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Wie eine tiefe Freundschaft zerbrach

von

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Ihre Augen wichen über die Köpfe der Studenten. Alle lauschten der Vorlesung ihres Professors. Es war ein sehr interessantes und äußerst privates Thema. Er erläuterte einen kriminellen Fall zu dessen Lösung er vor vielen Jahren beigetragen hatte. Und war es nicht genau solch ein Grund, warum sie hier an dieser Universität studierte? Sie wollte Polizistin, später sogar Kommissarin werden um Verbrecher dingfest zu machen. Ihr Vater war seit vielen Jahren Kommissar und arbeitete bereits seit sehr langer Zeit bei der Polizei.

Ungewollt drifteten ihre Gedanken in die Vergangenheit ab.
 


 

---------------------Flashback---------------------------------
 

Zu gut erinnerte sie sich an das erste Grundschuljahr. Die erste Klasse, stolz stand sie vor ihrer Grundschule mit einer viel zu großen Schultüte in den Händen. Ihre Mutter, sie war so schön mit der schlanken Figur und den bis zur Hüfte reichend langem braunen Haar, stand ihr gegenüber und strahlte sie übers ganze Gesicht stolz an. Ihr Vater war ein stattlicher Mann und trug bereits in jungen Jahren einen Schnauzer. Er fotografierte was das Zeug hielt um auch jede Sekunde diesen besonderen Tages festzuhalten.

Die ersten Wochen vergingen. Sie lebte sich schnell in ihrer Klasse ein, kannte bereits einige Kinder aus dem Kindergarten und fand auch sofort Freunde. Eines Tages verließ sie das Schulgebäude. Sie freute sich so sehr auf den Nachmittag. Ihre Mutter hatte ihr versprochen, ihr Lieblingsessen zu kochen, Okonomiyaki gab es bei ihnen zu Hause wirklich nur zu ganz besonderen Anlässen, und ihr Vater wollte früher aus der Arbeit nach Hause kommen und den Nachmittag mit ihnen im Aquarium verbringen. Damals verstand sie noch nicht, warum ihre Eltern mitten in der Woche etwas unternehmen wollten, heute wusste sie, dass es der Hochzeitstag ihrer Eltern war. Überrascht sah sie ihren Vater am Schultor auf sie warten, denn normalerweise holte ihre Mutter sie immer ab. Mit einem strahlenden Lächeln stürmte sie auf ihren Vater zu, war es doch selten dass er wirklich Zeit hatte um sie von der Schule abzuholen. Allerdings sah sie schnell wie ernst und blass er war. Er trug kein Lächeln auf den Lippen und als sie direkt vor ihm stehen blieb, kniete er sich zu ihr hinab. „Es tut mir so leid, Aoko“, waren seine Worte damals.

Sie verstand ihn nicht, blickte ihn mit weit aufgerissen ängstlichen Augen an. „Was tut dir leid?“, hörte sie ihre kindliche Stimme zu gut in ihrer Erinnerung sprechen.

„Deine Mama... sie hatte … deine Mama hatte einen schlimmen Unfall …“, er selbst rang mit der Fassung, kämpfte gegen die Tränen an, musste stark bleiben. „Weißt du, was ich dir erzählt habe, wenn jemand einschläft und nicht wieder aufwacht?“

„Dann kommt derjenige in den Himmel und wacht über uns“, antwortete sie zögernd, nicht verstehend worauf ihr Vater hinaus wollte.

Er nickte, holte kurz Luft und antwortete voller Traurigkeit: „Deine Mama ist jetzt im Himmel.“
 

---------------------Flashback Ende----------------------------
 


 

„Pssst.... Aoko.“

Aus den Gedanken gerissen blickte die Angesprochene zu Ran, welche neben ihr saß. Besorgnis sprach aus den blauen Augen „Alles in Ordnung? Du bist plötzlich so blass geworden.“

Aoko nickte und erst jetzt spürte sie das leichte Zittern ihres Körpers.

„Woran hast du denn gedacht?“

Ein junger Mann vor ihr drehte sich um und begann feixend zu grinsen. „Bestimmt an einen Mann. Wird Zeit, dass du mal einen Freund kriegst.“

„HEIJI“, zischte Kazuha, ein braunhaariges Mädchen mit Pferdeschwanz wütend. Sie saß auch in der Reihe vor Aoko und drehte sich ebenfalls um. „Hör nicht auf diesen Idioten, Aoko.“ Wieder ein wütender Blick zu ihrem Freund. „Du bist so ein Trampel und hast doch überhaupt keine Ahnung!“

„Beruhig' dich wieder. War doch nur ein Spaß“, erwiderte der Getadelte mürrisch.

„Ist wirklich alles in Ordnung?“ Es war wieder Ran und die Besorgnis hörte man deutlich heraus.

„Alles in Ordnung“, rang sich Aoko ein Lächeln ab und nickte auch dem Mädchen mit dem Pferdeschwanz zu. „Wirklich“, schob sie ein bisschen überzeugender nach.

„Dann können wir uns jetzt Professor Tomokas Fall widmen?“, mischte sich ein junger Mann neben Ran genervt ein, denn er fand die Vorlesung sehr interessant.

„Du und deine blöden Fälle“, fauchte Ran dem Braunhaarigen neben sich empört zu.

Aoko senkte den Kopf. „Es ist alles gut, Shinichi“, bestätigte sie erneut und auch die beiden vor ihr drehten sich wieder dem Unterricht zu. Ein beklemmendes Gefühl in ihrer Brust stieg an. Sie verstand einfach nicht, warum Shinichi auch ausgerechnet IHM so ähnlich sehen musste. Es war von Tag zu Tag eine Qual an ihn erinnert zu werden.

Statt sich auf den Unterricht zu konzentrieren, glitten ihre Gedanken wieder in die Vergangenheit.
 


 

---------------------Flashback---------------------------------
 

Wenige Wochen nach der Beerdigung wurde ihr Vater befördert und nach Tokio versetzt. Dort sollte er die Sonderkommission übernehmen, deren Aufgabe es war einen Dieb zu schnappen. Dieser Dieb war kein gewöhnlicher Taschendieb, nein, er wurde Meisterdieb 1412 genannt. Er stahl hauptsächlich Edelsteine und wurde bereits weltweit gesucht.

Der Umzug nach Tokio fand in den Herbstferien statt und bedeutete für beide von vorne anzufangen. Eine fremde Stadt, eine neue Wohnung, eine neue Arbeit und eine neue Grundschule.

Gleich am Anfang wollte sich ihr Vater mit ihr die neue Stadt ansehen. Sie standen vor einem großen Glockenturm auf einem sehr belebtem Platz. Das Polizeirevier war gleich um die Ecke. Bevor sie sich gemeinsam ihre neue Heimatstadt ansahen, ging er noch kurz ins Polizeirevier um sich dort vorzustellen. Seine Tochter sollte genau an dieser Stelle vor dem Glockenturm auf ihn warten. Mit den Worten: „Es dauert nicht lang“, ging er los und das kleine braunhaarige Mädchen stand ganz verloren in der Millionenmetropole vor dem schönen und alten Glockenturm. Sie wartete und rührte sich nicht vom Fleck, aber ihr Vater kam nicht zurück. Die Zeiger der Uhr rutschten voran und bald war eine Stunde vergangen. Inzwischen kullerten die ersten Tränen über ihre Wangen, so verloren und hilflos fühlte sie sich.

„Sei bitte nicht traurig“, erklang eine freundliche Stimme.

Sie wischte sich über ihre Wangen und betrachtete einen Jungen. Er war so groß wie sie selbst. Seine braunen Haare waren unter einer blauen Cap versteckt. Die blauen Augen strahlten sie fröhlich an.

„Wartest du auch auf jemanden?“, fragte er und stellte sich neben sie. Beide blickten auf den belebten Platz vor ihnen.

„Mhm, ich warte hier auf meinen Papa.“ Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen, während sie den Boden anstarrte.

Der Junge neben ihr, zauberte plötzlich eine rote Rose hervor. „Ich bin Kaito Kuroba. Freut mich dich kennenzulernen.“
 

---------------------Flashback Ende----------------------------
 


 

„Aoko?“

Die Angesprochene sah auf. Verwirrt runzelte sie die Stirn, als sie ihre Kommilitonen neben sich stehen sah.

„Bist du jetzt endlich fertig mit Träumen?“, hakte Heiji genervt nach. Verbiss sich aber nach einem Blick zu Kazuha jeglichen weiteren Kommentar.

Besorgte Blicke trafen die Freundin. „Was ist denn heute mit dir los?“

„Nichts“, antwortete Aoko schnell, während sie ihre Tasche packte. „Nichts“, wiederholte sie.

„Irgendwie bist du heute seltsam“, murmelte auch Shinichi nachdenklich.

Unter den stechenden Augen des Braunhaarigen wurde ihr nur noch unwohler. Schnell stand sie auf und funkelte den Studenten an. „Ich bin nicht seltsam!“ Aoko quetschte sich zwischen den Freunden hindurch und verließ zügig den Hörsaal. „Heute ist nur nicht mein Tag“, murmelte sie vor sich hin. Das war er wirklich nicht. Wieso musste sie ausgerechnet heute nur soviel über ihre Vergangenheit grübeln? In den letzten Monaten hatte sie so gut wie überhaupt nicht mehr daran gedacht, an ihn gedacht. Warum nur heute und ausgerechnet jetzt?

Die Freunde hatten sie schnell eingeholt, sahen aber auch ein, dass mit ihr heute nicht zu reden war. „Geht ihr heute Abend auf die Party?“, fragte Ran in die Runde.

„Aber sicher doch“, antwortete Heiji. Dabei legte er einen Arm um Kazuhas Schultern und zog sie an sich. „Ich bin auch davon ausgegangen, dass wir alle zusammen gehen.“

Shinichi, der nun Rans Hüfte mit seinem Arm umschlang nickte begeistert. „Da bin ich ganz deiner Meinung.“

Aoko drehte sich zu den beiden Pärchen und lächelte. „Ich wollte sowieso gehen.“ Ein bisschen Ablenkung am Abend tat ihr gut und würde sie bestimmt von den traurigen Erinnerungen abbringen.

Gemeinsam verließen die Studenten die Universität und trennten sich kurze Zeit später. Jeder schlug einen anderen Heimweg ein.

Aoko ging zur Bahn, wartete auf ihren Zug und stieg dann ein. Sie setzte sich auf einen Sitzplatz und lehnte ihren Hinterkopf an die Fensterscheibe hinter sich. An der nächsten Haltestelle stiegen mehr Leute ein und kurze Zeit später war der Zug gut gefüllt. Sie saß eingequetscht, zwischen einem Mann im Anzug, vermutlich Bänker oder Geschäftsmann, und einem dicken Mann in Freizeitklamotten. Über den wollte sie sich gar keine Gedanken machen und begann geistig abzuschalten.
 


 

---------------------Flashback---------------------------------
 

Noch nie hatte sie sich so unwohl gefühlt. Sie stand alleine neben der Lehrerin vor der neuen Klasse und starrte schüchtern auf den Boden. Alle Augen waren auf sie gerichtet, neugierig und interessiert. „Das ist eure neue Mitschülerin. Sie ist aus Sapporo hergezogen. Seid nett zu ihr.“ Die Lehrerin, eine noch sehr junge Frau, die gerade das Studium beendet hatte, lächelte sie freundlich an. „Stell dich bitte vor.“

Sie hob zum ersten Mal ihren Kopf und sah in die neugierigen Gesichter. „Ich bin Aoko Nakamori. Ich hoffe wir werden Freunde.“

„Willkommen, Aoko, setz dich bitte auf den freien Platz neben Kaito“, bat die Lehrerin und wandte sich der Klasse zu. „Heute werden wir einen kleinen Text lesen und anschließend einige der Buchstaben schreiben und diese zu Wörter zusammensetzen.“

Aoko hörte der Lehrerin gar nicht zu. Sie ging zwischen den Reihen hindurch bis sie zu dem einzig freien Tisch im Zimmer kam, dabei war ihr Blick stets auf den Boden gerichtet. Sie spürte dennoch, wie sich die Köpfe der Mitschüler drehten und jeden ihrer Schritte verfolgten. Sie setzte sich und kramte in ihrer Tasche nach Stiften.

„Hallo Aoko, schön dich wieder zu sehen“, erklang eine Stimme und sie blickte in die Richtung auf. Neben ihr saß ein Junge mit verstrubbeltem braunem Haar und einem freundlichen Lächeln. Seine blauen Augen blitzten kurz auf, als sie seinen Blick erwiderte.

Überrascht diesen Jungen in dieser Klasse wieder zu sehen, starrte sie ihn einfach nur stumm an.

„Kaito Kuroba, erinnerst du dich nicht mehr an mich?“

Sie lächelte und nickte: „Natürlich kenne ich dich noch“, flüsterte Aoko zurück.
 

---------------------Flashback Ende----------------------------
 


 

„Wie könnte ich dich jemals vergessen“, murmelte Aoko lautlos vor sich hin und stand auf. Gleich würde sie die Haltestelle erreicht haben und vom Bahnhof war es nur noch ein kurzer Fußmarsch zu der Wohnung, in der sie mit ihrem Vater seit so vielen Jahren lebte. Ihre gesamte Zeit in Tokio verband sie mit Erinnerungen an Kaito. Sie lernte ihn kennen und er wurde ihr bester Freund und irgendwann wurde er sogar zu mehr als das. Ihr Herz krampfte wieder. Sie wusste nicht mehr wann es passierte, doch sie verliebte sich in ihn – in ihren besten Freund. Auch wenn er ein Idiot war, ihr bei jeder Gelegenheit unter den Rock guckte, sie in einer Tour ärgerte, aufzog und beleidigte, ein Fan des Meisterdiebes 1412 war, obwohl dieser Verbrecher ihrem Vater seit Jahren auf der Nase herumtanzte, trotz allem entschied ihr Herz sich für diesen Jungen. Um ihre enge Freundschaft nicht zu gefährden, behielt sie ihre Gefühle für sich. Auch hatte sie sich wirklich nie Chancen bei ihm ausgerechnet. Er war bei den Mädchen in der Schule so beliebt, warum also sollte er ausgerechnet ihre Gefühle erwidern.

Sie ging die Straße entlang. Es war eine Wohnblocksiedlung. Allerdings hatte keines der Häuser mehr als fünf Etagen. Sie blieb am Briefkasten stehen, holte die Post hervor und überflog die einzelnen Kuverts. Alles war an ihren Vater adressiert. Ein trauriger Schleier legte sich über ihr Gesicht, doch die nun aufkommenden Gedanken erstickte sie im Keim. Wild schüttelte sie ihren Kopf, straffte ihre Schultern und betrat nun endlich den Wohnblock. Statt den Aufzug zu nehmen entschied sie sich lieber für die Treppe. Sie brauchte definitiv eine Ablenkung. So beschloss sie die Stufen zu zählen, die bis zu ihrer Wohnung vor ihr lagen.

Sechzig Stufen, im Grunde war ihr das egal, wichtig war nur, dass sie nicht mehr an ihn dachte. Sie ging auf die Wohnungstüre zu und steckte den Schlüssel ins Schloss. Die Tür war schnell geöffnet und sie betrat die heimischen vier Wände. Gleich nach der Tür links befand sich die Garderobe und rechts an der weißen Wand hing ein Familienfoto. Aoko im Kindergartenalter mit ihren Eltern. Sie zog ihre Schuhe aus und stellte sich vor das Foto. „Mama“, murmelte sie traurig, den Tränen nahe. Sie war heute wirklich nah am Wasser gebaut. Die vielen Erinnerungen überforderten sie.

