Entscheidung aus Liebe von Kittykate ================================================================================ Kapitel 9: Kämpferherz ---------------------- Akane betrat die Universität von Tokio und folgte ihrem Weg zur Vorlesung, als sich Aiko in ihren Weg stellte. „Guten Morgen, Haruka“, grinste die Braunhaarige fröhlich. Für Akanes Geschmack zu fröhlich. Seit sie gestern erfahren hatte das ihre Familie nicht mehr in Taito wohnte, drehten sich ihre Gedanken im Kreis. Wo waren sie jetzt? Wohin sind sie gezogen? Akanes Augen schimmerten traurig. Sie vermisste ihre Schwestern und ihren Papa. Natürlich hatte sie diesen Entschluss gefasst und sie akzeptierte alles, was damit zu tun hatte, dennoch fehlte Akane ihre Familie. „Haruka, hörst du mir überhaupt zu?“ Die Schwarzblauhaarige sah auf und blickte direkt in die braunen Augen ihrer Freundin. „Shu feiert am Wochenende seinen Geburtstag. Wir gehen in einen angesagten Club der Stadt.“ Die Studentinnen gingen zusammen weiter. „Stell dir vor, er hat extra den VIP Bereich gebucht.“ Akane lauschte Aiko. Allerdings hatte sie keine Ahnung von was die neue Freundin sprach. Akane war mit sechzehn von zu Hause geflohen, lebte zuerst in der Villa Matsumoto, ehe sie nach Fukuoka, Osaka und schließlich nach Sapporo gezogen war. Sie war für sich, ging kaum unter Leute und lebte ständig in der Angst gefunden zu werden. Letztendlich war sie nun wieder hier in Tokio. Früher war sie zu jung zum Feiern und nun kannte sie sich absolut nicht damit aus. „Du kommst doch mit, oder?“ Akane schluckte. Sollte sie wirklich? Ein ganz mulmiges Gefühl breitete sich in ihr aus. „Die kommt doch nicht mit“, mischte sich plötzlich Ranma ein, der sich ihr in den Weg gestellt hatte. Seine Augen blitzten höhnisch. „Haruka hat doch keine Ahnung wie man richtig feiert.“ Sie blickte auf und sah direkt in die ozeanblauen Augen des Kampfsportlers. „Du hast doch keine Ahnung“, fauchte sie zurück. Akane wusste nicht warum, aber er hatte etwas an sich, dass sie immer so in Rage brachte. War es seine Überheblichkeit, seine Arroganz oder einfach nur seine dauerhaften Beleidigungen? „Du kennst mich doch gar nicht!“ „Ich kenne dich besser, als du denkst“, konterte Ranma überzeugt. „Ach ja?“, fauchte Akane erneut, doch in ihr breitete sich ein komisches Gefühl aus. Woher sollte er sie kennen? Was wusste er über sie? „Du hast eine große Klappe, aber in Wirklichkeit hast du riesige Angst“, begann der Schwarzhaarige seine Erklärung. „Ich weiß nicht vor was, aber deine Nervosität ist deutlich zu spüren.“ Sie sah ihn einfach nur an. Sie fühlte sich ertappt und sie wusste, dass er es auch wusste. Aber niemals würde sie ihm zustimmen. Nicht solch einem Obermacho. „Pah, du hast ja keine Ahnung. Spinn' deine seltsame Fantasie nur weiter.“ Akane ging demonstrativ an ihm vorbei. Ranma sah ihr nicht hinterher, aber ein wissendes Lächeln umspielte seine Mundwinkeln. „So ein Trampel, wie du bist, kann sich bestimmt nicht zum Takt der Musik bewegen.“ Akane blieb stehen, ballte ihre Hände zu Fäusten und drehte sich mit Schwung zu ihm herum. „Trampel?!