Fünf Jahre von Juju ((K)eine Freundschaft für immer) ================================================================================ Kapitel 11: Unsicherheit ------------------------ Kari war gerade dabei, mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter das Geschirr vom Abendessen abzuwaschen, als Yuuko das Thema der diesjährigen Golden Week erneut ansprach. „Kari, was hältst du denn eigentlich davon, dass Tai heiraten will?“ „Ähm...“, machte sie und suchte nach den richtigen Worten, was ihr angesichts der herrschenden Umstände schwer fiel. „Ich denke, er tut das Richtige.“ „Meinst du? Also ich weiß nicht so richtig, was ich davon halten soll. Das war ein ziemlicher Schock gestern“, gestand Yuuko und stellte einen weiteren abgetrockneten Teller auf den Stapel. „Tai war doch immer so wild und...“ „Du vergisst, dass er kein Kind mehr ist. Du solltest ihn so sehen, wie er jetzt ist: ein junger Mann, der fast einen Studienabschluss hat“, unterbrach Kokoro sie. „Er ist nicht mehr der kleine Chaot, der Fensterscheiben mit dem Fußball zerschmettert und sein Zimmer gern mal wie ein Schlachtfeld zurücklässt.“ Lächelnd erinnerte Kari sich daran, wie früher bei Besuchen bei ihren Großeltern ständig Fensterscheiben zu Bruch gegangen waren. Und jedes Mal hatte Tai eine andere Ausrede gefunden. „Ich halte ihn durchaus für verantwortungsbewusst und reif genug, zu heiraten“, schloss Kokoro. Yuuko jedoch wirkte nicht überzeugt. Sie presste die Lippen aufeinander und trocknete akribisch Schüsseln ab. „Mach dir nicht so viele Sorgen, Mama“, sagte Kari in aufmunterndem Tonfall. Sie war froh, dass ihre Mutter noch nichts von dem Kind wusste, denn sonst hätte sie jetzt wohl die Nerven verloren, wenn sie wegen der Hochzeit schon so beunruhigt war. „Kari, du hast aber nicht vor, schon zu heiraten, oder?“, fragte Yuuko auf einmal und sah Kari erwartungsvoll an. „Mama, zum Heiraten braucht man erst mal jemanden, der mitmacht“, antwortete Kari mürrisch und schüttelte den Kopf. Yuuko sah erleichtert aus und Kokoro lächelte amüsiert. „Was ist denn mit diesem süßen Jungen von damals? Wie hieß er noch? Takeru?“ Kari starrte auf das Besteck, das sie gerade abtrocknete und tat so, als würde ihr diese Bemerkung nichts ausmachen. Dabei war es ihr äußerst peinlich, dass ihre Großmutter das so einfach in Gegenwart ihrer Mutter sagte. „Ich weiß noch, wie du gesagt hast, du willst ihn später mal heiraten“, fuhr Kokoro fort und bekam einen verträumten Blick, als würde sie in Erinnerungen schwelgen. „Ach, das ist doch schon so lange her“, sagte Yuuko zu Karis Überraschung. Eigentlich hatte sie eher erwartet, dass sie in das Gerede über die Vergangenheit einstieg. „Ich hoffe übrigens, dass Susumu Herrn Tachikawa überzeugen kann.“ „Überzeugen?“, fragte Kari und sah ihre Mutter an, dankbar über den Themenwechsel. „Na Mimi die Hochzeit zu erlauben“, antwortete Yuuko. Verwirrt runzelte Kari die Stirn. „Hast du nicht eben noch gesagt, dass du Tai noch für zu jung zum Heiraten hältst?“ „Ja, schon“, räumte Yuuko ein. „Aber wenn es sein Wunsch ist. Ich würde es ihm niemals verbieten wollen. Und die arme Mimi war gestern so aufgelöst.“ „Kein Wunder“, meinte Kokoro. „Und Papa versucht jetzt, Herrn Tachikawa zu überreden?“, hakte Kari nach. Yuuko nickte, stellte eine weitere Schüssel ab und hängte das Geschirrtuch über eine Stuhllehne. „Er versucht, sich mit ihm anzufreunden und ihn zu überzeugen, dass Tai perfekt zu Mimi passt.