„Aoko? Du bist schon zu Hause?“

Ihr Vater erschien in der Türe zum Flur und sah sie überrascht an. Ihre traurige Miene wich der Überraschung. „Papa, was machst du denn hier?“

„Wir haben Kids neuestes Anschreiben entschlüsselt“, informierte der Kommissar, der seit vielen Jahren den Meisterdieb 1412 jagte, dennoch konnte der jedes Mal wieder entwischen. Dass es keine ernsten Folgen für den Job ihres Vaters nach sich zog, lag einzig und allein daran, dass der Meisterdieb das Diebesgut immer wieder zurückgab. Den Sinn dahinter, verstand keiner, außer vielleicht Kid selbst.

„Wann schlägt er zu?“

„Heute Abend um halb neun. Ich muss auch in einer Stunde weg und alles für den Abend vorbereiten.“ Er sah in das enttäuschte Gesicht seiner Tochter. „Aber erst einmal essen wir zusammen. Ich habe gekocht.“

In ihre Augen trat ein zartes Leuchten. Sie stellte die Tasche in den Flur und folgte ihrem Vater in die Küche. „Was gibt’s denn feines?“

„Dein Lieblingsgericht“, verkündete der Kommissar und deckte auf.

Aoko lächelte und es war ein aufrichtiges Lächeln: „Das ist super, Papa! Vielen Dank.“

Beide setzten sich an den Tisch, wobei ihr Vater fast verlegen schien. „Naja, weißt du, du bist inzwischen eine junge Frau, studierst und wirst bald selbst arbeiten gehen und Geld verdienen. Irgendwann wirst du ausziehen...“ Er stocherte in seinem Essen herum. „Mir ist bewusst, dass ich kaum Zeit für dich hatte. Ich war so auf die Jagd nach Kid versessen, dass ich so gut wie nichts in deinem Leben mitbekommen habe. Ich habe viel verpasst und kann es nicht mehr nachholen.“

„Papa“, hauchte Aoko.

„Ich möchte dir nur einen Rat mitgeben: Mach nicht die gleichen Fehler wie ich.“ Er stand auf, sah seine Tochter lange an und nickte ihr zu. „Wünsch mir Glück, dass mir dieser Dieb endlich in die Falle geht.“

Aoko lächelte. „Viel Glück, Papa!“

Er grinste und verließ kurze Zeit später die Wohnung. Kaum fiel die Türe ins Schloss, verschwand das Lächeln von ihren Lippen und die ersten Tränen sammelten sich in ihren Augen. Mit einem leisen Schniefen kullerten diese auch schon über ihre Wange. Mehr und mehr Tränen folgten und ihr Körper wurde von einem starken, stetigen Rütteln durchzogen. Die Erinnerungen drängten an die Oberfläche, aber noch weigerte sie sich es zuzulassen. Sie wollte nicht daran denken.

Langsam fing sie sich wieder, ging ins Badezimmer und ließ sich Badewasser ein. Die Party würde in ein paar Stunden beginnen, bis dahin wollte sie noch ein bisschen entspannen. Sie zog sich aus und tauchte in das Schaumbad tief ein. Sie spürte wie die Anspannung nachließ und schloss die Augen. Wenig später war sie auch schon eingeschlafen.
 

Sie verließ mit ihren Freunden das Geländer der Universität. Wieder einmal stritten sich Kazuha und Heiji, während Shinichi von einem Fall berichtete, den er zuvor gelöst hatte. Ran lauschte seinen Schilderungen und Aoko lächelte mild. Als sie die Pärchen betrachtete, fragte sie sich ob sie selbst jemals auch in diese Situation kommen würde. Einen Freund zu haben, mit dem sie diskutieren und reden konnte, dem sie alles sagen konnte, was sie bedrückte oder beschäftigte oder dem sie auch zuhören könnte. Sie drehte sich um und wollte weiter gehen.

Doch im selben Moment wie sie los lief prallte sie gegen jemanden. Bevor sie rückwärts umfallen konnte, hielt sie jemand fest und drückte sie an sich. „Du bist ganz schön stürmisch. Hast du mich so sehr vermisst, Aoko?“

Sie blickte auf und direkt in ozeanblaue Augen. Der liebevolle Blick, das so vertraute Gesicht, das Lächeln auf den Lippen. „Kaito.“ Alles um sie herum war vergessen.

Er hielt sie in seinem Blick gefangen. „Ich liebe dich, Aoko."
 

Mit rasendem Herzklopfen schreckte Aoko aus ihrem Traum auf und sah sich verwirrt um. Sie war in ihrem Badezimmer. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie eine halbe Stunde geschlafen hatte. Immer noch klopfte ihr Herz wie wild in ihrer Brust. Um sich zu beruhigen, tauchte sie in der Wanne komplett unter, ehe sie aufstand. Schnell griff sie nach ihrem Handtuch, trocknete sich ab und nebenbei ließ sie das Wasser aus. Anschließend föhnte sie sich ihre Haare, schminkte sich dezent und tapste barfuß in ihr Handtuch eingewickelt in ihr Zimmer. Dort zog sie Unterwäsche an und schlüpfte in ein dunkelblaues Sommerkleid. Wieder ein Blick auf die Uhr und sie stellte fest, dass sie bereits viel zu spät dran war. Sie schnappte sich ihre Handtasche, eilte in den Flur, zog sich ihre dunkelblauen Pumps an, griff nach dem Wohnungsschlüssel und verließ wenig später das Haus. Ihr Weg führte zum Bahnhof.

Sie würde mal wieder viel zu spät kommen und sie konnte sich genau Heijis Reaktion darauf vorstellen. Der Zug war mal wieder überfüllt und sie stellte sich dicht an die Türe. Die Fahrt wollte gar nicht vergehen und als der Zug an ihrem anvisierten Bahnhof einfuhr, entdeckte sie schon die Freunde. Kaum waren die Türen geöffnet, drängte sich Aoko aus dem stickigen Abteil und holte zuerst tief Luft. Sie drehte sich und ging auf ihre Freunde zu. „Es tut mir leid“, hauchte sie. „Tut mir so leid“, wiederholte sie entschuldigend.

„Jetzt bist du ja da“, reagierte Kazuha als Erste und hakte sich bei Aoko unter. „Lasst uns gehen.“ Sie hakte sich auch bei Ran ein und zog die Mädchen mit sich. Heiji und Shinichi folgten den Frauen mit einem Schmunzeln.

Gemeinsam gingen sie durch eine Wohnsiedlung und kamen vor einem Haus zum Stehen. Einige Leute standen im kleinen Vorgarten.

Kazuha löste sich von ihren Freundinnen und ging als erste voran. Sie setzte an um zu läuten, als ein Mädchen sie davon abhielt. Sie lehnte an der Hauswand nicht weit von der Klingel entfernt und war bis eben in eine Unterhaltung mit einigen Gleichaltrigen vertieft. „Die Tür ist offen. Geht einfach rein.“

Kazuha nickte und öffnete die Haustür. Im selben Moment schlug ihnen laute Musik entgegen. Nacheinander traten sie in den Hausflur und quetschten sich zwischen den Gästen, die überall herumstanden, durch. Hier und da kannte man doch ein Gesicht aus der Universität oder von früher.

„Lasst uns nach Haruto suchen“, warf Shinichi ein. Inzwischen hatte er Ran an die Hand genommen, damit sie ihm in diesem Durcheinander nicht verloren ging.

Kazuha nickte und ging voran, dicht gefolgt von Aoko, Shinichi mit Ran und Heiji. Sie betraten das geräumige Wohnzimmer.

Überall standen Leute, einige saßen auf der Couch, es wurde getanzt, gefeiert und getrunken.

Ein Typ kam auf die Freunde zu und baute sich vor Kazuha auf. „Schönen guten Abend, die Dame. Darf ich mich vorstellen, ich bin Tsutomo.“

Kazuha zu überrascht, über diese direkte Anmache, blinzelte nur. Aber ihr Retter war schon zur Stelle. Heiji stellte sich neben seine Freundin, legte ihr seinen Arm um und übernahm das Wort. „Freut mich Tsutomo, ich bin Heiji und ihr Freund. Also verzieh dich, denn sie hat kein Interesse.“

Nach einem letzten Blick auf den jungen Mann, verzog sich der Typ wieder.

Aoko stand bei ihren Freunden. Sie beneidete die Mädchen. Würde jemals jemand ihr schützend zur Seite stehen?

„Ich glaub es nicht. Aoko“, quietschte eine Frauenstimme. Im nächsten Moment fiel ein Mädchen mit Zöpfen Aoko um den Hals. Überrascht und verwirrt über die stürmische Begrüßung ließ sie diese über sich ergehen. Doch als sie der jungen Frau ins Gesicht sah, erkannte sie ihre beste Freundin aus Schulzeiten. „Keiko! Was machst du hier?“

„Mein Verlobter veranstaltet diese Party“, antwortete Keiko grinsend und zeigte ihrer Freundin ihren Verlobungsring.

„Du bist verlobt? Wow“, sprachlos starrte sie den silbernen Ring an dem Finger ihrer Freundin an, ehe sie Keiko in eine feste Umarmung schloss. „Ich freue mich so für dich“, und das tat Aoko wirklich. Sie überlegte, wann sie ihre Freundin zuletzt gesehen hatte und stellte fest, dass es schon eine ganze Weile her war. Seit sie beide auf getrennte Universitäten gingen hatten sie sich aus den Augen verloren. Anfangs telefonierten sie noch halbwegs regelmäßig, doch irgendwann brach der Kontakt dann ab.

„Und wie kommst du hierher?“

„Haruto hat uns eingeladen.“ Bei dem uns deutete sie auf die Pärchen, die in ihrer Nähe standen.

„Er hat davon gar nichts erzählt“, murmelte Keiko etwas beleidigt.

Aoko lachte: „Er weiß auch gar nicht, dass wir uns kennen.“

Von irgendwo erklang plötzlich ein Grölen, dann begannen mehrere zu Lachen. Jemand schob sich an Keiko vorbei und rempelte sie so stark an, dass diese gegen Aoko gedrückt wurde. Der unsensible Trampel merkte das gar nicht, sondern brüllte jemanden zu: „Hast du schon gehört? Kids Raubzug ist wieder geglückt.“

Ein anderer lachte. „Dieser dämliche Nakamori wird den niemals schnappen.“

Alle in dessen Nähe vernahmen die Worte. Besorgt beobachtete Keiko, wie Aoko traurig ihren Kopf senkte. Sofort legte Ran tröstend einen Arm um die Freundin, während Kazuha in eben solcher Lautstärke wieder gab: „Mach du erst einmal Nakamoris Arbeit, dann reden wir weiter!“

Der Typ drehte sich zu ihr um und blitzte die Vorlaute wütend an.

Heiji trat zu seiner Freundin und fasste sie um die Schulter. Bestimmend zog er sie zurück. „Wir holen jetzt etwas zu trinken.“

Auch Shinichi nickte zu und wandte sich an die Freundinnen. „Das sollten wir auch tun.“

„Geht schon mal vor“, antwortete Aoko und rang sich wieder ein Lächeln ab.

Ran spürte, dass sie nicht mitkommen wollte und nickte. Gemeinsam verschwand sie mit Shinichi.

„Es muss schlimm für dich sein, dass dein Vater nach so langer Zeit“, begann Keiko, doch ihre Freundin unterbrach sie. „Ist schon gut. Ich hab mich dran gewöhnt, dass die Leute so über ihn reden.“ Sie könnte es ändern. Sie selbst könnte alles ändern. Wieder krampfte ihr Herz.

Keiko sah die Traurigkeit. „Ich möchte dir Shun vorstellen.“

Aoko nickte, dankbar über die Ablenkung und folgte ihrer Freundin durch das Haus. Es waren so viele Gäste da, dass sie sich durch die Menge hindurch schoben. Eines schwor sie sich, solch eine Party würde sie selbst niemals feiern. Irgendwann und nach tausend Gesichtern standen die beiden vor einem blonden Japaner, der an einer Bierflasche nippte, während er seinem Gesprächspartner lauschte.

Keiko zog die Aufmerksamkeit der beiden Männer auf sich. „Schatz? Ich möchte dir jemanden vorstellen.“

Sie zog Aoko an ihre Seite. „Das ist Aoko Nakamori, meine langjährige Freundin.“ Sie drehte sich lächelnd zu Aoko um. „Das ist Shun und Haruto kennst du ja.“

„Freut mich, Aoko Nakamori“, begrüßte Shun die Braunhaarige mit einem Handschlag.

„Freut mich auch“, erwiderte Aoko freundlich und wandte sich dann dem Jungen zu, der sie eingeladen hatte. „Guten Abend, Haruto.“

„Schön dich zu sehen, Aoko.“

Shun beobachtete die beiden und mischte sich plötzlich ein. „Keiko und ich kümmern uns mal um unsere Gäste. Wir sehen uns später.“ Und mit diesen Worten verschwand er mit seiner Verlobten in der Menge.

„Ich wusste nicht, dass Ihr euch kennt“, bekannte Haruto verlegen und wischte sich durch seine hellbraunen Haare.

„Ich wusste nicht, dass Keiko in eure Familie einheiratet.“ Aoko spielte verlegen mit ihren Fingern.

„Tja, so klein ist die Welt. Sie ist ein nettes Mädchen und sie tut ihm gut.“

„Sie ist glücklich“, stellte Aoko zustimmend fest und beide sahen verlegen weg.

„Wollen wir ein bisschen rausgehen und frische Luft schnappen?“

Aoko nickte. Die Musik war wahnsinnig laut aufgedreht. Es wunderte sie, dass bisher noch keine Polizei erschienen war. Haruto ging voraus und die Tochter von Kommissar Nakamori folgte ihm.

Wenig später traten sie über die Terrasse in den großen Garten. Überall hingen Lampions und es brannten Fackeln. Hier draußen herrschte eine romantische Stimmung. Einige Pärchen hatten sich sogar in dunklere Ecken verzogen.

„Wie kommt es, dass du nichts von Keiko wusstest?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Seit Beginn des Studiums haben wir uns aus den Augen verloren.“

Haruto versteckte seine Hände in den Hosentaschen und nickte. „So geht das manchmal im Leben.“ Er sah sie aufmerksam an. „Und wie läuft dein Studium?“

„Gut, es läuft wirklich gut.“

„Sind Hattori und Kudo auch da?“, er rümpfte bei den Namen ein wenig die Nase.

„Ja mit Ran und Kazuha“, stimmte sie skeptisch zu. Ihr entging nicht, dass er nicht viel von den Detektiven hielt. Auch wenn die beiden arrogant und teilweise überheblich waren, so zählten sie zu ihren engsten Freunden. „Sie sind meine Freunde. Sag nichts schlechtes über sie“, murrte die Braunhaarige ihn an.

Haruto stutzte über ihre Tonlage und konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. „Ich verspreche es. Du hast ja gar nichts zum Trinken. Ich hole uns etwas. Bin gleich wieder da.“ Schon war er verschwunden und sie blieb zurück.

Aoko nickte leicht irritiert über den schnellen Themenwechsel. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Wie schon früher wünschte sie sich in die Köpfe anderer sehen zu können. Sie wusste nicht wie lange sie hier draußen in der kühlen Nacht stand, aber so langsam fröstelte es sie. Es wäre ein leichtes gewesen einfach in das überfüllte Haus zurückzukehren, aber sie wollte nicht. Die klare Nachtluft tat ihr gut, reinigte endlich mal ihren Kopf und seit langem fühlte sie, wie sie wieder unbeschwerter wurde.