“ Auch er drehte sich um und sah sie an. Er erkannte das Blitzen in ihren rehbraunen Augen. Immer noch lächelte er herausfordernd. „Beweise mir das Gegenteil. Am Samstag auf Shus Party“, forderte er sie kampflustig heraus. Ihr Kämpferherz war geweckt. Sie würde sich bestimmt nicht von ihm als Trampel und unmusikalisch bezeichnen lassen. „Samstagabend“, nickte sie zu. Schon wandte sie sich wieder ab und ging weiter. In ihrem Kopf malte sie sich schon aus, wie sie seine Niederlage feiern würde. Oh ja, sie würde ihm zeigen, dass sie durchaus eine Frau war und kein Trampel, wie er immer behauptete. Aiko nickte Shu zu, der ein fröhliches Grinsen auf den Lippen trug, und sah nochmals kurz zu Ranma. Dessen Augen hafteten auf Haruka und nichts um ihn herum nahm er wahr. Schnell folgte sie ihrer Kollegin. Shu stieß Ranma in die Seite. „Echt klasse, dass du es geschafft hast.“ Ranma nickte ihm zu, ohne seine Augen von der Schwarzblauhaarigen abzuwenden. „Ich weiß zwar nicht, warum es dir soviel bedeutet, dass sie auch kommt, aber jetzt hast du ja was du wolltest.“ Er ging ebenfalls zum nächsten Hörsaal. Shu holte schnell wieder auf. „Hör mal, sie ist Aikos Freundin und sie ist nett. Nur weil du sie nicht leiden kannst, heißt das nicht, dass niemand sie leiden kann.“ Ranma blickte kurz zu seinem Kumpel sagte dazu aber nichts mehr. Akane stand vor ihrem Kleiderschrank und warf ein Kleidungsstück nach dem anderen aufs Bett. Sie hielt inne um kurz den Rock zu betrachten, doch dann sortierte sie diesen auch aus. Inzwischen häufte sich schon ein Kleiderberg auf dem großen Bett an. Sie hatte damals ein Kleid gehabt, das für diesen Abend perfekt gewesen wäre. Es war ein Sommerkleid in hellem Blau gehalten. Es betonte ihre Oberweite und umspielte ihre Rundungen. Mit diesem Kleid hätte sie Ranma sprachlos machen können, aber es gehörte wie alles andere auch zu ihrem alten Leben. Sie seufzte kurz auf und durchwühlte ihren Schrank weiter, ob sich nicht doch noch etwas passendes finden ließ. „Akane?“ Zutiefst erschrocken hielt die Schwarzblauhaarige inne und sah zur Türe. Dort stand Sota, der sie mit hochgezogenen Augenbrauen belustigt ansah. Nach einem Blick auf den Klamottenberg fragte er: „Was wird das? Willst du abhauen?“ Empört verschränkte Akane ihre Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. „Dann würde ich das Zeug in den Koffer werfen und nicht aufs Bett.“ „Der wäre doch schon längst in dem Haufen verschwunden“, widerlegte Sota lachend und betrat Akanes Schlafzimmer. Er schob die Sachen ein wenig zur Seite ehe er sich aufs Bett schmiss. Lässig stützte er seine Arme hinter sich ab und grinste seinen Schützling an. „Und was wird das hier, wenn es fertig ist?“ Ertappt senkte Akane ihre Augen und löste die Arme wieder. Stattdessen verknotete sie ihre Finger und begann mit diesen zu spielen. „Weißt du, da ist diese Party am Wochenende und ich wollte schon mal nach einem passenden Outfit suchen.“ Überrascht sah er sie an. Akane war noch nie auf eine Party gegangen seitdem er sie kannte. Und das waren immerhin schon drei Jahre. „Und hast du was gefunden?“ Er runzelte seine Stirn, während er den Haufen neben sich betrachtete. Er würde in dem wild durcheinander geworfenen Berg bestimmt nichts finden. „Nein, weißt du es muss etwas umwerfendes sein. Bombastisch gutaussehend, wenn du verstehst.“ Fragend richtete er seine Augen wieder auf die junge Frau. „Wen willst du denn damit umwerfen?“ Sofort errötete Akane. Sota hatte das mal wieder komplett falsch aufgefasst. „Ich will niemanden damit umwerfen.