kyoosha - the answer to his questions von ivy-company ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Name: kyoosha – the answer to his questions Pairing: Tora x Nötiges Vorwissen aus anderen Kyoosha-Teilen: keins Genre: vorerst mal Humor? Hallo zusammen! Ist jetzt schon 1 1/2 Jahre her, dass wir hier sowas wie ein Vorwort geschrieben haben. Genauso lange ists nämlich her, dass wir was hochgeladen haben! Vielleicht kennt uns ja noch der eine oder andere. Vielleicht xD“ Jedenfalls sind wir wieder da! Wir hatten die letzten 5 Jahre über an unserer Reihe „kyoosha“ geschrieben und sind euch noch einen letzten Spin-off schuldig. Und den fangen wir hier und heute an. „Kyoosha – the answer to his questions“ ist der voraussichtlich letzte Teil dieser Reihe. Die Hauptfigur ist Tora von alice nine und aus seiner Sicht ist die Story geschrieben. Das Pairing wollen und können wir euch noch nicht verraten, aber es werden einige Charaktere aus alice nine und Gazette auftauchen. Wir wünschen euch viel Spaß mit dem Prolog zu „the answer to his questions“! ___________________ Fuck. Die Worte auf meinem Bildschirm werden zu einem wirren Buchstabensalat. Genauso wie die Gedanken in meinem Kopf. Ich weiß gar nicht mehr, was ich denken soll. Nur immer wieder: Fuck. Und dabei weiß ich nicht mal wieso! Ich weiß grad gar nichts mehr. Ist ja nicht so, dass dieses beschissene Bandtreffen gestern nicht eh schon alles nur noch schlimmer gemacht hat! Und damit meine ich nicht, dass wir jetzt vier Turteltäubchen im Label haben. Was Kai und Nao machen, ist mir ziemlich egal. Die beiden können sich benehmen. Und Miyavi und Ruki werden ja wohl kaum in unserem Proberaum rumturteln. Aber der ganze restliche Scheiß ist Schuld, dass mir seid gestern der Schädel brummt und ich einfach keinen Schritt weiterkomme. Ich starre weiter auf den Bildschirm. Und was mach ich jetzt? Mein Blick fällt auf den Absender. Soll ich? Wär ja nicht das erste Mal. Die Maus klickt wie von selbst auf „Antworten“. Aber bevor ich auch nur ein Wort tippe, lehne ich mich wieder zurück. „Schwachsinn!“ Das wär ja noch schöner! Auf die Mail antworte ich ganz bestimmt nicht! Bin ja schließlich keine Marionette, die tut, was von einem verlangt wird. Entschlossen lehne ich mich wieder vor und lese die Zeilen nochmal. Und nochmal. Mein Magen zieht sich zusammen. Fuck. Meine Finger tippen die ersten Worte. Kapitel 1: Warte auf Antwort! ----------------------------- Vielen vielen Dank für den lieben Empfang ^__^ Freut uns, dass euch der Prolog gefallen hat! Wir hoffen natürlich, dass das beim ersten Kapitel genauso sein wird und spannen euch jetzt nicht weiter auf die Folter. Viel Spaß beim Lesen! ________________________ Kapitel 1: Warte auf Antwort! Erleichtert seufzte ich auf, als ich meine Wohnung betrat und die Tür hinter mir ins Schloss fiel. Zu Hause. Endlich. Die Bandprobe hatte sich an diesem Tag quälend lang hingezogen und ich war froh jetzt meine Ruhe zu haben. Natürlich liebe ich es, ein Mitglied von Alice nine. zu sein, doch heute hatte ich es scheinbar niemandem Recht machen können. Von Nao war ständig ein „Tora, mach dies. Tora, mach das.“ zu hören gewesen und Saga war ich scheinbar auch ständig im Weg. Wenn ich den so störe, soll er sich halt zu Hiroto stellen! Ich schüttelte den Gedanken ab, während ich mich meiner Jacke und meiner Schuhe entledigte. Mit meinen Bandmembern konnte ich mich auch am nächsten Tag noch beschäftigen. Sobald ich Jacke und Schuhe verstaut hatte, brachte ich meine Gitarre ins Schlafzimmer. Natürlich schaltete ich beim vorbeilaufen noch kurz meinen Laptop an. Das war irgendwie schon ein echter Reflex. Meine Eltern hatten vor gar nicht allzu langer Zeit das Internet für sich entdeckt und verbrachten ihre Freizeit jetzt damit, ihrem geliebten Sohn mit allerlei dämlichen Nachrichten und vermeintlich lustigen Videos das Postfach vollzumüllen. Außerdem wäre es auch nicht das erste Mal, dass Nao kurzfristig noch eine wichtige Information einfiel, die er vergessen hatte, uns während der Probe mitzuteilen. Und ich wollte wissen, ob ich wieder eine Mail von ihr bekommen hatte. Ich fand es selbst ein wenig eigenartig, dass ich so darauf gespannt war, ob ich Fanpost bekommen habe. Schließlich war ich auch schon lang genug in dem Geschäft und habe schon einige Mails von Fans erhalten. Doch das war irgendwie schon anders. Besonders wunderte mich die Tatsache, dass ich die Nachrichten auf meinen Privataccount erhielt. Diese Adresse kannten eigentlich nur Freunde und Verwandte. Allerdings ging meine Reaktion zu dem Zeitpunkt nicht über eine leichte Verwunderung hinaus. Wahrscheinlich war einer meiner Freunde nur so blöd gewesen und hatte sich von einem Fangirl die Email-Adresse abnehmen lassen. Mein Plan war eigentlich die Mails so lange zu ignorieren, bis die Person einfach aufgab zu schreiben. Sonst gab es an den Nachrichten aber nichts Verdächtiges. Ich hatte bis heute zwei Mails von der Unbekannten erhalten. Beide harmlos, wenn ich sie mit dem verglich, was ich sonst oft las. Eigentlich waren die Inhalte ziemlich lieb. Es klang eher nach einer Schwärmerei als nach dem üblichen, manchmal doch sehr krassen Fangirling, das ich gewohnt war. Die Gitarre verstaut, ließ ich mich vor meinen Laptop auf den Boden fallen. Fast schon ungeduldig wartete ich, bis ich endlich das Internet öffnen konnte. „Na dann wolln wir mal…“ In meinem Postfach waren zwei Mails von meiner Mutter, aber die blendete ich aus, als ich „ihren“ Absender sah. Meine Mundwinkel bogen sich unwillkürlich nach oben und als ich es bemerkte, machte ich die Aktion ein wenig verwundert über mich selbst sofort wieder rückgängig. Es war nicht so, dass ich sonst nicht auch schon ähnlich liebe Mails bekommen habe, aber die auf meiner Privatadresse bekamen eben doch ein wenig mehr Aufmerksamkeit und prägten sich besser ein. Ich klickte die Mail an und begann die ersten Zeilen zu lesen. Was zur Hölle…? Auf „Zurück“ geklickt und direkt nachgeguckt, ob das auch wirklich der richtige Absender war! Ich studierte die Adresse genau. Verglich sie sogar mit den vorigen, weil ich mir plötzlich doch nicht sicher war. Aber sie war es. Mit hochgezogenen Augenbrauen öffnete ich die Nachricht erneut und las sie diesmal vollständig. Mit jedem Wort wurde das Fragezeichen über mir größer. Das hatte absolut nichts von den beiden vorigen Mails! Das war einfach… einfach… Mir fällt kein Wort ein, um meine Verwunderung zu diesem Zeitpunkt zu beschreiben. Ich versuchte nur, eine mögliche Erklärung für eine solche Mail zu finden. Vielleicht hatte es ja jemand anderes geschrieben, um mir eins auszuwischen? Aber nachdem ich die Mail noch ein viertes und fünftes Mal gelesen hatte, kam mir diese Erklärung irgendwie auch schwachsinnig vor. Wieso sollte jemand den Account von diesem Mädchen benutzen, um mir eine solche Mail zu schreiben? Das machte keinen Sinn. Ich starrte den Bildschirm noch einige Zeit an. Und jetzt wollte sie auch noch, dass ich ihr antwortete? Bei der Wortwahl konnte sie das gleich vergessen! Ich hatte die Nachricht schon markiert und wollte sie in den ewigen Jagdgründen meines virtuellen Papierkorbes verschwinden lassen, als ich doch zögerte. Ihre Wut war irgendwie sogar verständlich. Ich wäre wohl auch angepisst, wenn ich keine Antwort bekommen würde. Auch wenn ich es wahrscheinlich nicht ganz so offen zeigen würde. Vielleicht hatte sie mich mit der Mail ja auch provozieren wollen. Wenn das der Fall war, dann hatte sie das eindeutig geschafft. Meine Emotionen hatten sich hochgeschraubt, auch wenn das Ergebnis Verärgerung war. Verärgerung über sie und über mich, weil ich es tatsächlich nicht über mich brachte diese schwachsinnige Mail zu löschen! Unsanft wurde ich aus der Überlegung gerissen als Chikin plötzlich mit Anlauf auf meinen Schoß sprang. Dieser blöde Kater schleicht sich immer heran, nur um mich dann fast zu Tode zu erschrecken! Wahrscheinlich hofft er darauf meine Wohnung zu erben. Ungeduldig begann ich über sein Fell zu streicheln, doch die Art wie er sich anspannte und seine Krallen leicht in meine Oberschenkel bohrte, verriet mir, dass er keine Streicheleinheit sondern Futter wollte. Ich erhob mich fluchend vom Boden und ging mit Chikin unter dem Arm in die Küche. Dieser entspannte sich sofort komplett und ließ sich bereitwillig wie ein nasser Sack von mir tragen. „Du bist der wohl faulste Kater der Welt“, knurrte ich das Fellknäuel an. Sofort fiel mir wieder der letzte Satz von der Mail ein und meine Laune verschlechterte sich noch mehr. Was für ein idiotischer Vorwurf! Vielleicht hatte ich auf Miyavis Geburtstag ziemlich tief ins Glas geschaut, aber das ging die doch nichts an! Und für was für ein Weichei hielt mich das Mädchen überhaupt, dass sie annahm, ich hätte noch drei Tage später Nachwirkungen von der Party?! Ich konnte es mir als Musiker sowieso nicht leisten drei Tage einfach frei zu machen, weil ich so lange brauchte, um mich von einer Party zu erholen! Da MUSS man gleich am nächsten Tag wieder funktionsfähig sein! Vor allem, wenn man so einen Leader wie Nao hat. Mit dem einen Arm versuchte ich Chikin einigermaßen sicher zu halten, was aber ziemlich schwierig wurde, als er das Futter sah, das ich mit der anderen Hand mehr oder weniger zielsicher in die Schalte schüttete. Nao würde mir die Hölle heiß machen, wenn ich zu irgendeinem Treffen nicht aufkreuzen würde, nur weil ich zu viel- Moment mal. Woher wusste die eigentlich von der Party? Soweit ich mich erinnern konnte, hatte niemand von der Party erzählt. In Blogs und so. Zumindest nicht vorher. Chikin landete leicht unsanft auf dem Boden. Ich ließ alles stehen und liegen und steuerte meinen Laptop wieder an. Wenn einer von den Vollidioten damit geprahlt hatte, was für ein Chaos das auf der Party gewesen war…! Meine ersten Klicks führten mich zu Sagas Blog. Dem traute ich fast alles zu. Was in seinem Kopf vorgeht, weiß ich manchmal sowieso nicht so genau. Ich glaub, das weiß nicht mal er selbst. Aber bis auf ein paar Nebensätze, in denen er erwähnt hatte, dass Miyavi Geburtstag gehabt hatte, stand dort nichts weiter. Auch der Rest meiner Band hatte sich ziemlich zurückgehalten. Myv selbst hat zwar von einer tollen Party geschwärmt, aber sonst auch nichts Weiteres erwähnt. An Cafe auch nicht. Bleibt also nur noch Gazette. Ich logte mich in den Heresy-fanclub ein – das Passwort besaß ich als PSC-Member natürlich (man musste ja darüber Bescheid wissen, was die Anderen so treiben) – aber da ging auch nicht gerade viel. Uruha war sowieso schreibfaul und seit der Party war er kaum mehr ansprechbar. Hatte mir Rei erzählt. Ruki übrigens genau so wenig. Sowohl Sänger als auch Gitarrist hatten sich Gerüchten zu Folge auf der Feier einen neuen Anhang angelacht. Wobei „Gerüchten zu Folge“ bei Uruha doch die falschen Worte waren. Dass der und Gackt aufeinander scharf waren, war schwer zu übersehen gewesen. Um zu checken, was zwischen Ruki und Miyavi abgegangen war, war ich an dem Abend allerdings schon zu blau gewesen. Dafür hatte mir Rei das dann alles haarklein berichtet. Altes Tratschweib. Allerdings schien auch der blonde Bassist nicht daran Schuld zu sein, dass das Fangirl von der Party gewusst hatte. Auch in Aois und Kais Blog stand nichts über Miyavis Geburtstag und unsere kleine Sauforgie. Nachdenklich lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und überlegte. Vielleicht wusste sie auch überhaupt nichts von der Party und ich machte mich ganz umsonst verrückt? Schließlich warf sie mir in der E-Mail Starallüren vor. Und besagte das typische Image eines Rockmusikers nicht auch, dass er ständig betrunken war? Vielleicht hatte sie einfach nur gut geraten. Und Miyavis Geburtstag war auch kein Geheimnis gewesen. Die Chancen, dass der Solo-Künstler andere Musiker eingeladen hatte, waren doch ziemlich groß. Man musste also kein Super-Detektiv sein, um darauf zu kommen, dass ich in den letzten Tagen mal betrunken gewesen war. Die Kleine hatte einfach geraten und dabei eben ins Schwarze getroffen. „Reiner Zufall“, meinte ich beschwichtigend, während ich die Mail ein letztes Mal las und dann meinen Computer ausschaltete. Ein bisschen wunderte ich mich doch über mich selbst. Wieso war ich denn direkt davon ausgegangen, dass das Fangirl von der Party gewusst hatte? Ich war auf einen dummen kleinen Bluff hereingefallen und hatte mich damit selbst verrückt gemacht. Und trotzdem konnte ich mich mit dem Gedanken nicht wirklich beruhigen. Erst als ich einige Zeit später im Bett lag, wurde mir klar, was irgendwie nicht ins Bild passte: Sie hatte meine Trunkenheit in ihrer Mail mit einer solchen Beiläufigkeit erwähnt, wie es sonst eigentlich nur Wissende taten. Ein Schauder überfiel mich und ich versuchte die Erkenntnis aus meinem Kopf zu verbannen. Das war wirklich kein Gedanke, mit dem man einschlafen wollte. Ich wollte ja nicht mal solche Gedanken haben, wenn ich hellwach war! Trotzdem konnte ich sie nicht vertreiben. Sie verfolgten mich sogar in meine Träume. ________________________ Betreff: Warte auf Antwort! Sag mal, spinnst du?! Ich hab dich ganz freundlich darum gebeten mir zu antworten! Zweimal!! Nur weil du berühmt bist, musst du dich nicht so arrogant verhalten! Ich wette du sitzt vor deinem PC und liest das ganze Liebesgeschmachte mit nem überheblichen Grinsen im Gesicht und denkst nur „Ach wie süß! Noch einer mehr!“ Gott, wie ich es hasse in dich verknallt zu sein! Ich könnt mir echt schöneres vorstellen. Aber nein! Muss ja der Gitarrist von alice nine. sein! Verdammter Idiot. Also, antwortest du mir jetzt endlich oder hast du dich immer noch nicht von deinem beschissenen Kater erholt?? Kapitel 2: Re: Fangirl-Verhalten -------------------------------- Es war ein scheiß Morgen. Ich hatte gefühlte zwei Stunden geschlafen, in denen ich auch nicht gerade entspannende Träume gehabt hatte. Einen Becher Kaffee aus dem Kaffeeautomaten um die Ecke in der Hand saß ich im Proberaum und versuchte zumindest noch ein bisschen zu entspannen. Ich war ziemlich früh dran, weil ich absolut keine Lust gehabt hatte weiter zu Hause vor der verdammten Mail zu sitzen und mir den Kopf zu zerbrechen. Hiroto und Saga ging es wohl ähnlich – wenn auch sicher nicht genau wie mir – denn die beiden waren auch viel zu früh dran. Der Blonde klimperte schon eine Weile auf seiner Gitarre herum und Saga schlurfte gerade zur Tür rein. Er schien ziemlich überrascht uns zu sehen. „Wieso seid ihr denn schon hier?“ Als er keine Antwort bekam, wandte er sich an mich und hob mit einem skeptischen Blick eine Augenbraue. „Man Tora, du siehst echt scheiße aus. Was hast du denn die ganze Nacht getrieben?“ „Danke für die Blumen“, kam es grummelnd von mir und ich schenkte Saga einen Todesblick. Hiroto lachte leise. „Hey, entspann dich mal.“ Plötzlich tauchte ein Grinsen auf dem Gesicht unseres Bassisten auf. Er ließ seine Sachen an Ort und Stelle fallen, warf die Tür hinter sich ins Schloss und setzte sich neben mich aufs Sofa. Er grinste weiter. Ich sah ihn skeptisch an. Hirotos Gitarre verstummte und aus den Augenwinkeln bekam ich mit, wie er jetzt auch den Kopf hob. „Was denn??“, fauchte ich leicht gereizt. Ich war heute wirklich nicht auf Spielchen aus. Das war eine scheiß Nacht und je mehr ich darüber nachdachte, desto schlechter gelaunt wurde ich. „Nichts“, flötete Saga und nahm mir meinen Kaffee aus der Hand, um davon zu trinken. Zum Glück verbrannte er sich den Mund, was mich unwillkürlich lachen und ihn fluchen ließ. Geschah ihm ganz recht. Der Bassist drückte mir den Kaffee wieder in die Hand und warf dem Becher einen Todesblick zu, der sich gewaschen hatte. „Selbst Schuld, wenn man seine Bandmitglieder bestiehlt und dazu auch noch ungeduldig ist“, lachte ich meinen Kollegen aus, dessen trotzige Schnute sich sogleich in ein anzügliches Lächeln verwandelte. „Ich steh halt auf stürmisch und heiß.“ Saga schaute mir tief in die Augen und legte seine Hand ungeniert auf meinen Oberschenkel. Äußerlich versuchte ich cool zu bleiben, doch in dem Moment schossen tausend Fragen durch meinen Kopf. Was sollte das? Saga war sich noch nie für eine Anspielung zu schade gewesen, doch das ging über seine typischen Sprüche hinaus. Am meisten überraschte mich jedoch seine Hand. So offensiv wurde er sonst wirklich nicht! „Also wenn das deine Prioritäten sind, darfst du dich auch nicht wundern, wenn du dich mal verbrennst.“ Eigentlich hatte ich meinen Spruch für ziemlich harmlos gehalten, aber ich schien ganz eindeutig einen Nerv getroffen zu haben. Sofort verschwand die Hand von meinem Bein und gesellte sich zu der anderen auf Sagas Schoss. Der Bassist starrte auf seine Hände als hätte er noch nie etwas Spannenderes in seinem Leben gesehen. Ich schluckte. Das war eigenartig. Sehr eigenartig. Auch wenn wir uns eigentlich alle mochten, herrschte innerhalb der PSC oft ein ziemlich harter Tonfall. Eigentlich hatte ich Saga immer für seine schlagfertigen und souveränen Konter bewundert. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass Saga jemals einen kleinen Schlagabtausch verloren hatte. Und schon gar nicht gegen mich! Im Nachhinein verstehe ich sein Verhalten und bereue auch meine Aussage. Manchmal verletzt man die Leute, die einem Nahe stehen, ohne wirklich zu registrieren, was für einen Schaden man angestellt hat. „Ist bei dir alles in Ordnung, Saga?“, fragte ich meinen Freund schüchtern und legte ihm dabei eine Hand auf die Schulter. Als sich ein fieses Grinsen auf den Lippen des Bassisten bildete, bereute ich meine Geste schon wieder. „Macht sich da etwa jemand Sorgen um mich? Wie süß! Du hast ja einen richtigen Beschützerinstinkt, Tora. Hätte ich dir gar nicht zugetraut. Echt sexy.“ Die Hand, die ich ihm eigentlich besorgt auf die Schulter gelegt hatte, holte zum Schlag aus, aber Saga wich ihr aus, indem er breit grinsend aufsprang. Ich schüttelte nur den Kopf über sein Verhalten und verdrehte die Augen. Hiroto grinste mich schulterzuckend an und entlockte seiner Gitarre dann wieder ein paar altbekannte Klänge. Ich war unkonzentriert. Die ganze Probe über. Ich weiß nicht genau, ob die anderen es alle bemerkt hatten, aber für mich war jede Sekunde der Probe anstrengender gewesen als normalerweise. Immer musste ich darüber nachdenken, von wem die Mails kamen. Oder eher, ob wieder eine in meinem Postfach war. Mein Handy steckte in meiner Hosentasche und ich hatte in kurzen Unterbrechungen ein- oder zweimal nachgesehen, aber nichts. In einer Kaffeepause legte ich es dann endlich und ziemlich genervt zu meinem anderen Zeug neben das Sofa, weil ich keine Lust hatte, jede Sekunde durch das Ding an die kleine Stalkerin erinnert zu werden. Ich hatte zu arbeiten!! _____ „Hab ich dich vorhin so sehr abgelenkt?“, grinste mich Saga von der Seite her an, als wir mit der Bahn nach Hause fuhren. Saga und ich mussten zumindest ein Stück weit in dieselbe Richtung. Und natürlich hatte er es bemerkt. Wär ja auch zu schön gewesen, wenn er es einfach mal übersehen hätte. Ich verdrehte wieder einmal die Augen und schüttelte nur den Kopf. „Dann vielleicht… Irgendein anderer Kerl?“, flötete er weiter und ich sah mich erschrocken um. Wir standen ziemlich eng aneinander, weil es um diese Uhrzeit voll in der Bahn war, aber anscheinend schenkte uns niemand seine Aufmerksamkeit. „Saga!“, zischte ich trotzdem. Nicht das Thema schon wieder. „Was denn? So oft wie du auf dein Handy geguckt hast…“ Ein Lachen seinerseits. „Sag mal…“, fing ich an, seinen Kommentar einfach mal ignorierend. Nicht nur, um das Thema zu wechseln. „Wurdest du eigentlich schon mal gehackt?“ Das Grinsen meines Gegenübers verschwand und stattdessen zog er eine Augenbraue hoch. „Wieso fragst du?“ „So halt. Also?“ „Ich habe mal ein paar ziemlich lästige Anrufe auf meine private Handynummer bekommen. Wie sich aber dann herausgestellt hat, hatte Kai nur mal wieder sein Handy verloren und ein neugieriger Fan hat damit ein bisschen herumgespielt. Nachdem Kai einen Anschiss, ich eine neue Handynummer und der Fan wahrscheinlich einer Gehirnwäsche bekommen hat, war alles wieder in Ordnung.“ Ich nickte. Diese Option hatte ich noch gar nicht in Betracht gezogen gehabt! Und dabei verlor Kai so oft seine Sachen. Darauf musste ich unbedingt Reita bei nächster Gelegenheit ansprechen. „Und was mein E-Mail Postfach angeht“, fuhr Saga weiter, „also damit hatte ich noch nie Probleme. Wie sollte auch jemand auf unsere Adressen kommen? Ich habe ja selbst fast ein Jahr lang gebraucht, um sie mir endlich merken zu können! Da müsste dann schon ein Profi-Hacker am Werk sein!“ Plötzlich stellte ich mir meine Stalkerin als ein kleines Otaku-Mädchen vor, welches den ganzen Tag nur vor seinem Computer saß. Eine Vorstellung, die ich irgendwie niedlich fand und mich schmunzeln ließ. Als ich meine Aufmerksamkeit wieder auf Saga richtete, musste ich aber einsehen, dass meine Reaktion wohl eine falsche war. Auf dem Gesicht des Bassisten spiegelte sich nämlich eine gewisse Besorgnis wieder. „Dein Mail-Account wurde doch nicht gehackt, oder?“, hakte er sofort nach. „Falls das nämlich der Fall sein sollte, solltest du sofort dem Management Bescheid sagen. Die lassen den Hacker ausfindig machen, sodass er dich nicht mehr belästigt.“ Ich schluckte. „Hacker ausfindig machen“? Das hörte sich für mich ziemlich nach Polizeieinsatz und Anwälten an. Das wollte ich dem Mädchen wirklich nicht antun! Sie war doch nur ein kleines Fangirl! Also wählte ich den einzig richtigen Ausweg aus diesem Gespräch: Lügen. „Unsinn! Ich wurde doch nicht gehackt und bekomme jetzt auch keine eigenartigen Mails oder so! Ich wollte es nur mal wissen. Interessehalber! Small-Talk halt!“ Ich lächelte meinen Kollegen dümmlich an, welcher sich davon aber kein Stück beindrucken ließ. Wieso sollte er auch. Schließlich bin ich der schlechteste Lügner aller Zeiten. „Du weißt schon, dass Stalker etwas sehr gefährliches sein können? Egal, wie schmeichelnd einem die Extra-Aufmerksamkeit anfangs vorkommen kann“, erklärte mir Saga ernst. Ich rollte leicht die Augen. „Sexy-Saga“ war mir irgendwie lieber als „Mama-Saga“. Mein Gegenüber warf mir aber nur einen tadelnden Blick zu. „Extra-Aufmerksamkeit.“ Ich winkte ab und versuchte auf andere Weise die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen. „Als ob ich die nötig hätte!“ „Also“, begann Saga und ich bemerkte, wie sich in mir ein Triumph-Gefühl breitmachte. Er stieg darauf ein. Zumindest ließ das überhebliche Lächeln darauf schließen, das sich gerade auf seine Lippen gelegt hatte. „Wenn wir meine Anzahl von Fanbriefen mal mit deiner vergleicht… Da würde ich vielleicht auch über jeden Fan mehr froh sein. Auch wenns ein Stalker ist!“ Ich war kurz davor zu protestieren, dass ich keinen Stalker hatte! Aber dann wäre meine ganze Taktik von dem Thema abzulenken wieder im Eimer. Also, den Protest runterschlucken und weiter! „Du hast keine Ahnung wie viele Mails ich krieg!“ „Das hätt ich jetzt auch gesagt.