Nur ein Mal ... von Koinu ================================================================================ Kapitel 2: ... l(i)eben ----------------------- Laut keuchend fuhr der junge Mann in die Höhe und blickte sich unruhig im Raum um. Sein Atem ging schnell und stoßweise, er war schweißgebadet, sein Herz hämmerte unangenehm gegen seinen Brustkorb, seine Hände zitterten und er benötigte einige tiefe Atemzüge um sich einigermaßen zu beruhigen. Leicht desorientiert sah er sich um. Seine Augen tasteten das Zimmer ab und mit Erleichterung stellte er fest, er war allein. Langsam richtete sich sein Blick nach rechts. Sanft spielte ein leichter Luftzug, der durch das gekippte Fenster drang, mit den Vorhängen. Es war noch dunkel draußen und das Licht des Mondes schien nur sehr gedämpft durch den dunklen Stoff. Erschöpft ließ er sich wieder in die Kissen fallen und fuhr sich, unter einem leisen Ächzen, mit der Hand durch die Haare und anschließend über sein Gesicht. Er hatte das Gefühl, die Schmerzen noch immer zu spüren. Für einen Moment schloss er wieder die Augen und ließ die eben gesehenen Bilder noch einmal durch seinen Geist wandern. Es war nur ein Traum. Ein hektisches, schrilles Piepen ließ den jungen Mann abermals erschrocken, plötzlich aus seinen Gedanken gerissen, in die Höhe fahren. Nachdem er sich, einigermaßen, wieder unter Kontrolle hatte, ruckte sein Kopf herum und sein Blick taxierte den Übeltäter, welcher auch kurz darauf zum Schweigen gebracht wurde. Vielleicht sollte er dringend darüber nachdenken, sich einen anderen Wecker zu zulegen. Das Stechen hinter seinen Schläfen war beinah Bestätigung genug. Mit einem leisen Seufzen schob er sich zur Bettkante, setzte die Füße auf den kühlen Boden und verharrte noch für einen Moment, seine Nasenwurzel leicht massierend. Wie schön, dass er jetzt mit diesen blendenden Kopfschmerzen in den Morgen starten konnte. Aber es half ja alles nicht, es war Montag und er musste heute in die Schule. Immerhin hatte er den Aufsatz für Sozialkunde einzureichen. Kurz glitt sein Blick zum Schreibtisch, auf dem besagtes Objekt lag, dann stand er mit einem resignierten Seufzen auf und begab sich langsam ins Bad. Vielleicht würde eine Dusche den Kopfschmerzen wenigstens etwas entgegen wirken und in seinem verschwitzten Zustand, war sie allemal nötig. Das Geräusch, leiser, platschender Schritte von nackten Füßen auf harten Fliesen erklang, gefolgt vom leisen Geraschel der Kleidung, die, kurz darauf, achtlos auf dem Boden landete. Träge stieg der Oberschüler in die Dusche. Er hasste Montage, kündigten sie doch immer den Beginn einer anstrengenden Woche an. Aber momentan verabscheute er nichts mehr als diese Alpträume, die ihn schon seit langer Zeit nicht mehr ruhig durchschlafen ließen, selbst jetzt verfolgten ihn die damaligen Erlebnisse noch, hatte er doch gedacht es hinter sich gelassen zu haben. Eigentlich hatte er angenommen die Träume hätten mittlerweile etwas nachgelassen, es wäre sicher nur eine Phase, doch seit einer Weile hatten sie wieder an Intensität gewonnen. Der Grund dafür war ihm schleierhaft und er weigerte sich wegen so etwas wie simplen Alpträumen einen Arzt oder gar Psychologen aufzusuchen. Ein abfälliges Schnauben war durch das Rauschen der Dusche vernehmbar. Niemand wusste davon oder würde es je erfahren. Langsam begann er sich unter der warmen Flüssigkeit, die seinen Körper hinab rann, zu entspannen. Der junge Mann spürte, wie sich seine verkrampften Muskeln langsam lockerten, auch wenn dies, wie er wusste, nicht von langer Dauer sein würde. Im Moment jedoch, war es mehr als angenehm. Gemächlich griff er nach dem Duschgel, dann fuhren seine Hände seinen Körper entlang und er begann sich vom Schweiß der Nacht zu