“ Kari lächelte. Sie war begeistert davon, dass ihr Vater sich so sehr für Tai und dessen Wünsche einsetzte, obwohl er selbst nicht vollkommen überzeugt von der Hochzeit war. Sie drückte ihm innerlich die Daumen, dass er es schaffte und ihn bis zum nächsten Tag davon überzeugen konnte, dass Tai der Richtige für Mimi war. Tais Unbehagen war am nächsten Morgen beim Frühstück deutlich zu spüren. Er aß seine Portion nicht auf, was Yuuko dazu veranlasste, ihm besorgte Blicke zuzuwerfen. Karis Vater hatte am gestrigen Abend erneut einige Flaschen Bier zusammen mit Herrn Tachikawa getrunken und sich viel mit ihm unterhalten. Auch Tai und sein Großvater hatten sich zu den beiden gesellt und sich bemüht, eine gute Stimmung aufrecht zu erhalten. Karis und Mimis Mütter hingegen hatten bei Wein zusammengesessen und Fotoalben angeschaut. Kokoro war zeitig schlafen gegangen und Kari und Mimi hatten sich in eine Ecke verzogen und geplaudert. Dabei hatte Mimi immer wieder mit bangem Blick zu den Männern hinüber gesehen, als hoffte sie, an deren Gesichtern ablesen zu können, ob die Heirat nun stattfand oder nicht. „Wir werden uns jetzt auf den Weg nach Tokio machen“, verkündete Keisuke Tachikawa nach dem Frühstück. Mimi und Satoe sahen ihn stirnrunzelnd an, widersprachen aber nicht. „Oh, bitte bleiben Sie doch noch. Zum Abendessen gibt es heute selbst geangelten Fisch von meinem Mann. Den dürfen Sie sich nicht entgehen lassen“, sagte Kokoro und zwinkerte Haru zu. „Frau Yagami, ich weiß Ihre Gastfreundschaft wirklich sehr zu schätzen, aber es geht nicht. Es war ohnehin so geplant, dass wir nur zwei Nächte bleiben“, erwiderte Keisuke entschuldigend. „Nun denn, Reisende soll man nicht aufhalten“, sagte Kokoro gelassen und machte sich daran, das Frühstücksgeschirr zurück in die Küche zu bringen. Die Yagamis halfen ihr, während die Tachikawas nach oben gingen, um ihre Sachen zu packen. Tai stellte die Schüsseln ab, die er getragen hatte, und kratzte sich unsicher am Kopf. „Ich sehe mal, ob ich beim Tragen helfen kann.“ Mit diesen Worten verschwand er aus der Küche. Kari biss sich auf die Unterlippe und sah ihm nach. Sie drückte ihm die Daumen, dass er es schaffte, Herrn Tachikawa zu überreden. Sie war so sehr in Gedanken, dass sie mehrmals fast Geschirr fallen ließ, weshalb sie sich dazu entschied, die Küche zu verlassen und niemandem im Weg herumzustehen. Bei einem Blick auf ihr Handy stellte sie fest, dass sie eine SMS von Nana bekommen hatte. Oh mein Gott, du glaubst nicht, was gerade passiert ist! Kari zog die Augenbrauen hoch. Sie wollte natürlich wissen, was passiert war, doch erst einmal hieß es, sich von den Tachikawas zu verabschieden. Tai und Herr Tachikawa, die mit Taschen beladen die Treppe herunterkamen, lenkten ihren Blick von ihrem Handy ab und erinnerten Kari schnell wieder an ihre eigentlichen Gedanken. Sie versuchte, in Tais Körperhaltung zu lesen, ob sich schon etwas ergeben hatte, konnte aber nichts erkennen. Mimi und ihre Mutter kamen nun ebenfalls nach unten und blieben im Flur stehen. Kari ging in die Küche, um den anderen Bescheid zu geben, dass die Tachikawas jetzt abreisten. Alle gingen in den Flur und verabschiedeten sich von Mimi und ihrer Mutter. Kari umarmte Mimi und hielt sie für einige Sekunden fest. „Wenn du jemanden zum Reden brauchst, du kannst mich jederzeit anrufen.“ Mimi ließ sie los und nickte. „Danke, Kari.“ „Wo bleiben denn Tai und Keisuke?