Kichernd trat jemand in den Garten hinaus.

„Du hast eindeutig zu viel getrunken.“

Diese Stimme... diese Stimme würde sie unter tausenden wieder erkennen. Wie in Zeitlupe drehte Aoko sich zur Türe und erfasste ein Bild, welches sich sofort tief in ihre Seele einbrannte. Vor ihr stand ein Pärchen.

Sie, eine hübsche Japanerin mit dunklem Haar und dunklen Augen, kicherte über ihre eigene Tollpatschigkeit, während er, ein gutaussehender Mann mit braunem zerzaustem Haar, sie im Arm hielt, damit sie nicht umfallen konnte.

Ihr Herz begann ganz plötzlich das doppelte Tempo aufzunehmen. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und sie konnte die beiden nur mit großen Augen anstarren.

Er lachte heiser auf und schob seine Begleitung seitlich zu den Gartenmöbeln. Dort verfrachtete er sie auf einen Stuhl. „Die frische Luft wird dir gut tun.“

Aoko wollte weglaufen, doch ihre Beine versagten ihr den Dienst. Sie wollte schreien, aber nicht ein Ton verließ ihre Lippen. Am liebsten wollte sie sich in Luft auflösen, aber das war wissenschaftlich und physikalisch gesehen unmöglich.

„Ich hol dir ein Wasser.“ Mit den Worten richtete er sich auf, drehte sein Gesicht in ihre Richtung und hielt in seiner Bewegung inne. Seine blauen Augen, sie glichen dem weiten Ozean, sahen sie ausdruckslos an.

Aoko glaubte in diesem Moment sterben zu müssen. Sie versank regelrecht in diesem tiefen dunklen Blau. Ihr Herz legte zum Dauersprint an und ihr gesamter Brustkorb zog sich schmerzhaft zusammen.

Er rührte sich nicht, stand wie angewurzelt an Ort und Stelle. Seine Augen, sein Gesicht, seine gesamte Körperhaltung, nichts konnte sie daraus schließen. Tränen stiegen in ihr auf. Mit ihr auch die verdrängte Erinnerungen.
 


 

---------------------Flashback---------------------------------
 

Wutschnaubend ging sie durch den Park. Ihr Handy hielt sie fest in Händen. Wo war dieser blöde Idiot? Warum war er nicht erreichbar?! Sie setzte sich auf eine Parkbank und verschränkte die Arme vor der Brust. Wieso konnte er nicht ein einziges Mal pünktlich sein? War das denn zu viel verlangt? Dabei ging es doch um ihre Zukunft. Sie wollte es ihm bei ihrer Verabredung erzählen, aber er kam mal wieder zu spät. Dabei wollte sie sich doch gar nicht ärgern, denn sie war so glücklich. Endlich kam das Antwortschreiben der Universität und sie wurde angenommen. Aoko Nakamori würde schon im Herbst mit ihrem Studium beginnen, auf ihrer Wunschuniversität. Sie wollte ihm, ihrem besten Freund, diese Nachricht mitteilen. Er sollte sich mit ihr freuen. Doch stattdessen ging er nicht an sein Handy und ihre Verabredung schien er auch vergessen zu haben.

Bald schon standen die Abschlussprüfungen an. Sie wusste was sie wollte, aber von ihm und seinen Zukunftsplänen hatte sie keine Ahnung. Jedes Mal wenn sie das Gespräch in diese Richtung lenkte, schaffte er es ihr geschickt auszuweichen und das Thema zu wechseln.

Es ärgerte sie, dass er sie so leicht beeinflussen konnte. Darum hatte sie sich entschieden. Sie würde hartnäckig beim Thema bleiben und wenn er es wechseln wollte und sogar schaffte, würde sie auf dieses Thema zurückkommen. Dieses Mal gab es keine Ausflüchte für Kaito Kuroba.

Ein junger Mann kam angerannt und ließ sich vollkommen außer Atem neben ihr auf die Bank plumpsen. „Es tut mir leid, Aoko. Kommt nie wieder vor“, versprach er ganz außer Puste.

„Das hast du mir schon so oft versprochen“, fauchte sie ihn sauer an.

Er blickte sie mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen an und beugte sich etwas zu ihr. In seiner Hand erschien wie aus Zauberhand eine einzelne Rose. „Nimmst du meine kleine Entschuldigung an?“

Aoko schmollte noch immer, wobei ihr Herz beim Anblick der Rose einen heftigen Salto schlug. „Ausnahmsweise“, neckte sie ihn und nahm die Rose entgegen. Der frische Duft der Blüte stieg ihr sofort in die Nase. „Denn ich bin heute extrem gut gelaunt.“

Kaito lehnte sich auf der Bank zurück, ließ sie aber keine Sekunde aus den Augen. „Was ist der Anlass?“

„Ich habe heute die Bestätigung meiner Wunschuniversität erhalten“, verkündete sie euphorisch. Ihre Augen strahlten ihn an. „Ist das nicht toll? Ich kann auf die Universität gehen, auf die ich schon mein gesamtes Leben hinarbeite.“

Ihre Augen leuchteten ihm regelrecht entgegen. Auch er lächelte, freute sich mit ihr. Aoko bemerkte, dass der Glanz in seinen Augen schwand. „Was ist los?“

„Nichts, ich freue mich für dich, Aoko“, wich der Oberschüler aus.

„Hat sich bei dir schon etwas getan? Hast du schon Rückmeldungen von Universitäten erhalten?“

Er schwieg dann begann er seinen Kopf zu schütteln. „Ich habe Lust auf ein Eis. Möchtest du auch eins?“

„Kaito, bitte“, sah ihn Aoko an.

Der junge Mann hüllte sich in Schweigen.

„Kaito, bitte sag mir doch endlich was sich bei dir tut.“

Er seufzte auf. „Ich möchte nicht darüber reden.“ Im nächsten Moment drehte er seinen Kopf von ihr weg und starrte in den blauen Himmel.

Traurig senkte sie ihre Augen. „Ich dachte, wir könnten immer über alles reden.“

Er kniff seine Augen zusammen und sah sie an. „Es wird dir nicht gefallen.“

Überrascht sah sie zu ihm auf. Zu dem Jungen, der sie seit einigen Jahren um einen ganz Kopf überragte. „Ich werde nicht ausflippen.“

Er blickte sie an, schien abzuwägen, dann holte er Luft. „Ich werde nicht studieren.“

Ihr Mund öffnete sich, sie wollte etwas sagen, irgendwas, aber es kam kein Ton heraus. Darum schloss sie ihn wieder, presste ihre Lippen aufeinander.

„Ich habe mich auf einer europäischen Schule angemeldet. Dort werde ich mein Wissen über die Magie und die Illusion vertiefen. Wenn ich zurück komme will ich der größte und beste Magier Japans werden.“

Ruckartig erhob sich Aoko und ballte ihre Hände zu Fäusten. „Du bist ein Träumer, Kaito! Einfach nur ein Träumer. Wie kannst du dein Leben wegen diesem Blödsinn aufgeben? Ein Studium wäre viel sinnvoller für deine Zukunft. Zaubern kannst du auch nebenbei.“

„Ich wusste, dass du es nicht verstehst“, murmelte der Junge.

„Ausgerechnet Europa“, ignorierte sie seine Worte. „Weiter weg geht es ja nicht mehr“, es war weniger das Zaubern und sein Traum, sondern einfach die Tatsache, dass er sie in Japan zurückließ. Sie könnte niemals so weit von ihm fortgehen und er entschied sich für Europa ohne mit der Wimper zu zucken. Ein schmerzhafter Stich durchfuhr ihren Körper. Sie war einfach nur seine beste Freundin und würde nie mehr für ihn sein. In diesem Moment riss das enge Band der Freundschaft ein.
 

---------------------Flashback Ende----------------------------
 


 

„Kaito, wo bleibt mein Wasser?“ Die dunkelhaarige Schönheit warf sich an den Arm des erstarrten jungen Mannes und kicherte erneut, als sie drohte den Halt zu verlieren.

„Ja, natürlich“, antwortete er ihr mechanisch, ohne seine Augen von Aoko abzuwenden.

Die Braunhaarige kämpfte gegen die Welle ihrer Empfindungen an. Sie schwor sich vor vielen Jahren nicht mehr vor ihm zu weinen. Irgendwie schaffte sie es ihre Haltung zu bewahren, straffte die Schultern und ging ignorant an ihrem besten Freund und gleichzeitig großer Liebe vorbei.

„Aoko.“

Sie hielt kurz inne, denn seine Tonlage in diesem Wort klang zutiefst traurig, doch dann ging sie einfach weiter. In der Türschwelle begegnete ihr Haruto, der zwei Getränkegläser in den Händen hielt. Verwirrt betrachtete er sie und als er Aoko eines der Gläser überreichen wollte, wies sie es ab. „Wir sehen uns in der Uni, Haruto. Vielen Dank für die Einladung.“ Im nächsten Moment verschwand sie im Haus und suchte sich den Weg zur Haustüre.

Als sie endlich das Haus hinter sich gelassen hatte, beeilte sie sich nach Hause zu kommen.

Zwei Stunden später lag sie im Bett und lenkte sich gedanklich mit Zahlen und Rechenaufgaben ab, nur um nicht an diesen Abend denken zu müssen. Es half sogar und sie schlief schon bald ein.
 

Wie gerädert wachte sie am nächsten Vormittag auf. Ein penetrantes Dauerklingeln ertönte von ihrem Nachtkästchen. Verschlafen und verwirrt suchte sie die Ursache. Es war ihr Handy, das unentwegt läutete. Sie rieb sich über ihre Augen. Langsam griff sie zum klingelnden Telefon, in der Hoffnung, dass der Anrufer es einfach aufgab. Leider war dem nicht so. Ein kurzer Blick aufs Display: Ran Mori. Seufzend hob sie ab. „Ja?“

„Wo bist du gestern gewesen? Wir haben uns Sorgen gemacht. Du bist auf einmal verschwunden.“

„Mir hat es auf der Party nicht so gefallen.“ Das war nicht mal gelogen. „Ich hätte mich von euch verabschieden sollen, aber ich wusste auch nicht, wo ich suchen sollte.“ Das war auch nicht gelogen. Immerhin waren viel zu viele Leute auf der Party gewesen. Ihre Freunde hätten überall sein können. Der einzige Unterschied zu ihrer Aussage war, dass sie überhaupt nicht daran dachte Bescheid zu geben.

Plötzlich hörte sie ein Rascheln und im nächsten Moment erklang Shinichis Stimme durch den Hörer. „Wir haben heute Abend noch etwas vor. Pack dir schicke Kleidung ein und nimm auch Wechselkleidung und Waschutensilien mit. Und Aoko, bitte warte pünktlich um eins vor der Türe.“

„Wo gehen wir denn hin?“ Aoko hasste Überraschungen.

„Wir fahren nach Osaka. Übernachten werden wir bei Kazuhas Eltern“, antwortete Shinichi. „Bis eins.“ Mit diesen Worten legte er auf und ein dauerhaftes Tuten erklang.

„Ein Uhr... Osaka... Was wollen wir denn dort?“ Ihr Blick streifte die Uhr. „Oh, verdammt, es war schon zwölf Uhr durch. Nun musste sie sich beeilen.
 

Fünf Minuten nach eins stand Aoko vor der Haustüre. Sie trug eine bequeme Jeans, ein Shirt und ihre Turnschuhe. Ihre Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden. Bei sich trug sie einen kleinen Reisekoffer gepackt mit einem Cocktailkleid, ihren Pumps, einem Jäckchen und ihrer Schminke, sowie Zahnbürste, Kamm und noch Wechselkleidung. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihr, dass sie schon fünf Minuten wartete. „Von wegen ich soll pünktlich sein“, grummelte sie mürrisch vor sich hin.

Im nächsten Moment fuhr ein schnittiger Kleinwagen vor und hielt direkt vor ihrer Türe. Heiji stieg aus und grinste Aoko fröhlich an. „Du bist ja schon da“, feixte er.

„Natürlich bin ich schon da. Eine halbe Ewigkeit warte ich schon auf euch“, konterte Aoko ebenso neckisch und ging zum Kofferraum, den Heiji bereits öffnete. Vier Reisetaschen waren in den kleinen Stauraum gepackt. Sie packte ihren Koffer dazu und stieg ein.

Kazuha auf dem Beifahrersitz drehte sich um. „Wie schön, dass du mitkommen kannst.“

„Kannst?“, wiederholte Aoko, während sie sich auf die Rückbank setzte, die Türe schloss und sich anschnallte. „Mir wurde keine andere Wahl gelassen.“ Sie funkelte Shinichi erwartungsvoll an, der auf der anderen Seite der Rückbank saß. Ran war zwischen ihnen und wäre es nicht so gewesen, hätte sie den jungen Mann wahrscheinlich eigenhändig erwürgt.

„Ich dachte du freust dich mal eine andere Stadt zu sehen“, erwiderte Shinichi unbekümmert.

Auch Heiji, der den Kofferraum geschlossen hatte, stieg wieder ein und übernahm als Fahrer das Kommando. „Bitte alles anschnallen. Heimat wir kommen“, grinste er Kazuha an und drückte das Gaspedal durch.“
 

Die Fahrt war unterhaltsam, lustig und bei ihren Lieblingsliedern trällerten sie alle zusammen mit. Auch Shinichi und Heiji ließen es sich nehmen zu einem Song zu singen. Es klang furchtbar falsch, aber dennoch lachten sie alle miteinander. Die sechs Stunden Fahrtzeit verging wie im Flug und schon bog Heiji in die Einfahrt eines Einfamilienhauses ein und parkte.

Shinichi stieg aus und streckte sich ausgiebig. Auch die Mädchen stiegen aus und dehnten ihre Glieder. „Das nächste Mal kannst du uns ruhig mit einer Limousine abholen“, zwickte Shinichi seinen Freund auf, der aber besonnen und ruhig konterte. „Wenn du etwas gegen mein Auto hast, Kudo, darfst du morgen gerne mit dem Zug zurückfahren.“

„Dann haben wir mehr Platz auf der Rückbank“, kicherte Ran und Aoko begann eifrig zu nicken.

„Das hättet ihr wohl gerne, was?“, erwiderte Shinichi.

Kazuha öffnete bereits den Kofferraum und stellte einen Koffer nach dem anderen auf den Boden. „So, wir müssen uns beeilen. Mädels wir haben nur zwei Stunden Zeit.“ Sie schnappte sich ihren Koffer und ging zur Haustüre.

„Zeit wofür?“ Irgendwie hatte Aoko das Gefühl, dass sie die einzige war, die nicht wusste warum sie in Osaka waren.

„Wir gehen heute Abend noch ins Theater“, informierte Ran ihre Freundin und hob ihren Koffer an.

Auch Aoko folgte den Mädels.