befreien. Nachdem die Seifenreste von seinem Körper durch das warme Wasser weggespült wurden, wusch er sich die Haare und blieb dann noch einige Momente in der angenehmen Hitze stehen. Lange konnte er jedoch nicht mehr verweilen, da ihm dazu dann doch die Zeit fehlte, also stieg er aus der Dusche, griff nach einem Handtuch und begann sich zu trocknen. Der Rest seiner morgendlichen Routine im Bad wurde abgespielt und erst als er in seinem Zimmer angekommen, vor dem Spiegel seines Kleiderschrankes stand, hielt er wieder für längere Zeit inne und betrachtete sich, leicht in Gedanken versunken. Langsam wanderte der Blick des jungen Mannes von unten über seine langen, schlanken Beine höher, über den flachen, trainierten Bauch und weiter, über die leicht sichtbaren Rippenbögen und die straffe Brust. Dort verweilte er für einen etwas längeren Moment, sich die feinen, auf der hellen Haut kaum sichtbaren Narben betrachtend, welche sich teils auf seiner Brust und am Halsansatz, sowie seinen Schultern befanden, um sich von dort zu seiner Rückseite zu schlängeln. Er wusste nur zu genau um ihre Herkunft, war dies doch ein immer wiederkehrender Teil seiner nächtlichen Störungen. Seinen Rücken ließ er bei seinen weiteren Betrachtungen nun bewusst aus, wollte er doch nicht sehen, was sich dort schon seit Jahren befand, er wusste es ohnehin und es weckte nur schmerzhafte Erinnerungen. Also setzte er seine Erkundung fort und betrachtete sich das Gesicht seines Spiegelbildes. Es war recht blass, was keine weitere Überraschung war, bedachte man den Schlafmangel, verursacht durch das ohnehin schon späte zu Bett gehen und die zusätzlichen Alpträume. Die helle Haut, die sich über seine Knochen und Muskeln spannte, war an den Wangen leicht eingefallen. Er hatte wohl schon wieder mehr abgenommen, als erwartet, was ihm auch der vorherige Anblick seiner Rippenbögen bestätigte. Doch wirklichen Appetit hatte er in letzter Zeit einfach nicht verspürt, was an dem Stress und den Träumen liegen mochte. Mit einem kleinen Seufzen wurde die Beobachtung fortgesetzt. Das mittlerweile trockengeföhnte Haar glänzte leicht im Schein der Deckenlampe, war gut gepflegt und wie immer in perfekter Form gestylt. Es umspielte, in einem starken Kontrast, die markanten Gesichtszüge, die so oft hart und kühl wirkten, augenblicklich aber nur Erschöpfung zeigten, so wie auch die Augen. Er blickte in die Seelenspiegel vor sich und müde war wohl ein passendes Wort, um den Ausdruck, der in ihnen lag zu beschreiben. Das sonst so scharf und kalt funkelnde Blau wirkte eher stumpf und matt, weniger wie Eis, mehr wie Wasser. Ob dieser ruhige, unbewegte See, in den man zu blicken glaubte, nun warm oder eiskalt war, vermochte man nicht zu sagen. Das Bedürfnis, hineinzusteigen und es herauszufinden, wollte jedoch auch nicht unbedingt aufkommen, erschien das Wasser doch viel zu ruhig, beinahe schon tot. Als der Brünette diesen Ausdruck das erste Mal wahrgenommen hatte, war er leicht erschrocken, mittlerweile, hatte er sich einigermaßen daran gewöhnt in diese matten, fast leblosen Augen zu blicken. Er war sich nicht mehr sicher, wann genau es passiert war, doch mit der Zeit war etwas aus seinem Inneren verschwunden und sein Feuer zu einer matten Glut verglommen. Die Kraft, die Flammen wieder zu schüren, besaß er nicht, egal wie viel Macht er sonst sein Eigen nannte und wenn man ganz genau hinsah, dann konnte man auch den Grund erkennen. Es war Einsamkeit, die sich in diesen blauen Tiefen verbarg. Seto Kaiba war einsam. Doch niemand würde je davon erfahren, denn jeden Morgen, nachdem er in diese, seine, Augen geblickt hatte, zwang er sich die übliche Maske auf und diese würde bleiben, bis er, spät nachts, wieder allein in seinem