude machen.“ Beleidigt stapfte Joel aus dem Raum und wenige Sekunden später war das Knallen der Haustür zu hören. Enttäuscht ließ sie die Schultern hängen, setzte sich auf die Sofalehne und betrachtete den Baum, der über und über mit Lametta, Kugeln, Lichterketten und Strohsternen geschmückt war – nur leider zu viel von allem und farblich passte auch nichts zueinander. „Ach, Joel…“, murmelte Faith und kniff für einen Moment die Augen zusammen. Wenn sie den Baum auf diese Weise betrachtete, sah er eigentlich gar nicht mal so schlecht aus. Joel hatte wirklich seinen ganzen Nachmittag geopfert. Mit einem Schnauben löste Faith sich von der Couch und folgte ihrem Freund nach draußen in den Schnee, der das ganze Grundstück bedeckte. Vor ihr lag der zugefrorene See, auch auf ihm eine Schneeschicht und nur grob ließen sich die Ränder des Ufers erkennen. „Joel!“, rief sie in die Dunkelheit hinaus. Ein Schatten hob sich ein paar dutzend Meter entfernt von den leuchtenden Fenstern des Haupthauses ab. Joel saß auf einer Bank unter einer Weide, hatte die Arme verschränkt und schmollte. Faith ging wortlos zu ihm. Der Schnee knirschte unter ihren Schritten und als sie vor ihm stand, schaute er nicht einmal auf, sodass sie sich neben ihn setzte und seinem Blick folgte, der auf den Sternen am Himmel lag. Eine ganze Weile saßen sie schweigend nebeneinander und niemand wagte es die Stille zu stören, die sie beide beruhigte. Doch schließlich war Faith es, die wieder einmal zuerst sprach. „Es tut mir leid, ich hätte nicht so etwas sagen dürfen. Du hast dir wirklich Mühe gegeben.“ Sie drehte ihren Kopf zur Seite und schaute Joel an, der weiterhin stur zu den Sternen schaute. „Joel?“ „Ja.“ „Joel, bitte, es tut mir leid. Ich möchte nicht ständig mit dir streiten, besonders nicht heute an Heiligabend. Es war eine blöde Idee von mir, dass ich so spontan doch noch einen Weihnachtsbaum haben wollte, du hättest nicht extra wegen mir losfahren und einen kaufen müssen. Du kennst mich doch, ich rede viel, wenn der Tag lang ist.“ Ganz langsam senkte Joel seinen Blick, der noch einige Sekunden in der Ferne schwebte und dann zu Faith glitt. Seine Gesichtszüge waren merklich entspannter als vorher und auf seinen Lippen lag die Spur eines schmalen Lächelns. „Das weiß ich doch, Liebling. Und von mir war es eine blöde Idee, dass wir unbedingt bei meinen Eltern feiern sollten. Ich weiß doch, dass ihr euch nicht gut versteht und du dem Essen heute Abend am liebsten aus dem Weg gehen würdest.“ Sobald er das Abendessen erwähnt hatte, verzog Faith das Gesicht und nickte. So sehr sie sich auch um ein gutes Verhältnis zu den Eltern ihres Freundes bemühte, so eisig war es doch. Seine Eltern befanden sie als nicht gut genug für ihren Sohn – den Spross der Light-Familie – und Joel saß zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite wollte er seine Eltern nicht vor den Kopf stoßen, auf der anderen Seite verletzte er damit Faiths Gefühle. Er und Faith lebten in einem kleinen Haus am See etwas abseits der Villa, sodass sie ihre Ruhe hatten. Dennoch spürte er jeden Tag, wie sehr die Anspannung ihnen allen die Vorfreude auf Weihnachten vermieste. „Lass uns wieder rein gehen, es ist kalt hier draußen.“ „Wir könnten den Baum zusammen schmücken“, schlug Faith vor und hakte sich lächelnd bei Joel unter. „Eigentlich sieht er nämlich gar nicht so übel aus und mit ein bisschen Feinschliff ist er sicherlich der tollste Weihnachtsbaum der Welt.“ Er grinste und verfiel auf dem Weg zurück in ein Lachen, das einige seiner bronzefarbenen Haarsträhnen in sein Gesicht fallen ließ. „Du findest ihn furchtbar, gib es zu.“ Nun musste auch Faith lachen, schüttelte aber dennoch den Kopf. „Nein, gar nicht wahr. Er ist nur sehr individuell.“ Schmunzelnd drückte Joel ihr einen Kuss auf die Wange, dann hatten sie auch schon wieder ihr Häuschen erreicht und huschten ins Warme, um sich aufzuwärmen und den Baum zu betrachten, der im ganzen Haus einen angenehmen Tannenduft verströmte. „Denkst du, wir können ihn noch retten?“ „Aber sicher.“ Sie ging zu ihren Pokébällen, die auf einem Beistelltisch lagen, dann entließ sie ihren Starter Bibor und Voltilamm. Beide Pokémon streckten sich und sogar das reizbare Elektropokémon gab einen wohligen Laut von sich, als es den Weihnachtsbaum mit dem ganzen Schmuck sah. „Wenn Sniebel uns auch noch hilft, werden wir ganz schnell fertig. Der Baum wird wunderschön aussehen.“ Kurz darauf hatte auch Joel sein Starterpokémon aus dem Pokéball befreit. Er und Sniebel machten sich daran die Spitze des Baums zu kürzen, während Bibor, Voltilamm und Faith einen Großteil des Lamettas entfernten und stattdessen den Rest hübsch verteilten. Lachend und herumalbernd schmückten sie gemeinsam den Baum und nach einer Stunde erstrahlte er in vollem Glanz. Faith schlang die Arme um ihren Freund und lächelte ihn fröhlich an. „Siehst du, wir haben uns vertragen und der Baum ist hübsch geworden. Ich liebe dich, Joel.“ „Ich liebe dich auch, meine kleine Nervensäge.“ Er beugte sich das kleine Stück zu ihr runter und küsste sanft ihre Lippen. „Fröhliche Weihnachten“, hauchte er und sie erwiderte seine Worte ebenso. Gemeinsam waren sie eben ein unschlagbares Team. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)