“ Der blonde Japaner zwinkerte wissend und begann übers ganze Gesicht zu grinsen. „Ich freue mich für dich, Akane. Eine Beziehung schadet dir schon nicht.“ „Ich will keine Beziehung“, fauchte sie tomatenrot zurück. „Ich will nur so einem blöden Kerl aus der Uni zeigen, dass ich eine Frau bin.“ „Der sieht das nicht?“ Sota zog wieder fragend seine Augenbrauen hoch, während er seine Augen über Akanes Körper wandern ließ. Langsam und anzüglich versteht sich. Währenddessen schlich sich ein neckisches Grinsen auf seine Lippen. Die Studentin wurde verlegen, denn sie hasste es so genau gemustert zu werden. „Was ist denn bei dem kaputt?“, fragte sich Sota nach der Musterung selbst. „Wie attraktiv soll eine Frau denn noch sein?“ Dieses Kompliment ließ ihre rote Gesichtsfarbe noch dunkler werden. Allerdings ging sie nicht darauf ein, sondern drehte sich wieder ihrem Kleiderschrank zu. „Was bei Ranma kaputt ist, frage ich mich auch.“ Sie zog erneut ein Teil nach dem anderen hervor. Jedes einzelne Stück wurde kurz gemustert, dann aussortiert. Rücksichtslos schmiss sie es aufs Bett hinter sich und traf Sotas Körper. Dieser rührte sich allerdings nicht mehr, sondern starrte in ihren Rücken. „Wie heißt der Kerl?“ Der Schalk aus seinen Augen, wie auch das neckische Grinsen, waren komplett aus seiner Mimik verschwunden. Sein Körper war mit einem Mal angespannt. Akane kroch tiefer in ihren Schrank, aber alles was sie noch vorfand ließ sie nur mehr verzweifeln. „Ranma“, wiederholte sie gedankenverloren. So würde sie ihm nie ihre weiblichen Reize unter die Nase reiben können. Sota kniff die Augen zusammen. Die Schwarzblauhaarige richtete sich wieder auf und drehte sich seufzend zu dem Kleiderberg auf ihrem Bett und Sota. „So wird das nichts“, seufzte sie. Kaum drehte sich Akane ihm zu, setzte Sota ein Lächeln auf. Er sprang vom Bett auf. „Na, dann lass uns gehen.“ „Wohin?“ „Einkaufen“, antwortete Sota grinsend. „Du brauchst ein Outfit für diese Party und das werden wir jetzt besorgen. Wir haben noch ein paar Stunden Zeit bis Tadashi kommt.“ Akane kniff ihre Augen zusammen. Sota entging das nicht und er blickte sie lange an. „Er hat seine Gründe für alles was er tut. Er hat dir verschwiegen, dass deine Familie nicht mehr in Taito wohnt, aber du wärst normalerweise eh nie wieder dorthin gekommen.“ Dennoch sah die junge Frau es als Hochverrat an. Ausgerechnet Tadashi verschwieg ihr dieses wichtige Detail. Er, der ihr Fels in der Brandung war, er, dem sie voll und ganz vertraute, gerade er verheimlichte ihr diese Information. Sie verdrängte schnell die Gedanken und nickte Sota zu. „Lass uns einkaufen gehen.“ Gemeinsam verließen sie die Wohnung und fuhren in die Stadt. Ranma trainierte eine Abfolge verschiedener Kampftechniken. Konzentriert führte er die Übungen aus, während ihm der Schweiß nach den vergangen Stunden über die Stirn lief. Er hörte wie die Türe zum Dojo aufgeschoben wurde, ignorierte denjenigen und führte sein Training zu Ende. Der schwarzhaarige Kampfsportler hob ein kleines Handtuch vom Boden auf, wischte sich damit über sein Gesicht und warf es sich letztendlich um den Nacken. Langsam drehte er sich der Türe zu und entdeckte eine kurzhaarige Japanerin im Türrahmen. Aufmerksam beobachtete sie ihn, als er auf sie zu kam. „Was gibt es denn, Nabiki?