Zimmer war und einschlief. Er hasste es, sein wahres Selbst verleugnen zu müssen, doch was blieb ihm schon anderes übrig? Der Firmenchef konnte seine wahren Gefühle nicht zeigen, denn es machte ihn schwach und angreifbar. Es könnte ihn alles kosten, nicht nur seine Firma, sondern auch seinen kleinen Bruder, für den er mühsam das Sorgerecht aufrecht erhielt. Seto wusste, dass er es sich nicht leisten konnte verletzt zu werden, auch um seiner selbst willen. Sein kleiner Bruder hatte allerdings keine Ahnung, von diesen Gedanken und so sollte es auch bleiben, denn der Kleine sorgte sich schon mehr als genug um ihn. Zeit, weiterhin über sich nachzudenken, hatte er jetzt allerdings nicht mehr, mal davon abgesehen, dass er es auch nicht wollte, denn den besagten kleinen Bruder sollte er so langsam einmal wecken, also griff der Brünette in seinen Kleiderschrank, zog die Schuluniform heraus und kleidete sich an. Ein letzter Blick in den Spiegel folgte und die Maske aus Eis und Gleichgültigkeit war, gezwungenermaßen, aufgesetzt und alle störenden Gedanken abgestellt. Routiniert wurde die Schultasche gepackt und auch der Aufsatz darin verstaut, den er heute abgeben musste, dann machte er sich auf zum Zimmer des jüngeren Kaiba. Wie jeden Morgen, war der Schwarzhaarige leicht mürrisch, wenn es ums aufstehen ging, aber trotz allem reagierte er ohne Umschweife auf die nahezu liebevolle Weckaktion seines großen Bruders und verschwand im Bad. Nur für Mokuba ließ Seto einen winzigen Teil seiner Maske fallen und zeigte ein paar Emotionen. Nachdem der Jüngere verschwunden war, um sich fertig zu machen, verließ der Brünette das Zimmer auch schon wieder. Es entsprach seiner morgendlichen Routine, vor dem Frühstück noch einmal in seinem Büro den Tagesplan durchzusehen. Da sein Bruder sowieso noch etwas Zeit benötigen würde, nahm er am großen Schreibtisch platz und las noch ein paar E-Mails auf seinem Laptop. So wie es aussah, würde der Tag wieder lang und stressig werden, denn es standen diverse Konferenzen und Vertragsgespräche an, mal abgesehen von den unzähligen Telefonaten und dem nie endenden Papierkram. Er würde in der Schule wohl wieder einmal die Stunden damit verbringen müssen, sich auf die anstehende Arbeit in der Firma vorzubereiten, den Schulstoff beherrschte er ohnehin schon seit Jahren. Nachdem er sich die notwendigen Akten und Papiere zusammengesucht und eingepackt hatte, meldete sich auch schon der Wecker seines Mobiltelefons mit einem leisen Signal, dass es Zeit wäre seinem kleinen Bruder beim Frühstück Gesellschaft zu leisten. Leicht irritiert, dass schon wieder mehr als eine halbe Stunde vergangen war, ohne dass er es wirklich bemerkt hatte, fuhr der Firmenleiter seinen Laptop herunter, verstaute ihn sicher in seiner Tasche und begab sich zur Küche. Wie erwartet, saß dort auch schon Mokuba am Tisch und beschmierte sich eifrig seine Brötchen mit einer braunen, nussig süßen Schokoladenmasse. Doch mit dem Essen begann der Kleine erst, nachdem Seto sich mit einem Kaffee ebenfalls am Tisch niedergelassen hatte. Es war für beide selbstverständlich, dass der Eine auf den Anderen wartete, immerhin war das Frühstück einer der wenigen Momente in ihren Tagesabläufen, wo sie sich effektiv zu Gesicht bekamen und Zeit mit einander verbrachten. Das war auch der Grund, weshalb der Brünette sich im Büro zusätzlich einen Wecker stellte und auch wenn der Firmenchef es ungern zugab, eines der wenigen Dinge, für die er seine Arbeit einfach liegen ließ. Kurz beäugte er die mit Braun bekleisterten Brötchenhälften auf dem Teller seines Gegenübers, unterließ es jedoch etwas zu sagen. Manchmal war es Seto schleierhaft, wie der Kleine es schaffte, sich so viel Zucker auf einmal einzuverleiben und