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Der Glasgarten

The Missing Link
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Diese Geschichte wird zeitlich parallel zum Glasgarten erzählt. Um sie schnell zu posten ist sie nicht beta gelesen. Komplett anzeigen

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Flake

The Missing Link
 

Teil 1://Flake
 

Augustus saß gerade über eine der Rechnungen gebeugt, die er für einen Kunden erstellte als er die Tür im Verkaufsraum hörte und sein Blick auf die Uhr ihm sagte, dass dies wohl sein Ziehsohn sein musste. Er stand auf und ging von dem kleinen Büro in den Verkaufsraum. Firn, kam ihm bereits entgegen und er sah mitgenommen aus. Der Unterricht war anstrengend für ihn, doch Firn hatte es sich nicht ausreden lassen, er hatte das Studium gewollt und Augustus musste Hazel, die die Verantwortung für ihn übernommen hatte dazu überreden. Firn schloss die Tür mit einer Langsamkeit und Bedächtigkeit, die man eher einem Achtzigjährigen zugesprochen hätte.

Augustus ging um den Verkaufstresen seines Antiquitätenladens herum und kam dem Jungen entgegen. Firns Augenmerk lag immer noch auf der Türklinke und er sah erst auf als Augustus die Tür schloss. „Anstrengend heute gewesen?“, brummte der Mann und sah in die bemerkenswerten graublauen Augen, deren Faszination größtenteils von den dicken Brillengläsern verborgen wurde. Ohne die Brille blickten aus einem ernsten Gesicht eisblaue Iriden wach und interessiert in die Welt. Nur wenn die Anstrengung zu groß wurde waren es trübe kühle Seen an einem nebligen Morgen. Wie jetzt auch.

Firn nickte als Antwort.
 

Augustus schmunzelte und nahm ihm den Rucksack ab. „Komm geh nach hinten, ich mach uns beiden etwas zu Essen. Hazel hat gegen Acht angerufen du sollst morgen bei ihr vorbei kommen. Sie möchte etwas Wichtiges mit dir besprechen. Bee kommt vorbei und holt dich ab.“
 

Firn blieb auf dem Weg zu ihren Privaträumen stehen und sah ihn an.

„Ich weiß, ich weiß Junge, morgen willst du wieder zur Uni. Es ist aber wichtig, Hazel hat nicht mit sich reden lassen, du weißt doch wie hartnäckig sie sein kann.“

Firn schien das zufrieden zu stellen denn er ging weiter. Besorgt fasste Augustus den Jungen unterm Arm und führte ihn durch das Büro in die Privaträume. Er setzte den Jungen auf einem Sessel in der Wohnküche und hob dessen Beine auf einen Hocker. „Ruh dich aus, während ich das Essen mache, ja?“

Er nahm ihm die Sehhilfe ab und legte sie auf ein kleines Tischchen neben dem Ohrensessel. Firns Augen, die den alten Glanz verloren hatten schlossen sich müde und sein Kopf glitt zur Seite. „Soll ich dir die Prothese abnehmen?“

Firn rollte den Kopf von einer Seite zur anderen. Augustus interpretierte dies als eine Verneinung was ihn dazu bewog ihn in Ruhe zu lassen.
 

Der Antiquitätenhändler machte sich daran Gemüse aus dem Kühlschrank zu holen und begann mit dem Kochen. Hin und wieder warf er einen Blick zu dem 26 Zwanzigjährigen jungen Mann um sich zu versichern dass Morpheus ihn noch immer fest in seinem Griff hielt.
 

In Situationen wie diesen, wenn Firn zu fertig war um sich um sich selbst zu kümmern erinnerte sich Augustus gerne an die Zeit als er noch ein Kind gewesen war.

Er teilte sich die Verantwortung für Firn seit dessen Kleinkindalter mit der Familie Worthington. Zu Anfang mit Henry Worthington, jetzt mit seiner Tochter, die die Führung der Londoner Gruppe übernommen hatte mit Hazel Worthington.

Der Junge hatte ihnen stets Sorgen gemacht, seit er nicht ganz normal auf die Welt gekommen war. Seine Eltern hatten ihn in ein Heim gegeben, dass für behinderte Kinder geistiger Natur eingerichtet war. Er war damals nur eingeschränkt belastbar gewesen, hatte eine stark eingeschränkte Sehkraft und war mit einem Armstumpf geboren worden. Ab der Mitte des linken Oberarms fehlte ihm der Arm. Noch dazu wurde angenommen, dass Firn Intelligenzgemindert war, da er kaum sprach. Zunächst hatte man ihn sogar für blind gehalten, aber seine Sehkraft hatte sich verbessert.
 

Hazels Vater wurde spät – vielleicht zu spät - als Berater hinzugezogen, erst mit zehn Jahren hatte ein PSI der in dem Heim arbeitete ihn gebeten Firn zu untersuchen. Herausgestellt hatte sich, dass Firn ein PSI war. Ein schwacher PSI dessen Klassifikation schwer einzuschätzen war. Irgendetwas war mit dem Jungen im Mutterleib schief gelaufen. Er hatte nur schwachen Zugang zu seinen Fähigkeiten, trotzdem war er sehr intelligent, auch wenn er im Alltag nur selten etwas sagte.
 

Henry Worthington hatte bei seinen Untersuchungen herausgefunden, dass dies und die gering Belastbarkeit damit zu tun hatte, dass der Junge geistig und seelisch mit seinen Fähigkeiten beschäftigt war. Irgendetwas blockierte gewisse Handlungen und strengte ihn derart an, dass er kaum Aufmerksamkeit für etwas anderes fand. Wenn er in die Uni ging war es am Schlimmsten. Hatte er frei und war erholt sprach er auch mehr und war fast wie ein normaler junger Mann.
 

Worthington fand heraus, dass er am Ehesten ein Destroyer war, doch seine telekinetischen Fähigkeiten waren sehr schwach ausgeprägt. Zusätzlich fanden sie heraus dass er extrem starke Schilde besaß, die so noch nie dagewesen waren. Die Stärke wurde dadurch begründet, dass seine Schilde flexibel waren, bisher in dieser Form noch nie aufgetreten. Vielleicht eine Art Mutation. Und er besaß einen Energiekörper der immens von denen abwich, die sie bisher gekannt hatten. Allerdings war nicht klar wofür er diesen brauchte. Er nutzte ihn nicht.
 

Zusammen genommen war Firn etwas Besonderes und es war traurig, dass sie nie sehen würden was er eigentlich hätte werden sollen. Augustus hatte ihm eines Tages gesagt, als Firn wieder einmal in dieser schwierigen melancholischen Phase gerutscht war, dass er einfach nicht ganz fertig war. Etwas blockierte seine Fähigkeiten und mit dieser Blockade verbrauchte er so viel Energie, dass er kaum genügend übrig hatte für etwas anderes. Damit war der Junge zufrieden gewesen und hatte nie wieder ein Wort darüber verloren. Er beklagte sich ohnehin nie über etwas.
 

Firn war alleine nur bedingt lebensfähig. Eine Wohnung alleine, die er sich wünschte traute ihm keiner zu, selbst Augustus nicht. Jeder der Londoner Gemeinschaft kümmerte sich um ihn, begleitete ihn falls nötig oder half ihm bei Behördengängen. Firn fand das alles andere als toll. Er beschwerte sich zwar nicht darüber, aber Augustus erkannte den Unwillen seines Schützlings an seiner Art das Thema zu wechseln. Augustus musste bei dem Gedanken schmunzeln. Alex Brennan ein reicher Nachtclubbesitzer kümmerte sich stets um neue Armprothesen, die dem neuesten Stand der Technik entsprachen. Bee ein neunmalkluger aufgeweckter vierzehnjähriger war Firns bester Freund und der kleine Rabauke kam oft zu ihnen um Firn mit auf seine „Erkundungstouren“ zu nehmen.
 

Im Alter von zehn Jahren hatten sie Firn aus dem Waisenhaus geholt und er war bei Augustus Flake eingezogen. Henry Worthington und Augustus waren derart ratlos, dass sie den Jungen zu einer Farseer nach Anchorage gebracht hatten, eine Traumseherin, die Firn erst seinen Namen gegeben hatte. Ins Melderegister war Firn mit dem Namen Andrew Miller eingetragen. Doch diesen Namen hatte er noch nie gemocht, er hatte schon als Kind das Gesicht verzogen wenn ihn jemand so genannt hatte. Drew galt noch als akzeptabel und er stellte sich gerne mit diesem Namen vor, den Namen Firn jedoch liebte er. Dieser Name war jedoch ihrer PSI Gemeinschaft vorbehalten.
 

Augustus hatte das Gemüse soweit, dass er es zu einem schmackhaften Eintopf mit ein wenig Fleisch verarbeiten konnte. Als alles in der Kasserolle kurz angebraten war schob er es in den Ofen. Sie würden erst in zwei Stunden Essen, so wie es aussah. Firn schlief tief und fest und das Essen brauchte ohnehin noch längere Zeit.
 

Er ging zu Firn, strich ihm sanft über den zerzausten schwarzen Haarschopf. „Schlaf noch ein wenig“, murmelte er und seufzte mit einem Lächeln.

Er ging wieder in sein Büro und arbeitete weiter an seinen Rechnungen.
 

Firn wachte mit einem erholten Gefühl auf und streckte sich ausgiebig. Er sah sich um und blinzelte über die verschwommene Sicht. Seine Rechte tastete nach rechts und fand die Sehhilfe ohne die er blind wie ein Maulwurf war sofort, da sie an dem Platz lag an dem sie stets lag. Er setzte die Brille auf und sah sich in der Wohnküche um. Der Duft nach Essen ließ seinen Magen knurren und er verzog den Mund zu einem nachsichtigen Lächeln.
 

Er wollte heute Abend noch ins Fitnesstraining und fühlte sich nach dem kurzen Schläfchen dem durchaus gewachsen. Morgen konnte er nicht in die Uni was ihm gar nicht in den Kram passte, aber Hazel wollte ihn sprechen und er wusste nicht was sie von ihm wollte.
 

Die Beine von dem Hocker ziehend setzte er sich auf und streckte sich erneut wie eine Katze, er lockerte seine Nackenmuskulatur und stand auf. Augustus war sicher im Laden verschwunden. Er ging durch die Küche und fand den 55 Jährigen ehemaligen Soldaten über einem Wust an Papieren gebeugt. Dieser lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete sich Firn, wie dieser mit verschränkten Armen im Türrahmen stand und ihn seinerseits betrachtete.

„Wie war die Prüfung?“
 

Firn zuckte mit den Schultern wie stets mit dieser ihm so eigenartigen Anmut. „Anfangs leicht, dann ging mir der Saft aus und ich habe kaum etwas zu Papier gebracht.“

„Es lag also nicht am Stoff?“

Firn schüttelte den Kopf.

„Vielleicht solltest du mit dem Dozenten sprechen, er könnte dir...“
 

„Ich will keine Ausnahme sein.“
 

Augustus sah ihn skeptisch an, legte den Kugelschreiber auf das Papier vor sich fallen. „Du bist es, mein Junge. Daran gab es nie einen Zweifel. Und das wird es auch nie geben“, sagte Augustus milde.
 

Firn machte ein mürrisches Gesicht. Augustus hatte in dem Gesicht, dass so viel verbarg und selten etwas von dem was in dem Jungen vor ging offenbarte zu lesen gelernt. Es war nur eine minimale Veränderung der Mundwinkel, die den Unmut der in Firn herrschte offenbarten.
 

Augustus ließ den Blick über den Körper des jungen Mannes gleiten. Er war gut trainiert und er hatte ihm einiges über Selbstverteidigung und den Umgang mit Handfeuerwaffen beigebracht, was teils schwierig war mit der Prothese, aber Firn beeindruckte ihn mit einer Lerngeschwindigkeit dass es selbst Worthington und ihn gewundert hatte.

Firn war ein extrem gut aussehender, trainierter junger Mann mit ein paar Defiziten. „Was ist mit Marie?“
 

Firn wandte sich von ihm ab und lehnte sich mit dem Rücken an den Türrahmen. Er sah in die Küche hinein. „Gibt es bald Abendessen?“

Ein Themenwechsel also. Aber so leicht kam ihm Firn heute nicht davon. Der Junge hatte noch keine Freundin und es war eine Schande, dass er keine fand. Ein Mädchen namens Mary Winter saß in der Uni in einigen Kursen neben ihm. Firn mochte sie gern und Augustus hatte ein gewisses Interesse aus dem was der Junge ihm erzählte gewittert.
 

Augustus erhob sich. Er ging zu Firn, der immer noch in die Küche blickte. „Du bist ein gutaussehender junger Mann, Firn und das weißt du auch. Das sagen dir die Blicke der Mädchen UND der Jungen seit Jahren.
 

Firn ließ den Kopf sinken und starrte auf die Dielen in der Küche. Ja, sicher, brummte er in Gedanken. Gutaussehend mit nur einem richtigen Arm und einer kurzen Aufmerksamkeitsspanne und der Sehkraft eines Maulwurfs bei Tag. „Wer soll mich wollen?“, sagte er ruhig und löste sich von der Tür um in die Küche zu gehen.
 

Augustus sah ihm nach. Es war keineswegs Trauer oder Bedauern in der Stimme zu hören, nur eine Frage neutral vorgetragen.

PSI hegten kein sexuelles Interesse an ihm, und das lag nicht nur daran dass sie ihn für fehlerhaft hielten. Das hieß nicht, dass Firn nicht beliebt war, ganz im Gegenteil viele vergötterten ihn regelrecht. Jeder in ihrer Gemeinschaft liebte Firn und er war stets ein beliebter Gast auf ihren Zusammenkünften. Aber mehr auch nicht.

Er war eher so etwas wie das ewige Kind, das es zu beschützen galt. Und Firn war alles andere als ein Kind mehr. Er war ein ausgewachsener junger Mann, attraktiv mit dem Körper eines Adonis, nur vielen den meisten Menschen sofort seine Handycaps ins Auge und nicht die aufreizenden Vorzüge, die er zu bieten hatte.
 

Als Firn zwanzig war hatte er Augustus gesagt, dass er alleine bleiben würde, dass es besser so wäre für alle Beteiligten.

Es hatte Augustus wütend und zugleich traurig gemacht.
 

Augustus ging in die Küche und half Firn den Tisch zu decken. „Setz dich“, entband er den Jungen von den restlichen Vorbereitungen und holte das Ragout aus dem Ofen. Rosmarin klein geschnitten, etwas Knoblauch und die Raspel einer Zitronenschale wurden in einer Schale gemischt und auf den Tisch zwischen sie gestellt.

„Gehst du heute noch ins Training?“, fragte er während er das Baguette schnitt dass es zu dem Ragout geben würde.

„Ja.“

„Ich fahr dich wenn ich den Laden zugemacht habe.“
 

Firn nickte.

„Ich lass mich von James zurück fahren.“
 

Augustus ließ sich von Firn die Teller reichen und gab ihnen beiden eine ordentliche Portion darauf. James also. Von diesem Mann hatte Firn bereits öfters gesprochen, wenn auch wenig, aber dennoch hin und wieder war dieser Name gefallen. Er brachte Firn oft nach dem Training nach Hause, meist später als ein solches Training dauern sollte.
 

Firn hatte nie ein Wort darüber verloren, doch Augustus hatte sich seine Gedanken darüber gemacht. Und er ahnte warum Mary OUT und James IN war.

Aber Firn wirkte nicht so als wäre James derjenige, der sein Herz höher schlagen ließ. Firn äußerte sich ohnehin nie über Gefühle als hätte er keinerlei Zugang dazu oder nur sehr beschränkten. Es war so als wäre alles für ihn eher gleichgültig was seine eigene Person betraf.
 

Einmal war er Rosenkreuzern in die Hände gefallen, sie hatten ihn konvertieren wollen. Firn hatte kurzen Prozess mit einem von ihnen gemacht. Er hatte ihn verprügelt und Augustus danach angerufen was er mit ihm nun machen sollte.

Der Rosenkreuzer war ein Scanner gewesen und war nicht durch die flexiblen Schilde des Jungen gedrungen was diesen dazu veranlasst hatte seinerseits in die Offensive zu gehen.

Als Augustus bei Firn und dem bewusstlosen Rosenkreuzer angekommen war stand dieser unbeteiligt daneben und beobachtete den Mann. Völlig unbeteiligt und sachlich erklärte er ihm was vorgefallen war. Ebenso verhielt es sich wenn er sich verletzt hatte oder ihm etwas angetan worden war. Er hatte Schmerzen und man konnte ihm diese ansehen und er äußerte sie auch als solche nur bewertete sein Gehirn diese anders. Sie wirkten nicht bedrohlich auf Firn und er nahm sie als Gottgegeben hin. Ebenso war es mit vielen Situationen oder Ereignissen.
 

Als dann dieser Name James öfters im Gespräch fiel war Augustus hellhörig geworden. Firn war leicht auszunutzen und falls James das herausgefunden hatte war es für diesen ein leichtes mit Firn alles zu machen was diesem in den Sinn kam.
 

Bisher hatte Augustus aus Firn nur herausbekommen, dass dieser James um die 40 Jahre war und der Besitzer des Fitnessstudios. Firn ging seit zehn Jahren dort hin und dieser James hatte ihm geholfen was Training, Physiotherapie und Massagen anging um ihn mit seinem Handycap zu helfen. Bei was er ihm noch geholfen hatte darüber ließ sich Firn nicht aus. Er konnte nur hoffen, dass diese von ihm befürchtete Liaison nicht schon seit zehn Jahren lief. Firn ging fast jeden Tag dort hin und Augustus musste mit Grauen an die Möglichkeit denken, dass dieser James ihn seit zehn Jahren sexuell ausnutzte. Denn das war sein schlimmster Verdacht.
 

Augustus selbst war schwul und das hatte auch seine Frau akzeptiert. Er hatte Lena geliebt und sie ihn trotzdem geheiratet. Sie hatte seine gelegentlichen Freunde akzeptiert. Nie hatte sie an seiner Liebe zu ihr gezweifelt. Tom ein langjähriger Freund hatte jahrelang mit ihnen in einem Haus gelebt. Der Beruf hatte ihn nach Asien verschlagen und der Kontakt war bis auf wenige Tage im Jahr an denen sie sich sahen reduziert. Als dann Lena starb hatte Augustus nur mehr Firn, den Lena wie ihr eigenes Kind geliebt hatte.
 

Augustus wollte Firn glücklich sehen, aber er bezweifelte, dass James derjenige welcher war der ihm dieses Glück bescherte. Firn war sehr passiv im Leben und ließ es an sich vorüberziehen. Es war als würde er auf etwas warten.
 

Firn holte sich eine zweite Portion und Augustus fasste den Jungen genau ins Auge.

„Würdest du mir sagen wenn du Sorgen hättest, Firn?“
 

Firn nickte sofort behielt aber sein Augenmerk auf seinem Essen.
 

„Ist dieser James gut zu dir?“
 

Firns Gabel hielt kurz inne bevor sie ihren Dienst wieder aufnahm.

Firn witterte die versteckte Frage aber er war nicht bereit sie Augustus abzunehmen. Er nickte erneut.

Er wusste, dass Augustus sein Verhältnis zu James nicht gutheißen würde und hielt sich besser bedeckt.

James hatte ihm viel geholfen und er gab ihm dafür stets etwas zurück. Zwar bezahlte er mit seinem Körper aber James schien diese Art der Bezahlung auszureichen. Er beschwerte sich zumindest nicht.

Firn hörte wie Augustus sich noch ein Brot nahm und etwas davon abpflückte um es zu Essen. Er hoffte das Thema war erledigt.
 

James hatte ihm gezeigt wie er mit seinem Arm an den Geräten arbeiten konnte und an welchen Sportarten er teilnehmen konnte. Er hatte seine Muskeln gelockert, Krankengymnastisch versorgt und seinen Körper dahingehend trainiert wie er heute aussah. Es lag auf der Hand, dass eine Gegenleistung nur sinnvoll war und wenn diese so aussah, dass er James zur Verfügung stand wenn dieser wollte dann war dies eben so.
 

Er sah darin nichts Verwerfliches, aber er wusste, dass Augustus aufgrund der Vatergefühle für ihn diesen Umstand weniger pragmatisch betrachtete. Selbst James war mit der Situation an manchen Tagen nicht zufrieden, aber er hatte sich wohl damit abgefunden, dass er von Firn nicht die gewünschte Begeisterung oder Gefühlsausbrüche erwarten konnte. Firn mochte es nicht besonders von Mitmenschen angefasst zu werden, es sei denn es diente einem bestimmten Zweck, was bei James ja der Fall war. Er war in gewisser Weise eine Ausnahme von dieser Regel.
 

Als sie fertig mit dem Essen waren schickte ihn Augustus hinauf in sein Zimmer, das er im zweiten Stock bewohnte um sich hinzulegen. Er solle sich vor dem Training ausruhen was stets bitter nötig war damit er das Training und das was James gelegentlich von ihm in Anspruch nahm nicht seine gesamten Energiereserven verbrauchte.

Firn zog sich aus und legte sich in sein Bett, er schlief fast auf der Stelle ein.
 

Augustus kümmerte sich um den Abwasch und fuhr den Jungen eine Stunde später zum Studio.

Spät in der Nacht hörte er die Tür und die schweren langsamen Schritte des Jungen die Treppe hinauf. Er hielt fast auf jeder Stufe an und Augustus hatte das Gefühl es würde eine Ewigkeit dauern bis er die schlurfenden mühsamen Schritte hörte die sich die Stufen ins nächste Stockwerk hinauf arbeiteten.

Es war oft so und er hatte es sich abgewöhnt in der Nacht aufzustehen um ihm zu helfen. Der Junge war stets wenig erbaut darüber gewesen. Fast hätte Augustus gereizt dazu gesagt. Und er hatte diesen James im Verdacht, der diese Gereiztheit bei Firn auslöste.

Augustus schloss die Augen und versuchte endlich den Schlaf zu finden den er vergeblich gesucht hatte bis der Junge endlich wieder zuhause war.
 


 

2.
 

Firn saß in dem viel zu großen und eindeutig zu kühl eingerichteten Arbeitszimmers der Person die ihn finanziell unterstützte und sich die Fürsorge mit Augustus Flake teilte. Hazel Worthington war eine strenge Frau um die Dreißig und der Sentinel der Londoner Clans. Bee sein bester Freund saß neben ihm unruhig als hätte er Hummel im Hintern. Hazels braune Augen ruhten auf ihm als sie Bee ins Auge fasste. „Stell dein Gezappel ein, Bee“, kam die kühle Zurechtweisung und ihre Stimme hatte den Klang von Stahl, dabei war sie aber nicht unfreundlich.

Bee grinste sie frech an hörte aber auf und saß einigermaßen ruhig.
 

„Anchorage hat eine Anfrage gestellt. Die Farseer möchte dich sehen."

Sie ließ ihn nicht aus ihrem Blick, ganz so als erwarte sie eine bestimmte Reaktion von ihm.

"Ich war anfangs damit nicht einverstanden. Aufgrund deines Zustandes bin ich der Meinung, dass du diese weite Reise kaum alleine bestreiten kannst.“ Sie sortierte einige Unterlagen und reicht sie ihm über den großen Schreibtisch. Als er sie nicht entgegennahm legte sie die Zettel und etwas das aussah wie ein Reisepass vor ihn hin.

„Zustand?“, fragte er mit rauer weil eher sparsam benutzter Stimme.

Ein Zustand war etwas, dass sich wieder änderte, es war zeitlich begrenzt.
 

„Ist das nicht ein bisschen zu hart, Ms Worthington?“, mischte sich Bee ein und sein Gesicht drückte deutlich sein Missfallen aus. Sie ignorierte ihn.

„Wie siehst du das, Firn? Ist es zu hart?“ Sie sah ihn neutral an.
 

„Hart nicht“, er zuckte mit den Schultern und versuchte sich zu konzentrieren. Er wusste nicht wohin dieses Gespräch laufen würde und das forderte eine hohe Konzentration von ihm und das wiederum verbrauchte mehr Energie als er gedacht hatte.

„Eher falsch.“
 

„Inwiefern?“, fragte Hazel und ihre Mundwinkel zuckten leicht. In ihren Blick hatte sich eine milde Note eingeschlichen.
 

„Ein Zustand ist im Allgemeinen vorrübergehend. Ich denke nicht, dass etwas an mir vorrübergehend ist.“
 

„Wer weiß das schon, Firn?“
 

Bee sah zu Firn und runzelte die Stirn.
 

„Nun wie dem auch sei. Ich bin nicht begeistert davon, dass sie dich in Anchorage sehen möchten, aber sie haben diese Bitte ausdrücklich vorgebracht und es ist ohnehin an der Zeit, dass die Farseer dich erneut sieht. Sie sagte, sie habe von dir geträumt. Du bist nun alt genug, dass du es dir anhören kannst und vielleicht hilft es dir in gewisser Weise. Wie ihr beide wisst wird die Lage hier in London zunehmend schwieriger und unübersichtlicher. Gestern fand erneut ein Übergriff auf einen Scanner statt.“
 

„Konvertiert?“, fragte Bee.
 

„Nein. Tod. Richard hat sich selbst getötet bevor sie dazu gekommen sind. Es deutet jedenfalls auf Selbstmord hin.“
 

Bee richtete den Blick nach unten. Seine Mundwinkel hingen nach unten und er ballte die Fäuste in seinem Schoß.
 

Hazel hatte nicht vorgehabt ihren zwei Schützlingen dies zu erzählen aber es diente ihrer Sicherheit über die gegenwärtige Lage bescheid zu wissen.

„Aus diesem Grund bin ich nicht mehr abgeneigt euch beide nach Anchorage zu schicken.“
 

„Uns beide?“, Bee war bereits Feuer und Flamme so wie er den Kopf hob und seine zu strahlen begannen.
 

„Ja, ich möchte Firn nicht alleine reisen lassen und dir tun ein paar Tage Ferien gut. Trotzdem lasse ich den besten Runner den wir haben nur ungern ziehen." Sie brachte so etwas wie ein Lächeln zustande. "Die Anfrage kam schon vor einigen Wochen und wie ich bereits erwähnte war ich geneigt sie ihnen zu verwehren.“
 

Bee sprang auf und wandte sich begeistert Firn zu der diesem Treiben ruhig zusah.

„Setz dich bitte wieder hin“, wies Hazel ihn daraufhin an, in diesem ganz speziellen freundlichen Tonfall der klang wie eine Bitte aber doch ein deutlicher Befehl war.
 

Bee erkannte ihn, hielt in seinem Treiben inne und ließ sich ordentlich gesittet auf den Stuhl sinken.
 

„Ich habe euch bereits für heute Abend einen Flug gebucht. Vor euch liegen die Unterlagen, inklusive der Pässe und der Reiseerlaubnis für dich Bee. Es ist alles geregelt sodass ihr keine Schwierigkeiten bekommen solltet. Die Straßen sind momentan nicht sicher, weshalb ich möchte, dass ihr sobald wie möglich abreist. Hat einer von euch Einwände? Anchorage hat mir versichert, dass es keine Angriffe in letzter Zeit bei ihnen gegeben hat.“
 

Firn fühlte sich komplett überfahren, dennoch verneinte er als Antwort da dies von ihm erwartet wurde.
 

„Müssen wir dort bleiben?“, fragte Bee und aus seiner Stimme war heraus zu hören wie wenig er davon hielt.
 

„Ihr kommt erst zurück wenn ich es gestatte, Bee.“
 

„Was?“ Bee schüttelte den Kopf. „Ich will hier bleiben, bei dir, Hazel!“, sagte er voller jugendlicher Leidenschaft.
 

„Vorsicht junger Mann, erinnere dich bei Gelegenheit mit wem du hier sprichst“, mahnte sie ihn, allerdings meinte Firn ein Lächeln in den Augen des Sentinels zu erkennen.
 

„Ja, Ms Worthington“, brummte Bee wenig einsichtig wie es erschien.
 

„Noch eines. Anchorage hat wichtige Daten in Bezug auf PSI Aktivitäten in Asien. Ich möchte, dass ihr euch diese Daten anseht und mir darüber berichtet, wenn ihr angekommen seid. Wir bleiben in Kontakt, denkt daran wir brauchen Hilfe.

Auch wenn ihr denkt ich will euch aus der Schusslinie halten – was natürlich der Fall ist – seid ihr nicht nur auf Urlaub dort. Ihr erfüllt dort einen Zweck, habt ihr verstanden?“
 

„Ja“, sagte Firn, denn jetzt war das auch für ihn in Ordnung dass er dorthin ging. Er sah Hazel an. Sie wusste wie sie mit ihm sprechen musste. Er legte den Kopf leicht schief und fasste sie genau ins Auge. Trotzdem sie wenig Kontakt zueinander hatten wusste sie wie sie ihm gewisse Notwendigkeiten beibringen musste.
 

Bee nickte eifrig.
 

„Gut, dann geht jetzt, packt eure Sachen zusammen und seid pünktlich am Flughafen. In Anchorage werdet ihr von einer Frau Namens Mute abgeholt.“
 

Sie waren entlassen und standen beide auf.

„Und Firn, versuche bitte mit den Menschen zu sprechen und zu interagieren. Seid bitte beide vorsichtig, denn ich möchte keinen von euch verlieren. Verstanden?“
 

Sie nickten unisono und verließen dann das Büro des Sentinels.
 

In Firn arbeitete es. Als er im Vorzimmer ankam musste er sich kurz am dortigen Tisch abstützen. Amy sah zu ihnen auf.