“, fragte Satoe und ging nach draußen. Die beiden standen am Auto der Tachikawas und hatten augenscheinlich gerade ein Gespräch beendet. Kari zog die Augenbrauen hoch, als sie auf das Haus zukamen. Tai zwinkerte Mimi kaum merklich zu. Wenige Minuten später waren die Tachikawas abgereist und Kari wandte sich gespannt an Tai. „Und?“ Tai seufzte. „Er hat gesagt, er will es sich in den nächsten Tagen überlegen. Aber eigentlich klang er ganz positiv.“ Kari lächelte erleichtert und umarmte ihn. „Das ist doch super.“ „Das werden wir sehen“, erwiderte Tai. Eilig suchte Kari Nana aus ihren Kontakten heraus und drückte auf die grüne Taste. Ungeduldig wartete sie, bis Nana endlich abnahm. „Ich dachte schon, du rufst nie an“, begrüßte Nana sie. „Entschuldige. Hier ist einiges los. Also, was ist denn nun passiert?“ „Rate mal, wen ich vorhin getroffen habe“, forderte Nana sie auf und Aufregung schwang in ihrer Stimme mit. „T.K.?“, fragte Kari. Es war der erste Name, der ihr eingefallen war. Nana brauchte eine Weile, um zu antworten. „T.K.? Kari, du hast echt ein Problem. Ich erzähle dir, dass ich jemanden getroffen habe und du denkst sofort an ihn. Du solltest endlich mit ihm reden.“ Ein wenig beleidigt zog Kari eine Schnute, was Nana natürlich nicht sehen konnte. „Ich habe letztens mit ihm auf Facebook geschrieben.“ „Oh, wirklich?“, fragte Nana überrascht. „Das hätte ich nicht gedacht.“ „Ist ja jetzt auch egal“, erwiderte Kari hastig. „Wen hast du denn nun getroffen?“ „Ken“, antwortete Nana. „Oh“, machte Kari, gespannt, was Ken gemacht hatte. „Ja. Ich war gerade einkaufen und dann sah ich ihn und er sah mich und ich dachte, wir grüßen uns einfach und gehen weiter. Aber nein, er ist stehen geblieben und dann bin ich natürlich auch stehen geblieben. Dann haben wir so ein bisschen Smalltalk gemacht. Weißt schon, was machst du hier und wie verbringst du deine Ferien und so weiter. Und dann... und dann...“, theatralische Pause, „hat er mich gefragt, ob ich schon eine Begleitung für den Frühlingsball habe!“ Kari kicherte. „Dann hat er dich also tatsächlich gefragt.“ „Hä?“, machte Nana irritiert. „Du wusstest es schon?“ „Ja, er hat mir letztens erzählt, dass er vielleicht dich fragen will“, erklärte Kari grinsend. „Oh. Ähm... hat er noch was über mich gesagt?“ „Nein, keine Angst“, beruhigte Kari sie. „Okay“, stammelte Nana. „Mann, ich kann den Frühlingsball kaum noch erwarten. Lass uns uns am Freitag treffen und schauen, was wir anziehen, ja? Vielleicht muss ich mir noch ein Kleid kaufen. Und oh, wie soll ich mir die Haare machen?“ Kari lachte. „Ich weiß noch nicht, wann ich Freitag wieder da bin, aber ich kann dir ja kurz vorher schreiben und dann kommst du zu mir, okay?“ „Das klingt nach einem Plan“, sagte Nana und klang zufrieden. „Dann musst du mir auch erzählen, warum bei dir so viel los ist.“ „Mach' ich. Dann also bis morgen.“ „Bis morgen.“ Die gesamte Familie versuchte an diesem Tag, möglichst wenig über die anstehende Hochzeit zu reden, sondern suchten angestrengt nach anderen Themen wie Studium, Schule und Arbeit. Den Nachmittag verbrachten Tai und Kari im Garten auf einer Bank in der Sonne. Kari hatte sich gegen Tai gelehnt und beobachtete die verschieden farbigen Kois, die friedlich im Teich neben der Bank schwammen und ab und zu die Mäuler aus dem Wasser hielten. „Hast du eigentlich mal wieder was von Sora gehört?“, fragte Kari nach einigen Minuten des Schweigens. „Ja, sie schreibt mir und Mimi regelmäßig. Letztens hat ihr wohl irgendeine Marke ein paar entworfene Kleidungsstücke abgekauft“, antwortete Tai. „Echt? Was denn für eine Marke?