das auch noch am frühen Morgen. Jeden Tag trank Mokuba zu seinen Brötchen noch einen viel zu süßen Kakao und verschlang neben der Nougatmasse auch noch Marmelade auf seinem hellen Gebäck. Dass er bisher noch nicht durch die Gegend rollte oder gar einen Zuckerschock erlitt, mochte wohl nur an der vielen Bewegung und der sonst gesunden Ernährung liegen. Seto trank jedenfalls erst mal einen Schluck seines Kaffees und widmete sich dann eher halbherzig der Morgenzeitung. Mit einem Ohr lauschte er stets den Worten seines kleinen Bruders, der ihm von den Erlebnissen des Vortages und seiner heutigen Tagesplanung erzählte. Für einen Außenstehenden mochte er desinteressiert wirken, doch sie beide wussten, wie wichtig es dem Brünetten war, zu hören, dass alles in Ordnung sei, auch wenn er es nicht gut zu zeigen vermochte. Der Oberschüler hatte sich geschworen, dem Kleinen eine gute und vor allem fröhliche Kindheit zu ermöglichen. Eine, die er selbst niemals hatte. Während der kleinere Kaiba nun da saß und Brötchen um Brötchen vertilgte, begnügte sich der größere mit seinem schwarzen Kaffee und der Morgenzeitung. Man konnte sagen was man wollte, aber Seto Kaiba war einfach kein Frühstücksmensch. Zum einen verspürte er um diese Uhrzeit einfach noch keinen Hunger, da ihm die Müdigkeit noch in den Knochen steckte, zum anderen war er auch nicht gerade ein Verfechter der westlichen Frühstücksvariationen. Er konnte diesem ganzen unterschiedlichen Gebäck nichts abgewinnen, mochten es nun Brötchen, Toast oder Croissants sein. Die einzige Ausnahme bildete sein Kaffee, doch auch nur, weil dieser es vermochte, seine müden Lebensgeister einigermaßen zu wecken und ihn auch wach zu halten. Tee hatte er für dieses Unterfangen schon vor langer Zeit aufgegeben. Hin und wieder glitt sein Blick gen Uhr und anschließend zu seinem Bruder, der gerade seine letzte, es war neben bei bemerkt die vierte, Brötchenhälfte aß und noch munter am Erzählen war. Allzu viel Zeit blieb ihnen nicht mehr, also widmete er sich dem letzten Rest des Käseblattes in seinen Händen, während er hin und wieder an seinem schwarzen Getränk nippte. Dies erledigt, faltete er das Papier wieder ordnungsgemäß zusammen und legte es bei Seite, was für Mokuba gleichzeitig das Zeichen des Aufbruches war. Während Seto noch in Ruhe seine Tasse leerte, stopfte sich der Kleine die letzten Fragmente seines Schokomassakers in den Mund und spülte mit seinem Kakao anschließend alles hinunter. Leicht musste der Geschäftsmann über das verschmierte Gesicht seines kleinen Bruders schmunzeln und schickte ihn mit einem leichten Nicken ins Bad, um sich fertig zu machen. Schnell war der Jüngere von seinem Stuhl gesprungen und wie der Wind verschwunden. Er selbst wanderte in sein Arbeitszimmer, griff seinen Koffer, der seinen Laptop, seine Schulsachen und die Unterlagen für die Arbeit beinhaltete, kontrollierte noch einmal alles auf seine Richtigkeit und fand sich beinahe zeitgleich mit Mokuba in der Eingangshalle wieder ein. Nur ein paar Minuten später schlug der Chauffeur die Tür zur Limousine zu, die auch sofort ihren Weg zu Mokubas Schule antrat. Dem Brünetten war es mehr als recht, dass Mokubas Unterricht eine halbe Stunde vor seinem begann. Auf diesem Wege war er früh in der Schule und hatte noch ein wenig Zeit, um ungestört zu arbeiten. Nachdem sein Bruder abgesetzt wurde und der Wagen sich in Richtung Domino High bewegte, begann der Firmeninhaber nicht gleich wie gewohnt zu arbeiten, sondern verfiel, wie so oft in den letzten Tagen, in Gedanken. Sein Blick war dabei unfokussiert aus dem Fenster gerichtet. In einem tristen Grau zogen die Häuser an ihm vorbei und der Regen prasselte auf das Wagendach. Er mochte dieses Wetter in keinster Weise. Die