„So schlimm ihr Zwei? Dabei war sie doch heute gut gelaunt“, wisperte Amy mit einem milden Lächeln.
 

„Ach Amy, das war sie tatsächlich“, grinste Bee und streckte die Zunge heraus. „Nur hat sie Firn völlig über den Haufen gerannt, könnte man sagen. Ich glaube er versucht gerade zu verdauen, dass sie uns loswerden will.“
 

Firn hörte die Unterhaltung nur mit halbem Ohr, es rauschte in seinem Kopf und er schüttelte einmal den selbigen um das Klingen zu verscheuchen. Er bemerkte nur am Rande wie jemand ihm einen Stuhl unter den Hintern schob und ihn niederdrückte.
 

„Seid ihr nicht böse, sie steht unter Druck und versucht gerade ihre Kinder zu schützen. Natürlich kann sie nicht alle von ihnen außer Landes schaffen, das würde auffallen und viele würden ihrem Beispiel folgen wollen. Das wäre nicht klug. Aber ihre beiden größten Schätze will sie in Sicherheit wissen. Es ist nur zu eurem Besten, glaubt mir.“
 

Bee schnaubte. „Hier könnte ich mehr ausrichten als dort. Wer beschützt sie denn jetzt wenn ich nicht mehr da bin, hmm?“
 

„Ja, das werde dann wohl ich übernehmen müssen“, sagte Amy nachdenklich und Bee glaubte der Frau kein Wort.
 

„Du veräppelst mich doch!“, brummte er beleidigt.
 

„Niemals, großer Bee“, versprach Amy hochheilig mit ernstem Gesicht und Bee zog eine Grimasse des Mitleids. „Jaa, schon klar, lass uns abhauen Firn, hier wird man doch nur nach Strich und Faden verarscht.“
 

Firn rappelte sich hoch nachdem das Rauschen in seinen Ohren aufgehört hatte und ließ sich im Schneckentempo von Bee aus dem Vorzimmer bringen.

„Passt auf euch auf und kommt mir heil wieder“, rief ihnen die Sekretärin nach und Bee winkte ohne sich umzudrehen mit einer Hand.
 

Als sie wieder auf der Straße waren hatte sich Firn langsam wieder im Griff. Er war aber in Gedanken abgelenkt und bekam nur am Rande mit dass Bee ihn in das wartende Taxi bugsierte.

Sie würden also London verlassen. Was wohl Augustus dazu sagen würde?
 


 


 

3.
 


 

„Erlassenes Dekret an alle im Exil lebenden PSI Akteure
 

Wir die Gesellschaft für spezielle Sinnesbefähigung/Zentrum für Anwendung, Weiterentwicklung und Forschung im PSI Grenzbereich befinden alle Akteure, die nicht zum Wohl der Allgemeinheit und der Nichtbefähigten ihrer Meldepflicht nachkommen als Aggressor und erklären sich mit ihrer sofortigen Auslöschung als einverstanden.
 

Ferner erklären sich die PSI Akteure, die der Meldepflicht nachkommen dazu bereit sich einem intensiven Training zu unterziehen um ihre mitunter für die Nichtaktiven Mitmenschen unter den wir leben gefährlichen Fähigkeiten unter Kontrolle zu bringen.“
 


 

Hazels Finger verkrampften sich um das Pad, dass die Botschaft enthielt. Sie scrollte wiederholt den Bildschirm hinauf und hinunter und fand doch nur die gleichen Textstellen wieder. Was hoffte sie zwischen den Zeilen zu lesen? Wir lassen euch in Ruhe? Ganz im Gegenteil. Was dort stand war eher: wir erklären euch den Krieg.
 

Sie warf das Tablett auf den Tisch und stand erbost auf. Nach dieser kurzen Schwäche, straffte sie sich, riss sich zusammen und strich ihren grauen Rock glatt. Sie zupfte ihre Bluse gerade und drückte eine Taste auf ihrem Multifunktionspad.

„Amy kannst du bitte kommen?“
 

„Natürlich“
 

Hazel zog das Pad wieder zu sich heran als einer der Flügel der hohen und mit Intarsien verzierten Doppeltür aufschwang und eine Frau Mitte Zwanzig hereintrat. Die Geräusche ihrer Absätze die diese auf dem Parkett hinterließen hallten von den hohen Wänden wider.

Hazel nahm das Pad hoch und wedelte mit dem Bildschirm. „Haben das alle bekommen?“

Amy durchquerte beflissen den Raum und blieb vor dem Tisch stehen, Hazel reichte ihr den Bildschirm und schon bevor sie einen Blick darauf geworfen hatte, nickte diese.

„Ja, ich habe bereits Gesprächsanfragen von über einem Dutzend Clans.“
 

„Auch aus Übersee?“
 

Amy nickte und ihr Gesicht drückte Besorgnis aus.
 

„Wünschen Sie eine Versammlung, Hazel? Soll ich eine Benachrichtigung rausschicken?“
 

„Nein, nicht mehr übers Netz,. Dass muss persönlich erledigt werden. Schick einen Runner.“
 

„Wir haben keine Runner mehr, Hazel.“
 

„Keinen Runner mehr? Was ist mit Yuki?“
 

„Yuki habe ich bereits kontaktiert. Sie ist nicht auffindbar. Ihr Clan ist besorgt und wir können davon ausgehen, dass Rosenkreuzer sie erwischt haben.“
 

„Und Bee habe ich nach Anchorage geschickt“, murmelte Hazel.
 

„Sind Sie noch nicht benachrichtig worden, Hazel?“
 

Hazel sah auf und in Amys Gesicht stand Sorge. „Was ist passiert?“
 

Bee war ein ausgezeichneter Runner und einer ihrer Vertrauten. Amys Gesicht wurde aschfahl und ihr Blick war zwar auf ihr Gesicht gerichtet aber ihre Augen hielten den Kontakt nicht mehr.

„Was ist mit ihm, Amy? Ist er tot? Was ist mit Firn?“ Ihre Stimme war fest und sie beglückwünschte sich über so viel Haltung.

„Nein“, erwiderte Amy besorgt und hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste. „Nein, Hazel, das ist er nicht, nur schwer verletzt. Ich dachte Sie wüssten es bereits. Es hat solange gedauert weil Bee sich nicht äußern konnte und seine Personalien nicht sofort festgestellt werden konnten. Die Nachricht kam vor einer Stunde. Sie war im Verteiler und kam über das Netz deshalb dachte ich, dass sie...“
 

„Wie ist das passiert?“, unterbrach Hazel sie.
 

Hazel setzte sich auf ihren Ledersessel und stützte den linken Ellbogen auf, sie rieb sich die Schläfe mit der Hand und presste die Augen zusammen während sie den Bericht von Amy erhielt.

„Firn und Bee waren unterwegs zum Flughafen als sie angegriffen wurden.“

„Wer hat sie angegriffen und wie, ist das bekannt?“

„Zwei Telepathen, soweit der Runner sich erinnert. Sie stellten ihn auf eines der höheren Häuser und ließen es wie Selbstmord aussehen. Das übliche Muster. Er sprang vom Dach und hatte Glück dass ein Lastwagen unten vorbei fuhr und das Haus nicht all zu hoch war. Es war wohl doch eher eine Warnung, trotzdem ist der Runner verletzt. Ein Beinbruch, Beckenbruch diverse Rippenbrüche und eine Gehirnerschütterung.“
 

„Das waren Anfänger, oder eine Warnung.“ Hazel rieb sich die Stirn und schüttelte den Kopf.

„Was ist mit Firn?“
 

„Bee kann sich nicht daran erinnern. Sie haben sich bei ihrer Flucht aus den Augen verloren.“
 

Hazel holte tief Luft und gab sich selbst die Schuld dafür die beiden Jungen allein geschickt zu haben. Es war ein Fehler gewesen.
 

„Ich habe die Flüge überprüft. Eines der Tickets ist eingelöst worden. Ich gehe davon aus, dass Firn das Ticket benutzt hat.“
 

„Ja, könnte sein. Er kann bisweilen recht pragmatisch sein. Am Besten schicken wir Anchorage eine Nachricht. Kümmere dich bitte darum. Firn soll mich sofort nach seiner Ankunft kontaktieren. Wenn er das nicht tut stehen die Chancen gut, dass wir ihn verloren haben“, sagte sie zynisch. „Der Flug ging gestern um 23.00 Uhr. Er müsste schon angekommen sein.“
 

„Das erledige ich sofort.“
 

„Was die Einberufung des Rates angeht werde ich mich selbst darum kümmern. Die Einberufung sollte von einem Runner erledigt werden.“ Schließlich war sie selbst auch einmal als Runner tätig, bevor sie die Vorsitzende der Londoner Vereinigung wurde. Vorsitzende von vielleicht nicht einmal mehr 127 PSI in London und Umgebung, die sich bisher gut verstecken konnten. Nur wie diese Mail in ihr Netzwerk gelangen konnte wusste sie nicht. Es gab bereits einen Überläufer und nach dieser Nachricht, wer konnte es ihnen verdenken?

„Amy mach Schluss für heute wenn du Anchorage benachrichtigt hast, es ist ohnehin schon spät. Und nimm dir für morgen frei, wir schließen die Agentur morgen.“

„Zwischen neun und zehn kommen aber drei Mädchen um...“

„Sag ihnen ab, bitte“, sagte Hazel und packte den Tablett-PC in ihre Handtasche und hing sie sich um die Schulter, sie schnappte sich ihren Mantel von der Garderobe und verließ ihr Büro. „In welchem Krankenhaus liegt Bee?“
 

„In der Great Ormond...“

„Gut, Danke Amy.“
 

Hazel verließ die Modellagentur mit dem stilisierten Wolf auf weißem Grund als Logo und stieg in ein Taxi ein. Sie nannte die Adresse und fragte unten an der Information nach einem Benjamin Turner. Bee fand den Namen witzig und was sollte sie schon dagegen haben? Es war ein guter Name.

Hazels rote Pumps klackerten über die Stufen als sie die Feuertreppe hinauf in den ersten Stock nahm. Sie hielt nicht sonderlich viel von Aufzügen musste sie zugeben und meistens bekam sie klaustrophobische Anwandlungen mit Angst und Schweißausbrüchen wenn sie länger als die erforderliche Zeit in einem blieb.

Sie ging auf die Station, die sie ihr genannt hatten und klingelte an der Tür der Intensivstation. „Turner. Mir wurde gesagt mein Sohn Benjamin liegt bei ihnen.“

„Einen Moment bitte“, sagte die Pflegerin über die Sprechanlage.

„Sicher, danke.“ Immer schön höflich bleiben, sagte sie sich. Zunächst wanderte sie unruhig und ungeduldig vor dem Wartebereich der Station hin und her wie es einer besorgten Mutter nun einmal zustand, die auf den Besuch ihres Kindes, das auf der Intensivstation lag wartete.
 

Nach zehn Minuten wurde sie von einer Ärztin abgeholt, die ihr alles über den gesundheitlichen Zustand ihres vermeintlichen Sohnes erzählte, das sie nur nebensächlich interessierte. Sie wusste ohne dass es ihr gesagt wurde, dass er sich erholen würde. Er hatte eine gute Konstitution, wie sie alle.
 

Sie wolle jetzt zu ihm, sagte sie nach angemessener Zeit wie es ihr schien und die Ärztin nickte verständnisvoll, fragte aber noch ob sie wüsste ob ihr Sohn Probleme hätte, ob es Probleme in der Familie gäbe.

„Nein, er hat ein gutes Verhältnis zu seinem Vater, vielleicht ist es die Schule, sie wissen ja wie Kinder sein können“, nudelte sie die Klischees ab und ließ zumindest die geschiedene Ehefrau oder den gewalttätigen Vater dieses Mal außen vor. Naja bei vier PSI die ihr als „Kinder“ unterstanden musste man sich bei dem einen oder anderen „Unfall“ in der Klinik oder bei der Polizei diverse Begründungen einfallen lassen.

Vor allem weil sich der Herr Vater so gut wie nie um derlei kümmerte. Dieser unfähige Idiot. Und ihre Mutterinstinkte waren bereits abgenutzt – im Moment jedenfalls. Ganz davon abgesehen, dass sie mit knappen dreißig Jahren zu jung war um drei Kinder im Alter zwischen zehn und vierzehn zu haben. Naja streng genommen hätte es hin hauen können, rein biologisch verstand sich...
 

Sie kappte diese nutzlosen Gedankengänge die ins Nichts führen würden und betrat das Zimmer in dem Bee lag. Sie seufzte als sie ihn sah. Die Ärztin war ihr gefolgt und erklärte ihr kurz die Geräte und ihre Funktion, damit sie nicht erschrak.

Hazel hob filmbuchreif eine Hand an ihren Mund um ihr Entsetzen den Blick der Ärztin auszusetzen und diese legte ihr tröstend eine Hand auf den Arm und führte sie zu einem Stuhl der neben dem Bett stand. Sie setzte sich und nahm Bees Hand. Die Ärztin plapperte noch etwas davon, dass sie vor der Tür wäre wenn sie etwas bräuchte.
 

Als sie endlich weg war spürte Hazel eine unliebsame Feuchtigkeit an ihrem Zeigefinger und nahm die Hand von ihrem Gesicht. Hektisch begann sie in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch zu suchen und wischte sich unter dem Unterlied die Tränen weg um ja nicht ihre Make-up zu verschmieren. Sie stopfte das benutzte Tuch in einen übervollen Mülleimer. Als sie sich umdrehte blickte sie in geöffnete Augen eines vierzehnjährigen Jungen, der sie aus einem blassen Gesicht heraus ansah. Seine Lippen waren blassrosa und er bewegte sie vorsichtig. Ihre Hand zitterte als sie näher ging und sich wieder setzte. Sie strich nervös ihr Kostüm glatt und er beobachtete sie dabei. Als sie wieder aufblickte kräuselte sich einer der Mundwinkel die nicht eingerissen waren zu einem spöttischen Lächeln.
 

„Hör auf zu grinsen“, wies sie ihn brüsk an. Sie erhob sich und beugte sich über ihn bis ihr Gesicht und ihre Augen sich ganz nahe waren. Sie berührte seine Stirn mit ihrer und sie hörte wie er seufzte.

Dieser Seufzer ging durch den ganzen schmalen Leib wie ein Beben. Sie drang so schnell in seine geöffneten mentalen Bereiche ein und holte sich die nötigen Informationen die sie brauchte. Sie hatte Recht behalten es waren Anfänger gewesen, die ihn angegriffen hatten.

Sie strich mit der Rechten Hand über die noch geöffneten Augen und die Lider fielen wie müde Schmetterlingsflügel hinunter auf die unteren Lider und verdeckten die Sicht auf strahlend blaue Augen.

Sie erhob sich wieder, gab dem Jungen einen Kuss auf die Stirn und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. Den mentalen Kontakt hatte sie behalten, aber sie hatte ihn in einen Schlaf befördert der die Heilung beschleunigte, ihn aber für einen telepathischen Kontakt empfänglich ließ. Runner hatten den Vorteil, dass sie Energie von anderen Runnern absorbieren konnten. So blieb Hazel bei ihm und hielt die Hand in ihrer. Sie schlief darüber selbst ein und wurde erst durch ein Geräusch aufgeweckt, das ein Pfleger machte als er eine der Schmerzspritzen für die Spritzenpumpen im Hintergrund an seinem Arbeitsplatz im Zimmer vorbereitete.
 

‚Hey, Hazel’, kontaktierte sie Bee und Hazel wandte sich vom Pfleger ab um den Jungen anzusehen.

‚Das heißt Ms Worthington“, wies sie ihn zurecht und setzte sich aufrechter im Stuhl hin beließ aber den Kontakt zu ihm den sie über die Hand und den steten Energiestrom hatte. Sie spürte bereits die Müdigkeit in ihren Knochen, aber ein wenig konnte sie ihm noch geben, bevor sie den Kontakt abbrechen musste. Sie waren keine Whisperer, aber manchmal während einer Energieübertragung gelang es ihnen zu kommunizieren. Es war ihnen lediglich möglich ihr mentales Energiegerüst, oder ihren Energiekörper so aufeinander abzustimmen, dass sie eine Art Symbiose herstellten und dachten sie wären ein einziger Körper. Dieser versuchte nun, die unterschiedlichen Energielevel in diesem Energiekörper auszugleichen um ein Gleichgewicht herzustellen.
 

Ein fähiger Runner konnte so von einem noch mächtigeren PSI Energie zu anderen PSI transportieren wo sie benötigt wurde. Dabei war tatsächlich Geschwindigkeit wichtig, was ihrer Profession den Namen gab. Sie übertrugen auch versteckte Botschaften in diesen Übertragungen, was sie zu hervorragenden Botengängern machte.
 

‚Ich hab deine Lippen auf meiner Stirn gefühlt, Ms Hazel’, unterbrach er ihre kontemplative Auseinandersetzung mit ihrem früheren Job.

‚Ach hast du das, ja? Muss wohl ein feuchter Traum gewesen sein’, erwiderte sie abfällig, allerdings konnte sie keine Färbung in ihre Worte legen doch ihre sich leicht schmälernden Augen zeugten von Grimm.
 

‚Kannst du dich daran erinnern was mit Firn geschehen ist?’
 

Er sah sie an und sie konnte in den blauen Augen erkennen, dass sich der Junge schuldig an der Sache fühlte.

‚Nein. Sie haben uns getrennt. Und dann war er plötzlich weg. Es tut mir Leid.’

Er wandte den Blick ab und seine Mundwinkel hingen verdächtig nach unten. Tränen konnten sie beide jetzt nicht gebrauchen.

‚Sieh mich an, Bee’, sagte sie und sah ihn ernst an.

Nur zögerlich suchte er den Augenkontakt.

‚Es ist nicht deine Schuld. Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass er den Flug erwischt hat. Eines der Tickets wurde benutzt. Wir versuchen Anchorage zu kontaktieren um in Erfahrung zu bringen ob er dort angekommen ist.’ Ob ihn das beruhigte wagte sie zu bezweifeln. Firn war nicht gerade selbstständig.
 

Er sah sie lange an bevor er die Augen langsam schloss und sie dann wieder ebenso langsam wie in Zeitlupe öffnete. Er wandte den Kopf und blickte an die Decke. Sein Gesicht war so klein, so voller Schrammen und es war voller Trauer.

Als dieses Gefühl bei ihr ankam kappte sie sofort die Verbindung was ihn zunächst sehr schnell atmen ließ, heftig und laut. Sie wusste, dass es nicht angenehm war die Verbindung zu kappen bevor der Energielevel ausgeglichen war. Aber ein Ausgleich hätte ihr zu viel Energie genommen, die sie heute dringend brauchte und beim Ausmaß seiner Verletzungen hätte sie viel geben müssen zu dem sie nicht bereit war. Er war nicht der Einzige für den sie da sein musste. Der Pfleger wurde aufmerksam und kam zum Bett. „Tuts wieder mehr weh, Benjamin?“

„Ja, da unten“, sagte Bee leise und deutete auf seine unteren Rippen.
 

„Okay, ich hole dir etwas“, versprach der Pfleger und verließ den Raum.
 

„Ich muss gehen.“

Sie erhob sich und nahm ihre Handtasche wieder auf. „Ich muss ein Treffen vereinbaren. Wir halten dich auf dem Laufenden. Ich werde sehen ob ich es morgen einrichten kann vorbeizukommen. Wir werden uns darum kümmern dich in eine unserer Einrichtungen zu verlegen, sobald der Transport natürlich gestattet ist.“
 

„Ja“, sagte die leise Stimme und sie drehte sich nach einem Nicken um.

An der Tür, den Griff bereits in der Hand drehte sie sich erneut um. „Es wird Krieg geben. Sie haben uns eine Kriegserklärung geschickt. Halte dich bedeckt über Informationen die Firn betreffen. Auch möchte ich nicht, dass bekannt ist, dass er nach Anchorage unterwegs ist. Ich möchte erst sichergehen, dass er nicht dort angekommen ist bevor ich bekannt gebe, dass wir ihn verloren haben.“ Sie wollte gar nicht an diese Möglichkeit denken. „Falls wir uns nicht mehr wiedersehen möchte ich dir sagen, dass...“, sie unterbrach sich als die Tür von außen geöffnet wurde und der Pfleger wiederkam.

„Sie gehen?“

Sie nickte und wich seinem Blick aus. „Ich muss mit seinem Vater sprechen, sie verstehen...“

Schnell verließ sie den Raum und floh regelrecht von der Station und dem Krankenhaus. Bleib ruhig, mahnte sie sich. Der wird schon wieder, außerdem gab es schließlich noch mehr Kinder und auch Erwachsene um die sie sich kümmern musste seit sie den Posten geerbt hatte. Mehr oder weniger von ihrem Vorgänger, den sie vor fünf Jahren bei einem Auslandsbesuch in den Staaten auf offener Straße ermordeten. Sie ging die Straße entlang und zum nächsten Taxistand.
 

Sie hatte ihren Job als Runner aufgegeben um alles zusammenzuhalten als ihr Ziehvater ermordet worden war. Und das Schlimme an der ganzen Sache war die Tatsache, dass es ein sehr einsamer Weg war.

Sie sah in den dunklen Himmel hinauf als ein fernes Grollen ihre Aufmerksamkeit weckte. Der Geruch nach Regen lag in der Luft.

Sie kam gerade noch rechtzeitig am Taxistand an als die ersten Tropfen auf den Bürgersteig fielen und stieg rasch ein. Es war bereits Abend und sie musste zu fünf Adressen fahren. Vier davon waren relativ einfach zu bewerkstelligen, die fünfte war ausgesprochen unerfreulich und deshalb schob sie diese weit nach hinten.
 


 

4.
 

Bee lag im Bett und fummelte an seiner Infusion herum die sich mit seinen Fingern verheddert hatte. Er konnte sich kaum bewegen nach dieser ganzen Scheiße, die sie mit ihm veranstaltet hatten, diese dreckigen Kanalratten von Wichsern. Beckenbruch, Oberschenkelbruch und dann erst diese Nummer mit den Rippen, das war das Übelste bei dem ganzen Scheiß. Er zupfte die Schlaufe über seine Finger und hatte nach geschlagenen fünf Minuten die Infusionsleitung wieder sortiert. So nun konnte er zum eigentlichen Ziel kommen – er wollte dem Pfleger klingeln der ihm gefälligst ein Telefon bringen sollte.
 

Sie war schon seit einer Stunde weg und sie war in keiner guten Verfassung gegangen, das hatte er ihr angesehen und er hatte es ihr auch nicht leichter gemacht. Er mit seiner ewigen Schmachterei nach Liebe und Anerkennung hatte sie auch noch in die Enge getrieben. Er wusste doch wie wenig sie von der Gefühlsduselei hielt. Effizienz und Effektivität waren ihr Motto.

Sie war schließlich gekommen und hatte ihn besucht und sie hatte ihm einen Kuss gegeben auch wenn’s nur die Stirn war und sie hatte sein Energielevel angehoben. Sie hatte ihm sogar beim Einschlafen geholfen und ihm so Kraft geschenkt. Viel für die neue Eiserne Lady in London. Er war stolz auf sie und er war stolz zu ihren Kindern zu gehören, die sie hütete und erzog. Sie machte ihren Job gut und sie hielt alle zusammen. Aber das was nun auf sie zurollte war mehr als sie alleine stemmen konnte und sie war alleine. Der Rat der fünf in dieser Stadt war nicht mehr das was er in früheren Zeiten gewesen war, es war eine Bande aus Drückebergern, Opportunisten, Schwindlern und Feiglingen. Es gab eine Ausnahme von dieser Regel. Nur war diese Ausnahme schwer einzuschätzen und Bee war sich nicht immer so sicher auf welcher Seite Ash Santiago stand. Manchmal hatte sich Bee schon gefragt ob der Typ es überhaupt selbst wusste.

„Brauchst du was, Benjamin? Wieder die Schmerzen?“

„Nee, der Stoff von vorhin hat echt reingehauen, geht schon. Ich... muss meinen Vater anrufen, meine Mom... ihr ging’s nicht gut als sie ging und ich will wissen ob sie bei ihm angekommen ist.“

Ihm war zwar inzwischen kotzübel von den Schmerzmitteln die sie in ihn reinpumpten aber besser als die Atemnot die ihm seine Rippenschmerzen bescherten wenn er nicht richtig durchatmen konnte.
 

„Also gut, Benjamin ich bring dir unser tragbares Telefon.“
 

Wenn er sich doch nur erinnern könnte was mit Firn passiert war. Er hatte Angst, dass er verletzt war oder dass sie ihn in die Finger bekommen hatten. Denn wenn das geschehen war... die Rosenkreuzer hatten doch keine Verwendung für einen wie Firn. Sie würden ihn sicher töten. Firn war sein Freund und es nagte an ihm, dass er nicht wusste was mit ihm war. So viele seiner Freunde waren verschwunden.

Er atmete tief ein was ihm einen Stich in seine verletzte Seite bescherte und versuchte diese furchtbaren Gedanken zu verdrängen. Er wollte mit Ash sprechen, durfte ihm aber nichts von Firn erzählen, also sollte er sich gefälligst zusammenreißen. Sicher würde Hazel Ash alles erzählen sobald sie es für angebracht hielt.
 

Bee betätigte die Fernbedienung die ihm das Kopfteil höher stellte und bis der Pfleger ihm das Telefon brachte hatte er es sich soweit bequem gemacht, dass er einigermaßen erhöht im Bett lag von Sitzen wollte er noch nicht sprechen.

Er wartete noch bis der Pfleger den Raum verlassen hatte bevor er die Nummer wählte, die er eigentlich nicht – unter Prügelstrafe und Verwünschungen angedroht nie anrufen sollte. Also rief er jetzt Ash Santiago an oder auch den dreckigen Ash wie ihn viele weniger schmeichelhaft nannten. Manche sagten auch hässlicher Ash. Musste wohl an der Narbe liegen die ihm jemand von der Schläfe, über die Wange hinunter zum Hals gezogen hatte und die immer noch schimmerte wie eine Erzader im Sonnenschein. Was daran hässlich sein sollte war Bee immer noch schleierhaft, denn es war eine der Narben die er sich auch gewünscht hätte. Sah männlich aus und jeder konnte sehen, dass er diesen Angriff überlebt hatte. Außerdem flogen die meisten Frauen auf Ash, wobei Bee da nicht ganz sicher war wie viel von dieser Schwärmerei empathischem Einfluss geschuldet war. Trotzdem: Ash war sein Held und er wollte wie er sein.
 

Noch immer war ein Freizeichen zu hören und er legte wieder auf. Nach zehn Minuten versuchte er es noch einmal. Dieses Mal wartete er länger und schließlich wurde auch abgenommen.

„Wenn du diese Scheiße nochmal machst, Kleiner reiß ich dir den Arsch auf, hast du mich verstanden?“, krachte die wütende kratzige Stimme des Club Schrägstrich, Hotel Schrägstrich Partyservicebesitzer durch das Telefon sodass Bee es reflexartig vom Ohr weghielt und eine Grimasse zog.

„Und von welcher Scheiße sprichst du, Santiago?“ Es gab da ja vielfältige Möglichkeiten im Augenblick.

„Es klingeln zu lassen und dann aufzulegen nur um zu warten bis ich möglichst weit von diesem Scheißding weg bin um erneut anzurufen“, knarzte die Stimme durch die Leitung.

„Ah. Ach so ich dachte schon du meinst meinen kleinen Unfall. Hätte mich auch gewundert wenn du dir wie auch immer geartete Sorgen um mich machen würdest.“

Bee schmunzelte als es still wurde und er sich das Gesicht des Mannes vorstellte, wie er die Augen zunächst genervt verdrehte und dann diesen besorgten Blick in den Augen bekam. Diesen Blick mit dem er ihre eiserne Lady bedachte wenn sie gerade nicht hinsah.

„Ich hab von dem ‚Unfall’ gehört. Wer nicht, Kleiner? Hat sie deine Verlegung schon organisiert?“ Santiagos Stimme beruhigte ihn und Bee ließ seinen Kopf in den Nacken auf sein Kissen fallen und schloss für einen Moment die Augen.

„Nein. Ich kann noch nicht transportiert werden. Sie ist ziemlich durch den Wind. Sie hat mir nen Kuss gegeben.“ Er lächelte breit als es wieder still wurde.

„Du spinnst. Die geben dir zu viele Schmerzmittel, Kleiner“, sagte Santiago etwas lahm.

„Nö, war echt so.“

„Liegt daran, dass sie dachte du nippelst ihr ab.“

„Und? Is ja beinahe schon an der Tagesordnung, was macht da einer mehr oder weniger schon aus?“

„Sie hängt an dir, Kleiner“, gab Santiago zu auch wenn es ihm schwer zu fallen schien, so zögernd wie es sich anhörte.

„Ja klar, hab ich gemerkt“, brummte Bee und schnaubte. „Genauso wie sie an deiner Person hängt.“

„Oh ich bin eine ganz andere Nummer, mir würde sie am liebsten einen gut geknoteten Strick um den Hals legen und unter mir die Falltür öffnen. Vermutlich würde sie mir vorher auch noch einen Kuss auf die Stirn geben. So für alle Fälle, damit niemand sagt sie hätte mich nicht geschätzt – für alles was ich für sie getan habe.“
 

Bee lachte plötzlich auf. „So was Ähnliches hat sie vor sich hin gestammelt als sie hier raus is. Für meine Arbeit wollte sie mir danken nur für den Fall dass wir uns nicht mehr sehen würden...“

„Das hat sie gesagt?“

„Jepp. Glaubt wohl, dass sie es nochmal bei mir versuchen oder dass ich’s nicht überlebe. Dass sie mich schon abschreibt tut doch etwas weh.“

Es wurde wieder still.

