Der Weg aus dem Kampf von Shirokko (Wenn Träume Berge versetzen) ================================================================================ Kapitel 67: Kitty, Silia und Jadya ---------------------------------- Kapitel 67 Kitty, Silia und Jadya Mit einem glücklichen Lächeln stand ein Geflügelter inmitten derjenigen, mit denen er aufgewachsen war. Sein Blick ruhte allein auf Dhaôma. Die Freude, mit der dieser die Dorfgemeinschaft begrüßte und mit der er begrüßt wurde, war herzerwärmend. Für diesen Anblick war er jedoch nicht gekommen, auch wenn sich ihre Anwesenheit gerade dafür lohnte. Als er für einen kurzen Moment unbeobachtet war, zog er sich aus der Gruppe zurück und streunte über die Insel. Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, war seine Schwester nicht bei der Begrüßung dabei. Und zu ihr führte ihn sein Weg nun. Mimoun konnte die junge Frau auf den ersten Blick nicht auf dem Dorfplatz ausmachen und auch sonst nirgends zwischen den Hütten, also wandte er sich seiner alten Heimstatt zu. Es war ungehörig, da er dort schließlich hinausgeworfen worden war, dennoch trat er ohne zu klopfen ein. Der Vorraum war beinahe leer. Hier hatte jemand gründlich auf- und umgeräumt, während er nicht da war. Nur ganz hinten, zwischen mehreren Fellen und Decken stand ein kleiner Korb. Bevor er sich diesem jedoch nähern konnte, hörte er hinter sich die Plane aufgehen und spürte die Berührung eines warmen Körpers an seinem Rücken. Lange Zeit sprach keiner von beiden ein Wort, bis die Bewegungen in dem Korb hektischer wurden. „Er spürt, dass jemand da ist.“ Silia seufzte schwer und löste sich von ihrem Bruder. „Naruby fordert viel Aufmerksamkeit.“ Ein Junge also. Die junge Mutter strich dicht an ihm vorbei und hockte sich neben den Korb und hob das kleine Bündel heraus. Sie sah erschöpft aus, ein wenig mager. Es war sicher schwer, sich ohne Partner um so ein kleines Geschöpf kümmern zu müssen. „Isst du genug?“ Sie schnaubte belustigt. „Muss ich ja. Sonst schadet es meinem Kleinen. Jayan wäre sicher böse, wenn er seinen Sohn so schnell kennen lernen würde.“ Mimoun konnte sich nicht erinnern, bei seinem letzen Besuch hier den Namen des Verschollenen gehört zu haben. Es war ein Fortschritt, dass sie ihn nun wieder nannte. Bedauerlich war nur, dass sie ihren Gefährten für tot hielt, obwohl er nur als vermisst galt. Sollte er ihr sagen, dass er noch am Leben sein könnte? Sollte er falsche Hoffnungen schüren und sie dann zerstören? Er würde mit Dhaôma reden müssen. Dieses Thema sollte hier vielleicht besser nicht angeschnitten werden. Die Frage war nur, ob Silia sauer werden würde, wenn sie Erfolg haben sollten und mit ihm heimkehrten. Aber damit würde er zurechtkommen. Wäre ja nicht das erste Mal. Der Drachenreiter trat neben seine Schwester und schaute auf das Bündel, strich vorsichtig mit den Fingern über den dunklen Flaum. Sofort erklang ein Schreien und Silia fing an zu lachen. „Und er mag keine Fremden.“, erklärte sie amüsiert und beruhigte ihren Sohn mit zärtlichem Geflüster. „Ich bin froh, dass es dir gut geht.“, murmelte Mimoun und zog sie in eine Umarmung. Sie nickte und lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. „Danke, dass du hier bist.“ Wieder vergingen scheinbar endlose Minuten in Schweigen, denn auch der Säugling hatte wieder Ruhe gegeben, bis Mimoun seine Schwester von sich schob. „Ich habe mich gerade fort geschlichen. Ich muss schauen, ob sie ihn schon erdrückt haben.“, erklärte er und wandte sich mit einem entschuldigenden Lächeln ab. „Die Hütte ist ziemlich groß und leer nur mit mir und Naruby.“ Silia hatte sich abgewandt und legte genanntes Baby wieder in sein Körbchen. Es vergingen einige Sekunden, bis Mimoun darauf kam, dass es eine Einladung zur Übernachtung war. Missmutig runzelte er die Stirn. „Ich werde Dhaôma nicht allein…“ „Ich weiß.“, unterbrach sie seinen Satz, drehte sich noch immer nicht zu Mimoun um. „Das weiß ich nur zu gut.“ Auf dem Dorfplatz wurde es kälter, als ein schneidender Wind zu wehen begann. Lachend über sein Zittern zogen sie den Braunhaarigen zu den gespannten Planen, damit es erträglicher wurde. Dann musste er erzählen. Allen war aufgefallen, wie sich Mimoun abgesetzt hatte, jeder wusste, dass er wieder lange Zeit bei Silia bleiben würde, wahrscheinlich mehrere Stunden, also holten sie sich die Informationen, die sie begehrten von Dhaôma. So wurde ein Feuer entzündet und man tat ein wenig der Beute der letzten Tage über die Flammen, um es für Dhaôma zu rösten, während er von ihren Abenteuern erzählte. Er begann auf ihren Wunsch hin bei seinem Aufbruch von dieser Insel und gab einen kurzen Abriss der Ereignisse. Da er mehrere Tage zu bleiben gedachte, konnten sie später Einzelheiten erfragen, wenn es sie interessierte. Nach einigen Augenblicken des Schweigens verließ der Drachenreiter die Hütte. Hatte sie gerade gestattet, dass Dhaôma auch dort schlafen konnte? Sein Blick glitt über den Dorfplatz. An ihrem Landeplatz ließ sich keine Meute mehr ausmachen, dafür der Schein des Lagerfeuers ein wenig zentraler. Lächelnd streunte er zu ihnen hinüber und setzte sich auf seinen Stammplatz. Direkt hinter Dhaôma, damit dieser sich anlehnen konnte. Es löste Erstaunen aus, aber sie hießen ihn willkommen. Scherzhaft zogen sie ihn auf, dass er es tatsächlich geschafft hatte, sich loszueisen, während Dhaôma sich beruhigt gegen seinen Freund lehnte und nach dessen Hand griff. Mimoun sah nicht erschöpft aus. Das war gut. Nach einigen Minuten erzählte er weiter, war gerade bei der Begegnung mit Aylen im letzten Spätherbst. Natürlich hatten sie schon gehört, dass es ihren Familienmitgliedern gut