“ Weiter kamen wir nicht und ich war auch ganz froh darüber, dass ich ausstiegen musste. Hoffentlich dachte Saga nicht weiter darüber nach. Und hoffentlich erzählte er niemandem davon! Ausfindig machen. Das klang wie in einem Krimi. Und mein Leben war schließlich kein Krimi. Mit schnellen Schritten machte ich mich auf den Weg von der Haltestelle nach Hause. Ich spürte das Handy in meiner Hosentasche. Ich hatte seit der letzten Pause nicht mehr draufgeguckt. Den Ton für Textmitteilungen hatte ich ausgestellt und wenn jemand etwas Wichtiges wollte, würde er mich anrufen. Zu Hause fiel mein Blick sofort auf den Laptop im Wohnzimmer. Eigentlich war ich ziemlich geschafft und wollte einfach nur baden, vielleicht noch kurz was essen und dann schlafen gehen, so wie eigentlich immer, wenn es ein anstrengender Tag gewesen war. Ich zwang mich meinen Blick von dem Gerät zu lösen, warf mein Handy auf die Couch und ging dann ins Bad. Es war schon immer so gewesen. Zuerst baden, dann alles andere machen. Wieso sollte es heute anders sein? Meine Mails konnte ich später auch noch checken. Wie zu erwarten war, konnte ich mein Bad nicht vollends genießen. Sonst sorgte das heiße Wasser auf meinem, von der Probe völlig verspannten, Körper immer für Entspannung. Die Leute vergaßen es gerne, doch Musiker zu sein war auch eine Art handwerklicher Beruf und am Ende eines langen Arbeitstages war nicht nur der Geist vom vielen Umkomponieren, sondern auch seine weltliche Hülle aufgebraucht. Da konnte ein langes, entspannendes Bad schon Wunder wirken. Doch nicht an diesem Abend. Zwar schaffte ich es, die Gedanken zur Arbeit beiseite zu schieben, aber ich musste zugeben, dass diese mich schon seit der Heimfahrt mit Saga nicht mehr interessierten. Anstatt der ersehnten Entspannung wurde ich nur unruhig. Ich seufzte tief und ließ meine Gedanken wandern. Vielleicht konnte wenigstens mein Körper etwas Erholung finden, während mein Kopf sich mit der entschiedenen Frage beschäftigte: Hat das Fangirl mir wieder geschrieben? Und wenn ja, was? War sie in der Zwischenzeit noch wütender geworden und erwarteten mich weitere Beschuldigungen? Oder war sie wieder das süße Mädchen aus den ersten Mails? Vielleicht entschuldigte sie sich ja sogar für ihren kleinen Wutausbruch. Oder sie hatte gar nicht geschrieben. Ich plätscherte mit meinen Fingern leicht auf der Wasseroberfläche, während ich die letzte Option sinken ließ. Und dann? Was passierte, wenn sie nicht geschrieben hatte? Ich kannte die logische Antwort darauf: Gut. Weil das bedeutete, dass sie vielleicht aufgegeben hatte, was zum Resultat hätte, dass doch keiner der von Saga beschriebenen Psycho-Stalkerinnen hinter mir her war. Gut. Ich stieg aus dem Wasser, trocknete mich schnell ab und zog mir bequeme Sachen an, nur um schnurstracks ins Wohnzimmer zurückzukehren. Schließlich musste ich mein Handy checken. Es könnte ja sein, dass mich jemand angerufen hatte, während ich im Bad gewesen war und ich es nicht gehört hatte. Am Ende hatte Saga wegen meines „Stalker-Problems“ doch den Manager eingeschaltet. Oder Reita hatte angerufen. Der Blonde konnte echt sauer werden, wenn er das Gefühl hatte, man ignoriere ihn. Oder Nao hatte wegen der Band angerufen! Oder meine Eltern! Ich war also dazu verpflichtet auf mein Handy zu sehen! Drei neue Nachrichten. Und so ziemlich alle meine Vermutungen hatten sich bestätigt. Meine Eltern hatten mich zwar nicht angerufen, dafür aber Nao. Und Reita hatte mir eine Nachricht geschrieben. Genau wie die Stalkerin. Ich verschwendete keinen weiteren Gedanken an meinen Bandleader oder meinen besten Freund. Darum konnte ich mich später kümmern. Die liefen mir ja nicht weg. Stattdessen öffnete ich die Mail der Stalkerin. Es waren nicht viele Zeilen, die dort auf meinem Display erschienen und ich merkte schon dadurch die leichte Enttäuschung, die sich in mir ausbreitete. Die schob sich allerdings eher in den Hintergrund, als ich dann tatsächlich diese Zeilen las. Als erstes bekam ich Panik. Dann dachte ich an Saga. Dachte daran, wie mir dieser geraten hatte, das Management zu informieren. Dass Stalker gefährlich waren und man sie loswerden musste. Vor allem, wenn sie die private Mailadresse hatten. Man musste versuchen ihnen aus dem Weg zu gehen. Das Beste war wahrscheinlich, ihnen gar keine weitere Aufmerksamkeit zu schenken und sie möglicherweise in dem Glauben zu lassen, dass ihre Mails nie angekommen waren. All das schoss mir durch den Kopf, als ich auf „antworten“ klickte. ______________________________ Betreff: Re: Fangirl-Verhalten Tut mir leid. Ich hab mich verhalten wie ein kleines, dummes Fangirl. Kommt nicht wieder vor. Du hast ab jetzt deine Ruhe vor mir. Ich schreib nicht mehr.   Kapitel 3: Re: Viel Gebrüll um nichts ------------------------------------- Kapitel 3 Re: Viel Gebrüll um nichts Ich öffnete murrend die Augen, doch verschloss sie gleich wieder angeekelt. Es war hell. Und früh. Es fühlte sich viel zu früh an. Ich wollte noch nicht wach sein, aber die laute Musik gab keine Ruhe mehr. Scheiß Nachbarn. Wahrscheinlich war es aber auch gar nicht so früh wie es sich anfühlte, also durfte ich mich nicht einmal wegen Ruhestörung beschweren. Der vorige Abend hatte sich nur ungewollt in die Länge gezogen gehabt. Die Entscheidung der Stalkerin zu antworten, war schnell getroffen gewesen. Nur hatte ich nicht gewusst, was ich schreiben sollte. Mein Leben ist so erbärmlich, dass deine Mails das Einzige sind, was Abwechslung in meinen Alltag bringt, also belästige mich bitte weiter? Nur bei dem Gedanken daran, dass dies eigentlich der Wahrheit entsprach, hatte ich mich doch gegen eine Nachricht entschieden gehabt. Mein Stolz hatte ganze 10 Minuten angehalten und ich saß wieder mit meinem Handy auf dem Sofa und grübelte über meiner Antwort: Lang, kurz, freundlich, lustig, bestimmend, sofort antworten oder zappeln lassen? Gab es ein YouTube-Video, das zu meiner Situation passte oder wenigstens ein Gif, das ich ihr schicken konnte? Was antwortet man einer Stalkerin, mit der man gerne Kontakt haben möchte, ohne dass sie einem im Kleiderschrank auflauert und umbringt? Die Lösung auf diese schwerwiegenden Probleme habe ich dann auf dem Boden einer Bierflasche gesucht. Und als sie da nicht war, eben auf dem einer zweiten. Nach einer weiteren Flasche und mindestens 5 Anläufen, hatte ich die Mail dann doch tatsächlich abgeschickt. „Nur weil ich nicht sofort antworte, heißt das nicht, dass ich gar nicht antworten werde. Manche von uns haben einen anstrengenden Job und sind eben beschäftigt.“ Nach dieser Glanzleistung war ich dann halbtot in mein Bett gefallen und sofort eingeschlafen. Allerdings fragte ich mich jetzt doch, ob das die richtige Antwort gewesen war. Wirklich freundlich war ich nicht gewesen. Eher zickig. Oder vielleicht hatte ich doch einen anderen Wortlaut im Kopf als ich geschrieben hatte? Hoffentlich. Denn mittlerweile begann ich diese Nachricht zu bereuen. Sie war echt nicht nett gewesen. Schlafen konnte ich mit dem Gedanken sowieso nicht mehr, also drehte ich mich zur Seite und sah auf meinen Wecker. Halb eins. Okay, doch nicht ganz so früh wie ich gedacht hab. Trotzdem! Gestern war schließlich anstrengend gewesen. Vor allem der Abend. Da durfte man doch mal ausschlafen. Scheinbar sah das mein Nachbar anders, denn die Musik ging von neuem los. Völlig genervt und übermüdet schlug ich gegen die Wand, an der mein Bett stand und die ich mir mit besagtem nervigen Nachbar teilte. Als keine drei Sekunden später ein dumpfer Schlag zurückkam, schnaubte ich laut. Was fiel dem ein? Ich setzte mich auf, bereit der Wand noch einen weiteren Tritt zu verpassen, als mein Blick erneut auf den Nachttisch fiel und mir mein Handy von dort fröhlich entgegenblinkte. Und nicht nur das. Es gab auch Musik von sich, die ich jetzt endlich zuordnen konnte. Ups. Mit einem entschuldigenden Blick auf die Wand nahm ich den Anruf entgegen. „Wo steckst du?!“ Ich brauchte einen Moment. Nicht, um die Stimme zuzuordnen – die kannte ich schließlich gut genug – sondern um nachzudenken, wo ich denn jetzt gerade sein sollte. In meinem Bett gefiel es mir nämlich äußerst gut. „Zu Hause?“, antwortete ich Reita vorsichtig. „Dann hoffe ich für dich, dass du da in einer Minute raus bist.“ ~~~ Es brauchte ein bisschen mehr als eine Minute, bis ich meine Wohnung verlassen hatte, und ein paar weitere, nicht sehr freundliche aber berechtigte Worte meines besten Freundes, aber irgendwann kam ich dann auch dort an, wo ich eigentlich schon vor über einer halben Stunde hätte sein sollen: Dem Ramen-Restaurant, vor dem Rei und ich uns treffen wollten. Ich sah schon von weitem, dass er alles andere als gut drauf war. Ich konnte mich echt auf ein Donnerwetter einstellen. Dafür wusste ich aber auch, dass er sich während des Essens beruhigen würde. Das war immer so. Kopfschüttelnd sah ich dabei zu, wie Rei seine zweite Bestellung an Speisen aufgab, während ich erst einmal mit einem Kaffee vorliebnahm. Meine Empörung war allerdings nicht echt, da sich bei jedem unserer Essen inzwischen das gleiche Schauspiel ereignete: Rei aß eine absurde Menge, wir stritten deshalb, ich zahlte. Und leider konnte ich ihm deshalb gar nicht so richtig böse sein. War ja meine Schuld. Vor einigen Monaten hatte ich es geschafft Rei dazu zu überreden, dass ich mit seinem Motorrad, einer schwarzen Suzuki, fahren durfte. Ich hatte von Motorrädern zwar keine Ahnung, aber was sollte schon passieren? Am Ende hab ich mich mitsamt Reita und der Maschine auf die Nase gelegt. Uns ist nichts passiert. Nur die Suzuki hatte eine unschöne Schramme. Als wäre das nicht schon schlimm genug, gehörte das Fahrzeug genau genommen Aoi. Und Reitas Mitbewohner war immer jedes Mittel Recht, um dem Bassisten die Hölle heiß zu machen. Natürlich hatte ich Rei sofort angeboten den Schaden zu bezahlen, was er allerdings abgelehnt hatte. Danach hatte ich ein so schlechtes Gewissen gehabt, dass ich ihm eine lebenslange Einladung zum Essen versprochen hatte. Und Rei nutzte das natürlich schamlos aus. Jetzt muss ich alle 3 Wochen mein letztes Geld zusammenkratzen und darf den Vielfraß bei der Nahrungsaufnahme bestaunen. Natürlich übertreib ich. Der Blonde aß zwar viel, aber suchte sich für die Orgien immer ziemlich preiswerte Lokale aus und ein gemeinsames Mittagessen war immer eine angenehme Abwechslung neben unseren abendlichen Besäufnissen. Allerdings würde ich das vor Rei nie zugeben. „Ich habe keine Ahnung, wie du das alles schaffst“, kommentierte ich das Geschehen. „Könnte daran liegen, dass ich die letzten 2 Tage so gut wie nichts gegessen habe“, antwortete mir der Blonde mit vollem Mund und grinste mich dabei fies an. Mich brachte seine Aussage allerdings nur zum Schmunzeln. „Man, du hörst dich ja schon fast wie ne Frau an, die sich für ein wichtiges Date herunter gehungert hat“, teilte ich ihm mit. „Hast du extra nichts gegessen, um für mich in deine enge Jeans zu passen? Das ist aber süß!“ Reita starrte mich nur böse an und ließ dann ein trockenes „Nummer 22 und 83, bitte“ von sich hören. Ich war kurz verwirrt, bis mir auffiel, dass die Kellnerin schon wieder an unserem Tisch stand. Statt auf meine Spitze zu antworten, hatte sich der Blonde also gleich zwei weitere Gerichte auf meine Kosten bestellt. Bastard. Leider klappte das Ablenken nicht ganz so gut wie ich mir erhofft hatte, als ich in der Bahn ein paar Minuten für mich gehabt hatte, um aufzuwachen. In den Minuten waren meine Gedanken natürlich sofort wieder abgeschweift, wie immer, wenn ich in den letzten Tagen etwas Zeit hatte. Aber ich hatte damit gerechnet, dass ich wenigstens heute meine Ruhe davor haben würde. Pustekuchen. Meine eigenen Sticheleien über Dates und Frauen schickten mich geradewegs in den Sumpf meiner Gedanken zurück. Nachdem ich mir das Drama vor mir eine Weile angesehen und mein Kaffee auch leergetrunken hatte, setzte ich nach einigem hin und her schließlich doch an. Rei würde es für sich behalten. Hoffentlich. Und jemand anderes fiel mir nicht ein, dem ich das erzählen konnte. Saga war der Einzige in meiner Band gewesen, auf den ich gehofft hatte. „Hey…“ „Hm?“, grunzte es mir entgegen. Er hielt es nicht mal für nötig aufzusehen! Ich war kurz davor ihm einen Tritt in sein verdammtes Schienbein zu geben – schließlich vertraute ich ihm hier gerade meine geheimsten Geheimnisse an! -, ließ es dann aber doch bleiben. Musste ihn ja nicht gerade wütend machen, bevor ich kleinlaut um Rat fragte. „Ich hab ne Stalkerin“, murmelte ich frei heraus. „Und?“ Schön. Er hatte mich zumindest verstanden. „Was „und“?“ Zwischen zwei Portionen Reis glaubte ich ein „Is sie hübsch? Wie heißt sie?“ raushören zu können. Hübsch? Keine Ahnung. Name? … Auch keine Ahnung. „Weiß nicht.“ „Du weißt nich, wie sie heißt?“ „Hab sie nicht gefragt.“ „Woher weißte dann, dass es ne sie is?“ Mir blieb der Mund offen stehen. „Was?“ Vielleicht hatte ich ihn in dem Chaos von Reis und Curry in seinem Mund falsch verstanden. „Na n Kerl. Weißt du, ne Frau erkennt man an ihren Hupen und n Kerl ha-“ „Okay!! Ich weiß, was du meinst!“, fuhr ich dazwischen, bevor sich hier noch alle Gäste zu uns umdrehten. Rei musste ja so schon ein tolles Bild abgeben. Da brauchte ich nicht auch noch zusätzliche Aufmerksamkeit. Ich rutschte nervös auf meinem Stuhl hin und her und schaute mich um, ob uns vielleicht jemand gehört hatte. Anders als einige meiner Musikerkollegen war ich doch eher ein verschlossener Mensch und empfand es unangenehm über meine Sexualität zu reden. Zwar hatte ich schon eine Beziehung mit einem Mann geführt, doch war ich mir selbst nicht ganz im Klaren darüber, was das für mich bedeutete. Und wenn ich es selbst nicht genau wusste, würde ich garantiert nicht durch die Gegend rennen und anderen davon erzählen. Die Idee, dass es sich um einen Stalker und nicht um eine Stalkerin handeln könnte, verunsicherte mich deshalb schon ein wenig. „Kannst du vielleicht mal aufhören wie blöd Löcher in die Luft zu starren? Mir wird langweilig, wenn ich beim Essen keine Unterhaltung bekomm“, riss mich mein Gegenüber unsanft aus meinen Überlegungen. Wahrscheinlich besser so. „Los, jetzt erzähl schon deine kleine Stalker-Geschichte“, wurde ich aufgefordert, während Rei sich weiter Reis in den Mund stopfte. Also begann ich ihm Genaueres über die Mails zu erzählen und natürlich auch, dass sie an meinen privaten Mailaccount gingen. „Jedenfalls bin ich ein bisschen ratlos, was ich machen soll“, gestand ich am Ende meinem Freund. „Ich habe der… Person ja jetzt zurückgeschrieben, aber ich weiß nicht, wie schlau das war. Saga hatte mir sogar geraten, das Management deshalb einzuschalten!“ Reita hatte bis dato ausdruckslos weitergegessen und nur durch leichtes Nicken oder animalisches Grunzen seine Aufmerksamkeit bekundet. Bei diesen Worten schaute er jedoch auf. „Saga ist ein Weichei“, gab er nur finster vor sich. Ich verdrehte die Augen. Seit einiger Zeit bekamen sich die beiden Bassisten immer wieder in die Haare. Eine gesunde Rivalität war ja in Ordnung, aber manchmal nervten mich diese Zickereien doch gewaltig. „Warum solltest du denn wegen ein paar harmloser Mails gleich Panik machen? Als hätte euer Manager keine anderen Sorgen! Wenn du mit dieser Person schreiben willst, dann mach das doch, und wenn sie dich in Ruhe lassen soll, dann sei ein Mann und sag es ihr selbst.“ Nach dieser Moralpredigt stopfte er sich gleich weiter sein Essen in den Mund und fügte kauend hinzu: „Scheint ja aber nicht so.“ „Was scheint nicht so?“ Ich wusste, was Reita meinte. Es schien nicht so, dass ich in Ruhe gelassen werden wollte. Und er hatte ja auch Recht. Wahrscheinlich! Vielleicht!! Eventuell!! Aber selbst wenn, wie kam er darauf? Ich hatte diese Person ewig ignoriert und ihr nicht zurückgeschrieben. „Naja, du hast geantwortet.“ Dabei fuchtelte mein Gegenüber wild mit seinen Stäbchen in der Luft herum. „Wenn du keinen Kontakt willst, antwortest du nicht. Ganz einfach. Aber das hast du, also hast du klar gemacht, dass du schreiben willst.“ Und weiter ging die Fressorgie. Aber Reita hatte leider Recht. Ich lehnte mich frustriert in meinem Stuhl zurück. Ich wollte nicht, dass diese Person – ich sollte dringend ihren Namen rausfinden – aufhörte mir zu schreiben. So ungern ich es mir auch eingestand, es war die Wahrheit. Sonst hätte ich nicht geantwortet. „Und was mach ich jetzt?“ Reita zuckte bei meiner Frage nur die Schultern. „Mach was du willst.“ Na danke. Das war doch mal ein toller Rat von meinem besten Freund. Der brachte mich sowas von weiter. „Sei ehrlich. Habs dir doch eben schon gesagt.“ Ich seufzte. „Vielleicht sollte ich erstmal rauskriegen, wie sie… er… was auch immer an meine mailadresse gekommen ist…“ Reita lachte kurz. „Meinst du echt, die plaudert das einfach aus? Wenn sie an deine gekommen ist, könnte sie vielleicht auch die von uns allen rauskriegen! Da würde sie – oder er – ja wohl kaum sagen, wie. Das wär ja schön blöd.“ „Oh…“ Er hatte Recht! Schon wieder. Mein Gehirn hatte sich wohl ein bisschen verabschiedet. „Sagst du mir Bescheid, wenn du auch solche mails kriegst?“ „Wenn eine von den Tausend, die ich täglich krieg, so klingt wie die von deinem Stalker, dann sag ich Bescheid, klar!“ Reita grinste mich an, während er weiter Essen in sich hineinschaufelte. Unglaublich wie überheblich der Kerl manchmal sein konnte. Ich zog ihm missmutig die Schüssel vor der Nase weg und begann selbst davon zu essen. Eigentlich hatte ich ja immer noch keinen Hunger, aber schon Reitas empörtes Gesicht war Gold wert. Ich grinste meinen besten Freund breit an und vergaß sogar für einen Moment mein Gedankenchaos. Reita zu ärgern hob einfach immer meine Laune! Um einiges ärmer verabschiedete ich mich 2 Stunden später von Rei und stieg in die Bahn ein, die mich nach Hause bringen sollte. Anders als mit Saga war das Thema „Stalker“ schnell vom Tisch gewesen und wir hatten uns die weitere Zeit über andere Dinge unterhalten. Trotzdem hatte es mir irgendwie geholfen mit ihm darüber zu reden. Vielleicht lag es einfach daran, dass mir sein Rat besser gefiel als Sagas, aber ich fand seine Sicht der Dinge ziemlich plausibel. Ich war ein erwachsener Mann und sollte schreiben mit wem ich will, ohne Angst zu haben! Und ich wollte mit der Person schreiben. Wahrscheinlich. Vielleicht. Eigentlich war gerade auch egal, was ich wollte! Solang ich keine Antwort bekam, musste ich mich damit gar nicht erst auseinander setzen! Und plötzlich spürte ich das Vibrationssignal meines Handys in meiner Hosentasche. Sofort setzte ich mich stocksteif auf meinen Sitz und fragte mich kurz, ob der Stalker jetzt schon meine Gedanken lesen konnte. Ich verwarf den Gedanken sofort wieder. Ich konnte doch gar nicht wissen, wer mir geschrieben hatte. Ich zog mein Handy schnell hervor, versuchte dabei aber weiterhin cool zu bleiben. Selbst wenn die Person mir geschrieben hatte, sollte mich das nicht so aus der Fassung bringen. Es war im Grunde ja eigentlich auch egal… Ein Lächeln erschien auf meinen Lippen als ich den Absender sah und es wurde noch breiter als ich die Nachricht las. Ich hatte keine Ahnung auf was für eine Art von Nachricht ich gehofft hatte. Ich konnte nur an meiner fast beängstigend guten Laune erkennen, dass ich WIRKLICH auf eine Nachricht gehofft hatte. Und dieses Mal würde ich mich nicht so lange um eine Antwort bitten lassen! Ich lehnte mich gemütlich zurück und begann sofort zu tippen. _______ Betreff: Re: Viel Gebrüll um nichts Oh, der Tiger hat gebrüllt! Beschäftigt? Mit was bist du denn beschäftigt? Außer einmal im Monat eure kleine Spielshow zu moderieren? Kapitel 4: Re: Chaos pur! ------------------------- Kapitel 4: Re: Chaos pur! „Er hat mich im Onsen gesehen, Saga! In einem Bad für Männer!“ Rief ich mit Nachdruck in den Hörer. In den letzten Tagen hatte ich immer wieder mit meinem Stalker mails ausgetauscht. Er war nicht fies, aber manchmal schien er es zu mögen, mich zu necken. Da musste ich natürlich gegen angehen! Das konnte ich schließlich nicht einfach so mit mir machen lassen ohne mich zu wehren! Gestern hatte ich zwei Stunden auf dem Sofa gesessen und nur mit ihm geschrieben. Ich hatte scheinbar wirklich nichts zu tun und ihm das damit auch ganz toll bewiesen. Dass es ein „er“ ist, schloss ich übrigens daraus, dass er mich gestern im öffentlichen Bad gesehen hatte. Wie ich gerade in seiner neusten Mail gelesen habe. Ich weiß nicht, ob ihm wirklich bewusst ist, was er mir damit alles verraten hat. Dass er auf jeden Fall auch hier wohnt und dass er mich stalkt. Und dass er männlich ist. Das Bad war schließlich getrennt in Männer- und Frauenbereich. Deshalb hatte ich jetzt auch Saga am Telefon. Mit ihm und Hiroto war ich gestern nämlich tatsächlich dort gewesen. Und das musste einfach besprochen werden! „Sie kann dich doch auch einfach davor gesehen haben!“ „Die kurze Zeit?“ „Möglich wärs. Und du solltest wirklich jemandem Bescheid geben, der dagegen was machen kann. Wenn du jetzt schon verfolgt wirst.“ Ich hätte lieber Rei anrufen sollen. Seine Einstellung gegenüber dem Stalker gefiel mir wesentlich besser, auch wenn es wahrscheinlich einfacher für mich gewesen wäre, wenn sich rausgestellt hätte, dass mein Stalker weiblich ist. Aber daran glaubte ich jetzt nicht mehr wirklich. Klar, es könnte natürlich sein wie Saga vermutete, aber… es war einfach unwahrscheinlich. „Frag halt nach!“, hörte ich Saga am anderen Ende der Leitung seufzen. „Ich wollte halt erstmal hören, was du dazu sagst.“ Das war allerdings irgendwie ein Schuss nach hinten gewesen. Dadurch, dass Saga mich anscheinend davon überzeugen wollte, dass es ein Mädchen ist, hab ich mich nur noch mehr in meine eigene Vermutung reingesteigert. Und Paranoia bekam ich jetzt sicher auch. Danke, Saga. „Und du hast wirklich niemand auffälligen gesehen?“, erkundigte ich mich ein weiteres Mal hoffnungsvoll. „Du willst wissen, ob ich im Onsen ein verrücktes Mädchen mit Fernglas und Laptop gesehen habe? Nein, hab ich nicht. Vielleicht war ich aber auch nur von deinem Prachtkörper zu sehr abgelenkt.“ „Haha“, antwortete ich trocken. Ich hörte Saga am anderen Ende der Leitung seufzen. „Du solltest wirklich aufpassen, Tora“, meinte der Bassist im ernsten Tonfall. „Ich bin mir so langsam nicht mehr sicher, ob deine Stalkerin von dir oder du von ihr besessen bist. Du hörst dich schon wie ein verknallter Teenager an.“ Sofort saß ich aufrecht auf meiner Couch. „So ein Blödsinn! Man kann sich nach ein paar harmlosen Nachrichten nicht in jemanden verlieben! Und ich bin eh davon überzeugt, dass der Stalker männlich ist. Da kann ich mich gar nicht verknallen!“ Eine Zeit lang war es am anderen Ende still. „Tora, komm schon…“ Ich wurde sofort rot im Gesicht ohne dass Saga überhaupt weiterreden musste. Wenn ich nicht über meine Sexualität reden wollte, dann sollte ich sie vielleicht auch gar nicht erst ansprechen. Das hätte ich mir allerdings etwas früher überlegen sollen. „Ich… ich muss jetzt los. Bis bald, Saga!“ Ich wartete gar nicht auf seine Antwort, sondern legte einfach auf. Okay, das war jetzt peinlich gewesen. Und besonders hilfreich auch nicht. Ich war mir nun wirklich sicher, dass es sich um einen männlichen Stalker handelte. Mir fiel ein, was Saga als Witz über meinen Körper gesagt hatte und ich schluckte schwer. Saga war schließlich nicht der einzige gewesen, der mich unbekleidet gesehen hatte. Eigentlich sollte ich es gruselig finden, dass mein Stalker mich mit großer Wahrscheinlichkeit nackt gesehen hatte, aber das war es nicht. Peinlich war es mir auch nicht besonders. Ich war mit meinem Körper zufrieden und hatte nichts zu verstecken. Ich war eher neugierig. Was er wohl über mich dachte? Ich verdrängte den Gedanken direkt wieder. Egal, wie gerne ich mit dieser Person schrieb, sollte ich mir solche Fragen nicht stellen. Und schon gar nicht, falls es sich um einen Kerl handelte! Ich hatte keine Lust mich mit diesem Thema zu beschäftigen. Es wäre damals wirklich besser gewesen, meine Klappe zu halten und den anderen nicht von meinem… Ausrutscher zu erzählen. Das war einmal gewesen! Einmal hatte ich mich in einen Kerl verguckt. Wenn man es überhaupt so nennen konnte. Ich war mir da immer noch nicht sicher. Meine Band und vor allem Saga waren sich da aber sicher. Und er ließ sich auch nicht von dem Gedanken abbringen. Zum Glück versuchte er mir nicht jedes Mal, wenn wir auf das Thema kamen, seine Meinung aufzudrängen. Hat scheinbar gemerkt, dass das nichts bringt. Ich hingegen war mir nämlich ziemlich sicher, dass es nur dieses eine Mal gewesen war. Wenn überhaupt. Ich würde mich nicht nochmal in einen Kerl verknallen. Keine Gefahr also vom Stalker aus. Keine Panik. ~ Panik war es nicht, was ich spürte, als ich ein paar Stunden später in die Bahn stieg. Ich musste ein paar neue Sachen für meine Gitarre besorgen und fuhr dafür in die Innenstadt. In Musikgeschäfte ging ich meistens allein. Ich brauchte Zeit dafür und fühlte mich irgendwie wohler und nicht so gestresst, wenn ich niemanden um mich hatte. Die Türen der Bahn schlossen sich hinter mir und ich suchte mir einen Platz am Ende des Waggons. War nicht sonderlich schwer, weil die Bahn um diese Uhrzeit auch nicht so brechend voll war. Schon auf dem Weg zu meinem auserkorenen Platz fing ich die Blicke einiger Leute ein. Starrten die mich an? Erkannten die vielleicht, wer ich war? Unauffällig sah ich durch den Waggon. Eigentlich nicht sehr viele potentielle Fans. Und die ältere Generation kannte uns jetzt ja nicht so unbedingt. Gott, Tora!, schnauzte ich mich in Gedanken an. Die gucken nicht mehr oder weniger als sonst. Ich drehte die Musik lauter und sah genervt von mir selbst aus dem Fenster. Eine Zeit lang beobachtete ich nur die vorbeiziehende Landschaft, als dann plötzlich etwas anderes meine Aufmerksamkeit verlangte. Augen. Durch das spiegelnde Fensterglas wurde ich ganz eindeutig von einem Augenpaar beobachtet. Ruckartig drehte ich mich herum. Ich kam gar nicht auf die Idee, mich unauffällig zu geben. Mein Blick wanderte durch die Reihen, doch ich konnte niemanden erkennen, dem das Augenpaar gehört hatte. Alles nur alte Leute außer… Nicht weit von mir saß ein junger Mann. Ich konnte sein Alter nicht wirklich bestimmen, weil er die ganze Zeit auf sein Handy starrte. Sehr verdächtig. Als ob er es vermeiden wollte, dass ich ihn entdeckte. Ich hatte ihn beim Einstieg gar nicht bemerkt. Wollte er vielleicht nicht bemerkt werden? Das Handy selbst kam mir auch wie ein Signal vor. Ich wartete förmlich darauf, dass ich eine Meldung auf meinem Gerät bekam, als der dunkelhaarige Fremde aufhörte auf seins einzutippen. Aber es kam keine. Stattdessen stand er ruckartig auf und eilte zum Ausgang, als die Bahn in die nächste Station einfuhr. Flucht? Er hatte sicher bemerkt, dass ich seine Stalker-Attacke mitbekommen hatte und wollte jetzt verschwinden. Ich grinste in mich hinein. So schnell kam er mir nicht davon! Ich sprang auf und verließ ebenfalls schnellen Schrittes den Wagon. Bestimmt kämpfte ich mich durch die Menschenmassen und konnte tatsächlich noch sehen, wie mein Stalker hinter der nächsten Häuserecke verschwand. Jetzt rannte ich. Gleich hatte ich ihn und er musste sich mir stellen. Wir könnten endlich normal miteinander reden und es würde so viel Klarheit schaffen und… Er war weg. Überrascht sah ich mich um. Wo konnte er nur so schnell hin sein? Hatte er meine Verfolgung gemerkt? War das eine Art Falle und er hatte mich absichtlich hier her gelockt? Beinahe panisch blickte ich mich um. Mein Herz schlug mir bis in den Hals. Was geschah hier? Ich ließ einen kurzen Schrei los, als mein Handy zu klingeln begann. In was für ein krankes Spiel war ich da geraten? Ohne nachzuschauen, drückte ich die grüne Taste und hielt mir das Gerät ans Ohr. „Hallo“, meinte ich unsicher und mit zittrigen Knien. „Tora? Hier ist Rei. Alles klar?