Westwärts! von missfortheworld ================================================================================ Kapitel 1: Jailbreak -------------------- Das laute Grollen des Donners ließ die dünnen Wände erzittern und riss ihn aus seinem Schlaf. Binnen Sekunden befand er sich dank seiner Reflexe in einer aufrechten Position und zog einige Male scharf die Luft ein. Kleine Schweißperlen rannten währenddessen seine Schläfen hinab. Es dauerte einen kurzen Augenblick bis er die plötzliche Aufregung gänzlich abschütteln konnte und den spitzen Dolch sinken ließ, den er instinktiv beim Erwachen gezückt hatte. Seine Abwehrmechanismen waren noch immer äußerst vorbildlich. Wie so oft in den letzten Tagen entwischte ihm ein kleines höhnisches Lachen, nachdem er den dunklen Raum mit seinen scharfen Augen durchleuchtet hatte. Er war komplett paranoid. Niemand wusste von seinem Aufenthaltsort, geschweige denn davon, dass er noch immer existierte. Er hatte die Hölle bereits durchlebt, weshalb es unwahrscheinlich war, dass der Teufel ihm früh am Morgen die Kehle durchtrennen würde. Der Gedanke wäre absurd. Da er sich durchaus bewusst war, in dieser Nacht keinen Schlaf mehr zu finden, schlug er kurzum die Decke beiseite und schwang die Beine über das provisorische Bett, das er sich aus Heuballen und Leinen erbaut hatte. Seufzend rollte er anschließend seinen Nacken, um die Muskeln zu lockern, die schon seit er denken konnte unter Spannung standen. Während er sich mühsam erhob, versuchte er sich von der Müdigkeit zu befreien, die seine Gedanken noch immer in Beschlag nahm. Ein flüchtiger Blick durch das Fenster offenbarte ihm die schweren Gewitterwolken, die sich über das Land zogen und grelle Blitze auf die Erde schickten. Just in dem Moment begann es zu regen, während der kalte Wind um die Holzhütte heulte. Das Wetter in den Bergen war unvorhersehbar. Für einen kurzen Augenblick schloss er die Augen, um sich der Einsamkeit hinzugeben, die ihn plötzlich übermahnte. Er hieß dieses Gefühl wie einen alten Freund willkommen. Die innere Leere war ihm durchaus vertraut und zentrierte sich tief in seinem Magen. Er vermisste sie. Seine Frau, sein Kind. Der Gedanke, dass er sie nie wieder sehen würde, war schmerzhaft. Emotionalität. Oft war ihm diese Eigenschaft nachgesagt worden. Bis zu jenem Tag, an dem seine Familie in seinen Händen verblutet war. Es war der Tag, an dem sein düsteres Leben begann und die Leere von ihm Besitz ergriff. Er war keineswegs emotionslos oder gar gefühlskalt geworden. Vielmehr war er an einem Punkt angelangt, an dem ihm alles egal war. Was machte es für einen Unterschied? Keinen. Denn er hatte ohnehin alles verloren, was ihm wichtig war. Er fragte sich wie sein Leben wohl sein würde, wenn er dazu in der Lage wäre, sich einen einzigen Tag nicht mit dem Gedanken auseinandersetzen zu müssen, dass er eines Tages zu Staub zerfallen würde. Ein weiteres Seufzen verließ seine Lippen, als er in seinen Mantel schlüpfte und die Stiefel zuschnürte. Kurzum verließ er den geräumigen Speicher des Stalls, in dem man ihm großzügig Unterschlupf gewährt hatte. Der Regen prasselte so unbarmherzig und heftig auf das Land herab, dass man das laute Schmatzen der Stiefel im tiefen Matsch kaum mehr wahrnehmen konnte. Die einst so grünen und prachtvollen Wiesen des Berges glichen schon nach kurzer Zeit einem frisch gepflügten Acker. Lehm und Dreck spritzte demnach in alle möglichen Richtungen davon, als der Schwarzhaarige die wenigen Meter zur Haupthütte zurücklegte und dabei die Gewalt der Natur deutlich zu spüren bekam. Die Wassertropfen schossen ihm entgegen und glichen Nadelstichen auf seiner Haut. Die Kälte zerrte an seinem Körper und kroch bis in seine Fingerspitzen, die mit der Zeit leicht taub wurden. Instinktiv hüllte er sich tiefer in seinen Mantel und erfreute sich an dessen schützender Wärme. Schließlich erreichte er das anvisierte Holzhaus, in dem der verwitwete Besitzer des Grundstücks hauste. Ein lautes Quietschen begleitete das Öffnen der massiven Tür und augenblicklich wehte ihm der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee entgegen, der ihn an sein Familienleben erinnerte. Vor vielen Jahren hatte sich Trafalgar Law als Revolvermann einen gefürchteten Ruf angeeignet, bis er schließlich zu den mächtigsten und gefährlichsten Männern des Landes gehört hatte. Er war ein mutiger und zäher Bursche gewesen, der schneller schießen konnte als sein Gegner und dennoch an Ehre und Moral appellierte. Da man als Revolvermann zweifellos durch zahlreiche Siege eine gewisse Berühmtheit erlangte, musste man ständig damit rechnen, getötet zu werden. Er hatte den Nervenkitzel und das Adrenalin geliebt und keine Gefahr gescheut. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dieses Leben an den Nagel zu hängen. Doch etwas Unvorhersehbares trat ein. Er verliebte sich. Er verliebt sich in eine wunderschöne Frau, die ihm zeigte, dass das ständige Spiel mit dem Tod nicht alles war. Kurzum ließ er den Revolverhelden hinter sich und änderte seinen Lebensstil, um seiner Familie den nötigen Schutz zu liefern. Durch den Kauf einer kleinen Farm und einer kleinen Herde Rind wurde er schließlich zum Cowboy. Jener Beruf war schwer und verbunden mit harter Arbeit. Oft war man zehn Stunden am Tag im Sattel. Zu den gängigen Aufgaben gehörten das Treiben der Rinder, deren Markieren durch Brandzeichen sowie die gesundheitliche Betreuung der Tiere. Das Leben spielte sich auf Viehtrails ab, weshalb man oft wochenlang nicht aus den Kleidern herauskam. Auf den Routen tummelten sich zudem Indianer, Viehdiebe oder korrupte Landbesitzer, die Zölle erhoben, was dazu führte, dass man oft in Schießereien oder Gefechte verwickelt wurde. Mittlerweile war er aber kein Cowboy mehr. Er war nur ein einsamer Mann ohne Heimat, der nicht länger als ein paar Wochen an einem Ort verweilte und die Stille genoss. Er war ein Niemand. „Schlecht geschlafen?“, fragte der alte Bauer sogleich, als er auf die dunklen Augenringe und das zermürbte Gesicht des Schwarzhaarigen aufmerksam wurde. Der Angesprochene antwortete jedoch nicht. Nicht mit Worten. Sein Blick sprach stattdessen Bände. Er bevorzugte es, größtenteils mit Gesichtsausdrücken und eindeutigen Gesten zu kommunizieren, um die Distanz zu den Menschen zu wahren. Seine dunkel unterlaufenen Augen waren irgendwie zu seinem Markenzeichen geworden. Er hatte schon immer einen leichten Schlaf gehabt und der plötzliche Tod seiner kleinen Familie hatte diese unangenehme Eigenschaft noch verschlimmert. Die Bilder ließen sich nicht aus seinem Bewusstsein verbannen und suchten ihn zu den unpassendsten Gelegenheiten heim. Für einen kurzen Augenblick musste der Schwarzhaarige seine Gedanken klären, um nicht wieder in den Sog der Melancholie zu geraten, die bei dem Gedanken an Frau und Kind Besitz von ihm ergriff. Dankbar griff er schließlich nach dem Kaffee, den ihm der Bauer freundlich anbot. „Du solltest einen Blick in die Zeitung werfen!“, schlug der ältere Mann geheimnisvoll und dennoch leicht betrübt vor. Mit ausgestrecktem Zeigefinger machte er auf einen Artikel der Titelseite aufmerksam, den Law daraufhin neugierig überflog. Mit jedem gelesenen Wort weiteten sich seine Augen ein kleines Stückchen mehr. Langsam ballte er die Hände zu Fäusten, bis sich ein kaltes Gefühl in seine Fingerspitzen schlich und die Venen auf seinen Handrücken sichtbar hervortraten. Die Nachricht beschrieb einen brutalen Überfall und die damit verbundene Entstellung einer Prostituierten in Big Whiskey, ein Ort in Wyoming. Recht und Gesetz waren im Wilden Westen generell dünn gesät. Raubüberfälle, Rinderdiebstahl und Schießereien gehörten demnach zum Alltag. Überall dort, wo Gebiete neu besiedelt wurden und Rinder- beziehungsweise Goldgräberstädte entstanden, stieg die Kriminalität im erhöhten Maße an. Das Auftauchen von zwielichtigen Gestalten war nur eine Frage der Zeit. Es waren Banditen und Outlaws, die die Gesetzlosigkeit des Wilden Westen prägten. Gewalt gegenüber Frauen verwies jedoch auf die Handschrift eines ganz bestimmten Mannes, dem es Spaß machte, sich durch kriminelle Machenschaften zu bereichern. Da grundsätzlich die raue Männerwelt dominierte, waren Frauen so begehrt, dass sich selbst der härteste Raufbold in einen zuvorkommenden Gentleman verwandelte. Behandelte man eine Frau