Blind von SeishiroSumeragi (Holly x Rico) ================================================================================ Kapitel 9: Klare Worte ---------------------- Während Holly noch vollkommen benommen dastand und dem Violinisten hinterher starrte, lief dieser mit tränenüberströmtem Gesicht die Straße entlang und blieb erst stehen, als er völlig außer Atem seinen Wagen erreichte. Er ließ sich auf den Fahrersitz fallen, schlug die Tür zu und verschränkte die Arme auf dem Lenkrad. Schluchzend und mit bebenden Schultern saß er da, den Kopf auf seine Arme gelegt und versuchte, sich selbst zu beruhigen. Doch dies gelang ihm nur mit Mühe. Der Sänger der Instanz starrte indes noch immer auf die Ecke, hinter der Rico verschwunden war. Langsam drang der pochende Schmerz der Ohrfeige in sein Bewusstsein und auch die Erkenntnis darüber, was so eben geschehen war. Dennoch dauerte es einige Momente, bis er es wirklich begriff und auch die Tatsache verarbeitet hatte, dass Rico offensichtlich ziemlich verletzt war. Sein Blick war von Wut, Verzweiflung und Schmerz gezeichnet gewesen. Und er hatte Tränen in den Augen gehabt – dessen war sich Holly sicher. Dennoch konnte er es kaum fassen. Was war nur auf einmal passiert? Vorhin war der Violinist doch noch so euphorisch und gut gelaunt gewesen. Und nun dies? War wirklich er daran schuld, dass Rico so verletzt war? Eigentlich konnte es keine andere Möglichkeit geben, denn Rico hatte ihn geschlagen, war nur noch wütender geworden, als der Sänger besorgt gefragt hatte, was los sei und hatte allgemein abweisend auf die Gegenwart Hollys reagiert. Also musste er ja irgendwie der Auslöser für das Leid des anderen sein. Doch er wusste einfach nicht, wieso. Verwirrt runzelte Holly die Stirn und befühlte vorsichtig seine gerötete Wange. Zum Glück war sie nicht geschwollen, jedoch ziemlich warm. Na ja, das sah man wenigstens nicht. Und vielleicht würde die Röte in der schummerigen Beleuchtung der Bar auch nicht weiter auffallen. Langsam ging der Sänger zurück in das Lokal, legte sich auf dem Weg eine Ausrede zurecht und versuchte vorsichtig, zu lächeln. Seine Wange zog ein wenig, aber es würde schon irgendwie gehen. Wieder bei seinen Bandkollegen und Sotiria angekommen, meinte er, dass es Rico nicht gut ginge und er nach Hause fahren wollte. Auf Bennis Nachfrage meinte er, dass er versucht hätte, ihn davon abzuhalten, da es doch ziemlich gefährlich sein konnte, unter diesen Umständen Auto zu fahren. Doch Rico wäre eben ein Sturkopf und hatte seinen Willen letztlich durchgesetzt. Die anderen schienen ihm die Geschichte zu glauben, nur in dem Blick des Cellisten meinte er, Zweifel erkennen zu können. Er kannte Rico wohl einfach zu gut, als dass er diese Lüge so leichtfertig hinnehmen würde… Innerlich seufzend setzte sich Holly wieder und seine Gedanken wanderten zu dem dunkelhaarigen Violinisten. Er konnte sich kaum auf die Gespräche der anderen konzentrieren und musste sich ziemlich zusammenreißen, um nicht vollends in Gedanken zu versinken. Es fiel ihm schwer, den anderen die ganze Zeit vorzuspielen, dass alles in Ordnung sei. Wenigstens konnte er offen zugeben, dass er sich Sorgen um Rico machte; doch natürlich hatte das ganz andere Gründe, als er vorgab. Indes hatte sich Rico wieder halbwegs unter Kontrolle. Er atmete noch einmal tief durch, schob dann seine Lieblings-CD in den Player des Autoradios und drehte sie ein wenig lauter als gewöhnlich. Als die