“ „Tatewaki wurde zu Shu's Party am Samstag eingeladen und ich darf ihn begleiten“, erzählte die junge Frau, die nur ein halbes Jahr älter war, als Ranma selbst. „Das ist ja schön.“ Der Kampfsportler ging an ihr vorbei und verließ den Dojo. Sie folgte ihm, mit verschränkten Armen hinter dem Rücken. „Und mit wem gehst du zu der Party?“ Er reagierte nicht. „Nimmst du Shampoo oder Ukyo mit, oder vielleicht doch Aiko?“ „Ich gehe allein.“ Er ließ sich nicht von ihr beirren. Ranma kannte Nabiki inzwischen gut genug um zu wissen, dass sie etwas ausheckte. „Allein ist langweilig, Ranma“, widersprach die Kurzhaarige. „Wenn du möchtest kann ich dir eine Begleitung besorgen. Und ich würde dir sogar im Preis entgegenkommen.“ Ranma hielt inne und drehte sich ihr zu: „Ich möchte keine Begleitung.“ Er beugte sich bedrohlich zu ihr. „Und wehe du heckst etwas aus.“ „Niemals“, wich Nabiki empört zurück. „Ich mache mir bloß Sorgen. Du hast noch nie ein Mädchen mit hergebracht.“ Sie hielt inne, schien zu überlegen. Dann fügte sie neugierig hinzu: „Oder... sollte ich vielleicht etwas wissen?“ Ranma ahnte bereits, worauf sie anspielte, aber er war definitiv nicht vom anderen Ufer. Wütend blickte er sie an. „Es ist nicht besonders taktvoll ein Mädchen hierher zu bringen, wenn man bedenkt, dass meine Verlobte...“, er brachte es nicht über die Lippen. Gerade Nabiki sollte doch am besten wissen, warum er überhaupt hier war. Wieso er und sein Vater bei den Tendos lebten. Scheinbar hatte sie den Sinn hinter seinen Worten verstanden, denn plötzlich lag ein schmerzlicher Ausdruck in ihrem Gesicht. Er sah Nabiki an, wie sehr seine Worte alte Wunden aufgerissen hatten und sofort tat es ihm leid. Er presste die Lippen zusammen und senkte die Augen. „Es tut mir leid, Nabiki. Das wollte ich nicht.“ Er drehte sich um und ging zum Haus. „Ich gehe jetzt duschen.“ Die Kurzhaarige registrierte nicht mal mehr seine Worte. Stattdessen wandte sie sich ab und ging zum kleinen Gartenteich. Der Kampfsportler ging bedrückt ins Haus und stieg die Treppe neben der Haustüre hinauf. „Ranma“, wurde er zurückgerufen. Er hielt inne und blickte hinunter. Am Treppenabsatz stand Kasumi und lächelte ihn wie immer liebevoll an. Wieder fragte er sich, wie sie es schaffte immer freundlich zu bleiben, immer ein Lächeln auf den Lippen zu tragen und das nach solch einer schrecklichen Vergangenheit. Er zwang sich seine Aufmerksamkeit auf die älteste Tendo-Schwester zu richten.„Kasumi?“ „Komm bitte nach dem Duschen ins Wohnzimmer. Wir haben etwas zu besprechen.“ Der schwarzhaarige Kampfsportler nickte verwirrt. Was könnte es denn so wichtiges zu besprechen geben? „Klar“, antwortete er laut und er sah wie Kasumi lächelnd nickte und in Richtung Küche verschwand. Er ließ seinen Blick rechts von sich auf die Wand schweifen und wieder mal starrten seine blauen Augen auf ein bestimmtes Bild, welches ihn immer wieder magisch anzog. Es zeigte ein Mädchen, vierzehn vielleicht fünfzehn Jahre alt. Sie hatte ein ganz hübsches Gesicht, zeigte ein süßes Lächeln, während ihre blauen Haare lang und zu einem Zopf gebunden waren. Ihre braunen Augen strahlten ihm entgegen. Bis auf die Haarfarbe war sie ein kleines Ebenbild von Kasumi. Wie so oft in den letzten Tagen wurde er