“ Mein Herz machte einen kleinen Sprung aus Erleichterung. Kein kranker Stalker am anderen Ende des Apparats. Alles okay. „Wieso nicht?“, versuchte ich meine kleine Herzattacke zu überspielen. „Du bist ganz außer Atem und du bist ganz nervös und…“ Es folgte eine kurze Pause und ich mein Kopf war wieder Einsatz bereit genug, um zu erahnen, was Reita dachte. „Machst du etwa schmutzige Sachen?“ Ich musste ihn gar nicht in real sehen, um mir sein Grinsen vorstellen zu können. „Nein“, verdrehte ich nur die Augen. Obwohl… Das wäre wahrscheinlich eine bessere Ausrede gewesen als die Wahrheit. „Sondern?“ „Bahn verpasst.“ „Und deshalb bist du nervös?“ „Ja, ich komm jetzt zu spät.“ Zum Einkaufen. „Zu deinem Date mit dem Stalker?“ Seine Stimme klang so amüsiert! Schrecklich! „Nein!“ Gott, Tora. Du solltest wirklich mal lernen zu lügen. Würde dir einiges ersparen. Jetzt hörte ich Reita wirklich lachen. „Danke, du hast meine Laune wesentlich gehoben!“ „Gern geschehen“, grummelte ich nur voller Ironie in den Hörer. „Warum hast du eigentlich angerufen?“ Das Lachen erstarb und für einen Moment war es still auf der anderen Seite der Leitung. „Vergessen? Ich glaub der Alkohol steigt mir zu Kopf.“ Alkohol? Um die Uhrzeit? „Und du fragst mich, ob alles klar bei MIR ist? Ich komm vorbei, okay?“ „Und bring noch ne Flasche mit.“ Aufgelegt. Ähm ja… Klar, Reita. Gerne doch. ~~~ Als ich bei Reita ankam, war ich doch ganz froh, dass ich wirklich noch eine Flasche Hochprozentiges gekauft hatte. Nach der Mail von meinem Stalker war das doch ganz angebracht. Es war zwar erst Nachmittag, aber wer sah da schon auf die Uhr? Reita begrüßte mich mit einem kurzen „Hey“, aus dem ich jetzt nicht sooo viel herauslesen konnte, und ließ mich rein. Er hatte auf jeden Fall irgendwas. Als ich die Flasche aus meiner Tasche zog, grinste er mich schon leicht bedöppelt an. Aber zumindest würde ich noch ein normales Gespräch mit ihm führen können. Ganz so betrunken schien er mir nicht und auch vorhin am Telefon hatte er sich noch relativ normal angehört. Nur seitdem war ja auch schon einige Zeit vergangen. Der Blonde nahm mir einfach die Flasche aus der Hand und ging zurück ins Wohnzimmer. Zwar war er schon leicht wacklig auf den Beinen, aber es war noch kein richtiges Torkeln, was mich beruhigte. Während sich der Bassist auf die Couch schmiss, ging ich zur Kochnische. Bei Rei war immer Selbstbedienung angesagt. Ich stutzte etwas, als ich einen der Schränke öffnete. „Das ist euer letztes sauberes Glas“, informierte ich ihn und hob das Gefäß zur Demonstration hoch. „Aoi is mit Abspülen dran“, kam es nur grummelnd zurück. Ich verdrehte meine Augen, aber sagte sonst nichts dazu. Es war mir noch immer ein Rätsel, wie die beiden Sturköpfe zusammen wohnen konnten und wieso Kai das überhaupt zuließ! Schließlich musste der Leader regelmäßig intervenieren, wenn die Streitereien zu heftig wurden und die Situation zu eskalieren drohte. Und das war sehr häufig der Fall! Ich nahm also das letzte Glas und gesellte mich zu Rei auf die Couch. Dieser hatte schon die Alkoholflasche geöffnet und schenkte uns beiden ordentlich ein. Erst wollte ich ihn fragen, was denn der Grund für das Besäufnis sei, aber entschied mich dann doch um. Vielleicht würde er das Thema irgendwann selbst anschneiden. Ein total naiver Plan, den ich nach drei weiteren Gläsern auch schon aufgab. Schließlich wollte ich mich hier nicht ins Koma saufen, sondern einem Freund helfen. „Rei, was ist hier eigentlich los?“, fragte ich im ernsten Ton. Der Blonde sah mich einen Moment verwirrt an, bevor er ein falsches Lächeln aufsetzte. „Was soll denn schon los sein? Nur ein kleines Saufgelage!“ „Mittags?“ Ich versuchte dem Bassisten in die Augen zu sehen, doch der starrte auf seine Finger, die mit seinem Glas spielten. Eine nervöse Geste, die ich so nicht von ihm kannte. Ich sagte nichts mehr, sondern sah ihn nur weiterhin an und gab ihm seine Zeit. „Erinnerst du dich noch an die Wette, die ich an Miyavis Geburtstag mit Teruki von AnCafe gemacht habe? Aoi möchte, dass ich die Wette so langsam Mal einlöse.“ Zwar hatte ich von besagter Abmachung während der Party nichts mitbekommen, aber die anderen hatten mir davon berichtet. Scheinbar hatte Rei während der Feier großspurig behauptet, dass er aus Kanon in kürzester Zeit einen selbstbewussten Meister-Bassisten machen könne. Ich wusste nicht so ganz, was das eigentlich sollte. Der Kleine wusste nämlich ziemlich gut mit seinem Bass umzugehen. Das hatte ich ja auch schon live erlebt. Nur das mit dem Selbstbewusstsein… da konnte er sich vielleicht wirklich eine Scheibe von Rei abschneiden. Nur nicht zu viel! „Naja und?“ Reita hatte die Wette schließlich abgeschlossen. Wollte er jetzt etwa einen Rückzieher machen? Er starrte nur in sein Glas. Und sagte nichts mehr. Ich verdrehte die Augen. Mit Abwarten kam ich hier ja anscheinend nicht sehr weit. „Was hast du für ein Problem, dass Kanon hier her kommt? Du hast ihn selber eingeladen. Oder eher hast du über seinen Kopf hinweg entschieden, dass er hier wohnt. Du kannst froh sein, dass er sowas überhaupt mit sich machen lässt!“ „Vielleicht fänd ichs ja besser, wenn es nicht so wär“, murmelte Rei in sein Glas. „Warum soll er jetzt plötzlich nicht mehr herkommen?“ Ich verstand es wirklich nicht. Sowas muss man sich doch vorher überlegen! Andererseits war Rei zu dem Zeitpunkt stockbesoffen gewesen. Da war nicht mehr viel mit „überlegen“ gewesen. „Hast du mal gesehen, wie er Aoi anguckt?“ Ich starrte Rei verdattert an. Die Worte konnte ich mehr erahnen als wirklich hören, aber trotzdem war ich mir sicher, dass mein Gegenüber mir gerade mitzuteilen versuchte, dass er… eifersüchtig war! Dem schien das plötzlich ziemlich peinlich zu sein, denn er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas und versuchte meine Gedanken zu zerstreuen, indem er mir nachschenkte und wild drauflos plapperte. „Egal. Ich ruf ihn morgen an oder so und frag ihn, wann er vorbeikommen will.“ Eine kurze Pause folgte. „Nein, wann er vorbeizukommen hat!“ Ein offensichtlich gespieltes Lachen setzte dem ganzen noch die Krone auf, bevor er mir nochmal nachschenkte. „Du musst mehr Trinken! Ich bin dir schon voraus!“ Ich trank noch ein bisschen. Aber weder der Alkohol noch das Geplapper meines Nebensitzers konnte mich von meinen Gedanken abhalten. Es war eine Art offenes Geheimnis, dass Rei und Aoi mal etwas miteinander hatten und da sie zusammenwohnten, gab es einige Gerüchte über ihren Beziehungsstatus, aber ich konnte es mir einfach nie vorstellen. Es hieß schließlich „Was sich liebt, das neckt sich.“ und nicht „Was sich liebt, das beschimpft sich die ganze Zeit unter ziemlich drastischen Androhungen von Gewalt und Vandalismus.“. Aber auch wenn mir die Gefühlsregungen meines besten Freundes ziemlich unerklärlich waren, so empfand ich doch Mitgefühl. Er hatte Kanon schließlich selbst eingeladen und nun schien dieser die Absicht zu hegen vor Reitas Augen mit dessen Schwarm eine Romanze zu starten! Ich sah zu dem Blonden, der seit gut 15 Minuten durchredete als hätte er Angst vor der Stille. „Du bist eifersüchtig, oder?“, unterbrach ich den Bassisten, der mich geschockt anstarrte. Scheinbar hatte er nicht mit einer so direkten Frage gerechnet, doch ich hatte sie einfach stellen müssen. „Naja, wer wünscht sich am Ende des Tages nicht einfach nur geliebt zu werden?“ Reita senkte schnell die Augen als die Worte ausgesprochen waren. Wieder schien es ihm peinlich zu sein mich anzuschauen. Ich starrte ihn weiterhin nur an. Nie hatte ich mit so ehrlichen Worten gerechnet. War Reita jemals davor so offen zu mir gewesen und hatte sich so verletzlich gezeigt? Aus einem Impuls heraus, schloss ich den Blonden in die Arme. Allerdings kam ich mir doch etwas komisch vor, da wir selten solche Intimitäten teilten und der Bassist meine Umarmung auch nicht erwiderte. Als ich merkte, wie er sich sogar versteifte, ließ ich ihn schnell wieder los und räusperte mich verlegen. Da hatte ich mich wohl doch etwas zu sehr von der Stimmung mitreißen lassen. Der Blonde nahm einen weiteren Schluck aus seiner Flasche und grinste dabei leicht. Meine Aktion hatte ihn scheinbar belustigt, was mich freute. Tatsächlich schien es Rei während unseres weiteren Gesprächs besser zu gehen. Zwar wirkte er immer noch etwas traurig, als ich mich von ihm verabschiedete, aber ich war mir sicher, dass ihm unsere Unterhaltung geholfen hatte. Zum Abschied umarmte ich ihn erneut und dieses Mal erwiderte er die Berührung sogar zaghaft. Ich war froh als ich endlich zu Hause war und ließ mich direkt auf meine Couch fallen. Ich fühlt mich ziemlich fertig und wollte eigentlich ins Bett doch mein Kopf hört nicht auf zu arbeiten. Vielleicht hätte ich doch bei Reita bleiben sollen? Das Vibrieren meines Handys erinnerte mich wieder an eine völlig andere Person. Mein Stalker! Den hatte ich die letzten Stunden ja völlig vergessen! Sofort las ich die Nachricht und begann dabei leicht zu lächeln. Ich musste an Reitas Worte über die Liebe denken. Ein leichtes Kribbeln war in meiner Bauchgegend zu spüren als ich auf „Antworten“ klickte. ______________ Betreff: Re: Chaos pur Abend! Tut mir leid, dass ich den ganzen Tag nicht geschrieben habe, aber heute war’s echt anstrengend. Chaos pur! Da brauch ich dringend jemanden, der mich auf andere Gedanken bringt (^.-) Kapitel 5: Re: Näher als du denkst ---------------------------------- Es ist wirklich erschreckend, wie schnell ein Monat vergeht und wir halt einfach mal nichts hochgeladen haben >_> Sorry dafür!! Euch allen wünschen wir (sehr verspätet) noch ein frohes neues Jahr und hoffentlich ein ganz ganz tolles ^_^ ____ Kapitel 5: Re: Näher als du denkst Mit einem mulmigen Gefühl versendete ich die mail, bevor ich in unseren Proberaum trat. Seit mir Reita von seiner kleinen Eifersucht erzählt hatte, war gut eine Woche vergangen. Schien wohl nur eine Phase gewesen zu sein. Seitdem verhielt er sich nämlich wieder recht normal. Ich dachte eigentlich, dass es mit Kanons Einzug bei den beiden schlimmer werden würde, aber bis jetzt hatte ich davon nichts mitbekommen. Aber wer wusste schon wie das werden würde, wenn Aoi und Kanon erstmal richtig anfangen würden rumzuturteln? Ich verstaute mein Handy in der Tasche und begrüßte meine Bandmember, die schon fleißig dabei waren, ihre Instrumente zu stimmen. Wir wollten ein paar neue Lieder durchgehen und eventuell gleich einmal zur Probe spielen. Die Lieder für unser neues Album waren zwar schon längst festgelegt, aber darauf konnten wir uns ja auch nicht lange ausruhen. Shou und Nao saßen auf dem Boden über ein paar Blätter gebeugt und kritzelten wild darauf rum. Da war wohl jemand schon fleißig bei der Arbeit. Nachdem ich meine Sachen abgelegt hatte, setzte ich mich kurzerhand dazu und betrachtete das Gesamtwerk, aus dem ich nicht gerade sehr schlau wurde. Durchgestrichene Noten, verbesserte Noten und merkwürdige Symbole waren quer über das Papier verstreut. Schien so, als würde das keines der Demos werden, die fast auf Anhieb so in die Aufnahme kamen. Hiroto gesellte sich auch bald zu uns. Nur Saga saß etwas Abseits und probierte wohl ein paar Sachen auf seinem Bass aus. Er wirkte in den letzten Tagen ziemlich abwesend. Nicht unfreundlich oder genervt. Einfach nur abwesend. Er fragte auch gar nicht mehr nach meinem Stalker. Nicht, dass mich das störte! Saga und ich vertraten bei dem Thema ja sowieso unterschiedliche Meinungen. Und er wäre nicht gerade erfreut zu hören, dass ich mich mit meinem Stalker irgendwie… „angefreundet“ hatte. Er schien viel von Musik zu verstehen. Und von dem Leben als Musiker. Unsere Gespräche waren ziemlich normal geworden. Wir unterhielten uns mittlerweile über ganz alltägliche Dinge und vor allem sprachen wir natürlich über Musik. Unser täglicher Nachrichtenaustausch war für mich schon Teil meines normalen Lebens geworden und ich konnte mir gar nicht mehr vorstellen den Kontakt zu ihm abzubrechen, so wie Saga es wohl von mir gewollt hätte. Ich sah kurz zu dem Bassisten herüber und stellte besorgt fest, dass dieser gar nicht mehr auf seinem Instrument spielte, sondern nur noch in eine Ecke starrte. „Wunderbar, jetzt tut er nicht einmal mehr so als würde er arbeiten“, brummte Nao gereizt. Ich war ein bisschen überrascht. Sonst war unser Drummer wesentlich mitfühlender. „Ist das nicht ein bisschen hart, Nao?“, fragte Hiroto, was unseren Leader scheinbar nur noch missmutiger werden ließ. „Du bist ja auch nicht derjenige, der ihn zu den Proben abholen muss, weil der Herr seine Wohnung wohl sonst gar nicht mehr verlassen würde.“ „Lass ihn! Er macht gerade eben einiges durch!“, war die Antwort des blonden Gitarristen, was nun auch Shou aufhorchen ließ. „Weißt du etwa was?“ Die eine Braue des Sängers wanderte in die Höhe und seine Augen glitzerten gefährlich. Der Sänger hatte ein Geheimnis gewittert und dann war es beinahe unmöglich ihn wieder abzuwimmeln. „Was? Nein! Nein, natürlich weiß ich nichts!“, erwiderte Hiroto panisch und sah dann kurz zu mir herüber. Wahrscheinlich um Hilfe zu erbitten. „Ich werde später mit ihm reden“, meinte ich knapp und beobachtete weiterhin den Bassisten, der wie ein Häufchen Elend in der Ecke saß. „Wunderbar! Tora spielt die Psychotante, Shou hört auf Hiroto in Panik zu versetzen und wir arbeiten jetzt endlich weiter!“, war noch Naos abschließende Bemerkung zu dem Thema, bevor er sich wieder über die Notenblätter stürzte. Kurze Zeit später waren wir auch schon am Proben, wobei die Stimmung mehr als nur angespannt war. Saga verspielte sich immer wieder an denselben Stellen und ich musste Nao einige beschwichtigende Blicke zuwerfen, um zu verhindern, dass seine Drumsticks zu Wurfstöcken wurden. Irgendwann hatte unser Drummer dennoch genug, erklärte die Probe kurzerhand für beendet und verschwand mit Hiroto und Shou im Schlepptau aus dem Raum. Wirklich sehr subtil. „Bin dann auch weg.“ Ich fuhr herum, als ich Sagas kurze Verabschiedung hörte. Er war gerade dabei, die Tür zu öffnen und zu verschwinden, aber so leicht kam er mir nicht davon. Ich hatte gesagt, ich würde die Psychotante spielen, und dann tat ich das auch. Außerdem machte ich mir so langsam ernsthaft Sorgen um ihn. Wir hatten in den letzten Tagen keine Proben gehabt und auch nur eine kurze Besprechung. Es war eine Phase, in der wir jeder für sich an neuen Songs arbeiteten und die gelegentlich hin- und herschickten, um die Meinung der anderen einzuholen. Von Saga hatte ich kaum irgendwas gehört. Seit wann genau das so war, konnte ich nicht wirklich sagen, aber wenn ich jetzt so darüber nachdachte, war er allgemein in letzter Zeit nicht gerade sehr gut drauf gewesen. Seit ein paar Wochen vielleicht sogar schon. „Warte mal!“ Ich schulterte meine Gitarre und ging mit ihm zusammen den Flur entlang. „Was hältst du davon, wenn du heut mit zu mir kommst und wir gucken ne DVD oder so?“ Ob ich wirklich vorhatte, eine DVD zu gucken, war eine andere Sache. Nur wollte ich ihn nicht auf der Straße über seine persönlichen Probleme ausquetschen. Eigentlich hatte ich das ja im Proberaum geplant, nachdem die anderen weg waren, aber Saga hatte mir da mal wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Eigentlich will ich grad nur nach Hause und…“ Dann musste ich wohl härtere Geschütze auffahren. „Nach Hause kannst du morgen auch noch. Keine Widerrede. Du gammelst schon seit Tagen zu Hause vor dich hin.“ Saga sah mich kurz erstaunt an. Hatte wohl gedacht, dass er mit seiner Tour durchkommt. Dann nickte er aber doch. Gut. Der Anfang war geschafft. Auch die nächste Stufe meisterten wir erfolgreich. Ich schaffte es doch tatsächlich ihn in meine Wohnung zu bringen. Sie war nicht gerade um die Ecke und Saga hatte tausend Möglichkeiten gehabt, es sich anders zu überlegen. Ab und zu hatte ich das Gefühl gehabt, er wollte gerade dazu ansetzen, dass er doch wieder nach Hause wollte, aber ich hatte es immer geschafft, ihn genau in dem Moment in ein Gespräch zu verwickeln. Meine Taktik: Keine Zeit zum Nachdenken geben! Also setzte ich den Bassisten bei mir zu Hause aufs Sofa und quasselte munter weiter, während ich in der Küche noch Chikin fütterte. Sonst würde er die ganze Zeit nur miauend neben mir sitzen. Etwas kontraproduktiv für ein ernstes Gespräch. Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, merkte ich allerdings schnell, dass mir Saga in Sachen Ernsthaftigkeit ein gutes Stück voraus war. Mein Kollege starrte mich böse an, während ich mich neben ihm aufs Sofa setzte. „Bringen wir’s hinter uns“, brummte er mir entgegen. „Bringen wir was hinter uns?“ „Verkauf mich nicht für dumm. Ich bin doch nur hier, damit du mich ausquetschen kannst. Hat dich Nao dazu verdonnert?“ Die Stimme des Bassisten klang verbittert. So kannte ich ihn gar nicht. „So war das nicht…“, antwortete ich leise, aber konnte ihm dabei nicht in die Augen sehen. Schließlich war seine Vermutung doch recht nah an der Wahrheit. „Habt ihr eine Runde Janken gespielt, um zu entscheiden, wer den erbärmlichen Bassisten aufheitern muss?“ Überrascht sah ich auf. Das war schon fast kein Selbstmitleid mehr, sondern klang nach Selbsthass. „Die anderen machen sich nur Sorgen um dich! ICH mache mir Sorgen um dich, Saga.“ Ich sah ihm in die Augen und hoffte, damit meine Worte besser unterstreichen zu können. „Was ist los?“ Ich sah dabei zu, wie die Fassade bröckelte. Wie die Verbitterung zu Trauer wurde, während der Bassist seine Lippen stark zusammenpresste und seine Augen verdächtigt glänzten. Dann verbarg er das Gesicht vor mir in seinen Händen und seufzte gequält. „Eigentlich nichts Tragisches“, meinte er wenig überzeugend. „Nur ein bisschen Liebeskummer.“ Ich musste sofort wieder an Rei denken, der vor einigen Tagen genauso zerbrochen vor mir gesessen hatte. Was war nur los? Wieso mussten meine Freunde so schrecklich leiden. Das war nicht fair. „Du verdienst etwas Besseres. Du verdienst jemanden, der erkennt, was für ein toller Mensch du bist. Und ich will, dass du weißt, dass du nicht alleine bist und dass du auf mich zählen kannst.“ Einen Moment hatte ich Angst, dass ich zu kitschig gewesen war, doch als der Bassist sich dann in meine Arme warf, verflog dieser Zweifel sofort wieder. Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gewissen. Die Worte waren nicht nur an Saga gerichtet gewesen, sondern auch an Rei. Nur leider waren sie mir einige Tage zu spät eingefallen. „Und wer ist der Idiot? Wenn ich fragen darf?“, meinte ich nach einiger Zeit, in der ich Saga einfach nur im Arm gehalten hatte. Er zögerte. Ich spürte es genau. Saga hatte mich schon verstanden, aber er wollte mir nicht antworten. „Sag ich nicht.“ Wie ich mir gedacht hatte. Irgendwie versetzte es mir einen Stich, dass er mir nicht sagen wollte, was genau los war. Dann musste ich ihn zumindest kennen, sonst könnte er ja auch einfach sagen „irgendein Typ aus irgendeiner Bar“. Ich wollte ihn ein Stück von mir wegschieben, um ihn besser ansehen zu können, aber Saga ließ es nicht zu. Er kuschelte sich nur noch mehr an mich. Keine Ahnung, ob er weinte. Vielleicht wollte er nicht, dass ich es sah. Aber ich wollte auch eigentlich einfach nur, dass es ihm besser ging. Derjenige, der Saga sitzen ließ, war doch wirklich ein Vollidiot. „Also wenn ich dein Freund wäre…“, begann ich den Satz und hielt inne. Was? Wenn ich ein Freund wäre? Wie kam ich denn jetzt darauf?! Auch Saga rührte sich nicht mehr. War wohl genauso perplex wie ich über diesen Gedanken. „Dein… Kumpelfreund…. Natürlich…“, stotterte ich drauflos. Warte. Das war ich doch! „Das bin ich ja auch!“, rief ich meinen Gedanken schnell aus. Nicht, dass Saga dachte, ich würde ihn nicht als Freund ansehen. Okay. Das wurde hier gerade nicht mehr besser. Das kleine Häufchen Elend – oder was auch immer das gerade war – rettete mich. Saga fing an leise zu lachen. Er lachte mich aus, aber ehrlich gesagt war mir das ziemlich egal. Zum Einen musste ich meinen komplett sinnlosen Satz dann nicht mehr zu Ende führen und zum Anderen lachte er wieder. Er rappelte sich sogar auf und sah mich leicht grinsend an. Das war der Saga, den ich kannte. Seine Augen waren zwar ein wenig glasig, aber seine Wangen waren nicht feucht und auch sonst konnte ich keine Anzeichen finden, dass er geweint hatte. „Du bist so ein Idiot“, meinte der Bassist kopfschüttelnd, was ich nur mit einem Schulterzucken kommentieren konnte. Nach so einer Blamage war leugnen einfach zwecklos. „Mir geht’s jetzt schon viel besser! Wie wär‘s wenn wir das Thema lassen und noch etwas Fernseher schauen, bevor wir ins Bett gehen?“, schlug Saga vor. „Ins… ins Bett?“ Der andere sah mich bei der Frage verwirrt an: „Du hattest doch gesagt, dass ich bei dir übernachten soll! Willst du mich jetzt etwa wieder ausladen.“ „Nein, natürlich nicht!“, stellte ich sofort klar. „Es ist nur… also… Wir müssen nicht beide im Bett, weil… ich kann auch auf der Couch und…“ Ich schloss den Mund, bevor noch mehr sinnlose Satzfetzen herauskamen, und wurde etwas rot. Was war nur los mit mir? Und auch dieses Mal war es Saga, der mich aus der peinlichen Lage befreite: „Halt einfach die Klappe und schalt den Fernseher ein, Tora.“ Und genau das tat ich. Lustlos schaltete ich von einem Sender zum nächsten. Mal wieder einer der Abende an dem nichts kam! Ich wollte schon aufstehen und ins Bett gehen, als mir wieder die Person einfiel, die an meiner Schulter friedlich schlief. Saga war vor gut einer halben Stunde eingenickt und ich wollte ihm seine Ruhe gönnen. Vorsichtig beugte ich mich nach vorne, um sein entspanntes Gesicht besser betrachten zu können. Warum benahm ich mich ihm gegenüber nur so seltsam? Wahrscheinlich lag es daran, dass Saga sich sonst nie so verletzlich zeigte. Außerdem suchte er normalerweise nicht so stark meine körperliche Nähe. Was eigentlich verwunderlich war. Schließlich flirtete er in letzter Zeit häufig mit mir und machte auch gerne Anspielungen. In dem Moment beschlich mich eine Vermutung, die ich nicht mehr abschütteln konnte. Saga war unglücklich verliebt, aber konnte mir nicht sagen in wen. Er flirtete mit mir. Suchte meine Nähe. Und ich bekam schon seit fast 3 Wochen Nachrichten von einer unbekannten Person, die meine private E-Mail-Adresse hatte und sich mit Musik auskannte. Und der ich anscheinend so nahe stand, dass ich ihr meine E-Mail-Adresse selbst gegeben hatte. ________ Betreff: Re: Näher als du denkst Ich weiß, dass ich dir nicht gesagt hab, woher ich deine Adresse hab. Würdest du mir wahrscheinlich sowieso nicht glauben. Aber okay, ein Versuch ists wert. Du hast sie mir selber gegeben! (^.