Nässe war unangenehm und kroch meist, trotz anständiger Bekleidung, auf seine Haut und hinterließ dort ein klammes Gefühl. Es ließ ihn leicht frösteln, obwohl die Temperaturen noch im angenehm warmen Bereich waren. Was ihn jedoch am meisten störte war dieses eintönige Grau. Es erinnerte ihn an sein monotones und einsames Leben. Wenn es nach ihm ginge, würde er längst nicht mehr seine Zeit damit verschwenden, in die Schule zu gehen, doch leider machte ihm das Jugendamt einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Wollte er das Sorgerecht für seinen Bruder weiterhin behalten, dann musste er diesen Abschluss machen und sich, wohl oder übel, Tag für Tag in diese Lehranstalt quälen. Das Amt jedenfalls interessierte es kein Stück, dass er der reichste Mann Japans war und ein ganzes Imperium führte. Seine ganze Macht nutzte ihm in diesem Fall nicht das Geringste. Zum Glück musste er nur noch ein gutes halbes Jahr hinter sich bringen und dieser kleine persönliche Alptraum wäre vorbei. Dass er sich schrecklich langweilte grenzte schon an eine Untertreibung. Was die Lehrkräfte dort vorn erzählten, beherrschte er bereits mit vierzehn Jahren im Schlaf, dank seines Adoptivvaters. Es war schlichtweg ermüdend, sich all das noch einmal anhören zu müssen. Die Klausuren gingen ihm flüssig von der Hand, ohne dass er groß nachdenken musste, immerhin beschäftigte er sich tagtäglich mit weitaus komplizierteren Dingen. Mündliche Mitarbeit forderten die Lehrer zum Glück von ihm mehr als selten ab und dann auch nur das Nötigste. Einer der wenigen Vorteile, in seiner Situation, war es, dass er wenigstens im Unterricht nahezu ungestört arbeiten konnte. Der Wagen kam zum Stehen und der Brünette blinzelte leicht irritiert. Hatte er jetzt wirklich den Rest der Fahrt komplett verträumt? Als er das Schulgelände durch die abgedunkelten Scheiben erblickte, entrann ihm ein leiser Seufzer. Resignierend straffte er seine Schultern, nahm seinen Koffer und stieg, die gewohnte Eismaske noch einmal festigend, aus dem Auto. In der Zwischenzeit war sein Fahrer bereits um das Gefährt gehetzt und hielt ihm einen Schirm über den Kopf, welchen er auch sogleich entgegen nahm und sich anschließend ins Innere des Gebäudes begab. Wie jeden Morgen suchte er seine benötigten Schulutensilien aus dem Koffer, zog seinen Laptop hervor und fischte, während das Gerät hochfuhr nach den benötigten Unterlagen seiner Firma. Ohne seine Umgebung weiter zu beachten, begann er mit der Arbeit. Wenn alles gut lief, konnte er heute Abend vielleicht mal etwas früher nach Hause und Zeit mit Mokuba verbringen. In der Zwischenzeit füllte sich der Raum langsam mit den restlichen Schülern der Klasse, die sich munter tratschend in kleine Grüppchen aufteilten. Der Firmenchef interessierte sich dafür nur wenig und ging seiner Arbeit nach. Er hatte schon früh gelernt seine Umgebung auszublenden, um sich auf wichtige Dinge zu konzentrieren. Trotz allem, konnte er eine bestimmte Gruppe nicht so leicht ignorieren. Zwar tummelten sich die drei Schüler auf der anderen Seite des Raumes und behelligten ihn nicht weiter, doch bei diesen speziellen Individuen ließ er Vorsicht walten. Oft genug wurde er von Yuugi und seinem Kindergartentrupp in Dinge verwickelt, die er mehr als gern umgangen oder gar ignoriert hätte. Leider war der Junge mit der Stachelfrisur mehr als aufdringlich gewesen, wenn es darum ging Seto in die Gruppe einzureihen. Doch mittlerweile schien er es aufgegeben zu haben und er ließ den Brünetten weitgehend in Ruhe. Ein Plagegeist fehlte allerdings der Vollständigkeit halber noch in der kleinen Gruppe und auch wenn der Unterricht in wenigen Minuten begann, so würde man ihn erst nach weiteren zehn bis fünfzehn Minuten zu