Fünf Jahre von Juju ((K)eine Freundschaft für immer) ================================================================================ Kapitel 49: Egoismus -------------------- Diesmal gaben sie beide einen leisen, genervten Laut von sich. Kurz überlegte Kari, ob sie nun aufstehen und die Tür öffnen oder das Klingeln einfach ignorieren sollte. Sie entschied sich für Letzteres. Der Besucher würde sich schon noch einmal melden, wenn es wichtig war. Sie wollte fortfahren, sich den Rock einfach auszuziehen, doch T.K. legte seine Hände auf ihre und sah sie an. „Du solltest gehen“, murmelte er. „Das finde ich nicht“, widersprach Kari, ließ jedoch von ihrem Rock ab. „Vielleicht ist es etwas Wichtiges“, gab T.K. zu bedenken. Kari betrachtete ihn, wie er dort unter ihr lag mit einem halb geöffneten Hemd, geröteten Wangen und vielsagendem Blick. Sie zögerte einige Sekunden, dann verfluchte sie den Besucher innerlich und stieg aus dem Bett. „Bin gleich wieder da“, entschuldigte sie sich und huschte aus ihrem Zimmer durch den Flur zur Wohnungstür. Sie atmete tief durch, versuchte, mit einer Handbewegung ihre Haare zu richten und öffnete schließlich die Wohnungstür, wobei sie hoffte, dass wer auch immer geklingelt hatte, inzwischen die Geduld verloren hatte und gegangen war. Tatsächlich hatte derjenige sich schon zum Gehen umgewandt, drehte sich nun jedoch wieder um, da er die Tür hörte. „Ken“, sagte Kari verwundert. „Hey“, erwiderte er und kam zurück. „Ich dachte schon, es ist keiner zu Hause.“ „Ja. Nein. Ich war gerade... nicht so wichtig. Ist alles okay?“ Nervös trat Kari von einem Bein aufs andere und lehnte sich gegen die halb geöffnete Tür. Ken hatte einen besorgten Gesichtsausdruck. „Naja, ich wollte dich eigentlich fragen, ob ich mit dir reden kann, aber wenn du gerade beschäftigt bist, ist das kein Problem. Ist auch eigentlich nicht so wichtig und... naja.“ Kari runzelte die Stirn. Eigentlich wollte sie nichts lieber, als einfach die Tür zuzuknallen und zurück in ihr Zimmer zu laufen, doch wenn Ken hier schon auftauchte und mit ihr reden wollte, dann war es wichtig. Auch wenn er etwas anderes behauptete. „Ich bin nicht beschäftigt. Komm rein“, bot Kari ihm an und öffnete die Tür ganz. „Danke.“ Ken wirkte erleichtert. Kari umarmte ihn kurz, als er in der Wohnung stand. Einfach, weil sie das Gefühl hatte, dass er es gerade brauchte. Sie fragte sich, ob es vielleicht um Nana ging. Möglicherweise hatten sie einen Streit. Ken zog sich die Schuhe aus und folgte Kari durch den Flur in ihr Zimmer. Im Türrahmen blieb er jedoch überrascht stehen. T.K. hatte sein Hemd mittlerweile wieder zugeknöpft und sich aufgesetzt. „Hi“, begrüßte er Ken und lächelte. „Oh, ich ähm...“ Er sah von T.K. zu Kari und wieder zurück. „Habe ich gestört?“ Ein schiefes Lächeln huschte über sein Gesicht, so als wüsste er genau, was passiert war. Kari lief rot an und winkte hysterisch ab. „Nein, nein! Gar nicht. Wir haben nur...“ „... Hausaufgaben gemacht“, beendete T.K. ihren angefangenen Satz nüchtern. „Das Plakat. Aber wir wollten sowieso gerade aufhören.