-)☆ Kapitel 6: Re: Trial and error? ------------------------------- Kapitel 6: Re: Trial and error? Als ich am Morgen neben Saga in meinem Bett aufwachte, wanderte mein erster Blick auf mein Handy. Aber nein, ich hatte noch keine Antwort von meinem Stalker bekommen. Mit einem leisen Seufzen ließ ich mich zurück ins Bett fallen – oder zumindest auf das sehr begrenzte Stück Matratze, das Saga mir noch übrig ließ. Hätte mir mein Stalker nicht heute Nacht antworten können? Dann hätte ich diesen Verdacht gleich begraben können. Ich hatte ihm selbst meine E-Mail-Adresse gegeben? Entweder war ich zu diesem Zeitpunkt stockbesoffen gewesen, oder aber… Ich sah Saga an und biss mir auf die Lippe. Verdammt. Mein Stalker würde mir höchstwahrscheinlich nicht auf meine Frage antworten, wer er war und wann ich ihm meine Adresse gegeben haben sollte. Und eigentlich mochte ich das an ihm! Er war eine der weniger Personen, die mich an der Nase herumführen konnte. Die sich für mich interessant machte. Und ich wollte alles über ihn erfahren. Er zog mich wie magisch an. Diese ganze Geheimniskrämerei war eigentlich gar nicht das, worauf ich stand, aber bei ihm war es anders. Nur seit gestern war ich unruhig, sobald ich an ihn dachte. Wenn es jemand aus meinem näheren Umfeld war, dann war das eine völlig andere Sache. Dann war das entweder irgendein Freund, der mich ziemlich verarschen wollte, oder es war… eine ziemlich komplizierte Angelegenheit, die ganz schön Probleme schaffen konnte. Ich konnte mein Handy nicht aus der Hand legen. Ständig hoffte ich, doch noch eine Mail zu bekommen. Aber es kam nichts mehr. Auch nicht, als wir uns einen Kaffee machten. Und auch nicht, als wir uns mit Morgenfernsehen die Zeit vertrieben, bis wir uns mit unserer Band trafen. Den ganzen Tag über kam nichts. Die darauffolgende Nacht war die reinste Tortur. Ich hatte das Gefühl, ich würde kein Auge zubekommen und schämte mich für diese Tatsache. Wie verzweifelt konnte ein erwachsener Mann bitte sein?! Um 4 Uhr Nachts kam dann endlich die erlösende Nachricht. Keine Angabe wieso er so lange nicht geantwortet hatte. Kein Hinweis darüber, wer er war. Aber er schrieb wieder. Bereits fünf Minuten später hatte ich meine Antwort verschickt, in welcher ich natürlich behauptete, dass ich eh noch wach war, weil ich gerade mit Freunden um die Häuser zog und ihm sonst sicher auch nicht so schnell geantwortet hätte, weil ich mir selbstverständlich nicht mitten in der Nacht die Mühe mache Mails von Stalkern zu beantworten, und schlief zufrieden ein. Nach dieser Pause schrieben wir wieder regelmäßig miteinander, was mich glücklicher machte als ich zugeben wollte. Trotzdem vermied ich es ihn direkt auf seine Identität anzusprechen - aus Angst er würde mich dann wieder ignorieren oder den Kontakt sogar ganz abrechen. Und vielleicht wusste ich ja auch schon, wer er war! Doch obwohl Saga gut ins Bild passte, kam mir der Gedanke immer absurder vor. Wenn ich eine der Nachrichten las, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass mein Bandkollege sie verfasst haben könnte. Es hörte sich einfach nicht nach Saga an! Aber vielleicht wollte er mir ja auf diese anonyme Weise eine neue Seite an sich zeigen. Eine, in die ich mich verlieben konnte. Wenn das der Plan war, dann ging er auf, denn egal, wer er war und wie sehr ich mich dagegen sträubte, ich konnte nicht bestreiten, dass ich Gefühle für den Unbekannten entwickelte. In mir drin herrschte ein einziges Chaos, also tat ich das Einzige, was ein verantwortungsvoller Mensch in einem solchen Fall tun konnte. „Hey Kumpel! Hab gerade erst deine Nachricht abgehört. Und? Wie viel bist du mir schon voraus?“, begrüßte mich Reita und klopfte mir freundschaftlich auf den Rücken, während er sich auf den Barhocker neben mich setzte. „Ach, nicht so viel…“, antwortete ich ausweichend, doch leider waren die leeren Bierflaschen neben mir auf der Theke doch sehr verräterisch. Wieso hatte die auch noch keiner abgeräumt? Natürlich fielen sie auch dem Blonden sofort ins Auge: „Die sind alle von dir? Es ist noch keine Stunde her, dass du mir auf die Mailbox geredet hast, dass du hier bist!“ „Keine Stunde? Ich warte schon seit ner Ewigkeit, dass du deinen Hintern hierher bewegst!“ Naja, vielleicht eine gefühlte Ewigkeit. Wenn man alleine an einer Bar saß und einem gelangweilten Barkeeper zusehen musste, der auch noch ständig auf die Uhr starrte, dann war das nicht gerade förderlich. „Und wieso hast du die gerade erst abgehört? Wo hast du dich rumgetrieben?“ Mein bester Freund hatte mir schließlich beizustehen und auf mich aufzupassen, wenn in meinem Kopf absolutes Chaos herrschte, das ich zu ertränken versuchte. „Manche Menschen müssen arbeiten!“, lachte mein Saufkumpan und bestellte sich mit einer kurzen Handbewegung auf mein Bier ebenfalls eins. „Aber doch nicht so spät! Is schon fast… 10!“ Dass ich mit meiner Band manchmal auch bis tief in die Nacht zusammensaß, um zu arbeiten, blendete ich gekonnt aus. „Um genau zu sein ist es halb 12“, wurde ich berichtigt. Na eben! Noch schlimmer! „Besserwisser.“ „Seit wie vielen Stunden sitzt du denn schon hier?“ Reita nahm den ersten Schluck aus seiner Flasche. Und dann den zweiten. Und den dritten. Und dann hörte ich auf mitzuzählen. Das wurde mir zu anstrengend. „Keine Ahnung, aber du scheinst die Zeit ja ganz schnell aufholen zu wollen.“ Mir sollte es Recht sein. War ich wenigstens nicht alleine angetüdelt. Alleine machte kein Spaß. Da blamierte man sich nur. Wobei man sich vor Rei nicht wirklich blamieren konnte. Der hatte sich schon viel zu oft selbst blamiert, als dass mir da was peinlich war. „Also, was gibt’s?“ „Nichts“, antwortete ich schnell. Zu schnell. „Klar“, grinste mich Reita an, ließ es aber darauf beruhen. Er kannte mich. Und ich kannte mich. Zumindest in der Hinsicht. Möglich, dass ich irgendwann im Laufe des Abends noch was ausplauderte, aber dafür war der Abend noch zu jung. Gegen 3 war der Abend nicht mehr ganz so jung, aber ich war trotzdem der festen Überzeugung, dass er noch jung genug war, um eine Unterhaltung mit einem ziemlich angepissten, etwas in die Jahre gekommenen Mann über 4 Stockwerke zu führen. Freundlich schrie ich ihn an, dass ich auf der Suche nach jemandem war, aber er knallte nur das Fenster zu mit dem Kommentar, dass ich ja vollkommen verrückt sei mitten in der Nacht an fremden Türen zu klingeln. Der Kommentar ließ mich ziemlich kalt. Das war schon mindestens das zehnte Haus bei dem ich mein Glück versuchte und witzigerweise geriet ich jedes Mal nur an unfreundliche Bewohner. Das konnte mich allerdings nicht von meiner Mission abhalten! Meine enthusiastische Stimmung bekam noch einen weiteren Schub, als mein bester Freund hinter der nächsten Straßenecke auftauchte. „Rei-chan! Da bist du ja! Wo hast du gesteckt?“ „Wo ich gesteckt habe?! Willst du mich eigentlich verarschen? Als ich vom Klo zurückkam, warst du einfach verschwunden! Und du Idiot gehst ja auch nicht an dein Handy! Ich habe dich nur gefunden, weil man dich noch 3 Häuserblocks weiter rufen hört und… was zum Teufel wird das hier eigentlich?!“ Empört zog Reita seine Hand weg, die ich mir bereits zu Beginn seines kleinen Vortrags geschnappt hatte, um ihn hinter mir her durch die Straßen zu ziehen. Der Blonde sah sich verängstigt um, ob irgendjemand mitbekommen hatte, dass wir Händchen gehalten hatten und wurde dann sogar leicht rot, was sicher dem Alkohol zu verdanken war. Süß. Irgendwie. Ich wollte ihm das gerade mitteilen, als ich es sah. Das Haus! Sofort rannte ich los und bleib er vor den Klingeln wieder stehen. In welchem Stock hatte er nochmal gewohnt… „Das ist es!“, teilte ich meinem besten Freund begeistert mit, als dieser schnaufend neben mir auftauchte. „Das ist was?!“ Ich seufzte. Manchmal war Reita wirklich schwer von Begriff. „Ich hab endlich rausgefunden, wer mein Stalker ist“, erklärte ich langsam. „Jemand der mich gut genug kennt, um meine Nummer zu besitzen, aber der Angst hat, mir seine Identität zu sagen: mein Ex-Freund! Ja, guck nicht so überrascht. Ich hab auch so etwas. Naja, den einen wenigstens. Kurz. Ist auch nicht aus der Musikbranche. Aber er ist es und jetzt find ich ihn und sag ihm, dass ich mich dank der Nachrichten in ihn verknallt hab.“ Reitas Mund stand inzwischen offen, woraufhin ich nur meine Augen verdreht. „Ja, es ist absolut dumm, sich in einen Stalker zu verlieben, aber das ist ja egal! Ich weiß, wer es ist und werd ihn jetzt überraschen. Ganz romantisch… Wie hieß die Saftnase denn nochmal mit Nachnamen…“ „Warte mal, du hast doch immer gesagt, dass du kei-“ „Jaja, hab eben doch einen“, winkte ich ab und machte mich weiter auf die Suche nach dem Nachnamen. Vielleicht kam mir ja irgendeiner davon bekannt vor. „Wieso hast du mir nie-“ Nur am Rande bekam ich Rei-chan’s Empörung mit. „Jaja… alte Geschichten. Egal. Hilf mir lieber suchen!“ Ich hatte jetzt keine Lust ihm zu erklären, was da zwischen meinem Ex und mir gelaufen war. War ja auch egal! Jetzt war ich ja wieder verliebt! In meinen Stalker! In meinen Ex! Wer hätte gedacht, dass mein Ex – wie hieß er doch gleich? Tama? Tomo? Toru? Toki? … Toki wars! Genau! Wie konnte ich das vergessen? Toki und Tora… Das hatte doch schon immer so toll zusammengepasst! Jedenfalls… Wer hätte gedacht, dass Toki zu sowas fähig war! „Nach wem soll ich denn suchen?“ Ach ja, Reita war ja auch noch da! „Toki… irgendwas.“ Aber nach gefühlten 10 Minuten suchen, drückte ich einfach wild auf die Klingelschilder. Irgendjemand würde mir hier schon weiterhelfen können. Weitere 10 Minuten später – es waren mindestens 10 Minuten gewesen! – öffnete eine freundlich aussehende junge Frau das Fenster. Sie würde mir bestimmt helfen! Leider klang ihr Tonfall gar nicht so freundlich und bei genauerem Hinsehen drückte auch ihr Ausdruck eher das Gegenteil aus. „Was soll das?!“ „Ich such Toki!“, schrie ich zurück. „Hier gibt’s keinen Toki!“ „Doch!“ „Sicher nicht!“ „Doch!“ „Wie sieht er denn aus?“ „Schwarze Haare und etwa so groß.“ Ich hielt die Hand etwa in meine Kopfhöhe. Er war etwa so groß gewesen wie ich. Ich sah wie sie kurz auflachte. Ein ironisches Lachen, so viel konnte ich noch feststellen. „Hier gibt’s nur einen Haruto!“ Oh! Ja! Haruto wars gewesen. Haruto und Tora. Das passte doch perfekt! Viel besser als Toki und Tora! Ich sah, wie ein anderer Kerl ans Fenster kam. Bei genauerem Hinsehen stellte er sich als Haruto heraus. Oh man, war der alt geworden. War bestimmt die Ische Schuld. Wetten, ich sah nicht mal halb so alt aus? Egal. „Ich bin verliebt!!!“, schrie ich ihm entgegen, bevor er auch nur Luft holen konnte. „… Tora? Was wird das hier?!“ Ich seufzte. Ich hatte ganz vergessen, wie begriffsstutzig der Kerl sein konnte. Naja, wo die Liebe hinfällt… „Ich bin hier, um dir zu sagen, dass ich verliebt bin!“, erklärte ich ihm ein noch einmal. Das war ja jetzt auch nicht so schwer zu verstehen. Dachte ich zumindest, denn Haruto sah mich immer noch extrem verwirrt aus. „Warte… Du bist doch jetzt nicht her gekommen, um mir deine neue Beziehung unter die Nase zu reiben, oder? Weil da muss ich dir sagen…“ „Häh? Was zum Teufel meinst du?“, fragte ich dieses Mal verwirrt, bevor Haruto mit den Kopf in Reitas Richtung nickte. Als ich verstand, worauf mein Ex hinauswollte, begann ich laut zu lachen. „Nein, du Idiot! Das ist nur Rei!“ Reita warf mir einen ziemlich angepissten Blick zu und murmelte etwas davon, dass ich mir das „nur“ sonst wo hinschieben konnte. Der Blonde war manchmal so ne Zicke. „Toller Fang, aber nicht meiner“, versuchte ich die Situation mit meinem unwiderstehlichen Charme zu retten und tätschelte dem Bassisten die Wange. Dieser schlug meine Hand nur weg und entfernte sich murrend von mir. Dann eben nicht. Hatte gerade ja auch wichtigere Dinge zu klären. Das hier sollte schließlich mein großes Happy End werden! „Ich weiß, dass du es bist!“, rief ich Haruto grinsend entgegen. „Dass ich was bin?“ „Ich weiß, dass du mein Stalker bist und mir die ganzen Nachrichten geschickt hast!“ „Du hast was gemacht?“, fauchte es plötzlich hinter der Liebe meines Lebens und das Frauenzimmer erschien wieder am Fenster. „Ich hab gar nichts gemacht!“, entgegnete dieser sofort. „Doch hast du!“, rief ich hoch. Sollte die Olle ruhig wissen, was Sache war. „Nein!“ „Doch!“ „Ich glaub`s nicht!“, schrie die Furie und stampfte weg. Gut. Waren wir also wieder für uns. Zu meiner Überraschung rief Haruto der Frau aber ein „Schatz, jetzt warte doch!“ hinterher, bevor er das Fenster schloss und ihr folgte. Mich hatte er keines Blickes mehr gewürdigt. Verdattert starrte ich nach oben. Da war irgendwas verdammt schief gelaufen. „Können wir jetzt gehen?“, fragte Reita mich seufzend, woraufhin ich den Kopf schüttelte. „Ich versteh das nicht. Am besten klingel ich nochmal…“ Eine Hand hinderte mich aber an meinem Vorhaben. „Ich hab vor nicht allzu langer Zeit schon mal in ner Arrestzelle gesteckt und bin nicht grad scharf drauf, das so bald nochmal zu tun.“ Reita zog mich weg vom Fenster meines Angebeteten, dessen Wohnung noch immer hell erleuchtet war. Er wartete sicher nur auf mich! „Hör jetzt auf rumzuzerren und lass den Kerl in Ruhe!“, gab mein Saufkumpan genervt von sich. „Der hat jetzt schon genug Probleme und ist sicher nicht dein Stalker. Irgendwelche neuen Ideen?“ Ich hörte tatsächlich auf mich zu wehren. Vielleicht hatte Reita ja sogar Recht! Schien nicht gerade so, als würde der Kerl sich groß um mich bemühen. Wie hieß er doch gleich? Taro? Ryo? Ruki? Ah nein. Ruki war jemand anderes. Moment mal! Ruki! Vielleicht war es ja Ruki! Als ich Reita meine Theorie unterbreitete, hob er die Augenbrauen und lachte dann schallend los. Ja, okay. Im Nachhinein war die Theorie doch nicht so ausgereift, wie ich gedacht hatte. Ich versuchte alle Menschen durchzugehen, die ich kannte und die auch nur irgendwie in Betracht kamen, aber es waren einfach zu viele. Man traf im Leben eines Musikers einfach so viele Menschen, tauschte so viele Nummern und Mail-Adressen – und auch richtige Adressen -, dass ich unmöglich entscheiden konnte, wer als mein Stalker in die engere Auswahl kam. Reita hatte mich zu Hause abgesetzt und war dann selbst nach Hause verschwunden. Müde war ich aber noch nicht, also fuhr ich meinen Laptop hoch, um mir dort die Zeit zu vertreiben. Außerdem musste ich in ein paar Stunden ja sowieso wieder aufstehen. Ich hatte seit heute Morgen keine Mail mehr von meinem Stalker bekommen, aber er hatte ja sicher auch zu arbeiten. Trotzdem hoffte ich natürlich, möglichst bald wieder von ihm zu hören. Stattdessen sah ich den Absender einer anderen altbekannten Email-Adresse. Es waren nur ein paar Demos und wann wir uns morgen denn trafen. Keine wirklich besondere Mail also. Aber durch all die Grübeleien an diesem Abend fiel mir meine vorherige Vermutung wieder ein. ___ Betreff: Re: Trial and error? Und? Wie kommst du voran mit deiner Nachforschung? Schon rausgefunden, wer ich bin? Noch mehr Tipps gibt’s nämlich nicht! (^.-) Kapitel 7: Re: Erkenntnis ------------------------- Kapitel 7 Re: Erkenntnis Seufzend rieb ich mir den Nacken und hoffte nur, dass die Probe schnell genug enden würde, damit ich mich wieder zu Hause in meinem Bett verkriechen konnte. „Alles klar bei dir?“, fragte mich Hiroto besorgt. „Jaja, nur Kopfschmerzen“, versicherte ich dem Jüngeren und schenkte ihm ein erzwungenes Lächeln, welches ihn hoffentlich beruhigte. Schließlich war ich ja selber Schuld, wenn ich mich volllaufen ließ, die halbe Nacht lang Tokyos arme Bürger belästigte und zum krönenden Abschluss eine gefühlte Ewigkeit meine Mails anstarrte, während in meinem Kopf alles drunter und drüber ging. Da war es wohl auch kein Wunder, wenn ich am nächsten Tag etwas zerknirscht wirkte. „Sieh‘s ein, Tiger, du wirst einfach zu alt für nächtliche Raubzüge.“ Saga war neben uns aufgetaucht und grinste mich frech an. Da er mir aber auch direkt seine Wasserflasche in die Hand drückte und mir freundschaftlich auf die Schulter klopfte, konnte ich ihm die Aussage nicht wirklich böse nehmen. Ich lächelte den Bassisten dankend an - dieses Mal nicht gezwungen sondern zu 100% ehrlich - und bekam ein fast schüchternes Schmunzeln zurück. Seit dem Abend, den Saga bei mir verbracht hatte, hatte sich seine Stimmung wieder deutlich verbessert. Ich hatte das Gefühl, dass unsere gemeinsame Zeit nicht nur für ihn gut gewesen war, sondern auch für unsere Freundschaft. Nao klatschte in die Hände, um uns zu signalisieren, dass die kleine Trinkpause, die wir eingelegt hatten, nun zu Ende war. Saga ging direkt wieder auf seine Position und als er nach seinem Instrument griff, machte er etwas, was mich den Begriff „Freundschaft“ noch einmal überdenken ließ: Der Bassist zwinkerte mir zu. Eigentlich ja eine unschuldige Geste. Allerdings nicht mehr ganz so unschuldig wenn man bedachte, dass mein Stalker seine Nachrichten an mich oft mit einem zwinkernden Smiley beendete. Genau die gleiche Tastenkombination, die Saga auch gerne bei seinen mails an mich benutzte. Er machte mich fertig. Ich versuchte mich wieder auf meine Gitarre zu konzentrieren und es gelang mir sogar besser als erwartet. Meine Finger schafften es heute ohne großes Nachdenken, die richtigen Töne zu treffen – oder ich bemerkte meine Fehler nur einfach nicht, denn die Gedanken konnte ich nicht loswerden. Ich war alle möglichen Personen durchgegangen. Ganz am Anfang, als ich noch gedacht hatte, mein Stalker wäre eine Stalkerin und ich mich gefragt hatte, welcher Idiot mir da einen Streich spielte. Ich war alle Menschen in meinem privaten Umfeld durchgegangen und hatte mir überlegt, wer meine private E-Mail-Adresse hatte. Wer es sein könnte. Natürlich war ich auch auf Saga gekommen, aber ich hatte nie ernsthaft darüber nachgedacht. Kurz, ja, als ich mir noch nicht sicher war, ob das Ganze ein Scherz war oder nicht. Aber mittlerweile war ich der Meinung, dass es nicht mehr nach einem Scherz klang. Die Mails waren zu ehrlich. In manchen von ihnen steckte so viel Gefühl. Gefühle, die mich nachdenklich machten. Gefühle, die mich ehrlich erreichten. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie nur Fake waren, um sich über mich lustig zu machen. Und je mehr ich nachdachte, desto mehr setzten sich die Puzzle-Teile Stück für Stück zusammen. Saga war es in letzter Zeit nicht sehr gut gegangen. Und warum? „Ein bisschen Liebeskummer“, hatte er gesagt. Ich verspielte mich, als ich an unser Gespräch vor kurzem dachte. Als Saga bei mir übernachtet hatte und ich ihn im Arm gehalten hatte. Denjenigen beschimpft hatte, der so dumm war, Saga sitzen zu lassen. Einen Idioten hatte ich ihn genannt. War ich etwa dieser Idiot? Ich war allein mit meinen Gedanken. Ich traute mich nicht, irgendjemandem davon zu erzählen. Also war die Stimmung auch irgendwie merkwürdig, als ich am Abend mit Saga auf einem von Gazettes lives ging. Vielleicht kam aber auch nur mir die Stimmung so merkwürdig vor, denn mein Kollege verhielt sich eigentlich wie immer. Wir hatten Backstage-Pässe und wollten uns das Spektakel nicht wie gewohnt von der Tribüne, sondern von der Seite der Bühne ansehen. Schnell stellte sich heraus, dass wir nicht die einzigen Gäste waren, sondern das auch Kanon und Teruki das Konzert beobachteten. Eigentlich war das auch nur logisch. Reita hatte sich den An Cafe-Bassisten ja nach Hause geholt, um mit diesem an seinem Auftreten zu arbeiten. Da ließ es sich der Blonde natürlich auch nicht entgehen Kanon vorzuführen, wie er selbst auf der Bühne rumstolzieren und die Menge begeistern konnte. Der Schwarzhaarige hatte allerdings eher Augen für Aoi als für seinen Lehrer, womit ich ihn auch direkt aufziehen musste. Es schien also zu stimmen, dass sich zwischen den beiden etwas entwickelte. Wahrscheinlich war ich ein schlechter Freund, weil ich von Reitas Gefühlen für Aoi wusste, mich die Vorstellung von Aoi und Kanon als Paar aber trotzdem zum Schmunzeln brachte. Die beiden passten irgendwie gut zusammen. Jedenfalls besser als Aoi und Reita! Meiner Meinung nach… Nur der Gedankengang löste in mir ein unwohles Gefühl aus, was sicherlich mit meinem schlechten Gewissen zusammenhing und ich versuchte mich einfach weiter auf das Konzert zu konzentrieren. Ich verlor mich tatsächlich ziemlich schnell wieder in die Performance und der Rest des Auftritts verging wie im Flug. Komplett kaputt aber glücklich erwarteten uns die Gazette-Mitglieder im Backstage-Bereich, wo Kanon, Teruki, Saga und ich ihnen zur gelungenen Show gratulierten und noch ein wenig redeten. „Wie fandest du eigentlich meine Performance in ‚SILLY GOD DISCO‘? Da kannst doch nicht einmal du dich beschweren, oder?“, fragte Reita meinen Kollegen stolz grinsend. Saga und er wetteiferten ständig um den Titel des besten PSC-Bassisten und da rieb man sich gegenseitig seine Erfolge gerne mal unter die Nase. Statt einer frechen Antwort erinnerte der Angesprochene allerding eher an ein Reh im Scheinwerferlicht. „Ich…. also… ähm… Ich hab das Lied jetzt gar nicht wirklich mitbekommen“, gab Saga dann zu. Da fiel mir auch wieder ein, dass Saga wirklich einige Lieder lang verschwunden gewesen war. Teruki übrigens auch, aber das wollte ich nicht unbedingt noch erwähnen. Reita schien schon empört genug darüber, dass Saga ihm nicht seine vollste Aufmerksamkeit geschenkt hatte. „Und wo warst du?“ „Nicht da halt. Geht dich ja auch nicht wirklich was an.“ Ich sah die Gewitterwolken aufziehen und das gefiel mir überhaupt nicht. Es war eine Sache, wenn sich meine Freunde mit irgendwas gegenseitig aufzogen, aber das hier konnte böse enden. Und einen von beiden unterstützen konnte ich auch nicht! Klar, Reita war mein bester Freund und normalerweise stand ich immer auf seiner Seite, wenn ich seine Meinung auch nur ein kleines bisschen teilte, aber jetzt gerade stritt er mit Saga. Und in meinem Hinterkopf schlummerte immer noch der Gedanke daran, dass Saga vielleicht mehr als nur mein Kumpel und Bandkollege sein könnte. Wenn er wirklich derjenige war, der mir diese ganzen Mails geschrieben hatte… Mich so oft durch diese Worte zum Schmunzeln gebracht hatte… Wenn ich an all diese Momente dachte, in denen ich mich gezwungen hatte, ein paar Minuten mit einer Antwortmail zu warten, sodass ich nicht rüberkam wie ein kleines verliebtes Teeniemädchen… Wenn Saga also wirklich diese Person war, dann würde das alles auf den Kopf stellen. Und ich wollte mich jetzt nicht gegen ihn stellen. Ganz abgesehen davon, ging es Reita ja eigentlich wirklich nichts an, wo sich Saga in seiner Freizeit rumtrieb. „Und ob mich das was angeht!“ „Reita…“, mischte ich mich jetzt doch ein und hob beschwichtigend die Hände. Saga sah nicht gut aus. Keine Ahnung warum, aber ich hatte gerade das Gefühl, ihn ein wenig unterstützen zu müssen. Reitas Todesblicke durchbohrten mich noch im selben Moment. Notfallplan. „Saga und ich gehen jetzt gucken, wie weit der Staff ist. Damit wir auch heim können.“ Ich griff Saga am Arm und schleifte ihn raus. Es gab keine Proteste. Von keiner Seite. Und es folgte uns auch sonst niemand, als ich Saga durch den Flur hinter mir herzog. Erst als wir bei den Sitzplätzen der Zuschauer angekommen waren, wurden wir langsamer und ich ließ den Arm unseres Bassisten los. „Dämliche Ausrede“, hörte ich ihn hinter mir sagen. Natürlich war sie dämlich gewesen. Wieso sollten wir nach dem Staff gucken? Wir konnten schließlich gehen, wann wir wollten. Und das wusste natürlich auch jeder, aber das war mir egal. Uns war allen klar, dass es das Beste gewesen war mit Saga zu verschwinden. Von besagten Mitarbeitern waren nur noch ein paar wenige da, die beschäftigt über die Bühne huschten und uns gar nicht weiter beachteten. Vielleicht sahen sie uns auch gar nicht. Die Hallenbeleuchtung war nur noch sehr spärlich, sodass gerade noch die Aufräumarbeiten ohne Unfälle zu Ende gehen konnten. „Willst du mich nicht fragen?“ „Was fragen?“, antwortete ich meinem Kollegen im neutralen Tonfall. Saga war in Streitstimmung und ich war nicht bereit, mich auf ein Wortgefecht einzulassen. „Willst du mich nicht fragen, wo ich war?“, präzisierte der Bassist knirschend, worauf ich nur mit den Schultern zuckte. „Wenn du wollen würdest, dass ich es weiß, würdest du’s mir sicher sagen, oder?