„Gibt’s sonst noch was?“

„Sie sagte, dass es Krieg geben würde, und dass eine Kriegserklärung ins Haus geflattert ist.“

„Das ist richtig. Jeder einzelne der ins Netzwerk geht hat diese Nachricht auf dem Bildschirm. Jeder einzelne. Es gibt sicher den einen oder anderen der sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen lässt. Ich gehe davon aus, dass der kleine Unfall mit dir ein Warnschuss vor den Bug war.“
 

„Sie haben mich mit Absicht am Leben gelassen? Irgendwie beschämend.“

„Sei dankbar, dass du lebst, Bee“, sagte Santiago ernst und Bee seufzte. „Klar, bin ich das, ich frage mich nur wie lange und was sie sich als nächstes einfallen lassen. Ich liege hier wie auf dem Präsentierteller. Jeder der reinkommt könnte ein potentieller Kreuzanhänger sein. Sie wissen wie ich aussehe und müssen nur verfolgt haben wo sie mich hingebracht haben. Zwei Telepathen im Hirn zu haben die dich von innen nach außen kehren und ihre perversen Spielchen mit dir treiben ist kein Zuckerschlecken. Ich dachte ich müsste kotzen als ich sie in meinem Kopf gespürt habe. Es fühlte sich an wie...“
 

„Ja.. ich weiß, Kleiner. Es fühlt sich wie eine Vergewaltigung an und du hast immer noch das Gefühl als wären sie bei dir. Dir fällt es schwer alleine im Raum zu bleiben und gleichzeitig kannst du niemanden bei dir ertragen weil du nicht weißt wer es ist oder was sie dir weismachen wer sie sind. Zum Glück haben sie keinen so guten Saboteur. Sie haben einige Ghostwhisperer, aber keinen Saboteur. Der letzte bekannte Saboteur hätte nicht einmal vor Ort sein müssen um dich springen zu lassen. Er hätte genauso gut in Russland sein können. Das waren Anfänger.“
 

„Das wage ich zu bezweifeln. Schließlich haben sie mich an den Rand gehen lassen und ließen mich springen.“

„Ja damit wollen sie uns sagen, dass sie mächtiger geworden sind und die Botschaft ist angekommen. Nur überleg doch mal, sie haben zwei Ghostwhisperer gebraucht um dich halbe Portion an den Rand dieses Gebäudes zu bringen. Mich wurde es nicht wundern wenn den Typen der Schädel noch wochenlang davon brummt.“

„Was heißt hier halbe Portion?“, begehrte Bee höchst beleidigt auf.

„Du bist zwar im Auftrag Ihrer Majestät unterwegs gewesen trotzdem bist du ne halbe Portion. Deine Schilde sind lausig im Vergleich zu unseren.“

Ash verstummte einen Moment.

„Sie haben keinen Saboteur, dafür sind sie nicht gut genug. Und derjenge der so etwas mit Spaß an der Arbeit verrichten würde, sozusagen mit einem Fingerschnippen gilt als tot. Selbst wenn er noch leben würde ordnet er sich meines Wissens nicht diesen Handlangern unter. Diese Kategorie steht zu weit oben in der Rangfolge um sich mit dir abzugeben. Momentan scheinen sich die größeren Tiere auf etwas in Asien zu konzentrieren, das ist allgemein bekannt, nur wenn die dort fertig sind kriegen wir ein wirklich großes Problem. Es gibt keine guten Saboteure mehr – meines Wissens.“ Er wiederholte das als müsste er sich selbst beruhigen – oder als wäre er sich nicht sicher und wollte ihn nur beruhigen.
 

„Asien?“
 

Santiago brummte etwas zustimmendes, das bestenfalls als Ja zu werten war. „Dass sie nun eine Kriegserklärung rausschicken lässt mich tatsächlich etwas staunen.“
 

„Das heißt sie sind tatsächlich stärker als wir bisher gedacht haben.“ Bee spürte schon, dass das Gespräch offenbar bald beendet war. Etwas ging also in Asien vor – Anchorage wollte ihnen Daten darüber zeigen. Es war wichtig wenn die Farseer diese Anfrage gestellt hatte.
 

„Mag sein. Ich kann dazu noch nichts sagen. Ruh dich aus...“, begann Santiago das Gesprächsende einzuläuten.
 

„Ja, sicher, Mann und ich glaub ich mach jetzt Schluss muss mich ausruhen, gibt sonst Ärger mit dem Doc, und mit der willst selbst du dich nicht anlegen. Und wenn ‚Her Majesty’ aufkreuzt behandele sie zur Abwechslung mal anständig.
 

„Ach? Und wenn nicht?“
 

„Das ist deine letzte Warnung, Mann. Sonst muss ich dir mal nen Besuch abstatten und wir gehen mal vor die Tür, kapiert?“
 

Santiago lachte sich schlapp am anderen Ende der Leitung. „Wirst schon sehen!“, brummte Bee wenig erwachsen und legte auf.

Er wollte nicht, dass der andere zuerst auflegte das war ihm wichtig. Er wollte das Gespräch beenden, nicht Ash.
 

Bee behielt das Telefon in der Hand und schloss die Augen. Vielleicht bekam er dann nicht mit wenn sich jemand Zutritt verschaffte und ihm endgültig das Licht ausknipste. Was war nur mit Firn?

Seine Lippen zitterten als die Sorge um seinen Freund wieder überhand nahm und er die Tränen hinunterschluckte.
 


 


 

Vielen Dank fürs Lesen!
 

Gadreel ^-^

Ash

Teil 2://Ash
 


 

5.
 

Erst spät am Abend fuhr Hazel Worthington zu ihrem letzten Ziel. Während sie diesem mit mulmigem Gefühl entgegensah nahm sie von ihrer Umgebung, die an ihr vorüberzog nur gelegentlich etwas wahr. Ihre Gedanken hingen fest und drehten sich um die aktuelle Problematik mit dem Orden. Sie saß im Taxi und hielt ihre Handtasche mit dem offiziellen Schreiben - welches einer Ratsversammlung stets vorauszugehen hatte - neben sich auf dem Sitz. Wiederholt ertappte sie sich dabei wie sie an ihrem Haar herumzupfte, den Kragen ihrer Bluse richtete, den Sitz ihrer Jacke korrigierte und generell ihre innere Balance nicht fand. Sie war nervös und die Gedanken die sie sich bezüglich ihrer aller Zukunft machte ließen sie weder schlafen noch ausreichend essen. Sie war dünner geworden in den letzten Wochen und der Schlafmangel hinterließ deutliche Spuren in ihrem Gesicht. Das war natürlich nichts was ein gutes Make-up nicht in den Griff bekam, dennoch sah sie ohne dieses Schutzschild furchtbar aus.

Sie schmunzelte als sie an Bee denken musste, den sie erst kürzlich dafür gerügt hatte nicht still sitzen zu können. Und der ohnehin zu viel Energie in sich trug, die er kaum unter Kontrolle bekam. Still zu sitzen war für den Jungen die Hölle und eine Strafe sondergleichen.

Sie blickte nach draußen, wo der Himmel seine Schleusen geöffnet hatte und die Menschen notdürftigen Schutz in Hauseingängen oder Geschäften vor dieser Sintflut suchten.
 

Wieder strich sie sich durch die glatten schwarzen Haare, die knapp unter dem Kinn endeten um die sich bereits kräuselnden Enden zu glätten. Im Nacken trug sie ihr Haar aus eher praktischen den modischen Gründen stufig - ein Umstand der ihr jetzt nicht wirklich eine Hilfe war. Sie ahnte bereits dass sie schrecklich ungepflegt und abgehetzt aussah. In dieser Aufmachung konnte sie ihm keineswegs unter die Augen treten.
 

Als das Taxi in der Nähe der St. Pauls Cathedral hielt stieg sie aus. Sie hatte die Tür noch in der Hand als ihr auffiel, dass etwas fehlte. Hektisch riss sie die Tür erneut auf, beugte sich hinein und griff sich ihre Tasche.

Innerlich fluchend warf sie die Tür zu und beeilte sich über die Straße zu kommen, die in Richtung Themse führte.

An einem schicken Altbau mit sechs Stockwerken in rostrot mit schönen Stuckverzierungen und Aussicht auf den Fluss der an dieser Stelle eine Biegung machte blieb sie stehen. Sie drückte auf die Klingel unterhalb des protzigen Schildes und drängte sich mehr an die Tür um sich vor dem strömenden Regen zu schützen.

Sie kam sich eher wie eine Bittstellerin als wie der Sentinel des Londoner Ordens vor.

Ihr Ziehvater wäre nie mit einem Taxi gefahren, denn er hätte seinen Wagen vorfahren lassen und sich wie es seinem Stand zuträglich gewesen wäre fahren lassen.

DAS wäre mit Sicherheit würdevoller gewesen als sich wie eine nasse Katze an das Haus zu klammern. Noch während sie darüber frustriert nachdachte wie erbärmlich sie aussah hörte sie Schritte die Treppe herunter kommen und straffte ihre Gestalt. Kurz darauf wurde die Tür entriegelt und dann geöffnet. Sie bemerkte wie sie gescannt wurde und senkte die Schilde ihres ersten mentalen Kreises. Ein Bereich in dem kein Schaden angerichtet werden konnte, der aber insoweit ausreichte um ihre Identität nachzuweisen.
 

Die Tür wurde ihr geöffnet und sie trat in den matt erleuchteten Eingangsbereichs des großen Treppenhauses.

„Ms Worthington“, wurde sie von der persönlichen Agentin des Hausherrn begrüßt und diese verneigte sich leicht ohne den Oberkörper zu bewegen und hielt Augenkontakt. Eine nicht wirklich angemessene Begrüßung aber gutes Personal zu finden war offensichtlich schwer in diesen Zeiten, dachte Hazel leicht verärgert.

Hazel ignorierte diese nachlässige Begrüßung und enthob sich einer wie auch immer gearteten Reaktion. Hätte es Zeugen gegeben wäre dies ein Affront ihrer Position gegenüber gewesen. „Ich muss Santiago wegen dringender Ratsangelegenheiten sprechen.“
 

Claudette Weldrich verbat sich einen Kommentar über die sommerlichen Wetterkapriolen und amüsierte sich eher im Stillen über den Aufzug der stets tadellos gekleideten Frau. Sie hatte ihr schließlich bereits gezeigt was sie von ihr hielt: nämlich gar nichts.

Ihre Pumps und die Strumpfhosen waren nass und die schwarzen Haare sonst eher in einer akkurat sitzenden Frisur gefasst kräuselten sich genauso widerspenstig wie ihre Mundwinkel.

Es war tröstlich wenn sich manche Dinge nicht änderten, befand Claudette ironisch.
 

„Der Rat?“, fragte Claudette und machte immer noch keine Anstalten sie hinauf in die Empfangsräume zu geleiten wie es eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre. Claudette war ein fähiger Scanner auf hohem Niveau. Sie war zwei Jahre älter als Hazel und würde sicher irgendwann zum Whisperer aufsteigen dessen war sich Hazel sicher. Claudette hegte eine ausgesprochen leidenschaftliche Abneigung gegen ihre Person.
 

Wenigstens musste sie dieses Gespräch nicht auf der Straße führen. Es war wohl der ihr anerzogenen christlichen Nächstenliebe zu verdanken, dass sie Hazel in den Hauseingang vorgelassen hatte.
 

„Santiago gehört zum Rat falls Ihnen das entgangen sein sollte Ms Weldrich“, entgegnete Hazel gelassener als sie sich im Augenblick fühlte. Ihr Blick schweifte kurz in Richtung Treppenaufgang, sie vermied es aber hinauf zu sehen ob Ash Santiago nicht schon dort stand um sie in Augenschein zu nehmen und sah stattdessen Claudette erneut auffordernd an.

„Ich stehe hier nicht zum Vergnügen Claudette. Hätten Sie nun die Güte Santiago über mein Hiersein zu unterrichten?“ Sie wollte dem Oberhaupt der Rotwölfe nicht begegnen, aber es war ihre Pflicht und die würde sie erfüllen. Auch wenn sie hier wie eine nasse Katze herumstand, den Boden volltropfte und sich dafür einen spöttischen Spruch von Santiago einfangen würde. Falls dieser auftauchte – was sie nicht hoffte.
 

„Das tut mir sehr Leid, aber er hat nicht mit ihrem Besuch gerechnet. Ist er denn offiziell darüber unterrichtet worden oder ist dies eher ein privater Besuch, Ms Worthington?“

Hazel sah worauf das hinaus lief. Sie sah der Frau in die Augen und erkannte es. Der harte kalte Stahl der ihr dort entgegensprang sprach eine deutliche Sprache: Sie würde hier nicht weiterkommen.

„Es ist wichtig, Ms Weldrich. Eine offizielle Anfrage an das Haus der Rotwölfe wurde aufgrund der Dringlichkeit und der Unsicherheit über die Netzkanäle zu kommunizieren als zu gefährlich eingestuft.“
 

„Das ist natürlich ein Dilemma“, sagte Claudette in bedauernden Tonfall aber Hazel las zwischen den Zeilen dass es ihr tatsächlich völlig egal war.

„Mr Santiago hat ausdrücklich die Order gegeben ihn nicht zu stören. Von niemandem. Er hat einen Gast sie verstehen, sicherlich.“
 

Natürlich verstand sie. Er lag im Bett mit einer Frau oder einem Mann, ein Umstand der vorstellbar und keineswegs im Rahmen des Unmöglichen war.

Sie öffnete ihre Handtasche, die noch immer über ihrer Schulter hing aber von Größe und Umfang ausreichte um sie blind zu öffnen, hineinzugreifen und auch noch sofort das zu finden weswegen sie sich jetzt die Mühe gemacht hatte herzukommen.

Sie fühlte den breiten Umschlag mit dem Logo, der in den schwarzen Umschlag imprägniert war und zwei Wölfe zeigte die sich gegenüberstanden und ein rotes Kreuz hielten. Die Wölfe waren mit nur wenigen stilisierten Strichen gezeichnet, die Augen der beiden Wölfe leuchteten golden. Der Hintergrund war stets weiß. Der eine Wolf sah den Betrachter an, der andere blickte vom Betrachter weg. Acht Schwerter umrundeten sie.
 

Sie reichte den Umschlag weiter. „Falls er nicht zum Treffen erscheint gehe ich davon aus, dass er sich mit seinem Haus den Rosenkreuzern angeschlossen hat.“
 

„Nun... Ms Worthin....“, fing Claudette nun doch wachgerüttelt an aber Hazel hatte keine Geduld mehr sich mit ihr zu beschäftigten. Sie hatte genug von Claudettes Gegenwart.

„Sorgen Sie dafür Ms Weldrich dass er den Umschlag erhält, natürlich nur falls er sich von seinem kleinen Abenteuer lösen kann.“ Sie öffnete die Tür und verließ das Haus.
 

Claudette schloss die Tür. So hatte sie den Sentinel noch nie reden gehört. Abenteuer? Claudette lächelte amüsiert und spielte mit dem Umschlag in ihrer Hand als sie das Licht im Eingangsbereich löschte und hinauf in den dritten Stock stieg. Die Wut war nur in ihren Augen zu sehen gewesen. Es amüsierte Claudette ungemein wie beherrscht Hazel selbst in diesen Situationen war.

Sie betrat das Arbeitszimmer ihres Bosses und wedelte mit dem Umschlag. Der telefonierte noch und winkte sie heran.

Sie hatte somit Gelegenheit ihren Blick über seine attraktive Gestalt gleiten zu lassen. Der maßgeschneiderte Anzug dessen Jacke über dem Bügel hing ließ ihr viel Raum für allerlei Gedankenspiele, denn er betonte das Vorhandene auf gerade zu vorzügliche Art.

Als er sein Telefonat beendet hatte stand er auf und kam ihr entgegen. „Wer war’s?“
 

„Ein Runner Ihrer Majestät offensichtlich“, sagte sie und wedelte erneut mit dem Umschlag.

„Der Kleine kanns nicht gewesen sein, den haben sie erwischt, er liegt im Krankenhaus. Also war’s sie selbst, Claude? Und hör auf sie so zu nennen.“

Claudette verzog den Mund abfällig. „Kann sein.“

„Und warum hat sie es nicht persönlich abgegeben?“, fragte er wie beiläufig. Er presste die Lippen zusammen, griff sich den Umschlag und wandte sich ab um ihn zu öffnen. Er machte sich natürlich seine eigenen Gedanken dazu. Waren sie schon so weit gekommen, dass sie seinen Anblick nicht einmal mehr zu offiziellen Gelegenheiten ertragen konnte? Bitterkeit spiegelte sich auf seinem Gesicht.
 

Claudette, der diese Gefühlsregung entging lächelte bedauernd. Sie strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus der Hochsteckfrisur gelöst hatte. „Nun, sie sagte sie wolle sich nicht länger als nötig in diesem Etablissement aufhalten, sie hätte dringendere Angelegenheiten zu erledigen und könne dir leider nicht den Respekt entgegenbringen, der dir als Mitglied des Rates zusteht.“
 

Er wandte sich halb zu ihr um und lächelte spöttisch, als er den Brief aus dem Umschlag entnahm. Die verschiedenfarbigen Augen nahmen sie ins Visier und zeugten von einer Emotionskälte die sie für den Moment erschreckte. „Den letzten Part hast du schlecht erfunden, Claudette. Das hätte sie niemals gesagt, denn sie lässt diese Dinge eher ungesagt, die du hier veräußerst. Den Anfang jedoch würde ich ihr tatsächlich noch zutrauen.“ Er wandte sich wieder ab. „Erfinde nie wieder Worte und lege sie ihr in den Mund oder du bist draußen. Sicher gibt es genügend Arbeit bei den Rosenkreuzern, die dich sicher gerne aufnehmen würden“, sagte er als wäre er nur marginal daran interessiert was mit ihr passierte.
 

Claudette hielt den Atem immer noch an selbst als er sie aus seinem Fokus entlassen hatte und verneigte sich tief. „Fahr den Wagen vor, ich werde in die Klinik fahren“, fügte er im gleichen beiläufigen Tonfall an während sie sich aufrichtete.
 

Sie zögerte keine Sekunde, verließ fluchtartig den Raum und schloss die Tür hinter sich. Da war sie wohl etwas über das Ziel hinausgeschossen -

Zeit ihren Fehltritt wieder auszubügeln. Sie löste sich von der Tür und stand für einen Moment grübelnd in dem hohen viktorianischen Treppenhaus.

Adrian Smith – ihr Chauffeur hatte heute seinen freien Tag, sie hatte nichts dagegen, dass sie Ash durch die Gegen fuhr, so machte sie sich weniger Sorgen darum, dass ihm etwas passierte.
 

Grübelnd kaute sie auf ihrer Unterlippe herum während sie hinüber in ihr eigenes Büro ging um sich die Wagenschlüssel zu holen. Das war nicht gut gelaufen.

Aber sie würde dieser pseudoaristokratischen Schlange niemals erlauben sich ihrem Boss wieder zu nähern. Alles was diese Frau konnte war andere Menschen zu nehmen und sie auszunutzen um sie dann in den Staub zu treten wenn sie ohnehin schon zerbrochen waren.
 

Von diesen Gedanken nichts ahnend las Ash den Brief und verbrannte ihn anschließend mit dem Feuerzeug mit dem er sich eine Zigarette anzündete.

Er löschte das Licht und lehnte sich an eine der Außenwände um aus dem Fenster auf die Themse zu blicken. Der sommerliche Schauer war in einen feinen Sprühregen übergegangen. Die Lichter der Stadt spiegelten sich nur matt in den Bewegungen des Wassers wider. Die Erinnerung an ihre, gemeinsame unschöne Vergangenheit blitzten auf sobald er ihren Namen hörte.
 

Seit den Tagen in denen er gegen ein Team bestehend aus einem Telekineten und einem Telepathen gekämpft hatte und Hazel und er mehr als einen Tag in ihrer Gefangenschaft gewesen waren hatten sich ihre Begegnungen auf das Nötigste beschränkt. Das war lange her und er wollte es jetzt nicht aufwühlen.

Ihrer gemeinsamen Fürsorge für Bee - den jungen Runner den es jetzt erwischt hatte - geschuldet ließen sich gelegentliche Telefonate nicht vermeiden.
 

Es gab wenige Tage an denen er nicht daran dachte was er falsch gemacht hatte und wie ihr Vater sie so kaltherzig hatte erziehen können. Sie verachtete ihn aufgrund seiner Herkunft, seines Aussehens und seiner Schändung, sodass es für ihn beinahe körperlich zu spüren war. Vielleicht hatte Claudette recht damit sie von ihm fern zu halten. Jedes Mal wenn sie beide aufeinandertrafen war die Luft mit hitzigen Wortgefechten und dem Gefühl von Verachtung erfüllt.
 

Er rauchte seine Zigarette zu Ende und ging dann in das Badezimmer, das sich seinem Büro anschloss. Er band sich die grauschwarzen Haare am oberen Hinterkopf zusammen und strich fast schon aus Gewohnheit etwas Narbencreme über die silbrig weiße Narbe, die sich von der Schläfe am Ohr vorbei und über den Kiefer bis zum Hals hinunter zum Kehlkopf erstreckte.

Nun, sie wollten ihm das hübsche Gesicht vom Körper schneiden wie sie damals gesagt hatten. Angefangen hatten sie bereits nur kam ihnen dann ein Mädchen dazwischen, das ihnen so viel Energie entzogen hatte, dass sie zu keiner Reaktion mehr fähig waren.

Aber sie hatten ihr Ziel erreicht. Er wurde nicht umsonst: dreckiger Ash genannt. Vielleicht lag es auch daran, dass er wenig Spaß mit denen verstand die ihn verarschen wollten.
 

Er nahm sich seine Jacke von der Garderobe als er seine Räumlichkeiten verließ.
 


 

In der Klinik angekommen- es war weit nach 21.00 Uhr - zeigte Ash seinen Ausweis vor und wurde in die Kinderintensivstation eingelassen.

„Wundern Sie sich bitte nicht Mr Turner aber Benjamin hat ein leichtes Fieber, das ist normal aber er redet wirr und ist nicht ganz orientiert. Es wundert schon etwas, dass das Fieber so schnell kam aber ich vermute, dass es eine Schockreaktion vom... ‚Unfall’ ist.“
 

Ihr Tonfall sollte ihm sagen, dass sie nicht an einen Unfall glaubte.

„Es war sicher ein Unfall Dr. Labidi. Mein Sohn würde sich nicht das Leben nehmen, dazu hat er zu viel Spaß daran. Ich weiß nicht was er dort oben auf dem Dach des Gebäudes zu suchen hatte...“

„Verzeihen Sie bitte Sir, ich wollte nichts unterstellen, aber es ist wichtig zu wissen ob er noch gefährdet ist, denn wenn er dies in unserer Klinik noch einmal versuchen sollte stehen wir in der Verantwortung. Er hat schließlich eine richterliche Veranlassung...“

„Nun das verstehe ich, aber solange er auf der Intensivstation ist wird doch die übliche Überwachung gewährleisten, dass er bei Ihnen unter ständiger Beobachtung ist.“

„Selbstverständlich. Wir sollten auch einen Kinderpsychologen hinzuziehen um die weitere Gefährdung abzuklären.“

„Machen Sie das. Danke.“
 

Er ging in das ihm gewiesene Zimmer und ein Keuchen empfing ihn in dem halbdunklen Zimmer, das von einer Lampe mit warmem Licht erhellt wurde. Bee hatte sich ruckartig aufgesetzt und schüttelte hektisch den Kopf, dabei versuchte er wegzurutschen was ihm durch das Metallgestänge an seinem Oberschenkel nur schwer gelang. „Oh man, Kleiner.“ Ash schloss die Tür leise und ging zum Bett.
 

Der Junge wehrte sich gegen ihn, als er sich zu ihm ins Bett setzte und ihn an sich zog. „Ich bin’s, Santiago. Alles ist gut, Kleiner, beruhige dich. Du bist im Krankenhaus, dich hat’s erwischt, aber keiner will dir etwas tun.“ Ein leiser Alarm ging an als sich der Junge an die Seite fasste. Eine Pflegerin sah herein und öffnete die Tür. Sie begrüßte ihn und klippte das Kabel mit der Klammer wieder an die Klebeelektrode an seiner Flanke, die er sich wohl abgerupft hatte.
 

In der Zwischenzeit hatte sich Bee wieder etwas beruhigt. Seine Augen glänzten fiebrig, das Gesicht war heiß, die Wangen glühten rot.

„Wir haben ihm das Hemd ausgezogen nachdem er es sich ohnehin ständig runterzieht. Ich hole ihm ein Medikament gegen das Fieber, einen Moment bitte.“
 

Die Tür schloss sich wieder und Ash lehnte den noch unruhig zappelnden Jungen an seinen Körper. Er umarmte ihn vorsichtig und bettete den glühenden Kopf an seine Brust. „Komm, schlaf etwas.“ Er schloss die Augen als er mentalen Kontakt aufnahm aber ihm nur wirres Zeug entgegenquoll. Er drang tiefer und erst dort wurde klarer, dass der Junge tatsächlich reale Ängste hatte, die durch das Fieber nur verstärkt wurden.

‚Sie töten mich. Sie kommen heute Nacht. Pass auf. Pass auf dich auf. Ich darf nicht einschlafen. Wenn ich einschlafe kommen sie und holen mich. Keiner ist bei mir. Ich bin allein. Niemand kommt zu mir. Niemand kommt zu mir weil ich schwach bin. Schwache braucht keiner. Firn, wo ist Firn? Ich hab ihn im Stich gelassen. Ich bin Niemand. Zu einem Niemand kommt auch niemand. Keiner liebt mich. Keiner hält mich. Keiner wärmt mich. Keiner tröstet mich. Keiner liebt mich...’
 

Eine Endlosschleife, die Ash nun unterbrach. Er fühlte in sich selbst hinein, zog den Jungen näher zu sich und spürte dem Gefühl nach Nähe nach, verstärkte dies in dem er ihm leise vorsummte und spürte wieder in sich hinein. Das Gefühl der Geborgenheit dass sich nun langsam in dem Jungen und sich selbst ansatzweise bildete verstärkte er mental durch die Empathie, die er übte. Danach vertrieb er die Gedanken des Jungen in dem er Sätze in dessen Gedanken projizierte die ihm suggerierten wie sehr er geliebt wurde, wie sehr geschätzt und gebraucht.

Dass er nicht alleine war und dass er beschützt wurde.
 

Die Schwester kam und ging wieder und nach einer Stunde war Bee eingeschlafen und lag entspannt an seiner Brust. Er ließ ihn zurück aufs Bett und Bee gab ein gequältes Wimmern von sich. Ash strich ihm die verschwitzten Haare aus dem Gesicht. „Schlaf, es ist alles im grünen Bereich, ich bleibe bei dir.“
 

Er zog sich den aus der Ecke des Intensivzimmers einen beigefarbenen altmodischen Sessel heran den Mütter oder Väter benutzten wenn sie über Nacht am Bett des Kindes blieben und setzte sich. Er richtete es sich bequem ein und schloss ebenfalls die Augen. Das letzte was er sah waren die ruhigen Atemzüge eines Jungen, der dazu genötigt worden war von einem Haus zu springen. Über den Gedanken daran wie wahnsinnig das war dämmerte auch Ash ein.
 


 

6.
 

Am nächsten Morgen wachte Ash darüber auf, dass ein vorwitziger bestens gelaunter Junge sich den Spaß erlaubte und ihm den Sauerstoffsättigungsclip überstreifte und nicht wie eigentlich angedacht sich selbst. Bee sah auf den Monitor während Ash verhalten gähnte und seine Glieder sortierte. Er fühlte sich tatsächlich wie gerädert und vielleicht noch gevierteilt, darüber war er sich noch nicht ganz schlüssig.

„Du rauchst zu viel, eindeutig.“

Ash sah auf den Monitor, konnte aber von den Zahlen nicht viel ablesen.

Er sah ihn sparsam gelangweilt an. Er hätte jetzt etwas weniger Charmantes sagen können aber das Bild des panisch verzweifelten Jungen der an seiner Brust gelehnt hatte kochte ihn weich. So zuckte er lediglich mit den Schultern und lehnte sich wieder im Sessel zurück.

„Du bist heute gar nicht angriffslustig“, sagte Bee und hob beide Brauen fragend. Er sah besorgt aus. „Mir ist die Angriffslust so ziemlich vergangen, ich spar sie mir lieber für jemand anderen auf.“
 

„Für die eiserne Lady?“ Bee grinste frech.
 

Ash legte den Kopf gelangweilt schräg und sah ihn spöttisch auffordernd an als käme da noch etwas.

Bee zog eine Schnute. „Sie war gestern genau dort gesessen wo du jetzt sitzt. Und sie war länger als nur fünf Minuten hier gewesen.“

„Und?“

„Was und? Sie hätte auch gar nicht kommen können.“

„Sie ist der Sentinel dieser Familie. Wir nennen uns Londoner Standpunkt, Londoner Vereinigung, was weiß ich... aber im Grunde genommen sind wir eine Familie. Sollten wir zumindest sein und sie ist unser Repräsentant und gleichzeitig unser Schild nach außen.“

Ash war viel zu emotional wenn es darum ging, er rief sich wieder zur Räson und sah zum Fenster hinaus das den neuen Tag umrahmte wie ein trauriges Bild welches an einer vergilbten Wand hing.
 

