Fünf Jahre von Juju ((K)eine Freundschaft für immer) ================================================================================ Kapitel 1: Ein verrückter erster Schultag ----------------------------------------- „Setz dich doch bitte da hinten auf den freien Platz, Takeru“, wies Herr Kugo ihn an und deutete natürlich auf den freien Stuhl neben Kari. Diese wandte sich demonstrativ ab und sah aus dem Fenster, während er wortlos neben ihr Platz nahm. Aus den Augenwinkeln bemerkte Kari, wie Davis sich zu T.K. umdrehte. „Du bist wieder in Japan?“, fragte er verdattert. „Und gehst jetzt auch noch in unsere Klasse?“ „Ja, wie du siehst“, antwortete T.K. leise und klang abweisend. Es war mehr als seltsam, nach fünf Jahren zum ersten Mal wieder seine Stimme zu hören. Natürlich war sie mittlerweile tief und männlich geworden. „Daisuke, drehst du dich bitte um“, rief Herr Kugo streng und warf Davis einen seiner Blicke zu, mit denen man lieber nicht angesehen werden wollte. Davis drehte sich wieder um und nuschelte eine Entschuldigung. Nach dieser ersten Stunde machte Kari sich sogleich auf den Heimweg, ohne einem von den drei Jungen auch nur ein einziges Abschiedswort zu widmen. Sie befürchtete, dass sie nun wohl die Schule wechseln musste, denn eigentlich hatte sie T.K. für immer aus dem Weg gehen wollen. „Kari, warte doch mal!“ Davis holte sie ein und lief keuchend neben ihr her. „Was ist denn los?“ „Nichts“, antwortete Kari trocken und starrte den Boden an, auf dem sie lief. „Sag mal, wusstest du, dass T.K. zurück nach Japan kommt?“, fragte er überflüssigerweise. Sie blieb stehen und sah ihn ausdruckslos an. „Davis, du weißt ganz genau, dass ich seit fünf Jahren kein einziges Wort mit ihm geredet habe.“ „Ja, sorry“, seufzte Davis und sie gingen weiter. „Ich würde ihn gerne fragen, wie es dazu kam.“ „Mach doch“, zischte Kari schlecht gelaunt. „Nein, nein, ich will es mir ja nicht mit dir verscherzen“, erwiderte er grinsend und hob abwehrend die Hände. Kari sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Glaubst du, ich werde dich hassen, wenn du mit T.K. redest?“ „Naja, man weiß ja nie“, murmelte Davis kaum verständlich und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her, bis sie an die Kreuzung kamen, an der Davis abbiegen musste. Sie blieben stehen und er sah Kari an, als ob er etwas sagen wollte, weshalb sie seinen Blick fragend erwiderte. „Vielleicht können wir uns ja wieder mit ihm anfreunden?“, schlug er vorsichtig vor und scharrte mit den Füßen über den Boden. Kari verengte die Augen. „Nein, das geht nicht“, antwortete sie entschieden. „Zumindest für mich nicht. Du kannst ja machen, was du willst.“ „Aber das Ganze ist doch schon fünf Jahre her und...“ „Davis, das ist meine Sache!“, unterbrach Kari ihn heftig und sah ihn wütend an, sodass er zusammenzuckte und einen Schritt zurücktrat. Kari bemühte sich um einen milderen Gesichtsausdruck. „Tut mir Leid. Aber fünf Jahre kann man eben nicht einfach ungeschehen machen.“ „Ich weiß“, seufzte Davis und drehte sich um. „Bis morgen.“ Als Kari zu Hause ankam, zog sie sich die Schuhe aus und betrat das Wohnzimmer, wo ihre Mutter gerade mit Staubwischen beschäftigt war. „Na, du bist ja schon wieder da“, begrüßte Yuuko sie und sah sie an. „Ja, wir hatten doch heute nur eine Stunde“, erinnerte Kari sie und griff nach dem Telefon. „Hab ich schon wieder vergessen“, meinte Yuuko grinsend und fuhr mit dem Staubwischen fort. „Hast du vielleicht Zeit, nachher noch in den Supermarkt zu gehen und Reis zu holen? Ich habe gestern ganz vergessen, welchen zu kaufen.“ „Klar“, antwortete Kari und ging zu ihrem Zimmer. Sie hatte die Hand bereits auf der Türklinke, als Yuuko sie noch einmal aufhielt. „Ach und ein paar Möhren wären auch super.“ „Okay“, sagte Kari und öffnete ihre Zimmertür. „Ist alles okay?“ Kari spürte, wie ihre Mutter sie neugierig und mit einer Spur Besorgnis musterte. „Ja“, antwortete Kari einsilbig, ging in ihr Zimmer und schloss die Tür. Seufzend ließ sie sich auf ihr Bett fallen, suchte die Nummer heraus, die sie am häufigsten anrief, drückte auf den grünen Hörer und wartete. „Na, Schwesterchen, was gibt’s denn?“, meldete sich Tais Stimme am anderen Ende. „Woher weißt du, dass ich es bin und nicht Mama?