ersten Töne erklangen, wurde er allmählich ruhiger und fühlte sich schließlich gut genug, um vernünftig fahren zu können. Langsam starrte er den Wagen und machte sich auf den Heimweg. Die Strecke kam ihm viel zu kurz vor; am liebsten wäre er noch stundenlang weitergefahren. Die Konzentration auf die Straße und den restlichen Verkehr war eine hervorragende Ablenkung und da Rico ein sehr ordentlicher Autofahrer war, waren seine Gedanken während der Fahrt ausschließlich auf seine Umgebung gerichtet. Als er jedoch vor seiner Wohnung ankam und eingeparkt hatte, schaltete er seufzend den Motor aus. Er überlegte erst, einfach noch ein bisschen durch die Innenstadt Dresdens zu fahren, um sich noch nicht mit den Geschehnissen auseinandersetzen zu müssen. Doch eigentlich machte das wenig Sinn. Es war spät, irgendwann würde er so oder so darüber nachdenken müssen und im Grunde war es nur feige, vor dem, was er getan hatte, davonzulaufen. Also stieg er erneut seufzend aus und betrat seine Wohnung. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, herrschte vollkommene Stille und eine angenehme Dunkelheit um ihn herum. Langsam zog er Schuhe und Jacke aus und begann anschließend, seine Tasche auszupacken. Während er die dreckige Wäsche in die Waschmaschine stopfte, ließ er den Abend oder vielmehr den gesamten Tag Revue passieren. Er war an diesem Morgen etwas schwermütig in dem Wissen aufgestanden, dass dies seine letzten gemeinsamen Stunden mit Holly sein würden, in denen sie einander nah sein konnten, wann immer sie wollten. Auch wenn es ihm in all der Zeit immer schwerer gefallen war, sich zu beherrschen und seine Gefühle vor dem Sänger zu verstecken, so war es dennoch die schönste Zeit seines Lebens gewesen. Und deshalb war das Packen für ihn nicht gerade einfach gewesen – es war, als wäre man zum ersten Mal in einem fremden Land, in das man sich sofort verliebt hatte… und dann musste man weg. Wurde einfach wieder aus dem Traum gerissen, den man für diese wunderschöne, aber dennoch begrenzte Zeit genießen konnte. Natürlich war Rico klar, dass er Holly auch so oft sehen würde – immerhin waren sie in einer Band – und wahrscheinlich würde es auch immer wieder Momente geben, in denen sie allein waren. Aber es würde nie wieder so sein wie in dieser einen Woche. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Rico sogar schon gefragt, ob sie wohl bald wieder auf Tour gehen würden – in der Hoffnung, dass er möglicherweise wieder für Holly zum Ersatz für die rechte Hand werden könnte. Jedoch brachte dieser Gedanke auch Zweifel mit sich. Ob Holly jetzt wohl immer noch mit ihm schlafen wollte? Nachdem er ihm in diesen Tagen doch so nah gekommen war… Vielleicht würde der Sänger nun selbst Bedenken haben – immerhin war er eigentlich hetero und da zwischen ihm und Rico eine derartige Nähe entstanden war, könnte er es als abartig empfinden, mit dem Violinisten zu schlafen. Frei nach dem Motto: das würde ja so aussehen, als hätten wir quasi eine offene Sex-Beziehung. Vielleicht wäre dem Sänger deshalb ein wenig Distanz oder zumindest ein gesunder Abstand, wie er unter Freunden üblich ist, lieber. Wenn Rico jetzt daran dachte, loderte die Wut wieder in ihm hoch. Wie hatte er nur überhaupt an so etwas denken können? Natürlich wollte Holly Abstand – was denn auch sonst? Immerhin hatte er das Thema Abreise doch selbst angesprochen. Erst hatte er ihn mit einem wunderschönen Dinner verwöhnt, nur um dann wie