„Soweit ich weiß hat jeder Sentinel einen Guardian. Und sie hat keinen. Wie soll sie das alles alleine schaffen?“, begehrte Bee auf und ruderte mit den Armen, was ihm kurz danach ein Zischen entlockte und er verzog sauer darüber das Gesicht.

Ash blickte immer noch nach draußen. „Kein Guardian, Kleiner“, erwiderte er nachdenklich.

„Das ist schon lange Geschichte. Die nichtaktiven Menschen haben doch ohnehin keinen blassen Schimmer was hier abgeht, wie wollen sie sich dann noch vor uns stellen und uns verteidigen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die sich in diesen Krieg einmischen und Kämpfe gegen die Rosenkreuzer oder gegen PSI im Allgemeinen je gewinnen könnten.“

„Na gut dann kein Guardian. Dann eben Defender, von mir aus. Anderer Begriff gleiche Aufgabe, Mr Spitzfindig. Außerdem muss ja wohl irgendjemand die Obermotze von den Rosenkreuzern umgenietet haben oder nicht? Sonst würden ja immer noch die alten Regeln gelten und wir würden nicht gejagt und abgeschlachtet wie Vieh.“
 

Ash wandte ihm das Gesicht zu. Ein Kind sollte nicht so reden, er war ja noch nicht einmal in der Pubertät. Er seufzte ausgiebig und verzog das Gesicht, rieb sich über den Dreitagebart. Mist da fiel ihm ein, dass er sich noch auf heute Abend vorbereiten musste. „Ash?“
 

„Ja doch, Junge. Klar hat irgendjemand die Drei auf dem Gewissen, oder eher nicht, wie ich vermute. Sie sind nämlich schlicht und ergreifend von dem Hund den sie gefüttert haben gebissen und dann zerfleischt worden.“
 

„Wohl eher vom Wolf.“ Bee lachte und Ash runzelte die Stirn, er sah Bee nachdenklich an als die Tür sich öffnete und die Pflegerin mit dem Frühstück reinkam. „Du kannst später essen wenn du möchtest, Benjamin.“

„Klar, danke!“
 

Die Pflegerin lächelte seinem ‚Vater’ zu und verabschiedete sich. Jetzt war Schichtwechsel. Übergabe fand vor dem Zimmer statt. Was ihnen beiden ganz gelegen kam, da sie ungestört reden konnten.

Bee musste daran denken, dass sie nach Anchorage reisen sollten um unter anderem zu klären welche Informationen bezüglich der Aktivitäten in Asien für sie interessant sein könnten.

„Ich meine, wer könnte so stark sein um die Typen umzunieten? Meinst du das waren wirklich Schüler von ihnen gewesen wie man es sich so erzählt? Da steckte doch sicher mehr dahinter. Vor allem versteh ich bis heute nicht was die Typen - alle Drei - in Japan wollten. Voll bescheuert wenn du mich fragst. Einer hätte zwecks Machterhalt und so, daheim bleiben können. Aber nein da gehen alle drei und sterben auch schön brav an einem Ort.“
 

„Du hast wirklich einen ausgeprägten Sinn für Verschwörungen, Kleiner“, sagte Ash. „Aber so weit hergeholt ist das nicht. Sie hatten dort sicher größeres vor wenn die komplette Trias sich aus ihrer Deckung herauswagt.“
 

„Na hör mal wenn DAS keine Verschwörung war was dann?“ Bee schnaubte in Verwunderung über so viel Ignoranz von Seiten Ashs.

„Was glaubst du denn was es war?“ Bee hatte Durst und sah zur Seite um an das Tischchen zu kommen auf dem sein Getränk stand. Ein Unterfangen, dass schwieriger war als zunächst gedacht.
 

Ash reichte dem Jungen das Wasser nach dem er gerade hangelte.

„Die Gunst der Stunde?“ Ash zuckte die Schultern als er sich wieder setzte.

„Machtgier? Unüberlegte Handlung? Wer weiß das schon. Es kamen zu der Zeit wenig, bis keine Informationen aus Japan heraus. Klar war nur, dass es zu der Zeit ziemlich heiß herging. Das Land wurde überrannt von terroristischen Gruppen und ergriff wenig legale Gegenmaßnahmen. Warum das alles so geballt innerhalb von zwei Jahren kam lässt sich für mich nur durch den Einfluss von SZ erklären. Aber was sie dort wollten...“
 

Ash konnte den Gedanken nicht mehr fassen der ihn vorhin so flüchtig wie Rauch vor der Nase gehangen hatte.

„Ich muss langsam los, Kleiner, kommst du klar?“
 

Bee nickte und lächelte brav wie es von ihm nach so einer Frage erwartet wurde.

Ash wuschelte ihm noch durch die Haare und schnickte ihm an die Nase. „Brav bleiben und halt durch bis du so weit bist, dass wir dich hier rausbringen können.“
 

„Jepp.“
 

Ash verließ die Station und die Klink. Da er nicht gewusst hatte wann er sich von Bee verabschieden konnte hatte er Claudette samt Wagen wieder nach Hause geschickt. So fuhr er jetzt mit dem Taxi zurück zu seiner Wohnung.

Er duschte, rasierte sich, wusch sich die Haare und weckte Claudette schließlich. „Arrangiere ein Treffen mit allen. Ich will wissen wie die anderen zu der Erklärung der Rosenkreuzer stehen.“
 

„Zu welchem Zeitpunkt?“, fragte Claudette mit noch rauer Stimme und schlüpfte in ihren Morgenmantel.

„Am besten bereits Gestern.“

Claudette sah ihn lediglich fragend an. „Mittag reicht aus. Es ist Samstag. Einige haben Mittag Feierabend, der Rest Mittagspause, wiederum andere frei. Wer nicht erscheint, hat entweder seine Meinung zu dem Thema bereits gefasst oder hat ein akutes Problem mit den Rosenkreuzern.“
 

Claudette nahm ihr Pad vom Nachttisch und hastete ihm hinterher. Sein schwarzer Anzug und das weiße Hemd ließen ihn aussehen wie aus einer dieser Parfumwerbungen, vor allem weil sie das passende weibliche Pendant in ihrem halb offenen Morgenmantel abgab als sie die Treppe nach ihm hinuntertrippelte und Notizen auf ihr Pad tippte. Das halb durchsichtige Negligé machte ihr Outfit auch nicht gerade weniger offenherziger. Ash störte sich nicht daran, er hätte höchstens Anstoß daran gefunden wenn sie ihm nicht sofort gefolgt wäre.

„Die Termine für die Soyans und die Belgatos kannst du alleine bedienen. Sie bestehen nicht auf meine Anwesenheit. Das heißt wir müssen sie nicht streichen. Im Club sehe ich nach dem Treffen vorbei. Das muss reichen. Informiere Tom darüber.“
 

„Und wo gehst du jetzt hin?“, fragte sie als Adrian Smith, der Chauffeur die Tür öffnete und ihnen einen guten Morgen wünschte. Er war ein Nichtaktiver und dachte sie wären ein Paar, was auch den Eindruck erwecken sollte.
 

„Das überlass mir, meine Hübsche. Und zieh dir etwas an“, sagte Ash mit einem Lächeln, dass einen Hauch zu viel Zähne zeigte, wie sie fand. Adrian nickte zum Abschied. „Ms Weldrich.“

Sie hielt mit der rechten Hand ihren Morgenmantel zusammen und lächelte ihn kühl an, kühler als ihre Wangen sich anfühlten bei dem freundlichen professionellen Lächeln dass er stets für sie vorgesehen hatte.

Er schloss die Tür und sie starrte diese noch eine Weile an. Adrian Smith hatte es ihr angetan, aber sie hatte keinen Schimmer ob er es genau so sah und war viel zu ehrenhaft, dass sie eine ‚Affäre’ mit ihm überhaupt in Erwägung ziehen durfte.

Sie seufzte und machte sich wieder auf den Weg nach oben um die Anweisungen auszuführen, die Ash ihr aufgetragen hatte. Es hatte nicht nur Vorteile mit Ash Santiago vor den Augen der Welt liiert zu sein. Adrian Smith rückte somit in weite Ferne und war nicht greifbar für sie.
 


 


 


 

7.
 

Hazel besichtigte den Raum, der für die Ratstreffen vorbereitet war und stets auf Abruf bereit stand. Früher war dieser Raum einmal gefüllter gewesen. In der Mitte stand ein Stuhl auf dem der Sentinel Platz nahm. Er saß im Licht während die Mitglieder des Rates um ihn herum platziert waren und im dunklen lagen. Der Sentinel war mit allen mental verbunden und war der geistige Moderator falls die Wortgefechte zu harsch wurden. Früher waren es einmal über zwanzig Ratsmitglieder gewesen. Heute nur mehr fünf. Alle Fäden liefen beim Sentinel zusammen und dieser hielt sie als Anker während des Treffens. Ein fähiger Sentinel konnte solch eine Zusammenkunft lange – Tage wenn es sein musste - aufrecht halten. Ein Treffen bei dem nicht alle Themen angesprochen wurden, oder es zu einem Ergebnis gekommen war galt als gescheitert. Dieses Scheitern wurde dem Sentinel zugesprochen. Da sie kein Telepath war musste jemand anderer das Netz spannen und ihr dann übergeben.
 

Sie ging die einzelnen Stühle mit hoher Lehne ab, berührte jeden einzelnen mit ihrer Hand, fuhr die Maserung des alten Holzes nach und setzte sich schließlich auf den fünften Stuhl, der dem Ratsmitglied Santiago zugedacht war. Er vertrat das Haus der Rotwölfe, einem Haus dessen Mitglieder sich von Olofs erstem Gesetz der Separation abgewandt hatten. Sie mischten sich mit PSI ähnlich wie die Rosenkreuzer aber sie lehnten gezieltes Training ab. Somit standen sie am Rande des Ordens und wurden seit jeher misstrauisch beäugt. Sie nahmen eine Sonderposition unter den Häusern ein und wurden von vielen nur ‚die Verbotenen Kinder’ genannt.
 

Es war nicht gut angekommen, dass sie Ash vor vier Jahren einen Platz im Rat angeboten hatte, aber sie war in Not gewesen und schlechte Zeiten erforderten besondere Maßnahmen.

Laut der gängigen Meinung der PSI sollten diese Verbotenen Kinder keineswegs irgendein Mitspracherecht über ihre schwindende Gemeinschaft besitzen.

Als sie so dasaß auf dem Stuhl, dessen Holz bereits an den Seitenlehnen abgenutzt und poliert war und ihren eigenen Stuhl in der Mitte vor sich betrachtete, wurde ihr flau im Magen. Heute Abend würde es zu einer Entscheidung kommen, die weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Ihre Gemeinschaft würde kleiner werden. War das vielleicht das Ende? Und was dann?

Ihr blieben nicht viele Optionen wenn sie die Häuser zusammen halten wollte. Würde sie in die Geschichte eingehen als diejenige, die den Untergang der PSI in London nicht aufhalten konnte? Wenn sie fiel dann hatten sie keine Chance mehr in der Welt gegen die Rosenkreuzer zu bestehen. Aber sie waren keine Kämpfer.

Wie oft hatte sie sich das schon gesagt? Wie oft hatte sie daran gedacht ihren Kurs radikal zu ändern?

Zu oft.
 

Hazel zog ihre Beine auf den Stuhl und drehte sich seitlich, sie legte den Kopf an die Lehne und schloss die Augen. War es ein Fehler von ihr gewesen den Verbotenen Kindern einen Platz in ihrem Kreis zu gestatten?

Das Haus der Rotwölfe zählte an die fünfzig gemeldete Mitglieder. Vielleicht ein oder zwei mehr die ihr nicht genannt wurden. Ob Santiago ihr einige verschwiegen hatte war in diesem Fall nicht unerheblich. Sie konnten das Zünglein an der Waage sein wenn es darum ging zu entscheiden wie sie mit diesem Schmierblatt von Rosenkreuz umgehen sollten.

Es gab keine Aufzeichnungen oder Dokumente über ihre Personalien, denn Hazel kannte sie auswendig. Sie war die Einzige die den Aufenthaltsort und die Profession eines Jeden kannte. Die Unterlagen die ihr Ziehvater angelegt oder von seiner Vorgängerin übernommen hatte waren ihr damals ein Dorn im Auge gewesen. So hatte sie diese im Beisein von Amy vernichtet. Das war vor drei Jahren gewesen. Das hieße über diesen Weg konnte keiner ihre Gemeinschaft aufdecken. Die Einzige ...
 

Sie selbst war die Schwachstelle die, die Mitglieder von Rosenkreuz knacken mussten um an alle Daten ihrer Gemeinschaft zu kommen.

Was ihr nicht gerade ein gutes Gefühl bescherte.
 

Nur eine Handvoll Mitglieder wusste, wer der Sentinel der Londoner Gemeinschaft war. Unter ihnen war allgemein bekannt, dass es ein Ziehkind des vorherigen Sentinels war, aber dieser hatte fast zehn davon und es wurde nicht bekannt gegeben wer seinen Platz eingenommen hatte. Aus Sicherheitsgründen, wie sie damals verlauten ließ und es war eine gute Entscheidung gewesen, die der Rat uneingeschränkt unterstützt hatte.

Und wer glaubte schon, dass ein Runner der nächste Sentinel werden würde? Ein Scanner war üblicherweise der Favorit für diesen Posten, aber bestimmt kein Runner.

Konnte sie sich deshalb sicherer fühlen?
 

Sie tat es zumindest nicht, aber sie hatte alles getan um die Daten zu schützen. Nur wer... schützte sie?

Einige wenige wussten wer sie war aber der Kreis war klein und wie so oft in den letzten Jahren blieb jeder für sich. Nachwuchs stellte sich in den letzten Jahren so gut wie gar nicht mehr ein. Beziehungen zu nichtaktiven Menschen hielten tatsächlich meist nur so lange wie ihre Fähigkeiten geheim gehalten werden konnten. Furcht und Unverständnis prägte diese Beziehungen und waren deshalb nicht von Dauer. Die Kinder aus solchen Beziehungen wurden unter Zuhilfenahme von Scannern und Whisperern vor Gerichten den PSI zugesprochen und so blieben sie wieder unter sich. Diese Kinder wuchsen in ihrer Gemeinschaft auf. Sie kannten ihre Geschichte und die Notwendigkeit den Kontakt zu ihrer leiblichen nichtaktiven Elternhälfte zu vermeiden. Besuche aus der Ferne waren erlaubt. Es war sehr schwierig und an manchen Tagen konnten sich regelrechte Dramen daraus entwickeln, vor allem wenn die Kinder bereits älter waren.
 

Hazel öffnete die Augen und sah in die Dunkelheit hinein. Sie hatten ihre Kultur und ihr Erbe gegen die Wand gefahren.

Auf der Flucht, weil gejagt und keine Aussicht auf die Zukunft, die ihnen Olof Strigo prophezeit hatte, was war da aus ihnen geworden?
 

Sie waren vielleicht besser dran sich Rosenkreuz anzuschließen. So jedenfalls hatten sie keine Chance wenn es zu einem Kampf kommen sollte. Wie denn?

Ein paar wenige kannten sich mit Waffen und deren Benutzung aus, aber es waren vielleicht fünf, sechs. Jeder anderer scheute sich davor eine Waffe auch nur in die Hand zu nehmen oder sie gegen einen anderen Menschen zu benutzen. Lieber starben sie.
 

In den letzten vier Jahren waren aus ihrem Verbund Hundertsiebzig Mitglieder aus der Londoner Vereinigung, die ganz England vertrat verschwunden. Leichen waren nie gefunden worden.
 

Vor einigen Tagen war von einem Scanner in Anchorage Alaska eine Nachricht eingegangen, dass es in Asien - genauer in Japan einen hohen PSI Ausschlag gegeben hatte. Er konnte jedoch noch nicht genau sagen wo und warum dies so war.

Er ging davon aus, dass dieser Ausschlag am ehesten von einem Destroyer ausgehen konnte – das Äquivalent zu einem sehr mächtigen Telekineten.
 

Was mit Firn geschehen war konnte noch nicht gesagt werden. Amy hatte noch keinen Kontakt nach Anchorage aufnehmen können, die sich damit meist sehr viel Zeit ließen.
 

Aus Japan hatten sie seit Jahren keine nennenswerten Aktivitäten mehr verzeichnet. Vielleicht gab es dort wieder PSI - jetzt nachdem sich die Lage dort beruhigt hatte. Sie hatte die Hoffnung, dass es ein junger Destroyer war, der erst jetzt seine Fähigkeiten entdeckt hatte und vielleicht ihre Hilfe brauchte. Sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass sie noch mehr zu tun hatten in dieser Welt als sich zu verstecken und davon zu laufen. Falls es ein junger Destroyer war mussten sie ihn so schnell es ging finden und in ihren Schutz nehmen. Sie mussten ihn vor den Rosenkreuzern finden.
 

Aber was wenn sie in die falsche Richtung gedacht hatte? Was wenn es einer der Rosenkreuzer gewesen war und dort immer noch ein heftiger Kampf tobte? Aber gegen wen?
 

Sie waren keine Kämpfer, keiner Krieger. Es lag ihnen fern das Leben anderer zu nehmen. Sie konnten es eine Zeit bewahren und Menschen helfen, was sie auch in ihren alltäglichen Berufen auch taten. Ihre Modelagentur war eine Scheinfirma, die Modells die hier arbeiteten waren PSI die sie in die Welt hinausschickte um Missionen zu erfüllen bei denen nur sie helfen konnten. Sie bekamen Anfragen von Vermittlern, die Menschen mit speziellen Begabungen suchten.

Amy hatte ihr heute die Anfrage eines Mannes geschickt dessen Frau im Wachkoma lag und einen Menschen suchte der ihr vorlas, der ihr ein Stück weit Wahrnehmung zurückgab. Er hatte von ihrer Firma gehört die Menschen, mit speziellen Fähigkeiten vermittelte.
 

Nur hatte sie diese Firma vor drei Jahren geschlossen und eine Modellagentur aufgemacht.
 

Obwohl es die Firma mit dem Namen Moonlight nicht mehr gab suchten die Menschen trotzdem noch nach ihr. Sie hatte Vermittler eingerichtet, die besonders hartnäckige Suchende durchleuchtete und schlussendlich einen Kontakt mit Hazel herstellte.
 

Im Fall der Frau im Koma hatte Hazel einen fähigen Whisperer ausgesucht der momentan mit Kindern in einem Heim arbeitete. Er war gut darin verlorene Pfade im Geist zu finden und sie zu knüpfen. Ob sie ihn unter den gegebenen Umständen nach Deutschland schicken konnte wagte sie zu bezweifeln.
 

In Deutschland gab es wenig PSI, sie alle waren nach London gekommen als die Jagd auf sie eröffnet wurde. Sandra eine Deutsche hatte ihr berichtet, dass es noch vereinzelte gäbe sie sich aber völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hätten und abgeschieden lebten. Sie wagten es nicht einmal mehr ihre Fähigkeiten einzusetzen was einer Amputation gleich kam oder der Kapitulation vor dem Leben. Einige hatten Selbstmord begangen. Sandra war traumatisiert gewesen als sie hier angekommen war, da sie miterlebt hatte wie ihr Vater sich das Leben genommen hatte.
 

Rosenkreuz operierte immer noch aus der ehemaligen Kommandozentrale von SZ, die in den Schweizer Bergen ihren Sitz hatte. In den Ländern um die Schweiz herum war das Gebiet von PSI gesäubert worden, sie hatten sie konvertiert und sie sich wie ein gefräßiges Ungeheuer einverleibt.
 

Hazel stellte sich oft vor wie sie Menschen wieder sah, die sie gekannt hatte und nun gegen sie kämpften.

Und das alles nur weil sie zu schwach waren...
 

Über diese Gedanken döste sie ein.
 

Ein lautes Geräusch weckte sie aus ihrem Halbschlaf. Ihr Herz raste und sie spürte, dass etwas nicht stimmte. Ihr erschrecktes Keuchen klang immer noch im Raum nach als sie die Augen aufschlug. Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung. Alarmiert hob sie den Kopf, den sie an die hohe Lehne gelegt hatte. Sie zog ihre Beine aus ihrer unbequemen Haltung vom Stuhl und entdeckte dabei wie Amy in der Tür stand - beide Türflügel waren aufgeflogen. Das war sicher das Geräusch gewesen, dass sie geweckt hatte.

„Hazel... Hazel... irgendjemand ist hier... ich habe Aktivität vor dem Haus gespürt.“ Ihre Stimme hörte sich panisch an und doch gleichzeitig um Beherrschung bemüht.

Hazel rutschte ungelenk vom Stuhl und kam zu ihr. Amy sah sie mit ängstlichen großen Augen an. Ihr selbst brach der Schweiß aus. Sie fühlte wie die Angst in ihren Körper kroch und ihn zu lähmen drohte.

„Wo?“

„Unter diesen Fenstern. Ich habe keine Ahnung welche Profession, aber er ist stark. Er stinkt förmlich nach Rosenkreuz.“

Hazel blieb stehen und sah zu Amy, die immer noch in der hohen Flügeltür die zum Ratssaal führte stand. „Gib das Warnsignal an alle raus“, flüsterte sie und starrte auf die geschlossenen schweren Vorhänge. „Verstärke deine Schilde, Amy.“

Sie hörte wie Amy hinaus eilte.
 

Hazel sorgte sich nicht um ihre Schilde, sie waren stets undurchdringlich, denn sie war sich ihrer Position und der Verantwortung die mit ihr einherging bewusst.
 

Ihr Blick haftete noch immer an den geschlossenen Vorhängen. Sie bezwang ihre Angst und ging zaghaft zu den Fenstern. Mit zitternder Hand griff sie nach dem dicken Stoff und wollte ihn beiseite schieben als plötzlich eine Druckwelle sie erfasste und sie von den Fenstern weg durch den Raum warf. Der Schrei blieb ihr in der Kehle stecken als ihr die Luft genommen wurde und ihr Körper gegen etwas Hartes prallte. Orientierungslos schnappte sie laut nach Luft.

Telekinet...

Sie versuchte wieder hoch zu kommen und spürte Glas unter ihren Händen. Ihr Blick suchte das Fenster ab und dort im Rahmen saß ein Mann der sie mit einem Lächeln beobachtete.
 

Amy kam in den Raum und blieb ruckartig stehen als sie ihn registrierte.

„Meine Damen“, hörte Hazel die schmeichelnde Stimme durch das Rauschen in ihren Ohren. Sie schüttelte den Kopf und versuchte hochzukommen was allerdings erneut scheiterte.

„Sie können mir doch sicher eine Auskunft geben.“

Er hatte einen französischen Akzent und Hazel gab sich nicht der Illusion hin, dass er sie gehen lassen würde wenn er die sogenannte Auskunft hatte die er wollte.
 

„Nein, das werden wir nicht“, sagte Amy mit fester Stimme und hob ihren Arm, den sie hinter ihren Körper gehalten hatte. Sie hielt eine geladene Waffe in ihrer Hand.

Hazel traute ihren Augen nicht. Sie war immer noch auf allen Vieren und gab den Versuch auf sich auf die Beine stemmen zu wollen.

Stattdessen setzte sie sich wieder und wischte sich das Blut vom Mund. Sie hatte sich auf die Lippe gebissen.

Amy kam näher, doch der Mann lächelte immer noch unbeeindruckt von der Waffe in ihrer Hand.

„Ich finde es bemerkenswert, dass ihr euch endlich dazu entschlossen habt euch zu wehren. Das ist wirklich ein großer Sprung nach vorne in eurer Entwicklung.“ Hazel konnte zusehen wie er die rechte Hand nachlässig hob. Sie schrie ihn an, er solle Amy in Ruhe lassen. Was sie genau schrie wusste sie später nicht mehr aber sie sah wie die Druckwelle, die Amy erfasste in Wirbeln auf die schmale Frau traf, diese gegen die Wand schleuderte und ihr das Genick brach. Sie brach augenblicklich leblos zusammen.

„Damit kommt ihr nie durch“, begehrte Hazel wütend und ängstlich auf als der Mann sich aus seiner bequemen Position erhob und zu ihr schlenderte als hätte er alle Zeit der Welt.

„Niemals! Es ist mitten am Tag. Wie wollt ihr das vertuschen?“, schrie sie ihn an und versuchte weg zu krabbeln. Sie kam nicht weit da der Vorhang sich mit ihr verheddert hatte.
 

Er blieb vor ihr stehen und sah ihren vergeblichen Bemühungen zu. „Vertuschen? Die Zeit ist vorbei, Mon Chéri.“

Er beugte sich zu ihr hinunter und kam ganz dicht an ihr Gesicht heran, sie vermied den Augenkontakt. Er drängte sie an die Wand an die sie nun lehnte.

„Und... wer sollte euch schon helfen?“, fragte er mit falschem Bedauern. „Nur wir können das. Ihr seid das Rohmaterial, die Basis, ohne unsere Hilfe werdet ihr vergehen und aus der Geschichte dieser Welt verschwinden.“
 

Sie atmete heftig, als er noch näher kam versuchte sie ihm auszuweichen, doch er packte ihr Gesicht und drehte es zu sich herum.

„Du zitterst am ganzen Leib. Wie traurig, dass du solche Angst verspürst vor deiner eigenen Rasse.“

Er sah sie mitfühlend an und wischte ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Er hob sie ihr vors Gesicht und Hazel erkannte Blut daran.

„Ihr seid nicht...“ Sie verstummte als er die Haarsträhne zu seinen Lippen hob und an ihrem Blut leckte.

„Du kannst mir damit keine Angst machen“, sagte sie angewidert und verzog das Gesicht. Ihr Herz raste und drohte ihr aus der Brust zu springen. Sie fühlte jeden Herzschlag überdeutlich in ihrem Kopf. Es hämmerte wie wild als wolle es sich gegen diesen Angriff wehren.
 

„Nein, wohl nicht“, er lächelte amüsiert.

„Sag mir wo die Liste eurer Mitglieder aufbewahrt wird.“

Diese Aufforderung kam für Hazel nicht gerade überraschend und etwas in ihr befand sie als komisch. Sie wunderte sich selbst darüber, dass sie plötzlich zu Lachen begann. Es war ein eher hysterisches Lachen, als er ihr eine Ohrfeige gab die ihren Kopf gegen die Wand prallen ließ. Für den Moment betäubt blieb sie liegen als er sie freigab.

„Hey Pierre beeil dich“, hörte sie eine zweite Stimme und Glas knirschte unter Schuhen.

„Wir können sie mitnehmen, das geht schneller.“

Sie wusste jetzt, dass sie um jeden Preis verhindern musste, dass sie von ihnen mitgenommen wurde. Und dazu musste sie nur eines tun, sie musste sterben. Jetzt sofort.

Im nächsten Moment versenkte sie ihr Bewusstsein tief in sich hinein. Sie leerte gleichzeitig ihren Energiekörper stetig. Ebene für Ebene sank sie tiefer, immer gekoppelt mit dem steten Herabsenken ihres PSI Potentials. Sie hatte sich von ihrer biologischen Hülle gelöst und bemerkte nicht wie rapide sich Herzfrequenz und Atemfrequenz verlangsamten. Irgendwann war sie an einen Punkt gelangt an dem sie zur Ruhe kam. Sie trat in die Ebene des Vergessens ein – so hatte sie diesen Zustand genannt und unbemerkt davon tat sie ihren letzten Atemzug.
 


 

8.
 

Ash wartete im Büro seines eigenen Hotels bis die Versammlung, die er einberufen hatte begann. Claudette kam gerade herein und er legte den Tablett-PC auf seinen Schreibtisch.

„Sind alle da. Zwei haben sich offiziell entschuldigt. Sie können aus der Klinik nicht weg. Zu viele Notfälle. Das sind...“

„... Alfonso und Schmidt.“

Claudette kam näher. „Ja, aber sie sagten sie seien mit allem einverstanden was du entscheidest. Würden aber eher dazu tendieren... wie sagt Alfonso so schön: Ihnen in den Arsch zu treten.“
 

Ash nickte. „Wenn das so einfach wäre...“, seufzte er und erhob sich.
 

Claudette begleitete ihn hinauf ins oberste Stockwerk des Hotels das mehrere Konferenzräume beherbergte die er an Firmen vermietete. Sie gingen den Flur entlang und er öffnete die Glastür zum größten dieser Räume. Die Mitglieder der Verbotenen Kinder, wie sie häufig nicht gerade schmeichelhaft und diskriminierend bezeichnet wurden saßen in Sesseln, auf Couchen oder standen und redeten miteinander. Als er Eintrat verebbten die Gespräche nach und nach, bis eine geradezu gespenstische Stille herrschte.

„Danke, dass ihr so schnell kommen konntet. Meine Einladung glich eher einem Befehl und dafür möchte ich mich entschuldigen. Aber die Zeit drängt.“

„Das geht in Ordnung, Ash“, winkte ein älterer Mann mit Namen Augustus Flake ab, der einen Antiquitätenladen in der Upper Street unterhielt.

„Wie ihr alle vermutlich wisst haben wir von Rosenkreuz eine Art Angebot erhalten. Vom Sentinel wurde deshalb ein Ratstreffen für heute Abend anberaumt. Ich muss von euch wissen wie ihr dazu steht.“
 

„Wir hätten uns nicht so lange im Verborgenen gehalten wenn wir zu ihnen gehören wollten“, sagte Milli Jones eine Amerikanerin, die erst im letzten Jahr zu ihnen gestoßen war. Sie arbeitete als Kassiererin in einem Supermarkt.