ging, aber als er lachend darlegte, wie sich Aylen gegen alle verteidigte und ihren Mann stand, riss er sie dennoch mit. Neuigkeiten von den Todgeweihten wurden immer gerne aufgenommen. Die Kinder kamen schließlich auf den Gedanken, dass sie draußen essen konnten und bereiteten wirbelnd alles vor, damit die Geschichte nicht endete, gerade als Dhaôma von den Halblingen erzählen wollte. Es dauerte nicht lange, da hatte jeder etwas zu Essen und zu trinken. Und gerade wollten sie beginnen, da gellte ein hysterischer Schrei durch den Wind, eindeutig Silia. Alle horchten auf. Und bevor sein Verstand registrierte, was los war, war Mimouns Körper bereits zu der Hütte geeilt, die er vor nicht allzu langer Zeit verlassen hatte. Die Plane knirschte bedrohlich, als er hindurchstürmte. Das Baby schrie, Silia zeterte und versuchte ein ockerfarbenes Pelztier von ihrem Nachwuchs zu vertreiben. Bevor sie wirklich handgreiflich werden konnte, packte Mimoun seine Schwester an den Schultern und zog sie zurück. „Ganz ruhig. Das lässt sich einfach regeln. Kitty ist harmlos, solange man sie nicht bedrängt. Also bleib ruhig.“ Nach dieser Erklärung ließ er sie los und trat halb aus der Plane heraus. „Dhaôma. Kannst du bitte kurz helfen?“ „Ai?“ Der Magier schob sich durch die neugierige Menge nach vorne. „Was ist los?“ Aber im Grunde ahnte er es. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch trat er vor. Er hatte nichts tun wollen, das Silia störte oder gegen ihn aufbrachte, aber so wie es aussah, hatte er es wieder einmal geschafft. Ein kurzer Blick zu Mimoun und er trat ins Haus, ließ eine murmelnde Menge zurück. Der Anblick zeigte genau das, was er befürchtet hatte. Kitty stand zwischen Mutter und Kind und verteidigte den Säugling. Offenbar hatte sie irgendwas falsch verstanden. Als würde irgendjemand seinem Nachwuchs schaden. Nicht einmal Silia traute er das zu. „Kitty.“ Seine Stimme war leise und ließ die Ohren zucken. „Lass Silia zu ihrem Baby.“ Der Blick aus den grüngoldenen Augen war derartig abschätzend, dass Dhaôma nur den Kopf schütteln konnte. „Was willst du hier überhaupt?“ Sie gab ihre Angriffshaltung auf und sah demonstrativ zu dem Baby. Nur widerwillig war Silia an ihrem Platz geblieben. Noch immer war ihr Blick auf die Katze gerichtet, die zwischen ihr und ihrem Baby stand. Mimoun trat wieder neben die junge Mutter und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Ganz ruhig. Es ist alles in Ordnung.“, redete er beruhigend auf seine Schwester ein, ohne Effekt. Sie stand noch immer angespannt da, die Hände geballt, bereit jeden Augenblick auf den Störenfried loszugehen. Entweder bekam sie Dhaôma wirklich nicht mit, was Mimoun einfach nicht glauben konnte, oder er war pure Luft für sie. „Also wolltest du mit dem Baby Freundschaft schließen? Das gibt dir aber nicht das Recht, die Mutter zu vertreiben. Ein Baby braucht seine Mutter, das sollte dir klar sein.“ Kittys Ohren zuckten, dann sah sie direkt zu Silia. Sie fing deren Augen ein und hielt sie fest. Nun lagen die starken Männerhände nicht mehr zur Beruhigung auf den schmalen Schultern, sondern um sie von Dummheiten abzuhalten. „Verschwinde von meinem Baby.“, presste sie mühsam zischend hervor, den Blick starrsinnig und wütend erwidernd. Mimoun sah schon die nächste Katastrophe folgen, aber dieses Mal konnte er sie nicht einfach wegschieben, nach draußen befördern. Es ging hier schließlich um ihr Kind. Die Katze wartete einen Tick zu lange, bevor sie gerade so weit zur Seite ging, dass der Weg frei war. Erleichtert wollte Dhaôma zu ihr gehen, um sie hochzuheben, aber sie wich aus, machte klar, dass sie das nicht wollte. Noch immer fixierte sie Silia und Dhaôma meinte, eine gewisse Nachdenklichkeit in ihrem Blick zu sehen. Nur den Bruchteil einer Sekunde später ließ Mimoun seine Schwester los und sie eilte zu dem Säugling. Fest drückte sie das noch immer schreiende Bündel an sich, versuchte es mit Streicheln und gemurmelten Worten zu beruhigen. Die Katze ließ sie dabei nicht einen Augenblick aus den Augen. Mimoun trat ohne Rücksicht an Kitty heran, um sie nach draußen zu befördern. Nicht mit gutem Zureden und Überreden. Er plante es mit einem entschiedenen Griff. Sie sah es kommen. Ein kreischendes Fauchen und ihre Zähne versenkten sich in seiner Handwurzel, bis sie auf Knochen stießen, dann flüchtete sie sich zu Silia, schien jetzt sie gegen Mimoun verteidigen zu wollen. Ihr Schwanz war doppelt so dick wie sonst. „Verfluchtes Mistvieh.“, fluchte Mimoun ungehalten und hielt sich die Hand. Was auch immer sie erwischt hatte mit ihrem Biss, es schmerzte höllisch. Er wirbelte wütend zu der Katze herum, legte sich schon den perfekten verbalen Anschiss zurecht, und sah nur noch wie Silias Fuß den Körper des kleinen Tieres traf. „Raus mit dir.“, kreischte sie und machte damit ihre eigenen Bemühungen zur Beruhigung Narubys zunichte. Das reichte. Dhaôma konnte Gewalt nicht ausstehen. „Komm nach, Mimoun, dann heile ich dich.“ Er nahm die Katze auf, sein Gesicht eine einzige Maske. „Du hättest nicht beißen sollen.“, sagte er zu ihr, während er die Hütte verließ, weder Mimoun noch Silia einen weiteren Blick schenkend. „Du hättest nicht einmal zu ihr gehen sollen, bevor dich jemand vorstellt.“ Seine Wangen leuchteten, weil er unter seinen Finger fühlte, dass eine Rippe gebrochen war. Es war nicht so einfach. Nie zuvor hatte er versucht, ein Tier zu heilen, das keine Echse war. Die Menschen vor dem Zelt sahen ihn neugierig an, schweigend um Antwort bittend. Sollten sie sie bekommen. „Kitty hat die furchtbare Gabe, sich immer die falschen Freunde zu suchen und diese verteidigen zu wollen.