beiläufig zu erwähnen, dass es ja mal Zeit wäre, nach Hause zu fahren. Zuckerbrot und Peitsche. Werfen wir dem armen, kleinen Violinisten erst einen Köder hin, der natürlich blöd genug ist drauf reinzufallen – weil es dem Sänger ja auch so schwerfällt, ihm den Kopf zu verdrehen. Und dann schmeißen wir ihn raus, damit wir den Babysitter endlich los sind, der die ganze Zeit anhänglicher ist als eine Klette. Dieser Gedanke ließ Rico innehalten. Seine Brust zog sich schmerzhaft zusammen; er fühlte, wie er an der Enttäuschung, die ihn durchflutete, zu ersticken drohte. Tränen brannten hinter seinen Augen, doch er blinzelte sie wütend weg und schluckte. Nein. Er wollte jetzt nicht weinen. Er wollte keine Schwäche mehr zulassen. Nicht deswegen. Nicht wegen ihm. Das Klingeln des Telefons ließ ihn hochschrecken. Alarmiert sah er auf, machte jedoch keine Anstalten, abzunehmen. Er hatte das ungute Gefühl, zu wissen, wer ihn da versuchte, zu erreichen. Und richtig: als die Ansage des Anrufbeantworters durch den Flur schallte und schließlich der Piepton verklungen war, vernahm Rico eine ihm wohlbekannte Stimme. „Rico? Hier ist Holly… bist du schon zuhause? Wenn ja, geh bitte ran. Ich hab bestimmt schon zehn Mal versucht, dich auf dem Handy zu erreichen. Ich muss… möchte mit dir reden. Es ist wirklich wichtig… Wenn nicht… ruf mich bitte zurück… Ich mach mir wirklich Sor-“ Doch er kam nicht dazu, auszusprechen, denn die Aufnahmezeit war vorbei. Der Sänger hatte unsicher geklungen und nervös. Er schien immer wieder nach den richtigen Worten zu suchen und doch nicht wirklich zufrieden zu sein mit dem, was er sagte. In den kurzen Pausen überlegte er offensichtlich, was er sagen sollte. Rico starrte eine Weile zur offenen Tür, die in den Flur führte. Er konnte in diesem Moment kein Mitleid für Holly empfinden – weder wegen der Ohrfeige, noch wegen seines schlechten Gewissens. Letzteres hatte er sich selbst zuzuschreiben… und im Grunde war auch die Ohrfeige nicht ganz unverdient. Zwar hatte der Violinist im ersten Moment bereut, was er getan hatte, als ihm klar geworden war, dass er Holly mit voller Wucht und Absicht geschlagen hatte. Denn er war ein eher friedliebender Mensch und ein Gegner von Gewalt. Allerdings konnte er nicht verleugnen, dass das, was Holly ihm – wenn auch unbewusst – antat, nichts anderes als Gewalt war. Psychische Gewalt. Er quälte ihn. Auch wenn er davon rein gar nichts mitbekam und es niemals erfahren sollte. Aber mal ehrlich: wenn man jemanden mit einem selbstgemachten Abendessen bei Kerzenschein derart verführt und dann auch noch offen die Nähe des anderen sucht, dann sendet man(n) damit ja wohl eindeutig zweideutige Signale aus. Und wenn Holly sich auch dessen nicht bewusst war, dann würde er jetzt vielleicht mal ein wenig aus seinen Fehlern lernen. Denn Unwissenheit schützt bekanntlich vor Strafe nicht. Kopfschüttelnd wandte sich der Violinist wieder seiner Wäsche zu. Seufzend befüllte er die Maschine, schloss die Tür und erhob sich. Fehlte nur noch das Waschpulver. Während er die richtige Menge abmaß, wanderten seine Gedanken wieder zurück zu seinem geistigen Resümee der Geschehnisse. Nachdem er also gedankenverloren seine Sache zusammenpackte stieß er ausgerechnet auf diesen verdammten Song, der eine Kette von Ereignissen zur Folge haben, deren Ergebnis es war, dass er hier in seiner Wohnung in Dresden stand und beim Wäschewaschen war. Hätte er diese Lyrics nur nie gelesen… Es hätte