„Das ist richtig, Milli, nur bedenkt, dass sie uns überlegen sind. Zwei Drittel unserer Leute sind in den letzten Jahren verschwunden. Ich gehe nicht davon aus, dass sie tot sind.“

„Machst du jetzt einen auf Advocatus diaboli, Ash?“

Ash drehte sich um und erkannte den Sprecher, ein Nachtclubbesitzer mit Namen Alex Brennan. Ein charismatischer Typ, der dieses Charisma aus seinen empathischen und telepathischen Fähigkeiten bezog.

„Wenn wir nicht alles bedenken, könnten wir einen Fehler begehen.“
 

„Er hat Recht“, meldete sich Sunny, ein junges Mädchen, das Musik studierte.

„Wir sind den anderen Mitgliedern unter diesem unfähigen Sentinel überlegen, gerade weil uns durch unser Erbe bessere Fähigkeiten geschenkt wurden. Meine Scanner-Fähigkeiten übertreffen diejenigen, die das hohe Ratsmitglied Porter hat um Längen.“
 

„Du bist kein Scanner mehr meine Liebe, du bist Manipulator...“, versetzte Nigel, ein Automechaniker.

„Ja, aber von unseren Fähigkeiten weiß nur keiner von ihnen, weil sie uns dann ausschließen würden. Und ich sage: Dann machen wir unser eigenes Ding. Wir können gegen Rosenkreuz bestehen.“ Sunny war wie immer sehr leidenschaftlich bei diesem Thema und Ash seufzte innerlich. Das konnte ein verdammt langer Tag werden.
 

Er ließ sie diskutieren, als eine hitzige Debatte entstand und setzte sich auf eine der Fensterbänke die noch frei waren. Claudette kam zu ihm. „Ich hole Getränke und Kaffee, willst du auch einen?“ Er nickte und bedankte sich bei ihr.
 

Nach einer halben Stunde hatte er genug gehört, die meisten hatten ihre Meinung in irgendeiner Form eingebracht. Er schloss für einen Moment die Augen und sammelte sich in seinem Energiekörper. Er spürte wie sich der Druck langsam aufbaute und entließ ihn wie einen warmen Regen an alle hier im Raum mit der einzigen Botschaft: ‚Habt Dank, es ist genug’.

Sie verstummten alle langsam. Er drängte es niemandem auf, sondern überließ es ihnen ob sie den Worten folgten. Sie taten es, denn seine Worte begleitete das Gefühl der Dankbarkeit und sie verstanden seinen Wink.

Er löste sich von seinem Sitzplatz und stand auf.

„Bee ist gestern angegriffen worden. Er liegt schwer verletzt im Krankenhaus.“
 

„Wie geht’s dem Jungen?“, wollte Augustus wissen. Er schien sehr besorgt. Ash wusste, dass sein Ziehsohn Firn sehr eng mit Bee befreundet war.
 

„Er lebt aber hat einige Knochenbrüche. Sie haben ihn unter telepathischem Einfluss gezwungen von einem Dach zu springen, damit es wie Selbstmord aussieht.“ Er verstummte kurz als er bemerkte wie Menschen das Stockwerk über den Aufzug betraten und wenig später sah er auf, als Claudette zusammen mit einer Schwadron Kellner den Flur entlang kam und die Tür öffnete. Sie stellten auf kleinen Tischchen Kaffee und Gebäck, dazu Getränke hin und gingen wieder. Claudette blieb an der Tür stehen.

„Jeder kennt Bee und jeder weiß, dass er der einzige Runner ist den wir momentan noch haben. Yuki gilt als tot oder konvertiert.“

Sie stimmten ihm entweder nickend zu oder bejahten dies mental.

„Runner sind selten und soweit ich weiß brachte keiner der PSI Eltern, die wir kennen einen Runner hervor. Sie gibt es nur in Kombination von PSI und Nicht-PSI Genpool. Der Großteil dieser Kinder mag schwach sein, doch sie haben einzigartige Fähigkeiten, die geschützt werden müssen. Niemand kann besser und schneller Daten aus dem menschlichen Gehirn rauf und wieder runterladen – und das unbemerkt vom Objekt. Wenn ich jemanden scanne gibt es eine minimale Abweichung und er spürt zumindest etwas, die Ursache dafür kennen die wenigsten, aber sie spüren es. Wollen wir, dass diese Einzigartigkeit ausgelöscht wird?“
 

„Ich denke wir sind uns einig, dass wir das nicht wollen“, sagte Brennan und erntete zustimmendes Gemurmel.

„Trotzdem stellt sich für mich immer noch die gleiche Frage was wir unternehmen können.“
 

„Ich bin schon aus meiner Heimat weggezogen“, sagte Andrea eine Deutsche. „Ich ziehe nicht wieder um und ich werde mich wehren, falls es dazu kommen sollte.“
 

„Wir brauchen Hilfe. Nur wer sollte uns helfen?“, sagt Milli.
 

„Ich hab euch doch von dem PSI Ausschlag vor einigen Tagen in Japan erzählt, Leute, die mein Kumpel aus Anchorage gemeldet hat“, meldete sich ein junger Mann zu Wort, der bisher geschwiegen hatte. Steffen war Systemadministrator bei einer großen Wirtschaftsfirma.
 

„Ich hab mir erlaubt einen Satelliten der Japaner anzuzapfen und hab das Areal abgesucht. Die Bilder der letzten Tage zeigen nichts an was diesen Ausschlag ausgelöst haben könnte. Es fehlen aber Teile der letzten Aufnahmen. Man sieht ein völlig intaktes Gebiet, dann Schnitt, dann die totale Zerstörung.“
 

„Was bedeutet?“, fragte Milli.
 

„Das dort jemand etwas vertuschen will“, erwiderte Ash nachdenklich.

„Wie groß war das Ausmaß der Zerstörung?“
 

„Auf einem Quadratkilometer nur verkohlte Asche und zerstörte Gebäude. Es ging durch die Presse.“
 

„Lass mich raten, ein Gasleck?“
 

Einige lachten verhalten als Ash seine Mutmaßung kundtat und Steffen nickte spöttisch lächelnd. „Es sind immer Gaslecks oder Übungen der örtlichen Behörden.
 

„Damals als diese riesige Kathedrale die SZ als neue Glaubensgemeinschaft in Tokyo errichtet hatten zusammenbrach war es allerdings ein terroristischer Angriff gewesen. Was ja auch halbwegs stimmte“, gab Brennan zu bedenken.

„Jeder von uns weiß, dass damals mehrere Parteien gegeneinander kämpften.“
 

„Ja, SZ hatten sich damals die halbe Welt unter den Nagel gerissen und erst in Japan hat man sie gestoppt.“ Ash nickte als Brennan das sagte.

„Was wenn wir diejenigen um Hilfe bitten, die SZ vor vier Jahren eingeheizt haben? Sie kennen sich offenbar damit aus PSI zu töten“, sagte Brennan.
 

„Klar und was hält sie davon ab es mit uns zu versuchen?“, hielt Steffen dagegen.
 

„Ganz einfach: Wir sind keine Bedrohung.“
 

Sie schwiegen einen Moment. „Gut. Versuchen wir es. Wer von euch ist der japanischen Sprache mächtig?“, fragte Ash. Von Steffen und Augustus Flake wusste er es. Zwei weitere meldeten sich.

„Soweit ich weiß hat die Spezialeinheit Kritiker geheißen die mit diesen terroristischen Angreifern betraut war. Tragt alles zusammen was es damals darüber zu lesen gab und zapft Kanäle an, die euch mehr darüber sagen können mit dem Ziel sie zu kontaktieren.“
 

Ash spürte wie die Stimmung sich etwas besserte als zu Anfang und atmete auf. „Ich gehe also davon aus, dass ich heute bei der Ratsversammlung die Stimme dafür abgebe nicht zu kapitulieren?“ Viele nickten andere sendeten ihm ihre Zustimmung mental. „Wer ist unschlüssig oder unsicher?“

Zehn hoben ihre Hände. „Gut. Falls ihr euch entscheidet zu gehen teilt dies jemandem dem ihr aus der Gruppe vertraut mit. Und jetzt...“
 

Plötzlich gingen die Mobiltelefone von vielen an, unterschiedlichste Klingeltöne und Vibrationen wurden laut. Steffen zog es als erster aus der Tasche, dann Ash, der neben ihm stand. Aber Claudette war die erste, die erkannte um was es ging als sie auf ihren Tablett-PC starrte.

„Ein Warnsignal vom Sentinel.“

Sie sah zu Ash wie viele andere.
 

„Ich fahre hin“, sagte er.

„Nein, das ist zu gefährlich, wenn ein Angriff...“, begann Claudette.

„Bleibt hier und verhaltet euch ruhig, keine Aktivitäten bis ich wieder hier bin. Keine Anrufe an eure Liebsten. Das Warnsignal erreicht alle und kann nicht rückverfolgt werden, denkt daran. “ Er hatte kein gutes Gefühl.

„Du kannst mich nicht davon abhalten mitzugehen, Ash“, sagte Augustus Flake der ihm bereits folgte. Er war um die fünfzig, aber ein ehemaliger Soldat und konnte Dinge tun, von denen Ash sicher nichts wissen wollte. Ash nickte und sie verließen die Versammlung. Claudette würde schon dafür sorgen, dass die aufgeregte Stimmung sich im Zaum hielt bis sie zurückkamen und mehr wussten.
 

„Wir nehmen meinen Wagen“, sagte Augustus. „Sag mir wo es lang geht.“

Augustus machte sich große Sorgen um Firn, denn Hazel hatte ihn über Firns ungeklärten Aufenthaltsort unterrichtet und bisher hatte Anchorage sich noch nicht auf ihre Anfrage gemeldet. Herum zu sitzen und abzuwarten war noch nie sein Ding gewesen und er musste etwas tun, irgendetwas sonst wurde er noch verrückt bei dem Gedanken, dass sein Junge tot war.
 

Sie fuhren ins Parkhaus hinunter. Auf dem Weg zum Van trafen sie auf seinen Fahrer Adrian Smith. „Falls Claudette uns folgen will rede es ihr aus, Adrian. Zur Not fährst du sie nach Hause und bleib bitte bei ihr.“

„Natürlich, Mr Santiago.“

Sie liefen zu dem Van mit der Aufschrift des Ladens dessen Inhaber Augustus war.

Ash lotste Augustus durch die Stadt bis sie in die Straße einbogen in der das Wohnhaus lag in dem die Ratsversammlung abgehalten werden sollte. Im obersten Stockwerk lag der Ratssaal.

Als sie in die Straße einbogen legte Ash die Hand auf Augustus Hand der an der Schaltung lag und verband sich mental mit ihm. ‚Siehst du das?’ Er fokussierte seinen Blick auf zwei Männer die aus der Einfahrt kamen und in entgegengesetzte Richtung davonspazierten.

‚Sie gehen zur U-Bahn’, erwiderte Augustus und Ash löste ihre Verbindung. Sie waren noch weit weg aber Augustus fuhr langsam die Straße entlang bis er sah, dass die beiden die Treppe zur U-Bahn hinuntergingen und verschwanden.

Er bog in die Einfahrt und fuhr in den Innenhof. Ash öffnete den Wagen und spurtete durch die offene Eingangstür hinauf in den vierten Stock. Außer Atem kam er oben an und fand die Tür ebenfalls offen vor. Er raste durch die verschiedenen Räume und blieb schließlich stehen als er die Bewegung von Vorhängen aus dem Ratssaal im Augenwinkel erkannte. Dann sah er die Beine einer Frau im Türrahmen und rannte auf sie zu. Es war Amy Brennington. Er kniete sich nieder, sprach sie an und fühlte ihren Puls. Sie waren zu spät, sie war tot.

Das Zimmer war völlig zerstört, die Fensterscheiben im Raum verteilt, die Ratsstühle lagen quer im Saal. Wo war Hazel? War sie überhaupt hier gewesen?
 

Er hoffte nicht, doch diese Hoffnung starb als er ein Bündel unter einem Vorhang an der gegenüberliegenden Wand erkannte. In dem Moment hörte er Schritte und sah auf. Augustus kam in den Vorraum.

Ash löste sich von Amy und ging hinüber zu Hazel. Er tastete nach ihrem Puls. Nichts. Rein gar nichts. „Sie ist tot...“, sagte er fassungslos und er schüttelte den Kopf. Augustus kam zu ihm, kniete sich nieder und tastete selbst nach dem Puls als Ash unfähig zu reagieren neben ihm kniete. Er hob ihre Lider an und... „Nein... Junge... ist sie nicht. Wir müssen sie wiederbeleben.“

Er verschaffte sich Platz und begann mit einer Herzdruckmassage. „Ist sie nicht...?“, wisperte Ash und holte tief Luft. „Hazel...du...“
 

„August... sie ist ein Runner... hör auf...“, er zog an dessen Arm. „Gib mir deine Hand.“

„Ein Runner?“

Er beugte sich über ihre Stirn, berührte mit den Lippen die blasse Haut und versenkte sich in seinen Energiekörper. Dann setzte er sich auf und berührte mit der rechten Hand ihre Stirn. Er brach seinen Energiekörper auf und sendete alles was er hatte in ihre Richtung. Seine Energie brandete in ihren leeren Energiekörper und wurde wie ein Fass ohne Boden verschluckt. Er spürte wie er schwächer wurde und eine unbestimmte Übelkeit von ihm Besitz ergriff, doch er bemerkte auch, dass das Fass sich langsam füllte und der abrupte Strom langsamer wurde.

„Ich fühle einen Puls, sie atmet wieder“, murmelte Augustus. „Löse die Verbindung.“ Ash wollte nicht, er wusste nicht ob es ausreichte. „Lös die Verbindung Junge, wir bringen sie ins Hotel.“

Augustus ließ seine Hand los und dieser schubste ihn weg. Ash taumelte und fing sich mit der Hand an der Wandvertäfelung ab. Währenddessen hob August sie auf seine Arme.

„Für Amy können wir nichts mehr tun, ihre Pupillen sind weit und lichtstarr. Sie ist tot, aber Hazel hat noch Chancen.“

Ash erhob sich mit Verspätung als Augustus bereits mit Hazel aus dem Raum war. Er ging zu Amy und berührte ihre Stirn. Sie war tatsächlich tot, keine Reaktion mehr auf sein Anklopfen, das Gerüst ihres Energiekörpers war völlig zerstört. Er sah neben ihr eine Pistole liegen. Nach kurzer Unsicherheit nahm er sie an sich und steckte sie ein.
 

Ash holte Augustus am Wagen ein und setzte sich mit Hazel auf den Rücksitz.

Sie fuhren im schnellen Tempo zum Hotel zurück. Die Fahrt verlief schweigend und sie kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor. Als sie in die Tiefgarage rollten fühlte sich Ash immer noch schwach, er zitterte unkontrolliert am ganzen Körper, eine unangenehme eisige Kälte hatte sich in ihm ausgebreitet und Kopfschmerzen dröhnten in seinem Schädel. Er hatte ihr vielleicht zu viel von sich gegeben.
 

Augustus holte Hazel aus dem Wagen und sie gingen zu den Aufzügen. Ash sah immer wieder Hazel an, deren Gesicht von feinen Schnitten überzogen war, sie war unnatürlich blass.
 

„Ash in den Aufzug, Junge“, forderte der Ex Soldat ihn ruppig auf als die Türen aufgingen er aber immer noch an der Wand lehnte und die Frau anstarrte.

Wie in Trance folgte er der Aufforderung des Älteren und wählte das Stockwerk unterhalb der Etage indem die Konferenzräume lagen. Ash widerstand während der Fahrt dem Bedürfnis Hazel zu berühren, stattdessen hielt er sich an der Wand des Aufzuges aufrecht.

Am Zielort angekommen traten sie aus dem Lift und Ash deutete auf ein Zimmer am Ende des Flurs. Es war seine private Suite wenn er im Hotel nächtigte.

Augustus eilte voraus.

Mit zitternden Händen gab er den Code an der Tür ein und mit einem Klicken sprang die Tür auf. Augustus trat nach drinnen. „Ich... rufe Claudette... an.“
 

Ash ging zum Telefon und Augustus legte Hazel auf dem Bett ab. Als er Claudettes Stimme hörte versuchte er sich zusammenzureißen, doch er brachte kaum einen vernünftigen Satz zustande, bis August ihm das Telefon aus der Hand nahm. „Claudette bring mir zehn Leute in die Suite, die einen gut aufgefüllten Energiekörper besitzen.“ Er unterbrach ihren besorgten Redeschwall. „Keine Fragen, mach schnell.“
 

Er legte auf und dirigierte Ash der immer noch untätig neben ihm stand zu Hazel aufs Bett. „So Junge, liegen bleiben. Wenn sie ein Runner ist, dann haben wir nur eine Chance.“

Es dauerte nicht lange und die Tür ging auf. Claudette kam herein und ein paar andere unter ihnen waren Milli, Andrea und Alex.

Bevor sie noch etwas sagen konnten setzte sie Augustus ins Bild.

„Ein Runner?“, fragte Alex erstaunt. Er wusste nur von Yuki und Bee. Sie verteilten sich ums Bett.

„Milli du bist der Kontakt zu Ash. Ash du bildest den Kontakt zu Hazel.“ Augustus verband Hazels Hand mit der von Ash, die sich gegenüberlagen.

Milli berührte Ash. „Er ist sehr schwach, sein Energiekörper ist fast leer.“

„Gut, dann füllen wir ihn jetzt.“ Augustus zog sich das Jackett aus und warf es auf das Sofa. Er würde außen vor bleiben.

„Warum nehmen wir ihn als Medium, er ist zu schwach.“

„Weil er bereits eine Verbindung zu ihr hat, sie erkennt ihn in diesem Zustand eher als einen von uns“, vermutete Claudette.

Sie versenkten sich kollektiv in ihren Energiekörper und öffneten ihn für die Verbindung.
 

Hazel driftete Ebene für Ebene vom Ort des Vergessens hinauf zum Ort des Verstehens. Ihr Bewusstsein griff langsam auf die Energie zu.
 

An einem bestimmten Punkt erkannte sie die vertraute Nähe zu einem Menschen der ihr viel bedeutete. Sie klammerte sich an diese Nähe und ließ sich von der Energie tragen. Zeit spielte dort, wo ihr Bewusstsein sich gefestigt hatte keine Rolle mehr, sie wurde nur mehr darüber definiert wie hoch das Level der Energie war, das stetig anstieg.
 

Während dieses Vorganges kam sie an eine Grenze, an der sie erkannte wer sie war und was vor sich ging. Jemand spendete ihr diese Energie und fing sie auf wie in einem Kokon aus Nähe und Geborgenheit. Sie sonnte sich darin für kurze Zeit bis ihr etwas sagte, dass es genug war, dann entließ sie die Energie in einem Strom aus Dankbarkeit wieder zurück. Sie ließ sie hin und her fließen bis die Energie in allen Komponenten des Kreises wieder ausgeglichen war. Erst dann unterbrach sie die Verbindung von sich aus. Ein seltenes Lächeln huschte über ihr Gesicht als sie einschlief.
 


 


 

Fortsetzung folgt…
 


 

Vielen Dank für’s Lesen.

Keine Beta-Korrektur für diesen Teil! ^_-
 

Bis zum nächsten Mal!
 

Gadreel

Mute

Mute
 


 


 

Milli löste sich von Ash als dieser ebenfalls eingeschlafen war. Ihr Lächeln war so breit, dass es ihr Gesicht erhellte, jedoch trotz aller Freude ihre Augen nicht erreichen konnte, denn in ihnen stand Trauer.

„Geschafft.“ Sie sahen sich alle mit dem gleichen gelösten Lächeln an und schwiegen zunächst.

„Wow, habt ihr gespürt wie sie die Energie umgeleitet hat? Ziemlich krasse Nummer, Leute“, sagte Bill Miller und räusperte sich ergriffen. Er blickte in die Runde und fand auf den Gesichtern dasselbe Erstaunen, dass er in sich spüren konnte. Selbst die Erschöpfung die ihnen allen anzusehen war konnte das Gefühl der Zusammengehörigkeit und Geborgenheit nicht auslöschen.
 

„Sie hätte alles in sich aufnehmen können“, sagte Alex erstaunt. „Und uns wie trockene Pflaumen zurückgelassen“, fügte er nachdenklich an, mit dieser kleinen Prise an Sarkasmus, die sie alle von ihm kannten.

„Warum hat sie verschwiegen, dass sie ein Runner ist?“ Und auch noch ein derartig guter – dieser Satz hing unausgesprochen zwischen ihnen und nährte die Stille, die sich über sie ausbreitete. „Vermutlich weil sie der Sentinel ist, Greenhorn“, brummte Augustus.
 

Milli und die anderen im Raum die nicht gerade schliefen drehten ihre Köpfe in seine Richtung.

„Hazel? Ich dachte der Sentinel ist ein Scanner“, erwiderte sie ungläubig und schüttelte skeptisch den Kopf bevor ihr Blick wieder auf die schlafende Frau fiel.

„Offensichtlich nicht. Und der Angriff hat sicher ihr gegolten“, schickte Augustus immer noch in brummigen Tonfall zurück. Er seufzte und setzte sich aufs Bett. Sein Gesicht drückte Besorgnis aus.
 

„Ein Runner als Sentinel?“ Alex hob zweifelnd die Brauen. Bevor jedoch einer etwas sagen konnte, hob er die Hände und lenkte ein. „Schon gut, schon gut, ich sehe ja dass es nicht ganz verkehrt sein kann.“
 

„Sie hat sich entweder bewusst tot gestellt oder unbewusst, jedenfalls hat sie den Angriff überlebt“, sagte August. „Los Leute, wir verschwinden jetzt, lassen wir die Zwei schlafen.“ Er erhob sich und ging zur Tür, Milli machte ihm Platz und schloss sich ihm dann nach einem letzten Blick aufs Bett an.
 

Claudette deckte die beiden zu, durchquerte dann die Suite und dunkelte die Räume ab. Ihr gefiel es zwar nicht besonders, dass Hazel mit Ash dort in einem Bett lag aber vielleicht wachte diese bescheuerte Kuh jetzt auf und entdeckte endlich, dass Ash gar nicht so schlecht war. Auch oder trotzdem er ein Verbotenes Kind war und durch die Narbe nicht mehr der Schönling den sie einst gekannt und im Stich gelassen hatte. Das würde sie der Frau nie verzeihen. Ash war ihr Boss und sie war seine Vertraute, sie würde nicht zulassen, dass diese Frau ihm noch einmal weh tat. Sentinel hin oder her.
 

Claudette folgte den anderen nach oben und sie unterrichteten diese von den Ereignissen. Nachdem bekannt wurde, dass Hazel der Sentinel war verstummten zunächst alle bis ein heilloses Durcheinander entstand und wilde Spekulationen und Diskussionen den Raum füllten. Claudette ging zu jedem der sich für die Nachforschungen was Japan betraf bereit erklärt hatte und steckte noch einmal die Fakten ab.

„Okay Leute ihr wisst was ihr zu tun habt. Arbeitet schnell, denn nach den heutigen Vorkommnissen ist es umso wichtiger, dass wir vorankommen. Und passt auf euch auf.“
 

Claudette blieb noch und redete mit allen die noch Fragen auf dem Herzen hatten.
 

Ein Stockwerk weiter unten wachte Hazel nach zwei Stunden Schlaf relativ erholt auf. Allerdings war ihr die Umgebung fremd. Der Mann jedoch der ihre Hand zwischen ihnen hielt und neben ihr schlief nicht. Das ehemals schwarze Haar das jetzt fast grau war hatte sich aus dem Zopf zum größten Teil gelöst und verdeckte sein halbes Gesicht.

Der aus Südamerika stammende Mann war einst ein Modell gewesen, hatte jedoch den Job an den Nagel gehängt als er von ihrem Vater zum Defender von Hazel ernannt worden war.
 

Damals hatte dieser nicht gewusst, dass er ein Verbotenes Kind war und ihn engagiert. Seine Fähigkeiten im Bezug auf außergewöhnlich gute Schilde hatten den Ausschlag gegeben bei der Wahl ihres ersten Defenders. Ihr Vater und er hatten sich vor zehn Jahren in New York bei einer Show des Designers Marc Miller kennen gelernt. Damals war es üblich, dass Zieheltern oder leibliche Eltern für ihre Kinder Defender auswählten um sie zu schützen. Ein Defender und sein Partner konnten ein stabiles Grundgerüst bilden, was sie nahezu unangreifbar für Scanner machte.
 

Ash der mit leiblichem Namen Antony Santiago hieß gab seinen Beruf auf und kam nach London. Mit dem Geld, den Kontakten in London und seinen Fähigkeiten, die er ab und an spielen ließ baute er sich hier eine neue Zukunft auf.

Sie hatte anfangs nicht viel Kontakt zu ihm gehabt nur auf abendlichen Empfängen ihres Vaters, der sie langsam annähern wollte. Hazel war damals ein störrischer Teenager gewesen, Ash nur wenig älter als sie selbst und sie weigerte sich hartnäckig sich auch nur mit dem Gedanken zu befassen einen Defender an sich kleben zu haben. Vor allem nicht diesen Schönling Antony, diesen Lackaffen wie sie ihn bei jeder möglichen Gelegenheit bezeichnet hatte.
 

Bis ihr Vater ihr eröffnete, dass es auch ohne ihr Einverständnis soweit kommen würde und dass sie sich besser zu ihrem Wohl dafür entscheiden müsste, da er sie als nächsten Sentinel einsetzen wollte. Dann fand ein Freund der Familie heraus, dass Ash ein Verbotenes Kind war und ihr Vater war außer sich vor Empörung gewesen. Ash wurde aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und ihr Vater ließ ihn fallen wie eine heiße Kartoffel.

Es war wie in einem dieser schmalzigen Filme gewesen, nur war es die Realität und sie war geschockt über die Tatsache wie ignorant und rückständig ihr Vater agierte hatte. Sie sah Ash nicht wieder, was kein besonderer Verlust war, da sie ihn ohnehin nicht gewollt hatte.

Aber ihr Vater schmiedete bereits Pläne um die Verbotenen Kinder aus London verbannen zu lassen. Sie stritt mit ihm und eines Abends hatte sie genug von all dem. Sie packte ihre Sachen und lief davon.
 

Dummerweise lief sie Anwerbern von SZ in die Hände. Als sie sich weigerte mit ihnen zu sprechen offenbarten sie ihre eigentlichen Absichten: Sie wollten sie entführen, was sie auch taten. Damals hatte sie nicht die Kenntnis besessen wie man sich gegen einen Telepathen und einen Telekineten wehren konnte. Sie war naiv gewesen, Entführungen eher selten und damals noch nicht die Regel wie heute. Damals hatte noch die Trias die Fäden bei SZ in der Hand und sie führten die Organisation straff und mit aller Härte. Das verhinderte größtenteils derartige Ausrutscher, zumindest solange sie nicht von der Trias ausdrücklich befohlen worden waren. Warum sie Hazel trotzdem entführen wollten war ihr bis heute noch nicht klar. Sie dachte oft über diesen Punkt nach, der ihr immer noch suspekt war. Was konnte ein Runner für die Trias tun? Außer einer Menge an Energie zu speichern natürlich, für was war das nützlich?
 

Warum ausgerechnet Ash sie damals gesucht hatte war ihr heute immer noch schleierhaft. Er war 23 Jahre alt gewesen, sie fünf Jahre jünger.

Sie wusste nur, dass sie ihn auch erwischten und ganz und gar nicht begeistert davon waren, dass ihnen jemand so schnell auf die Spur gekommen war.
 

Die zwei die sie in ihrer Gewalt hatten machten sich ein Spiel daraus sie gegenseitig zu quälen. Sie drohten ihr, dass sie ihn foltern würden wenn sie nicht zu SZ kam. Sie weigerte sich vehement und konnte immer noch seine Augen sehen wie sie sie ansahen. Erstaunen und Verrat lag in ihnen als sie ihm das halbe Gesicht aufschnitten. Kein Ton kam über ihre Lippen als er zu schreien begann. Sie wollten ihm das Gesicht Stück für Stück zerschneiden und begann an seiner Schläfe, führten das Messer am Haaransatz entlang immer weiter hinunter am Ohr entlang bis hinunter zu seinem Hals.

Immer noch kam kein Wort über ihre Lippen, doch etwas in ihr hatte sich verändert, sie füllte ihren Energiekörper so stark auf und bezog diese Energie aus den Körpern der Angreifer und zwar ohne einen körperlichen Kontakt zu ihnen hergestellt zu haben.

Sie schrie nicht, sie war stumm aber ihre Verzweiflung brach sich wie ein wilder Sturm in ihrem inneren bahn. Sie entzog ihnen all ihre Energie, bis sie das erkannt hatten, hatten sie keine Kraft mehr und brachen zusammen. Als sie sich befreit hatte lief sie davon. Sie wusste nicht wohin aber sie lief viele Kilometer bis sie wieder zu hause angekommen war. Erst Tage später wurde ihr bewusst, dass sie wieder in London war. Polizisten hatten sie aufgegriffen als sie wirr und blutend durch London getorkelt war. Noch immer hielt sie krampfhaft den zum Bersten gefüllten Energiekörper aufrecht. Sie war damals schon sehr stark gewesen, es schien ihr kaum etwas auszumachen diese Masse an Energie in sich zu halten.
 

Ihr Vater wurde verständigt und er erkannte das Problem.
 

Was danach geschehen war wusste sie nur aus dem was ihr Vater ihr erzählt hatte. Wie Ash wieder zurück nach London gekommen war hatte sie nie erfahren, aber sie ging ihm seither aus dem Weg. Nie hatte sie das was damals geschehen war angesprochen.