nachdenklich. Er wandte sich von dem Bild ab und ging nun endlich in das Obergeschoss hinauf um erst sein Zimmer aufzusuchen, indem er sich frische Kleidung aus dem Schrank holte, und dann im Vorraum des Bades verschwand. Er zog sich aus, warf seinen Trainingsanzug in den Wäschekorb und ging ins Bad hinein. Hinter sich schob er die Schiebetüre zu. Sein Blick glitt über die weißen Fließen hin zur Badewanne. Ein Bad würde ihm zumindest mehr Entspannung bieten als eine Dusche. Er seufzte kurz auf, ging zur Dusche und drehte das Wasser auf, nachdem er den Temperaturregler überprüft hatte. Seufzend ließ er das heiße Wasser auf seinen Oberkörper prasseln, während seine Gedanken zum heutigen Vormittag zurückkehrten. Es war für ihn sonnenklar, dass Haruka niemals freiwillig zur Party gekommen wäre. Shu wollte sie einfach nur fragen, doch Ranma ahnte, dass sie sofort ablehnen würde. Zum Glück konnte er seinen Freund von dieser Idee abhalten. Haruka war aus einem ganz anderen Holz geschnitzt, als alle Mädchen die er bisher kennenlernte. Sie war mal Kampfsportlerin und er hatte schnell bemerkt, dass sie keine Herausforderung ablehnen würde. Wieder war sie in seinen Gedanken. Haruka, das Mädchen aus der Uni. Ehrgeizig und stolz. Warum er sie ständig beleidigte wusste er selbst nicht genau. Sie hatte etwas an sich, dass ihn provozierte. Und sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr... Blödsinn, rief er sich in Gedanken. Er schnappte sich das Duschgel und begann seinen Körper einzuseifen. Er ermahnte sich nicht mehr so einen Unsinn zu denken und duschte sich gründlich ab. Hübsch war sie ja und eine schöne Figur hatte sie auch, auch wenn er immer etwas anderes in ihrer Gegenwart behauptete. Er stellte das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Schnell schnappte er sich ein Handtuch und band es sich um die Hüfte. Im Bad hatte sich bereits Wasserdampf angestaut. Aus diesem Grund tapste er erst zum Fenster und öffnete es. Langsam zog der Nebel ab und er verließ das Badezimmer und kleidete sich im Vorraum an. Sein Blick fiel in den Spiegel. Dabei band er sein Schulterlanges Haar zu seinem gewohnten kurzen Zopf zusammen und betrachtete sein Spiegelbild. Braune Augen. Verärgert schüttelte er den Kopf und zwang sich sämtliche Gedanken an dieses Mädchen zu verbannen. Es durfte nicht sein, dass sie ihm die gesamte Zeit im Kopf herumgeisterte. Er verließ das Bad und wollte sich in sein Zimmer verziehen, als ihm wieder einfiel, dass es noch etwas zu besprechen gab. Nach einem Seufzer ging er zur Treppe und hinunter ins Wohnzimmer. Überrascht stellte er fest, dass bereits alle am Tisch saßen. Nicht das war es was ihn verwunderte, denn bald gab es auch Abendessen. Das irritierende daran war das Schweigen im Raum. Es herrschte eine unheimliche Stille. Normalerweise gab es immer etwas zu erzählen und es wurde nie ruhig, wenn alle zusammen saßen. Ein unbehagliches Gefühl beschlich ihn. Er trat ganz ein und setzte sich auf seinen Platz am Tisch. Er bedachte kurz den leeren Platz neben sich, wandte dann aber schnell seine Aufmerksamkeit den anderen zu. Sein Blick huschte von Kasumi zu Nabiki, die ihm beide gegenüber saßen. Die ältere Schwester trug wie immer ein leichtes Lächeln auf den Lippen, während die Kurzhaarige ihn ausdruckslos ansah. Ob sie ihm seine Worte immer noch nachtrug? Dann glitten seine Augen links hin zu Herrn Tendo, dem Hausherren. Seine langen schwarzen Haare trug er offen, wie immer. Er hielt seine Arme vor der Brust verschränkt und die Augen waren geschlossen. Ein nachdenklicher, sehr ernster Gesichtsausdruck zeigte sich auf seiner Mimik. „Wir haben etwas sehr wichtiges mit dir zu besprechen, Ranma.