Gesicht bekommen. Es war nicht ungewöhnlich, dass der blonde Querulant erst weit nach Beginn der Stunde eintraf und jedes Mal die lausige Ausrede des Verschlafens vorschob. Selbst die Lehrkräfte hatten es nach über zwei Jahren aufgegeben ihn zu maßregeln. Wahrscheinlich waren sie einfach froh, ihn bald los zu sein. Der Brünette hatte sich mit dem Blonden noch nie verstanden. Schon bei ihrer ersten Begegnung waren sie sich an den Hals gesprungen und daran hatte sich bis heute nicht das Geringste geändert. Seto wusste, was den Anderen so maßlos an ihm aufregte und störte, gab dieser es doch lautstark jedes Mal von sich, wenn sie aufeinander trafen. Manchmal setzte der Firmenchef auch genau das, was den Chaoten so störte, gezielt ein um ihn aus der Haut fahren zu lassen. Auf die ein oder andere verquere Art und Weise machte es ihm sogar Spaß den Anderen auf die Palme zu bringen. Seto selbst konnte in ihren täglichen Streitereien Dampf ablassen und so etwas Stress der Arbeit abbauen. Doch das allein war nicht der Grund warum er so eine tiefgehende Abneigung seinem Mitschüler gegenüber empfand. Viel mehr lag es an der permanenten guten Laune des Blondschopfes. Egal was passierte, er lachte, grinste oder hatte irgend einen dummen Spruch auf Lager. Selbst dann, wenn er eine schlechte Note nach der anderen bekam, war seine Stimmung ungetrübt. Dem Firmenleiter kam es so vor, als würde es ihn nicht interessieren, als wäre so etwas wie Schule vollkommen unwichtig. Und genau dieses Verhalten stieß dem hart arbeitenden Oberschüler in einer Weise sauer auf, die er sich selbst nicht vollkommen erklären konnte. Etwas daran schien einfach falsch und machte ihn, auf eine verquere Art und Weise, ein wenig unruhig. Vielleicht hatte Seto auch deshalb so einen perfiden Spaß daran, den Blonden immer wieder zu reizen und anzustacheln. Er wollte ihn aus der Reserve locken, denn niemand konnte uneingeschränkt gute Laune haben. Nicht einmal Yuugi, der kleine Stacheligel, mit seinem Herz der Karten, schaffte das. Je weiter der Unterricht jedoch voranschritt, ohne das Auftauchen Katsuyas, wurde die kleine Clique immer unruhiger. Die erste Stunde verstrich und nach der Zweiten begannen nun langsam auch die übrigen Schüler zu tuscheln und sich zu fragen, wo denn der Blonde nun blieb. Seto interessierte es nicht, wo sich der, von ihm so gern betitelte Straßenköter, wieder einmal herumtrieb. Aber die zunehmende Unruhe der Klasse und vor allem der Gruppe um Yuugi, ging ihm so langsam auf die Nerven und machte es schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Nach der dritten Stunde hieß der Firmenchef die lange Pause sehr willkommen. Die Schüler verließen in Scharen den Klassenraum, sodass er endlich etwas Ruhe bekam zum arbeiten und um seine gestressten Nerven etwas zu beruhigen. Normalerweise würde er jetzt draußen auf dem Hof sitzen und dort arbeiten, jedoch hatte er beim derzeitigen Wetter absolut kein Interesse daran. Zu seinem Unmut machte sich allerdings sein Mobiltelefon bemerkbar und das darauffolgende Telefonat ließ seine ersehnte Ruhe förmlich in verpuffen. Natürlich konnte in der Firma nicht mal einen Tag etwas ohne Probleme verlaufen. Nachdem er seinen Mitarbeiter am anderen Ende der Leitung gehörig zurechtgewiesen und zur Sau gemacht hatte, legte der CEO mit einem Knurren auf. Gereizt rief er sein Kaiba Corp. internes Postfach auf und sah sich das angefallene "kleine Problem" genauer an. Die Mine des Oberschülers verdunkelte sich rapide, als er die Nachrichten mit den Dateianhängen scannte. "Klein" würde er besagtes Problem nicht nennen. Seto stieß einen Fluch aus, kramte in seinem Koffer und zog ein paar Unterlagen hervor, die er recht unsanft auf den Tisch knallte. Zum