“, fragte Kari verblüfft und sah ihn neugierig an. „Keine Ahnung, Mann. Da musst du Mimi fragen, ich merk' mir sowas nicht.“ „Es freut mich für sie, dass es so gut läuft in Mailand. Das hat sie sich wirklich verdient bei der ganzen Arbeit.“ „Ja, allerdings. An Weihnachten kommt sie wohl das nächste Mal nach Japan.“ „Wow. Ich könnte nicht so lang von zu Hause wegbleiben.“ Kari kam der Ratschlag ihrer Trainerin wieder in den Kopf. Sollte sie tatsächlich eine Tanzkarriere nach der Schule einschlagen, dann wäre sie wohl auch viel unterwegs und hätte keine Zeit mehr, oft nach Hause zu kommen. „Und wie geht’s Matt?“ „Keine Ahnung. Von dem habe ich schon eine Weile nichts gehört. Er müsste demnächst nach Japan zurückkommen. Vielleicht ist er auch schon wieder da“, antwortete Tai und kratzte sich am Kopf. „T.K. hat mir geschrieben, dass er ihn schon lange nicht mehr gesehen hat“, erzählte Kari. „Die beiden sind doch zerstritten, oder?“ Erneut wandte Kari den Blick von den Kois ab und sah ihren Bruder verwirrt an. „Ach so? Weshalb?“ „Keine Ahnung, hat er mir nicht erzählt“, antwortete Tai schulterzuckend. „Wie geht es eigentlich Davis und Ken?“ „Die leben noch“, antwortete Kari und lächelte, als sie an die beiden dachte. Sie freute sich schon, sie am Samstag wiederzusehen. „Na, ein Glück“, kommentierte Tai. Kari kicherte. „Sie fragen auch öfter mal nach dir.“ „Das will ich ihnen auch geraten haben. Und was macht dein lieber T.K. so?“ Kari runzelte die Stirn, doch Tai grinste nur spöttisch. „In Zukunft möchte ich auch darauf eine fachkundige Antwort haben, ist das klar, Fräulein Ich-rede-fünf-Jahre-lang-kein-Wort-mit-meinem-besten-Freund Yagami?“ „Ach, sei doch still“, murrte Kari und betrachtete wieder die Kois. „Vielleicht lese ich morgen den dritten Brief, wenn ich zu Hause bin.“ „Den dritten Brief?“, hakte Tai nach. „Naja, er hat mir doch zu jedem Geburtstag einen Brief geschrieben“, erklärte Kari langsam. „Und die hast du nicht geöffnet“, schlussfolgerte Tai. „Mhm“, machte Kari. „Aber weggeschmissen hast du sie auch nicht.“ „Genau.“ Er gab ein leises Stöhnen von sich und fasste sich mit einer Hand an die Stirn, als würden ihre Antworten ihm Kopfschmerzen bereiten. Kari boxte ihn in die Seite. „Hör auf damit.“ „Ich sag' doch gar nichts.“ Er grinste unschuldig. „Deine Geste kannst du dir aber auch sparen. Ich weiß auch so, was du von mir hältst“, zischte Kari und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nicht von dir“, erwiderte Tai nüchtern. „Nur von deiner Sturheit in dieser Geschichte.“ „Warum sind nur alle auf T.K.s Seite?“, murmelte Kari genervt. „Ich wusste nicht, dass es Seiten gibt.“ Er sah sie stirnrunzelnd an. „Gibt es auch Fanartikel? Ich hätte gern ein Team-T.K.-Shirt.“ „Du bist doof“, erwiderte Kari und stand auf. Sie hockte sich dicht an den Teich und hielt vorsichtig die Fingerspitze ins Wasser. Sofort schwammen einige der leuchtenden Koi auf sie zu und musterten neugierig ihren Finger als hofften sie, er wäre etwas Essbares. „Ich hoffe, ich bekomme dann demnächst eine Hochzeitseinladung“, sagte Kari in Tais Richtung. „Falls ich Mimis Vater überreden kann, dann ja“, antwortete Tai müde. Als Kari sich umdrehte, sah sie, dass er sich auf der Bank ausgestreckt hatte und das Gesicht mit geschlossenen Augen in die Sonne reckte. Seine Hände ruhten auf seinem Bauch, seine Füße auf der Armlehne. Nur die senkrechte Falte auf seiner Stirn verriet, dass ihn etwas belastete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)