ihm so vieles erspart. Natürlich war es schön gewesen, für eine Weile anzunehmen, dass es doch noch Hoffnung gab. Hoffnung auf ein gemeinsames Leben mit Holly. Doch dafür war der Abgrund, in den er danach gestürzt war, umso tiefer und der Aufprall, der ihn in die Realität zurückholte, noch schmerzhafter als alles, was er bisher hatte durchmachen müssen. Er hatte noch nicht gewagt, sich zu viel zu versprechen – dass dies ein Fehler wäre, hatte ihn das Leben bereits mehrmals gelehrt. Und doch hatten seine Vernunft und sein Verstand Mühe, die schier unendliche Freude seines Herzens zu bändigen. Auf einmal war ihm die Welt viel bunter erschienen und vor allem der Gedanke, Holly alles zu gestehen, schien richtiger zu sein als jede physikalische Gesetzmäßigkeit. Alles war besser, als diese ständige Schauspielerei, das ständige Versteckspiel seiner Gefühle vor Holly. So kam es ihm zumindest in diesem Augenblick vor und er konnte diese Überzeugung einfach nicht ablegen. Er würde es ihm sagen. Sobald der Moment da war, sobald er dachte „jetzt oder nie“. Doch zu diesem Moment sollte es nie kommen. Denn nur wenige Stunden später kam es zu der folgenreichen Begegnung mit dieser Sängerin von Eisblume. Sotiria. Er hatte schon von ihrer Band gehört. Schien wohl bei den weiblichen Teenies recht beliebt zu sein. Auf ihrem Debütalbum war die Coverversion von Svbway to Sally's „Eisblumen“, allerdings fanden einige Kritiker die restlichen Songtexte irgendwie nichtssagend, zu oberflächlich. Mehr wusste der dunkelhaarige Violinist auch nicht – außer dass er nicht viel auf die Meinung von Kritikern gab. Sollte doch jeder selbst entscheiden, was ihm warum gefiel und was nicht. Zurück zum Thema: das Treffen mit Sotiria war an und für sich ja kein Weltuntergang. Sie war nett, hübsch und schien mit den Jungs von der Instanz gut klarzukommen. Doch dass Holly sie dann nach einem gemeinsamen Song fragte, ließ die Zeit für Rico für einen Moment still stehen… bevor sein Traum wie eine Seifenblase zerplatzte. Es war, als wäre er im ersten Moment im Auge des Orkans gefangen – vollkommene Stille um ihn herum, die Ruhe vor dem Sturm. Und dann… er hatte kaum noch klare Erinnerungen an das, was anschließend passiert war. Alles hatte sich gedreht, er wusste nicht mehr, wo oben und unten war und drohte, zusammenzubrechen. Die anderen redeten munter weiter, schienen gar nicht zu bemerken, dass mit ihm etwas nicht stimmte – was vielleicht auch besser war. Ein Erinnerungsfetzen war seine Aussage, dass es ihm nicht gut ginge und er gleich wiederkommen würde. Dann war er statt auf die Toilette nach draußen gegangen. Ab dem Moment, wo die kühle Nachtluft ihm entgegenkam, klärte sich das Chaos in seinem Kopf wieder. Er hatte da gestanden, gegen die Tränen ankämpfend und an die Wand gelehnt. Und dann war Holly ebenfalls nach draußen gekommen… Inzwischen arbeitete die Waschmaschine und Rico sah gedankenverloren zu, wie sich die Wäsche in der Trommel drehte. Seufzend wandte er sich dann jedoch ab und nahm seine Tasche mit. Ob er richtig gehandelt hatte, war schwer zu beurteilen. Holly hatte ihn verletzt – das stand ohne Frage fest. Aber er hatte es nicht gewusst. Natürlich hätte ihm klar sein können, dass er sich für einen guten Freund doch schon etwas merkwürdig verhielt, wenn er quasi ein Candle-Light-Dinner arrangiert. Doch er konnte ja nicht ahnen, dass Rico ihm ohnehin schon verfallen war. Es war also eine ziemliche verquere und