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Die Trauerfeier

von

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Kapitel 1

Es war kalt. Auf den Strassen lag der vom Auspuffgas der vorbeirauschenden Autos geschwärzte Schnee. Ein Mann streifte einsam am Strassenrand entlang, seinen Hut tief in das Gesicht gezogen, den Mantel fest um ihn geschlungen, die Hände unter den Armbeugen eingeklemmt, schützend vor der Kälte. Zähneklappernd kommt er an seiner Haustür an, klaubt den eisigen Schlüssel aus der Manteltasche und schliesst auf. Drinnen lässt er sich auf einen Couchsessel fallen und reibt sich die Augen. Die Müdigkeit droht ihn zu übermannen. Seit dem Morgengrauen war er auf Trab, ging zur Arbeit, am Nachmittag dann wurde ihm Freigegeben, da einer seiner Angehörigen verstorben war. Er sah sich jetzt noch dort, auf dem Friedhof, umringt vom Leid dutzender Menschen, der Trauerrede des Pfarrers lauschend. Alles war schwarz, die Kleidung der Leute, die Bäume, der Sarg, selbst der Tag, obwohl so viel Schnee lag, war schwarz. Der Himmel, wolkenbehangen wie er war, verschluckte alles Sonnenlicht, das auf der anderen Seite noch so hell scheinen mochte. Ausserdem lag der Friedhof so nah bei der Kirche und war von so vielen Bäumen umgeben, dass Schatten herrschte ohne die nötige Lichtzufuhr, die er eigentlich gebraucht hätte, um zu entstehen. Dem Mann Zuhause im Sessel fröstelte selbst jetzt noch bei diesen Gedanken.

Dann all diese betrübten Gesichter. Niemand sprach, alle senkten andächtig die Köpfe, ja manche beugten sich sogar ein wenig, da ihnen die Trauer so sehr auf den Schultern lastete. Auch er senkte den Kopf, verschränkte die Hände ineinander und trotz der Kälte regte er sich nicht, denn dies war ein Moment, dem man Respekt zollen musste.

Danach gingen sie in die Kirche. Der Pfarrer erzählte von der Macht Gottes, dem Himmel, der Erlösung. Er sprach den Leuten Trost zu, pflanzte wieder etwas Wärme in ihre Herzen. Danach wurden die direkten Verwandten des Verstorbenen nach vorne gebeten. Sie erzählten liebevoll von seinen Grosstaten, betonten seine Herzensgüte und dankten für die wunderbare Zeit, die sie mit ihm erleben durften.

Danach war die Trauerzeremonie zu Ende und die meisten schwärmten zur Kirchenpforte hinaus, unterhielten sich im Gehen, wollten so schnell wie möglich nach Hause in die Wärme. Einige andere blieben stehen, erzählten sich noch Ungesagtes.

Jemand lachte.

Als er an diesen Moment zurück dachte, wie er das fröhliche, wirklich glückliche Lachen hörte, das mitten unter diesen melancholischen Menschen erschallte, zuckten seine Mundwinkel unwillkürlich. Es war einfach zu kurios, diese Fröhlichkeit mitten in einem Meer von Trauernden.

Er sah sich auf dem Platz vor der Kirche um und entdeckte eine jüngere Frau. Auch andere sahen sich nach ihr um, einige empört, manche überrascht, wieder anderen stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht, beim Anblick dieses erheiterten Menschen. Die Frau bemerkte, dass sie etwas Unangebrachtes getan hatte und hielt sich - zwar immer noch lachend aber etwas beschämt - die Hände vor ihren Mund, wie um ihr lautes Lachen wieder zurück zu nehmen. Dann machte sie einige komische Gesten mit den Händen, welche die Person ihr gegenüber erwiderte. Da wurde dem Mann bewusst, dass sie Taubstumm war. Immer noch ganz belustigt, gestikulierte sie weiter und auch ihr Gegenüber grinste, auch wenn er noch beschämter wirkte als sie. Ihr Beobachter irritierte das. Wie um alles in der Welt kann man auf einer Trauerfeier glücklich sein?