“ „Jap. Keine Lust mehr auf Schule für heute“, pflichtete Kari ihm bei und lächelte unsicher. Ken schien ebenfalls unschlüssig. Er stand im Türrahmen und schien nicht zu wissen, ob er bleiben oder lieber wieder gehen sollte. T.K. nahm ihm die Entscheidung ab, indem er aufstand. „Okay, ich muss nach Hause. Meine Mutter hat mich gebeten, heute das Abendessen vorzubereiten“, erklärte er und Kari war sich nicht sicher, ob das eine Ausrede war oder der Wahrheit entsprach. Sie wollte ihn bitten, zu bleiben, doch höchstwahrscheinlich wollte Ken mit ihr allein reden. „Also dann, bis morgen. Ich find' schon allein raus“, fügte T.K. hinzu, als Kari Anstalten machte, ihm zu folgen. Er berührte leicht ihren Rücken und warf ihr im Vorbeigehen einen verwegenen Blick zu. Dann ging er durch den Flur und kurz darauf hörte Kari die Haustür zufallen. „Tut mir echt Leid, dass ich in was auch immer geplatzt bin“, ergriff Ken nun das Wort und schob die Hände in die Hosentaschen. „Ich schwöre, ich rufe das nächste Mal vorher an.“ „Anrufen ist nie eine schlechte Idee“, stimmte Kari verlegen zu und nickte. „Aber mach dir keinen Kopf. Alles gut. Möchtest du was trinken?“ „Nein, danke.“ „Okay, dann setz' dich einfach.“ Kari beobachtete, wie Ken für eine Sekunde das Bett musterte und schließlich auf einem der beiden Stühle am Schreibtisch Platz nahm. Sie fragte sich, was er gerade dachte und setzte sich beschämt neben ihn. „Also, was gibt es denn zu bereden?“, fragte Kari, als Ken von allein keine Anstalten machte, das anzusprechen, was ihm auf dem Herzen lag. „Geht es um Nana?“ „Nein, tut es nicht“, antwortete Ken kopfschüttelnd. „Es geht um Davis.“ Kari seufzte tief. „Ach, Ken, ich habe dir doch schon gesagt, dass ich dir Davis' Problem nicht verraten kann. Ich würde ja gern, aber...“ „Ich weiß, dass er in mich verliebt ist“, unterbrach Ken sie und sah sie an. „Was?“ Verdutzt erwiderte sie seinen Blick, völlig aus der Fassung gebracht. Hatte Nana etwa getratscht? „Woher?“ „Er hat es mir selbst gesagt. Am Abend der Hochzeit“, erwiderte Ken, nahm einen Stift in die Hand, der auf Karis Schreibtisch lag, und drehte ihn zwischen den Fingern. „Nachdem ich ihn dazu gedrängt habe. Vielleicht hätte ich das nicht tun sollen.“ „Oh, okay“, murmelte Kari, unsicher, was sie jetzt sagen sollte. „Nein, ich finde, er musste es dir sagen. Immerhin betrifft es dich und eure Freundschaft ja.“ „Ja, schon. Aber jetzt, wo ich es weiß, habe ich keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll“, gab er zu und kratzte sich im Nacken. Kari musterte ihn mitleidig. Nein, sie hätte auch keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte. „Wie kann ich dir helfen?“, fragte sie. Er zuckte müde mit den Schultern. „Einfach reden. Vielleicht hast du ja einen Tipp. Ich brauche einfach nur jemanden, der nicht drin steckt, aber trotzdem Bescheid weiß.“ „Okay. Also ich denke, ihr solltet trotzdem befreundet bleiben. Ich meine, ihr seid doch schon seit der Grundschule so gut befreundet. Es wäre schade, das jetzt hinzuschmeißen“, meinte Kari ratlos. „Wem sagst du das? Aber Davis sieht das anscheinend anders. Er meinte, es hätte keinen Sinn. Und er kann mich nicht mit Nana zusammen sehen. Oh Mann, Nana.“ Er rieb sich den Nasenrücken und schloss für einen Moment die Augen. „Ich sollte es ihr erzählen, aber ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Sicher will Davis nicht, dass sie es weiß.“ „Ähm um ehrlich zu sein, sie weiß es schon“, gestand Kari kleinlaut. Verdutzt sah Ken sie an. „Ich hab's ihr gesagt.