Drown von KyokosTears ================================================================================ Kapitel 1: ~*~ -------------- Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages brannten in meinen Augen. Ich konnte es nicht fassen, das ich einfach wieder erwacht war. Zwischen gestern und heute schienen Welten zu liegen. Ich wollte aufstehen und sehen, ob die Welt noch funktionierte, ob es nur meine Welt war, die aus den Fugen geraten zu sein schien, doch die Schuldgefühle lagen wie ein schweres Gewicht auf meiner Brust. Ich konnte einfach nicht aufstehen, konnte den vorwurfsvollen Blicken nicht begegnen, die mich sicherlich treffen würden. Good morning day Sorry I’m not there But all my favourite friends Vanished in the air Ich hatte ihn getötet. Ganz sicher. Er war nicht einfach verschwunden, sondern lag irgendwo auf dieser Welt einsam und vergessen und tot herum. Ich hatte ihn getötet! Diese Gewissheit schnürte mir die Luft ab und ich begann leise zu stöhnen. “Steven? Ist alles okay bei dir?” Die besorgte Stimme meiner Mutter erklang hinter meiner verschlossenen Tür. Ich hatte doch gewusst, das sie nur darauf lauern würden, das ich irgendein Lebenszeichen von mir gebe. “Ja, Mum. Lass mich erst noch wach werden, ich komme gleich raus.“ Die Hände auf das Gesicht gepresst, versuchte ich so zu tun, als wenn das alles nicht passiert wäre. Ich wollte durch diese Welt fliegen, mich selbst retten und endlich sein wie alle anderen Jugendlichen in meinem Alter. Ich wollte und konnte dieses tote Gewicht nicht mehr hinter mir herziehen. Ich hatte ihn nicht auch noch tragen können; voran zu laufen, irgendwelche Schritte, welcher Art auch immer, in Richtung Leben zu machen, war auch für mich schwer genug. Ich beneidete die meisten meine Klassenkameraden, die mit einer lässigen Körperhaltung jeder Situation entgegen liefen, als würde ihnen die Welt gehören. Gott- was man alles tun könnte, wenn einem wirklich die Welt gehören würde. Doch Gott, dem die Welt ja gehört, der tut nichts damit. Der macht einfach nichts draus, sondern faltet die Hände stumm im Schoss und seine Schäfchen werden aufgefordert, dasselbe zu tun. Gut- mit gefalteten Händen im Schoss kann man immerhin niemanden umbringen. Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, da fiel mir auf, das ich genau das getan hatte- ich hatte meinen Freund getötet, ohne einen Finger zu rühren. Mein ganzes Karma schien vergiftet zu sein. “Unschuldig! Ich bin unschuldig!” Ich verdrehte die Augen zum Himmel, tat so, als wäre ich ein guter Christ und nicht bloss einer dieser Heuchler, die sich nur an ihren Schöpfer erinnerten, wenn sie Probleme hatten. So wie ich. Ich wartete, ob mich jemand erhören würde. Nichts passierte. Was auch sonst? Es gibt keinen Gott und ich brauche auch nicht einfach einen Exorzismus bis ich wieder ein netter umgänglicher Mensch geworden bin. Da oben konnte einfach niemand sein, der auf seine Schöpfung achtgab, sonst wäre mir das hier alles erspart geblieben. Das hier hatte niemand verdient. Es ist so schwer zu fliegen, wenn man nicht einmal laufen kann. Ich bin gestolpert und dabei begann ich doch gerade erst Schwung zu holen. Das war nicht fair! Ich zerknüllte meine Spiderman- Bettwäsche in der Faust und grummelte in mich hinein. Ich wohnte immer noch in meinem Kinderzimmer. Gut, ich war auch erst 16 Jahre alt. Aber diese Bettwäsche… Ein Hohn. Den Traum vom