“, fragte Kari irritiert. „Mama ruft um diese Zeit nicht an und bei dir weiß ich, dass du heute nur eine Stunde hast“, antwortete Tai und man konnte sein Grinsen praktisch hören. „Hast du denn gar keine Uni?“, fragte Kari weiter. „Hab gerade einen Freiblock. Aber weshalb rufst du denn jetzt an?“ „T.K. ist wieder da“, erzählte Kari ohne Umschweife und war gespannt auf Tais Reaktion, doch mit dem, was folgte, hatte sie nicht gerechnet. „Ah, du hast ihn also heute erst gesehen“, stellte Tai nüchtern fest und Kari runzelte die Stirn. Sie war fassungslos. „Du wusstest es?“, fragte sie empört. „Ja klar, Matt hat es mir schon vor Wochen erzählt“, antwortete Tai verwundert über ihre Reaktion. Kari wusste für einige Augenblicke nicht, was sie sagen sollte, und schwieg somit. Wie konnte ihr eigener Bruder, der wusste, was damals passiert war, sie nur hintergehen und ihr nicht Bescheid sagen? „Kari, mir war schon klar, dass dir das nicht gefallen wird, deswegen hab ich es dir nicht erzählt“, erklärte Tai und klang nun ein wenig verlegen. „Du hättest es mir ruhig sagen können, dann hätte ich mich darauf wenigstens vorbereiten können“, erwiderte sie vorwurfsvoll. Tai seufzte am anderen Ende der Leitung. „Vielleicht solltet ihr diese blöde Sache einfach vergessen. Das ist doch nun schon ewig her.“ „Hast du etwa schon mit Davis geredet?“, murrte Kari genervt. „Gerade weil es schon ewig her ist, kann ich jetzt nicht einfach so tun, als wäre alles super. Wir hatten überhaupt keinen Kontakt in der Zeit.“ „Dann wird es doch Zeit, dass sich das ändert“, meinte Tai fröhlich. „Nein, ich wollte ihn eigentlich nie wieder sehen“, sagte Kari unnachgiebig. „Kari, ich liebe dich, aber ich finde, du übertreibst“, seufzte Tai resigniert. „Ich muss jetzt auflegen. Ich treffe mich gleich mit Mimi zum Frühstücken. Sie will mir irgendwas sagen.“ „Vielleicht, dass sie schwanger von dir ist“, entgegnete Kari schnippisch. Tai lachte tonlos. „Das dauert noch, bis du Tante wirst.“ Sie legten auf und Kari beschloss, sich gleich auf den Weg in den Supermarkt zu machen. Da konnte sie sich wenigstens ein bisschen ablenken und musste nicht mehr an T.K. denken. T.K., der einfach so auftauchte und kein Wort zu ihr gesagt hatte. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, musste sie sich gestehen, dass sie deswegen verletzt war. Selbst nach all der Zeit noch. Er hätte wenigstens ein Hallo herausbringen können. Sie verließ die Wohnung, stieg die vielen Treppen hinunter zur Haustür und ging zum Supermarkt, der nur wenige Gehminuten entfernt von ihrem Wohnblock lag. Sie ging gern dorthin, da er ihr so vertraut war. Was brauchte sie noch gleich? Ach ja, Reis und Möhren. Sie steuerte auf die Gemüseabteilung zu, die sich gleich am Eingang befand, und ging zu den Möhren. Sie brauchte einige Sekunden, um sich für einen Bund zu entscheiden, der ihr gefiel und an dem keine Möhre undefinierbare Stellen hatte, und trat einen Schritt rückwärts, um zum Reis zu gehen. Allerdings hatte sich in der Zeit dicht hinter sie jemand gestellt, der anscheinend zu den Gurken wollte, die sich gleich bei den Möhren befanden, und dem sie nun auf die Füße getreten war. „Oh, Entschuldigung“, sagte sie schnell, drehte sich um und blickte direkt in T.K.s Gesicht. Erschrocken riss Kari die Augen auf. Ausgerechnet T.K.! Wohnte er etwa hier irgendwo? Vielleicht sogar im gleichen Block wie sie? Warum waren sie nur gleichzeitig in den Supermarkt gegangen? Sie hätte doch noch warten sollen. Was war das schon wieder für ein blöder Zufall. Einige Sekunden starrten sie sich direkt in die Augen. T.K.s Augen hatten noch genau die gleiche Farbe, die Kari in Erinnerung geblieben war: eine Mischung aus Himmel und Meer. Sein Blick war irgendwie sehr neutral. Man konnte nicht sagen, ob er überrascht war, Kari zu sehen, sich freute, sich ärgerte oder sonst irgendeine Emotion empfand. Kari machte schließlich auf dem Absatz kehrt, um von ihm wegzukommen und ihren Einkauf fortzsetzen. „Kein Problem“, antwortete T.K. lässig, ganz so, als hätte er es mit jemand Fremdem zu tun, als hätte nicht Kari ihn angerempelt, sondern irgendein sehr zufälliger und sehr unbekannter Supermarktbesucher, und wandte sich wieder den Gurken zu. Wieder fand Kari es sehr ungewohnt und gleichzeitig vertraut, seine Stimme zu hören. Aber wie konnte er das nur so