“, meinte er nur. Die Katze ließ die Ohren hängen. War sie traurig? Und war Mimoun in Ordnung. Sorgenvoll blickte er zurück, um ihn anzusehen, aber die Plane war wieder an ihrem rechtmäßigen Platz. „Das war unnötig.“, seufzte Mimoun, die verletzte Hand noch immer gegen seine Brust gepresst. Der Blick, den Silia ihm zuwarf, sprach von einer anderen Meinung. Nur mit Mühe schaffte sie es, sich selbst wieder soweit zu beruhigen, dass sie den Säugling beruhigen konnte. „Geh zu ihm. Du hast Schmerzen.“, forderte Silia eisig, als sich ihr Bruder noch immer nicht von der Stelle gerührt hatte. „Danke für dein Angebot. Aber da Kitty Dhaôma nachts nicht von der Seite weicht, werden wir uns eine andere Unterkunft suchen.“ Ohne auf eine Reaktion zu warten, verließ er die Hütte. Die wie wild pochende Hand hielt er nun halb versteckt hinter seinem Rücken. „Wie geht es ihr?“, fragte Mimoun, bevor jemand anderes etwas sagen konnte. „Sie wird wieder. Gib mir deine Hand.“ Er ließ die Katze zu Boden. Sanft zog er an dem Arm, bis er die Hand nehmen konnte. Frisches rotes Blut quoll aus dem Gelenk und hatte Mimouns Kleider getränkt. Erneut leuchteten die Wangen, als er die Bissstellen schloss. „Du solltest das nicht verstecken. Das ist nichts, weswegen man sich schämen müsste. Kitty sollte sich schämen. Aber ich glaube, das tut sie schon.“ Wie zur Bestätigung drückte Kitty ihren Kopf gegen Dhaômas Bein. „Du solltest dich bei Mimoun entschuldigen.“, wies er sie zurecht und sie kauerte sich ganz klein zusammen, bevor sie tatsächlich einen halben Schritt nach vorn tat und ihren Kopf gegen Mimouns Zehenspitzen stupste. „Ich habe mich nicht dafür geschämt.“ Prüfend schlossen sich seine Finger zur Faust und öffneten sich wieder. „Meine Priorität lag aber erst einmal bei Kitty. Ich weiß doch, dass du es nicht magst, wenn ich verletzt bin.“ Mimouns Wut war schon zum Großteil verraucht, als er sah, wie die Kleine verletzt worden war. Nun schmolz auch noch der letzte Rest Unwillen über den Biss dahin. Wenn sie wollte, konnte sie richtig süß sein. „Ich möchte mich auch entschuldigen, schließlich hätte ich nicht einfach versuchen dürfen, dich zu greifen.“ Mit diesen Worten trat er einen halben Schritt nach hinten, um sie nicht zu bedrängen, und hockte sich hin. Nur leicht und locker, ohne Zwang, streckte der Geflügelte eine Hand in ihre Richtung. Sie schnupperte daran. Und traute sich nicht weiter. Kläglich sah sie zu Dhaôma auf und maunzte. Dieser lachte leise. „Du warst natürlich mutig genug. Aber irgendwann schaffst du es noch, ihn zu mögen. Keine Sorge.“ Oldon erinnerte sie schließlich ans Essen und den Rest der Geschichte, die Kitty mit einbezog, denn schließlich hatten sie von ihr noch nichts gehört. Diesmal ging Kitty mit. Sie warf noch einen langen Blick auf die Lederhäute der Hütte, bevor sie sich abwandte und an Dhaômas Fersen folgte. Auf dem kurzen Weg zurück zum Feuer fragte Dhaôma Mimoun, ob er etwas dagegen hatte, wenn sie woanders übernachten würden als bei Silia. Als dieser den Kopf schüttelte, atmete er erleichtert aus. Noch bevor sich alle setzten, sprach er Jadya darauf an, ob sie bei ihr schlafen könnten, was diese froh bejahte. Seitdem ihre Schwester an der Front war, lebte sie mit ihrer Großmutter alleine und sie hatten genügend Platz. Immerhin fehlten sowohl Aylen als auch Rai. Damit war auch Mimoun einverstanden, auch wenn es ihm ein wenig Magenschmerzen verursachte. Dhaôma hatte mehr als einmal erwähnt, dass sie Gefallen an ihrem Jugendfreund gefunden hätte, und er wusste aus eigener Erfahrung wie schmerzhaft es sein konnte, den Liebsten vor der Nase und doch nicht haben zu können. Das ließ sich aber bedauerlicherweise nicht ändern. Gefühle konnte man nicht einfach an- und wieder abstellen. Aber es gab ein wichtigeres Thema, das Mimoun beherrschte. Jayan. Unauffällig tippte er Tyiasur an, der sich halb unter dem Pelz und halb auf Dhaômas Schulter befand und deutete ihm an, dass er die Gedanken seines Reiters lesen sollte. Nur für wenige Sekunden lockerte der kleine Drache den Bann über dem Magier, um dem Wunsch nachzukommen und übermittelte anschließend Dhaôma die Bitte Mimouns. „Bitte versuch die Sache mit gefangenen Geflügelten heraus zu lassen. So sehr ich auch hoffe, ich möchte Silia nicht mit zerstörten, falschen Hoffnungen verletzen.“ Nachdenklich betrachtete Dhaôma seinen Freund. War es wirklich richtig, dieses Detail auszulassen? Es war immerhin ein wichtiger Bestandteil ihrer Entdeckung. Und Addar wusste auch schon Bescheid. Andererseits konnte er Mimouns Beweggründe gut nachvollziehen. Letztendlich nickte er und lächelte. Sachte legte er seine Hand hinter Mimouns Kopf und zog ihn zu sich. „Sicher.“, versprach er ihm und gab ihm einen sanften Kuss, bevor er sich vor dem Feuer setzte. Er wurde mit teils ungläubigen, teils amüsierten, teils erleichterten Blicken konfrontiert. „Was?“, fragte er irritiert, als Jadya keck die Augenbrauen hob und breit grinste. Die Blicke blieben auch Mimoun nicht verborgen. Ihn amüsierte das offensichtliche Unverständnis Dhaômas über diese Reaktionen. Er ließ sich wieder hinter seinem Freund nieder und zog ihn an seine Brust. „Ebenso wie alle anderen werden sie nicht damit gerechnet haben, dass wir zusammengefunden haben.“, säuselte Mimoun seinem Liebsten leise ins Ohr und strich mit einer Hand dessen Seite entlang, bevor sie auf dem Bauch des Magiers zur Ruhe kam. Unmissverständlicher Besitzanspruch. „Ihr seid also zusammen.“, stellte Aulee fest, dann lächelte sie. „Wann ist denn das passiert?“ „Bei den Halblingen. Xaira war böse und hat…“ „Wie wäre es, wenn du weitererzählst, wo du aufgehört hast, damit wir nicht den Eindruck haben, nichts zu verstehen.