Glück war niemand außer ihm hier im Raum, denn ein Seto Kaiba fuhr nicht so einfach aus der Haut. Ein Kaiba war immer kontrolliert und ruhig. Er hasste diesen Tag. Soeben hatte sich sein früher Feierabend und seine Freizeit mit Mokuba in Luft aufgelöst und stattdessen eine weitere Nacht im Büro angekündigt. Zu seinem Leidwesen, konnte er dieses Problem an niemanden in seiner Firma abschieben. Frustriert begann er, auf der Tastatur hämmernd, mit der Arbeit. Nur wenige Minuten später verkündete die Schulglocke schon den Beginn der nächsten Stunde und die Schüler strömten wieder zurück in den Raum. Als sie sich jedoch mit dem gereizten und miesgelaunten Kaiba konfrontiert sahen, erstarb das fröhliche Getratsche rasch und jeder sah zu, dass er dem Blauäugigen keinen Anlass gab, ihn vielleicht doch in der Luft zu zerreißen. So manch einer wünschte sich im Stillen Jounouchi herbei, der Kaibas Zorn auf sich ziehen und so allen anderen das Leben retten würde. Doch der blonde Chaot wollte sie wohl heute nicht mit seiner Anwesenheit beglücken. Seto hatte nun keinen freien Gedanken mehr für den Köter oder den langweiligen Sozialkundeunterricht. Seinen Aufsatz zog er nur beiläufig aus dem Koffer und reichte ihn an den verantwortlichen Schüler weiter. Sozialkunde war eines der Fächer, dass ihn am wenigsten interessierte. Er kannte sich gut genug mit der momentanen politischen Lage aus, da es für ihn und die Firma wichtig war. So lauschte er den Worten der Lehrkraft nicht weiter und vertiefte sich in seine Arbeit. Wenn er Glück hatte, würde er vielleicht noch ein paar Stunden Schlaf herausarbeiten können. Den darauf folgenden Sportunterricht ließ der CEO geflissentlich, mit der Ausrede eines wichtigen Geschäftstermins, ausfallen. Lieber nutzte er die Zeit um kurz nach Hause zu fahren, sich umzuziehen und dann in die Firma zu verschwinden. Wollte er diese Nacht noch fertig werden, brauchte er jede erdenkliche Minute. Zu seinem Leidwesen konnte er sich nicht komplett dem neuen Problem widmen, da auch noch ein sehr wichtiges Meeting auf ihn wartete. Jedoch war die durch den Sportunterricht gewonnene Zeit sehr willkommen. Während er also seinen Laptop malträtierte und von seiner Sekretärin mit Kaffee und den benötigten Informationen und Unterlagen versorgt wurde, verging Stunde um Stunde. Die Konferenz gestaltete sich als anstrengender und nervenzehrender als er es sich ohnehin schon vorgestellt hatte. Wie Kaugummi zogen sich die Minuten und während jeder seine überaus wichtige Meinung kundgeben musste und das eigene Anliegen als oberste Priorität erachtete, wünschte sich der Oberschüler nichts sehnlicher als seine Ruhe in seinem Bett. Immer wieder musste er die streitenden Parteien zur Ordnung rufen und Dinge neu aushandeln, die eigentlich schon längst beschlossen gewesen waren. Es war ermüdend und doch auch nach diesen zermürbenden Stunden hatte der junge Mann noch lange keine Ruhe. Er gönnte sich eine kurze Pause und würgte etwas von dem Essen hinunter, welches ihm seine Sekretärin hingestellt, oder viel eher aufgezwungen, hatte. Es war nicht viel, aber irgendetwas musste er ja zu sich nehmen. Von Kaffee allein konnte man leider nicht leben. Zeitgleich sortierte er allerdings schon die nächsten Unterlagen und verschaffte sich einen Überblick über die noch anstehende Arbeit. Es sollte noch ein langer Tag werden. Leise öffnete sich die große Tür der Villa und ein müder Firmenchef betrat das Haus. Es war fast so spät wie erwartet geworden. Träge zog er sich die Schuhe aus und stieg die große Marmortreppe hinauf, unterwegs zu seinem Zimmer stoppte er allerdings noch einmal. Lautlos wurde der Koffer neben der Tür abgestellt, eben diese genauso geräuschlos geöffnet, bevor der Brünette sich