“ Er erwiderte nichts, sondern hob nur eine Augenbraue. Sein Blick wurde auf einmal durchdringend und Kari fühlte sich geröntgt. „Es war an dem Abend mit dem Überraschungsessen. Als wir auf der Toilette waren“, erklärte Kari langsam. Ken brauchte eine Weile, um zu antworten. „Ich möchte nicht beleidigt klingen, aber ihr hast du es erzählt und mir nicht?“ Kari biss sich auf die Unterlippe. „Das war so ein großes Geheimnis. Ich konnte damit nicht umgehen. Ich wollte damit nicht allein sein.“ „Du wolltest damit nicht allein sein?“, wiederholte Ken und zog die Augenbrauen zusammen. Augenblicklich fühlte Kari sich unter Kens Blick und konfrontiert mit seinen Worten wie ein schlechter Mensch. Ja, sie hätte es nicht weitererzählen dürfen. Das war ein Fehler gewesen. Es tat ihr Leid und sie würde es nie wieder machen, aber ändern konnte sie es nun nicht mehr. „Es tut mir Leid“, sagte sie und fühlte sich auf einmal sehr klein und schwach. „Ich hätte es dir erzählen sollen.“ „Nein, hättest du nicht“, erwiderte Ken. „Und Nana hättest du es auch nicht erzählen dürfen. Es war ein Geheimnis, dazu noch ein sehr persönliches. Und um ehrlich zu sein verstehe ich deine Logik immer noch nicht. Warum hast du es Nana gesagt, aber nicht mir?“ „Ich weiß nicht. Ich dachte, sie könnte mir vielleicht helfen, das zwischen euch irgendwie zu regeln“, stammelte Kari und starrte auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen. „Und dass wir das allein regeln sollten, ist dir nicht in den Sinn gekommen?“ „Doch, ich wollte mich nicht einmischen.“ Ken seufzte und stand auf. „Entschuldige, aber ich gehe jetzt lieber.“ Verzweifelt lief Kari ihm bis zur Wohnungstür hinterher, doch er änderte seine Meinung nicht. Wenn Ken einmal sauer war, dann musste das was heißen. Normalerweise wurde er nämlich nie sauer und wenn, dann schaffte er es immer, das zu verbergen. Kari schlurfte zurück in ihr Zimmer und schnappte sich ihr Handy. Sie suchte Tai aus ihrer Liste heraus und rief ihn an. „Hey Kari. Du rufst genau richtig an“, begrüßte er sie fröhlich. „Was? Warum?“, fragte Kari verwirrt. Sie war darauf vorbereitet gewesen, über ihr Thema zu reden. Nun musste sie sich erst einmal umorientieren. „Wir haben gerade die Eismaschine ausprobiert, die wir geschenkt bekommen haben. Funktioniert super. Das Eis ist ein Traum. Wenn du das nächste Mal vorbeikommst, mach' ich dir welches“, erzählte Tai und sie hörte ihn schmatzen. „Welche Eissorte habt ihr denn probiert?“, fragte Kari. „Wir haben gemischt. Es ist jetzt ein Apfel-Blaubeer-Eis“, antwortete Tai stolz. „Hey, lass mir was übrig! Nur, weil du schwanger bist, musst du nicht fressen wie das Krümelmonster.“ Kari hörte Mimi etwas erwidern, woraufhin Tai nur lachte. Dann war ein kurzes Gerangel zu hören und er gab einen genervten Laut von sich. „Nervensäge“, grummelte er. „Sorry, Kari, weshalb rufst du an?“ „Weil ich ein schlechter Mensch bin“, antwortete Kari nun niedergeschlagen. „Also rufen nur schlechte Menschen ihre großen Brüder an? Da habe ich ja Glück gehabt“, meinte er spöttisch. „Ich mein's ernst. Ich habe Mist gebaut“, seufzte Kari. „Okay, warte mal kurz.“ Sie hörte es am anderen Ende der Leitung rascheln, eine Tür wurde geschlossen, dann meldete Tai sich zurück. „Was hast du denn angestellt? Bist du schwanger?