nicht mit Respekt, fing man sich den Unmut vieler Bürger ein. Big Whiskey hatte bereits einen schweren Überfall zu verzeichnen und Law verdrängte diese Erinnerung nur zu gerne. Die Situation war damals eskaliert, weshalb einige Unschuldige ihr Leben lassen mussten. Der Bandit konnte jedoch fliehen und blieb den Leuten nicht nur mittels der vielen Fahndungsplakaten im Gedächtnis. Law war sich absolut sicher, dass es sich bei beiden Überfällen um den gleichen Täter handeln musste. Der Gedanke an diesen unbarmherzigen Mann jagte ihm eiskalte Schauer über den Rücken. Der plötzliche und stechende Schmerz in seiner Schulter erinnerte ihn zudem daran, dass die Zeit nicht alle Wunden heilen konnte. Daher fasste er seinen Entschluss noch bevor er die Seite zu Ende gelesen hatte. „Ich werde ihre Gastfreundschaft wohl nicht länger in Anspruch nehmen!“, informierte der Schwarzhaarige den Bauer mit selbstbewusster Stimme. Zwar kannte der Angesprochene seine Gründe nicht, jedoch akzeptierte er die Entscheidung ohne Widerworte. Geduldig und schweigsam verweilte Law demnach einige Stunden in der warmen Stube und wartete dort, bis die Sonne ein Loch in das dunkle Schwarz des Himmels riss und den heftigen Regen verdrängte. Sich den steifen Nacken massierend trat er aus dem Haus und sog die frische Luft ein, die sich wohltuend in seinen Lungen ausbreitete und für neue Frische in seinem Kopf sorgte. Die Nachricht des Überfalls hatte ihn tief getroffen. Dennoch hielt er an seiner Entscheidung fest, aufzubrechen und zurück zu jenem Ort zu kehren, an dem er vor zwei Jahren beinahe alles verloren hatte, was ihm lieb und teuer gewesen war… +++ +++ +++ Da sich sein Hab und Gut auf das Nötigste beschränkte, dauerte das Packen nur wenige Minuten. Seine Ausrüstung beinhaltete eine wärmende Decke, einen Sattel, ein Lasso, seine Henry-Rifle sowie die Colt Peacemaker Cavalry. Als Cowboy besaß er zudem lediglich funktionale Arbeitskleidung, bestehend auf groben Wollhosen mit Trägern, klassischen Hemden, Westen und einem Mantel für kältere Tage. Letztendlich schlüpfte er in seine Stiefel, die mit Sporen versehen waren, und schnappte sich seinen Hut, den er sich tief ins Gesicht zog, um gegen den verbliebenen Wind und die Sonne zu bestehen. Zielstrebig marschierte er anschließend in den Stall, in dem er sein Pferd unterbringen hatte dürfen. Jene Tiere nahmen eine entscheidende Rolle im Leben jedes Cowboys ein. Es musste ohne Hände zu dirigieren sein, um die Hände für die Arbeit mit dem Lasso frei zu halten. Dazu wurden die Tiere nur durch Beinkontakte oder Pfiffe und Zurufe gesteuert. Wendigkeit und Schnelligkeit gehörten außerdem zu den wichtigsten Eigenschaften und retteten schon so manch einer Person das Leben. Trigger, sein schwarzer Hengst, nahm seine Anwesenheit indes erfreut zur Kenntnis und schnupperte erwartungsvoll an seiner Kleidung. Sanft tätschelte ihm Law den Hals. Er war alles, was ihm geblieben war, weshalb er sich in dessen Gegenwart wohl und zuhause fühlte. Langsam führte er es nach draußen und nahm dort dankbar einen Sack voll mit Verpflegung entgegen, den der freundliche Bauer für ihn bereithielt. Mit einem kurzen Heben seines Hutes bedankte und verabschiedete er sich schließlich und schwang sein Bein über den Rücken des Pferdes, bis er fest im Sattel saß. Gemächlich trappte er die Wege entlang, bis ihm der Berg einen gigantischen Ausblick auf das Land zu seinen Füßen lieferte. Ein kleines Grinsen zierte seine Lippen, als sein Blick über den Wilden Westen glitt, der sich in all seiner Pracht vor ihm erstreckte. Er verkörperte sowohl Ruhe, als auch Brutalität. Der Wilde Westen hatte ihm zu dem gemacht, der er heute war und dennoch suchte er ihn nachts in seinen Träumen heim. Vor langer Zeit hatte er sich geschworen, sein altes Leben hinter sich lassen, um die Erinnerung an seine Familie zu wahren und in Ehren zu halten. Seine jetzigen Lebensumstände waren jedoch fern von jeglichen guten Vorsätzen. Die Hölle lag bereits hinter ihm und die stetige Einsamkeit war sein einziger Begleiter. Es konnte somit nicht schaden, die Glut erneut zu entfachen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)