“, schlug Oldon vor. „Und ihr solltet endlich etwas essen. Ihr habt eine lange Reise hinter euch.“ Dhaôma erklärte sich einverstanden. Nahtlos begann er da, wo er geendet hatte, erzählte von der Begegnung mit den Halblingen und beschrieb ihre Lebensweise. Dann kam Mimouns Reise, gefolgt von Xairas Ausraster. Er ließ den Zauber weg, schämte sich zu sehr dafür. Die Scham war mit der Erkenntnis gekommen, dass er seine Magie in etwas gezwungen hatte, was sie nicht tun wollte. Es tat ihm Leid und ihm war es lieber, wenn das keiner erfuhr. Also fuhr er damit fort, dass drei der Halblinge sie zu den Magiern begleitet hatten, um die Informationen zu verbreiten, die sie durch die Halblinge erfahren hatten. Diese Etappe beschrieb er ein wenig genauer, weil er wollte, dass sich seine Freunde ein Bild von den Magiern machen konnte. Genauso wie er beschrieb, wie Kitty zu ihnen gekommen war, die inzwischen auf seinem Schoß schlief. Er verriet ihnen auch, wer sie war, dass sie nur Kinder und Tiere mochte und Angst vor Erwachsenen hatte, aber niemand genau wusste, warum eigentlich, da sie nicht sprach. Weiter ging es mit den Soldaten, die von Dhaômas Bruder angeführt wurden, die ihnen aufgelauert hatten, weswegen sie den strategischen Rückzug zu den Hanebito angetreten hatten, um dem Rat zu erzählen, was sich tat, und Rat zu holen. Als er in Schweigen verfiel, brach Stimmengewirr los, alle redeten durcheinander. Es wurde diskutiert, was man tun könnte, wie man handeln würde und vieles mehr. Von einem Überraschungsangriff auf die Soldaten bis hin zu einer Umgehung derselben, um an ihnen vorbei zu den Halblingen zu gelangen, war alles dabei. Bei der Diskussion bezüglich eines Angriffes ging Mimoun sofort dazwischen. Als Drachenreiter war es seine oberste Pflicht, für Frieden zu sorgen. Da würde er keinen geplanten Angriff gegen Magier führen oder dulden. Auch diese würden irgendwann zur Vernunft kommen. Während Dhaômas Erzählungen war Tyiasur einmal aus dem wärmenden Pelz gekrochen und hatte kurz geschnuppert. Mimoun dachte, sein kleiner Freund hätte ebenfalls Hunger gehabt, doch nach einem kurzen Blick zu den Häuten, die sie vor dem Wind schützten, hatte er sich wieder verkrochen. Mimoun war nachdenklich dem Blick gefolgt und es dauerte einen Moment, bis er hinter den sich leicht wölbenden Planen einen Schatten ausmachen konnte. Da sie nicht gesehen werden wollte, tat Mimoun so, als hätte er nichts mitbekommen. Es war ihre Entscheidung. Mit einem leichten Streicheln bedankte er sich bei seinem Drachen und bettete wieder seinen Kopf auf Dhaômas Schulter. Lange konnte er so jedoch nicht bleiben. Die Erwachsenen waren zufrieden gestellt mit Geschichten und Diskussionen. Die Kleineren konnten damit noch nicht viel anfangen und es blieb noch eine knappe Stunde Tageslicht. Der Magier war zu lange nicht hier gewesen. Rausrücken wollte Mimoun sein Kuscheltier jedoch nicht. Als die Kinder das verstanden, war der Plan klar. Mimoun ablenken und Dhaôma entführen. Dabei möglichst die Katze meiden, denn sie hatten mitbekommen, wie Mimoun geblutet hatte, der Beweis dafür war noch immer an dessen Kleidern zu sehen. Ihre Taktik war simpel: Sich auf Mimoun stürzen und diesen kitzeln, während Ramon Dhaôma wegziehen sollte. Falls sich das Opfer weigern sollte, wurde auch er gekitzelt, bis er aufgab. Der daraufhin ausbrechende Kampf wurde von den übrigen Mitgliedern des Dorfes zunächst mitleidig betrachtet, als dann jedoch nach und nach klar wurde, dass die beiden Spaß daran hatten, bezogen die Zuschauer immer mehr Partei. Viele feuerten die Kinder an, sie sollten mehr rechts oder links kitzeln, einige gaben den beiden Reisenden gute Ratschläge, wie sie sich die Plagen vom Hals halten könnten. Am Ende lagen die Kinder und die Gäste erschöpft übereinander und es gab keinen Sieger und kaum noch Tageslicht. Dhaômas Hand strich immer wieder durch Elins wirklich wirre Haare, wirkliche Aktivität konnte man das im Grunde aber nicht nennen. Nach einigen Augenblicken des Verschnaufens stemmte sich der Drachenreiter mehr schlecht als recht in die Höhe. Mit einer einfachen Berührung zeigte er dem Magier, dass dieser weiter dort liegen bleiben konnte und nahm seinen kleinen Drachen nach langer Zeit wieder einmal an sich. Wohin sich Kitty geflüchtet hatte, konnte er nicht mehr sagen. Nur ihren rasanten Abgang hatte er noch miterlebt. Danach lag seine Konzentration auf der Abwehr von Zecken. So gerüstet wandte er sich an Jadya. Es war besser, wenn sie die Lager herrichteten, solange man überhaupt noch etwas sehen konnte. Zwar bot sie an, das auch zusammen mit der Großmutter zu erledigen, aber er wollte nicht unhöflich sein und schlug dieses Angebot dankend aus. Mimoun wollte helfen und sie ließ es schlussendlich zu. Es nahm nicht viel Zeit in Anspruch und auf dem Platz hatte sich nicht viel verändert. Die Kinder lagen noch immer erschöpft auf seinem Magier. Lächelnd ließ er sich vor dem Haufen auf ein Knie herab. „Wir sollten schlafen gehen. Es war ein langer Tag.