“ Innerlich klopfte ich mir selbst auf die Schulter. Meine emotional labilen Freunde würden noch dafür sorgen, dass ich zu einem echten Therapeuten mutierte! Tatsächlich schienen meine Worte die gewollte Wirkung zu zeigen. Schlagartig wich der zornige Blick aus Sagas Gesicht. Zurück blieb Unsicherheit. Verzweiflung. Ich konnte förmlich sehen, wie sich in seinem Kopf die Worte bildeten und Sätze formten. Er öffnete seinen Mund einen Spalt breit und setzte bereits mit Sprechen an, bevor er ihn dann doch wieder schloss und von mir weg Richtung Bühne starrte. Ich seufzte. Saga war einer meiner engsten Freunde und er schien sich etwas von der Seele reden zu müssen. Ich setzte mich auf einen der Sitzplätze und sah den Bassisten einladen an, damit er sich neben mich setzte und wir mit unserer kleinen Therapiestunde beginnen konnten. Eine Aufforderung, der Saga natürlich nicht nachkam und weiterhin wie angewurzelt stehen blieb. Sturer Bock. „Ich hab keine Ahnung, was zum Teufel genau mit dir los ist“, begann ich meine Rede. „Wenn du es mir nicht erzählen willst, dann ist das absolut in Ordnung. Du sollst einfach nur wissen, dass ich für dich da bin. Wenn du also doch darüber reden willst oder ich dir sonst irgendwie helfen kann, egal wann und egal wie, dann hab bitte keine Angst davor mich einfach zu fragen. Ich will…“ Mir wurde keine Möglichkeit gegeben den Satz zu beenden, weil mein Kopf brutal nach hinten gerissen wurde und Saga seine Lippen hart auf meine presste. Mein erster Instinkt war es, ihn von mir zu stoßen. Das war falsch. Ich hatte ihm zwar gesagt, dass ich ihm helfen wollte, aber garantiert nicht so. Ich war zwar kein Romantiker, doch wusste trotzdem wie sich ein guter erster Kuss anfühlen sollte. Ein wirklich guter erster Kuss. Er sorgte dafür, dass man alles um sich rum vergaß. Man sollte sich dabei nicht unangenehm fühlen, weil das Ziehen an den Haaren zu stark war oder sich das eigene Handy wegen der Sitzposition ziemlich ungemütlich an den eigenen Hintern drückte. Wie Sagas Gewicht mir das Blut in meinem linken Bein abzuschnüren schien. Aber ich konnte nichts davon vergessen. Auch nicht, dass das auf mir Saga war, der Bassist unserer Band und einer meiner besten Freunde. Und mein Stalker. Bei einem guten ersten Kuss schaltete sich das Gehirn ab, aber meins lief auf Hochtouren. Bei dem Gedanken an meinen Stalker wurde mir heiß und kalt zugleich. Genau in dem Moment beendete Saga den Kuss. Sah mich kurz an. Ich sah keine Reue oder Erschrockenheit in seinen Augen, die nur ein paar Zentimeter von mir entfernt waren. Es war eher eine Art Verzweiflung mit einer großen Spur Verlangen. Verlangen, weil er mich so sehr wollte? Weil er mir insgeheim all diese Mails geschrieben, aber sich nie getraut hatte, es mir persönlich zu sagen? Naos Regel ging mir durch den Kopf. Die, die er vor einer halben Ewigkeit aufgestellt hatte. Eine dumme Regel, die ich doch irgendwie auch wieder verstehen konnte. Keine Beziehungen, welcher Art auch immer, innerhalb des Labels. Er sorgte sich um die Band. Ich konnte das ziemlich gut verstehen. Aber wie konnte er sowas denn von vornerein verbieten? Wenn man sich nun mal verliebte? Moment mal. Verlieben? War ich etwa wirklich… Ich hatte meinen Ex zwar angeschrien, dass ich in ihn – oder eher meinen Stalker – verliebt war, aber das war unter Alkoholeinfluss gewesen! Nur ein paar Sekunden lang sah mich Saga an. Es kam mir vor als wären es Minuten gewesen, so viele Gedanken schossen da durch meinen Kopf. Und an einem blieb ich immer und immer wieder hängen: Ich wollte ihn. Ich weiß nicht, warum Saga es mir nie gesagt hatte. Hatte er Angst gehabt, ich würde ihn zurückweisen? Aber dieser Blick in seinen Augen sprach Bände. Sie waren mir so nah. Ich hörte dumpf Stimmen im Hintergrund. Die Staffmember waren noch immer unterwegs, aber sie würden uns wohl kaum sehen können. Oder? Das Licht schien nur auf die Bühne und selbst wenn jemand auf die Idee kommen würde, einen Blick in die Zuschauerränge zu werfen, dann würde sie das Licht blenden. Ich wusste das gut genug von all den Konzerten, bei denen wir eher in Lichtkegel als wirklich in die Gesichter unserer Fans sahen. Außerdem war es viel zu dunkel hier. Ich wollte Saga noch einmal küssen. Ich wollte, dass es sich gut anfühlte. Verdammt, ja! Ich war verliebt! Jetzt wollte ich auch einen Kuss, der sich danach anfühlte! Ich legte meine Hand in seinen Nacken und zog ihn wieder zu mir herunter. Der zweite Kuss war entspannter. Besser. Bereitwillig öffnete Saga seine Lippen, um unseren Kontakt weiter zu intensivieren. Auch seine Bewegungen schienen mir jetzt weniger gezwungen. Es war sicher die Erleichterung. Die Erleichterung darüber, dass ich ihn zurückküsste und dass ich es endlich begriff. Er war es. Nur der Gedanke allein sorgte dafür, dass ich in den Kuss grinste, während Saga seine Beine auf den freien Plätzen neben mir positionierte und somit praktisch auf meinem Schoss saß. Der Bassist klammerte sich unangenehm stark an meinen Schultern fest. Beruhigend fuhr ich ihn mit meiner freien Hand über den Rücken. Er sollte wissen, dass jetzt endlich alles gut werden würde. Völlig in Trance starrte ich an meine Wohnzimmerdecke. Selbst Chikins hungriges Maunzen konnte mich zu keiner Bewegung animieren. Es war alles so schnell gegangen. In der einen Sekunde hatte Saga noch auf mir gesessen und mich praktisch aufgegessen und dann war er wie aus dem Nichts aufgesprungen und hatte fluchtartig die Halle verlassen. Mir war daraufhin nichts anderes übrig geblieben als meine letzten funktionierenden Gehirnzellen einzuschalten, um mich dann von den anderen zu verabschieden und selbst den Heimweg anzutreten. Wahrscheinlich war es so das Beste gewesen. Ich hatte immer noch Probleme zu verarbeiten, dass Saga tatsächlich mein Stalker war. Selbst der Kuss erschien mir als etwas überstürzt. Allerdings ließ er jetzt keinen Raum mehr für Zweifel. Saga hatte mir gesagt, dass er unglücklich verliebt sei, er flirtete mit mir, er und der Stalker benutzten die gleichen Smileys und jetzt hatte er mich sogar noch geküsst! Es war eindeutig Saga! Aber warum hatte er sich dann so überstürzt von mir gelöst und mich so verängstigt angestarrt? Dachte er, es sei ein Fehler? Ging er im Ernst davon aus, dass ich immer noch nicht wusste, dass die Nachrichten von ihm waren und dass ich ihn jetzt von mir weisen würde? Mir fiel nur eine Möglichkeit ein, um es herauszufinden. Ich hatte keine Lust mehr auf Spielchen. Ich wollte keine Fragen mehr. Ich wollte Antworten! Ich griff mir mein Handy vom Couchtisch und schrieb schnell die Nachricht, bevor mich der Mut wieder verließ. ___ Betreff: Re: Erkenntnis Ich weiß, wer du bist. Kapitel 8: Re: Ich wills versuchen ---------------------------------- Kapitel 8 Re: Ich wills versuchen Aber warum hatte sich Saga dann so überstürzt von mir gelöst und mich so verängstigt angestarrt? Dachte er, es sei ein Fehler? Ging er im Ernst davon aus, dass ich immer noch nicht wusste, dass die Nachrichten von ihm waren und dass ich ihn jetzt von mir weisen würde? Mir fiel nur eine Möglichkeit ein, um es herauszufinden. Ich hatte keine Lust mehr auf Spielchen. Ich wollte keine Fragen mehr. Ich wollte Antworten! Ich griff mir mein Handy vom Couchtisch und schrieb schnell die Nachricht, bevor mich der Mut wieder verließ. Betreff: Re: Erkenntnis Ich weiß, wer du bist. Das Piepen meines Handys hatte mich aus dem Schlaf gerissen. Blind hatte ich nach dem nervtötenden Ding gegriffen und die Nachricht gelesen. Betreff: Wirklich? Bist du dir sicher? „Verdammt, es ist vier Uhr!“ Ich wollte mich gerade darüber aufregen, welcher Volltrottel mir nachts um vier Uhr eine Nachricht mit einem simplen „Wirklich? Bist du dir sicher?“ schickte, als ich den Absender sah. Sofort war ich hellwach und mein Hirn schien sich auch endlich mal eingeschaltet zu haben. Ewig hatte ich nicht einschlafen können, weil ich auf eine Antwort gewartet hatte! Ewig! Meine vorherige Verpeiltheit machte mir jetzt aber klar, dass ich wohl doch irgendwann weggedöst war. In voller Bekleidung hatte ich mich auf mein Bett geworfen und war dort mit meinem Handy in der Hand eingeschlafen. Mühsam richtete ich mich auf und starrte weiter auf das kleine Gerät. Er war wach. Saga. Mitten um diese Zeit. Vielleicht konnte er auch nicht schlafen. Vielleicht war er genauso durcheinander. Der Unbekannte, der mir jetzt nicht mehr so unbekannt war, und ich hatten im letzten Monat öfters sogar nachts miteinander geschrieben. Über völlig belanglose Dinge. Ich benutzte das Wort „Stalker“ nicht mehr gern. Es klingt so negativ. Sogar in meinen Gedanken. Betreff: Re:Wirklich? 100 pro. Wenn er wach war, dann konnte ich ihm auch gleich antworten. Ich war ihm nicht mal böse, dass er mich geweckt hatte! So schnell konnte sich alles ändern. Normalerweise war ich von solchen nächtlichen Ruhestörungen nicht gerade angetan. Auch nicht, wenn es Saga war. Aber das Blatt hatte sich gewendet. Mein bekannter Unbekannter war der einzige, der mich wecken konnte, ohne dass ich sofort schlechte Laune bekam. Seine Nachrichten brachten mich einfach zum Schmunzeln. Keine Ahnung wie, aber es funktionierte. Betreff: Re:Wirklich? Dann weißt du ja auch, wieso es nicht geht. Meine heitere Stimmung erstarb schlagartig. Das war nicht das Gespräch, dass ich nachts kurz nach dem Aufwachen führen wollte. Ging es ihm jetzt wirklich um diese dumme Regel? Natürlich hatten wir Nao hoch und heilig geschworen keine Beziehung mit anderen Musikern anzufangen, aber das hier war anders. Das hier war ernst. Außerdem hatte ich nie das Gefühl gehabt, dass sich Saga darum wirklich scherte. Und plötzlich sollte ihm diese Vereinbarung so wichtig sein? Betreff: Ernsthaft?! Etwa wegen der Regel? Seit wann interessieren dich solche Dinge?! Kaum hatte ich die Nachricht versendet, piepte mein Handy erneut. Betreff: Re:Ernsthaft?! Es geht nicht nur um die Kack-Regel!! Alles klar. Gut zu wissen, dass ich nicht alleine von der Situation etwas angenervt war. Auch wenn ich von Saga so angepisste Nachrichten nicht gewohnt war. Dafür war sonst ein anderer Bassist zuständig. Allerdings wollte ich ihm das jetzt nicht unbedingt auf die Nase binden. Betreff: Re:Ernsthaft?! Und um was geht’s dann? Dieses Mal schien die Antwort etwas länger zu brauchen, weshalb ich doch in die Küche schlurfte, um mir einen Kaffee zu machen. Wahrscheinlich wäre die Aufgabe leichter zu bewältigen gewesen, wenn ich das Gerät aus der Hand gelegt hätte, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen und musste die Kaffemaschine somit einhändig bedienen. Dafür brauchte ich nur eine Millisekunde, um die neuste Nachricht zu lesen, als sich mein Handy wieder bemerkbar machte. Betreff: Ganz ehrlich? Es geht nicht nur um die Regel, auch wenn da schon was Wahres dran ist. Wir sehen uns einfach viel zu oft. Auf der Arbeit und halt auch privat. Ich will das nicht aufs Spiel setzen. Ich will das nicht verlieren. Ich hatte gerade zu Ende gelesen als mein Handy bereits eine weitere Nachricht meldete. Betreff: Ganz ehrlich… Ich will dich nicht verlieren. Verdammt! Ja, das war ein guter Grund. Ein ziemlich guter Grund sogar! Die Band war meine Familie und die Vorstellung, das zu gefährden, war für mich undenkbar. Allerdings dachte ich auch an all die Gespräche die ich mit meinem „Stalker“ über die letzten Wochen geführt hatte und an meine Gefühle für ihn. Und jetzt sollte das alles einfach enden? Ich wünschte mir inständig, dass der Kuss, den wir einige Stunden davor geteilt hatten, nicht anfangs so verdammt eigenartig gewesen wäre. Wäre das der Fall, hätte ich ihm wenigstens daran erinnern können, wie richtig sich dieser Schritt angefühlt hatte. Konnte man mir nicht einmal was leicht machen? Wieso musste diese ganze Scheiße immer so kompliziert sein? Frustriert knallte ich mein Handy auf die Ablagefläche neben der Kaffeemaschine, nur um es sofort wieder an mich zu nehmen und nachzusehen, ob es noch heil war. Glücklicherweise hatte ich wenigstens in diesem Moment Schwein gehabt. Alles gut. Sagas letzte Nachricht war noch immer auf dem Display zu lesen. „Ich will dich auch nicht verlieren“, murmelte ich ihm leise entgegen und plötzlich fühlte ich mich nicht mehr wütend und frustriert, sondern richtig elend. Keine Ahnung, was ich machen sollte. Bis jetzt war alles noch so gut gelaufen. All diese kleinen Nachrichten hatten mir immer gute Laune gemacht. Und jetzt schlug das alles plötzlich eine so ganz andere Richtung ein. Ich nahm meinen Kaffee und setzte mich damit auf mein Sofa im Wohnzimmer. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und versuchte mich zu beruhigen. Dann tippte ich eine Antwort. Betreff: Re:Ganz ehrlich… Ich will dich auch nicht verlieren. Aber was machen wir jetzt? Vielleicht hatte Saga ja eine Idee – was ich allerdings bezweifelte. Ich legte mein Handy neben mich und trank einen Schluck von meinem Kaffee. Die Stille machte mich nervös. Das Ausbleiben einer Antwort machte mich nervös. Im Wohnzimmer brannte kein Licht. Nur dank dem matten Straßenlicht konnte ich mich im Zimmer bewegen, ohne mir irgendwas zu brechen. Aber ich hatte keine Lust gehabt, Licht anzumachen. Ich fühlte mich wohl so. Meine Tasse war fast leer, als ein leises Piepen die nächste Nachricht ankündigte. Betreff: Re:Ganz ehrlich… Ich weiß nicht. Ich grummelte ein wenig vor mich hin. Super. Auf die Antwort war ich auch schon selbst gekommen. Ich stand auf und ging zur Küche, wo ich doch das Licht kurz einschaltete, um mir einen neuen Kaffee zu machen. Mein Handy ließ ich auf dem Sofa liegen. Ein weiteres Seufzen verließ meine Lippen. Überrascht von mir selbst schlug ich aber plötzlich entschlossen mit der Faust auf die Ablage. Das ging so doch nicht weiter. Verdammte scheiße, ich war verliebt. Ich war verliebt in einen Kerl! Das war mir seit dem einen da… wie hieß er doch gleich… Toki? Toru? Ah, Haruto! Okay, das war mir seit Haruto nicht mehr passiert! Und das war schon eine Ewigkeit her. Das konnte ich doch nicht einfach so übergehen! Noch bevor ich es wirklich realisieren konnte, stand ich mit dem Handy in der Hand neben meinem Sofa. Betreff: Ich wills versuchen. Ich hatte endlich geschrieben, was ich mir selbst seit Wochen nicht eingestehen wollte. Fett prangerte mir der Satz als Betreff entgegen. Denn genau dort gehörte er hin. Dieser Satz war mehr als ein Teil eines einfachen Gesprächs. Er war eine Aussage, die mich meinen eigenen hämmernden Herzschlag in den Ohren hören ließ. Er war die Wahrheit. Ich wollte es wirklich versuchen. Ich war dazu bereit, alles aufs Spiel zu setzen, um mit meinem Stalker…. mit Saga… zusammen zu sein. War er es auch? Betreff: … Ok. Ich starrte die Antwort an als würden dadurch magisch neue Buchstaben auftauchen, die mehr Sinn ergaben als diese beiden. Ok?! Was sollte das bedeuten? War das ein „Ok. Lass es uns versuchen!“ oder ein „Ok. Deine Ansicht wurde zur Kenntnis genommen. Einen schönen Abend noch.“? Ich wartete ungeduldig auf eine Fortsetzung und wurde nicht enttäuscht, als kurz danach eine zweite Nachricht in mein Postfach einflog. Betreff: Sorry. Ja, ich will‘s auch. Das ist gerade nur alles etwas viel auf einmal. Die Bedeutung der Worte drang nur langsam zu mir durch, doch als ich sie endlich verdaut hatte, kribbelte mein ganzer Körper vor Anspannung. Er wollte es auch. Es fühlte sich alles so irreal an. Es waren nur ein paar Worte auf dem Display eines zu abgenutzten Handys, die mein Leben jetzt Grund auf ändern sollten. Ich setzte mich auf die Couch aber stand sofort wieder auf. Ich musste etwas machen. Irgendetwas. Betreff: Treffen? Kann ich vorbeikommen? Ich war nervös, was die Antwort darauf sein würde. Vor allem weil ich gar nicht wusste, was ich wirklich wollte. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als endlich mit der Person zusammen zu sein, die mir die Nachrichten geschrieben hatte. Ich wollte all die angefangen Gespräche vertiefen. Ich wollte all das sagen, was man nicht über einen Text ausdrücken konnte. Ich wollte ihm alles zeigen, was man nicht in Worte fassen konnte. Ich wollte alles ausleben, was in unseren Dialogen immer zwischen den Zeilen gestanden hatte. Es fiel mir nur immer noch schwer das alles mit meinem Bandkollegen zu verbinden, der vor einigen Stunden über mich hergefallen war. Betreff: Sorry… Wir sollten uns das alles nochmal durch den Kopf gehen lassen. Ich starrte seine Nachricht an. Was sollte das denn jetzt wieder? Gerade eben hatten wir doch noch beschlossen, es zu versuchen! Bevor ich eine Antwort tippen konnte, piepte mein Handy erneut. Betreff: Freitag Wir sehen uns ja am Freitag sowieso. Reden wir nach dem Treffen darüber, okay? Das Treffen. Nao hatte ein Bandtreffen angesetzt. Keine Probe oder sonstiges, sondern ein Treffen, bei dem wir etwas Wichtiges zu besprechen hatten. Heute war Sonntag. Das bedeutete also, dass ich noch fünf lange Tage zu warten hatte. Fünf Tage. Gerade in der kommenden Woche hatten wir keine Proben angesetzt. Gerade jetzt! Wir wollten an unseren eigenen Kompositionen arbeiten und denen der anderen. Also würde ich wohl so oder so mit Saga Kontakt aufnehmen. Aber ihn eben nicht persönlich sehen. Ich würde bis Freitag warten müssen! Erst als ich das erneute Piepen meines Handys hörte, merkte ich, wie ich mir auf die Lippe gebissen und das Display angestarrt hatte. Betreff: Freitag? Okay? Nur dieses eine Wort stand in der neuen Mitteilung. Ich atmete tief durch. Okay. Ich wollte nicht aufdringlich wirken. Und vielleicht tat es uns beiden ganz gut, doch noch einmal darüber nachzudenken. Vielleicht hatte er ja Recht. Vielleicht sollte ich mich erstmal mit dem Gedanken anfreunden, dass ich etwas mit Saga anfangen würde. Ich tippte ein „Okay“ und sendete es. Zu mehr war ich nicht imstande. Ich wollte mich jetzt nicht weiter damit befassen. Ich wollte nicht darüber nachdenken, dass ich einfach nur zu ihm wollte, um all die Dinge aus unseren Nachrichten fortzusetzen. Frustriert stand ich vom Sofa auf. Ich putzte mir die Zähne aggressiver als beabsichtigt und zog mich um, bevor ich mich auf mein Bett warf. Frustration, Wut und auch ein bisschen Angst vermischten sich in mir zu einem Mischmasch aus Gedanken und Gefühlen. Ich hoffte, dass noch eine Nachricht kommen würde. Dass Saga es sich doch noch anders überlegte und mich sehen wollte. Aber es kam keine Nachricht mehr. Kapitel 9: Was?! ---------------- Erstmal ein großes Dankeschön an alle treuen Leser! Und sorry mal wieder, dass es so lang dauert, bis wir das nächste Kapitel hochladen ._. Den Plot lassen wir einfach mal so stehen... Erklärt sich von selbst ;D Aber es is spannend eure Kommentare zu lesen!! Viel Spaß auch mit dem nächsten Chap ^^ _____ Kapitel 9 Was?! Freitag also. Am Freitag würde ich Saga das nächste Mal persönlich sehen und wir würden endlich klären, wie es mit unserer Beziehung weitergeht. Fünf Tage. Nur fünf Tage trennten mich von der großen Entscheidung. Es konnte nicht so schwer sein, eine dumme Arbeitswoche zu überstehen, oder? Doch, natürlich war es das. Ich würde gerne behaupten, dass ich nicht den Montag damit verbracht hatte, unseren gesamten Nachrichtenverlauf wieder und wieder zu lesen, aber das wäre gelogen. Am Dienstag fasste ich all meinen Mut zusammen und rief Saga an, unter dem Vorwand über eine seiner Kompositionen reden zu wollen. Ich versuchte die ganze Zeit in seinen Worten irgendwelche geheimen Subtexte zu entdecken, doch vergeblich. Saga sprach weder die Mails, noch den Kuss an. Er wirkte sogar leicht angenervt, was aber auch damit zusammenhängen konnte, dass seine Komposition tatsächlich nichts weiter als eine Ausrede für das Telefonat gewesen war und ich eigentlich nicht sehr viel zu sagen hatte. Nach diesem erfolglosen Gespräch schaffte ich es am Mittwoch wirklich, mich wenigstens teilweise auf die Arbeit zu konzentrieren. Aber am Donnerstag war alles vorbei. Ich schaffte es irgendwie mich den Mittag über abzulenken, doch dann konnte ich die Gedanken an den nächsten Tag einfach nicht weiter verdrängen. Es war alles so viel. Alles so chaotisch. Ich musste einfach mit jemanden reden. Reitas Handy läutete einige Male, bevor er mit einen genervten „Was?!“ endlich abnahm. „Wow, charmant wie immer“, gab ich nur trocken zurück, aber konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Am anderen Ende der Leitung war es ungewöhnlich lang still. „Reita?“, hakte ich irgendwann nach. „Ja, ähm… Sorry… hatte nicht aufs Display geguckt. Was gibt’s denn?“ „Nicht viel. Wie wär’s wenn wir deine monatliche Fressorgie bisschen vorziehen und uns später treffen?“ „Später? Aber… wir sehen uns morgen doch eh.“ Der Bassist hatte damit nicht ganz Unrecht. Nao hatte bereits angekündigt, dass bei dem Treffen auch die Gazette-Mitglieder anwesend sein würden. Den Grund dafür hatte er natürlich verschwiegen. Trotzdem wusste ich nicht, was dagegen sprach, seinen besten Freund an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu treffen, wenn man ihn eben sehen wollte. Logischerweise musste ich diese Meinung für Reita anders verpacken. „Komm schon“, bettelte ich förmlich. „Gratisessen! Seit wann schlägst du das bitte schön aus? Und wenn du zur Abwechslung mal Tischmanieren beweist, lad ich dich danach vielleicht noch auf ein Bier ein.“ Tatsächlich zog das Argument, wenn auch nicht ganz so schnell, wie ich erwartet hatte. Mit dem Essen, das ich einmal im Monat wegen dem Schaden an seiner Suzuki bezahlen musste, und einem – oder zwei – Bier klappte das aber immer. Ich stand fröstelnd vor einer kleinen Kneipe in einer Ecke Tokyos, in der wir wahrscheinlich nicht von Fans erkannt werden würden. Wir wussten zwar nach all den Jahren, wie man sich am besten unauffällig anzog und verhielt, wenn man mal seine Ruhe und allein mit Freunden essen gehen wollte, aber man konnte ja nie wissen. Im größten Partyviertel Tokyos wollte ich mich heute sowieso nicht rumtreiben. „Wieso hat das so lange gebraucht?“, fuhr ich Reita an, als er gerade um die Ecke kam. Dass es Mitte Oktober und ich für diese Jahreszeit viel zu kalt angezogen war, blendete ich aus. Konnte ja niemand wissen, dass er mich so lange warten lassen würde! Reita zuckte nur ein wenig überrascht mit den Schultern. „Ich bin pünktlich! Du bist zu früh!“ Verdammt. „Komm, wir gehen rein.“ Wenigstens hatte mein Unmut über Reis Zuspätkommen meine Gedanken ein bisschen beschäftigt. Ich betrat vor ihm die Bar und bestellte gleich mal zwei Bier. Reita griff nach der Speisekarte. Natürlich. Er würde sich sicher wieder das Teuerste aussuchen, um sein Gratisessen auch schön zu nutzen. Aber ich war selbst Schuld. Hab ihn schließlich dazu eingeladen oder überhaupt dieser ganzen Geschichte mit den Gratisessen zugestimmt. Nein, ich hatte einen Unfall mit Reitas Motorrad gebaut! Das war ja eigentlich der große Fehler gewesen. Da vertraute er einmal jemand anderem seine Maschinen an und dann fuhr ich Trottel eine tolle Schramme rein. Ich konnte mich immer noch dafür schlagen. „Wieso wolltest du das Essen eigentlich vorziehen?“ Reita saß mittlerweile mit seinem zweiten Bier in der Hand da. Er war mir eins hinterher, aber ich hatte meine Zeit auch nicht mit dem ganzen Essen verschwendet. Weil ich Ablenkung brauchte. Das wollte ich eigentlich sagen, ließ es dann aber doch. Er würde dann nur wissen wollen von was und dann musste ich ihm die ganze Geschichte erzählen. Ein andermal vielleicht. „Mir ist zu Hause einfach die Decke auf den Kopf gefallen“, meinte ich schulterzuckend, was mir von dem Blonden nur eine hochgezogene Augenbraue einbrachte. Das war doch unglaublich. Erst musste ich meinen Stalker davon überzeugen mit mir zusammenzukommen und jetzt reagierte auch noch das Vielfraß Reita skeptisch, wenn ich ihm ein Gratisessen unter die Nase hielt?! Meine Überzeugungskünste schienen ja nicht gerade sehr ausgereift zu sein. Wenigstens beherrschte ich noch den sturen Gesichtsausdruck und die bockige Körperhaltung, denn der Bassist winkte ab. „Schon gut, ich frag nicht weiter nach“, gab er schließlich auf und grinste dann frech. „Noch drei weitere Flaschen und du wirst mir doch eh dein Herz ausschütten. Außer du haust davor wieder ab und machst dich auf den Straßen Tokyos erneut zum Volldeppen.“ Ich starrte den Blonden finster an, auch wenn ich ihm insgeheim dankbar dafür war, dass er das Thema ruhen ließ. Vorerst. Es ist manchmal echt erschreckend, wie gut mich Reita doch kennt. Wie von ihm vorhergesagt, brauchte er mich gar nicht weiter mit Fragen löchern. Es war nicht er, der das Thema wieder ansprach, sondern ich. Inzwischen war noch ein wenig Zeit vergangen und auch noch etwas mehr Bier geflossen. In meinen Fall sogar wirklich drei Flaschen. Ich sag‘s ja: Erschreckend. Wir waren gerade dabei uns von einem Lachanfall zu erholen, der uns einige irritierte Blicke von den Nachbartischen eingebracht hatte, als es mir rausrutschte: „Mit dir wegzugehen war einfach die beste Idee, um den Kopf wieder etwas klarer zu bekommen nach all dem Chaos die letzten Wochen!