“ Der Kampfsportler richtete seine Aufmerksamkeit seinem Vater zu, von dem die Worte kamen. Der Glatzköpfige trug eine Brille. Sein Paps war kräftig gebaut und dank ihm war er überhaupt hier. Wäre sein Vater damals nicht mit ihm zu einer langjährigen Trainingsreise aufgebrochen mit dem Versprechen aus Ranma einen ganzen Mann zu machen ansonsten würden sie beide Seppuku begehen, so würde Ranma immer noch bei seiner Mutter leben. Wie lange hatte er sie nun nicht mehr gesehen? Zwölf Jahre wurde ihm schmerzlich bewusst. „Du wirst als offizieller Erbe der Kampfschule eingetragen und bist damit Alleinerbe“, fügte Genma Saotome ernst hinzu. „Kasumi und Nabiki haben sich damit einverstanden erklärt. Das Haus mit Grund steht aber den Mädchen zu. Ihr werdet zusammen einen Vertrag abschließen, der jedem von euch versichert, dass der jeweils andere auf dem Grundstück leben darf.“ Mit großen Augen starrte Ranma seinen Vater an. Er konnte kaum glauben, was er da hörte. Langsam bewegten sich seine Augen zu den Schwestern. Aus ihren Mienen konnte er nichts lesen, dennoch vernahm er ein sanftes Nicken von Kasumi. Ein flaues Gefühl breitete sich in seinem Bauch aus. „Der Vertrag ist bereits fertig. Wenn du unterschreibst ist alles in festen Tüchern. Die Mädchen haben schon unterschrieben“, zog Soun Tendo die Aufmerksamkeit aller auf sich. Ranma betrachtete seinen Gastgeber und stellte fest, dass diesem einige Tränen über die Wangen kullerten. Braune Augen. Es war nicht richtig zu unterschreiben. Es war nicht sein Erbe. Das Erbe stand jemand anderem zu. Jemandem der nicht mehr hier war. Nicht mehr bei ihnen war. Dennoch war er sich sicher, dass es falsch war, wenn er es jetzt annahm. Seine Augen wanderten auf den Tisch und er nahm das Papier wahr und den darauf liegenden Kugelschreiber. Er zögerte, hielt seine Hände unter dem Tisch verknotet. Ranma spürte alle Blicke auf sich. Jeder wartete nur darauf, dass er unterschrieb und damit die Erbfolge schriftlich geregelt war. „Ich möchte erst mal alles überdenken und darüber schlafen“, wich er aus und senkte die Augen. Er wusste, dass es Blödsinn war alles sinnlos hinauszuzögern. Nabiki und Kasumi haben nie Kampfsport betrieben und auch kein Interesse an der Kampfschule. Und Akane war die rechtmäßige Erbin. Ein Bild von Haruka schob sich wieder in seine Gedankengänge und er verdrängte es schnell wieder. Ranma wusste, dass seine Verlobte tot war – vor drei Jahren gestorben durch Suizid. Und auch wenn er sie nie kennengelernt hatte, denn die Verlobung wurde von ihren Eltern beschlossen, als sie beide noch nicht einmal ein Jahr alt waren, so hatte er das Gefühl, dass es Verrat an ihr wäre. „Ich kann dich verstehen“, antwortete Soun. Er öffnete die Augen und blickte den jungen Mann verständnisvoll an. Genma hingegen brauste auf: „Spinnst du, Ranma?! Wie kannst du nur darüber schlafen wollen?!