“, riet er sanft und schob bereits seine Hände unter Schultern und Kniekehlen seines Freundes, bereit ihn in die Hütte zu tragen. Reflexartig umschlang Dhaôma Mimouns Hals und Ramon flüchtete von seinem Bauch. Die Kinder wurden nun auch von ihren Eltern gerufen, was besonders Elin ärgerte. Sie machte einen Höllenaufstand, dass sie bei den beiden Heimkehrern bleiben wollte, wie sie es schon einmal hatte tun dürfen, Aulee blieb dennoch hart. Ihre Kinder schliefen in ihrem eigenen Bett. Eigentlich hatte Mimoun mit Widerspruch gerechnet. Aber gut. Er hatte ihn die letzten Tage zwar genug getragen, aber die paar Meter schaffte er auch noch. Lächelnd bedankte er sich noch einmal bei den beiden Hausdamen, bevor er Dhaôma auf die Felle bettete und bei sich nur noch die Schwerkraft arbeiten ließ. Mit leichten Bewegungen wurde eine winzige Positionsänderung durchgeführt und der Arm wieder über Dhaôma ausgebreitet. Ja. So war es bequem. Schneller als sonst, begann Mimoun wegzudämmern. Am nächsten Morgen überraschte Kitty ihren Beschützer, indem sie aufmerksam ohne Angst ihre Gastgeberin anhimmelte. Jadya machte gerade Frühstück, als Dhaôma in den Raum kam, und Kitty saß neben der Tür, ohne Anstalten zu machen, ins Freie zu flüchten. „Guten Morgen.“, begrüßte der Magier sie. „Habt ihr Freundschaft geschlossen?“ „Sie starrt mich immerzu an.“, lachte Jadya und legte das Frühstück auf den Tisch. „Ich weiß nicht, aber irgendwie erinnert sie mich an ein kleines Kind.“ „Das liegt daran, dass sie eines ist. Das habe ich gestern versucht, zu erklären.“ Er sah sich in dem dunklen Raum um und ließ dann seine Macht in das karg vorhandene Leuchtmoos fließen. Sofort wurde es in dem Raum heller, so dass die beiden Mädchen besser zu sehen waren. „Kitty, du könntest ihr zeigen, wie du wirklich aussiehst. Du warst jetzt schon seit Wochen kein Mensch mehr, nicht dass du vergisst, wie das ist.“ Abschätzig betrachtete sie ihn, dann wandte sie sich wieder ab. Sie sprang auf den Tisch, nahm sich ein wenig von dem in Streifen geschnittenen Fleisch und verschwand damit ins Freie. Unglaublicherweise passierte sie die blonde Geflügelte nur Zentimeter von ihr entfernt, als wäre es selbstverständlich. Staunend sahen sie ihr nach. „Sie scheint dich zu mögen. Welch seltenes Privileg.“ Jadya lachte nur. Dann gab es Frühstück, bis die Kinder Dhaôma abholten, um mit ihnen zu spielen. Der Abgang der Katze verwunderte auch den zweiten Gast, der weit nach Dhaôma aus den Fellen gekrochen war. Anfangs hatte er gedacht noch ein wenig länger die Wärme des Nachtlagers genießen zu können, aber diese hatte sich schneller als ihm lieb war mit dem Magier verflüchtigt. Aus dem Spiel der Kinder hielt sich Mimoun unauffällig heraus. Er genoss es, eine ganze Zeit lang, den Rackern zuzusehen, hoch oben auf einem Gebäude sitzend. Als er einmal kurz drohte, mit hineingezogen zu werden, zog der Geflügelte sich zurück und streunte zu den Bäumen hinüber. Kahl waren sie. Wie damals, bevor Dhaôma hier aufgetaucht war. Im Gegensatz zu damals, lag es dieses Mal am Winter. Sachte strichen seine Finger über die Rinde der einzelnen Bäume, umkreiste sie schweigend und blieb unschlüssig vor der Baumhöhle stehen. „Die Kinder nutzen sie häufig.“ Erschrocken wirbelte Mimoun herum. Er hatte Oldon nicht kommen hören, war zu sehr in seinen Gedanken woanders. „Sie hofften wohl, Dhaôma so ein Stück näher zu sein.“ Kichernd blickte Mimoun über die Schulter zurück zu seinem Freund. „Sie holen nach, was ihnen so lange verwehrt blieb.“, schmunzelte er. Gelassen hatte der Alte ein Fell in der Höhle ausgebreitet, das er eben noch über dem Arm getragen hatte, und ließ sich darauf sinken. Lächelnd setzte sich Mimoun daneben. Während sein Blick nun häufiger wieder zu seinem Freund glitt, ließ er sich einige Kleinigkeiten aus dem Dorfleben berichten. Das Spiel mit den Kindern war auf angenehme Weise wärmend, aber irgendwann gewann die Kälte die Oberhand. Besonders schlimm wurde es, als auch noch Wind aufkam und es zu schneien anfing. Da hatte Dhaôma endgültig genug. Er wollte ins Warme. Egal, wo das auch sein mochte. Nur, wie er das sah, musste dort viel Platz sein, da die Kinder dabeibleiben wollten. Wie löste man dieses Problem nur? Letztendlich suggerierte Tyiasur, er solle ein Eiszelt errichten, das den Wind und den Schnee abhielt. Und mit Erlaubnis des Dorfes errichtete er es auf dem Versammlungsplatz direkt über dem Feuer. Es hatte ein Loch, durch die Dampf und Rauch abziehen konnte und nur einen Eingang, war groß genug für alle Dorfbewohner und hoch genug, dass jeder stehen konnte. Nachdem die allgemeine Begeisterung der Kinder über das durchsichtige Gebilde sich gelegt hatte, verlegten sie das Spiel in diesen Raum, bis es Zeit wurde, zu schlafen. Wieder gab es Diskussionen, dass die Kinder in diesem spannenden Gebäude bleiben und dort schlafen wollten, und diesmal gewannen sie. Felle wurden geholt und sternförmig unter der Kuppel verteilt. Kopfschüttelnd ließen die Erwachsenen sie, zumal auch von ihnen einige diese Erfahrung als wünschenswert erachteten, so dass am Ende auch andere dort schliefen. Jadya, Dhaôma und Mimoun waren dabei, weil die Kinder sonst mit dem Jammern gar nicht mehr aufgehört hätten. Dank der vielen Leiber wurde es auch ziemlich schnell warm. Kitty gewöhnte sich innerhalb eines Tages an Jadyas ausgeglichenes, ruhiges Wesen und akzeptierte sogar deren Großmutter in ihrer Nähe. Die alte Frau war blind und damit ohnehin nicht gefährlich. Was waren alle erstaunt, als die blonde, junge Frau am Mittag mit einem Magiermädchen auf dem Arm in den Kreis der Spielenden trat. Kitty hatte sich zurückverwandelt und klammerte sich nun an Jadya, wie jedes normale Kind es bei seinen Eltern tat. Verschüchtert versteckte sie ihr Gesicht unter blonden Locken am Hals. Es gab einen Aufschrei aus Aufregung und bis Dhaôma um Ruhe bat einen schier höllischen Krach, der das Kind noch mehr verschreckte. Jadya lächelte nur und strich über den schmalen Rücken. „Ich wollte es ja nicht glauben, aber sie ist einfach zu süß.“, schwärmte sie. „Also hat unsere Kleine endlich eine Mama gefunden.