“ Ich stockte kurz als mir klar wurde, in welche Richtung das Gespräch jetzt verlaufen würde. „Ach ja?“, war alles was der Blonde dazu sagte. Er bedrängte mich nicht weiter. Vielleicht was das ja der Grund, der mich zum Weiterreden motivierte. „In letzter Zeit ist einiges passiert, was mich doch ziemlich aus dem Konzept gebracht hat“, gestand ich leise. Reita sagte nichts weiter dazu, sondern schenkte mir nur ein kleines, ermutigendes Lächeln. „Es ist so eigenartig. Da kennst du jemanden seit so vielen Jahren und du denkst, dass du alles über ihn weißt. Und plötzlich siehst du diese neue Seite an ihm.“ Eine Seite, die ich noch nicht richtig verstehen konnte und trotzdem war sie da. Trotzdem gehörte sie zu Saga und mir war klar geworden, dass ich diese Seite an ihm liebte. Mehr als mir selbst lieb war. Ich setzte mein Glas wieder an die Lippen, aber nippte nur kurz an dem kühlen Bier. Dadurch verschaffte ich mir eine kleine Pause, um darüber nachzudenken. Dass mir nie ernsthaft aufgefallen war, dass Saga wirklich was von mir wollte. Wirklich in mich verliebt war. Ich hatte es immer als Spielerei abgetan und die anderen ja wahrscheinlich auch. Wer sollte denn auch damit rechnen? Jetzt sah ich das alles in einem ganz anderen Licht. Ich war ein Idiot, dass ich sowas nicht bemerken konnte. Die letzten Tage über war ich jede erdenkliche Situation durchgegangen und hatte sie mir mit dem Gedanken vorgestellt, dass Saga mich zu diesem Zeitpunkt schon geliebt hatte. Bei manchen Situationen fiel es mir leichter, bei vielen anderen schwerer. Wie lange das wohl schon so ging? Ich musste wirklich dringend mit ihm darüber reden. Nur noch ein Tag und wir konnten alles klären. Noch ein Tag und ich konnte ihm gegenübersitzen und darüber reden, wie es weitergehen sollte. Ein bisschen Angst hatte ich, das konnte ich nicht abstreiten. Aber es wurde wirklich Zeit. Ich hielt es einfach nicht mehr aus. „Und was ist das für eine neue Seite?“ Reita riss mich wieder aus meinen Gedanken, bevor ich komplett in deren Welt versinken konnte. Er hatte aufgehört zu essen und dafür war ich ihm wirklich mehr als dankbar. Wahrscheinlich fiel ihm auf, dass mir das hier wirklich wichtig war. Ich nahm all meinen Mut zusammen. Jetzt hatte ich sowieso keine Wahl mehr. „Ich hab dir doch von dem Stalker erzählt…“ Reita nickte nur stumm und beobachtete mich. Oder zumindest fühlte ich mich richtig beobachtet. Ich spürte, wie mir heiß wurde. „Ich weiß jetzt, wer es ist“, redete ich weiter und der Blonde nickte wieder. Das war alles, was ich brauchte. Ich musste es einfach sagen, sonst würde ich noch platzen! „Es ist Saga.“ Reitas Augen wurden groß und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Wann hatte er bitte angefangen zu lächeln? „Saga?“, fragte er ungläubig. Ich nickte. „DER Saga?“ Naja, so viele andere Sagas kannten wir beide schließlich nicht… „Ich weiß, dass sich das völlig verrückt anhört! Aber, ja! DER Saga ist MEIN Stalker“, meinte ich lachend. Es fühlte sich eigenartig an, die Worte tatsächlich laut auszusprechen, aber auch unglaublich befreiend. So eine Nachricht teilte man auch gerne mit seinem besten Freund. Reitas Körperhaltung nach, fand er die Entwicklung allerdings nicht ganz so positiv wie ich. Der Blonde saß aufrecht da. Das Gesicht wie versteinert. „Und woher weißt du, dass er es ist?“ „Ich weiß es halt. Wieso willst du das denn so genau wissen?“, antwortete ich ausweichend. Ich wollte lieber den morgigen Tag abwarten, bevor ich jedes Detail unserer Beziehung rausposaunte, die eigentlich noch gar keine war. „Weil du nicht gerade der hellste Scheinwerfer auf der Bühne bist und deine Kombinationsfähigkeiten scheiße sind“, wurde mir scharf entgegnet. „Jetzt sag schon! Hat er etwa gesagt, dass er der Stalker ist?“ Ich lehnte mich zurück und überkreuzte die Arme vor der Brust. Ich wusste ja, dass Reita und Saga sich nie sehr gut verstanden hatten, aber das gab ihm nicht das Recht, sich plötzlich wie ein Arsch aufzuführen. „Nicht in so vielen Worten, aber nach dem Kuss war das doch ziemlich eindeutig.“ „Er hat dich geküsst?! Dieser verfluchte…“ „Hey!“, fiel ich ihm ins Wort, bevor er die Beleidigung beenden konnte. „Ich weiß ja, dass du kein großer Saga-Fan bist, aber kannst du eure kindischen Streitereien mal kurz vergessen und dich gefälligst für deinen besten Freund freuen?! Bei dem Gedanken, dass du mal was mit Aoi hattest, bekomm ich auch einen leichten Brechreiz und ich kann kein Stück verstehen, weshalb du immer noch in ihn verknallt bist. Aber ich bin dein bester Freund und hab meine Meinung immer für mich behalten und dich unterstützt!!“ Ich versuchte leise zu bleiben, allerdings war meine Stimme zu einem Zischen geworden, das einen gefährlichen Unterton hatte. „Ich bin WAS bitte??“ Reita schien es aber egal zu sein, dass sich schon die ersten Leute zu uns umdrehten. „Dass du in Aoi verschossen bist, sieht doch ein Blinder! So wie du dich seit neustem ständig über das Rumgeturtel von ihm und Kanon aufregst. Jetzt sag nicht, du wärst ni-“ Der Schlag auf den Tisch unterbrach mich und ich zuckte sogar kurz zusammen. Das Geschirr klirrte, aber zum Glück hatte er nichts getroffen und alles stand noch an seinem Platz. Reitas Gesicht war hingegen ganz anders als ich es normalerweise kannte. Er starrte mich an, die Lippen fest aufeinandergepresst. Und seine Haut hatte einen Rotton angenommen. Ob es vom Alkohol kam oder von seiner Wut, konnte ich nicht wirklich sagen. Wäre ich nicht selber wütend, dann würde mich mein eigentlich bester Freund jetzt gerade ziemlich einschüchtern. Aber er übertrieb maßlos. Ich schüttete ihm hier mein Herz aus und vertraute ihm Sachen an, die ich noch niemandem erzählt hatte, und er führte sich so auf! Konnte er sich nicht mal ein bisschen für mich freuen? Aber nein, das war scheinbar zu viel verlangt. Mir war gar nicht richtig klar gewesen, WIE sehr er Saga scheinbar wirklich nicht leiden konnte. „Tora?“, zischte er jetzt ebenfalls durch die Zähne. Wenigstens schrie er jetzt nicht mehr wie ein Verrückter durch die Gegend. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt und er beugte sich ein wenig vor, sodass ich ihn besser hören konnte. „Was?“, gab ich unfreundlich zurück. Ich konnte sehen, wie sehr er sich zusammenreißen musste, um ruhig zu bleiben und nicht mit irgendwas nach mir zu werfen. Ich hatte diese Seite an ihm noch nicht oft erlebt, aber ich wusste genau, dass er wirklich wütend war. Wirklich wirklich wütend. Und ich konnte noch nicht mal richtig verstehen, warum! Wer mein Stalker war, war schließlich meine Sache! Und wer mich küsste, auch. „Du bist das größte Arschloch, das ich jemals getroffen hab.“ Damit stand Reita auf, griff nach seiner Jacke und verschwand aus dem Restaurant. „Hey! Ich hatte dich zum Essen und EINEM Bier eingeladen! Komm zurück und zahl deinen Scheiß selbst!“, brüllte ich noch, um wenigstens das letzte Wort zu haben. Falls der Blonde mich noch gehört hatte, so ignorierte er mich gekonnt. Jedenfalls hatte ich jetzt die Aufmerksamkeit der anderen Gäste ganz sicher auf mich gelenkt. Na wunderbar. Ich überlegte mir, ob ich meinen Frust mit einem Glas harten Alkohol runterspülen sollte, doch als der Kellner mir kurz nach Reitas Abgang ungefragt die Rechnung vorlegte, ließ ich von dem Plan ab. Murrend und peinlich berührt zahlte ich für uns beide und verließ mit gesenktem Kopf das Lokal. Was dachte dieser arrogante Depp eigentlich, wer er war?! Erst mischte er sich in mein Liebesleben ein und dann wurde er auch noch sauer? Ich verbrachte meinen Heimweg damit, mir noch gefühlt tausend Flüche und Argumente auszudenken, die ich Reita am liebsten an den Kopf geschmissen hätte. Eigentlich gab es nur eine Sache, die mich hätte aufheitern können. Ich hielt es noch bis in meine Wohnung aus, bevor ich mein Handy aus meiner Tasche zog. Keine neue Nachricht. Weder von Saga, noch von meinem „Stalker“. Natürlich hatte ich damit gerechnet. Schließlich hatte ich mein Handy die ganze Zeit bei mir gehabt und sofort gemerkt, wenn eine Meldung eingegangen wäre. Trotzdem wäre das nach diesem beschissenen Abend ein kleiner Lichtblick gewesen. Frustriert warf ich das Gerät aufs Sofa, was mir von Chikin ein empörtes Fauchen einbrachte, der scheinbar dort hinter einem Kissen geschlafen hatte. „Ach, bist du jetzt etwa auch angepisst auf mich und willst mich fertig machen? Tja, zieh ‘ne Nummer!“, knurrte ich das Tier an und machte mich auf den Weg in die Küche. Irgendwo musste ich doch noch Alkohol haben… Kapitel 10: Ich hab genug von der ganzen Scheiße! ------------------------------------------------- Kapitel 10 Ich hab genug von der ganzen Scheiße! Ich starrte halb tot gerade aus und versuchte mich so wenig wie möglich zu bewegen in der Hoffnung, dass der Raum sich irgendwann erbarmen und mit seinen Drehbewegungen aufhören würde. Was er natürlich nicht tat. Die gute Nachricht war, dass ich bei mir zu Hause tatsächlich noch Alkohol gefunden hatte, um meinen Frust über Reitas Szene runterzuspülen. Die schlechte Nachricht war allerdings, dass ich nicht nur meinen Ärger, sondern auch mein Zeitgefühl ertränkt hatte. So hatte ich ungefähr zwei Stunden in einem Koma-ähnlichen Schlaf verbracht, bevor mein Handy geklingelt und mich Nao wenig liebevoll an unser Bandtreffen erinnert hatte. Zuverlässig wie ich war (hatte vielleicht auch ein bisschen mit Angst zu tun, weil Nao doch sehr bestimmend geklungen hatte und wenn ihm was wichtig war, dann war es für alle Beteiligten besser, zu tun, was er sagte) saß ich eine Stunde später mit meinen Bandkollegen, Gazette und Kanon von An Cafe im Proberaum von Gazette. Ich war müde und hoffte gerade einfach nur, dass ich genug Training hatte, um meinen Mageninhalt noch ein paar Stunden dort zu behalten, wo er hingehörte. Ich war als Letzter eingetrudelt und Nao und Kai hatten mich schon ziemlich böse angestarrt, aber auf einen waren sie noch wütender: Reita. Der war nämlich noch nicht anwesend und bekam gerade seinen Extra-Anruf, dass er hier aufkreuzen sollte. Gut so. Geschah ihm ganz recht, dass man ihn mal zusammenstauchte. Schließlich hatte ich mich auch aus dem Bett gequält! Zu meinem Unmut schaffte er es aber gerade das durchzusetzen, was ich nicht mal gewagt hatte! Er durfte an der Besprechung per Telefon teilnehmen! Unglaublich. Die Wut, die ich auf Reita hatte, weil… Ja, warum eigentlich genau? Weil er wütend auf mich war? Weil ich nicht wusste, warum er eigentlich wütend auf mich war? Ich sah schon, wie ich mich einem endlosen Meer von Fragen näherte, die ich mir bis jetzt gar nicht richtig gestellt hatte, aber ich wurde von einer merkwürdigen Stille davor gerettet, in diesem Meer zu ertrinken. Alle starrten Kai und Nao an, also starrte ich mit. Was hatten sie gesagt? Verdammt! Was hatte ich denn jetzt wieder verpasst!? „Wie lange seid ihr beiden schon… schon… ein Paar?“ Ich wollte Saga für seine Frage knutschen. Dank ihr war ich schnell wieder auf dem Laufenden. Aber das mit dem Knutschen hatten wir ja schon ausprobiert und nach diesem mehr oder weniger seltsamen ersten Kuss, wollte ich den nächsten ein bisschen langsamer angehen lassen. Saga küssen. Ich schielte ihn von der Seite an. Der Gedanke daran, den Bassisten unserer Band zu küssen, war immer noch merkwürdig. Ich zuckte leicht zusammen als der Blonde neben mir plötzlich aufstand. Hatte ich einen meiner Gedankengänge laut ausgesprochen und er wollte mir jetzt empört den Laufpass geben, bevor wir überhaupt eine Beziehung gestartet hatten? Zu meiner Erleichterung hatte sich Saga aber nur erhoben, um Kai und Nao zu ihrer Beziehung zu gratulieren, was ich ihm einfach mal nachmachte. Die Gazette-Mitglieder schienen der ganzen Beziehungskiste etwas skeptischer gegenüberzustehen. Ich verstand nicht genau, was die ganze Aufregung sollte. Hatte man mich dafür echt aus dem Bett klingeln müssen? Anders als ein gewisser Jemand, der dachte, er müsse mir in einem gutbesuchten Restaurant lautstark eine Szene machen, hielt ich mich gerne aus dem Liebesleben meiner Freunde und Kollegen raus. Was kümmerte mich denn bitte, was Kai und Nao… „Also heißt das, dass die Regel aufgehoben ist?“, hörte ich Uruha gespannt fragen, was Kai daraufhin bestätigte. Kurz danach brach im Proberaum Chaos aus. Alle redeten durcheinander, nur ich konnte für einen Moment immer noch nichts sagen. Mein Kater machte es etwas schwieriger die Worte zu verdauen, doch irgendwann kam die Botschaft auch bei mir an. Die Regel wurde aufgehoben. Diese schwachsinnige Bestimmung, die es Saga und mir verbot, eine Beziehung einzugehen, war verschwunden. Klar, wir hatten in unseren Nachrichten noch von weiteren Bedenken gesprochen. Wir waren immer noch gute Freunde und Kollegen und eine Beziehung war immer noch ein großer Schritt, aber war das nicht ein Zeichen? Die erste Hürde war verschwunden und ich war bereit, den Weg weiterzugehen. „Interessante Wendung, oder?“, fragte ich schmunzelnd meinen Nebensitzer. Sowohl Saga als auch ich hatten uns wieder auf der Couch niedergelassen und konnten so ungestört reden, ohne damit Aufsehen zu erregen. Allerdings wäre bei dem Lautstärkepegel im Raum dafür auch ein Megafon nötig gewesen… Der Bassist lächelte leicht und nickte. „Ja, ich freu mich für die beiden.“ „Vielleicht ist es ja nicht nur für Kai und Nao eine Wendung zum Besseren?“ Ich stieß bei den Worten sanft mit der Schulter an seine. Entweder wollte Saga meine kleine Anspielung nicht verstehen oder erstellte sich dumm, denn statt des leichten Lächelns, legte sich ein eher belustigter Ausdruck auf sein Gesicht. „Sag mal, bist du noch betrunken oder was geht bei dir für ein Film?“ „Jetzt stell dich nicht so an! Ist doch sowieso schon raus. Also…“ Ich wurde mittlerweile aber doch ein wenig unsicher, versuchte mir das aber nicht anmerken zu lassen. Aber… Wieso fand Saga mein Verhalten so lustig? Wir hatten uns doch schon darüber unterhalten, dass wir es versuchen wollten. Wieso machte er denn jetzt einen auf verständnislos? „Es ist gar nichts raus.“ Sagas belustigter Ausdruck verschwand allmählich von seinem Gesicht und er wirkte eher genervt. So, als wollte er das Thema so schnell wie möglich wieder beenden. Plötzlich saß auch noch Hiroto neben uns, was mir persönlich wirklich gar nicht gefiel und Saga anscheinend noch weniger. Er warf dem Blonden einen verärgerten Blick zu. Und langsam fragte ich mich wirklich, was hier für ein Film lief. Wieso musste sich denn Hiroto jetzt einmischen!? Da konnte ich ja erst recht nicht Saga davon überzeugen zuzugeben, dass er der Stalker und mein heimlicher Verehrer war. „Weiß es Tora etwa auch?“, fragte der Blonde Saga mit großen Augen und blickte von dem Bassisten zu mir. „Was?? Du weißt es auch?“, rief ich überrascht aus und sah Hiroto dabei an. Saga hatte Hiroto gesagt, dass er mir heimlich Mails schrieb? Er wusste von alldem und sagte mir kein Sterbenswörtchen davon? „Ich dachte, ich wär der Einzige…“ Auf die Worte unseres Gitarristen hin sahen wir beide Saga an, der so aussah, als würde ihm das alles ziemlich über den Kopf wachsen und als würde er gleich ausrasten. Aber es war mir egal. Ich wollte wissen, was zur Hölle hier los war! „Du BIST der Einzige, Hiroto! Keine Ahnung was Tora da glaubt zu wissen…“ Ja, da hatte er wohl nicht mit meiner Scharfsinnigkeit gerechnet! Ich wusste ja schon eine ganze Weile, dass Saga mein Stalker war. „Du hast dir zwar viel Mühe mit den Mails gegeben, aber ganz so blöd bin ich auch wieder nicht“, murrte ich deshalb nur. „Welche Mails?“, fragten Hiroto und Saga gleichzeitig und mein Triumphgefühl verabschiedete sich damit vollends. „Ich dachte… aber… der Kuss nach dem Konzert“, stammelte ich völlig perplex. Hiroto machte große Augen und setzte gerade schon mit einem Satz an, als Saga mich unliebsam packte und aus dem Zimmer zerrte. Zwischen all dem Chaos schien unsere Flucht gar nicht aufzufallen und selbst wenn, hätten die meisten bei dem Todesblick des Bassisten wohl auch schön ihren Meinung für sich behalten. „Was zum Teufel ist dein Problem?!“, fauchte mich dieser böse an, sobald er die Tür hinter uns zugeknallt hatte. „Ich weiß, dass du die Mails schreibst“, wiederholte ich und versuchte dabei eine aufsteigende Frustration zu unterdrücken. Was sollte dieses Affentheater denn? Aber Saga war mit seiner Show scheinbar noch nicht fertig. „Von welchen Mails redest du da bitte?“ „Von den MAILS!! Die Nachrichten, die du mir seit Wochen anonym schickst!“ Der Bassist sah mich komplett verwirrt an. „Warte, du denkst, dass ich dein Stalker bin?“ Ich nickte einmal bekräftigend. „Wie kommst du denn auf diese Schwachsinnsidee?“, wurde ich angemault. Das verlief nicht wie geplant. Ganz und gar nicht. „Der Kuss nach dem Konzert. Ich dachte…“ „Tora, ich war verzweifelt und einsam! Manchmal ist ein Kuss halt nur ein Kuss und Sex nur Sex. Da muss nicht immer Gefühl und ein tiefergehender Grund dabei sein.“ „Aber… du meintest doch, du seist unglücklich verliebt…“ „War ich auch! Oder bin ich… ich will das jetzt echt nicht ausdiskutieren. Jedenfalls geht’s dabei garantiert nicht um DICH!!“ Ich schluckte schwer. Das war doch ein schlechter Scherz. Es hatte alles gepasst. Ich war mir so sicher gewesen. Endlich hatte ich Gewissheit gehabt. Die Chance auf jemanden, mit dem ich über alles reden konnte und der mich trotzdem akzeptierte. Auf einen Seelenverwandten. Ein bisschen Glück. Ich wollte noch den Smiley erwähnen, den sowohl Saga als auch mein Stalker manchmal in ihren Nachrichten an mich verwendeten, doch das Argument blieb mir im Hals stecken. So viele Menschen benutzten die Zeichen. Es war lächerlich, das tatsächlich als ein Indiz anzusehen. „Und du bist dir sicher, dass du es nicht bist?“, fragte ich ein letztes Mal kleinlaut nach, obwohl die Antwort bereits feststand. Der Bassist würdigte meiner jämmerlichen Frage keiner Antwort, sondern seufzte nur frustriert, bevor er sich umdrehte und zurück in den Proberaum marschierte, gerade als Ruki hektisch an uns vorbeirennt. Allerdings bemerkte ich ihn nur am Rande. Zu sehr war ich mit der Tatsache beschäftigt, dass ich wieder ganz am Anfang stand. Jede Kleinigkeit, jede Nachricht und jeder Satz, den ich mit Saga und meinem Stalker, der ja anscheinend nicht Saga war, gewechselt hatte, gingen mir durch den Kopf und versuchten sich wie nicht zueinander passende Puzzleteile zusammenzusetzen. Aber es machte keinen Sinn. Nur eine Sache machte plötzlich Sinn: Dass sich der Kuss mit Saga so merkwürdig angefühlt hatte. Merkwürdig falsch. Und ein klein wenig beruhigte es mich in diesem Moment, dass ich mich nicht weiter mit dem Gefühl auseinandersetzen musste, dass der erster Kuss mit der Person, in die ich verliebt war, merkwürdig gewesen war. Schließlich war es die falsche Person gewesen! Ich biss mir auf die Lippe. Wie würde sich dann wohl ein Kuss mit der richtigen Person anfühlen? Meine Gedanken waren völlig wirr, als ich zurück in den Proberaum ging und mich neben Hiroto auf das Sofa fallen ließ. Saga saß mir gegenüber auf einem anderen Sofa. Das war aber auch schon das Einzige, was ich groß mitbekam. Meine Gedanken drehten sich weiter um Saga und meinen Stalker. Darum, dass Saga eben nicht mein Stalker war, sondern jemand anderes. Und mir wurde zum ersten Mal richtig bewusst, dass ich mir vielleicht nur eingebildet hatte, mich in Saga verliebt zu haben. Weil ich dachte, dass Saga die Nachrichten geschrieben hatte. Dass er in mir diese Gefühle auslöste. Aber es war nicht so. Es war mein Stalker gewesen. Ich war in meinen Stalker verliebt. In seinen Charakter – ohne überhaupt zu wissen, wer er war. Mein Blick schweifte Hilfe suchend zu Hiroto, woraufhin er mich aber ebenso ratlos ansah. Plötzlich war es mir ziemlich egal, was er wusste. Denn anscheinend hing es nicht damit zusammen, dass Saga nicht mein Stalker war, sondern mit irgendetwas anderem Saga betreffend. Vielleicht, in wen Saga wirklich verliebt war. Irgendetwas, um das ich mich irgendwann einmal kümmern würde. Nur nicht jetzt. Jetzt musste ich erst einmal mit dem Gefühlschaos in mir selbst klarkommen, bevor ich mich dem von anderen widmete. Und dann fiel mir ein, dass mein Stalker dachte, ich wüsste, wer er war. So wie ich es ja selbst gedacht hatte! Und dass ich eingewilligt hatte, dass wir es versuchen würden. Aber mit WEM hatte ich das jetzt bitte eingewilligt? Der Stalker hatte zugegeben, dass wir uns nahe standen. Wir hatten verabredet, dass wir uns nach dem Treffen unterhalten würden. Musste es nicht zwangsläufig einer der Anwesenden sein? Nur war das völlig unmöglich. Schließlich hatte gerade der Großteil meiner Freunde ihre Beziehung zueinander gestanden. Da blieben nicht mehr sehr viele potentielle Stalker übrig. Shou, Hiroto und Aoi. Aber war Aoi nicht schon fast mit Kanon zusammen und hatte Shou jetzt was mit Takuya? Oder nicht? Mir brummte der Schädel. Kurz darauf wurde ich allerdings aus meinen Gedanken gerissen und mitsamt der anderen unliebsam aus dem Raum vertrieben. Nur Kai und Nao blieben. Um „aufzuräumen“. Auch Saga blieb zurück. Wahrscheinlich um mir aus dem Weg zu gehen. Auch gut. Still ging ich an den anderen vorbei. Ich hörte, wie Aoi und Ruki sich lauthals anzankten, doch schenkte dem typischen „Gazette-Drama“ keine weitere Bedeutung. In mir herrschte ein einziges Chaos. Sowohl mein Bauch als auch mein Kopf und mein Herz rebellierten gegen mich und ich wollte einfach nur nach Hause. Ich kam genau eine Häuserecke weit. Ich konnte einfach nicht gehen. Der Unbekannte und ich hatten uns verabredet. Zwar war meine Vermutung komplett falsch gewesen, doch wollte ich jetzt endlich, dass das Versteckspiel ein Ende hatte. Ich wartete noch bis der Rest das Gebäude verlassen hatte und setzte mich dann auf eine Parkbank, von der aus ich den Ausgang im Blick hatte. Immer wieder ging die schwere Glastür auf und mit jeder Person, die an mir vorbei lief, fielen mir zehn weitere ein, die mein Stalker sein könnten. Roadies, Techniker, Manager und Stylisten. Es waren alles Leute, die eng mit mir zusammenarbeiteten und sich mit Musik auskannten. Es könnte jeder von ihnen sein. Nur kam niemand von ihnen auf mich zu. ________ „Tora?“, vernahm ich gedämpft eine Stimme. Er musste es sein. Endlich würde ich ihn sehen und… „Ich lass dich nicht das Band-Image ruinieren, weil du wie ein Penner auf einer Parkbank campierst! Für solche Skandale ist Gazette zuständig! … Entschuldige, Schatz.“ Das war nicht mein Stalker. Nur ein zickiger Nao. Ich stöhnte und öffnete träge die Augen. Scheinbar war ich während dem Warten eingenickt. Kein Wunder, bei dem nervenaufreibenden Tag. Nao zog mich am Arm hoch, bis ich einigermaßen sicher auf den Beinen stand und drängte mich Richtung Bahnhaltestelle. „Ich hoffe sehr für dich, dass du morgen nicht krank bist.“ Unser Leader funkelte mich an. Kai hinter ihm schmunzelte nur. Aber unser Leader hatte ja schon Recht. Es war Mitte Oktober und die Sommerhitze hatte sich schon längst verzogen. Missmutig und mit einem leisen Seufzen löste ich mich aus seinem Griff. „Schon gut, ich kann alleine nach Hause gehen.“ „Gut!“, antwortete Nao und nickte. „Wir haben auch gar keine Zeit dafür. Vergiss nicht, dass du versprochen hast, bis nächstes Wochenende eine Ballade abzuliefern!