Aber es wurde bekannt, dass sie ihn im Stich gelassen hatte und das haftete an ihr bis heute.

Ja, sie hatte sich diese Schuld aufgeladen und es war kein Tag vergangen an dem sie nicht daran gedacht hatte.
 

Viel später als ihr Vater im Sterben lag hatte sie erfahren, das er es gewesen war, der Ash befohlen hatte nach ihr zu suchen. Er hatte ihn unter Druck gesetzt, wie das hatte sie bis heute nicht erfahren. Selbst auf seinem Sterbebett sprach er noch von den in Blutschande gezeugten Bastarden, die nicht besser wären als das was aus dem durch Manipulation entstandenen pervertierten Rosenkreuzen gemacht wurde. Selbst da noch verfluchte er die Trias von SZ und die Rosenkreuzer.
 

Blutschande. Ein Wort dass sie oft in ihrer Kindheit gehört hatte und das so gar nicht mehr in diese Zeit passen wollte.
 

Sie hatten sich nie berührt bis zum heutigen Tage nicht und nun hielt er ihre Hand so fest, hatte die Finger mit ihren verflochten. Sie blickte auf die schlanken starken Hände, auf die winzigen dunklen Härchen auf seinem Handrücken.
 

Sie fühlte dieses Wort ‚Blutschande’ seit dem Tag in diesem Keller tief in ihrem Herzen. Es war das Wort, dass ihr die Bilder des Blutes in ihrer hellen Reinheit vergegenwärtigten als es frisch von seinem Gesicht lief, als die Klinge aus Stahl in seine Haut schnitt und sie teilte und das Rot aus diesem Schnitt hervorquoll. Es war dieses Wort das ihr das Gefühl der Schuld in seiner dunklen Wahrheit vor Augen führte was sie getan hatte.
 

Die Schreie steckten noch immer in ihrer Kehle und sie war bis heute nicht dazu fähig sie herauszulassen. Wie wütende Tiere kämpften sie an Ketten um ihre Freiheit und jedes Mal wenn sie ihm begegnete oder mit ihm sprach rissen sie an den Ketten.

Bereits jetzt verspürte sie den Drang zu fliehen. Sie musste weg von hier und etwas unternehmen.

Amy...

Amy war tot. Sie hatte gespürt wie ihr Energiekörper sich gelehrt hatte und ihr Bewusstsein versickerte.
 

Sie sog die Unterlippe aus Gewohnheit ein und leckte über die verkrustete Wunde. Ihr Blick fiel wieder auf den Teil seines schlafenden Gesichts, den sie einsehen konnte, dann auf ihre verflochtenen Finger. Seine dunklere Hauttönung mit ihrer weißen Haut... dazwischen lag ihre Blutschuld. Altes, dunkles, getrocknetes Blut.
 

Langsam löste sie ihre Finger aus der Umarmung der anderen und richtete sich vorsichtig auf. Sie kroch nach hinten weg, hob die Decke an und stahl sich wie eine Diebin aus dem Bett. Sie hatte keine Schuhe mehr und sah sich nach ihnen um, konnte sie jedoch nirgends entdecken.

Leise ging sie durch die Suite, sah sich im Halbdunkel um und entdeckte die Tür, sie öffnete sie und schloss die Augen da das Licht im Flur sie blendete. Dann schloss die Tür von außen und ging in ihren Strumpfhosen in Richtung Aufzug.
 

Sie musste so viel erledigen. Allem voran stand Anchorage. Firn... was war mit ihm?
 

Sie wusste nicht genau in welchem Hotel sie war aber dass es eines war zeigte ihr die Innenausstattung. Sie drückte auf den Aufzugknopf und wartete.
 

Es dauerte einige Minuten bis ihr das Licht anzeigte, der Lift nach oben kam. Als die Türen sich öffneten stand Claudette mit überkreuzten Armen an der Spiegelfront und sah sie auffordernd an.

„Wollen Sie sich schon wieder abseilen, Hazel?“

Hazel starrte sie nur mehr an, sie sagte keinen Ton, aber sie spürte wie ihr Atem sich beschleunigte. Sie musste weg hier, sie hatte so viel zu erledigen. Irgendjemand musste Amy aus den Ratsräumen holen, ihre Familie benachrichtigen, alles aufräumen. Vielleicht war die Polizei schon vor Ort und sie hatte noch keine vernünftige Erklärung für diese parat.

„Aber das machen Sie ja ohnehin gerne, nicht wahr? Wir haben ihnen geholfen und was machen sie? Hauen einfach ohne ein Wort des Dankes ab.“ Claudette sah die Frau vor sich kalt an. „Bemitleidenswert...“, sagte sie angewidert.

Aber als die ersten Tränen über das Gesicht liefen und ihr Sentinel sie immer noch anstarrte als gäbe es nichts zu sagen wurde ihr etwas klar. Sie konnte es nicht.

Hazel blinzelte, bewegte sich aber immer noch nicht. Ihre Haare waren wirr und Glasscherben hingen noch darin. Einige unschöne Schnitte auf ihrem Gesicht zeugten von einem Zusammenstoß mit einem Fenster, das Kleid war ruiniert, die Strumpfhose ebenso und ihre Schuhe fehlten. Und aus irgendeinem Grund floh diese Frau ständig aus der Nähe ihres Bosses. War es Schuld?

Vermutlich.
 

Claudette gab sich einen Ruck und zog die Frau, die immer noch wie angewurzelt dort stand in den Aufzug. Diese zuckte zurück und fing an zu keuchen. Claudette fasste sie besser und drückte sie an sich. „Reißen sie sich zusammen. Bis jetzt konnten sie es doch auch.“

Sie drückte auf den Knopf fürs Tiefparterre und sie fuhren nach unten. Als die Türen sich öffneten raste die Frau schier aus dem Aufzug hinaus und blieb dann wieder orientierungslos stehen. Claudette nahm sie erneut am Ärmel ihrer Jacke und zog sie zu ihrem Wagen. „Einsteigen.“
 

Sie fuhren zu ihrem Domizil. Wo sollte sie auch sonst mit ihr im Augenblick hin?

Vielleicht wurde es endlich an der Zeit, dass Ms Worthington sich mit Ash auseinandersetzte. Claudette hatte immer gedacht, dass Ash sie hasste und der Hass auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber der Tag heute hatte ihr gezeigt, dass das ganz und gar nicht der Fall war. Etwas anderes lief hier. Die kurze Zeit, die sie in Hazels Energiekörper gewesen war hatte ihr zu mehr Sympathie für die andere Frau verholfen, aber hatte ihr auch gezeigt, dass diese eine Last mit sich trug, die sie nicht beherrschen konnte. Nicht mehr lange jedenfalls. Jeder von ihnen hatte das gesehen.

Sie würde sie erst einmal zu ihnen nach Hause bringen. Alles Weitere konnten sie dort klären.
 


 

9.
 

Anchorage/Alaska
 

Firn wartete bis der Großteil der Passagiere aus dem Flugzeug ausgestiegen war, bevor er seinen Rucksack aus dem Gepäckfach herunter holte.

Er fühlte sich einigermaßen erholt, da er den kompletten Flug verschlafen hatte. Nachdem Angriff auf Bee und ihn war er dermaßen geschlaucht gewesen, dass er zu anderem kaum mehr fähig gewesen war. Er hatte das Flugzeug gerade noch so erwischt.

Als er zum Ausgang trottete, die Verabschiedung des Flugbegleiters überhörte und einem anderen Passagier folgte, der den Ausgang offensichtlich kannte musste er die ganze Zeit an Bee denken. Er wusste nicht was mit Bee geschehen war nachdem sich sein Freund todesmutig auf die Angreifer gestürzt hatte. Firn war nur wie angewurzelt dort gestanden und hatte zugesehen wie Bee weggerannt war nachdem er einem der Beiden in den Unterleib getreten hatte. Das musste ziemlich weh getan haben, so wütend wie dieser Rosenkreuzer reagiert hatte. Ihn hatten sie nicht behelligt. Er war einfach dort stehen geblieben und hatte ihnen nachgesehen. Bee hatte ihm bevor sie sich bewusst geworden waren dass sie verfolgt worden waren gesagt er müsse unter allen Umständen dieses Flugzeug erreichen.

Trotzdem war er sich nicht sicher ob er das richtige getan hatte. Irgendetwas sagte ihm, dass er falsch gehandelt hatte als er sich umgedreht und zum Flughafen gegangen war.

Aber auch wenn er nichts getan hatte fühlte er sich schon als er den Flughafen erreicht hatte als hätte ihm jemand sämtliche Energiereserven ausgesaugt.
 

In Gedanken versunken hatte er nicht bemerkt, dass der Mann dem er gefolgt war nicht mehr vor ihm lief. Er hatte ihn verloren.

Firn sah sich um und suchte den Ausgang. Er verlief sich ein paar Mal bevor er ihn fand. Irgendwie konnte er sich nur schwer auf etwas konzentrieren, sein Freund machte ihm Sorgen. Bee hatte ihn grimmig angelächelt als er den Mann angegriffen hatte und danach war er verschwunden. Was sollte er tun wenn Bee... wenn er nicht mehr da war? Wenn sein einziger Freund tot war?
 

Mit diesen Gedanken verließ er das Flughafengebäude schließlich und trat auf den Platz davor. Er musste sich daran erinnern, dass sein Aufenthalt hier einem bestimmten Zweck diente. Er hielt Ausschau nach der Frau die ihn abholen sollte. Menschen liefen an ihm vorbei, sie schienen alle ein Ziel zu haben, irgendwohin zu wollen.

Wohin wollte er?

Eine Frau kam zielstrebig auf ihn zu. „Andrew Miller? Firn?“ Sie lächelte ihn an und er nickte.

„Der Wagen steht dort drüben.“
 

Er folgte ihr und sie blieben vor einem Mittelklassewagen stehen.

„Mein Name ist Miriam. Sicher hat dir dein Sentinel von mir berichtet.“
 

„Ja, vielen Dank.“
 

Sie bedeutete ihm einzusteigen. „Das Wetter dieses Jahr schlägt wirklich Kapriolen kann ich dir sagen...“

Firn musste sich zusammenreißen. Er war ausgeruht und er konnte es sich nicht erlauben unaufmerksam zu sein. Es war schon beschämend genug, dass er den Ausgang vom Flughafen suchen hatte müssen. Wiederholt ermahnte er sich konzentriert zu bleiben. Schließlich war er nicht mehr zuhause.

„Ich muss telefonieren“, sagte er leise ohne auf ihre Worte zu reagieren.

Miriam wandte sich ihm zu als sie den Motor anließ.
 

„Wir haben erfahren was passiert ist. Deinem Begleiter haben sie ordentlich zugesetzt, aber er liegt im Krankenhaus und lebt. Es geht ihm gut. Als ich dich gesehen habe, schickte ich noch vom Wagen aus eine Nachricht und diese wird sicher an London weitergeleitet.“

Firn mochte Bee sehr und er sorgte sich trotz der Worte die ihn beruhigen sollten. Der Kleine hatte niemandem mehr außer Hazel Worthington und diese behandelte ihre Schützlinge meistens kühl und distanziert. Der Junge vergötterte sie und sie stieß den Kleinen weg als wäre er ein Straßenköter. Aber das tat sie so ungefähr mit allen Menschen in ihrer Umgebung. Firn war einer der wenigen, die wussten, dass sie der Sentinel der Londoner Gruppe war, Bee und er waren stolz darauf zu dem kleinen Kreis zu gehören der diese Dinge erfahren hatte. Trotzdem behandelte sie ihn wie etwas Unerwünschtes und Firn, der älter war empfand dies als grausam. Bee sonnte sich in jeder Geste, jedem Blick den er von ihr ergatterte. Firn selbst machte es nichts aus ignoriert zu werden, Bee kränkte es dafür umso mehr.
 

Miriam wurde still und Firn bemerkte erst in dieser Stille wie unhöflich es von ihm war dass er so wenig auf ihr Gespräch einging.

„Verzeihen Sie bitte, ich bin mit... ähm... mit... ja... mit meinen Gedanken wohl noch immer... Zuhause“, sagte er mit ungeübter Stimme. Er musste sich die Worte genau überlegen, ein bisschen als würde er ein Puzzle machen. Manchmal hatte er das Gefühl einige dieser Teile wollten nicht so recht zueinander passen, dann musste er nach einem neuen Teil suchen und das kostete Zeit. Zeit die in einem Satz wirken konnte als hätte er generell ein Problem mit dem Denken.
 

Er wandte ihr den Blick zu und sah dass sie lächelte. Er mochte Menschen die ihn anlächelten, er konnte es nur selten wider geben dieses Lächeln dass er so mochte. „Kein Problem. Es sind schwierige Zeiten und sie werden nicht besser. Ich nehme an du weißt von dieser sogenannten Erklärung die Rosenkreuz in unser Netzwerk gespeist haben. Die Lage hat sich in den letzten Stunden dramatisch verschärft. Wir erleben weltweit heftige Angriffe mit hohen PSI Ausschlägen, da ist es nicht verwunderlich, wenn du dich nicht übers Wetter in Anchorage unterhalten möchtest.“
 

Firn sah auf. „Von dieser Erklärung habe ich noch keine Kenntnis“, spulte er schon etwas flüssiger ab. Er seufzte leise und ruckelte sich nervös im Sitz bequemer. Konversation war nun wirklich nicht seine Stärke. Gott er musste wie jemand wirken der in seiner geistigen Entwicklung nicht so rasch voran gekommen war, wie er hätte kommen sollen. Er fragte sich wiederholt warum Hazel ihn geschickt hatte. Es stresste ihn und Stress zog ihm Energie ab was die Sache nur verschlimmerte.
 

„Ich zeige es dir sobald wir im Hauptquartier angekommen sind. Unsere Basis liegt weit außerhalb von Anchorage, wir steigen in einen anderen Wagen um und die Fahrt hinaus dauert ein wenig. Im Gegensatz zu den Europäern haben wir uns dazu entschieden nicht in den großen Metropolen zwischen den Massen Schutz zu suchen, sondern uns in die Abgeschiedenheit zurück zu ziehen.“

„Auch eine Möglichkeit“, gab Finn nachdenklich zu, hielt es jedoch nicht für zweckmäßig.

„Ich kann mir vorstellen was du denkst“, sie lachte wieder. „Aber es gibt etwas dass wir beschützen müssen.“ Firns weißblaue Augen hinter der Brille sahen interessiert auf.
 

Miriam grinste sich eins und zauberte damit auf Firns ernstes besorgtes Gesicht ein seltenes Schmunzeln.

Sie war über Vierzig schätzte er, vielleicht etwa zwanzig Jahre älter. Es tat gut jemanden zu treffen der älter war. In London gab es nicht sehr viele Ältere mehr.

Alle PSI die er kannte hörten auf die Ratschläge der Älteren und niemand würde ihnen respektlos oder auf unangemessene Weise widersprechen. Der Grund für die Bewunderung war ihr Überleben. Sie hatten es Jahr um Jahr geschafft zu überleben.

Das war bei genauerer Betrachtung traurig. Die wenigen Kinder in der jetzigen Zeit waren eine verlorene Generation. Und er gehörte mit seinen sechsundzwanzig Jahren dazu. Er selbst war ohnehin eine komplette Ausnahme von allen. Er war nicht nur auf körperliche Weise verkrüppelt.

Er sah nach draußen und ließ die Straßen und Häuser vorbeiziehen. Dabei waren seine Gedanken ganz bei dem was Hazel gesagt hatte.

„Ihr habt einen Scanner der... PSI Aktivitäten weltweit orten kann?“
 

„Ja, das haben wir. Aber das ist es nicht weswegen wir dich hier bei uns erwarten“, sagte sie.

„Klingt... ähm...“, was wollte er sagen... das Wort dass er suchte... „geheimnisvoll“, sprang er darauf an und sah sie verunsichert an.
 

„Du glaubst gar nicht wie!“ Sie lachte leise.
 

Sie stiegen auf einem Parkplatz im Hinterhof einer Tankstelle in einen Landrover um. Miriam hatte sich ein paar Minuten mit ihm unterhalten, bevor sie in den Wagen eingestiegen waren. Firn hatte daneben gestanden und nicht viel von der Umgebung mitbekommen, er war in seine Gedanken vertieft gewesen, die sich alle um Bees Gesundheitszustand drehten und die Frage ob er feige einen Jungen vorgeschickt hatte um sich selbst zu retten. War es so gewesen? Es sah ganz danach aus.

„Schlaf ein bisschen, es wird drei Stunden dauern bis wir ankommen“, hörte er wie aus weiter Ferne.

Firn fühlte sich bei Miriam sicher und so machte er es sich auf dem Beifahrersitz bequem und schloss die Augen. Wirklich tief konnte er bei dem Geschaukel nicht schlafen, aber er konnte dösen und zwischendurch musste er sogar eingeschlafen sein, denn als der Wagen hielt wachte er ruckartig auf.
 

„Hast ja einen gesunden Schlaf“, sagte Miriam und Firn rieb sich zunächst die Augen und streckte sich. Er fuhr sich durch die schwarzen Haare und gähnte verhalten. Das Gefühl von einem Bulldozer überfahren worden zu sein wollte nicht verschwinden auch als er aus dem Wagen ausstieg und sich umsah. Drei vielleicht vier große Wohnhäuser, ein paar verirrte Bäume, Schnee und Dunkelheit. Der eisige Schnee knirschte unter seinen Stiefeln und es war verdammt kalt.

Miriam knipste eine Taschenlampe an und er folgte ihr die Treppe hinauf zu einem Wohnhaus dessen Rollläden herabgelassen waren. Er hatte seinen Rucksack auf dem Rücken als er ihr folgte und sie ihn in das Haus lies. Sie verschloss die Tür wieder und ließ danach einen Rollladen herab. Sie gingen durch einen kleinen Vorraum durch die nächste Tür und es wurde heller. Der Raum nahm wohl den gesamten Grundriss des Gebäudes ein. Computer reihten sich aneinander und zwei Frauen und ein Mann drehten sich gerade von ihren Sesseln um als sie hereinkamen.

„Hey, Willkommen in Anchorage!“, dröhnte eine junge Frau in seinem Alter aus einer anderen Richtung und kam auf sie zugelaufen. Sie umarmte ihn stürmisch und Firn kam sich dabei ziemlich unbeholfen vor. Körperkontakt war bei ihm nicht sonderlich gängig wie er wieder feststellen musste. Er machte nur wenige Ausnahmen von dieser Regel.

„Zoe lass ihn etwas Luft holen, der Arme hat einen langen Flug hinter sich“, sagte ein Mann der an einem der Rechner saß.

„Ja und eine Autofahrt mit Miriam“, grinste ein anderes Mädchen neben ihm und drehte sich wieder ihrer Arbeit zu.
 

„Wir haben nicht viel Zeit. Tut mir Leid, Junge aber all zu lange wird dein Aufenthalt hier nicht währen fürchte ich.“

Hazel hatte Bee und ihm etwas anderes erzählt. „Was ist passiert?“
 

„Naja das übliche. Tot und Verdammnis“, brummte er als Antwort.

„Miriam, klär ihn auf.“
 

„Zieh erst mal deine Sachen aus und trink etwas. Dann kannst du dich oben frisch machen und dann...“, sie sah den Mann genervt an. „Dann werden wir dir erzählen weswegen du hier bist.“
 

Sie zeigte ihm die Wohnräume und erzählte ihm nebenbei, dass sie hier eine Wetterstation unterhielten und als Forschungsgruppe zusammenarbeiteten. Das hier selten jemand raus kam und sie hier draußen bisher unbehelligt geblieben waren.

„Das klingt nach einer guten Möglichkeit sich zu verstecken.“
 

Miriam blieb im Türrahmen zu einem Zimmer stehen dass sie ihm zur Verfügung stellte. Sie verschränkte die Arme und lehnte sich an das Holz des Rahmens.

Er zog Jacke und Pulli aus und wechselte ungeniert sein Shirt als er ihre Blicke auf sich spürte.

„Junge mit dem Körper solltest du einen Waffenschein beantragen. Seit wir dich das letzte Mal zu Gesicht bekommen haben ist aus dir wirklich was geworden. Und mit deiner Prothese scheinst du sehr gut klar zu kommen.“

Er zog langsam das neue Shirt über. Waffenschein hatte er, nur nicht dafür...

Sie räusperte sich. „Also wo waren wir? Wetterstation, stimmt. Satelliten sind was schönes, kann ich dir sagen, vor allem wenn man einen fähigen Mann hat der sich damit auskennt sie zu hacken.“
 

Firn zog sich seinen übergroßen Pulli wieder über. „Er ist keiner von uns.“

Er sagte das beiläufig und drehte sich dann zu ihr um als er den Pulli gerade zog.

„Nein, ist er nicht. Er ist normal. Und er ist mein Mann. Erzähl keinem in London davon, Junge.“

„Es geht mich nichts an“, erwiderte er vorsichtig.

„Nein tut es nicht“, sagte sie dann versöhnlicher mit einem Lächeln.

Er erinnerte sich an Augustus Ratschläge, der sehr erzürnt darüber war, dass Hazel Bee und ihn auf diese Reise schickte. Er wusste über ihre Gepflogenheiten bescheid und er war ja auch nicht zum ersten Mal auf Reisen, auch wenn ihn stets jemand begleitet hatte.

„Wo ist euer Sentinel. Sollte ich ihm nicht meine Aufwartung machen?“
 

„Aufwartung machen? Wo kommst du denn hier?“ Sie lachte.

„Nein. Es reicht wenn du sie nachher begrüßt. Sie nimmt es niemandem übel der sich erst um die wichtigen Dinge kümmert.“

Er sah das etwas anders, aber er war nicht in London und hier liefen die Uhren allem Anschein nach anders.
 

„Also komm mit.“

Sie gingen wieder hinunter und zu Miriams Ehemann der sich als Ferdinand Lacom vorstellte. Er war Wetterforscher und ihm gehörte die Station mehr oder weniger. Er hatte Geld, wie es schien, für einen Scanner wie Miriam sicher nicht so schwierig da ran zu kommen.

„Wie wir deinem Sentinel berichteten haben wir in Japan einen hohen Ausschlag an PSI Aktivität verzeichnet. Und zwar so hoch, dass es sogar ein Wetterphänomen zur Folge hatte. Siehst du das hier?“
 

Firn sah auf den Bildschirm.

„Dieser Wirbel hier ist ein Sturm der sich über dem Areal gebildet hat. Er ist in den oberen Sphären wieder zum erliegen gekommen und hatte keine Auswirkungen auf die unteren Luftschichten. Aber er war da. Genau zum Zeitpunkt als wir die Ausschläge verzeichneten. Es ist enorm viel Energie mobilisiert worden. Dazu kommt noch, dass in den letzten fünf Jahren in regelmäßigen Abständen ein EMP aufgetreten ist. Vor ein paar Wochen verzeichneten wir einen Magnethydromorphischen EMP, dieser führte in einem Bereich in Tokyo zu einem Stromausfall. Die Tokyoter können sich glücklich schätzen, dass es nur einen Teil der Stadt betroffen hat.“

„Wer hat sie gescannt?“

„Ich!“, sagte das Mädchen neben dem Mann.

„Meine Tochter“, sagte er stolz.

„Ich spüre sie, wenn sie stark sind und kann sie relativ genau orten.“

„Wie machst du das?“, fragte Firn dessen Interesse geweckt war. Denn er selbst hatte keinen Zugang zu seinem PSI Fähigkeiten. Ihm wurde zwar gesagt, dass er eigentlich welche haben müsste aber bei ihm etwas falsch gelaufen war und sie ihm nun verwehrt sein würden.

„Ich verlasse meinen Energiekörper und lasse mich treiben. Wenn ich an diesem Ort bin ist die Welt für mich sehr komprimiert was PSI Energie angeht glaub mir. Zusammen mit meinem Dad lokalisiere ich dann die Koordinaten.“

„In den letzten Jahren haben wir mehrere dieser Ausschläge im asiatischen Bereich verzeichnet. Vornehmlich in Japan.“
 

„Das könnte bedeuten, dass es dort einen mächtigen PSI Akteur gibt. Die Frage ist wer das sein könnte und auf welcher Seite er steht“, sprach er laut seine Gedanken aus und Miriam nickte.
 

Damals als der kleine Junge zu ihnen gebracht worden war weil niemand wusste etwas mit ihm anzufangen hatten sie die Befürchtung gehabt, dass er Intelligenzgemindert sein könnte, aber das war nie der Fall gewesen. Firn war meist nur sparsam mit Worten, aber er konnte damit umgehen. Henry und Hazel Worthington hatten sie über die Jahre was den Entwicklungsstand von Firn anbelangte auf dem Laufenden gehalten.
 

„Vor allem warum die Rosenkreuzer ihn noch nicht ausgeschaltet haben“, wandte Miriam ein.
 

„Weil er einer von ihnen ist“, erwiderte ihr Mann.
 

„Selbst sie haben nicht derartige Möglichkeiten. Wenn ich es nicht genau wüsste würde ich sagen einer der alten Trias ist noch am Leben. Aber das ist unmöglich denn sonst würde kein derartiges Chaos innerhalb der Organisation herrschen“, sagte Miriam daraufhin.
 

Firn starrte auf die Ausschläge der Grafik und sah sich die Werte an. Das war kein normaler PSI, es konnte nur ein Rosenkreuzer sein. Aber was war der Grund dafür? Rissen sie sich jetzt Japan unter den Nagel? Als er noch darüber nachdachte was dahinter stecken konnte spürte er eine starke Präsenz näher kommen und wandte sich schließlich um. Sie war ihm vertraut, er kannte sie wie ihm auffiel.

Er sah eine junge Frau, vielleicht in seinem Alter im Türrahmen stehen. Sie hatte einen Schlafanzug und dicke Socken an und sah verschlafen aus. Ihr blondes Haar war zu zwei dicken Zöpfen geflochten und hing ihr über die Brust.

„Willkommen“, sagte sie, mit einem träumerischen Lächeln.

„Danke, mein Name ist Firn. Der Sentinel der Londoner Gruppe entsendet dir ihre Grüße.“ Er hatte sofort erkannt wem die starke Präsenz gehörte – dem Sentinel von Alaska.
 

„Bitte richte ihr meinen Dank aus.“
 

„Das werde ich“, sagte Firn mit einer angedeuteten Verbeugung.
 

„Ich bin eine Farseer, Firn“, fing sie ohne Umschweife an, kam jedoch nicht näher. „Ein Traum zeigte mir dein nächstes Ziel. Dort wirst du Hilfe für das Problem das uns alle betrifft finden.“
 

„Mein nächstes Ziel?“
 

Sie nickte. „Natürlich. Deine Reise hat mit deiner Geburt begonnen, Firn.“
 

Ein Farseer war die Vorstufe zu einem Hellseher, dem Pathfinder und Firn war ihr schon begegnet. Sie hatte ihm damals in einem Gespräch unter sich gesagt, dass sie für ihn eine gute Zukunft gesehen hatte.

Er starrte die Frau an die so traumwandlerisch langsam redete, dabei aber so selbstverständlich und gelassen von Dingen sprach von denen er nur wenig verstand. Aber sie drückte sich weit weniger kryptisch aus als er erwartet hatte.
 

„Auf einer Reise? Und warum ich? Hazel sagte, Bee und ich sollten hier bleiben. Für ein Weilchen. Ich kann keine Reise unternehmen...“, begann er ihr und sich selbst die Theorie vom auserwählten Helden der Geschichte – denn so hörte es sich für ihn an – auszureden.

Sie lachte plötzlich und es klang ganz und gar nicht müde.
 

„Du kannst. Du bist etwas anderes, als wir. Ich habe es geträumt. Euer Sentinel hat dich aus London weggeschickt, da es dort zu gefährlich für dich wurde, ich habe ihr von dem Traum erzählt.“
 

„Und warum habe ich bisher noch nichts von diesem Anderssein bemerkt?“, erwiderte er wenig begeistert von dieser Eröffnung.
 

„Weil dieser Teil der Metaebene in dir für dich nicht zugänglich ist. Das ist eine Vermutung die nahe liegt.“
 

„Klingt wie ein Fantasyfilm“, murmelte er. „Verzeihung, aber das klingt sehr abwegig, Sentinel.“
 

„Mein Name ist Mute.“ Sie fasste ihn in diesem Moment genau ins Auge, als wäre dieser Satz eine Drohung, ein Gesetz. Sie nahm es ihm wohl nicht übel, denn sie lächelte wieder dieses träumerische Lächeln und ihr Blick ging durch ihn hindurch als gäbe es ihn nicht. Auch die anderen beachtete sie nicht.

„Du wirst diesen Teil der Metaebene nicht aus eigener Kraft erreichen. Dir ist diese Fähigkeit nicht gegeben. Das heißt, dass du dir keine Sorgen machen musst und weiter dein Leben wie bisher fortführen kannst. Aber dein Wesen ist ein anderes. Und auf ewig verschüttet. Dein Vorteil ist, dass dich niemand als einer von uns erkennen wird. Man muss schon genau hinsehen um es zu sehen, zu finden.“
 

„Warum sagst du es mir dann? Wenn ich doch nichts daran ändern kann?“
 

„Um dich für deinen Spott zu bestrafen, natürlich.“ Sie zuckte mit den Schultern und drehte sich um. Sie ging einfach weg.
 