Superhelden konnte ich nach der letzten Nacht wohl begraben. Ich war erwachsen. Ich war schuldig. Die Spiderman- Zeiten waren wirklich gelaufen für mich. Meine Jeans lag direkt neben meinem Bett. Ich sah sie an und stellte fest, das keine Blutspuren zu sehen waren. Befriedigt nickte ich. Vielleicht würde doch alles gut werden. Gähnend schwankte ich hinüber zu meinem Spiegel und überprüfte meine Stirn. Gut. Kein Zeichen der Verdammnis. Meine Stirn war, bis auf zwei kleine Pickel, glatt wie ein Baby-Arsch. Ich starrte mein Spiegelbild weiter an, beobachtete, wie meine Stirn sich wieder in Falten legte, wie um die Abwärtsspirale meiner Gedanken vorzubereiten. Er hat mich die ganze Zeit schon kontrolliert und mein Gewissen manipuliert. Das konnte man nicht einmal als Freund bezeichnen. Es konnte mir egal sein, wenn er tot war. Und doch… Es wäre etwas anderes, wenn ich nicht Schuld hätte. Ich schüttelte den Kopf, wie um den Gedanken an IHN abzuschütteln. Er hat immer verzweifelter versucht, mich wieder unter seine Kontrolle zu bekommen, hat gewusst, das ich mit dem Gedanken spielte, mich selbst zu retten. Er hat gewusst, das ich, würde ich die Richtung wechseln, mich auch von ihm abwenden würde. Denn ich wollte wachsen, wollte selbst entscheiden wohin es als nächstes geht und das machte ihm Angst. Ich hatte das sehr wohl gespürt, hatte gewusst, was hinter seinem panischen Blick für Gedanken wirbelten und ich hatte es gegen ihn verwendet. Er war nicht mein Freund, doch er glaubte, das ich sein Freund gewesen wäre. Also war ich ein mieser Freund, war ein mieser Mensch. Schlecht, schlecht, schlecht! Nein, hör auf, so zu denken, befahl ich mir. Das musste aufhören, alles musste aufhören. Er hatte mich noch immer unter seiner Kontrolle und das musste ein Ende haben. Er war tot. Würde ich nun von seinem Geist heimgesucht werden? Mich schauderte. Er hatte mich Zeit seines Lebens mit sich ziehen wollen, hatte in mir einen Leidensgenossen gesehen, der ich einfach nicht war. Mir war es nicht immer gut ergangen, doch das gab ihm nicht das Recht, meine Gesellschaft in seiner kaputten Ewigkeit einzufordern. Er hatte an mir gezogen, immer nach unten und weiter nach unten war er geglitten. Ich hatte es mir immer vorgestellt, wie einen schwarzen Ozean aus Unglück und vielen vielen sinnlosen Tränen, in den er gegangen war. “Komm mit. Ich kann nicht schwimmen.” “Wenn du nicht schwimmen kannst, dann bleib doch am Ufer.” “Nein, es gibt kein Leben dort für mich.” Ich hätte lieber so getan, als hätte ich diese Metaphern nicht verstanden. Lieber ein dummer Freund, der nichts merkt, als einer der alles merkt und dem Menschen, der ihn einen Freund nennt und um Hilfe bittet, den Rücken kehrt. Fast musste ich lachen. Wenn es diesen Ozean gegeben hätte, diese Situation wäre vermutlich genauso abgelaufen. So und nicht anders. Er wollte sterben, ich wollte leben. Wie konnte er davon ausgehen, das ich ihm dabei Gesellschaft leisten würde? Ich schüttelte abermals den Kopf, jetzt in Fassungslosigkeit. Entweder er hatte gar nichts gemerkt oder er war einfach dumm oder er hatte es gemerkt, aber gedacht, er könnte mich mit sich ziehen. Und wir wäre beide zusammen untergegangen. Ertrunken in seinem riesigen Kummer-Teich. I need to save myself before I …drown! Ich konnte nicht zulassen, das er mich mit sich zieht. Ich musste handeln. Und nun klang ich schon fast wie jemand, der seine