“ Und schon hatte er sich umgedreht und ging mit Kai in die andere Richtung. Eine Ballade. Super. Weil ich ja gerade total in Stimmung dafür war. Aber bis zum nächsten Wochenende hatte ich noch ganze neun Tage Zeit. Es war ja schließlich erst Freitag. Und vielleicht würde mich das auch von meinem Stalker ablenken. Den hatte ich heute ja schließlich nicht mehr gesehen. Moment. Und wenn er mich gesehen hatte, während ich geschlafen hatte? Ich fuhr mir durch die Haare und verfluchte diese ganze Situation. Zu Hause erwartete mich erstmal ein schönes weiches Bett. Und vielleicht war bis morgen früh ja auch wieder eine Mail von meinem Stalker eingetroffen. Dann würde ich sicherlich mehr wissen. Aber es kam keine Mail. Zumindest nicht bis zum Abend des nächsten Tages. Kapitel 11: Das wars. --------------------- "Das wars. Nein, wirklich. Das wars. Die ganze Aktion war total bescheuert. Was hab ich mir eigentlich dabei gedacht? Was hab ich mir bei dem ganzen Scheiß überhaupt gedacht? Ich Trottel hätte dir niemals schreiben sollen, dann wär dieser ganze Dreck überhaupt nicht passiert. Späte Erkenntnis, ja. Ist mir klar. Aber das heißt nicht, dass sie zu spät kommt. Ganz und gar nicht. Du bist ein kompletter Idiot. Absolut blind für alles und jeden, wenns nicht gerade um dich geht. Ich hätt das von Anfang an wissen müssen. Aber war ja selbst ein Idiot. Ein verliebter Idiot. Und das macht die ganze Sache noch schlimmer und erniedrigender. Wenigstens weiß ich jetzt, woran ich bin und was ich dir wirklich bedeute. Einen Dreck. Danke für die Aufklärung, Arschloch. Wirklich, das hat mir die Augen geöffnet. Jetzt komm ich vielleicht endlich über dich hinweg und du kannst dich weiter vergnügen mit den Tokis dieser Welt und… was dir eben sonst noch so über den Weg läuft. Das wars. Ich bin mit dir durch." Kapitel 12: Re: Ich will nicht, dass du gehst. ---------------------------------------------- Einen Monat. Es ist nur einen Monat her, dass wir dieses kleine Versteckspiel begonnen haben, welches sich irgendwann zu einer Jagd nach Antworten entwickelt hat. Und jetzt sitze ich hier und habe mehr Fragen als jemals zuvor. Es fühlt sich so viel länger an. Vielleicht weil mich die Nachrichten so beschäftigt haben. Und je weniger ich erhalten habe, desto stärker war der Einfluss auf meinen normalen Tagesablauf. Vielleicht weil ich in dem einem Monat mehr gefühlt habe als die letzten paar Jahre zusammen. Unsicherheit, Verwirrung, Angst, Freude, Liebe. Liebe… Vielleicht weil uns etwas verbunden hat. Weil wir uns kannten – scheinbar auch im realen Leben. Ich hatte gedacht, dass wir uns verstehen, aber wir haben wohl mehr aneinander vorbei geredet als miteinander. Das wars. Ich bin mit dir durch. Ist das jetzt wirklich das Ende? Bin ICH mit der Geschichte durch? Kann ich mich jetzt einfach umdrehen und vergessen, dass dieser Monat jemals passiert ist? Die Antwort ist klar: Nein. Aber kann ich das auch schreiben? Kann ich das so offen zugeben? Die Mail meines Stalkers schreit ja praktisch nach einer Antwort. Was soll ich jetzt bitte machen? Verzweiflung steigt auf und mit ihr ein einfaches Wort: Fuck. Die Worte auf meinem Bildschirm werden zu einem wirren Buchstabensalat. Genauso wie die Gedanken in meinem Kopf. Ich weiß gar nicht mehr, was ich denken soll. Nur immer wieder: Fuck. Und dabei weiß ich nicht mal wieso! Ich weiß grad gar nichts mehr. Ist ja nicht so, dass dieses beschissene Bandtreffen gestern nicht eh schon alles nur noch schlimmer gemacht hat! Und damit meine ich nicht, dass wir jetzt vier Turteltäubchen im Label haben. Was Kai und Nao machen, ist mir ziemlich egal. Die beiden können sich benehmen. Und Miyavi und Ruki werden ja wohl kaum in unserem Proberaum rumturteln. Aber der ganze restliche Scheiß ist Schuld, dass mir seid gestern der Schädel brummt und ich einfach keinen Schritt weiterkomme. Ich starre weiter auf den Bildschirm. Und was mach ich jetzt? Mein Blick fällt auf den Absender. Soll ich? Wär ja nicht das erste Mal. Die Maus klickt wie von selbst auf „Antworten“. Aber bevor ich auch nur ein Wort tippe, lehne ich mich wieder zurück. „Schwachsinn!“ Das wär ja noch schöner! Auf die Mail antworte ich ganz bestimmt nicht! Bin ja schließlich keine Marionette, die tut, was von einem verlangt wird. Entschlossen lehne ich mich wieder vor und lese die Zeilen nochmal. Und nochmal. Mein Magen zieht sich zusammen. Fuck. Meine Finger tippen die ersten Worte. „Glaubst du, dass es so einfach ist, ja? Glaubst du, dass ich jetzt einfach aufhören und vergessen kann, was passiert ist? Und dass ich einfach mit irgendjemandem ins Bett hüpfe? Was denkst du eigentlich von mir?!“ Ich hämmere in die Tastatur. In meinem Bauch hat sich irgendwo ein Gefühl zwischen Wut und Verzweiflung angesammelt. „Glaubst du, der Monat hat absolut gar nichts in mir verändert? Wie blind bist du eigentlich??“ Ich beiße mir auf die Lippe. Und lösche den letzten Satz wieder. Nicht er ist derjenige, der blind ist, sondern ich. Er hat Recht. „Was denkst du eigentlich, wer du bist?? Kommst in mein Leben, wirfst alles durcheinander und dann willst du einfach so abhauen! Und ich soll die Sauerei alleine aufräumen?!“ Plötzlich spüre ich einen Kloß in meinem Hals. Ich versuche ihn runterzuschlucken, aber natürlich funktioniert das nicht. „Du kannst jetzt nicht einfach abhauen!“ Ich beiße mir wieder auf die Unterlippe, aber diesmal weniger, um nicht vor Wut laut loszuschreien, sondern mehr, weil meine Gefühle umschwingen. In der Mail stand es schwarz auf weiß. Er war in mich verliebt. Und ich in ihn. Verdammt. „Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen.“ Beruhig dich, ermahne ich mich selbst in der Stille. Ein paar Atemzüge später hat sich aber trotzdem nicht sehr viel mehr verändert. Bis auf die Tatsache, dass meine Wut noch mehr abgeflacht und die Verzweiflung noch größer geworden ist. „Ich will nicht, dass du gehst.“ Die Worte tippen sich von ganz allein. Als hätte ich sie schon hundertmal geschrieben. Dabei kann ich mich nicht daran erinnern, es je getan zu haben. Nein, ich hatte so etwas noch nie zu jemandem gesagt. Es ist das erste Mal. Das erste Mal, dass ich wirklich solche Angst habe. Ich will das nicht. Ich will nicht, dass er über mich hinwegkommt. Die Worte auf dem Bildschirm verschwimmen vor meinen Augen. Wann bin ich ein solches Weichei geworden? Ich blinzele die Tränen weg. Fürs erste mit Erfolg, aber ich weiß, dass es damit wahrscheinlich nicht getan ist. Das Innehalten sorgt dafür, dass ich mich ein wenig sammele und meine Nachricht durchlese. Mein Stolz ist kurz davor die Oberhand zu gewinnen. Ich sollte die Worte löschen. Ich sollte überhaupt nicht antworten, sondern einfach vergessen. Aber natürlich kann ich das nicht. Sollte ich jetzt nicht antworten, dann ist das mit Sicherheit wirklich das Ende. So verzweifelt die Worte auch klingen, sie sind vermutlich meine letzte Chance. Ich atme tief durch und treffe meinen Entschluss. Ich werde die Nachricht abschicken und zwar genau so, wie sie jetzt ist. Ich werde nichts herunterspielen und nichts beschönigen. Vielleicht steht nichts Explizites über meine Gefühlswelt da, aber ich war noch nie gut mit Worten und das ist alles, wozu ich in der Lage bin. Ich vertraue mich dieser Person ein letztes Mal an und wenn ich keine Antwort darauf bekommen werde, dann wars das und ich werde ihr nicht mehr schreiben. Nie wieder. Ich blinzele wieder und ziehe dieses Mal auch geräuschvoll die Nase hoch. Ich wusste doch, dass die Tränen zurückkommen werden. Ich lese meine Nachricht erneut durch und ergänzte sie zum Schluss noch mit zwei Worten. „Geh nicht.“ Bitte. Lass mich nicht alleine. Bleib bei mir. Ich sende die Nachricht ab, die womöglich das Ende unserer gemeinsamen Geschichte darstellen wird. Kapitel 13: Ist doch nur die Wahrheit. -------------------------------------- „Morgen.“ „…was?“, antworte ich entnervt. „Wir haben morgen Probe.“ „Ja Aoi, das soll vorkommen.“ Ich versuch mein Bestes, um nicht einfach aufzulegen, auch wenn die einsilbige Sprechweise des Gazette-Gitarristen mich wirklich fast dazu verleitet. Es ist nicht seine Schuld, dass ich die letzten drei Nächte so gut wie nicht geschlafen habe. Auf meine Nachricht hatte ich keine Antwort erhalten. Anfangs war ich noch hoffnungsvoll gewesen. Natürlich antwortete er nicht DIREKT! Aber mit jeder weiteren Stunde war die Hoffnung immer weiter der bitteren Realität gewichen. Das war jetzt drei Tage her und ich gehe inzwischen auf dem Zahnfleisch. Leider scheint das Aoi nicht sehr zu interessieren. „Ich will, dass du vorbeikommst“, unterbreitet mir der Ältere. „Wo soll ich vorbeikommen?“ „Bei der Probe!“ „Wieso? Wirst du auf deine alten Tage müde und suchst einen Nachfolger?“ „Davon träumst du wohl“, schnaubt der Ältere belustigt, bevor er wieder ernst wird. „Ich will, dass du vorbeikommst und dich mit Reita aussprichst.“ Ich weiß einen Moment lang nicht, was ich sagen soll. „Was?“ Aoi ruft mich an, damit ich mich mit Reita ausspreche? Vielleicht sollte ich diesen Rat zurückgeben. Vielleicht sollte ich Aoi sagen, dass Reita in ihn verschossen ist. „Er ist unerträglich seit eurem Streit in der Bar.“ Ich schnaube. War ja klar gewesen. „Und? Wie hat ers ausgeschmückt? Natürlich so, dass ich der Idiot bin, oder?“ Wenn Reita sauer ist, dann ist er sauer und ich kann mir schon ausmalen, wie er sich über mich ausgekotzt hat – auch wenn ich immer noch nicht richtig weiß, warum. Wahrscheinlich ist er sauer, weil ich das mit Aoi ausgesprochen habe. Weil ich ihm unter die Nase gerieben habe, dass er in ihn verliebt ist und das endlich auf die Reihe kriegen sollte. „Er hat gar nichts erzählt, aber ich weiß nicht, ob ich Reita schon mal so sauer gesehen hab wie vor ein paar Tagen, als er nach Hause gekommen ist, nachdem er mit dir weg war.“ „Ich kann nichts dafür, wenn er ni-“ „Morgen. 22 Uhr. Vor unserem Proberaum. Bis dann!“ Das Tuten an meinem Ohr lässt keinen Zweifel zu, dass Aoi mich eiskalt abgewürgt und aufgelegt hat. Herzlichen Dank auch. Ich lasse mein Handy sinken und leg es auf den Küchentisch, bevor ich mich wieder daran mache, mein Mittagessen in der Pfanne zu braten. Ich starre gedankenverloren auf das Gemüse, das langsam eine dunklere Farbe annimmt. Seit der Szene mit Reita habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen. Hab ich auch gar nicht eingesehen. Ich hab schließlich nichts falsch gemacht. Ich war – und bin immer noch – wütend. Nur leider ist mir ziemlich schnell klar geworden, dass ich Reita vermisse. Verdammt. Das Drama mit dem Stalker vor drei Tagen hat nur dazu beigetragen, dass ich mich jetzt noch einsamer fühle. Ich wollte eigentlich Reita anrufen, weil er es immer schafft, mich auf andere Gedanken zu bringen. Selbst wenn wir uns nur sinnlos betrinken oder den ganzen Abend Videospiele zocken. Unsere Unterhaltungen sind manchmal so sinnlos, wie ich sie mit keinem anderen führen kann. Kurz nachdem ich meine letzte Mail an den Stalker abgeschickt hatte, hatte ich schon ohne Nachzudenken Reitas Nummer aus dem Telefonbuch gesucht, aber zum Glück ist mir dann eingefallen, dass er ja sauer auf mich ist – und ich auf ihn! Ich wende das Gemüse in der Pfanne. Vielleicht… Vielleicht wäre es aber auch besser gewesen, wenn mir das nicht eingefallen wäre. Dann hätte ich ihn angerufen und wir hätten miteinander sprechen müssen und dann würde ich jetzt nicht hier stehen und mein Gemüse zum 10. Mal in der Pfanne wenden, sodass es schon fast schwarz ist. Vielleicht habe ich die Beziehung mit meinem Stalker vermasselt, aber meine Freundschaft mit Reita werde ich irgendwie wieder geradebiegen! Nervös starre ich auf die Tür des Gazette-Proberaums und denke über meinen gestrigen Entschluss nach. Vielleicht wird das „geradebiegen“ doch nicht so einfach, wie ich es gehofft habe. Vor allem weil ich ja auch gar nicht weiß, was genau „schief“ gegangen ist. Was soll ich bitte zu Reita sagen? Schließlich habe ich mir selbst nichts vorzuwerfen. ER hat sich wie ein kompletter Idiot aufgeführt! Ich merke, wie ich erneut wütend werde und versuche, mich zu beruhigen. Einer von uns muss ja der Erwachsene sein. Genau an diesen Gedanken klammere ich mich fest, als sich die Tür zum Proberaum öffnet. Nicht wegrennen, Tora. Stark bleiben. Ich verschränke meine Arme vor der Brust und nicke Ruki, Uruha und Kai kurz zu, während sie den Raum verlassen. Der Sänger und der Gitarrist geben mir beide einen verwunderten Blick zurück, was wohl mehr mit meinem kalten Auftreten als mit meiner Anwesenheit zusammenhängt. Schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass ich Reita nach einer Probe abhole. Allerdings kommt keiner von beiden dazu mich zu fragen, was das ernste Gesicht soll, da Kai die zwei Musiker bereits an mir vorbei Richtung Ausgang schiebt. Der Leader hat wahrscheinlich Mitleid mit mir, seitdem er mich zusammen mit Nao schlafend auf der Parkbank gefunden hat. Auch gut. Für Uruha und Ruki habe ich wirklich keinen Nerv. Mir reicht schon Aois triumphierendes Lächeln völlig aus, als er mich im Gang erblickt. Das kann sich der Arsch ruhig schenken. Schließlich ist er derjenige, der Reitas Herz gebrochen hat. Da hat er wirklich kein Recht dazu, sich jetzt als Problemlöser aufzuspielen. „Was machst du denn hier?!“, werde ich direkt von Reita angefaucht, der gerade neben seinem Schwarm aufgetaucht ist. Ich atme tief durch und bleibe cool. Schließlich habe ich auch mit keiner freundschaftlichen Begrüßungsumarmung gerechnet. Statt die Frage zu beantworten, nicke ich nur leicht in Aois Richtung. Das Lächeln auf dem Gesicht des Gitarristen verschwindet augenblicklich und er entfernt sich instinktiv einen Schritt von Reitas Seite. „Ich geh schon mal voraus. Bis später!“ schnell huscht der Schwarzhaarige an uns vorbei und verschwindet. Ich hätte Aois Reaktion durchaus lustig gefunden, wenn sich Reitas volle Aufmerksamkeit nicht wieder auf mich richten würde. „Womit hat der dich denn in der Hand, dass du hier aufkreuzt?“ „Der hat mich gar nicht in der Hand“, gebe ich ziemlich schnell zurück. Ich bin hier, weil du mir wichtig bist! Das würde ich am liebsten hinterherpfeffern, aber dem Gefallen tu ich ihm nicht. Nicht, wenn er mir mit sowas kommt. „Tja, und trotzdem bist du hier. Solltest du nicht bei Saga sein und dir die Seele aus dem Leib-“ Reita unterbricht sich selbst, als er meinen ungläubigen Blick sieht. Ich sehe, wie er die Zähne zusammenbeißt und meinem Blick ausweicht, aber er ist wütend. Und ich bin auch wütend. „Es ist nicht Saga.“ Ich versuche meine Stimme so ruhig wie möglich klingen zu lassen. Ich bin hier, um den Streit mit Reita zu beenden und irgendein Problem hat er mit der Sache mit Saga. Vielleicht sollten wir also erstmal darüber reden, bevor wir überhaupt irgendwas anderes klären können. Ich bin hier schließlich der Erwachsene. Ich muss versuchen, ihn nicht noch mehr zu reizen. Schließlich wollte ich mich mit ihm aussprechen. „Ach.“ Er hebt die Augenbrauen und sieht mich wieder an. Aber nicht wirklich überrascht, sondern eher… sarkastisch? Soll ich das einfach überhören? Will er nicht mal nachfragen, wie ich drauf gekommen bin? Ich atme tief durch, um mich ein wenig zu beruhigen. „Ja, er hats mir gesagt. Also, dass er es nicht ist.“ „Abgeschlabbert habt ihr euch aber trotzdem.“ Jetzt ist es an mir, die Lippen aufeinanderzupressen. Die, die Saga neulich… abgeschlabbert hat. Innerlich seufze ich. „Nenn das nicht so.“ „Ist doch nur die Wahrheit.“ „Was hast du eigentlich für ein Problem damit?“ Jetzt werde ich doch ein bisschen lauter. „Du würdest Aoi doch am liebsten auch „abschlabbern“!“ In dem Moment, in dem die Worte meinen Mund verlassen, will ich sie schon wieder zurücknehmen. Eigentlich wollte ich davon nicht wieder anfangen. Ein wenig erschrocken werfe ich einen kurzen Blick in den Flur, aber zum Glück scheinen sich die anderen schon aus dem Staub gemacht zu haben. „Was soll denn dieses dumme Gerede von Aoi ständig?! Bist du in letzter Zeit zu oft auf deinen Dickschädel gefallen oder woher hast du diese bekloppte Idee?“ „Na von dir! DU hast doch die Dramaqueen raushängen lassen, als Kanon bei euch eingezogen ist und bist eifersüchtig weil du seit Ewigkeiten in Aoi verschossen bist. Auch wenn ich das kein Stück nachvollziehen kann…“ Ich verziehe leicht angewidert mein Gesicht, aber sage sonst nichts mehr zu dem Thema, auch wenn ich der Meinung bin, dass seine Gefühle für Aoi wohl nur aus einer kranken Mischung masochistischen und sadistischsten Vorlieben kommen kann. Ich bin selbst ein bisschen über mich erschrocken. Eigentlich mag ich den anderen Gitarristen ja, aber die Vorstellung von Reita und Aoi zusammen, löst in mir gerade ziemlich viel auf einmal aus. Wut und Abneigung und noch so viel mehr, was mich irgendwie nur verwirrt und ja auch nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun hat. Aber wieso musste ich dann bitte wieder damit anfangen? „Das ist dein Ernst…. Du denkst also wirklich, dass ich Aoi verknallt bin?“ Ich bringe nur eine Mischung aus leichtem Nicken und Schulterzucken zustande. Der Blick, den Reita mir schenkt, gefällt mir nicht. Er ist nicht mehr wütend. Zumindest nicht mehr auf die laute Art, die ich von ihm gewöhnt bin und mit der ich umgehen kann. Ich bin mir meiner Annahme gar nicht mehr so sicher und werde unter dem unlesbaren Blick des Blonden langsam nervös. Es fühlt sich so an, als wolle er mir irgendetwas mitteilen. Irgendetwas müsste „klicken“. Aber es tut sich nichts. Reita löste den Blickkontakt und schüttelt leicht den Kopf. Er schließt kurz die Augen und lacht dabei trocken. Ein Ton, bei dem es mir den Brustkorb zusammenzieht. Es klingt nicht nach Freude. Es klingt nach Kapitulation. Es klingt, als würde er irgendetwas aufgeben. Und als mein bester Freund die Tasche auf seinem Rücken zurecht rückt und dann einfach an mir vorbei geht, schwant mir, was er aufgeben will. „Hey, wir sind hier noch nicht fertig!“, rufe ich ihm hinterher und folge ihm zum Ausgang. Ich lasse es nicht zu, dass Reita mich jetzt auch noch verlässt. Ich will ihn anbrüllen. Ich will ihm sagen, dass er nicht gehen soll. Geh nicht. Bitte. Lass mich nicht alleine. Bleib bei mir. Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen. Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Diese Gedanken hatte ich schonmal. Erst vor ein paar Tagen. Ich kann mich noch genau daran erinnern. Völlig fertig mit den Nerven und verzweifelt. „Ich will nicht, dass du gehst.“ Ich spreche die Worte nicht sehr laut aus. Es ist eher wie ein leises Flüstern. Trotzdem hört Reita sie und bleibt ebenfalls stehen, den Türgriff schon in der Hand. Langsam dreht er sich um und sieht mich an. Wie ich da so verloren im Gang stehe und sich alles um mich herum dreht. Vor ein paar Tagen habe ich dieselben Worte benutzt. Aber nicht in einer Nachricht an Reita. Es war mein Stalker, den ich praktisch angefleht hatte, nicht zu gehen. Mein Stalker, der so viel über mich weiß, ohne dass es mir auch nur das Geringste ausmacht. Mein Stalker, in den ich mich mit jeder Mail ein bisschen mehr verliebt habe. Mein Stalker. Nicht Reita. Und trotzdem sind sie eben so leicht über die Lippen gekommen. Ich will nicht, dass du gehst. Ich will ihn nicht verlieren. Und mir wird mit einem Mal klar, wie kurz davor ich gerade stehe. Reita sieht mich an. Mit einem Blick, den ich nicht deuten kann. Vielleicht steckt ein wenig Erwartung darin. Vielleicht bilde ich es mir aber auch nur ein. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich warte. Bin überfordert. Und dieses Warten ist wohl der ausschlaggebende Fehler. „Das wars.“ Reitas Worte sind leise und gleichzeitig bestimmt. Er dreht den Türknauf und verschwindet nach draußen. Ich bin nicht imstande, ihm zu folgen. Nicht einmal rühren kann ich mich. Das wars. Seine Worte. Ich will nicht, dass du gehst. Meine Worte. Vor ein paar Tagen, da hatte ich sie an meinen Stalker gerichtet. Nicht an Reita. Es waren die letzten Worte, die ich meinem Stalker geschrieben hatte. Nicht Reita. Es war mein Stalker, in den ich mich verliebt hatte. Nicht in Reita. Oder? Kapitel 14: Sobald du wieder in Japan bist. ------------------------------------------- „Eine Woche. Es ist eine verdammte Woche her, dass du deinen Abschiedsbrief geschrieben hast. Du scheinst es also ernst zu meinen. Ich wollte dir eigentlich auch nicht mehr schreiben, aber was soll’s. Du liest die Nachrichten eh nicht mehr, stimmt‘s? Also kann ich ruhig weiter schreiben. Unglaublich, dass ich nicht einmal dieses eine Versprechen an mich selbst halten kann. Ich bin erbärmlich. Ein erbärmlicher bester Freund und ein erbärmlicher… was auch immer. Wenigstens hält einer von uns beiden sein Wort… ‘Das war’s’ Das hast du gesagt. Nein, geschrieben…“ __________________________________ „Es ist ja nicht so, als ob du den bekloppten Satz erfunden hättest. Nimms nicht persönlich, aber für ‘Das war’s’ gewinnst du sicher keinen Literatur-Nobelpreis. Das kann jeder sagen. Absolut jeder.“ __________________________________ „Weißt du was: nimms doch persönlich. Es ist 2 Uhr morgens und ich kann nicht aufhören über diese Worte nachzudenken! Ich hasse deine Wortwahl! Und dich! Und Reita!“ __________________________________ „Ich werd verrückt. Diese Theorie is absolut schwachsinnig. Deine Nachricht ist jetzt zehn Tage her und das Gespräch mit Reita sechs Tage. Und vor drei Tagen ist er nach Europa geflogen. …. Nicht, dass ich mitzählen würde. Ach, scheiß drauf. Den Kack liest doch eh niemand. Ich vermisse dich! Und ich vermisse Reita! Es fühlt sich beides so erschreckend gleich an… war das schon immer so? Spricht das für meine Theorie oder bedeutet es einfach nur, dass ich mir aufgrund der Theorie jetzt Dinge einbilde? Aber eigentlich ist es auch egal. Ihr hasst mich ja beide. Ihr seid beide zum Kotzen.“ __________________________________ „Du weißt gar nicht, wie oft ich deine Nachrichten in den letzten Tagen gelesen habe. Am Anfang war es noch schwer vorstellbar, aber jetzt hör ich seine Stimme die Worte aussprechen. Es klingt nach ihm. Vielleicht nicht immer nach der Art, wie er mit mir spricht aber… es klingt nach ihm… Er könnte so klingen, wenn er mit mir spricht. Wenn er nicht auf der anderen Seite der Welt wäre und mich nicht hassen würde und… und alles anders wäre. Du klingst wie er.“ __________________________________ „Bist du er?“ __________________________________ „Natürlich bist du nicht er!! Reita hätte den Mumm, es mir ins Gesicht zu sagen! Du sitzt einfach nur da, auf der anderen Seite der Leitung, und schreibst Nachrichten! Oder… schreibst sie nicht mehr. Bin ich so schrecklich? Dass du mir nicht mehr schreibst? Und Reita schreibt mir auch nicht mehr…“ __________________________________ „Es gibt so viel, was ich dir sagen will… Aber ich kann nicht. Ich kann es nicht einfach so in eine Mail schreiben. Ich will es dir sagen. Wenn du vor mir stehst. So viele Sachen… Ich werd dich nicht anbetteln, dass du mir antwortest. Aber ich will, dass du weißt, dass ich mit dir reden will. Sobald du wieder in Japan bist.“ Kapitel 15: Ja? — Ja. --------------------- Seit acht Tagen starre ich fast ununterbrochen auf mein Handy. Dieses endlose Warten ist noch viel schlimmer geworden, seit Gazette wieder aus Europa zurück sind. Als sie weg waren, konnte ich es wenigstens noch darauf schieben, dass Reita sicher zu tun und gar nicht groß Zeit hat, an zu Hause – an mich – zu denken. Aber jetzt sind sie wieder zurück und es macht mich verrückt, wenn wir ein Meeting haben und Nao Mails von Kai bekommt. Diese Momente, wenn wir irgendwelche Sachen besprechen und Naos Handy vibriert. Ich seh doch, wie sie sich dann immer Blicke zuwerfen. Natürlich reagiert unser Leader nicht. Wir sind schließlich im Meeting. Und ich weiß auch, dass Kai zu solchen Zeiten nicht anruft. Wenn überhaupt, schreibt er Nao nur eine Mail und ist auch nicht sauer, wenn der dann nicht antwortet. Aber ich wär ja schon froh über nur eine klitzekleine Mail von Reita! Das wissen die anderen auch genau. Natürlich hat sich mittlerweile – wie auch immer – rumgesprochen, dass zwischen Reita und mir irgendwas vorgefallen ist. Aoi hat es ja sicher gleich gewusst. Aoi. Der Idiot. Wegen ihm hab ich mich ja erst so richtig mit meinem besten Freund zerstritten! Hätte er mich nicht nach Gazettes Probe dorthin zitiert… Ja, was dann? Wahrscheinlich hätte ich mich inzwischen langsam damit abgefunden, dass mein Stalker nichts mit mir zu tun haben will und hätte mich nach Gazettes Rückkehr von Europa reumütig bei Reita gemeldet. Ich hätte mich der Freundschaft wegen wohl sogar dafür entschuldigt, dass ich mich in den letzten Wochen so verrückt aufgeführt habe und wir wären langsam aber sicher wieder in unseren normalen Rhythmus verfallen. Ist es das, was ich will? Nein, eigentlich nicht, aber… Im Grunde weiß ich gar nicht, was überhaupt los ist und was ich wirklich will. In der einen Minute bin ich mir sicher, dass Reita mir die Nachrichten geschrieben hat, nur um mich wenig später für diese verrückte Idee selbst auszulachen. Und wenn ich mir manchmal vorstelle, wie ich den Blonden für sein Verhalten gegen eine Wand drücke und dann ordentlich eine verpasse, erwische ich mich dabei, wie das Szenario manchmal dann doch ein… etwas anderes Ende nimmt. Weniger brutal und trotzdem… actionreich. Ich schlage die Hände über dem Gesicht zusammen und stöhne frustriert. Das sind neue Gedanken. Neu und verwirrend und angsterregend und vielversprechend und so, so verwirrend. Wahrscheinlich ist es am besten, wenn ich ganz rational alle Informationen sammele, von denen ich absolut überzeugt bin. Ich grinse in mich rein. Das wird wohl eine kurze Liste… Der erste Punkt leuchtet in Neonfarben vor meinem inneren Auge auf, doch wird direkt zur Seite geschoben: meine Gefühle für Reita. Ein zu komplexes Thema für den Anfang. Die nächste Frage ist schon leichter zu beantworten: Meine Gefühle für den „Stalker“. Es ist klar, dass ich verliebt bin. Ich habe es geschrieben und auch so gemeint. Meine Gefühle für Saga. Absolut platonisch. Der Kuss war nicht mehr als ein verrückter Ausrutscher von uns, den wir beide wohl nie wieder erwähnen werden – auch wenn es mich wirklich interessiert, was Sagas Beweggründe hinter dem Kuss waren. Nächster Punkt: Die Identität des Stalkers. Ich atme tief durch und verdränge all die unsicheren Stimmen, die ja trotzdem keine guten Argumente vorbringen können. Sollte Reita es nicht sein, dann bin ich sicher der dümmste Mensch, der je gelebt hat. Alles spricht dafür und so schlecht im Hinweise lesen, kann nicht einmal ich sein. Was bedeutet es für meine Gefühle für Reita, wenn er und der Stalker die gleiche Person sind? Was bedeutet es für meine Freundschaft zu ihm? Und für die Band? Und für Aoi, der ja scheinbar… Moment, was ist eigentlich aus der Aoi-Geschichte geworden? Wenn mein Stalker wirklich Reita ist, dann… Ich werfe mich auf mein Sofa, mit dem Gesicht nach unten. Reita ist nicht eifersüchtig auf Kanon, weil er Aoi hat. Er ist eifersüchtig, weil die beiden einander haben! Weil die beiden auf dem besten Weg sind, ein glückliches, süßes Pärchen zu werden. Und das direkt vor seiner Nase. Während er jemandem hinterherrennt, der zu dumm für diese Welt ist. Am liebsten hätte ich mein Gesicht noch tiefer in den Kissen vergraben, aber ich drehe es zur Seite, um nicht zu ersticken – obwohl das wahrscheinlich vieles leichter machen würde. Jetzt muss ich die Sache schließlich irgendwie gradebiegen. Ich habs versaut. Da kann man die Fakten drehen und Ausreden erfinden, wie man will. Ich habs versaut. Mein Blick fällt auf den kleinen Wohnzimmertisch, auf dem wild verstreut Blätter liegen. Eine Ballade hatte ich den anderen versprochen. Absolut unmöglich. Sobald ich anfange, muss ich an Reita denken. Wie soll das denn weitergehen? Ich muss doch arbeiten! Es ist schon Abend und ich hab absolut nichts zustande gebracht. Und die letzten Nächte hab ich auch kaum geschlafen. Aber statt das effektiv zu nutzen und irgendwas Sinnvolles zu machen, hab ich mich mit meinen Gedanken und Gefühlen rumgeschlagen. Und Träumen in Dämmerzustand, die mich nur noch zusätzlich verwirrt haben. Wann ist das denn alles so kompliziert geworden? Das Klingeln meines Handys reißt mich aus einem Dämmerschlaf. Ich stehe sofort kerzengerade im Zimmer. „Wo ist das Drecksteil??