hineinschob und an das Bett seines Bruders trat. Behutsam ließ sich der Ältere auf die Bettkante sinken. Fürsorglich wurde die Decke noch einmal zurecht gezogen und dem Schlafenden leicht über die lange Mähne gestrichen. "Schlaf gut, Moki." Noch einen kleinen Kuss auf die Stirn seines kleinen Bruders hauchend, zog sich Seto dann auch wieder leise zurück. Er war müde und würde von den paar Stunden die ihm noch blieben, gern welche zum Schlafen nutzen. Schnell war er daher auch in seinem eigenen Zimmer angekommen, stellte seinen Koffer weg und suchte sich seine Schlafsachen. Mit diesen verschwand er noch einmal kurz ins Badezimmer für eine kurze Katzenwäsche. Nachdem alles notwendige erledigt war, begab auch Seto sich endlich zu Bett. Kurz glitt sein Blick zur leuchtenden digitalen Anzeige des Weckers. Es war bereits drei Uhr morgens. Mit einem leisen Seufzen aktivierte er den Alarm und ließ sich dann in die Kissen fallen, bevor er seine Gedanken noch etwas wandern ließ. Wieder einmal hatte er einen weiteren Tag überlebt. Anders konnte man es schwerlich nennen. Wie eine Maschine arbeitete er seinen Tagesablauf ab, musste immer perfekt funktionieren. Pausen waren selten und meist nur von sehr kurzer Dauer. Seto hatte das Gefühl, als wäre er die ganze Zeit in Bewegung, dabei wünschte er es sich auch einmal anhalten zu können und den Moment zu betrachten, durchzuatmen. Doch dies schien ihm im Augenblick verwehrt. Stillstand war nicht vorgesehen, denn eine Maschine brauchte keine Pausen. Eine Maschine benötigte auch keine Gefühle. So hatte Gozaburo Kaiba ihn erzogen. Doch jedes Mal, wenn er spät nachts in seinem Bett lag und nachdachte, umfingen ihn mehr Gefühle als er fähig war zu verstehen. Er war keine Maschine, sondern ein Mensch. Er hatte sich von Gozaburo befreit und trotzdem hielt dieser ihn nach all den Jahren immer noch gefangen. Nacht für Nacht in seinen Träumen suchte dieses Monster den jungen Mann heim und ließ ihn die Qualen seiner Kindheit wieder und wieder durchleben. Seto wollte diese Erinnerungen nicht. Am liebsten würde er es einfach so hinter sich lassen, sein eigenes Leben führen. Doch Gozaburo hatte sichergestellt, dass der Brünette nicht vergaß und durch das übernommene Imperium hatte Seto keine andere Wahl, als die eisige Maske weiterhin zu tragen. Zu seinem, aber vor allem, zu Mokubas Schutz. Er konnte und wollte es nicht riskieren, sein einziges, ihm noch gebliebenes Familienmitglied zu verlieren. Tief in seinem Inneren, wusste Seto Kaiba, was er sich wünschte. Doch waren diese Wünsche nicht von Hoffnung getragen. Nicht seines Namens, oder Geldes halber wollte er geliebt werden. Seto wollte endlich als Mensch anerkannt und als die Person geliebt werden, die er war. Er wollte seine Gefühle offen zeigen können und frei sein. Nur gab es da das Problem, dass er nie wirklich gelernt hatte mit den ganzen auf ihn einwirkenden Emotionen umzugehen, hatte er sie doch bisher hinter einer festen Mauer aus Eis verbergen müssen. Er wurde erzogen, keine Fehler zu machen, doch bei Gefühlen passierte es so oft, dass man sich irrte, oder den Anderen falsch verstand. Er wusste nicht damit umzugehen und das bereitete dem Brünetten Unbehagen. Wer würde sich schon auf so etwas wie ihn einlassen? Wer würde sich die Mühe machen und versuchen hinter seine Maske zu blicken? Die matt beleuchteten Zahlen des Weckers zeigten unterdessen halb vier, als der Oberschüler langsam in den Schlaf gefunden hatte. Sanft spielte ein leichter Luftzug mit den Vorhängen, durch welche das fahle Mondlicht zusätzlich gedämpft wurde. In zwei Stunden würde sein Wecker wieder klingeln und ein neuer Tag in Setos persönlichem Alptraum beginnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)