Er fasste sich ein Herz und ging auf die beiden zu. Er wollte einfach wissen, was da vorging. So unauffällig wie möglich stellte er sich in Hörweite. Aber die Frau drehte sich zu ihm um, was ihn überraschte, denn er war ausserhalb ihres Blickwinkels und da sie ja taubstumm war, hätte sie ihn nicht hören dürfen. "Sie wünschen?", fragte sie ihn. Ganz normal, wie jeder andere Mensch es auch getan hatte, trotzdem erschreckte er sich. Da wurde ihm aber klar, dass sie nicht taubstumm war, sondern nur der Junge ihr gegenüber. Trotzdem formulierte er seine Frage etwas stockend; wie sie auf einer Trauerfeier denn lachen könne. Da sah sie ihn verschmitzt an und antwortete - gestikulierend, so dass es auch der Taubstumme sie verstehen konnte - ganz keck: „Na ich mache den Mund auf und lasse Töne heraus, die man in unserer Sprache ‚Lachen‘ nennt.“

Da lachte sie schon wieder. Nun wurde er ziemlich wütend. Wie konnte sie ihn nicht ernst nehmen? Nahm sie denn überhaupt die ganze Beerdigung, den Tod eines geliebten Menschen nicht ernst?

Sie bemerkte seine Aufregung und so antwortete sie noch einmal, etwas ruhiger: „Es ist nicht so, dass mich der Tod von Onkel Tibo nicht getroffen hätte. Mein Bruder hier“, sie deutete auf den Jungen, der ihr gegenüberstand, „ und ich unterhielten uns gerade über ihn. Dabei erinnerten wir uns an ein besonders schönes, lustiges Ereignis mit ihm. Deshalb mussten wir lachen.“, sie lächelte entschuldigend, was ihn etwas beruhigte. „Trotzdem. Diese Geschichten könnt ihr euch doch auch zu Hause erzählen.“, meinte er. „Hier ist ein Ort der Trauer.“

„Stimmt, einem Toten gedenkt man mit Trauer, das zeigt den Respekt den wir ihm erweisen“, sagte sie und nickte. Dann fügte sie aber im Flüsterton hinzu: „Aber wissen sie was? Ich glaube, er wäre bestimmt glücklicher gewesen, wenn wir hier alle froh wären.“ Als er sie darauf entgeistert anstarrte, zuckten ihre Mundwinkel etwas. Trotzdem fuhr sie mit ernster Stimme fort: „Unser Onkel war ein sehr lustiger, offener Mensch. Er genoss jeden Augenblick seines Lebens. Er starb glücklich in seinem Bett an Altersschwäche und hatte nicht grosse Angst vor dem Tod. Eher war er aufgeregt, ich sah es seinen Augen an. Deshalb bin ich jetzt auch nicht besonders traurig.“

Dies liess ihn überlegen. Was sie da sagte macht Sinn. Warum war er eigentlich so traurig? War es, weil er nie mehr das Lachen von Tibo hören wird (dem das seiner Nichte im Übrigen in Nichts nachstand) oder die Tatsache, dass ein Lebewesen die Erde verlassen musste? Darüber grübelte er auch jetzt in seinem Sessel nach und dabei schossen wieder die Worte der jungen Frau durch seinen Kopf: „Ich habe ihn geliebt. Und gerade weil ich ihn geliebt habe, trauere ich nicht um ihn, sondern freue mich für ihn, dass er so ein toller Mensch war und ein langes, meist glückliches Leben hatte.“ Und hinzugefügt hatte sie noch: „Sehen sie all diese Menschen an, die hier her gekommen sind. Das zeugt doch nur schon davon, dass er ein schönes Leben hatte, mit so vielen Freunden und Bekannten. Wären nicht einmal halb so viele gekommen, dann hätte er mir leid getan. Aber als lebendiger Mensch, denn er hätte ohne Liebe leben müssen.“

Kapitel 2

Er stand von seinem Sessel auf, ging in die Küche und machte sich Kaffee. Während die Kaffeemaschine surrte, liess er sich die Worte dieser seltsamen Frau wieder und wieder durch den Kopf gehen.