“, flüsterte Mimoun erleichtert und lächelte glücklich. Vielleicht würde sie ja nun endlich ein wenig zugänglicher werden. Doch seine Miene verfinsterte sich schnell. Was sollte nun mit ihr werden? Wieder mit Dhaôma zurück und sich von Jadya trennen? Wer wusste, ob die Kleine das machen würde. Hier bleiben und wie Dhaôma damals auf der Insel gefangen sein? Das konnte sie auf Dauer nicht wollen. Es blieben zum Glück noch einige Tage, bis diese Entscheidung fällig wurde. Die Positionen für die Nachtruhe wurden so gelegt, dass Kitty zwischen Dhaôma und Jadya liegen konnte. Neugierig und aufdringlich waren die Dorfkinder trotzdem allemal. Den nächsten Morgen verbrachte Mimoun am Badesee. Das Wasser war gefroren und nur die Stelle, die zum Baden genutzt wurde, war entsprechend dünn. Eigentlich hatte der Geflügelte gehofft, seinem Drachen einen Fisch daraus holen zu können. Aber die Wassertemperatur würde dem Blauen nicht gut tun. Hilfesuchend wandte er sich an Dhaôma. „Kannst du in deinen Wasserblasen auch Fische einfangen?“ „Das wäre mal was Neues.“, freute sich der Braunhaarige über diese Aufgabe und überprüfte schon mal, wie weit das Eis hinabreichte. Bei weitem nicht tief genug, um bei seinen mageren Fähigkeiten der Wassermanipulation, einen Fisch zu ergreifen. Also verstärkte er die Eisdicke, bis es ihm leichter fiel. Dennoch benötigte er viel Zeit und Konzentration, in der ihn Mimoun warm halten musste. Und weil er vorhatte, das Wasser wieder einigermaßen bewohnbar zu machen und das Eis zurückzuziehen, bemühte er sich darum, für Tyiasur gleich drei Fische zu fangen, damit dieser die nächsten Tage auch noch etwas zum Essen hatte. Zum Glück blieben die Fische bei diesen Temperaturen frisch bis gefroren. Tyiasur verzog sich mit seiner Beute wieder in Jadyas Hütte und unter einen Berg von Fellen. Es fiel ihm dort bedeutend leichter, seine Betriebstemperatur zu halten. Der Körper seines Reiters reichte bei den hier oben herrschenden Temperaturen leider nicht vollständig aus. Darüber war Mimoun nicht sonderlich erstaunt. Ihm war von vornherein klar gewesen, dass es dem Schuppentier ohne Fiamma oder ausreichende Mengen an Feuer schwer fallen würde, sich zu bewegen. Umso dankbarer war er ihm für seine Unterstützung und Hilfe. Erstaunlicher war ein anderes Bild, was sich den beiden Drachenreitern bot, als sie ihren Fuß wieder in das Dorf setzten. Silia gönnte sich und ihrem Sprössling frische Luft. Mimoun stellte seinen Freund ab und überließ es diesem selbst, ob er sich hier in ihrer Nähe aufhalten wollte oder auf Abstand ging. Er selbst blieb unschlüssig stehen. Er stand nicht provokativ zwischen den beiden, aber auch nicht ganz außerhalb. „Ich hätte es wissen müssen.“, rümpfte die junge Mutter die Nase. „Wann hast du je etwas anderes als Magier bei uns angeschleppt.“ Dass sie schon am frühen Morgen auf Konfrontationskurs schien, behagte dem Drachenreiter ganz und gar nicht. Aber er erwiderte auch nichts darauf. Er wollte keinen Streit. Dhaôma hörte ihre Worte, dann drehte er sich um und ging. Sie war unwichtig. Ihre Meinung zählte nicht mehr. Er hatte für sich beschlossen, dass sie weniger als Luft war. Da sie so uneinsichtig war, so ablehnend gegen alles, was fremd war, tat sie ihm im besten Falle nur noch Leid. Aber im Gegensatz zu ihm war Jadya nicht ganz so nachsichtig mit der schwarzhaarigen Schwester des Reisenden. Sie holte einmal tief Luft, dann baute sie sich vor ihr auf. „Du bist schrecklich!“, fauchte sie. „Ich kann es nicht mehr hören! Wieso machst du ihm Vorwürfe? Willst du, dass er nie wieder kommt? Ist das dein Ziel? Warum trittst du seinen Traum mit Füßen? Was ist an Frieden und Einigkeit so schrecklich, dass du sie einfach nicht akzeptieren willst? Möchtest du deinen Sohn irgendwann in den Krieg schicken? Ist es das, was du willst?“ Ihre Stimme hallte wütend von den Wänden wieder, ihr Gesicht war gerötet, die Fäuste geballt, während der Wind an ihren Haaren und Kleidern zerrte. Nie zuvor hatte man dieses Mädchen so laut brüllen gehört. „Warum impfst du Naruby schon jetzt deinen Hass gegen Magier ein? Willst du, dass er damit aufwächst? Findest du das Gefühl so berauschend, dass du deinem eigenen Sohn wünscht, dass er es in sich trägt?“ Beschwichtigend hob Mimoun die Hände. Dass nun Jadya für ihn einsprang, war auch nicht der richtige Weg. Einschreiten konnte er aber nicht. Etwas hielt ihn ab, da nun dazwischen zu geraten und seine Hände sanken wieder an seine Seiten hinab. „Und wenn ich das will? Wenn ich will, dass er nicht zurückkommt? Was dann? Was willst du tun?“ Unruhig strichen Silias Finger über den Kopf ihres Sohnes. Ihr Rücken hatte sich versteift und sie baute eine Mauer aus Aggression um sich auf, mit der Folge, dass Naruby unruhig zu werden begann. „Sie alle haben mich verlassen. Vater, Mutter, Jayan. Mimoun kommt doch auch nur noch hier her, weil er mich als Verpflichtung ansieht. Er kommt nur, um wieder zu gehen. Zu ihm.“ Energisch wies ihr Finger in die Richtung des genannten Magiers. Mimoun stand hilflos daneben. Seine Hände hatten sich wieder ein Stück gehoben. Dennoch wusste er noch immer nicht, was tun. Gerade diese Offenbarung traf ihn zutiefst. Lieber verzichtete Silia ganz auf ihn statt die wenigen schönen Tage seines Besuches zu genießen. „Glaubst du, Pflichtgefühl würde jemanden dazu bewegen, so weite Strecken für nichts und wieder nichts zurückzulegen? Du tust mir so Leid. Du versinkst in Selbstmitleid, kapselst dich von jedem ab, der dir nahe stehen möchte, vergraulst alles, was dir etwas wert ist. Deine ganze Welt besteht nur aus Schmerz und ich habe das unmissverständliche Gefühl, dass du das so willst. Was willst du erreichen? Mitleid? Isolation? Sind wir dir überhaupt irgendwas wert? Was glaubst du, warum wir uns immer um dich kümmern? Weil wir