Firn starrte ihr nach. Er fühlte sich wie mit Eiswasser übergossen. Erst als Miriam in sein Blickfeld geriet reagierte er wieder. „Du hast sie verärgert mein Junge. Komm mit, ich denke sie hat dir noch mehr zu sagen.“
 

Er bewegte sich nicht. „Nun komm schon“, ermunterte ihn Miriam. „Sie ist sehr eigenwillig und manchmal sagt sie Dinge, die für uns alle schwer zu verstehen sind, allein diese Tatsache macht sie launisch.“ Sie zwinkerte ihm zu und er ging mit ihr.
 

Er folgte Miriam ein Stockwerk höher und in einen großen Raum in dessen Mitte ein gemütliches Bett stand. Sonst war kein einziges Möbelstück in diesem Zimmer. Mute hatte sich hingesetzt und sie sah hoch als sie hereinkamen.

„Komm Mute sei nicht so kratzbürstig. Es betrifft ihn persönlich was du gesagt hast, jeder würde da skeptisch werden, meinst du nicht?“, versuchte Miriam zu vermitteln.
 

Mute zog eine Schnute und zuckte die Schultern.

„Kann sein“, meinte sie leise.

„Es tut mir sehr leid, aber es gibt niemanden der dir helfen kann. Du bist ein Krüppel, wie ich vielleicht einer bin“, sagte sie nach einer Verzögerung, sie lächelte ihn schief an.
 

„Könnten die Rosenkreuzer es?“
 

Er sah aus dem Augenwinkel wie Miriam ihren Blick zu ihm wandte. Mute fasste ihn mit diesem schiefen bedauernden Lächeln in ihren wachen Blick ins Auge. „Nein, selbst diese nicht. Sie sind nicht fähig dazu etwas zu reparieren was deine Seele betrifft. Niemand kann das. Selbst der beste Manipulator nicht, denn selbst dieser ist auf deinen Geist beschränkt.

Ein weit entwickelter Manipulator ist ein sogenannter Saboteur. Der stärkste Saboteur der bis heute bekannt ist heißt De la Croix und er gehört der heutigen Trias an. In Frankreich tauchten die ersten Saboteure auf. Sie konnten ihre Fähigkeiten so stark ausweiten, dass sie physische Strukturen im Gehirn manipulieren konnten. Ihre Manipulation beschränkte sich nicht mehr nur auf die geistige Ebene, sondern betraf nun auch physische Strukturen.“
 

Er sagte nichts dazu, denn er wusste nicht was. Das unbestimmte Gefühl, dass er in sich fühlte war Wut, das wusste er nur zu gut, aber worauf er wütend war konnte er nicht benennen. Er war ein Krüppel. Eine wenig schmeichelhafte Bezeichnung dafür, dass ihm nicht nur körperlich ein Teil fehlte.

„Weshalb bin ich hier. Doch nicht um das zu erfahren?“
 

„Nein“, sie schüttelte langsam den Kopf. „Ich träume, Firn von seltsamen Dingen. Sie zu einem logischen und verstehenden Gesamtbild zusammenzufügen ist schwer und mir gelingt es nicht immer. Ich träume seit Wochen von dir, wie du nach Vegas gehst. Du gehst dort hin und die Dinge geraten in Bewegung. Dein Eintreffen dort hält die Abwärtsspirale in der unser Untergang fortwährend dahintrudelt auf. Träume von Verlusten, von Trauer und Menschen die ihre Liebsten nie wieder in den Arm nehmen können. Träume von Menschen mit guten Absichten die sich ins Gegenteil verkehren.“
 

„Vegas? Las Vegas? Was soll ich dort?“
 

„Das kann ich dir nicht sagen, Firn. Ich bin kein Pathfinder der dir genaue Antworten geben kann. Wäre ich der Pathfinder würde dieser Krieg enden. Sofort. Ich wüsste was zu tun wäre. Aber so kommen nur wirre Träume zu mir. 95 Prozent davon ergeben keinen Sinn für mich, der Rest ist schwierig in Worte zu fassen.“
 

Miriam seufzte „Mute... Pathfinder hat es schon lange nicht mehr gegeben. Auch wenn SZ behaupteten einen in ihrem Kader zu haben. Bestenfalls hatten sie einen Farseer. Als Pathfinder wirst du geboren, es ist keine direkte Weiterentwicklung der Fähigkeiten eines Farseers.“
 

„Nicht?“, fragte Firn erstaunt.
 

„Nein. Wenn jemand als Pathfinder geboren wird durchläuft er eine Phase des Träumers, wie wir sie nennen. Er ist ein Farseer, dann später werden die Träume konkreter und weiten sich auf den Tag aus, sie konkretisieren zu Visionen, oder zeigen genaue Szenen – Splitter der Zukunft. Eine Krümmung von Raum und Zeit, die nur ein Pathfinder finden kann. Irgendwann kann er sie dann aktiv – bewusst oder unbewusst zu sich holen.

Wenn sie Jemanden entführt und ihn konvertiert haben, dann wäre er nicht mehr in der Lage gewesen die Zukunft zu sehen. Eine derartige Manipulation des Geistes schränkt dessen Freiheit ein die Zukunft zu sehen. Sie können also keinen Pathfinder haben, keiner der freiwillig bei ihnen ist.“
 

„Und was... wenn sie ihn nicht konvertiert haben? Vielleicht gibt es diesen Menschen wirklich? Irgendwo? Und er kann uns helfen...“, sagte Mute leise.
 

„Helfen?“, echote Miriam verächtlich. „Es gibt diesen Menschen nicht, Mute. Vielleicht hat es ihn gegeben, aber jetzt nicht mehr. Warum sollte er unentdeckt geblieben sein? Ein Pathfinder der sich im Verborgenen hält und nicht von Rosenkreuz entdeckt wurde? Wie hätte er sich gegen ihre Rekrutierer wehren können? Er hat keine Verteidigungsfähigkeiten. Nein. Falls SZ nicht gelogen haben dann ist er längst tot. Denn wenn sie ihn hätten, dann wären wir längst alle Rosenkreuz zugehörig und in ihren Konvertierungslagern.“
 

„Und wenn er freiwillig zu ihnen gegangen ist?“, merkte Mute an und sah schon wieder so entrückt aus als würde sie etwas anderes als Firn und Miriam betrachten.
 

„Wer geht freiwillig zu diesen Verbrechern und lässt sich nicht von ihnen beeinflussen? Ein Pathfinder der freiwillig bei SZ wäre... das wäre wohl der Untergang so mancher Zivilisation. Was wäre das für ein Mensch? Und eines ist sicher Mute: er würde uns niemals helfen. Er würde uns vernichten, denn seine Seele wäre ein dunkler Ort.“ Miriam schüttelte den Kopf.
 

„Ich weiß nur eines, in Vegas ist irgendetwas falsch. Jeder Traum in diese Richtung deutet etwas an, das so nicht sein sollte. Etwas ist nicht richtig und es ist dringend.“
 

„Und das sagt dir was? Ein Traum?“
 

Sie nickte. „Ja, ein Traum, Firn. Sie werden immer verrückter, unheimlicher. Es ist fast schon schmerzhaft was ich träume. Geh nach Vegas, Firn, bitte.“
 

„Warum geht nicht einer von euch dort hin, wenn ich doch ein Krüppel bin?“, er versuchte das in neutralem Tonfall zu sagen.
 

„Es tut mir leid, dass ich dieses Wort gewählt habe, aber ich selbst empfinde meine Unfähigkeit klare Aussagen zu machen nicht eben als ein Handycap sondern eine Verkrüppelung meines Wesens.“
 

„Aber Mute, ein Farseer war von jeher ein Mensch, dessen Worte stets schwierig zu verstehen waren...“
 

„Ja... und wie viele falsch verstandene Worte haben zu Kriegen, zu Tod und Leid geführt?“, fuhr sie Miriam dazwischen die verstummt war.
 

Mute zog ihre Beine aufs Bett und legte sich hin, sie zog die Decke über ihre Schultern und wandte sich von ihnen ab.
 

Miriam bedeutete ihm, dass sie gehen würden. Sie schloss die Tür und sah ihn an. „Es ist Letztenendes deine eigene Entscheidung. Komm erst einmal mit wir Essen etwas und dann leg dich erst einmal hin um zu schlafen. Morgen siehst du die Dinge mit klaren und wachen Augen.“
 

Firn schlief schlecht in dieser Nacht. Er versuchte mehrmals Hazel oder ihre Agentin zu erreichen, aber scheiterte. Nachdem er das Warnsignal auf seinem Display zu lesen bekam war ihm klar, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste. Und er versuchte es nicht erneut.

Am Morgen stand er auf und ging in die große Wohnküche. Er half das Frühstück vorzubereiten und unterhielt sich mit den anderen.

„Wer lebt in Vegas?“
 

„Die Vegas Gruppe besteht aus vielleicht knappen hundert Mitgliedern. Es war stets ein schillernder Anziehungspunkt für Scanner. Leicht verdientes Geld, interessante Gedankenspiele – im wahrsten Sinne – und manche blieben dort. Unser letzter Kontakt brach vor zwei Jahren ab. Ich denke, dass sie Angriffen der Rosenkreuzer ausgesetzt waren oder sind. Vegas war mitunter der erste Ort der von ihnen aufgesucht wurde auf der Suche nach Mitglieder die sie konvertieren konnten.“
 

Und er sollte jetzt dort hin? Was würde wohl August dazu sagen?
 

Er war hier um Hilfe zu organisieren und damit stand seine Entscheidung wohl bereits fest ob er zurück nach London gehen würde oder nach Las Vegas weiter reisen sollte.
 

Er blieb noch fünf Tage in Anchorage, wo er die Daten aus Japan genauestens studierte und sie sich einprägte. In diesen Tagen versuchten Miriam und ihr Mann einen Kontakt nach Vegas herzustellen was ihnen schließlich auch gelang. Sie kündigten seinen Besuch an und erhielten als Antwort, den Ort und auch die Bestätigung, dass er Willkommen sei.
 

Miriams Mann befragte ihn eines Abends zu seinen Fähigkeiten, auch Mute saß mit am Tisch nach dem Abendessen.

„Meine Schilde sind sehr stark, dass hat mir der Sentinel bestätigt. Es ist für keinen möglich gewesen sie zu durchdringen. Dadurch werde ich offenbar nicht als PSI von Rosenkreuzern erkannt.“

„Ein flexibler Schild. Das ist höchst interessant“, meldete sich Miriam zu Wort. „Damals als wir dich hier zu Besuch hatten war dies noch nicht so ausgeprägt. Du entwickelst dich immer noch.“
 

Das empfand er selbst nicht so. Aber er wollte ihr die Begeisterung nicht nehmen.
 

Er blieb noch zwei Tage bei ihnen aber die Gedanken ließen ihn nicht los. Sie kreisten um seine Weiterreise, um Bee und seinen Gesundheitszustand. Selbst nach zwei Tagen hatte er immer noch keinen Kontakt nach London erhalten. Keiner hatte sich nach ihm erkundigt. Schlussendlich musste er einsehen, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste und sie den Kontakt zu ihm mieden um ihn nicht in Gefahr zu bringen.

Dann schließlich machte er sich auf.
 

Miriam fuhr ihn zurück zum Flughafen und er flog nach Las Vegas.
 

o
 

Als Miriam wieder nach Hause kam empfing sie ihr Mann mit einer Tasse Tee.

„Ich habe kein gutes Gefühl dabei Miriam.“

Miriam hatte ihre mütterliche Aura abgelegt und sah ihn kühl an. „Das haben wir alle nicht. Aber Rey ist der Einzige der ihm helfen kann und wenn Henry nicht derart stur gewesen wäre dann wäre der Junge jetzt vielleicht normal.“

Miriams Mann reichte ihr den Tee. Sie nahm ihn an und trank einen Schluck während er sich setzte.
 

„Henry hatte gute Gründe warum er der Familie in Vegas misstraut hatte. Ihre Versuche grenzten an Größenwahn und was dabei herausgekommen ist haben sie dann mit Rey gesehen. Er ist gefährlich, Miriam. Ach was rede ich da! Er ist verrückt und gefährlich. Völlig instabil und...“, er brach ab und wischte sich über die müden Augen.

„... er sollte gar nicht existieren“, schloss er leise.

„Das mag sein. Aber von all dem weiß Mute nichts. Und trotzdem sieht sie in ihren Träumen Hilfe in Vegas. Unabhängig von unseren Sorgen und Befürchtungen. Es war nicht mein Wunsch dass der Junge dorthin geht. Es war Mutes. Vergiss das nicht.“
 

„Das tue ich nicht. Aber wir haben lange Zeit nichts mehr von Rey gehört. Was das bedeutet weißt du nur zu gut.“

„Ja. Das weiß ich.“ Sie sah in ihre Tasse hinein. Sie wusste es nur zu gut. Der Junge würde in eine Falle laufen. Und sie hatten nichts dagegen unternommen.
 


 

Fortsetzung folgt...
 

Keine Beta-Korrektur für diesen Teil!
 

Gadreel ^__^

Jules

10.
 

Firn machte sich nicht die Spur eines Gedankens in diese Richtung. Er war in dem Hotel angekommen, dass Ziel seines Abstechers nach Las Vegas darstellte.

Er wusste nicht viel über das Hotel, nur dass es vor ein paar Jahren erbaut worden war. Und es schien ein Hotel für die besser Betuchten zu sein, zumindest zeugte der äußere Schein des Interieurs und der Gäste davon. Firn fühlte sich deplatziert und fragte sich zum ersten Mal ob er hier richtig war und ob es richtig gewesen war Mute zu vertrauen. Doch der Gedanke hielt nicht lange in ihm vor und verblasste in dem Wirrwarr der Eindrücke mit dem sich sein Gehirn beschäftige.

Firn wandte sich an die Rezeption und brachte ein paar vernünftige Sätze hervor. Sie schienen ihm wenigstens so, der Mann an der Rezeption sah ihn zwar irritiert an, telefonierte und legte ihm schließlich eine Schlüsselkarte mit der Information sie im Aufzug zu benutzen auf den Tresen.

Also tat er dies. Bereits als er hochfuhr bemerkte er wie jemand versuchte ihn mental abzutasten. Was an seinen Schilden scheiterte. Als die Türen sich öffneten erwartete ihn ein Mädchen, das vielleicht siebzehn oder jünger sein mochte.
 

„Hi“, begrüßte sie ihn in ihrem weißen Kleid mit den roten Blütenstickereien. Sie saß auf einem Empfangstresen über dem das Logo der Moonlight Agentur von Hazel prangte. Er wusste das nicht so Recht einzuordnen verschob diese Gedanken jedoch auf später.

Er neigte leicht den Kopf zur Begrüßung wie es ihm beigebracht worden war und wartete ab.

„Deine Profession?“, wollte sie von ihm wissen.
 

Er zuckte mit den Schultern. „Zu schwach um eine genaue Zuordnung zu besitzen. Am ehesten ein Destroyer.“ Sie hob die Augenbrauen und legte neugierig den Kopf schief.

„Was willst du hier?“ Sie lächelte ihn an aber er erkannte, dass dieses Lächeln eher gezwungen war.

Bevor er antwortete sah er sich um. Vom Empfangstresen des riesigen Raumes führten zwei Flure in entgegengesetzter Richtung davon. Wohin sie führten war von seiner Position nicht einzusehen.

„Anchorage hat mich hier her geschickt.“
 

„Wir haben eine Anfrage erhalten, das ist richtig“, sagte sie langsam. Firn runzelte die Stirn. War sie nur vorsichtig oder dachte sie darüber nach zu welchem Zweck er hier her geschickt worden war?

„Wir hatten aber eher mit einem starken PSI gerechnet und nicht mit... dir.“

Sie sprang von ihrem erhöhten Platz herunter und glättete ihr Kleid.

„Dann komm mit“, kopfschüttelnd ging sie voran und Firn folgte ihr.

Sie kamen in einen großen Raum, der mit verschiedenen Sofas und nur wenigen anderen Möbelstücken eingerichtet war. Alles war in Weiß und Grautönen gehalten. Die zwei riesigen Fensterfronten fluteten den Raum mit viel Licht. Es waren mehrere Personen im Raum. Zwei Erwachsene einige Jugendliche und ein paar Kinder. Eines der älteren Mädchen saß neben einem Mann der ihn anlächelte. Die Frau die hinter ihm stand hielt eine Waffe in der Hand und die Mündung der Pistole zeigte auf ihn.
 

Das Mädchen trug ein weißes Hemd und weiße Hosen. Ihre Haare hatten dieselbe Farbe, ein reines Weiß, dass sie in einer kurzen Frisur trug, die nach allen Richtungen abstand. Ihre Augen waren aber das Ungewöhnlichste in dem zarten Gesicht, denn sie waren sehr hell. Heller als seine und fast weiß. Viele der PSI veränderten ihr aussehen, färbten sich ihre Haare weniger auffällig oder trugen Kontaktlinsen. Er fragte sich warum dieses Mädchen derart auffällig herumlief. Sie hatte die Lippen zusammengepresst und starrte ihn mit einer Mischung aus Angst und Wut an.

„Willkommen“, sagte der Mann.

Firn wusste nicht warum aber etwas in ihm schrie ihn an dass er verschwinden sollte. Eine Waffe die auf ihn gerichtet war bedeutete eine feindliche Haltung und war kein geeignetes Begrüßungsritual in ihrer Gesellschaft. PSI waren scheue Wesen und Gewalt in der Regel ein Fremdwort. Da den meisten PSI, die nicht konvertiert oder manipuliert wurden ein geringer Anteil von empathischen Fähigkeiten in die Wiege gelegt wurde war das Zurückgreifen auf Gewalt bei einer Problemlösung ausgeschlossen. Sie kam schlussendlich immer auf den Verursacher zurück.
 

Der Mann erhob sich und Firn trat automatisch einen Schritt zurück. Er drehte sich um und lief zum Aufzug. Hinter ihm wurde amüsiertes Gelächter laut. Der Aufzug ließ sich nicht aktivieren, das kleine Schaltpult blieb dunkel. Er sah zurück und die Frau mit der Waffe kam ihm nach. Sie lächelte nicht, beeilte sich auch nicht.

Er rannte weiter am Empfangstresen vorbei in die andere Richtung und einen Flur entlang. Die Zimmer dort waren verschlossen. Erneut kam er an einem Aufzug an dessen Türen offen standen. Er betrat ihn und erkannte aufgrund der wenigen Stockwerke die angewählt werden konnten, dass es sich hier um einen Aufzug handelte der nicht nach unten führte und ihn deshalb kaum zum Ausgang bringen würde. Trotzdem drückte er einen Knopf und die Türen schlossen sich. Er empfand keine Erleichterung und spürte nur wenig Angst. Aber er wusste, dass die Situation gefährlich war. Oder hatte er überreagiert?

Hatten sie sich vielleicht nur schützen wollen? Etwas in ihm sagte jedoch, dass er weglaufen sollte. Es war ein drängendes Gefühl und er spürte, dass seine Schilde sich ohne sein Zutun gefestigt hatten.
 

Die Fahrt dauerte nur kurz und er stieg aus.
 

Die Türen hatten sich wieder geschlossen und er fand auch keine Taste die ihm erlaubte erneut den Lift zu holen. Er irrte durch die Flure und fand keinen Notausgang. Dann endlich fand er eine Tür, die er öffnen konnte, sie führte nach oben. Vermutlich eine Verbindungstreppe ins nächste Stockwerk, aber sie war nur halb so weit wie sie eigentlich hätte sein müssen und er landete in einem großen Raum, der durch eine Glaswand unterteilt wurde. Es gab eine Tür aus durchsichtigem Material an der ein Zahlencode eingegeben werden musste.

Augenscheinlich hatten seine Verfolger noch nicht aufgeholt. Firn sah sich im Raum um erkannte jedoch keinen weiteren Ausgang. Stille begleitete seine Suche und führte ihn schließlich zur Glaswand.
 

Der Raum dahinter schien leer aber beim Näherkommen entdeckte er, dass ein Bett darin stand und eine Person davor an der Glaswand lehnte. Lange schwarze Haare, in viele kleine Zöpfe geflochten verdeckten das Gesicht, des Mannes. Er hatte den Arm als Kopfstütze genommen und kauerte dort still. Vermutlich schlief er. Aber Firn fragte sich warum dort ein Zahlenschloss war und der Raum ansonsten keinen Komfort bot. Ein Gefangener von Rosenkreuz? Denn keiner von ihnen würde einen PSI in ein derartiges Gefängnis stecken. Rosenkreuz musste diese Kinder gefangen haben.
 

Er wollte bereits den Rückzug antreten als Leben in die Gestalt kam. Er hob den Kopf und sah ihn an. Firn blieb fast das Herz stehen als er in diese Augen sah, die ihn ansahen. Er starrte und bemerkte verspätet wie seine Verfolger die Stufen heraufkamen und den Raum betraten.
 

„Du hättest uns diese langweilige Verfolgung ersparen können“, hörte er eine Stimme hinter sich und Firn drehte sich um. Der Mann der auf dem Sofa gesessen hatte stand hinter ihm, er trug einen Anzug. Was ihm allerdings als erstes auffiel war die Anstecknadel die er trug, eine Rose, ein Schwert das von deren Ranken umschlungen war. Das Zeichen von Rosenkreuz.

In dem Moment als er den Mann wieder ansah, der ihn anlächelte als wüsste er was er dachte war es ihm auch klar: eine Falle. Er war hier in Vegas in eine Falle gegangen.

„Ich brauche kein Telepath zu sein um deine Gedanken zu erraten. Und eines möchte ich dir sagen: Es war sehr dumm von dir hier her zu kommen. Wir haben noch nicht herausgefunden woher der Kontakt zu Stande kam aber wir werden dies noch, keine Sorge.“

Firns Gedanken gerieten mehr durcheinander als sie es sonst schon waren und er wusste nicht was er tun sollte. Der Mann kam näher und er trat weiter zurück bis er an der Glaswand ankam und diese seine Schritte stoppte.

„Möchtest du nichts sagen? Irgendeine unsinnige Bitte um Verschonung? Ein Flehen dich gehen zu lassen?“
 

„Hätte es einen Sinn?“, fragte er nüchtern und mit leiser aber fester Stimme. Gegensätzlich zu dem was er empfand wirkte er nach außen hin als würde es ihm nichts ausmachen, als wäre er die Ruhe im Auge des Sturms. Und er fühlte nicht mehr diese Dringlichkeit wegzulaufen. Er berührte seinen mechanischen linken Oberarm als könnte die künstliche Extremität ihm Halt geben.
 

Der Mann neigte den Kopf zur Seite als würde er ihn aus einem anderen Licht betrachten. „Zunächst dachte ich du seiest ein sehr dummer junger Mann, der uns auf den Leim gegangen ist, nun denke ich jedoch du bist ein dummer junger Mann, der uns zwar auf den Leim gegangen ist aber vielleicht doch nicht ganz unbrauchbar ist. Du hast unseren kleinen Lockvögeln dort oben mitgeteilt, dass du ein Destroyer bist. Uns fehlt diese Profession in einigen Teilen der Welt. Aber eigentlich finde ich, dass du für einen anderen Zweck noch viel besser geeignet bist.“
 

Die Frau kam näher und blieb dann stehen. Sie trug ein Kostüm und ebenfalls die Anstecknadel der Rosenkreuzer.

„Der kleine dumme Junge hat sich verirrt, fürchte ich. Und jetzt wird ihn der große böse Wolf fressen.“
 

„Du willst ihn nicht konvertieren?“
 

„Ich denke nicht. Er ist ein Destroyer, ein sehr schwacher wie ich finde. Er strahlt kaum Energie ab, das ist“, sie machte eine abwertende Handbewegung in seine Richtung. „...ehrlich gesagt ein Witz. Er ist mehr Mensch als jeder andere den ich bisher getroffen habe. Er ist wertlos.“
 

Er war also wertlos und würde hier sterben. Ein wertloser Krüppel. Das war tatsächlich neu für ihn. Zuhause mochten ihn alle und hatten ihm nie dieses Gefühl der Wertlosigkeit vermittelt. Aber hier würde er jetzt als wertloser Krüppel sterben. Einfach so. Punkt. Ohne große Tragik und ohne großes Gerede. Augustus würde es nie erfahren. Hazel ebenso wenig. Er vermisste Augustus plötzlich sehr.

Firn schwieg noch immer. Als wertloser Fast-Mensch und verkrüppelter PSI war dies offenbar sein Schicksal.

„Nun, so wertlos ist er nun doch nicht, Kassandra. Unser Liebling hat sein Augenmerk auf ihn gerichtet.“
 

Sie sah hinter Firn und nickte. „Hat er schon seit Wochen nicht mehr getan.“
 

„Ja, wir haben ihn kurz gehalten. Aber die Kinder können ihm nicht mehr geben und keiner von uns wagt es sich dafür zu opfern. Da kommt unser neugieriger Gast wie gerufen.“

Sie sprachen als wäre er gar nicht vorhanden und vermutlich war er das auch nicht als Fast-wertloser-Mensch. Er spürte nun einen schwachen Angriff auf seine Schilde.
 

„Gute Schilde hat er“, sagte die Frau. Sie schmälerte ihre Augen. „Aber die habe ich auch.“
 

Gute Schilde? Das amüsierte ihn in gewisser Weise. Er hatte kaum etwas bemerkt von ihrem Angriff.

Der Mann ging zu dem Terminal an der Tür und gab einen Code und seinen Handabdruck ein. Die Tür sprang mit einem Klicken auf. „Los Kleiner mach das du rein kommst, wir haben noch andere Dinge zu tun als hier rumzustehen.“

Er rührte sich nicht von der Stelle und im nächsten Augenblick schoss sie einfach. Das Projektil schlug in der Wand neben ihm ein. Immer noch blieb er innerlich ruhig aber er setzte sich in Bewegung. An der Tür angekommen öffnete der Mann sie und er ging hinein. Danach schloss sie sich wieder und er sah zu wie die beiden in aller Seelenruhe davongingen. Das Licht dimmte sich wieder und bis auf das minimale Leuchten des Terminals war alles dunkel.
 

Dann hörte er ein Rascheln von Kleidung auf Kleidung und fühlte mehr als dass er es sah - eine Bewegung in der Dunkelheit. Seine Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt, von dem Punkt einmal abgesehen, dass er ohnehin in seiner Sehkraft eingeschränkt war. Nun fühlte er sich als wäre er blind. Doch seine PSI Sinne waren zum Zerreißen gespannt als er seine Aufmerksamkeit von seinen Gedanken auf sie lenkte. Er bemerkte dass etwas mit großer Macht auf ihn zukam. Er wollte gerade etwas sagen als er schon Hände spürten die ihn berührten und einen Körper, der ihn an die Glastür drängte.

Firn versuchte herauszufinden was das werden sollte und ob er in unmittelbarer Gefahr war. Er war sich da nicht sicher, deshalb unternahm er auch noch nichts, denn eines hatte er bereits beim Betreten bemerkt: Das war kein Rosenkreuzer, er war rein und die PSI die ihn kennzeichnete war leicht, unberührt und unverfälscht. Sie kam wie eine saubere reine Schneeflocke daher und war so leicht und angenehm, dass es ihm die Sprache verschlug. „Wer bist du?“, brachte er mühsam heraus als er den Händen, die zupackten als würde sie ihn zerquetschen wollen, für einen Moment Einhalt gebot.
 

„Lass mich...“, hörte er stattdessen. Eine flehende Bitte den Fremden gewähren zu lassen.

Lippen berührten seine Stirn, Finger nahmen ihm seine Brille ab und warfen sie achtlos weg, federleicht streiften Lippen zu seiner Schläfe, als sie flüsterten: „Lass mich... lass mich erst meinen Hunger stillen, lass ihn mich stillen“, flüsterte die rauchige Stimme kaum hörbar, schwach und schon im nächsten Moment zogen diese klammernden Hände und das gesamte Körpergewicht des anderen ihn nach unten. Er stemmte sich dagegen verlor aber diesen Kampf und landete schließlich auf seinem Hintern.

„Lass ihn mich stillen...“ Er hörte immer die gleichen Worte und der Mann kam näher auch wenn Firn versuchte ihn auf Abstand zu halten. Er drängte sich an ihn und Firn hatte seine Hände vor dessen Brust und versuchte ihn damit von sich fern zu halten. Die metallischen Fingerglieder seiner Prothese waren durch einen Handschuh geschützt, trotzdem gaben sie keineswegs nach.

„Du willst spielen?“, wisperte die Stimme brüchig. „Gut, dann spielen wir...“

Noch im selben Moment fühlte er mehr als dass er es bewusst registrierte wie die fremde Präsenz seine Schilde durchdrang als wären sie nicht vorhanden. Nie zuvor war jemandem dies gelungen.

Seine Hände fielen nutzlos von der fremden Brust hinab während er versuchte hektisch die Schilde wieder zu stabilisieren. Als er die Präsenz in seinem Bewusstsein fühlte befiel ihn die Befürchtung aus dieser Situation tatsächlich nicht mehr lebend herauszukommen. Er wehrte sich mit allem was er hatte verzweifelt und schwach wie er war.

Irgendetwas geschah mit ihm und er versuchte sich gegen diese Veränderung zu wehren. Etwas ordnete sich neu in seinem Bewusstsein und löste ein schreckliches Gefühl der Angst in ihm aus. Er wollte nicht, dass sich etwas veränderte. Er wollte so bleiben wie er war.

Schweiß brach ihm aus und er begann zu schreien. Er schrie sich die Lunge aus dem Leib bis dieses Reine und Helle in ihm begann dies zu unterbinden. Der letzte Schrei erstarb in seiner Kehle gurgelnd und er hustete und keuchte. Tränen liefen ihm die Wangen hinab als er fühlte wie sein gesamtes Ich in viele kleine Teile zu splittern begann, alles was ihn bisher ausgemacht hatte zerbrach und er fiel in Dunkelheit. So schnell und tief dass er es nicht einmal mehr mitbekam.
 