Marianne heisst sie. Er könne ihr auch Mary sagen. Alle nennen sie so. Die Tochter von Ottmar also. Er kennt Ottmar gut. Er war mit ihm zur Schule gegangen, von der Unter- bis in die Oberstufe. Danach blieben sie noch gute Freunde, einige Jahre lang, aber schliesslich hatten sie verschiedene Wege eingeschlagen. Ottmar ist ausgewandert, nach England. Jetzt sei er ein sehr guter Anwalt.

Das alles hatte er im Gespräch mit Mary und ihrem Bruder Joey (eigentlich Oliver) erfahren. Sie würden noch eine Weile in der Schweiz bleiben, aber dann gingen sie wieder nach England zurück. Mary freue sich nicht wirklich. Hier sei ihre Heimat, meinte sie. Sie komme so oft sie kann in die Schweiz. vor allem im Sommer. Hier ist es, nach Marys Aussage, viel wärmer.

Der Kaffee ist fertig gekocht. Er nimmt die Tasse mit zum Sessel, stellt ihn auf das Tischchen daneben und kniet dann zum Kamin nieder, um ein Feuer zu entfachen. Als er sich gerade wieder hinsetzen wollte, klingelte es an der Tür. Und als er aufmachte - siehe da - stand Mary davor. Sie grinste ihn strahlend an.

„Tach!“, sagte sie, schwenkte dabei die Hand und trat ein. Ganz verdattert schloss er die Tür und drehte er sich zu ihr um.

„Ähm…Warum… Also… Hallo“, stotterte er. Sie lachte.

„Ich bin hier, weil ich ihnen noch was vorbei bringen wollte, Herr Thalmann“, sagte sie und überreichte ihm ein Päckchen.

„Ich sagte doch schon, dass du mir Robert sagen kannst“, meinte er, erforschte dabei aber neugierig die Verpackung. Das Päckchen war nicht schwer. Als er es aufriss, kamen ein Couvert und ein grauer Schaal zum Vorschein. Mary lächelte ihn an, als er verständnislos aufblickte.

„Das ist von meinem Vater. Lesen sie doch zuerst den Brief“, bat sie ihn. Obwohl sie ihn immer noch siezte, tat er ihr den Gefallen. Im Brief stand, dass sich sein alter Schulkamarad sehr freue, wieder etwas von ihm zu hören. Leider müsse er aber gleich morgen wieder abreisen und heute seine Vorkehrungen treffen. Deshalb schicke er ihm seine Tochter, die ihm eben dieses Geschenk überreichen soll. Es soll ihn an die alten Zeiten erinnern, denn diesen Schal habe er immer getragen. Er hoffe, dass man sich bald wieder einmal sehen könne. Freundliche Grüsse Ottmar.

Robert nahm den grauen Schaal aus der Verpackung und entfaltete ihn. Schöne Stickmuster verzierten seine Ränder. Er sah recht edel aus.

„Danke“, sagte Robert zu Mary. Er sah jetzt die Ähnlichkeit, die Mary mit ihrem Vater hatte. Auch ihr Temperament hatte sie von ihm geerbt. Ottmar und Robert hatten viel zusammen gelacht. Er vermisste diese alten Zeiten. Aber wer tut das schon nicht?



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Birdbrain
2014-02-04T21:47:29+00:00 04.02.2014 22:47
Man wird immer etwas vermissen um etwas Trauern solange man das vergnügen hat auf diesem Planetem zu verweilen. So ist es nun mal. Ich finde man sollte auf beerdigungen lachen, nicht um sich selber von der Trauer abzulenken, Nein, lediglich um die verstorbene Person nicht noch traurig zu machen, denn ich denke es würde die verstorbene Person traurig.machen dich ao Traurig zu sehen. Aber vor allem wunderschön geschrieben.
Antwort von:  Veboshi
05.02.2014 18:43
Vielen lieben Dank. :3 Ich mag die Geschichte ebenfalls immer noch sehr, auch wenn sie schon recht veraltet ist. x) (Hab grad auch noch ein paar Stellen entdeckt, die ich überarbeiten möchte.)
Freut mich aber, dass sie Anklang findet. :3


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