cool daher sagen? Von wegen kein Problem. Kari hatte jetzt plötzlich eine ganze Wagenladung voller Probleme, seit er einfach in ihrem Klassenraum aufgetaucht war. Hastig wandte sie sich ab und lief geradewegs zur Kasse. Sie zahlte für die Möhren und machte sich auf den Heimweg in der Hoffnung, T.K. nicht noch einmal zu begegnen, doch der schien noch eine Weile zu brauchen. Ungefähr auf der Hälfte des Weges fiel ihr ein, dass sie den Reis ganz vergessen hatte. Das fing ja super an. Kaum sah sie T.K., brachte er schon alles durcheinander mit seinem „kein Problem“. Wütend drehte sie sich um, marschierte zurück zum Supermarkt und lief geradewegs auf das Regal zu, in dem der Reis zu finden war. Sie sah sich weder nach links noch nach rechts um, doch das hätte sie ruhig tun können, denn T.K. stand ebenfalls gerade vor dem Reisregal. Kurz überlegte sie, ob sie sich nicht verstecken und warten sollte, bis er weg war, doch dann erinnerte sie sich daran, dass sie siebzehn war. Also ging sie möglichst unauffällig an T.K. vorbei und schnappte sich eine Packung Reis, während sie ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. Er schenkte ihr jedoch keinerlei Beachtung, was sie wieder ein wenig enttäuschend fand. Beim Bezahlen stellte sie sich extra an der anderen Kasse an, obwohl dort die Schlange länger war, doch es war ihr peinlich, noch einmal bei der gleichen Kassiererin zu zahlen. Kari schlurfte zurück zu ihrer Wohnung und war erstaunt, auf einmal ein fremdes Paar Schuhe vor der Wohnungstür zu finden. War in der halben Stunde, die sie beim Einkaufen war, etwa jemand zu Besuch gekommen? Sie schloss die Tür auf und trat in die Wohnung, wo ihr sogleich Frauenstimmen entgegen kamen. Neugierig blickte sie um die Ecke und es traf sie fast der Schlag, als sie die Besucherin sah. „Da bist du ja wieder. Schau mal, wer gerade vorbei gekommen ist“, rief Yuuko und deutete auf ihren Gast, der niemand anderes als Natsuko Takaishi war. „Natsuko ist gerade mit einer Flasche Sekt vorbeigekommen.“ „Hallo Kari. Du siehst super aus“, begrüßte Natsuko sie lächelnd. Kari stand wie erstarrt mitten im Wohnzimmer. Bevor Natsuko vor fünf Jahren mit T.K. nach Frankreich gezogen war, waren sie und Yuuko gut befreundet gewesen, da sich auch ihre Kinder jeweils sehr nahe gestanden hatten und zumindest auf Tai und Matt traf das auch heute noch zu. Sie hatten sich öfter mal auf einen Kaffee getroffen, sich gegenseitig zum Essen eingeladen – inklusive der Kinder – oder waren gemeinsam ins Kino gegangen. Kari wusste, dass auch Yuuko damals traurig über die Auswanderung gewesen war. Aber... hatte ihre eigene Mutter etwa auch gewusst, dass T.K. zurückgekommen war? „Hallo“, sagte Kari langsam. „Du hast mir gar nicht erzählt, dass T.K. heute in deine Klasse gekommen ist“, meinte Yuuko und in ihrer Stimme schwang ein vorwurfsvoller Unterton mit. „Hab ich wohl vergessen“, log Kari schulterzuckend. Vielleicht hatte ja auch Yuuko nichts von der Rückkehr gewusst. „Wie auch immer“, sagte Yuuko und wedelte mit einer Hand durch die Luft. „Willst du dich nicht zu uns setzen? Du kannst auch ein Glas Sekt trinken. Ausnahmsweise.“ Sie zwinkerte ihr zu. Offenbar war ihre Laune glänzend, ganz im Gegensatz zu Karis. „Nein, ich... ähm... muss noch Hausaufgaben machen“, stotterte Kari und ging in Richtung ihres Zimmers, nicht ohne das Telefon mitzunehmen. „Aber ihr hattet doch heute nur die Einführungsstunde“, erwiderte Yuuko skeptisch und auch Natsuko musterte sie irritiert. „Ja, tja, Herr Kugo ist eben... streng. Will keine Zeit vergeuden, hat er gesagt“, antwortete Kari schnell und verschwand in ihrem Zimmer, bevor ihr noch mehr Fragen gestellt werden konnten. Sie warf sich auf ihr Bett, wählte hastig Tais Nummer und hielt sich den Hörer ans Ohr. Es klingelte zwei mal, dann ertönte ein Piepen und Tai hatte Kari weggedrückt. „Hä?“ Kari starrte den Hörer an, als würde dort eine Begründung erscheinen, was natürlich nicht der Fall war. Ihr fiel wieder ein, dass er mit Mimi unterwegs war, doch das hielt ihn auch sonst nicht davon ab, zumindest an sein Telefon zu gehen und zu sagen, dass er zurückrief. Kari drehte sich auf den Rücken, streckte sich aus und starrte die Decke an. Spielten denn heute alle verrückt? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)