es als Pflicht ansehen? Es könnte niemandem hier egaler sein, wenn jemand, der unbedingt allein sein will, alleine ist, aber wir sorgen uns um dich. Ich, er, selbst Dhaôma ist gekommen, damit er dir notfalls helfen kann, falls du es nötig hättest. Aber du siehst es immer nur als Angriff. Egal was! Alle wollen dir nur etwas Böses! Du siehst immer nur das Schlechte, nie das Gute! Als gäbe es nichts Gutes für dich! Das ist so ätzend! Selbstmitleid ist das allerletzte und du hast dich sosehr darin gefangen, dass du nicht einmal erkennst, dass du geliebt wirst! Aber wenn du so weitermachst, dann ist das auch bald vorbei. Ich jedenfalls habe längst die Schnauze voll von deinem Gejammer, dass alle dich verlassen. So ist das Leben, dass jemand geht, dass andere zurückbleiben, aber es geht weiter. Man muss positiv bleiben, um nicht daran zu zerbrechen. Begreife es endlich, dass es auch noch gute Dinge gibt, bevor du endest wie deine Mutter, die depressiv ausharrte, bis sie starb. Willst du vielleicht, dass Naruby das gleiche Schicksal erleidet? Außerdem hast du Mimoun überhaupt nicht verloren! Er ist immer noch am Leben! Warum kannst du darüber nicht glücklich sein?“ Ein Schluchzen entrang sich Jadyas Brust, dann schrie sie einmal auf. „Denk endlich mal auch an die positiven Dinge, die dir widerfahren sind!“ „Die da wären?“, fragte Silia bitter. „Mimoun ist lebend zurückgekehrt, nur um mit einem Magier für Jahre fort zu ziehen. Ich habe Jayan kennen gelernt, nur um ihn kurz darauf wieder zu verlieren. Ich habe sein Kind in mir getragen. Einen Jungen, der früher oder später in diesem Krieg sterben wird. Wahrscheinlich weit vor mir. Sag mir, was daran positiv sein soll?“ Jadya starrte sie ungläubig an. „Begreifst du nicht? Du hast Jayan nur kennen gelernt, weil du Mimoun, der gerne reist, gefolgt bist. Dein Bruder versucht Frieden zu schaffen, damit Naruby friedvoll aufwachsen kann, damit du ihn eben nicht sterben sehen musst. Du hast zumindest die Möglichkeit, deinen Bruder zu sehen, im Gegensatz zu so vielen anderen, die es nicht mehr können!“ Schmerzlich presste sie die Augen zusammen, bevor das aus ihr heraus brach, was ihr schon lange auf dem Herzen lag. „Und du hast wenigstens ein Kind von demjenigen, den du liebst! Du hast etwas, das dich an ihn erinnert, dich an ihn bindet, egal ob er lebt oder nicht!“ Ihre blauen Augen blitzten zornig, als sie sich schlagartig wieder öffneten. „Du widerst mich an, dass du nicht schätzen kannst, was du hast, dass du den anderen ihr Glück übel nimmst.“ Silia sank in sich zusammen und umklammerte ihren Sohn, den heiße Tränen benetzten. Unaufhörlich strichen ihre Finger über seine dunklen Härchen. „Ich bin nicht du!“, schrie die junge Frau nun zurück. Bisher hatte sie sich bemüht, die Stimme nicht zu sehr zu erheben. Nun mischte sich das Brüllen eines Babys in den Streit der Freundinnen. „Ich kann nicht mit einem Lächeln darüber hinweg sehen, wie meine Familie in den Krieg rennt. Jedes Mal, wenn Mimoun geht, befürchte ich, dass er nicht mehr hierher zurückkommen kann. Da ist es mir lieber, wenn er von Anfang an sagt, dass er nie wieder kommen wird. Dann muss ich nicht mit der Ungewissheit leben!“ Das war der Punkt, an dem Dhaôma endgültig ging. Er konnte einfach nicht mehr. Irgendwie konnte er sie verstehen, aber dass sie sich so gehen ließ und allen anderen damit auf die Nerven ging, weckte Aggressionen in ihm, die er nicht haben wollte. Ein wenig tat ihm das Baby Leid, das ihre Launen ertragen musste, bis es groß genug war, um sich dagegen zu wehren. „Das ist bei weitem kein Grund, warum du Mimouns Freunde so ungerecht behandelst!“, ließ sich Jadya nicht beirren. „Warum du gegen jeden Fremden Stunk machst oder dich an nichts beteiligst, was wir hier im Dorf so tun. Wenn du so viel Angst davor hast, verlassen zu werden, dann zieh doch auf eine einsame Insel und werde Einsiedlerin. Dann wirst du nie wieder Probleme damit haben, dass dich jemand verlässt! Dann kannst du klagen ohne zu leiden!“ Erbarmungslos starrte sie auf die vor sich kauernde Frau. „Werd endlich erwachsen!“ „Du stellst es dir so einfach vor, aber das ist es nicht. Ich bemühe mich, aber das wollt ihr nie sehen. Weil es euch nicht in den Kram passt. Weil ihr einen Sündenbock braucht, dem ihr eure eigenen schlechten Gedanken zuschieben könnt. Für euch werde ich doch immer die Böse sein. Weil ihr jemanden braucht, auf dem ihr herumhacken könnt.“ Silia war wieder größer geworden, kauerte sich nicht mehr zusammen. Wut und tiefer Schmerz war aus ihrem Blick zu lesen, aber auch der Entschluss, der langsam in ihr zu reifen begann und der jede Zurückhaltung ihrerseits brach. Bei Jadya brach auch etwas und das war ihre Geduld. Sie hatte sich bis jetzt zurückgehalten. Das ging jetzt nicht mehr. „Sündenbock? Du siehst nicht, wie viel Geduld wir mit dir haben! Wie wir versuchen, dich zu unterstützen, damit du nicht zerbrichst! Wir lassen dir deinen Freiraum, weil du ihn brauchst. Und du behauptest, wir hacken auf dir herum? Stures, uneinsichtiges Kind! Niemand hat dich Böse genannt. Niemand projiziert seine schlechten Gedanken auf dich. Das haben wir nicht nötig. Wir können unsere Dämonen schließlich nur selbst besiegen.“ Silia hatte sich wieder auf ihre Füße erhoben. „Siehst du. Das meinte ich. Ich bin schon lange kein Kind mehr. Du siehst es nur nicht. Du bist blind, ihr alle seid es.“ Ihre Stimme war ruhig, fast sanft, als wäre es Jadya, die das uneinsichtige Kind war. „Ihr hattet Geduld?