„Dafür doch auch die schicken Klamotten“, grinste Kazuha und sperrte endlich die Türe auf. „Meine Eltern sind für ein paar Tage verreist“, erklärte sie. Nebenbei schaltete sie das Licht an. „Sie baten mich hier mal nachzusehen, ob alles in Ordnung ist.“ Sie strebte zielstrebig die Treppe zum Obergeschoss an, ging dann aber unerwarteterweise doch daran vorbei. Vor einer Tür blieb sie stehen und öffnete diese. Ein kurzer Blick ins Zimmer und schon drehte sie sich Aoko zu. „Das ist das Gästezimmer. Frisches Bettzeug leg ich dir gleich noch hin.“ Schon drehte sie sich zu Ran. „Du und Shinichi werdet in meinem alten Zimmer schlafen. Heiji und ich schlafen im Zimmer meiner Eltern.“ Wieder drehte sie sich zu Aoko um. „Du hast hier gleich angrenzend ein Badezimmer. Blockiere es lieber gleich, ehe die Jungs kommen“, zwinkerte sie ihrer Freundin zu. „Ran, geh du schon mal oben ins Bad. Ich werde noch Aokos Bett überziehen, dann gehe ich anschließend Duschen.“

Gesagt, getan und die Jungs überließen den Damen den Vortritt, da diese bekannterweise immer länger brauchten.

Um neun waren dann endlich alle zur Abfahrt bereit. Shinichi, gekleidet in einem dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd und dunkelblauer Krawatte, blickte auf seine Uhr. „Die Vorstellung beginnt in einer halben Stunde.“

„Mit dem Auto sind wir in zehn Minuten dort. Und das Theater hat ein Parkhaus. Wir schaffen es schon noch pünktlich“, beruhigte Heiji seinen Kumpel, wobei er aber auch langsam nervös von einem Bein aufs andere trat. Er trug einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd. Die oberen Hemdknöpfe waren geöffnet. Eine Krawatte hatte er in seiner Jackentasche dabei, für den Fall, dass er eine umbinden musste.

Auch die Frauen standen zum Aufbruch bereit im Flur. Aoko trug ein schwarzes Cocktailkleid, dazu ein weißes Bolerojäckchen und weiße Pumps. Ran war gekleidet in einem weinrotem Minikleid, dazu trug sie schwarze Highheels. Kazuha in einem dunkelblauem Cocktailkleid gekleidet, trug dunkelblaue Pumps. Zum Anlass des Abends, trugen alle drei Mädchen ihre Haare offen. „Ihr seht bombastisch wirklich aus“, sprach Heiji aus und Shinichi nickte anerkennend.

Gemeinsam verließen sie das Haus und stiegen wieder ins Auto. Im nächsten Moment fuhr Heiji im Abendverkehr durch Osaka zum Theater.

Aoko blickte wie gebannt aus dem Fenster. Sie war noch nie zuvor in Osaka gewesen. Und nun fuhren sie durch eine sehr belebte Hauptstraße auf der sich viele Partygänger tummelten. Vielleicht konnten sie morgen Vormittag noch einen kurzen Ausflug in die Metropole unternehmen. Immerhin waren Heiji und Kazuha in dieser Großstadt aufgewachsen.

Heiji fuhr in ein großes Parkhaus und wenige Minuten später parkte er in einer Lücke ein. Die Freunde stiegen aus und gemeinsam folgten sie einigen anderen Theaterbesuchern zum Ausgang. Die Nachtluft war recht kühl und Aoko fröstelte es leicht, trotz ihrem Jäckchen. Sie überquerten einen großen Platz und kamen kurz darauf vor einem großen, hell erleuchteten Gebäude zum Stehen, vor dessen breite und geöffneten Türen rote Teppiche verlegt waren.

Shinichi ignorierte die Schlange an der Abendkasse und ging direkt zum Eingang. Ein Herr im schwarzen Frack begrüßte ihn freundlich und betrachtete die fünf Eintrittskarten. „Den Gang rechts entlang. Einen angenehmen Abend.“

„Danke schön“, antwortete Shinichi und grinste seine Freunde an. „Lasst uns gehen.“

Sie folgten der Beschilderung zu ihren Plätzen und setzten sich nebeneinander hin. Mehr und mehr Besucher füllten den Saal, aber der linke Platz neben Aoko blieb leer. Ein komisches Gefühl breitete sich in ihr aus. Und je voller der große Saal wurde, desto unwohler fühlte sie sich. Um sich von ihren Gedanken abzulenken, wandte sie sich an Ran, die rechts neben ihr saß. „Seltsam, dass niemand neben mir sitzt.“

Heiji beugte sich vor und sah an seinen Freunden vorbei zu Aoko. „Das liegt daran, dass Haruto die sechste Karte erhalten hat. Aber er konnte leider nicht mitkommen.“

„Haruto?“ Aoko schien erst nicht zu verstehen, doch als sie in die grinsenden Gesichter der beiden Jungs sah, ahnte sie worum es hier ging. „Ist das euer Ernst? Ihr wollt mich verkuppeln?“ Ihre Augen wichen zu Kazuha, die zwischen Shinichi und Heiji saß. Deren grüne Augen leuchteten Aoko entgegen.

„Es wäre doch super, wenn du auch jemanden an deiner Seite hast.“

„Aber wieso Haruto?“

„Du magst ihn, er mag dich. Ihr versteht euch“, erklärte Heiji mit den Augen rollend. „Müssen wir dich jetzt wirklich über Liebesdinge aufklären?“

„Nervt dich das nicht, dass du immer mit zwei Pärchen unterwegs bist?“, wagte auch Ran einen Einwurf. Wieder sprach pure Besorgnis aus ihren blauen Augen.

„Du bist also auch der Meinung?“ Entnervt und fast ein wenig beleidigt, lehnte sich Aoko in ihrem Stuhl zurück. „Warum könnt ihr mir die Wahl nicht selbst lassen?“

„Seit wir dich kennen bist du Single“, antwortete Shinichi trocken.

„Vielleicht will ich das auch einfach sein?“ Wollte sie nicht, aber es war nun mal so.

„Ich versteh zwar nicht was du an Haruto so nett findest, aber er scheint es wirklich ernst mit dir zu meinen“, warf Heiji wieder ein.

Aoko wusste, dass er diesen Kerl nicht sonderlich mochte. Darum erstaunte sie seine Reaktion umso mehr. Ungewollt wurde sie rot um die Nasenspitze. Haruto und sie? Das war bisher undenkbar und kam überhaupt nicht infrage. Sie war sich doch selbst noch nicht einmal schlüssig.

Es ertönte ein Gong und alle restlichen Besucher strömten noch in den Saal. Wenige Minuten später verkündete ein zweiter Gong, dass die Vorstellung beginnen würde.

Neugierig wartete Aoko auf den Beginn und erst jetzt fiel ihr ein, dass sie überhaupt nicht wusste worum es überhaupt ging. Sie lehnte sich leicht zu Ran rüber und flüsterte: „Was ist das für eine Vorstellung?“

Bevor Ran antworten konnte, trat ein älterer Herr auf die Bühne. Er begrüßte die Gäste mit ein paar Worten. Währenddessen flüsterte Ran: „Es ist eine Show. Mehrere Magier haben heute ihre Auftritte.“

„Und nun darf ich Sie bitten Ihre Mobiltelefone auszuschalten. In wenigen Minuten beginnt unsere Show. Genießen Sie den Abend.“ Applaus ertönte und schon ging das Licht aus.

Ein Gedanke blitzte auf. Ob er auch dabei war? Sie verwarf diesen Gedanken schnell wieder und hoffte inständig dass dem nicht so war. Und wenn doch? Innerlich schüttelte sie ihren Kopf. Dann würde er sie in dieser Menge bestimmt nicht sehen. Sie könnte sich in ihrem Sitz klein machen, die Show bis zum Ende ansehen und dann in der Menge heimlich verschwinden.

Ein Scheinwerfer leuchtete auf den großen roten Vorhang. Schon wich der zu zwei Seiten auf und der erste Magier erschien auf der Bühne und vollführte einige seiner Tricks.

Aoko sah einfach nur zu, während ihre Gedanken wieder abschweiften.
 


 

---------------------Flashback---------------------------------
 

Die Zeit verging schnell und die Abschlussprüfungen standen bevor. Ihr Umgang miteinander veränderte sich. Mit der Nachricht, dass er nach Europa ging, brach für Aoko eine Welt zusammen. Kaito hingegen begann seine beste Freundin mehr und mehr zu ignorieren. Stattdessen beschäftigte er sich mehr mit Akako, einer gemeinsamen Mitschülerin. Sein Verhalten verletzte Aoko nur noch mehr. Jedoch zeigte es ihr auch deutlich, dass er niemals mehr für sie empfand, als eine einfache Freundschaft.

Als die Abschlussprüfungen geschrieben waren, folgte der letzte Meilenstein in ihrer Schulgeschichte. Der Abschlussball. Kaito hatte an dem Abend mit sämtlichen Mädchen getanzt, außer mit Aoko. Die Freundschaft zerbrach mehr und mehr.

Am letzten Schultag saß sie mit ihrer Klasse zum letzten Mal zusammen im Unterricht. Sie erhielten ihr Abschlusszeugnis, gaben die Bücher zurück.

Gleich am nächsten Tag würde Kaito nach Europa fliegen. Aoko dachte an das kleine Abschiedsgeschenk, welches sie für ihn besorgt hatte. Ein Foto von ihnen beiden in der Oberstufe, aus der Zeit in der sie noch unzertrennlich und dicke Freunde waren. Sie hing an diesem Bild, wollte daran glauben, dass es irgendwann wieder so werden würde. Sie hatte es eingerahmt in einem blauen Bilderrahmen.

Als der Gong das Schulende ankündigte, packte sie ihre Sachen zusammen. Die Mitschüler verließen alle recht schnell den Raum. Seltsamerweise hatte die Braunhaarige nicht das Bedürfnis dieses Klassenzimmer schnell zu verlassen. Immerhin verbrachte sie in diesem Raum, die letzten besonders prägenden Jahre. Viele Erinnerungen waren mit der Oberstufe verbunden.

Sie blickte zu dem Mopp, der ordentlich neben zwei leeren Blecheimern in der Nische beim Waschbecken stand. Wie oft hatte sie sich diesen Wischmopp geschnappt und Kaito durch die Klasse gejagt, weil er ihr unter den Rock geguckt hatte und sie danach mit der Farbe ihrer Unterwäsche aufzog.

Oder wie oft hatte sie mit ihm hier über Kid gestritten und diskutiert. Nur weil er ein Fan von dem Meisterdieb war und sie den Verbrecher bis aufs Blut hasste.

In Gedanken versunken stand sie an ihrem Tisch, eine Hand auf der Tischplatte abgelegt und starrte einfach in den großen Raum.

Ein Räuspern erklang neben ihr.

Aufgeschreckt sah sie sich um und stellte fest, dass sie die Letzte in dieser Klasse war. Nur Kaito stand noch mit ihr im Klassenraum und sah sie an. Mit starkem Herzklopfen erwiderte sie seinen Blick. Würden sie endlich wieder richtig miteinander reden? Sie sah wie er seinen Mund öffnete um etwas zu sagen. Sie wusste nicht, dass die folgenden Worte sie innerlich zerstörten.

„Aoko, wie du ja weißt, werde ich morgen abreisen... und ich möchte nicht, dass du zum Flughafen kommst. Bitte komm nicht!“

„Aber warum...?“ Ihre Stimme versagte, da ihr Herz in tausend Stücke zerbrach.

„Ich will dich einfach nicht dort sehen, hast du mich verstanden?“ Er war so abweisend, seine Augen so dunkel. Es war sein Ernst. Er wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben.

Sie zwang sich zu einem Lächeln, das sehr missglückte. Ein einfaches Nicken statt Worte, die ihr auf der Zunge lagen sie aber nicht aussprechen konnte. Ihre Stimme verweigerte ihr den Dienst. Sie schluckte schwer, kniete sich zu ihrer Schultasche hinunter und zog ihr Abschiedsgeschenk hervor. Der Bilderrahmen war in einem weißen Geschenkpapier verpackt auf dem mittig eine rote Rosenblüte prangte. Jedes Mal wenn sie dieses Geschenkpapier sah, musste sie an ihn denken, an ihre erste Begegnung, an die Rose, die er ihr damals hervorzauberte und schenkte.

Sie starrte die Rose an, schluckte tapfer die aufsteigenden Tränen hinunter und hielt ihm das Päckchen hin.

Lange sah er auf das Geschenk hinab, ehe er es zögerlich entgegennahm.

Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. „Du musst es nicht behalten, wenn du es nicht möchtest. Wenn du es wegschmeißen möchtest, dann ist es auch in Ordnung.“ Ihre Worte schmerzten sie innerlich. Sie verstand ihn nicht. Sie verstand einfach nicht, wie er ihre so enge Freundschaft einfach beendete und hinter sich lassen konnte. Sie konnte mit all dem nicht abschließen. Sie wollte nicht damit abschließen. Hilflos und verzweifelt klammerte sie sich an die Hoffnung, dass alles wieder gut würde. „Gute Reise und auf Wiedersehen.“ Schnell schnappte sie sich ihre Schultasche und verließ eiligst das Klassenzimmer. Erst auf dem Gang lösten sich die Tränen aus ihren Augen. Sie hoffte auf ein Wiedersehen, aber sie ahnte bereits, dass es ein Lebewohl war.
 

---------------------Flashback Ende----------------------------
 


 

Aokos Augen schimmerten. Es lag nicht an dem Trick des vierten Zauberers, als der seine Assistentin in zwei Hälften geschnitten hatte. Sondern einzig und allein die Erinnerungen stimmten sie traurig. Das wirklich Schlimme an allem war, dass sie ihn immer noch liebte. Nach all den Jahren war sie diesem Jungen immer noch verfallen. Sie glaubte, wenn sie ihn nicht mehr sah, würde sie ihn vergessen können. Sie dachte wirklich, dass sie sich neu verlieben könnte. Wie naiv sie doch war.

Dass ihre Freunde sie mit einem Mann verkuppeln wollte, zeigte ihr doch nur, wie dumm sie sich verhielt. Sie verschloss die Augen vor der Realität. Aoko jagte einem Ziel nach, welches sie nicht erreichen konnte, welches nicht ihr Schicksal war. Sie hatte sich in ihre Wünsche und Gedanken verrannt.

Applaus ertönte um sie herum. Dann ging der Vorhang zu. Der ältere Herr betrat wieder die Bühne und kündete den letzten Akt an. „Meine verehrten Gäste. Vor vielen Jahren durften wir einen Zauberer bewundern, der einer der besten, beliebtesten und bekanntesten Magier der Welt wurde. Heute möchte ich Ihnen seinen Sohn vorstellen, der mit seinem Talent seinem Vater in nichts nachsteht. Begrüßen Sie mit einem herzlichen Applaus Kaito Kuroba und seine hübsche Assistentin Rui Kansaki.“ Der Saal vibrierte leicht von dem tosenden Applaus, während der ältere Herr von der Bühne verschwand und der rote Vorhang erneut geöffnet wurde.

Alles war dunkel. Der Applaus ebbte nur langsam ab. Ein einzelner Scheinwerfer leuchtete über die Köpfe des Publikums hin zur Bühne und blieb genau in der Mitte stehen. Weißer Nebel stieg auf und als dieser langsam abzog stand ein junger Mann in einen dunkelgrauen Anzug, darunter trug er ein weißes Hemd und statt einer Krawatte hatte er sich eine blaue Fliege umgebunden, auf der Bühne. Hinter ihm begann immer wieder Licht aufzuflackern, bis es plötzlich einen lauten Knall tat und die Scheinwerfer die Bühne in ein bläuliches Licht warfen. Nun konnten die Besucher auch den Hintergrund sehen. Kaito zeigte seine alten und gleichzeitig auch beliebtesten Tricks, dann allerdings drehte er in seiner Show in den nächsten Gang und zeigte spektakuläre Illusionen und Zaubertricks. Immer wieder tauchte eine hübsche Japanerin in einem Glitzerminikleid im Hintergrund auf und reichte ihm Utensilien, oder bereitete etwas vor.