irgendwie auch prekäre Angelegenheit… Einerseits hätte Rico ihm vielleicht die Möglichkeit lassen sollen, sich dazu zu äußern. Dann hätte er wenigstens die Chance gehabt, sich zu verteidigen – denn er konnte ja nicht ahnen, dass der Dunkelhaarige den Songtext von „Blind“ bereits gelesen hatte. Andererseits schien der Sänger ja nicht einmal zu wissen, warum Rico plötzlich so wütend war; was wiederum bedeuten würde, dass er sich nicht einmal bewusst war, dass er den Violinisten zu tiefst enttäuscht und verletzt hatte. Somit wäre es also auch überflüssig, mit ihm darüber zu sprechen. Denn eine Entschuldigung oder Einsicht war wohl kaum zu erwarten. Wahrscheinlich würde es die ganze Situation nur schlimmer machen… Während Rico seinen Kulturbeutel im Bad auspackte, machte sich sein Magen bemerkbar. Kein Wunder, sie hatten zwar eine Kleinigkeit bei David gegessen, aber auch das war schon mehrere Stunden her. Also beschloss der Violinist, noch schnell den Rest aus seiner Tasche auszuräumen und sich danach etwas zu essen zu machen. Wenn er denn überhaupt noch was im Kühlschrank hatte… Ehrlich gesagt, zweifelte er selbst daran, denn er hatte nicht bedacht, unterwegs irgendwo anzuhalten, um sich wenigstens Brot und Belag zu holen. Seufzend verstaute er seine Reisetasche im Schlafzimmerschrank und stellte seine Geige an ihren angestammten Platz, bevor er in die Küche ging. Seine Vermutung bewahrheitete sich und so ging er zurück ins Wohnzimmer, wo er den Laptop startete und sich einen Lieferservice heraussuchte, der auch um diese Zeit noch auslieferte. Nachdem er fündig geworden war, griff er zum Telefon, starrte es jedoch einige Sekunden nachdenklich an, als er das rotblinkende Lämpchen bemerkte, das ihm anzeigte, dass er mehrere Anrufe auf dem Anrufbeantworter hatte. Mit wenigen Knopfdrucken löschte er die Nachricht von Holly und wählte dann die Nummer des Lieferservices. Als er die Bestellung aufgegeben hatte, vertrieb er sich die Zeit des Wartens mit dem Abhören der restlichen Nachrichten. Der größte Teil waren entweder unwichtige Mitteilungen oder es war keine Nachricht hinterlassen worden. Seufzend ging der Violinist in die Küche, füllte den Wasserkocher und holte eine Tasse und eine Kanne aus dem Schrank. Dann kramte er in dem Fach, wo er die verschiedenen Teesorten aufbewahrte und stellte fest, dass er auch hier mal wieder für Nachschub sorgen sollte. Ein guter Tee half ihm meistens dabei, sich zu beruhigen. Und im Moment war das bitter nötig, denn sein Seelenleben war ziemlich durcheinander geraten. In seinem Herz herrschte ein unangenehmes Chaos – eine wilde Mischung aus Wut, erfolglos unterdrücktem Schmerz und nach wie vor qualvolle Enttäuschung. Mit dem Handballen massierte sich der Dunkelhaarige die Brust in Höhe seines Herzens und lauschte dem stetig lauter werdenden Blubbern des Wassers. Als es dann kochte, goss er es vorsichtig in die Teekanne und ging langsam ins Wohnzimmer, um dort zu warten, dass sein Essen geliefert wurde. Der Violinist hatte ja schon so einiges durch- und mitmachen müssen, doch er beschloss, dass er sich diesmal nicht einfach in der Versenkung verkriechen würde, in die er gefallen – oder besser gesagt: gestoßen worden – war. Er würde nicht noch einmal stillschweigend alles Leid ertragen. Das hielt er einfach nicht länger aus… Irgendwann musste auch mal Schluss sein! Er konnte doch nicht immer nur von Schmerzen zerfressen werden. Hatte er nicht ebenso ein Recht