“, höre ich mich selber Fluchen. Obwohl ich nur eine SMS bekommen habe, suche ich danach, als würde meine ganze Zukunft davon abhängen, ob ich sie jetzt oder erst in fünf Minuten lese. Aber vielleicht tut sie das ja auch! Man kann schließlich nie wissen! Und in einer solchen Situation erst recht nicht. Natürlich liegt das kleine Ding, fein oben auf dem Stapel meiner Notenblätter drapiert, in einer Ecke des Tisches. Damit ich es auch sofort finden kann, wenn es klingelt. Haha. Meine Hände werden mit einem Mal ganz feucht, als ich sehe, dass die Mail von Reita kommt. Ich atme tief durch und öffne sie. „Beweg dich hier her! Du hast 30 Minuten.“ Einfach unglaublich. Die erste Nachricht, die ich seit Wochen von ihm erhalte und dann ist es ein Befehl. Typisch. „Eigentlich sollte ich ihm den Gefallen gar nicht tun. Arschloch“, murmel ich vor mich hin, als ich meine Sachen zusammen suche. „Ich springe doch nicht einfach los, wenn er ruft!“, grummel ich, während ich meine Schuhe anziehe. „Und dann auch noch mit Zeitangabe!“, denke ich empört und hetze mich mit letzter Kraft in die Bahn, die mich zu Reita bringen wird. „Warum mache ich das eigentlich? Er hat das gar nicht verdient. Er ist so ein Arschloch! So ein sturrer…“ Der Gedankengang wird von dem Signal-Geräusch der Haustüre unterbrochen, die ich sofort aufdrücke. Ein aufgeregtes Kribbeln verdrängt meine vorgetäuschte Empörung. Denn mehr war es nicht. Ich weiß nicht, wieso Reitas Dreistigkeit mich nicht mehr aufregt oder mein Stolz mich nicht davon abhält in einer Rekordzeit von 18 Minuten im Haus der Bassisten zu erscheinen. Eigentlich sollte ich mir wenigstens jetzt eine kurze Auszeit nehmen. Ich weiß doch immer noch nicht genau, was ich will und was jetzt weiter passieren soll! Aber der Drang, ihn endlich zu sehen und mit ihm zu sprechen, treibt mich die Stufen zu seiner Wohnung hinauf. Voller Energie greife nach der Türklinke. Kurz bevor meine Nase Kontakt mit dem harten Holz macht. Ich rüttel an der Tür. Verschlossen. Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Reita hat mir doch gerade unten die Haustür geöffnet. Wieso lässt er mich dann bitte vor der verschlossenen Wohnung stehen? „Reita!“, rufe ich und klopfe an die Tür. „Ja!“, kommt von drinnen die vertraute Stimme. Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus. Wir haben uns viel zu lange nicht mehr gehört. Das tut so gut. „Mach auf!“ „Ja ich…“ Ich höre Schritte, die auf die Tür zukommen. Doch dann wird es still. „Ich kann nicht.“ „Was meinst du damit? Hast du dich etwa eingeschlossen und kriegst jetzt nicht mehr auf?“, frage ich verwundert. „Ich bin doch kein 5-jähriges Mädchen, das sich ausversehen auf dem Klo eingeschlossen hat! Natürlich weiß ich, wie die bekloppte Tür aufgeht!“, schreit es mir entnervt entgegen. „Aber… ich kann nicht. Das war eine dumme Idee. Geh nach Hause, Tora.“ Was?! Ich bin für einen Moment völlig perplex, bis dann alles aus mir herausbricht und ich wie ein verrückter gegen die Tür schlage. „Den Teufel werde ich machen, du feiger Depp!! Lass mich auf der Stelle rein!“ Stille. „Reita!“ Keine Reaktion. „REITA!“ Ich lausche, doch höre vom Inneren der Wohnung keinen Ton. Ich weiß, dass meine jetzige Taktik nur dazu führt, dass einer der Nachbarn früher oder später die Polizei alarmiert. Verzweifelt greife ich zu meinem Handy, gerade als tatsächlich irgendwo in einem Stockwerk unter mir die Tür aufgeht. Ich verhalte mich ruhig und hoffe, dass Reita nicht gerade jetzt antwortet. Tut er zum Glück nicht und die Tür wird wieder geschlossen. Ich drücke die Schnellwahl-Taste für Reitas Nummer und halte mir mein Handy ans Ohr. Es tutet und gleichzeitig höre ich das Klingeln von der anderen Seite der Tür. Es ist merkwürdig, genau zu hören, dass Reitas Handy in der Wohnung klingelt und zu wissen, dass Reita jetzt wahrscheinlich gerade danebensteht. Und es anstarrt. Und nicht abnimmt!! Der Idiot! Ich lege auf und versuche es noch weitere zwei Mal, aber keine Chance. Die Tür hat zwischendrin noch ein oder zwei Tritte von mir abbekommen, aber auch das hat nichts anderes bewirkt, als dass mein Fuß jetzt ein wenig schmerzhaft pocht. Trotzdem nichts im Vergleich zum Pochen meines Herzens. „Gott verdammt“, rufe ich mit einem Gefühl zwischen Wut und Ratlosigkeit und lehne mich mit dem Rücken gegen die Tür, bevor ich ein paar Worte auf mein Handy tippe: „Mach jetzt endlich auf!“ Es piept auf der anderen Seite der Tür. „Komm schon, Reita!“, murmle ich leise und lasse die Hand mit dem kleinen Gerät sinken – und schrecke fast ein bisschen zusammen, als es unerwartet ein leises Piepen von sich gibt. Reita hat mir geantwortet? Wirklich? „Nein, geh wieder.“ „Spinnst du? Ich bin extra hergekommen!“ „Dann kannst du ja auch extra wieder gehen.“ Ich schnaube. Ganz der Alte. Oder zumindest fast. „Zuerst reden wir darüber!“ „Es gibt nichts zu reden. Geh heim!“ Okay, so kommen wir nicht weiter. Dann muss ich wohl zu anderen Mitteln greifen. Ich suche den Kontakteintrag meines Stalkers aus dem Adressbuch, atme noch einmal tief durch und schreibe die nächsten Wörter an ihn. Nicht an Reitas Nummer. „Ich geh heim, wenn du zugegeben hast, dass du mein Stalker bist. Und nachdem wir darüber geredet haben!“ Mein Handy piept. Und die Antwort meines „Stalkers“ erscheint auf dem kleinen Bildschirm. „Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst. Willst du vor meiner Tür übernachten oder was?“ Ich grinse in mich hinein, als ich sehe, dass Reita tatsächlich einfach nur auf die Nachricht geantwortet hat – und sich somit verraten hat. Er scheint gar nicht bemerkt zu haben, dass ich an die Nummer des Stalkers geschrieben habe, bis ich ein unterdrücktes, aber dennoch hörbares „Fuck“ von der anderen Seite der Tür höre. Und dann sickert das Ergebnis meines kleinen Tests auch langsam zu mir durch. Er ist es wirklich. Es ist Reita. Ich blicke mein Handy an. An wessen Nummer soll ich meine nächsten Worte richten? Möglicherweise ist es egal, aber es fühlt sich entscheidend an. Es ist ein Schritt, der unsere weitere Beziehung zueinander prägen wird. An wen richte ich mich jetzt? An meinen besten Freund, oder an den Mann, in den ich mich verliebt habe? Sollte das nicht der Moment sein, wo es plötzlich klickt und mir alles klar wird? Da ist nur leider kein „Klick“. Nur ganz viel „vielleicht“ und ganz viel „hoffentlich“. Selbst wenn ich mit Worten besser wäre, wüsste ich nicht, wie ich das alles ausdrücken sollte. Und ich wüsste erst recht nicht, wie ich es in eine Nachricht verpacken sollte. Unsere Situation kann man einfach nicht mit Worten beschreiben! Also stecke ich mein Handy wieder ein und stehe auf. Langsam drehe ich mich um und gehe die letzten paar Zentimeter auf die Tür zu bis ich direkt davor stehe. Da ich bereits vor dem Wohnungseingang gesessen habe, ist es zu gegebener Weise kein sehr großer Schritt. Aber hoffentlich war es genau der Schritt, den ich noch gehen musste. Ich weiß, wie stark der Treppenflur hallt und ich weiß auch, dass Reita meine Bewegungen sicher hören konnte. Genauso, wie ich jetzt durch das dünne Stück Holz seine Schritte erahnen kann. Ich werde aufgeregt, als sich die Klinke senkt und die Tür langsam geöffnet wird. Und dann steht er vor mir und meine Brust schnürt es noch ein wenig enger zusammen. Er wirkt so klein und das liegt sicher nicht nur an unserem Größenunterschied oder der Tatsache, dass er nur ein T-Shirt und eine schlabbrige Jogginghose trägt. „Hey!“, gibt der Blonde von sich und es klingt sehr viel nervöser, als eine so kurze Begrüßung eigentlich klingen dürfte. Ich nicke daraufhin nur kurz und drücke mich an ihm vorbei in die Wohnung, bevor er mich doch wieder aussperrt. Ich versuche, mich selbst zu beruhigen und einen möglichst normalen Ton anzuschlagen. „Wurde auch Zeit, dass du mich reinlässt. Du hast ja eine halbe Ewigkeit gebraucht!“ „Du aber auch.“ Ich will ihn gerade fragen, was er meint, als sich unsere Blicke treffen und ich die Antwort schon weiß. All die Nachrichten und ich hatte keinen Schimmer, keinen Verdacht. Ich kann eigentlich froh sein, dass Reita überhaupt noch mit mir redet, nachdem ich mich so dumm angestellt habe. „Ja, da ist was dran…“ Ich lächle ihn verlegen an und ein Teil seiner Nervosität scheint abzufallen. Er grinst sogar zurück, was mich wiederum nervöser werden lässt. Wir sehen uns eine Weile einfach nur an und es liegt eine Spannung in der Luft, die es früher nicht zwischen uns gegeben hat. Ich merke aber sofort, dass ich diese neue Spannung mag. Ich möchte wissen, wohin sie führt. „Heißt das etwa, dass du mich ab jetzt zum Essen einlädst?“, frage ich ganz direkt. Der Blonde schaut mich einen Moment verwirrt an, bevor er laut loslacht. Auch ich beginne zu lachen. Die ganze Situation ist einfach zu absurd. Kein Wunder, dass Reita mir die Nachrichten gesendet hat. Wir scheinen beide bei diesem Gefühlsquatsch die absoluten Nieten zu sein. Ein perfektes Paar. „Wenn das bedeutet, dass wir ein Date haben, dann lad ich dich auch ein“, antwortet der Bassist, als er wieder zu Luft kommt. Ich brauche für meine Antwort keine Sekunde: „Ja.“ „Ja?“ „Ja.“ Der Blonde nickt und steck die Hände dabei in die Hosentaschen. „Ok… Cool.“ „Cool“, erwidere ich und beiße mir auf die Unterlippe, um ein dümmliches Lächeln zu vermeiden. „Cool“ beschreibt nicht einmal ansatzweise, was ich gerade fühle. Es ist alles neu und aufregend und ich wüsste nicht, wen ich in diesem Moment lieber an meiner Seite hätte als Reita, der mich breit angrinst. Schön, dass ich für diese Erkenntnis nur einen mächtig großen Wink mit dem digitalen Zaunpfahl gebraucht habe. „Schön, dass wir das geklärt haben! Ich wollte dir eigentlich schon länger mal wegen einer Verabredung schreiben, aber eine Mail fand ich dann doch zu unpersönlich“, meint der Blonde noch, bevor wir beide wieder zu lachen beginnen. Epilog: Epilog -------------- „Tut mir Leid, dass ich neulich so ausgetickt bin. Kommt nicht wieder vor, versprochen!“ Ich starre auf die Nachricht auf meinem Handy. Ich kenne die Nummer zwar nicht, aber mir fällt niemand anderes ein, von dem die Nachricht sein könnte. Reita und ich haben immer mal wieder irgendwelche kleineren Auseinandersetzungen und wenn je nach Laune kann er sich sogar manchmal für seine Fehler entschuldigen – etwas, was früher nicht so oft vorgekommen ist. Wahrscheinlich bezieht sich seine Entschuldigung auf gestern, als wir mal wieder darüber diskutiert haben, wer eine bessere Intuition beim Bassspielen hat. Was ja natürlich klar ist. Die Nachricht auf meinem Handy macht mich aber sprachlos. Und zwar nicht, weil ich diese Entschuldigung so rührend finde. „Fangen wir dieses Spiel etwa wieder von vorne an?“ Ich tippe die Worte und sende sie an die unbekannte Nummer. Wir sind beide der Meinung, dass diese ganze Geschichte mit dem „Stalker“ vielleicht hilfreich war – das muss ich schon zugeben – aber trotzdem nicht weniger bescheuert. Und jetzt fängt er wieder damit an?? In den vier Monaten, in denen ich jetzt schon mit Reita zusammen bin, haben wir Probleme zwar nicht immer auf die direkteste Art und Weise angesprochen, aber so weit, dass er wieder diese dämliche Nummer mit dem unbekannten Absender abzieht, ist er nie gegangen. Mein Handy piept wieder leise. „Es tut mir wirklich Leid, okay?“ Das kann doch echt nicht wahr sein. Er ignoriert mich einfach! „Hör auf mit dem Scheiß, okay? Wir sind zusammen und da geh ich doch davon aus, dass du auch einfach direkt mit mir reden kannst, wenn du irgendein Problem hast! Und entschuldigen kannst du dich auch persönlich!“ Dabei ging es mir gar nicht so sehr um eine Entschuldigung. Solche Auseinandersetzungen wie gestern sind ja nicht wirklich Streits. Wir streiten nicht ernsthaft. Es gehört einfach zu uns dazu. Zu unserer Beziehung. Hat es schon immer, deshalb hab ich auch kein Problem damit. Ich bin eher froh, dass Sachen wie die so geblieben sind, auch nach der ganzen Stalker-Geschichte und auch nachdem wir zusammengekommen ist. Natürlich hat sich auch einiges verändert. Viele dieser Veränderungen waren toll. Der erste nervöse Kuss. Der erste Sexversuch bei Reita, der ein abruptes Ende fand, als Aoi total unwissend ins Zimmer platzte. Der zweite Versuch bei mir als Reita auf unserer stürmischen und chaotischen Reise Richtung Schlafzimmer auf Chikins Schwanz treten musste, der ihm seitdem nur noch böse anfaucht. Natürlich sind nicht alle Veränderungen gut. Eine Beziehung bedeutet immer auch Arbeit. Wir haben beide ein stressiges Leben und mit einem Sturkopf befreundet zu sein ist noch immer etwas anderes, als eine Beziehung mit ihm zu führen. Und wie ich gerade mal wieder feststelle, ist mein Freund der König der Sturköpfe. „Ich mach’s wieder gut, versprochen! Abendessen um 20 Uhr? Ich lad dich ein.“ Ich schüttel genervt den Kopf. Will der mich komplett verarschen? Schließlich stehe ich bereits seit 20 Minuten vor einem Lokal und warte darauf, dass der Herr aufhört seine Haare zu stylen und seinen Hintern hier her bewegt! Ich atme drei Mal tief durch und versuche mich darauf zu konzentrieren, weshalb ich mit so einer nervigen und emotional inkompetenten Person überhaupt zusammen bin. Schon während des ersten Atemzugs fang ich an zu grinsen. Es gibt auf diese Frage so unendlich viele Antworten. Mir fallen all unsere Witze ein, die nur wir verstehen und die meistens ein warmes Lächeln auf unseren Gesichtern hinterlassen. Ich denke daran, wie Reita seine kleinen Sticheleien sofort einstellt, wenn er sieht, dass ich einen harten Tag hatte und mir stattdessen ein Bier und eine Rückenmassage anbietet. Ich sehe die Morgen bei Reita und Aoi vor mir, die meistens darin enden, dass Kanon und ich gemütlich miteinander frühstücken, während die beiden Streithähne sich an die Gurgel gehen. Das alles ist es Wert mit Reitas nervigen Eigenschaften klarzukommen. „Sei froh, dass ich dich liebe, sonst würde ich dich für diese Nummer sicher umbringen,“ antworte ich dem „Stalker“. Die Nachricht ist abgeschickt und ich wende mich wieder anderen wichtigen Fragen zu. Was soll ich später nur Essen. Der Fisch ist hier super, aber eigentlich… Warte… Oh. Oh! Shit! Und damit hätten wir schon das nächste „erste Mal“ abgehakt. Wie konnte ich mich denn bitte selbst so emotional aufwühlen, dass ich Reita eine solche Nachricht schreiben konnte?! Das war das erste Liebesgeständnis zwischen uns überhaupt. Und dann übers Handy! „Fuck!“, rufe ich laut, sodass sich eine Oberschülerin zu mir umdreht. Ich sehe genau, wie sie mich mustert und ich hoffe, dass sie mich nicht erkennt. Das würde ja auch noch fehlen. Aber sie geht weiter. Zum Glück. Und da vibriert auch schon das Handy in meiner Hand. „Sorry, falsche Nummer.“ Das ist alles. Mehr steht in der Nachricht nicht. Ich starre auf die drei Worte, bevor ich meinen Gesendet-Ordner öffne und mir meine letzte Nachricht nochmal durchlese. Und dann seine. Das ist jetzt nicht sein Ernst. Ich mach mich hier zum Trottel und reg mich darüber auf, dass mein erstes Liebesgeständnis an ihn so dermaßen dämlich und unpersönlich war, und von ihm kommt nur ein „Sorry, falsche Nummer.“?? „„Sorry, falsche Nummer“? Ernsthaft?? Also DAS nenn ich wirklich feige. Ich hab hier ein schlechtes Gewissen und du willst mich mit einem „Sorry, falsche Nummer“ abspeisen?? Wenn du keine bessere Erwiderung darauf hast, dann weiß ich auch nicht, was das hier überhaupt soll. Du bist ein feiges Arschloch.“ Ich bin in Rage. Ich meine, die ganze anonyme Anrufer-Nummer schon wieder hat mich ja so schon wütend gemacht, aber jetzt nicht mal anständig auf ein „Ich liebe dich“ antworten können? Gott, bin ich angepisst. Deshalb schicke ich die Nachricht auch ab, ohne nochmal darüber nachzudenken. Und weiter warten werde ich sicher auch nicht. Der Idiot scheint sich ja sowieso sonst noch die Zeit zu vertreiben – oder unsere Verabredung sogar ganz vergessen zu haben, wenn er vorschlägt, mich heute Abend zum Essen einzuladen. Mit dem Handy in der Hand mache ich mich auf den Weg zur Bahn, als das kleine Ding plötzlich anfängt zu klingeln. Das Display verrät mir, dass der Anruf von Reita kommt – bzw von dem Handy, von dem er mir eben die Nachrichten geschrieben hat. Widerwillig nehme ich den Anruf entgegen: „Ich hoffe für dich, dass du eine gute Erklärung dafür hast, weshalb ich dir nicht in den Arsch treten soll für diese total beknackte Nummer. Findest du das etwa komisch?!“ „Ähm… nein, “ kommt die kleinlaute Antwort aus meinem Telefon. Ich bleibe abrupt stehen, was einen Geschäftsmann hinter mir zum Fluchen bringt, der dann direkt genervt an mir vorbeistürmt. „Reita?“, frage ich verwundert nach. „Nein. Hier… hier ist Toki.“ Einen Moment bin ich still und denke nach. Das ist wirklich nicht Reitas Stimme. Selbst, wenn er sie verstellen würde, könnte er sich nicht so anhören. Das lässt für mich nur einen Schluss zu: Der feige Idiot hat sich einen Komplizen geangelt, der für ihn jetzt das Alibi gibt? „Mir ist so ziemlich egal, wer du bist, aber wenn du nicht sofort Reita an den Apparat holst, bist du morgen um diese Uhrzeit ein toter Mann“, knurre ich. Ich habe inzwischen wirklich genug von diesem Spielchen. „Hör zu, ich habe keine Ahnung, was dazwischen dir und deiner Freundin abgeht, aber vielleicht solltet ihr mal mit einem Paar-Therapeuten darüber reden. Fakt ist, dass ich mich verwählt habe und mich persönlich bei dir entschuldigen wollte. Scheinbar hab ich da echt etwas losgetreten und ich würde gerne verhindern, dass Morgen die Yakuza vor meiner Wohnungstür steht.“ Also entweder Rei hat sich auf die schnelle einen verdammt talentierten Improvisationsdarsteller geschnappt, oder aber der Typ sagt wirklich die Wahrheit. „Du willst also sagen, dass du keine Ahnung davon hast, wer Reita ist und wo er sich befindet?“ „Ich hab’s doch schon gesagt! Ich weiß nicht wer… Warte? Reita ist ein Kerl?“ Ich verdrehe bei der Antwort genervt die Augen. Willkommen im 21. Jahrhundert, Volldepp. „Ja, das ist er“, beginne ich genervt zu erklären. „Und er ist mein fester Freund und ich dachte, dass du er seist und mir von einer fremden Nummer schreibst.“ „Was dachtest du?!“ Ich drehe mich langsam zu der Person um, die gerade die Worte gebrüllt hat. Jap, da steht Reita vor mir. Und seinem Blick nach zu urteilen, hat er tatsächlich keine Ahnung mit wem ich da gerade telefoniere. „Hat sich da etwa jemand als ich ausgegeben und mit dir geschrieben?!“ Nein, er hat scheinbar wirklich keinen Schimmer. Ich will ihm gerade die Situation erklären, als er mir aufgebracht mein Handy aus der Hand reißt und den armen Toki anfaucht: „Hast du nen Schaden?? Du kannst dich als jeden ausgeben, aber nicht als mich! Und schon gar nicht als Toras Freund! Da bin ich nämlich der Einzige!“ Ich kann die Erwiderung von „Toki“ nicht hören, allerdings wird sie von Reita mit einem genervten „Wieso?“ kommentiert und dann wandert sein Blick zu mir. Und er sieht mich ganz komisch an. Ich bekomme ein bisschen Angst und da fällt es mir auch sofort wieder ein: Das Einzige, was die Person am anderen Ende der Leitung sagen könnte, was Reita so einen Blick aufsetzen kann. Er starrt mich für einen Moment an und ich kann nicht anders als peinlich berührt wegzusehen. Oh Gott, das war zum im Erdboden versinken. Und gleichzeitig will ich mich selbst schlagen für meine Dummheit. Reita beendet den Anruf ohne ein weiteres Wort und gibt mir das Handy zurück. Wortlos nehme ich es entgegen, immer noch unter seinem Blick, der mich eingehend mustert. „Sorry, ich dachte echt, du wärst das…“, bringe ich schließlich raus. Wir stehen immer noch an der Ecke des Restaurants und die Menschen drängen sich an uns vorbei. „Sonst hätte ich das doch nie gesagt…“ Es war völlig klar, was dieser Toki Reita erzählt hat. Nichts anderes könnte so eine Reaktion bei ihm hervorrufen. Dieser Arsch hat Reita verraten, welche Worte mir rausgerutscht sind! Worte, die ich meinem Freund direkt sagen wollte. Wenn ich sie das erste Mal aussprach zumindest! „Das hoffe ich doch. Ansonsten würde ich dir nen ziemlichen Arschtritt verpassen.“ Und noch bevor ich irgendwas sagen kann, spüre ich, wie mein Herz einen Moment aussetzt. Wegen Reitas Lippen. Die liegen nämlich auf meinen. Nur ganz kurz und als ich es realisiere, sind sie auch schon wieder weg, aber das Gefühl bleibt. Meine Gedanken spielen verrückt. Nur durch diesen einen kurzen Moment. Ich sehe Reita an. Er hat sich zwar wieder von mir entfernt, steht aber trotzdem noch ziemlich dicht vor mir und sieht mich an. Mein Herz klopft schnell. Verdammt, ich fühl mich wie ein verliebtes Schulmädchen! Aber schließlich ist heute auch ein besonderer Tag. Ich habe ihm indirekt gesagt, dass ich ihn liebe, und er hat mich geküsst. Auf offener Straße. Das hat er noch nie gemacht. Das ist einfach nicht Reitas Art und meine irgendwie auch nicht, aber er hat es trotzdem getan. Meine Knie fühlen sich an wie Gummi. „Ich will das selbst hören. Von dir.“ Seine Stimme ist leise, aber ich habe keine Probleme damit, ihn zu verstehen. Schließlich hat er sich noch ein Stück vorgebeugt. Ich will schon ansetzen, aber soweit komme ich gar nicht. „Nicht jetzt und hier. Später.“ Ich bringe nur ein leichtes Nicken zustande, was Reita wiederum dazu bringt, sich mit einem zufriedenen, kleinen Lächeln von mir zu entfernen und nach meiner Hand zu greifen. Sie ist ganz warm. Mir ist warm. Und ich bringe kein Wort zustande, so sehr wirft mich dieser Mann manchmal aus der Bahn. Immer wenn ich glaube, ich hätte ihn verstanden, lerne ich eine neue Seite an ihm kennen. Aber das ist ein weiterer Grund, warum ich ihn liebe. Er zieht mich in das Restaurant, wo wir den Abend damit verbringen werden, uns vollzustopfen und gegenseitig für unbedeutende Kleinigkeiten zu triezen. Dann werden wir nach Hause gehen und ich werde endlich die Worte sagen, die schon seit Wochen gesagt werden wollen und die ich heute endlich aussprechen kann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)