Zum Schluss trat Kaito nahe an den Bühnenrand und zeigte der ersten Reihe seine, in einem weißen Handschuh versteckt, leere Hand. „Sie sehen meine Hand ist leer. Ich habe nichts versteckt.“ Zum Beweis wackelte er auch mit seinen Fingern. Er hielt seine Hand ganz still und plötzlich erschien eine einzelne Rose zwischen seinem Daumen und dem Zeigefinger.

In Aoko breitete sich bei diesem Anblick ein Stich aus. Aber alle anderen fanden den Trick bravurös und applaudierten kräftig.

Kaito hingegen reichte die Rose einer Dame aus der ersten Reihe. Schon winkte er seine Assistentin herbei. Sie stellte sich neben ihn, sah ihn fragend an, doch im selben Moment hob er wieder seine Hand, zeigte damit seinen Zuschauern symbolisch die leere Handfläche. Im nächsten Moment erschien wieder eine einzelne Rose zwischen seinen Fingern. Er hielt diese seiner Assistentin hin.

„Danke“, antwortete sie in einer lieblichen Stimme. Sie wollte soeben die Blume an sich nehmen, als er seine Hand mit samt Rose zurückzog und diese wieder verschwinden ließ.

Aoko saß wie erstarrt in ihrem Sitz. Hatte er nicht genauso sie früher behandelt? Hatte sie wirklich angenommen, dass er nur ihr Blumen herbei zauberte? Sie hatte nie mitbekommen, dass er anderen Mädchen Blumen schenkte. Aber vielleicht war das auch nur eine Masche von ihm. Hatte er sie bewusst in dem Glauben gelassen, dass nur sie Rosen von ihm geschenkt bekam?

Kaito grinste in das erstarrte Publikum. „Eine so wundervolle Assistentin hat mehr verdient, als eine einzelne Rose. Schon erschien ein ganzer Rosenstrauß in seiner Hand, den er ihr jetzt in die Hände drückte.

Überwältigt blickte die Assistentin auf die schönen roten Rosen in ihren Händen und bedankte sich glücklich strahlend bei ihrem Kollegen. Ihre Worte an ihn gingen im aufkommenden Applaus unter. Dennoch konnte man sehen, wie sie einen Schritt auf ihn zu ging und ihn sanft auf die Wange küsste.

Kaito lachte, legte einen Arm um ihre Schulter und gemeinsam verbeugten sich die beiden. Der Saal tobte und einige der Besucher standen sogar auf, während sie weiter klatschten.

Selbst Ran und Kazuha standen auf. Sie waren fasziniert und eingenommen von der Show. Der junge Mann hatte sie förmlich in seinen Bann gezogen. Heiji, Shinichi und Aoko blieben sitzen, wobei letztere zur Salzsäule erstarrt war.

Der Zauberer und seine Assistentin verschwanden von der Bühne und der Vorhang fiel zu. Wenig später wurde dieser wieder geöffnet und alle mitwirkenden Künstler standen auf der Bühne, sie verbeugten sich mehrmals vor dem applaudierendem Publikum und genossen den Jubel des Publikums.

Irgendwann war es dann zu Ende und die Gäste strömten aus dem Saal. Bevor die Freunde nun den Ausgang anvisierten, deutete Shinichi in die entgegengesetzte Richtung. „Ich habe noch eine Überraschung für euch.“ Irritiert, weil dies keiner von ihnen wusste, folgten sie dem Detektiv, der sie zu den Räumen hinter die Bühne führte.

„Kudo, da dürfen wir nicht rein“, warf Heiji verwirrt ein, aber Shinichi ignorierte diese Anmerkung. Er ging zur Security, zückte die Eintrittskarten und wartete. Dann nickte der Mann ihm zu und Shinichi ging hindurch. „Na, los. Wir haben nur einen fünfzehn Minuten Backstagepass. Danach müssen wir wieder gehen.“ Dabei trat ihm ein breites Grinsen ins Gesicht, als er das Strahlen in Rans Augen erkannte.

„Du hast Backstagekarten und hast es keinem von uns gesagt?“ Sie sprang auf ihren Freund zu und ihm in die Arme.

„Es sollte eine Überraschung sein“, antwortete der Braunhaarige.

„Woher hast du nochmal die Karten?“, hakte Kazuha ebenfalls begeistert nach.

„Das erfahrt ihr gleich.“

Heiji und Aoko folgten den Freunden eher zögerlich. Heiji interessierte sich nicht für das was hinter der Bühne passierte und Aoko bekam ein beklemmendes Gefühl in ihrer Brust. Dennoch gingen die beiden durch die Kontrolle und durch eine weitere Türe.

Sie standen plötzlich in einem großen Aufenthaltsraum, in dem sich die Magier der Show versammelt hatten, jeder mit einem Glas Champagner ausgestattet, und feierten erst einmal ihren gelungenen Auftritt. Viele waren in Gespräche verwickelt. Einige standen um Stehtische herum, andere saßen verteilt auf den Sofas.

Überwältigt blickten sich Ran und Kazuha um. Sie waren noch nie Backstage hinter der Bühne gewesen und hatten einen Star privat erlebt. Für sie war das äußerst spannend.

„Hey, Shinichi“, trat ein junger Mann auf die kleine Gruppe zu und begrüßte den Detektiv mit Handschlag. „Hallo, Kaito, starker Auftritt heute.“

„Danke“, antwortete der Magier und blickte in die anderen Gesichter. „Und du musst Ran sein“, stellte er fest, während er der Braunhaarigen die Hand schüttelte.

„Woher kennt ihr euch?“ Verwirrt blickte sie zwischen den Männern, die sich sehr ähnlich sahen hin und her.

„Mein Vater ist Kaitos Taufpate. Und meine Mutter hat bei seinem Vater Unterricht genommen. Er war ein Verwandlungskünstler. Wir sahen uns zuletzt in unserer Kindheit“, erklärte Shinichi.

Aoko hörte zu, hielt sich aber hinter Heiji versteckt, der sie mit seinem breiten Kreuz vor den Blicken ihres ehemaligen besten Freundes abschirmte. Auch wenn er dies unbewusst tat, so half er ihr in diesem Moment ungemein.

Auch Kazuha und Heiji stellten sich vor.

„Ich hab dir gestern doch sechs Karten gegeben, wo sind die restlichen zwei?“

Shinichi runzelte die Stirn und sah sich nach Aoko um. „Haruto konnte nicht mitkommen, aber Aoko ist dabei.“

Heiji drehte sich ebenfalls um und gab damit den Blick auf die Freundin frei, die schüchtern und verwirrt den Blick hob und ein zweites Mal innerhalb so kurzer Zeit dem jungen Mann gegenüber stand, den sie fast so lange kannte wie sich selbst.

Ebenso überrascht starrte Kaito zurück. Irritiert blickte er kurz zu Shinichi. „Ihr kennt euch?“

„Ran und Aoko kennen sich schon von früher. Wir alle sind inzwischen an der gleichen Universität in Tokio und freundeten uns an.“

Überrascht sahen die Freunde zu Aoko, die verstummt war und die Augen auf den Boden richtete. Grübelnd zog sich eine Falte über Rans Stirn, ehe es endlich klick machte. „Ihr kennt euch ja. Seid ihr nicht damals auf dieselbe Schule gegangen?“ Sie sah von Aoko zu Kaito und wieder zurück. Ein leichtes Nicken der Freundin bestätigte die Überlegungen.

Die Braunhaarige spürte Kaitos Blick auf sich, dennoch fand sie nicht die Kraft ihm entgegen zu sehen. Sie schaffte es nicht in seine Augen zu sehen, aus Angst endgültig die Kontrolle über sich und ihren Körper zu verlieren.

Eine Frau stellte sich neben Kaito. „Ich bin Rui Kansaki.“ Sie grinste fröhlich von einem Gesicht zum anderen.

Aoko blickte auf, betrachtete die Frau und erkannte sie vom Vorabend auf der Party wieder. Es war seine angetrunkene Begleitung. Die hübsche Frau mit den dunklen Haaren.

„Eure Show war wahnsinnig toll“, lobte Kazuha begeistert.

„Am schönsten war der Schluss mit dem Rosenstrauß“, nickte Ran zu.

„Ja, die Nummer mit der Rose kommt immer sehr gut an“, lachte Rui glockenhell auf und hakte sich bei Kaitos Arm ein. „Aber der Strauß war selbst mir neu“, gestand sie und ein Strahlen zeigte sich in ihren dunklen Augen.

Verletzt wandte Aoko ihren Blick ab und tat so, als würde sie den Raum und die anderen Künstler interessiert betrachten. Allerdings kreiste in ihrem Kopf nur die eine Frage: War sie seine Freundin oder gar Verlobte?

„Nummer?“ Rans Gesicht sah man die Verwirrung über Ruis Aussage an.

„Wir haben festgestellt, dass besonders Mädchen auf diesen Trick abfahren“, zwinkerte Rui Ran verschwörerisch zu. „Keine Ahnung, woher Kaito diese Idee hatte, aber sie ist bei jeder Show das Highlight.“

Aoko schluckte bei den Worten.

„Sorry, Leute, wenn ich euch jetzt abwürgen muss. Aber die fünfzehn Minuten sind um und wir bekommen Ärger, wenn wir allzu lange überziehen.“ Er blickte in die Gesichter der Freunde, wobei er Aoko auswich.

„Warum schreibst du dann nicht eine halbe Stunde auf?“, hakte Heiji skeptisch nach.

„Die Zeit hat mein Manager festgelegt. Da kann ich nichts machen. Ich freue mich. wenn ihr nochmal irgendwann auf eine meiner Shows kommt.“

„Vielleicht kannst du dir mal so Zeit für uns nehmen“, nickte Shinichi zu und Kaito zuckte nichtssagend mit den Schultern.

„Vielleicht“, murmelte er vor sich hin und sah schon die Security eintreten. „Ihre Zeit ist um, wir möchten Sie nun bitten zu gehen.“

Die Freunde nickten und verließen in Begleitung des Sicherheitsdienstes den Privatbereich des Theaters.

Schweigend gingen sie zum Auto und Heiji fuhr alle zurück zu Kazuhas Elternhaus. Nacheinander machten sich alle fürs Bettgehen fertig. Es war ein langer Tag, inzwischen war es weit nach Mitternacht und sie wollten nur noch eines: Schlafen.
 

Am nächsten Morgen erwachte Aoko als erste. Sie hatte ganz schlecht geschlafen, was nicht am Bett lag, sondern einzig und allein an ihren Gedanken. Diese drehten sich immer wieder um die gleichen Fragen. Shinichi hatte die Backstagekarten einen Tag zuvor erhalten, etwa auf der Party? Wusste Shinichi etwa, dass etwas zwischen ihr und Kaito vorgefallen war und hatte er dieses Treffen zwischen ihr und ihm beabsichtigt? Oder hatte gar Kaito selbst dieses Treffen arrangiert, weil er sie sehen wollte? Wunschdenken, Aoko, reines Wunschdenken, diesen Gedanken würde sie sofort wieder streichen. Niemals hätte er das getan. Nicht nach allem was zwischen ihnen vorgefallen war. Langsam stand Aoko auf, duschte sich und zog sich an. Kurze Zeit später suchte sie sich den Weg in die Küche. Sie war noch ganz alleine, scheinbar schliefen die anderen noch. Aber sie konnte sich schon mal nützlich machen und begann Frühstück zuzubereiten.

Nach und nach trudelten Ran und Kazuha ein. „Du bist schon wach?“, gähnte die geborene Osakaerin.

„Ja, und Frühstück ist auch gleich fertig“, begrüßte Aoko ihre Freundinnen.

„Das hättest du doch nicht machen müssen“, erwiderte Kazuha und unterdrückte ein erneutes Gähnen.

„Ihr habt mich mit hierher genommen und ich darf hier kostenlos wohnen. Irgendwie muss ich mich doch dafür revanchieren.“

Ran ging zu einem der Schränke und holte die Teller hervor. Sie würde schon mal den Tisch decken.

Kazuha nahm die fertigen Schälchen mit Essen und brachte diese ebenfalls zum Küchentisch.

Ran hielt in ihrer Arbeit inne, starrte auf den Teller in ihrer Hand. „Du und Kaito seid doch mal beste Freunde gewesen, richtig?“

Die Angesprochene zuckte kurz zusammen, doch dann nickte sie.

„Was hat sich geändert?“

Aoko starrte in den Topf vor sich, in dem das Frühstück zu kochen begann. Ein gequältes Lächeln trat auf ihre Lippen. Eine gute Frage, auf die sie keine Antwort wusste. Sie suchte nach passenden Worten, fand aber keine. „Wir hatten verschiedene Ansichten zu bestimmten Themen.“ Sie rührte im Topf und zog ihn dann von der Herdplatte.

„Welche Themen?“, bohrte Kazuha neugierig nach.

Aoko rührte weiter im Topf. „Studium, Freundschaft, Lebenseinstellungen“, zählte sie auf, wobei sie gedanklich noch zwei Punkte hinzufügte: Liebe und Kid... Schnell wischte sie die Gedanken beiseite und drehte sich zu ihren Freundinnen. „Das liegt schon so lange zurück.“ Sie nahm den Topf und ging mit diesem zum Tisch.

„Liebst du ihn?“ Einfühlsam und dennoch direkt, so war Ran. Aoko musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Ja, sie liebte ihn... das war die einzige und richtige Antwort. Sie wusste es seit langem und es hatte nie aufgehört. Auch wenn sie das nicht wollte und ihre Gefühle zu verdrängen versuchte. „Früher einmal ja, aber nun...“

„Wieso hast du es ihm nicht gesagt?“ Impulsiv dennoch mitfühlend und nicht verstehend warf Kazuha diese Frage ein.

„Ich wollte ihn als Freund nicht verlieren“, gestand Aoko zum ersten Mal. „Er bedeutete mir alles, aber ich war in seinen Augen immer nur die kleine Schwester, auf die er aufpassen musste.“

„Und wenn er dich auch geliebt hat?“

„Hat er nicht“, bekräftigte Aoko erneut. „Nicht bei jeder langjährigen Freundschaft ist Liebe vorhanden. Ich wollte kein Risiko eingehen.“

„Dennoch ist eure Freundschaft zerbrochen“, hauchte Ran traurig.

„Das konnte ich nicht vorhersehen.“ Aoko wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge und begann zu lächeln. „Wer braucht schon Kaito, immerhin habe ich euch.“

Die Mädchen fielen sich in eine feste Umarmung.

Heiji und Shinichi betraten die Küche und begrüßten die Freundinnen fröhlich. „Guten Morgen, ui, es gibt Frühstück“, grinste der aus Osaka stammende Detektiv.

Shinichi setzte sich an den Tisch und begutachtete das Frühstück. „Das sieht aber köstlich aus.“

Auch die Mädchen trennten sich wieder und nahmen am Esstisch platz. Gemeinsam frühstückten sie.

„Wenn du schon mal in Osaka bist, werden wir dir nachher noch ein wenig die Stadt zeigen. Am Nachmittag fahren wir dann nach Hause. Immerhin ist morgen wieder Uni.“

Aokos Augen begannen zu strahlen. „Das ist super lieb von euch. Danke schön.“

Nach dem Frühstück packten sie ihre Taschen und verließen das Haus. Gemeinsam gingen sie zur Bahn und fuhren mit den Öffentlichen in die City. Kazuha und Heiji führten die Tokioer durch ihre Heimatstadt, zeigten ihnen die wichtigsten Plätze und Orte und führten sie zu guter Letzt noch in die Shoppingmeile.