darauf, glücklich zu sein und für sein Glück zu kämpfen? Das erneute Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah auf, nahm aber wieder nicht ab. Um diese Zeit würde niemand anrufen, außer… „Hallo, Rico? Ich bin's noch mal… Bist du wirklich noch nicht zu Hause? Tut mir leid, dass ich dich so nerve. Aber ich mach mir wirklich Sorgen. Bitte geh ran. Es ist mir sehr wichtig, dass-“ Wieder kam der Sänger nicht dazu, das auszusprechen, was er eigentlich hatte sagen wollen, denn Rico war aufgestanden und hatte den Anruf entgegengenommen. Er hörte noch, wie Holly die erste Silbe seines Namens aussprach und legte auf. Er wollte nicht mit ihm reden und er wollte auch seine Stimme nicht hören müssen. Auch nicht auf dem Anrufbeantworter. Verstand Holly das nicht? Tief durchatmend setzte er sich wieder auf die Couch und nahm sein Handy zur Hand, welches auf dem Tisch vor ihm lag. Zehn entgangene Anrufe – alle von Holly. Rico löschte sie aus der Liste und schüttelte den Kopf. Er würde es nicht besser machen, wenn er es immer weiter versuchte. Und als wollte ihn das Schicksal noch mehr herausfordern, fing sein Handy just in diesem Moment an, zu klingeln. „Holly“ erschien im Display und für einen Augenblick verharrte sein Finger über der roten Taste. Er zögerte. Doch dann drückte der Violinist seinen Bandkollegen wirklich weg und schaltete sein Handy aus. Schnaubend warf es fast etwas zu schwungvoll wieder auf den Tisch. War das zu fassen? Der Kerl gab wohl nie auf! Kopfschüttelnd widmete sich Rico wieder seinem Tee. Bis es an der Tür läutete, hatte er tatsächlich Ruhe. Welch Wunder… Selbst das Essen konnte er in Ruhe genießen – auch wenn es nicht so gut schmeckte, wie selbstgemacht und schon ein bisschen abgekühlt war. Aber egal. Besser, als mit knurrendem Magen im Bett zu liegen, war es allemal. Als er fertig war, entsorgte er die Verpackung und trank den Rest seines Tees. Satt und durch den Tee gut durchgewärmt, merkte er, wie ihn die Müdigkeit allmählich übermannte. Der heutige Tag war anstrengend und im negativen Sinne aufregend genug gewesen. Es wurde wirklich Zeit, dass er ins Bett kam. Als er sich gerade bequem hingelegt hatte und kurz davor war, endlich alle nervigen Gedanken beiseite zu schieben, um wenigstens halbwegs in Ruhe schlafen zu können, klingelte erneut sein Telefon und riss Rico aus dem Dämmerzustand, in den er eben erst geglitten war. Auf diese unangenehme Weise geweckt, saß er im Bett und starrte im ersten Moment etwas verwirrt ins Nichts, bis er realisierte, dass es sein Telefon war, was da klingelte. Leise vor sich hin grummelnd stand er auf, hastete zurück ins Wohnzimmer und hörte, wie sich der Anrufbeantworter (mal wieder) einschaltete. „Rico… ich kann mir ja denken, dass du nichts von mir hören willst. Aber ich kann nicht schlafen, wenn diese Sache zwischen uns steht… Bitte geh ran… Bitte lass mich mit dir-“ Wütend packte der Dunkelhaarige den Hörer. „Kapierst du es eigentlich nie, Holly? Ich will nicht mit dir reden, ich will dich nicht sehen und ich will deine Stimme nicht hören. Wir haben uns nichts zu sagen! Außerdem bin ich müde. Nur weil du schlaflose Nächte hast, trifft das nicht auf den Rest der Welt zu! Vielleicht solltest du einfach mal besser über dein Verhalten nachdenken.“ Knurrend legte er auf und zog das Netzteil des Telefons aus der Steckdose. So würde er wenigstens den Rest der Nacht Ruhe haben… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)