“ Er sprang wutentbrannt auf, packte seinen Sohn am Kragen und riss ihn vom Tisch weg. „So eine Chance bekommst du nie wieder und du willst ernsthaft das Angebot überdenken?!“ „Natürlich, du alter Mann! Glaubst du etwa, ich werde blind unterschreiben ohne mir über die Konsequenzen klar zu werden?“ Im nächsten Moment flog Ranma in hohem Bogen durch die offenstehende Gartentür hinaus und landete im Gartenteich. Mit einem lauten Platsch tauchte der junge Mann unter und eine kleine Fontäne stieg auf. „Du undankbarer Bengel“, fauchte Genma und stand in der Türe. Seine Hände hatte er in die Seiten gestemmt. „So hab ich dich nicht erzogen.“ Lange tat sich nichts im Teich, doch dann tauchte Ranma prustend auf. Allerdings nicht mehr in seiner alten Form, sondern als Mädchen mit rotem Haar, großer Oberweite und klein, wie zierlich. Auch wenn in ihr genauso viel Kraft steckte, wie er als Mann auch hatte. Mit einem Satz sprang das Mädchen aus dem Teich, sprintete auf den Vater zu. Dieser wich geschickt aus und die beiden Kampfsportler bekämpften sich im Garten. „Du weißt genau, wie sehr ich meine Fluchgestalt hasse!“, fauchte das Mädchen, während es seinen Vater ohne Pause angriff. Genma Saotome wich aus. „Strafe muss sein, mein Sohn. Ich habe deiner Mutter versprochen aus dir einen ganzen Mann zu machen. Sieh dich an! Ich werde ihr nie wieder unter die Augen treten können.“ „Du hast diesen blöden Vertrag selbst verhandelt. Ich bin nicht Schuld an deinem Fehler!“ Der Glatzköpfige Mann blieb plötzlich stehen, wehrte einen Angriff ab und begann nun seinerseits anzugreifen. Das Mädchen wich immer mehr zurück, versuchte keine Schläge einzustecken und schaffte es zunehmend auszuweichen. „Dieser Vertrag ist das Beste was uns passieren kann. Wir haben hier ein zuhause und wenn du der Alleinerbe der Alles-ist-möglich-Kampfschule bist auch einen dauerhaften Platz. Ich muss deiner Mutter nie wieder unter die Augen treten und wir beide müssen kein Seppuku begehen.“ „Weil DU zu feige bist Mama unter die Augen zu treten, bestimmst du über meine Zukunft?“ Ranma blieb wütend stehen und wehrte die Angriffe ab. Immer wieder konterte er. Er duckte sich unter einem Schlag hinweg, schaffte es den kurzen Abstand schnell zu überwinden und packte seinen Vater am Kragen. Mit einem enormen Kraftaufwand beförderte die weibliche Ranma ihren Papa in den Gartenteich. „Das hast du jetzt davon“, stieß die Rothaarige verächtlich aus und wandte sich ab. Langsam ging sie ins Haus zurück, wo Nabiki bereits mit einer Kanne heißem Wasser auf sie wartete. Seit über zwei Jahren wohnten die Saotomes im Haushalt der Tendos und Streitereien dieser Art standen tagtäglich auf dem Plan. Hinter ihr tauchte ein großer Pandabär im Gartenteich auf, statt einem Genma Saotome. Ranma kippte sich das Wasser über den Kopf und wurde wieder zum Mann. Finster blickte er über die Schulter zurück, ehe er sich an den Tisch setzte. Kasumi, die zwischenzeitlich den Tisch eingedeckt hatte, erschien mit einer großen Platte Grünzeug. „Ich nehme an, Sie werden in dieser Form speisen wollen, Herr Saotome?“ Der Panda tapste langsam ins Wohnzimmer zurück, hob nebenbei ein Schildchen hoch, auf dem stand: Alle setzten sich an den Tisch, der inzwischen mit allerlei Köstlichkeiten voll gestellt war und sie begannen zu essen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)