Beichte ablegt. Ich nickte meinem Spiegelbild verständnisvoll zu, so wie ich dachte, das es ein Police Officer tun würde während eines Verhörs. “Officer, er trug ebenso Schuld an alldem. Er konnte nicht erwarten, das ich mit ihm gehen würde, das konnte er nicht. Ich wollte mich nicht länger von ihm kleinhalten lassen, wollte mein eigenes Leben leben. Wollte… Leben..” Er versuchte, mich kleinzuhalten, zerstörte jeden Kontakt, den ich aufzubauen versuchte. “Du sollst keine Freunde haben neben mir”. Das hat er nie gesagt, aber er hat diesen Befehl verströmt wie einen schlechten Geruch. Er hatte mein ganzes Leben sabotiert und ich hatte es mit mir machen lassen. Er fürchtete Wachstum, fürchtete die Verantwortung, die man übernahm, wenn man beschloss das eigene Leben aktiv in die Hand zu nehmen. Er hatte gewählt, wollte in seiner einsamen und traurigen Welt bleiben, eingekuschelt zwischen Depression und Passivität.; ertrinken in Tränen. Auch ich hatte gewählt, wollte meine Richtung ändern und mich retten bevor ich ertrinken würde. Good Morning day Sorry you are not here Aber du hast den Tod selbst gewählt, mein Freund, ich wählte das Leben. Ich wünschte, ich hätte dich mitnehmen können, doch stattdessen hast du mich gezwungen, deinen Kopf mitten in deinen Sumpf zu tauchen, dich zu ertränken. Ich wünschte, ich hätte dich für meine Richtung begeistern können, aber du… du liebst nur, was du selbst aussuchst. Andere dürfen dich zu nichts zwingen. Aber von selbst wärst du nie auf die Idee gekommen, mein Freund… Ich musste mich retten und wenn das nun einmal bedeutet, das du sterben musstest, so sei es. Ich musste mich retten. Diese Entscheidung, obwohl im Inneren längst getroffen, fiel plötzlich und laut. Monatelang hatte ich überlegt, wie ich dich loswerden könnte und plötzlich ging alles so schnell… Ich hatte dir gesagt, wie ich mich an seiner Seite fühlte, hatte ihm gesagt, das es so nicht weitergehen könnte. Er hatte mir gesagt, das er ohne mich nicht leben könnte und trotz all seiner Tränen - ich konnte seinen Tränen einfach nicht mehr sehen, konnte kein Mitleid, keine Sympathie mehr empfinden- kehrte ich ihm den Rücken zu. Und ging. Wortlos. Ich ertrinke in Schuldgefühlen. So sehr ich versuchte, mich zu überzeugen, das es keinen anderen Weg gab, die Schuldgefühle schnürten mir die Luft ab. Hätte ich nicht genauso gut an deiner Seite ertrinken können? Nur das Gefühl, der Kummer, war ein anderer und dein Blut klebte an meinen Händen. Du hast versucht, mich zu manipulieren, mich auf deine Seite zu ziehen. Kontrollieren. Klein halten. Für dich behalten. Ich hätte für immer dein Kummerkasten bleiben sollen und deine Welt wäre perfekt gewesen. “Wenn du gehst, zerbricht meine Welt!” hattest du mir vorwurfsvoll und drohend gesagt vor ein paar Tagen. Und alles, was du nicht gesagt hattest, hatte sich in dem Schweigen entladen. Ich wusste nur zu gut, was du vorhattest, doch ich tat nichts um dich abzuhalten. Innerlich wünschte ich mir nur noch sehnlichst, das du es tun würdest. “Spring, dachte ich, spring doch endlich und lass mich in Ruhe. Hör auf mich mit deinen Tränen zu ertränken.” Ich musste mich selbst retten, konnte nicht mehr bei dir bleiben und Händchen halten. Du wolltest es doch so, du musst gewusst haben, das es so kommen würde. Ich änderte meine Richtung. Und du. Du nahmst dir das Leben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)