“ Ein kurzes Kichern. „Ich glaube nicht. Seit dieser Magier hier war, habt ihr ständig versucht, meine Meinung mit Gewalt zu ändern. Sei nicht so stur. Du verhältst dich falsch. Sei nicht so uneinsichtig. Das sind die Sätze, mit denen ihr mich tagein, tagaus traktiert habt. Nennt man das Geduld? Nennt man das Verständnis? Jayan war der Einzige, der jemals versucht hat, meine Gefühle zu verstehen. Und das hat ihm nur den Tod gebracht. Vielleicht hast du Recht. Vielleicht wäre es wirklich an der Zeit von hier zu verschwinden.“ Jadya wollte gerade wütend etwas erwidern, da legte sich ihr eine Hand auf den Arm. Ihre Großmutter schüttelte den Kopf. Sie sah die Gefahr, die sich hier anbahnte. Die Alte begann zu sprechen. „Bist du dir sicher? Hast du das durchdacht? Kannst du dein Kind wirklich allein ohne das Dorf großziehen, ohne zu erfrieren oder zu verhungern? Ohne dein Kind dir unbekannten Gefahren auszusetzen? Oder ist es die Wut, die aus dir spricht?“ Ihre Stimme war genauso sanft wie die von Silia, aber weitaus weniger schneidend. Sie schwieg. Den Kopf in trotzigem Stolz hoch erhoben, sprach sie kein Wort. Doch Mimoun lief es kalt den Rücken runter. Er kannte sie. Dieses Mädchen war schließlich seine Schwester. „Du hättest ihn nicht mitgenommen, nicht wahr?“, fragte der Drachenreiter leise in die Stille hinein und trat näher zu ihr. „Du wärst alleine gegangen.“ Nun wieder ganz das verstockte Kind wandte Silia den Kopf ab, um ihren Bruder nicht ansehen zu müssen. Erst als seine Hand auf ihrem Arm zur Ruhe kam, begann sie sich wieder zu regen, strich dem noch immer weinenden Säugling über den Kopf. „Ich bin eine Mutter. Ich bringe doch nicht Jayans einzigen Sohn in Lebensgefahr. Haltet mich verdammt noch mal nicht ständig für ein unreifes, unsensibles Kind. Das bin ich nicht. Ich bin hier aufgewachsen, hier fühle ich mich wohl. Es gibt keinen besseren Ort für ihn. Ich möchte, dass er hier in Sicherheit aufwachsen kann. Aber ich kann hier nicht mehr bleiben.“ „Du möchtest also, dass dein Sohn das gleiche erlebt, das du und Mimoun erleiden musstet.“, stellte die Alte traurig fest. Hinter ihr öffnete Jadya den Mund, dann schloss sie ihn wieder. In ihr war noch immer die Wut, aber nun auch große Traurigkeit. Sie würde ihre zweite Freundin auch verlieren? War das ihre Schuld? Sie trat vor. „Bitte, Silia, geh nicht. Wir können die Probleme zwischen uns doch sicher lösen.“ „Und wie?“ Silia schüttelte bitter den Kopf. Sie wäre wohl auch einen Schritt nach hinten gegangen, hätte dort nicht plötzlich Mimouns Hand gelegen. „Wie sollen wir Probleme lösen, wenn ihr nicht mal versucht, mir zuzuhören.“ Die junge Mutter beugte sich über ihren Sprössling und flüsterte so leise, dass nur Mimoun sie hören konnte. „Und ich weiß, du hättest die beste Mutter bekommen, die man sich vorstellen kann.“ „Dann lass es uns versuchen. Lass uns vernünftig reden, damit wir verstehen können, was dir so zu schaffen macht. Was bekommen wir denn davon mit? Du redest ja nie darüber, sagst nicht, was dir wehtut. Immer sehen wir nur die Abneigung.“ Großmutter lächelte und nickte, bevor sie anfügte: „Wenn wir nicht bereit waren, zuzuhören, dann warst du es ebenfalls nicht. Also versuchen wir, einander zuzuhören, um zu verstehen.“ „Bist du damit einverstanden?“, fragte Aulee. Sie war nicht die einzige, die gekommen war. Beinahe das ganze Dorf war anwesend, alle angelockt von den lauten Stimmen. In beinahe jedem Gesicht stand geschrieben, dass sie es versuchen wollten. Verstockt sah die Angesprochene zu Boden. Dass nun alle anwesend waren, behagte ihr gar nicht. Und dass viele von ihnen sorgen- und hoffnungsvoll zu ihr herüber blickten, war ihr unangenehm bis peinlich. Da fühlte sie sich gleich wieder, als das Kind, als das sie abgestempelt worden war. „Ich wäre traurig, wenn ich nach Hause kommen würde und du wärst nicht mehr da.“, versuchte Mimoun sie sanft in die richtige Richtung zu drängen. „Ich habe dich rausgeworfen, vergessen?“ „Nein. Aber wie du schon so treffend gesagt hast: Ich bin hier aufgewachsen, hier fühle ich mich wohl. Ich fühle mich hier zuhause. Auf dieser Insel. Nicht nur in dieser kleinen Hütte dort drüben.“ „Diese Hütte ist nicht klein.“ „Dann solltest du deinen Haushalt mit einem anderen zusammenschmeißen. Mit jemanden, der genauso viel Platz übrig hat.“ Sein Blick wanderte nicht umsonst bezeichnend zu Jadya. Silias Blick blieb lange an der Freundin haften, die Lippen noch immer zusammengepresst. Bis sie sich schließlich mit einem Seufzen entspannte, knapp nickte. „Gut. Ich werde es versuchen.“ Mimoun lächelte erfreut und nahm ihr den Säugling aus dem Arm, bevor sie richtig registrierte was er tat. „So. Und du kleiner Schreihals warst jetzt lange genug in der Kälte.“, bestimmte er und wandte sich ab. „Passt du auf ihn auf?“, wollte Silia hinter seinem Rücken wissen. Mit leichter Enttäuschung sah Mimoun zu dem Eishäuschen und Silias Heim hin und her. „Dort ist völlig in Ordnung, wenn es warm genug ist. Ich möchte sowieso lieber mit Jadya unter vier Augen reden, wenn das okay ist.“, willigte sie mit leichtem Zähneknirschen ein. Noch strahlender als vorher verschwand Mimoun mit dem Schreihals in dem weißen Gebilde. Er sah nicht mehr, wie sich Silia ihrer Behausung zuwandte, ohne darauf zu achten, ob Jadya ihr folgte oder nicht. Jadya sah das und wusste nicht, ob sie wieder wütend werden sollte über dieses Verhalten, aber sie entschied sich dagegen. Kurz sah sie zu ihrer Großmutter und bedankte sich bei ihr, dass sie ihren Wutausbruch gestoppt hatte, bevor sie Silia seufzend folgte. Das würde sicherlich lang und anstrengend werden. __________________________ *in gedanken Kuromikan toben sieht* Wenn Holzköpfe aufeinandertreffen, nutzt man am allerbesten einen Ofen oder sowas... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)