“ „Was? Nein!“, antwortete Kari genervt. „Davis hat mir vor einer Weile ein Geheimnis anvertraut. Ein ziemlich großes Geheimnis. Naja und ich habe es an Nana ausgeplaudert, obwohl ich das nicht hätte tun sollen.“ Sie machte eine kurze Pause, doch Tai blieb stumm. „Jedenfalls betrifft dieses Geheimnis auch Ken. Vielleicht ist es dir mal aufgefallen, aber die beiden haben eine Weile nicht miteinander geredet. Oder zumindest hat Davis nicht mit Ken geredet. Und ich war die Einzige, die wusste, was los ist. Ken kam zu mir und hat mich gebeten, es ihm zu sagen, aber ich habe es nicht getan. Stattdessen habe ich es Nana gesagt, damit ich jemanden habe, mit dem ich darüber reden kann und der mir helfen kann.“ Noch immer war kein Laut am anderen Ende der Leitung zu hören und Kari fragte sich schon, ob Tai vielleicht aufgelegt hatte, doch dann reagierte er schließlich doch noch. „Okay? Und warum hast du es Nana erzählt, aber nicht Ken?“ „Ich wollte es Ken nicht sagen, weil es ihn betrifft und Davis es ihm selbst sagen sollte. Aber Nana habe ich es gesagt, weil ich dieses Geheimnis nicht allein herumschleppen wollte“, erklärte Kari lahm. „Kari, das ist egoistisch“, erwiderte Tai nun ganz ohne jeden Witz. „So kenne ich dich gar nicht. Wenn ein Freund dir ein Geheimnis anvertraut, dann kannst du das doch nicht einfach ausplaudern. Egal, an wen.“ „Ich weiß, ich hätte es nicht machen sollen“, sagte Kari reuevoll. „Ken war eben hier, weil Davis ihm sein Geheimnis am Samstag erzählt hat. Er wollte mit mir darüber reden, weil er ja wusste, dass ich es auch weiß. Naja und dann habe ich ihm gesagt, dass Nana es auch weiß, weil ich es ihr erzählt habe. Jetzt ist er sauer auf mich.“ „Ken kann sauer werden?“, fragte Tai verwirrt. „Naja jedenfalls kann ich ihn verstehen. Ich glaube, an seiner Stelle wäre ich auch enttäuscht von dir. Und eigentlich bin ich auch so enttäuscht von dir, weil ich immer dachte, du kannst die Klappe halten, wenn man dir was erzählt.“ „Kann ich ja normalerweise auch. Es tut mir doch auch Leid, dass ich es Nana gesagt habe“, erwiderte Kari verzweifelt. „Aber was willst du jetzt von mir hören? Arme Kari, ist nicht so schlimm, Ken ist blöd, weil er jetzt sauer ist?“, fragte Tai. „Nein, ich wollte...“ „Doch, ich habe das Gefühl, genau das willst du hören“, schnitt Tai ihr das Wort ab. „Kari, nicht du bist in dieser Geschichte die Geschädigte, wenn ich das richtig verstanden habe. Also fang' jetzt bloß nicht an, dich selbst zu bemitleiden.“ „Tai!“ Kari stiegen Tränen in die Augen. Was redete er denn da? Sie bemitleidete sich doch gar nicht selbst, es tat ihr doch Leid, was sie gemacht hatte. „Was denn? Da du mich angerufen hast, gehe ich nun einmal davon aus, dass du meine Meinung hören wolltest“, erwiderte er sachlich. „Ach, vergiss es.“ Ohne ein Wort des Abschieds legte sie auf. Sie warf sich auf ihr Bett und vergrub das Gesicht in ihrem Kissen. Innerlich hatte sie natürlich gewusst, dass sie egoistisch gehandelt hatte, doch aus irgendeinem Grund hatte sie gehofft, Tai würde ihr das nicht noch bestätigen, sondern seinen Großer-Beschützerbruder-Instinkt auspacken und ihr sagen, dass sie kein schlechter Mensch war. Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass er das nicht tun würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)