Am Nachmittag kehrten sie zurück. Sie verstauten ihr Gepäck im Kofferraum und verließen kurz darauf mit dem Auto Osaka.

Völlig erledigt fiel Aoko abends ins Bett und schlief sofort ein. Und seltsamerweise konnte sie sogar ohne Probleme schlafen.
 

Am nächsten Morgen klingelte ihr Wecker. Zuerst ging sie duschen, ehe sie sich für die Uni anzog und wenig später nach einem sporadischen Frühstück das Haus verließ. Ausnahmsweise fühlte sie sich mal wieder richtig ausgeschlafen und fit. Daher lag sie heute morgen gut in der Zeit. Sie trat aus dem Wohnblock heraus und bog links auf den Gehweg ein, als sich jemand in ihren Weg stellte.

Überrascht blieb sie stehen und starrte auf eine dunkelblaue Jacke. Sie folgte der Jacke nach oben zum Kragen, folgte dem schlanken Hals hinauf zum Kinn, den Lippen, der Nase bis hin zu einem ozeanblauen Augenpaar.

Ihr Herz begann plötzlich wild zu hüpfen. So viele Fragen schossen ihr in diesem Moment durch den Kopf, aber keine schaffte es über ihren Mund hinaus gestellt zu werden. Stattdessen starrte sie ihm einfach nur in die wunderschönen, blauen Augen.

„Ich weiß, dass ich nicht hier sein sollte“, begann er leise, dennoch sehr direkt. „Aber ich habe heute in der Stadt zu tun und ich...“, er stockte, sah sie ausdruckslos an. „Lass mich alles erklären.“ Seine Stimme, so flehentlich. Ein starker Kontrast zu seiner Mimik, seinen Augen. „Danach kannst du mich zum Teufel jagen, aber bitte, Aoko, bitte hör mich an.“

Überrascht von ihm, seinem Erscheinen, seiner Reaktion, seinen Worten war sie versucht nachzugeben. Ihr Herz schrie: Ja, nichts sehnlicher wünschte sie sich seit Jahren. Ihr Stolz hingegen verbot ihr dies zuzugeben. Er hatte sie verletzt, mehr als er sich vorstellen konnte. Sie senkte die Augen, trat an ihm vorbei und ging weiter. „Es war deine Entscheidung.“ Es war nicht leise, aber auch nicht laut. Es war nicht hysterisch, nicht traurig und auch nicht melodramatisch. Dieser Satz war schlichtweg sachlich und neutral ausgesprochen, ohne jegliche Emotionen. Sie ließ den jungen Mann einfach stehen und folgte ihrem Weg zum Bahnhof. Ihr Zug würde schließlich nicht auf sie warten.
 

Im Hörsaal setzte sie sich an einen freien Tisch und kramte nach einem Stift und einem Block. Dabei fiel ihr ein kleiner Zettel in die Hände.
 

Gib mir noch eine Chance dir alles zu erklären.

Ich warte um fünf am alten Glockenturm auf dich

und hoffe sehr, dass du kommst.
 

Sie betrachtete lange die kleine weiße Visitenkarte. Unschlüssig ob sie wirklich zu dem Treffen gehen sollte.

„Hey, Aoko, was hast du da?“, mischte sich Kazuha fröhlich ein, die sich neben ihrer Freundin an den freien Tisch setzte.

Aoko verdeckte die kleine Karte und sah zu ihren Freunden auf, die neben ihr Platz nahmen. „Eine Notiz, nichts weiter.“ Schon ließ sie diese in ihrer Hosentasche verschwinden und lauschte dem fröhlichen Geplapper ihrer Freunde, bis einer der Professoren den Saal betrat und mit seinem Unterricht begann.

Ungewollt verabschiedeten sich ihre Gedanken erneut in die Vergangenheit.
 


 

---------------------Flashback---------------------------------
 

Kaito lebte seit zwei Monaten in Europa und hatte sich nicht mehr bei Aoko gemeldet. Der Kontakt zwischen ihnen war abgebrochen. Auch wenn Aoko immer wieder nach dem Telefonhörer griff und begann seine Nummer zu wählen, hielt sie inne und legte wieder auf. Sie musste damit leben, dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Seufzend erhob sie sich von ihrem Bett und ging ins Wohnzimmer. Dort hetzte ihr Vater bereits wild durch die Wohnung, suchte seine Sachen zusammen, während er nebenbei versuchte seine Krawatte zu binden. „Ich habe es im Gefühl“, wiederholte er immer wieder. „Heute geht er mir ins Netz. Heute ist mein Tag.“

Aoko lehnte sich an den Türrahmen und schüttelte leicht ihren Kopf. Der Meisterdieb, eher bekannt als Kaito Kid, würde heute einen neuen Raubzug vollführen. Das ging seit Wochen so. Ihr Vater war kaum mehr zu Hause, weil Kid einen Diebstahl nach dem anderen ankündigte. „Darf ich dich ausnahmsweise einmal begleiten?“

Ihr Vater hielt inne, sah sie lange nachdenklich an. „Du versprichst mir, dass du dich aus dem Geschehen heraushältst und keine Alleingänge machst?“

„Versprochen“, antwortete Aoko. Sie hatte nicht vor ihrem Vater zur Last zu fallen und ihm die Chance auf die Festnahme Kids zu nehmen.

Gemeinsam verließen sie die Wohnung und fuhren mit dem Auto zum Ort des Geschehens. Vor einer Villa war weiträumig die Straße abgesperrt. Viele Schaulustige und Kid Fans hatten sich um das Absperrband versammelt um dem Diebstahl beizuwohnen.

Aoko rümpfte die Nase. Wenn sie daran dachte, dass sie während der Schulzeit mit ihrer Freundin Keiko ebenfalls in dieser Menge stand und als einzige hoffte, dass Kid endlich festgenommen wurde.

Ihr Vater ging voran und zog sie am Arm mit. „Ich habe heute meine Tochter mit dabei“, verkündete der Kommissar seinen Kollegen und betrat mit ihr zusammen die Villa.

Die Räume waren gigantisch, weitläufig und extrem schick und mit sehr teuren Möbeln eingerichtet. Sie kam sich fast vor wie in einem Schloss aus dem Mittelalter. Alles sah so pompös und groß aus. Allerdings störten in diesen Eindrücken die vielen Polizisten, das Sicherheitspersonal des Hausherren und der dicke Hausherr persönlich. Den Besitzer zu diesem Anwesen hatte sie sich anders vorgestellt.

„Wer ist das, Kommissar Nakamori?“ Verächtlich blickte der dicke und aufgequollene Mann Aoko entgegen.

„Das ist meine Tochter.“

„Mein Haus ist kein Spielplatz“, erwiderte das Opfer des heutigen Diebstahls.

„Ich bin auch kein kleines Kind mehr“, fauchte Aoko bissig zurück.

Ihr Vater warf ihr einen bösen Blick zu, ehe er sich entschuldigend an den Hausherren wandte: „Meine Tochter wird niemanden schaden und keinen von seiner Arbeit abhalten.“

„Haben Sie Ihre Tochter überprüft? Immerhin könnte sie eine der Verkleidungen Kids sein.“

„Sie spinnen wohl“, brüllte Aoko zurück. „Ich bin doch nicht dieser idiotische Verbrecher.“

„Aoko“, wies ihr Vater sie in ihre Schranken zurück und sie verstummte. Beleidigt biss sie sich auf die Unterlippe und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Wie auch immer. Ich werde mich nun auf meine Arbeit konzentrieren. Kid wird in fünfzehn Minuten erscheinen.“ Noch einmal drehte er sich seiner Tochter zu. „Bleib hier und mach keine Dummheiten“, ermahnte er sie erneut und verschwand dann in den Nebenraum.

Aoko verharrte mürrisch an Ort und Stelle. Als würde sie immer Dummheiten machen. Was dachte ihr Vater nur von ihr?

Die Wartezeit bis zum Coup verging zäh, und als es dann endlich soweit war, warteten alle gespannt auf das Erscheinen des Diebes.

Im verschlossenen Raum, in dem sich das Wertobjekt und ihr Vater mit einigen Polizisten befand, tat sich nichts. Es herrschte absolute Ruhe. Alle warteten gespannt auf irgendein Ereignis, irgendein Zeichen, etwas das die Ankunft Kids verkündete, aber es blieb absolut still.

Im nächsten Moment gingen die Lichter aus. Mehrere Taschenlampen leuchteten auf und die Türe öffnete sich. Chaos brach aus, wildes Geschrei erklang. Und im Schein einer Taschenlampe erkannte Aoko, wie ein Polizist den Raum verließ.

Einem plötzlichen Impuls folgend nahm sie die Verfolgung auf. Dieser Polizist wirkte äußerst verdächtig. Inzwischen ging der Notstrom an und erhellte die Flure in dunkles Licht. Immerhin besser, als im Dunkeln herumzuirren.

Kaum sah der Polizist selbst etwas, betrat er einen Raum. Aoko folgte ihm durch die zufallende Türe und erkannte gerade noch, wie er durch ein offenstehendes Fenster hinaus in den Garten kletterte. Es gab keinen Zweifel mehr, sie war sich ganz sicher, dass vor ihr der Meisterdieb lief. Scheinbar hatte er seinen Verfolger bemerkt, denn er schlug ganz plötzlich einen Haken und bog um die Hauswand.

Aoko aber blieb hartnäckig an seinen Füßen. Die Frage, was sie tun sollte, wenn sie ihn stellte, kam ihr überhaupt nicht in den Sinn. Auch darüber, dass er bewaffnet sein könnte und sie keine Kugelsichere Weste trug, dachte sie nicht nach. Sie würde ihn stellen und hoffen, dass ihr Papa und die Polizisten schnell zu Hilfe kamen.

Sie folgte ihm in einen dunkleren Teil des Gartens und verlor ihn aus den Augen. Aoko sah sich um, aber sie konnte niemanden sehen.

Ein Blitz erhellte kurzzeitig den schwarzen Himmel und ein Donnergrollen erklang in der Ferne. Ein Gewitter zog auf. Sie konnte sich daran erinnern im Wetterbericht gehört zu haben, dass ein Unwetter in dieser Nacht über Tokio ziehen würde.

Sie verharrte unschlüssig und überlegte ihr weiteres Vorgehen, als ein Geräusch ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Im nächsten Moment stand sie dem Meisterdieb gegenüber. „Kid“, fauchte sie ihn an.

„Es tut mir leid.“

Im nächsten Moment wurde Aoko von einer rosafarbenen Rauchwolke eingenebelt. Ihre Augenlider wurden schwerer und sie fiel in eine schwarze Leere.

Ein lautes, vibrierendes Grummeln drang in ihr Bewusstsein. Wie benebelt schlug sie langsam ihre Augen auf und sah sich verwirrt um. Sie war in einem Zimmer und lag auf etwas weichem. Konnte das ein Bett sein? Plötzlich wurde es für einen kurzen Moment hell, dann war es wieder stockdunkel. Wieder ertönte ein Grollen. Das Unwetter über Tokio wurde stärker.

Langsam richtete sie sich im Bett auf und hielt sich ihren dröhnenden Kopf. Was war überhaupt passiert? Sie konnte sich kaum erinnern.

Eine starke Windböe zog auf und pfiff in das Zimmer herein. Langsam drehte sie ihre Augen zum Fenster. Der Vorhang bewegte sich im Wind. Ein Donnerschlag brummte wieder über der Stadt. Wieder zog ein Blitz vom Himmel und sie erkannte zum ersten Mal die Person, die vor dem offenen Fenster stand.

Überrascht riss die Augen weit auf. Schnell verschaffte sie sich einen Überblick und erkannte ihr eigenes Schlafzimmer wieder. Beim nächsten herunterfahrenden Blitz versicherte sie sich, dass sie sich seine Erscheinung nicht einbildete. Das tat sie auch nicht. Er stand tatsächlich in ihrem Zimmer vor ihrem geöffneten Fenster.

„Es freut mich zu sehen, dass es dir gut geht“, durchbrach er plötzlich die Stille und seine Stimme jagte ihr in diesem Moment einen Schauer über den Rücken.

„Was machst du hier, Kid? Wie komme ich überhaupt hierher?“

Wieder fuhr ein Blitz vom Himmel, doch das Gesicht des Meisterdiebes blieb im Dunkeln.

„Junge Frauen sollten nicht alleine zu so später Stunde draußen sein.“

Hörte sie da Hohn oder Spott heraus? Sie wusste von früher, dass der Meisterdieb eingebildet und arrogant war. Eine Spottdrossel war harmlos im Gegensatz zu ihm.

„Darum bist du hier? Woher weißt du überhaupt wo ich wohne.“

„Ich weiß alles über meine Gegner und dessen Leben.“

Wieder ein Blitz mit einem kurz darauf folgenden Donner. Das Gewitter näherte sich schnell und sie hörte im nächsten Moment nicht nur den Wind pfeifen, sondern auch dicke Regentropfen vom Himmel fallen. Rasch verstärkte sich der Regen und begann kurz darauf schon wild zu prasseln.

Kid war ihr unheimlich, seine Worte machten ihr Angst. Sie kannte diesen Mann nicht. Aoko wusste nicht, ob und wie gefährlich er war. Um sich selbst abzulenken und auch Zeit zu gewinnen, ihr Vater müsste doch auch irgendwann mal nach Hause kommen, fragte sie: „Wer bist du? Was willst du hier? Warum tust du das?“ Im nächsten Moment traf sie die Erkenntnis. Ihr Vater konnte doch gar nicht wissen, wo sie war und würde bestimmt schon überall nach ihr suchen. „Du hast mich entführt!“

Ein heißeres Lachen verließ seine Kehle und augenblicklich stellte es ihr sämtliche Haare auf. „Ich muss zugeben, du hast meinen Plan ein wenig durchkreuzt“, gestand er plötzlich mit tiefer Stimme.

Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und sie sah wie er sich bewegte. Er durfte noch nicht gehen. Er musste bleiben. Immerhin würde sich nicht mehr so schnell die Möglichkeit ergeben ihn zu erwischen. „Wie habe ich ihn durchkreuzt?“ Sie saß auf ihrem Bett und ließ den Dieb nicht eine Sekunde aus den Augen.

Wieder kam Bewegung in ihn, er kam näher an das Bett heran. Er näherte sich Aoko, wie eine Raubkatze ihrer Beute. Sie wusste nicht, was es zu bedeuten hatte. Sie hörte nur das stetige Prasseln des Regens, ein leises Grollen des Unwetters. War es etwa schon wieder vorbei? Oder war es nur die Ruhe vor dem Sturm? Plötzlich erklang seine Stimme so nah. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass du mich verfolgst. Du kannst ganz schön anhänglich sein.“ Aus seiner Tonlage hörte sie deutlich ein Grinsen heraus.

Unsicherheit breitete sich schlagartig in ihrem Körper aus. Sie sah seine Silhouette in der Dunkelheit direkt vor ihr und spürte wie er sich zu ihr vor beugte. Eine Bewegung ging durch ihre Matratze, als er sich rechts und links mit seinen Händen auf dieser abstützte. Er beugte sich weiter vor.

„Du hättest mich nicht verfolgen dürfen. Du kennst mich nicht. Du weißt nicht ob ich gefährlich bin.“ Seine Stimme hatte etwas bedrohliches an sich und sie spürte seinen heißen Atem so nah an ihrem Gesicht.

Ängstlich wich sie ein wenig auf ihrem Bett zurück, aber sie suchte dennoch in der Dunkelheit nach seinem Gesicht. Irgendwas müsste doch zu erkennen sein. Irgendein Merkmal, eine Narbe, ein Leberfleck, irgendwas, aber in der Dunkelheit erkannte sie nichts.

Unerwarteterweise schoss ein Blitz vom Himmel, begleitet von einem gewaltigen, lauten Donner. Für wenige Sekunden war es Taghell und Aoko starrte in zwei ozeanblaue Augen in einem Gesicht von braunem Haar umrahmt. Ein Monokel verdeckte das rechte Auge, dennoch konnte sie ganz genau die Gesichtskonturen erkennen.

Erschrocken riss der Dieb seine Augen auf, wich plötzlich zurück und flüchtete zum Fenster.

Das Zimmer lag wieder in absoluter Finsternis, dennoch sprang Aoko vom Bett auf und rief ihm impulsiv nach: „Kaito?!“
 

---------------------Flashback Ende----------------------------
 


 

Aoko wusste nicht mehr wie sie den Tag überstanden hatte, aber er war vergangen. Gemeinsam verließ sie mit ihren Freunden die Universität. Die Entscheidung über ein Treffen mit Kaito stand immer noch nicht fest. In zwei Stunden würde er vor dem alten Glockenturm warten. Warum ausgerechnet dort? Konnte es nicht ein Platz sein, den sie mit weniger Erinnerungen verband?

Statt am Bahnhof auf ihr Bahngleis zu gehen, folgte sie ihren Freunden und fuhr mit denen in die Stadt. Natürlich hagelten gleich neugierige Fragen auf sie ein, aber Aoko war inzwischen geschickt, wenn es um kleine Notlügen ging.

„Ich muss für meinen Vater noch einige Besorgungen machen. Ich habe es die ganze Zeit vor mir hergeschoben.“

Ran verstand und sie und Shinichi stiegen nur wenige Haltestellen später aus.

Kazuha und Heiji boten ihrer Freundin an sie zu begleiten, aber Aoko wies lächelnd ab. Gemeinsam verließen sie den Zug an einem Bahnhof in der Innenstadt und trennten sich dort. Aoko lief langsam durch die Stadt. Herz, Verstand, Stolz und Sturheit fochten einen Kampf miteinander aus. Bisher gab es keinen Sieger. Sie wusste nicht, was richtig und falsch war, spürte nur die innere Zerrissenheit in sich.

Stundenlang lief sie durch die Stadt, durch die verschiedenen Viertel, die Straßen entlang und an Geschäften vorbei. Glockenläuten verkündeten die volle Stunde. Fünf Uhr. Aoko blickte auf und sah über den Häusern die Spitze des alten Glockenturms hervor spitzen. Ohne das sie es wirklich bewusst wollte, schlug sie nun doch den Weg zum Turm ein. Egal was er ihr zu sagen hatte, sie wusste, es würde einen Abschluss geben. Einen richtigen Abschluss. Sie könnte mit ihren Gefühle für ihn abschließen und endlich wieder in ihrem Leben alleine klar kommen.

Sie betrat den Platz und blieb stehen. Die vielen Menschen eilten über den Platz, ignorierten die alte und wunderschöne Turmuhr, die in Aokos Leben solch eine wichtige Bedeutung hatte. Sie hatte es immer noch nicht verarbeitet, dass ihr bester Freund Kaito Kid war. Der Dieb, der seit vielen Jahren ihrem Vater auf der Nase herum tanzte. Sie blickte den großen Glockenturm empor und ihre Augen blieben auf den beiden großen Zeigern hängen. Hatte er das damals für sie getan? Hatte er vor langer Zeit angekündigt die Zeiger zu stehlen, damit der Turm der Stadt erhalten blieb? Bedeutete dieser Turm ihm ebenso viel wie ihr?

Zögerlich ging sie weiter auf die wenigen Treppenstufen zu, die zum Sockel des Turmes führten. Ehe sie die erste Stufe in Angriff nahm, hob sie ihren Blick und sah ihn. Er stand mit dem Rücken zu ihr. Gekleidet in einer ausgeblichenen Jeans und einer blauen Jacke. Seine braunen Haare waren wie schon früher ungebändigt verstrubbelt. Sie holte tief Luft, wappnete sich für das bevorstehende Gespräch und stieg schnell die Stufen empor. Als sie hinter ihm stehen blieb, drehte er sich langsam um. Seine Augen blitzten erfreut auf. „Aoko.“

Ihr Herz machte einen Salto vorwärts, ihr Verstand wies an ihn freundlich zu begrüßten, doch schon schalteten sich ihr Stolz und ihre Sturheit ein, ehe das erste Wort ihre Lippen verließ. „Was willst du noch, Kaito? Es war alles gesagt.“

Er blickte sie an, ausdruckslos. Wie schaffte er es nur ihr nicht zu zeigen was in ihm vorging, während man ihr alle Gefühle sofort ansah.
 


 

---------------------Flashback---------------------------------
 

Er wollte durchs Fenster verschwinden, aber es war zu spät. Sie hatte ihn erkannt und konnte ihre Gefühle, Gedanken und das Zittern ihres Körpers nicht kontrollieren. „Warum hast du mich angelogen, Kaito?“

Er verharrte am Fenster.

„Du bist Kaito Kid?“ Die ersten Tränen kullerten ihr über ihre Wange. Er war tatsächlich Kaito Kid. Es war wie ein Schlag ins Gesicht.

Er regte sich nicht.

„Du bist gar nicht in Europa?“ Ihre Stimme zitterte.

Er stand wie erstarrt mit dem Rücken zu ihr.

„Die warst die ganze Zeit in Tokio...“, folgte die Erkenntnis und sie wusste nicht wie er es schaffen konnte ihr zwei Monate nicht über den Weg zu laufen, wie er ihr so geschickt ausweichen konnte.

Ein Seufzer erklang.

Aoko starrte auf den weißen Umhang.

„Nein, ich wohne nicht in Tokio“, antwortete er unerwartet und sie sah wie er seine angespannten Schultern hängen ließ. „Ich wohne in Chiba.“

„Aber die Zauberschule...“, Aoko stolperte zurück auf ihr Bett und setzte sich. Ihre Knie fühlten sich wie Wackelpudding an und sie spürte wie sie langsam nachzugeben drohten.

„...ist in Oamishirasato“, beendete er leise ihren Satz.

„Warum hast du mich angelogen?“ Ihre Augen die vor Tränen schimmerten ließen ihn nicht eine Sekunde aus den Augen.

„Hakuba und dein Vater“, antwortete er vage.

Aoko ballte ihre Hände zu Fäusten. „Schieb nicht die Schuld für deine Lügengeschichten auf andere!“ Da war sie wieder. Ihr Selbstbewusstsein, ihr Gerechtigkeitssinn, ihre aufbrausende Art. Sie sah, wie er unter ihren Worten zusammen zuckte. Was sollten ihr Vater und Hakuba schon getan haben? ER war doch Kid. ER stahl Edelsteine und führte ihren Vater immer an der Nase herum. ER hatte sie angelogen, weil... Ja, warum eigentlich?

„Warum?“ Sie klang in diesem Moment so verletzt, gebrochen und hilflos. Sie verstand so vieles nicht und würde keine Antworten erhalten. Wie sollte es jetzt überhaupt weitergehen? Sie sollte es ihrem Vater sagen und Kaito würde seine gerechte Strafe bekommen.

„Ich habe meine Gründe.“ Er ging auf das offene Fenster zu.

„Kaito, bitte sag mir die Wahrheit“, drängte sie erneut, doch er kletterte schon aufs Fensterbrett. Wütend stand sie auf, ballte ihre Hände zu Fäusten. Er konnte doch nicht einfach ohne ein Wort der Erklärung verschwinden und sie mit einem Chaos an Gefühlen zurücklassen! „Wenn du jetzt gehst ist es vorbei ... für immer“, versuchte Aoko ihn aufzuhalten. Ein letzter Funke Hoffnung, dass ihm ihre Freundschaft doch etwas bedeutete.

Er verharrte auf dem Fensterbrett, doch dann sprang er in den Garten und verschwand.
 

---------------------Flashback Ende----------------------------
 


 

Aoko starrte ihren ehemals besten Freund an. Die Erinnerungen stimmten sie traurig.

Kaito erwiderte ihren Blick. Er trat einen Schritt auf sie zu und umfasste sanft ihre Hand.

Erschrocken über die Berührung, wollte sie ihre Hand zurückziehen, doch er hielt sie fest. Unsicherheit spiegelte sich in ihren blauen Augen wieder.

„Vertrau mir, Aoko.“ Er drehte sich um und zog sie mit sich.

Überrascht folgte sie ihm, seitlich um den Turm herum. In der Wand befand sich eine Türe. Diese öffnete er und zog sie mit hinein. Hinter ihnen schloss er diese wieder. Plötzlich standen sie in absoluter Finsternis.

Kaito zog eine Taschenlampe hervor und schaltete diese ein. Er leuchtete durch den Raum, in dessen Mitte sich eine Wendeltreppe befand. Langsam zog er Aoko mit sich, wobei er stets darauf achtete, den Boden vor ihnen zu beleuchten.

Sie wusste nicht warum sie ihm vertraute, warum sie ihm folgte und wohin er mit ihr ging. Aber sie fühlte seine Nähe, die sie all die Jahre schmerzlich vermisst hatte, seine warmen Finger, die ihre Haut prickeln ließen und ihr Blut in Wallung brachte, denn er hielt sie immer noch fest in seiner Hand.

Nebeneinander stiegen sie die Wendeltreppe empor. Die Stufen nahmen überhaupt kein Ende und die Stille zwischen ihnen wurde langsam aber sicher unbehaglich.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie eine Plattform.

Aoko sah sich um und erkannte eine Luke in einer der Wände. Neugierig wie sie war, wollte sie zu dieser Luke gehen, als Kaito eine andere Richtung einschlug und sie bestimmend mit sich zog. „Wir sind gleich da.“

Sie gingen durch den dunklen Raum und kamen schließlich zu einer festgeschraubten, stabilen Leiter.

„Na, los, kletter hinauf“, drängte Kaito sie leicht.

Aoko sah an sich herab und ihre Augen blieben an ihrem Rock hängen. „Ganz bestimmt nicht. Geh du voran.“ Zu gut erinnerte sie sich an damals, wie er ihr immer wieder unter den Rock sah. Es war ihr peinlich und einen erneuten Einblick auf ihre Unterwäsche wollte sie ihm nicht gewähren.

Kaito erwiderte ihren Blick, nickte schließlich: „Warte hier.“ Schon klemmte er sich die Taschenlampe zwischen die Zähne. Dann stieg er die Leiter empor. Am Ende angekommen, öffnete er eine Luke und Tageslicht erfüllte den Raum.

Aoko wurde von dem plötzlichen Lichteinfall geblendet, doch dann erkannte sie die Leiter und kletterte diese zögerlich empor. Sie verstand nicht, warum sie ihm folgte. Das was sie hier tat war Einbruch. Der Turm gehörte der Stadt und sie beide hatten keine Zutrittsgenehmigung. Gerade sie, die immer auf Recht und Ordnung beharrte, tat etwas verbotenes.

Sie war am Ende der Leiter angekommen und steckte ihren Kopf heraus.

Kaito hatte längst die Taschenlampe weggesteckt und reichte ihr die Hand um ihr aufs Dach zu helfen.

Aoko ergriff diese und spürte wie er sie hochzog. Kaum stand sie mit ihren Füßen auf dem Dach spürte sie einen kalten Windzug. Sie schlang ihre Arme um ihren Oberkörper und blickte sich um. Hinter ihr war eine große Mauer. Sie folgte dieser in den Himmel hinauf und sah ein Dach. Vor ihr, war ein Geländer, rechts und links kleine Steinmauern und egal in welche drei Richtungen sie blickte, sie hatte einen wahnsinnig schönen Ausblick auf Tokio. Mutig tat sie einen Schritt vor, ging langsam auf das Geländer zu und blickte hinab. Unter ihr war der Platz. Die Menschen sahen von hier oben aus wie winzig kleine Ameisen. Plötzlich spürte sie einen schweren Stoff um ihre Schultern. Überrascht blickte sie über ihre Schulter. Kaito stand hinter ihr, hatte sich seiner Jacke entledigt und ihr über die Schultern gelegt. Sofort spürte sie wie die Wärme seiner Jacke auf sie überging. „Danke.“ Ein leichter Rotschimmer zierte ihre Nase. Seine Anwesenheit brachte sie durcheinander.

Kaito löste seine Hände von ihren Schultern und trat an das Geländer. Dort stützte er sich ab und ließ seine Augen über Tokio schweifen. „Erinnerst du dich noch, als Kid damals ankündigte die Zeiger diesen Turms stehlen zu wollen?“

Aoko lächelte gequält zum Boden. Wie könnte sie das jemals vergessen?

„Die Polizei hat mein Rätsel nie entschlüsselt, dennoch hab ich das erreicht was ich wollte“, sprach er weiter. Langsam blickte er über die Schulter zu ihr zurück. „Ich wollte den Glockenturm der Stadt überlassen. Niemals hätte ich zulassen können, dass sie diesen Turm versetzen.“

Erneut errötete Aoko, dennoch schaffte sie es nicht den jungen Mann anzusehen. Wieder pfiff der Wind über das Dach. Leicht fröstelnd zog sie seine Jacke enger um ihre Schultern.

„Zwei Tage bevor wir uns damals im Park trafen, kam dein Vater auf mich zu. Er sagte, dass ich in der Liste der Verdächtigen hinter Kids Verkleidung unter den ersten drei stehe.“ Während er erklärte, krampften sich seine Finger um das Geländer. „Er war sich sicher mich schon bald überführen und enttarnen zu können. Hakuba verdächtigte mich ja bereits von Anfang an, nur konnte er es nie beweisen. Dir zu sagen, dass ich nach Europa ging, war meine Chance den Verdacht von mir abzulenken. Somit war Kaito Kuroba nicht mehr in Japan und nur Kid tauchte immer wieder in Tokio auf.“

Tränen schossen ihr in die Augen. Sie wusste nicht, dass man ihn verdächtigte. Ihr Vater und Hakuba hatten nie ein Wort in ihrer Gegenwart darüber verloren. Aber viel schmerzhafter war die Tatsache, dass er sie benutzt hatte. Er hatte sie schon immer benutzt. Immerhin war sie die Tochter des Kommissars und er der Meisterdieb persönlich. Aber warum bedeutete ihm der Glockenturm dann genauso viel wie ihr? Es widersprach sich alles. „Du hast mich benutzt! Du hast unsere Freundschaft zerstört! Du hast mich angelogen!“

Er zuckte zusammen, drehte sich langsam zu ihr um.

Sie stand an Ort und Stelle, ihr Körper zitterte vor Kälte, Wut und Enttäuschung. Noch lösten sich keine Tränen, aber wie lange sie noch die Kraft aufbrachte dagegen anzukämpfen, wusste sie nicht.

„Aoko“, seine Stimme so tieftraurig. Er räusperte sich kurz und begann weiter zu erzählen. „Als du mich enttarnt hast“, er hielt kurz inne, schien zu überlegen, doch dann sprach er weiter. „Ich hab dich sehr verletzt und das wollte ich nicht, niemals und dennoch musste es ja irgendwann passieren.“

Sie verstand es nicht. Sie verstand ihn nicht. So viele Jahre waren vergangen, warum kam er jetzt und wollte ihr alles erklären? Warum erst jetzt und nicht schon früher? Wieso hatte er es überhaupt so weit kommen lassen? „Warum?“ Eine Frage, die mehr aussprach als man es für möglich gehalten hatte.

Kaito seufzte: „Es ist eine lange Geschichte, Aoko, und ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“

„Von vorne, Kaito“, herrschte sie ihn plötzlich an. Sie hielt das alles nicht mehr aus. Sie war verwirrt und wusste nicht, wie sie seine verschiedenen Aussagen ordnen sollte. „Ich möchte es verstehen, einfach alles verstehen.“

Der junge Mann drehte sich ihr zu und nickte. „Mein Vater wurde ermordet. Du erinnerst dich noch an damals, als er bei einer seiner Shows verunglückte?“

Aoko nickte, zu schmerzhaft waren die Gedanken an diesen Unfall. Es war das erste und auch letzte Mal, dass sie Kaito weinen sah.

„Es war kein Unfall, es war Mord, Aoko. Eine verbrecherische Organisation hat ihren Mordanschlag als Unfall getarnt.“

„Wer sollte so etwas tun und aus welchem Grund?“ Aoko war zu geschockt von dem Erzählten. Es klang so unglaublich und realitätsfern.

„Er war Kaito Kid, der Erste“, gestand Kaito leise. Dabei sah er so ernst zu Aoko, dass ihr ein kalter Schauer über den Rücken fuhr.

„Als ich es herausfand, bin ich in seine Rolle geschlüpft, die er einst erfunden hat. Ich hoffte auf all meine Fragen Antworten zu bekommen.“

Aoko sah ihm an, wie sehr er unter dem Tod seines Vaters litt. Nie hatte er sie hinter seine Fassade blicken lassen. Er kehrte das ewige Steh-auf-Männchen heraus, war immer der kleine Sonnenschein, der Klassenclown, immer für einen Spaß zu haben. Aber dass in ihm das Geschehen der Vergangenheit nagte, konnte sie ihm nie ansehen. Sie war eine schlechte beste Freundin gewesen. Sie hätte es besser wissen müssen. „Hast du deine Antworten?“

„Es gibt da noch etwas zu klären“, antwortete er und blickte sie dabei melancholisch an. Im nächsten Moment fasste er sich wieder. „Es fiel mir nicht leicht, dich zu ignorieren, dich zu verletzen, dich anzulügen. Aber es ging auch um deine Sicherheit.“

Aoko setzte an um etwas zu sagen, aber Kaito schüttelte seinen Kopf. „Diese Männer sind gefährlich, du wärst die gesamte Zeit über in Gefahr gewesen und ich hätte dich nicht beschützen können. Ich selbst hatte Schule, lebte zu der Zeit in Chiba. Es war die einzige Möglichkeit und die habe ich ergriffen.“

„Wissen diese Männer wer du bist?“

Er zuckte mit seinen Schultern, äußerte sich nicht zu ihrer Frage. „Die Wahl, vor die du mich gestellt hast, in dieser einen Nacht.“ Er schluckte. „Es fiel mir nicht leicht, aber ich hatte die Gewissheit, dass dir nichts passieren könnte.“ Er steckte seine Hände in die Hosentaschen seiner Jeans und blickte sich nach rechts und links um.

Wieder fuhr eine kalte Windböe über das Dach. Aoko schlüpfte nun ganz in seine Jacke und zog sie sich vor der Brust zu. Währenddessen beobachtete sie, wie der Wind mit seinem braunen Haar spielte und es noch mehr zerzauste.

„Es verging nicht ein Tag in den letzten Jahren, an dem ich nicht an dich gedacht habe“, gestand er so plötzlich und gerade heraus.

Aoko stockte der Atem. Ihr Herz begann zu rasen.

„Ich war so oft versucht, dich aufzusuchen, dich wieder zu sehen, aber dann fiel mir ein was du zu mir gesagt hattest. Ich hatte mich für deine Sicherheit und gegen dich entschieden.“

„Und bei Haruto...“

„Es war nicht geplant, dich dort zu treffen“, entgegnete er sofort. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Ich kenne Haruto nicht einmal.“

Aoko runzelte ihre Stirn. Aber wie kam Kaito dann auf diese Party?

Als könnte er ihre Gedanken lesen, antwortete er: „Ich war mit Rui in der Stadt. Unser Manager lebt in Tokio. Unterwegs trafen wir zufällig auf Keiko. Sie und ihr Verlobter wollten noch letzte Besorgungen für ihre Party machen und sie bat mich doch auch zu kommen. Wir könnten uns am Abend unterhalten.“ Er schluckte. „Da sie ja deine beste Freundin ist, lehnte ich ihre Einladung ab. Keiko nickte nur, sah mich traurig an, dann erzählte sie plötzlich, dass sie es schade findet, dass wir alle keinen Kontakt mehr miteinander haben. Als ich erfuhr, dass du und sie auch keinen Kontakt mehr zu einander habt, sind Rui und ich abends doch hingegangen.“

„Aber Kid hatte doch...“, mischte sich Aoko irritiert ein.

Kaito nickte. „Ich bin zwischendurch abgehauen und als ich wieder kam, war Rui schon gut dabei. Einige der Typen auf der Party haben sie abgefüllt. Es hat mich viel Zeit und Nerven gekostet sie bis zu unserem Auftritt am nächsten Abend fit zu kriegen.“

Aoko senkte traurig den Blick.

„Ich wusste auch nicht, dass du Kudo kennst, sonst hätte ich das mit den Backstagekarten gelassen“, fügte Kaito nachdenklich hinzu.

„Kennt sie deine geheime Identität?“

Der junge Mann blickte seine Kindheitsfreundin lange an, runzelte dabei aber die Stirn. Als ihn die Erkenntnis traf, wen Aoko meinte, lächelte er zaghaft. „Nein, nur du, Jii und meine Mutter wissen wer Kid in Wirklichkeit ist.“

Aoko traute sich kaum aufzublicken und bemerkte daher auch nicht, wie er auf sie zu trat. „Ist sie deine Freundin?“ Sie spürte ihn plötzlich nah bei sich.

„Nein, Rui ist nur meine Assistentin“, antwortete er leise. „Mein Herz hab ich schon vor langer Zeit einem ganz besonderen Mädchen geschenkt.“

Aoko blickte erschrocken auf. Seine Worte trafen sie so unvermittelt und direkt in ihr Herz. War ihre Liebe doch nicht so einseitig, wie sie immer dachte?

Er legte seine Hände auf ihre Schultern und beugte sich zu ihr hinunter. Seine blauen Augen starrten in ihre blauen Augen.

Wild und heftig donnerte ihr Herz in ihrem Brustkorb. „Kaito?“

„Ich liebe dich, Aoko und ich werde immer nur dich lieben.“

Ihre Knie wurden weich, instinktiv krallte sie sich in sein Hemd um sich überhaupt irgendwo festhalten zu können.

„Versprich mir eines, Aoko“. Sein Gesicht war mit einem Mal so ernst. „Sollte mir etwas zustoßen, lebe weiter! Wirf dein Leben nicht weg, beende dein Studium, gehe arbeiten und such dir einen netten Mann. Ich erwarte nicht, dass du mich vergessen sollst, aber ich möchte, dass du dich nicht aufgibst.“

Aoko blickte ihn an. Ängstlich, skeptisch, verwirrt und überwältigt. Sie verstand ihn nicht. „Warum hast du mir alles erzählt und das heute?“

Er lächelte schelmisch, ließ sie los und trat ein paar Schritte zurück. Im nächsten Moment zog er seinen weißen Zylinder hervor. Schon steckte er seine Hand in den Zylinder und beförderte seinen weißen Umhang heraus. Der Wind zog auf, der Umhang verdeckte Aoko die Sicht auf ihren Kindheitsfreund und als es wieder windstill wurde, stand Kaito Kid vor ihr.

Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus, als sie ihn so vor sich stehen sah. Es war doch noch hell, hatte er wirklich keine Skrupel sich am Tag in diesem Outfit zu zeigen? Sie blickte sich um und stellte fest, dass die Sonne schon fast hinter den Häusern Tokios verschwunden war. Der Abend war an ihr unbemerkt vorbeigezogen.

Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Ich bringe dich nach Hause, Aoko.“ Er reichte ihr seine Hand und ohne zu zögern legte sie ihre Hand in die seine. Sie liebte ihn und vertraute ihm. Auch wenn es noch so suspekt war, würde sie ihm immer noch, nach all den Jahren, ihr Leben anvertrauen und für ihn durchs Feuer gehen.

Kid nahm sie in eine feste Umarmung und sprang mit ihr vom Dach. Schon kurz darauf öffnete er seinen Gleiter und flog mit ihr in die hereinbrechende Nacht und über die Häuser Tokios zum Wohnblock seiner Freundin.

Es war inzwischen dunkel, als sie auf dem Dach des Hauses landeten, in dem Aoko wohnte. Er trat einen Schritt zurück. Nach einer angedeuteten Verbeugung, verabschiedete er sich. „Ich wünsche einen schönen Abend.“ Mit den Worten drehte er sich zum Gehen um.

„Ich liebe dich, Kaito“, rief ihm Aoko impulsiv nach. Warum sie es tat wusste sie nicht. Sie hatte seit seinen Worten ein unbehagliches Gefühl in ihrer Brust und er sollte wissen, dass sie seine Gefühle erwiderte.

Kid blieb stehen. „Hast du mich deswegen nie an deinen Vater oder Hakuba verraten?“

„Vielleicht“, antwortete Aoko, da sie die Antwort selbst nicht genau kannte.

„Denk an meine Worte“, erinnerte er sie an ihr Gespräch und im nächsten Moment verschwand er in der Nacht.

„Was auch immer du vor hast, pass auf dich auf und komm gesund zurück“, murmelte sie vor sich hin. Erstarrt und besorgt und mit einer großen Sorge um ihren besten Freund und gleichzeitig großer Liebe, blieb sie noch eine Weile auf dem Dach stehen und starrte in die Nacht.

War es ihr Schicksal, dass ihre Zukunft ungewiss blieb? Vielleicht war es so, aber irgendwann in einem anderen Leben würde sie ihm wieder begegnen und vielleicht dann endlich mit ihm zusammen glücklich sein.

Epilog

Aoko sah lange zum Fenster hinaus. Eine Hand ruhte auf ihrem Kugelbauch. Nur noch wenige Wochen und der Termin der Entbindung wäre erreicht. Dann endlich würde ihr Sohn, das Licht der Welt erblicken. Ein Glänzen trat in ihre Augen.

Wie zur Bestätigung, dass sie an ihn dachte, gab der kleine Wirbelwind in ihrem Bauch ein Zeichen. Er begann seine Mama einmal kräftig zu treten, während er versuchte sich in der immer enger werdenden Höhle im Bauch seiner Mutter in eine bequemere Lage zu bringen.

Sanft begannen Aokos Finger über die Stelle zu streichen, aus der gerade der Tritt folgte.

Sie wusste bereits jetzt, dass sie dieses Kind über alles liebte. Niemals hätte sie sich solche Gefühle für jemanden vorstellen können und dieses Wunder überwältigte sie – bereits zum zweiten Mal.

Die Tür wurde geöffnet und ein kleines Mädchen von drei Jahren betrat das Zimmer. Sie tapste über den Teppich hinweg und warf einen kurzen Blick in das weiße Gitterbett, das an der Wand stand. Im nächsten Moment hing sie sich um Aokos Bein. „Mama?“

„Sakura“, Aoko blickte seitlich an ihrem runden Bauch vorbei und strich über das kastanienbraune Haar ihrer Tochter.

„Was machst du hier?“

Aoko blickte zum Fenster hinaus und lächelte. „In Erinnerungen schwelgen.“

„In hoffentlich schönen Erinnerungen“, mischte sich eine tiefe Stimme von der Tür ein, die ihr auch nach so vielen Jahre Ehe angenehme Schauer über den Rücken jagte.

Sakura löste ihren Kopf und blickte zur Türe. Mit großen leuchteten Augen lief sie auf den Mann zu, der eben eintrat. „Papa!“

Auch Aoko drehte sich um und lächelte ihren Mann liebevoll an. „Kaito.“

Dieser empfing seine kleine Tochter und hob sie hoch. Mit wenigen Schritten ging er durch das Kinderzimmer und küsste Aoko auf die Wange. Im nächsten Moment strich er sanft über ihren Bauch. „Und sind es schöne Erinnerungen?“

Aoko blickte in das ozeanblaue Augenpaar, dass sie seit ihrer Kindheit kannte und liebte. „Es waren nicht immer gute Zeiten, aber am Ende ist alles gut ausgegangen.“

„Papa, erzählst du mir eine Geschichte?“, bat Sakura und blickte ihren Vater mit dem süßesten Hundeblick an, den sie aufbrachte.

„Okay, aber danach gehst du schlafen“, nickte er seiner Tochter zu und setzte sich mit ihr auf einen Stuhl.

„Es war einmal ein Mann mit weißer Weste. Böse Männer in schwarz wollten ihn fangen und alles was ihm lieb und wichtig war wegnehmen.“

Während Kaito seiner Tochter die Geschichte von Kaito Kid erzählte, drehte Aoko sich zum Fenster und lächelte. Ihr Vater hatte ihr in dieser Nacht eine Nachricht hinterlassen, dass Kid wieder zuschlug und er nicht wusste, wann er wieder zurückkam. Sie wusste damals noch nicht, dass sich Kaito in dieser Nacht den Mördern seines Vaters stellte. Nie hatte sie erfahren, wie es die Polizisten oder gar Kid schafften, diese Männer zu überführen, aber es war vorbei.

Kaito hatte aufgehört Kid zu sein und war seither an ihrer Seite. Sie heirateten kurz nach Aokos Abschluss und bekamen zwei Jahre später Sakura. Nun wird in wenigen Wochen der zweite Nachwuchs im Hause Kuroba das Licht der Welt erblicken und Aoko wusste, dass ihr Schicksal sich gewendet hatte. Sie sah ihren Mann und ihre Tochter liebevoll an und könnte nie glücklicher sein, als sie es jetzt war.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Sakuran
2014-12-28T22:41:06+00:00 28.12.2014 23:41
Oh sehr schön! Ich habe jede Zeile genossen. Du hast es sehr schön geschrieben, viel Gefühl und ich konnte alles mitverfolgen und nachvollziehen. Das nächste Mal wünsche ich mir, dass die Beziehung zwischen den beiden intensiver beschrieben wird, das hat mir ein kleines bisschen gefehlt. Obwohl die Falshbacks sehr schön und niedlich gewesen sind.
Alles in Allem hat es mir sehr gefallen deine Geschichte zu lesen. Vielen Dank dafür ^.^
Von:  Mopsbacke
2013-11-22T03:39:30+00:00 22.11.2013 04:39
Oh, oh, so etwas Süßes!
Zunächst fand ich diese ganze Heiji-Kazuha-Ran-Shinichi-Aoko-Clique befremdlich, aber die 26 Seiten haben sich echt gelohnt!
Yay, danke dafür!
Von:  horo_koi
2013-09-06T23:25:32+00:00 07.09.2013 01:25
es ist wirklich total schön geschrieben
ich find all die empfindungen und alles weitere total toll beschrieben
nur schade das sie sich nicht wenigstens kurz etwas in den armen hielten oder sich küssten
aber wahrscheinlich wäre die sehnsucht nach dem jeweils anderen dann noch größer


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