 

11.
 

Als er wieder erwachte holte er tief Luft und öffnete schnell die Augen. Doch er sah nichts. Gar nichts. Er blinzelte und spürte im selben Augenblick wie Hände über seinen Rücken strichen. Seit Atem kam zu ihm zurück und vorsichtig betastete er die Fläche vor sich. Eine nackte Männerbrust wie ihm auffiel. Unangenehm berührt zog er die Hand wieder zurück. Das Zittern das ihn jetzt erfasste wurde offensichtlich bemerkt, denn eine Hand legte sich auf seine Wange und seinen Kiefer, sein Kopf wurde nach hinten geschoben und Lippen berührten seine. Er wollte nach hinten ausweichen, eine Bewegung die ihm aber verwehrt wurde. „Möchtest du wieder spielen?“, flüsterten die Lippen an seine.

Er erstarrte und erinnerte sich an das was er zuletzt erlebt hatte und fühlte der Veränderung nach die damit verbunden war. Er hatte ein unangenehmes Gefühl in sich. Zuvor noch schwach und von ihm durchaus in der Vergangenheit zu ignorieren war dieses Gefühl nun allgegenwärtig und es brachte sein Herz zum rasen. Es war Angst.

„Nein?“, fragte die Stimme amüsiert.
 

„Ich spiele gern, etwas Unterhaltung in dieser tristen Umgebung ist nie schlecht.“

Die Lippen berührten seine und wichen dann auf seine Wange aus. Ein Gesicht berührte seines, schmiegte sich an ihn.

„Hör auf damit“, sagte Firn schwach.

Er wollte nicht, dass das was vorhin geschehen war noch einmal in seinem Leben geschah. Nie wieder und dafür würde er alles tun. Wirklich alles.

„Womit?“
 

Ja womit? Er hatte sich an Berührungen von James gewöhnt. Zwangsläufig irgendwie, aber er hatte nicht behaupten können, dass er sie mochte. Er hatte es einfach zugelassen – dieses Geschäft.

„Mich anzufassen.“
 

„Magst du das nicht?“
 

„Kommt es dir so vor als würde ich es mögen?“ Warum sagte er das? Er hatte doch nie das Bedürfnis verspürt sich seiner Umgebung mitzuteilen. Warum sprach er seine Gedanken aus? Nur... es ging so leicht... Jetzt. Es war nicht mühevoll wie sonst.
 

„Ehrlich gesagt nein.“
 

Was sollte man dazu noch sagen, wenn die Berührungen weitergingen und seine Worte verpufften als hätte er gar nichts gesagt? James hatte ihn stets gefragt ob er dies oder jenes wollte, nachdem er in der Anfangsphase ihres Arrangements nicht so reagiert hatte wie man offenbar auf Berührungen reagierte.
 

„Ich nehme was ich kriegen kann und falls du hoffst damit einen Aufschub zu erreichen kann ich dich beruhigen, es kümmert mich nicht was mein Tun bei dir anrichtet.“
 

„Mich kümmert es aber.“
 

„Sicher tut es das.“
 

Er spürte wieder wie etwas durch seine schwachen Schilde drang und fing wieder hektisch zu atmen an. „Bitte... hör auf damit... ich tus ich tus... aber bitte hör auf... nicht wieder...“
 

Die fremde Präsenz, blieb bei ihm, deren physische Hände ebenfalls, aber sie hielten still. Die Lippen an seinem Ohr lächelten, er spürte es genau.

„Sei einfach still und bleib ruhig, Idiot.“ Er wollte dem widersprechen schwieg aber. Die Angst, dass die Präsenz die immer noch in seinem Bewusstsein war ihn erneut in tausend kleine Teile splittern ließ war zu groß.

Ein Lachen wurde an seinem Ohr laut und drang in sein Innerstes. Er hatte noch nie ein solches erotisches Lachen von einem Mann gehört. James lachte auch, aber dieses Lachen hatte ihn noch nie berührt wie dieses.

Wirklich erfreuen konnte ihn das nicht in dieser Situation, aber es löste ein Gefühl der Zugehörigkeit aus, das ihn verwunderte.
 

Ihm fiel auch auf, dass er immer noch vollständig bekleidet war und der Mann ihn noch kein einziges Mal im Intimbereich berührt hatte.

„Sag mir was du tust, mit Sex hat das wenig zu tun.“ James hielt sich nicht mit Umarmungen oder zarten Berührungen auf. Das was dieser Mann hier tat war seltsam, ungewohnt und machte ihm Angst. Weil es von dem abwich was er von James kannte.
 

„Sex?“
 

Der Mann löste sich von seinem Gesicht und die Hand, die seinen Rücken ruhig fast tröstend bestrichen hatte fuhr hinauf zu seinem Nacken und dann auf seine Wange.

„Willst du Sex?“
 

„Nein?!“, sagte Firn gleichzeitig fragend und erstaunt.
 

„Gut, ich habe wirklich nicht das Bedürfnis danach. Manchmal schon, aber das ist mittlerweile verdammt lange her. Es erlischt irgendwann wenn man versucht zu überleben.“
 

„Was soll das dann alles?“
 

„Ich bin hungrig und du das Hauptgericht“, kam die lapidare Antwort, als wäre damit alles geklärt.
 

„Hunger nach was?“ fragte Firn zunehmend verwirrt.
 

Das brachte den anderen zum Verstummen.

Es kam gar nichts mehr, selbst die Präsenz in seinem Kopf zog sich zurück.
 

„Erzähl mir nicht du bist ein Vampir“, sagte Firn lahm.
 

Wieder dieses Lachen, dass in ihn kroch wie eine gemeine Schlange und gleichzeitig sich auf ihn legte wie eine lieb vertraute Decke aus Kindertagen. Es löste ein Gefühl der Wärme in ihm aus und er seufzte.
 

„Das klingt gar nicht so schlecht, wie ich finde“, kam die nachdenkliche Antwort nach einer Weile.
 

„Du bist keiner von ihnen.“ So verführerisch rein und unverfälscht wie diese Signatur war konnte der Mann keiner von ihnen sein.
 

„Keiner von ihnen? Wen meinst du?“
 

„Rosenkreuz.“
 

„Nein sicher nicht.“ Wieder dieses amüsierte dunkle Lachen. „Hätten sie gerne.“
 

„Warum hast du mich angegriffen?“
 

„Habe ich das?“

Firn antwortete nicht. Was auch der Mann bemerkte.

„Manchmal schicken sie mir junge Rosenkreuzer, die es sich im letzten Augenblick doch noch überlegen zu mir zu kommen und die sie dann kurz vor dem Einlass mit der Waffe motivieren müssen. Ich dachte du wärst einer von diesen Angsthasen.“
 

„Kannst du es ihnen verübeln? Du zerreißt meine Schilde als wären sie bloße Vorhänge vor einem Fenster das ohnehin weit offen steht. Dann zerstörst du mein Ich als wäre es... wertlos.“
 

Wieder dieses Lachen und Firn hob die Hand und legte sie dieses Mal auf die Lippen des anderen um es zu stillen. Es wirbelte ihn zu sehr durcheinander und er tat sich schwer damit überhaupt noch einen klaren Gedanken zu fassen.
 

„Wenn ich das getan hätte“, begannen die Lippen zu veräußern und kitzelten Firns Finger. Er lockerte die Vehemenz mit der er sie zum verstummen bringen wollte. „...dann wärst du tot, aber ich finde du fühlst dich ganz lebendig an, meinst du nicht? Bis auf die momentane Seeschwäche fürchte ich, aber das legt sich sicher bald.“
 

„Seeschwäche? Liegt das nicht an den Lichtverhältnissen hier?“ Er war auf seine Brille angewiesen, die weiß Gott wo jetzt lag und falls sie kaputt war hatte er ein Problem.
 

„Nein, ich sehe dein Gesicht, das ernst und ein wenig ängstlich auf mich wirkt ganz gut.“
 

„Was hast du mit mir gemacht?“, fragte Firn alarmiert.
 

„Eine kleine Reparatur vorgenommen. Etwas Falsches richtig zusammengesetzt. Es ist noch nicht vollkommen aber das werden die nächsten Reparaturarbeiten sicher wieder in Ordnung bringen. Das heißt ein bisschen spielen werden wir noch, wir zwei.“
 

Firn nahm die Hand von den Lippen und ließ sie auf der Wange des anderen nutzlos liegen.

Eine Reparatur? An was. „An was verdammt. An was?“, knurrte er den anderen ungehalten an.
 

„An deiner Seele, Dummkopf. Du musst wirklich sehr unterentwickelt sein um das nicht zu sehen. Spürst du keine Veränderung?“
 

„Nein“, keifte er zurück. „Wie kannst du...“ Natürlich hatte er die Veränderung bemerkt. Er quasselte hier wie ein Wasserfall und Gedanken und Worte waren leichter zu fassen als zuvor. Auch spürte er nicht die immanente Müdigkeit, als wäre er aus einer zähen Nebelwand hervorgetreten.
 

„Ich dachte sie hätten dich zu mir geschickt damit ich dich repariere, dass tun sie hin und wieder. Sie sind nicht fähig dazu etwas geradezurücken was sie durch zu schnellen Fortschritt übersprungen haben. Sie denken mit einem Besuch beim Mechaniker ist das Problem behoben aber das ist es nicht. Ich rede es ihnen gerne ein und ein zweites Mal lässt das sicher keiner über sich ergehen.“ Er lachte wieder.
 

„Ich... ich bin...“, er verstummte und sortierte seine Gedanken. Das Gestammel war sicher nicht hilfreich.

„Jemand sagte mir, dass ich hier her kommen soll. Hier würde sich etwas für mich ändern.“ Firn versank in Gedanken. Die Farseer hatte Recht behalten. Nur mit einer Gefangennahme und diesem Mann hatte er nicht gerechnet und sie vermutlich auch nicht. Farseer waren wirklich nicht zuverlässig, grimmte er lautlos.
 

„Dafür dass ich dich repariere bekomme ich eine Gegenleistung.“
 

„Und wie sieht diese aus?“
 

„Menschliche Nähe und das trügerisch falsche Gefühl der Geborgenheit.“
 

Firn musste plötzlich lachen. „Das ist ein Witz.“ Sein Lachen erstarb als ihm plötzlich der Gedanke kam, dass er noch nie laut gelacht hatte. Es fühlte sich fremd an und hörte sich seltsam in seinen Ohren an. Erschrocken über diesen Laut fühlte er auch kein Amüsement mehr in sich.
 

„Ich sagte ich nehme was ich kriegen kann“, sagte der Mann leise und Firn spürte eine unbestimmte Trauer in sich aufkommen.
 

„Du bist schon lange hier?“
 

„Seit zwei Jahren und vier Monaten.“
 

„Immer in diesem Raum?“
 

„Sieht so aus.“
 

„Und wo warst du zuvor?“
 

„Hier in Vegas. Nachdem sie uns dezimierten und konvertierten blieb niemand von Vegas übrig. Die Kinder sind die letzten die hier geblieben sind. Ich bestand darauf mit der Begründung, dass ich sie zum Überleben bräuchte. Ein Sentinel ohne Clan ist kein Sentinel mehr.“
 

„Du bist der Sentinel von Vegas?“
 

„Ich war es.“
 

Firn verstand nun das ganze Ausmaß der Tragödie. Es gab niemanden mehr in Vegas. Wusste Hazel das?
 

„Und warum haben sie dich nicht konvertiert?“
 

„Liegt das nicht auf der Hand?“
 

Firn schwieg.
 

„Jeder der es versuchte lebt nicht mehr. Auf mein Konto gehen bereits über zwanzig Rosenkreuzer, die es versuchten. Schlussendlich schafften sie es mit Erpressung und chemischen Mitteln mich hier gefangen zu setzen. Seither war ich nicht mehr draußen. In diesem Stockwerk darf ich mich untertags frei bewegen. Diese Freizügigkeit erarbeite ich mir mit Reparaturarbeiten.“
 

„Das ist kein Leben.“
 

„Ja? Fällt dir etwas Besseres ein?“
 

„Ja, definitiv. Raus hier.“ Kein PSI sollte hier eingesperrt, sollte irgendwo eingesperrt sein. Es schadete ihm auf elementare Weise, wie es jedem lebenden atmenden Wesen schadete nur um vieles schlimmer. Es beschädigte seine Psyche und konnte dazu führen, dass sich seine Fähigkeiten radikal änderten oder verblassten.
 

„Hast du einen Plan?“
 

Firn schwieg. Nein den hatte er nicht.
 

„Ich bin nicht bereit zu sterben aber wenn du mich nicht umbringst werden sie es mit großer Wahrscheinlichkeit sein die es erledigen. Denn wie sagten sie so schön: Ich bin wertlos für sie. Kaum Energie vorhanden, ein Fast-Mensch.“
 

„Du bist so weit von einem Menschen entfernt wie ich.“
 

„Ah und was meinst du was ich bin?“ Jetzt wurde es für Firn interessant.
 

„Das sehe ich wenn die Reparaturarbeiten an deiner Seele beendet sind.“ Ein Lächeln verzog die Lippen.
 

„Du lügst.“
 

„Vielleicht.“
 

„Mit Sicherheit tust du das. Und es macht dir Spaß.“
 

„Spaß hatte ich tatsächlich lange nicht mehr. Es füllt meine Speicher wie kühles Wasser in der Wüste“, sagte der Mann sehnsüchtig und ernst.
 

Firn seufzte. „Du meinst die Speicher deiner Seele?“ sagte er mit plötzlich lahmer Erkenntnis.

„Sie sind leer nach der langen Zeit ohne Kontakt. Und das ist es was du tust. Minimal deinen Hunger nach Wärme und Zuwendung zu füllen weil du sonst verhungern würdest, leer und einsam gehst du zugrunde.“
 

„Schön gesagt. Ich denke so fühlt es sich zwischen den Besuchen an. Vielleicht tatsächlich noch etwas dramatischer“, gab der Mann unumwunden mit dem gleichen Lächeln zu.

„Der Hunger nach menschlicher Wärme ist für einen Soulwhisperer tatsächlich überlebenswichtig.“
 

„Und was jetzt?“
 

„Das was ich vorhin schon sagte: Sei still und bleib ruhig liegen.“
 

Der Mann zog ihn wieder näher zu sich und Firn schwieg ein Weilchen. Er atmete den Duft der Haut ein an der er lag und schloss die Augen, die ohnehin nutzlos waren. „Ich berühre Menschen ungern“, sagte er leise. Nicht einmal James, das war auch nicht unbedingt immer nötig gewesen. Augustus hatte er gern und hatte ihn auch manchmal gern an sich gespürt wenn dieser ihn in eine tröstende Umarmung gezogen hatte. Wenn er sich jetzt daran erinnerte fühlte er den Verlust von Familie und Heimat. Er fühlte sich verloren.
 

„Ist bereits registriert.“
 

Firn dachte noch über vieles nach während er in der Umarmung des Mannes lag und schlief schließlich darüber ein.
 

Einmal wachte er auf als die Präsenz wieder durch seine Schilde schlüpfte und bei ihm blieb. Da er jetzt wusste um was es sich handelte schaffte er es diese zu ignorieren. Er lag immer noch in dem Kokon der Umarmung.
 

Erneut erwachte er wieder als die Tür sich öffnete. Er hob den Kopf von seinem Lager und sah sich verschlafen um. Er stützte sich auf und sah neben sich eingerollt den Mann liegen. Er schlief friedlich und ein Lächeln lag auf dem überirdisch schönen Gesicht. Firn löste sich von diesem Anblick, der ihn irritierte und wandte sich der Besucherin zu, die durch die Tür trat.

Die unfreundliche Rosenkreuzerin hatte sich hierher bequemt und sah auf sie hinab. „Du lebst ja noch. Erstaunlich.“ Firn suchte Hilfe in dem Mann der neben ihm lag und sah zu ihm ob dieser wach war. Er wollte sich der Frau nicht allein stellen müssen.
 

Die Augen öffneten sich tatsächlich, plötzlich, hellwach und die dunklen Orben wandten sich ihm zu. Er registrierte die Frau.

„Direktor. Heute ohne ihren Aufpasser, Ruby? Wie schön sie zu sehen.“ Der Mann der ihm näher gekommen war als irgendein Mensch sonst in seinem Leben, James eingeschlossen hatte sich noch nicht von seinem Lager erhoben, geschweige denn die Frau angesehen.
 

„Das bezweifle ich“, sagte sie kalt.
 

„Los, steh auf wir gehen“, sagte sie und Firn starrte sie an. Er würde sterben, denn sie hatten keine Verwendung für ihn.
 

„Töten Sie mich doch gleich hier, wozu die Umstände“, sagte er bitter, die Worte blieben ihm fast im Halse stecken. Er hatte Angst, war aber wie immer die Ruhe selbst als würde diese Angst auf einer ganz anderen Ebene stattfinden und er sie sich lediglich nüchtern betrachten. Er wusste, dass er Angst hatte, aber sie gelangte nicht ganz zu dem was sie sein sollte und vor ein paar Stunden noch deutlich hervorgetreten war: Einen körperlichen Reiz auslösen, irgendetwas wie Schweißausbrüche, Zittern oder von ihm aus sogar Herzrasen. Nichts nicht einmal seine Hände wurden feucht als er Anstalten machte vom Bett zu kommen.
 

„Sind Sie es nicht leid ständig verängstigte Mitglieder ihres kleinen Ordens zu mir zu schicken, Direktor?“, fragte der Mann die Frau.

Firn hielt inne als ein Bein sich über sein Knie legte und ihn am Aufstehen hinderte.
 

„Tatsächlich bin ich das. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie sehr es mich anwidert.“
 

„Ich biete Ihnen eine Lösung dieses Problems an.“
 

Sie sah von dem Mann wieder zu Firn und ließ die Waffe sinken.

Firn bemerkte wie klar er die Frau sehen konnte. Er hatte zwar Kopfschmerzen aber er hatte noch nie so klar gesehen wie jetzt. Er tastete an seine Augen nur um ganz sicher zu sein, dass er keine Brille trug. Klare, reine Farben, scharfe Konturen, kein Nebel mehr. Er sah hinter die Frau und konnte durch die Glaswand dahinter die Wand sehen. Sein Blick glitt hinunter zu seiner Hand. Feine Linien waren kristallklar zu erkennen. Er hatte keine Probleme mehr mit seinen Augen. Wie hatte der Mann das gemacht? War es von Dauer?
 

„Das soll deine Lösung sein?“, sagte sie abfällig und die Frau war offenbar schneller im Denken als Firn selbst der nicht ganz begreifen wollte worum es ging.
 

„Warum nicht? Ich repariere die beschädigte Ware und lasse im Gegenzug für dieses kleine Geschenk hier die Finger davon. Was halten sie davon?“ Nun löste er sich von der Unterlage und drehte sich zu ihr um. Er hatte immer noch ein Bein angewinkelt, das über Firns Knie lag. Das andere stellte er jetzt auf und legte einen Arm darauf, die Hand nach ihr ausgestreckt.“ Sie sollten das Angebot annehmen. Mein Hunger ist groß und er wird immer größer mit der Zeit. Bald...“ er machte eine umfassende Handbewegung. „Wird dies alles nicht mehr ausreichen um mich hier zu halten. Meine Fähigkeiten gedeihen, mit jeder Reparatur die ich vollbringe. Das wissen Sie.“
 

Sie schien zu überlegen. „Was hat er was die Kinder dir nicht bieten können. Körperliche Lust ist es ja schließlich nicht nach der es dir verlangt“, sagte sie bitter. Firn sah den Mann an, der keine Notiz von ihm zu nehmen schien. Er hörte da Untertöne heraus die ihm sagten, dass es da wohl den einen oder anderen Versuch in diese Richtung ihrerseits bereits gegeben zu haben schien.
 

„Sie sind Kinder, Direktor. Im Gegensatz zu ihnen sind sie zerbrechlich, ihre Seelen unreif. Seine ist es nicht. Sie wird einige Zeit reichen bis ich sie zerbrochen habe.“
 

Firn gefror das Blut in den Adern. Was die Frau sagte konnte seine Angst nicht körperlich werden lassen, aber die Stimme des Mannes konnte es. Sein Herzschlag beschleunigte sich und er spürte ihn bis zum Hals hinauf. Seine Kehle wurde ihm eng und seine Hand verkrampfte sich in das Kissen auf das er sich stützte. Die Finger des Ersatzarms zuckten leicht und er sah nach unten, nahm die behandschuhte Hand in seine andere. Er zupfte an dem schwarzen Handschuh herum um seine Finger zu beschäftigen.
 

„Wenn Sie den Zeitpunkt verpassen an dem ich durch die Reparaturen so stark geworden bin, dass ich mein Gefängnis verlassen kann, werde ich das auch mit ihrer Seele tun. Sie sollten mich milde stimmen.“
 

„Einen Dreck werde ich“, sagte sie kalt. „Aber dein Haustier kannst du bekommen. Dafür erwarte ich Kooperation in jeder Hinsicht.“

Nur minimal schmälerten sich die Augen des Mannes, Firn konnte es sehen wie angespannt der Körper plötzlich war, er fühlte es fast körperlich.
 

„Einverstanden. Ich entscheide über alle Belange die ihn betreffen. Keiner und ich meine, wirklich keiner fügt ihm ein Leid zu oder manipuliert ihn auf jedwede Weise. Er gehört mir. Und was mir gehört verteidige ich mit meiner...“ Er lächelte und legte den Kopf schief, fasste sie genau ins Auge.

„... Seele.“
 

Sie nickte, obwohl sie nach ihrem Gesichtsausdruck nicht wirklich begeistert davon war.
 

„Wo war deine Seele als wir deine Schützlinge nach und nach dezimierten?“
 

„Meine Schützlinge, Sie sagen es. Sie gehören nicht mir. Sie sind ein Teil unserer Gesellschaft, Direktorin. Meinen Besitz werde ich kennzeichnen und ihn brandmarken auf dass er mein sei. Das ist etwas anderes, denken Sie nicht?“
 

„Vielleicht sollte ich dich auch brandmarken“, sagte sie und die Abscheu in ihren Augen brachte sie auch mit ihrer Stimme zum Ausdruck.
 

„Versuchen können Sie es.“ Er machte eine Pause in der sie ihn wütend anblickte. „Nur gelingen wird es ihnen nicht. Mein Brandeisen brennt heller als tausend Sonnen und gelangt an einen Ort an den Sie nie gelangen werden, selbst im Angesicht des Todes nicht.“
 

„Das werden wir sehen.“ Sie steckte die Waffe weg und ging aus dem Raum. Firn sah ihr nach wurde aber davon abgelenkt, dass der Mann sich wieder hinlegte. Er seufzte. „Das ging ja mal glatt.“
 

Firn sah die dahingegossene Gestalt fassungslos an. Er hatte die Arme über den Kopf gestreckt und sah völlig entspannt aus.
 

„Bist du verrückt? Glatt?“
 

Er öffnete ein Auge, sah ihn an und schloss es dann wieder. „Sicher. Du lebst. Ein voller Erfolg auf ganzer Linie.“
 

„Dafür...“ ja dafür war er hier gefangen. Das war er zuvor auch schon gewesen mit der Option eine Kugel in den Kopf zu bekommen. Jetzt hatte er die Option das Haustier eines gefährlichen, irren Seelenfressers oder sonst etwas zu sein.
 

„Wie lange habe ich bis du sie zerstört hast?“
 

Nun öffneten sich die Augen wieder und der Mann kam so schnell hoch und vor sein Gesicht, dass Firn zurück an die Wand wich. Die Augen des anderen waren schwarz. Es war keine Pupille zu sehen und der Blick war so eindringlich dass er vergaß zu atmen. Es gab einfach keine Pupille so sehr er sich anstrengte sie in dem Schwarz zu finden. Es war hypnotisch in diese Augen zu blicken.

„Was zerstört habe?“
 

„Meine Seele, was sonst?“, wisperte Firn. Seine Stimme kaum ein Hauch von Ton darin.
 

Der Mann lächelte und grinste schließlich. „Wer weiß. Vielleicht eine Woche. Oder einen Monat. Oder sogar ein Jahr. Wer weiß das schon. So genau kann das keiner sagen. Mach dir keine Sorgen wenn es soweit ist wirst du es kaum bemerken. Es geht viel zu schnell und ich werde dir unnötiges Leid ersparen. Das macht man doch so bei Haustieren. Man erlöst sie von ihren Qualen.“
 

Firn wollte gerade etwas sagen irgendetwas als er einen Schatten hinter der Glaswand bemerkte und den Kopf wandte, was dazu führte, dass er die Lippen des anderen streifte. Dieser schien sich an der Gestalt die sich am Terminal zu schaffen machte nicht zu stören und berührte mit eben diesen Lippen seine Wange und streifte zu seinem Ohr. Er küsste es sanft.

„Zweifel und Furcht finden stets einen guten Nährboden in Zeiten wie diesen, mein Tierchen. Worte bedeuten nichts wenn keine Taten folgen. Und die Taten sind es nach denen wir urteilen sollten.“
 

Er hatte das schon einmal irgendwo gehört, nur wo?

Ein Klicken ertönte und die Tür öffnete sich.

„Angel sie können raus. Wir räumen das Stockwerk. Sie haben zwölf Stunden. Das Essen kommt in einer Stunde, die Bestellfunktion ist eine halbe Stunde aktiv.“
 

„Danke Mickey.“
 

„Sehr gern Angel“, sagte der Mann und ließ die Tür offen als er ging.
 

„Angel?“ Firn drehte sich um hatte dabei aber vergessen, dass der andere immer noch dicht an ihm dran war was dazu führte dass sich ihre Lippen berührten. Als er seitlich ausweichen wollte hielt eine Hand an seinem Gesicht dies für unnötig.
 

„Nenn mich Jules. Das klingt nicht ganz so melodramatisch, findest du nicht? Angel ist nur ein dummer Name, der mir einst gegeben wurde. Ein Relikt aus alter Zeit.“

Wieder dieses Lachen und verzweifelt schloss Firn die Augen. Dieses Lachen brachte ihn um den Verstand.

Das war ihm alles zu nah, viel zu nahe an ihm selbst, ließ ihm zu wenig Raum, keinen Fluchtpunkt, nichts. Die zugeschnürte Kehle wich einem Kloß in seinem Hals, der Druck in seinem Inneren brachte das Fass zum überlaufen und mit diesem Überlaufen kamen die schändlichen Tränen.

„Und wie darf ich mein neues Haustier nennen? Du bist mein erstes. Da ist die Freude meist sehr groß, die Arbeit auch...“

„Firn, ich heiße Firn“, brach es aus diesem heraus und weinte schluchzend auf. Seine Hände packten die Schultern des anderen und wollten ihn wegstoßen was ihm nicht gelang, da dieser ihn von sich aus gegen die Wand presste, auf eine Armlänge. So hielten sich während Jules ihn wie ein interessantes Insekt betrachtete. Er dagegen weinte und seine Sicht verschwamm. Er hatte das Gefühl, dass sein Herz brach, es tat weh behandelt zu werden wie ein lebloser Gegenstand der keine Gefühle hatte. Warum nur jetzt? Warum kümmerte ihn das alles so verzweifelt?
 

Jules sah seine Tränen auf den Wangen, ließ ihn unvermittelt los und rollte sich so behände vom Bett und stand dann auf dass Firn das gar nicht mitbekam. Erst verspätet hastete er vom Bett und rannte aus dem Raum als wäre der Teufel selbst hinter ihm her. Er rannte durch die Flure des Stockwerks und kam erst zum Stehen als er an einer Fensterfront ankam. Dort in einer Ecke hinter einem schweren Vorhang verschanzte er sich und heulte sich aus.

Der Druck auf seinem Herzen verklang langsam. Weinen war schrecklich. Es war neu und zerstörerisch. Er fühlte sich erschöpft wie früher nach einer Vorlesung und genau so lethargisch danach.
 

Jules Rey, der Sentinel des Vegas Clans stand immer noch halbnackt im Raum und sah auf den Platz an dem Firn gesessen hatte.

„Da habe ich wohl ein kleines bisschen zu viel Dramatik in meine Worte gelegt“, murmelte er und verzog das Gesicht gespielt gequält. Er spitzte die Lippen und verzog den Mund dann wenig begeistert retrospektiv von seiner kleinen Vorstellung. Aber das war nun schwer abzulegen wenn man seit Jahren so tat als wäre man ein seelenfressendes Ungeheuer. Irgendwann wurde man dann zwangsläufig zu einem. Wo er sich doch so bemühte seine Natur zu unterdrücken, das Monster im Zaum zu halten.

Außerdem hatte er auf das übliche Lügenkonstrukt zurückgegriffen. Er war nicht wirklich das was er vorgab zu sein. Aber besser er tischte allen die gleiche Lüge auf sonst wurde es irgendwann zu kompliziert und ihm würden zwangsläufig Fehler unterlaufen. Aber dieser Mann war interessant. Blind wie ein Maulwurf, und ihm fehlte offenbar ein Arm, wie er bemerkt hatte. Wie es wohl dazu gekommen war?

Er ging zu seinem Oberteil, das auf dem Boden lag wo er es fallen gelassen hatte und streifte es sich über.

„Weit kann er nicht gekommen sein“, murmelte er zynisch.
 

Vielleicht sollte er Firn eher wie eine Katze behandeln. Diese wollten schließlich auch nicht immer schmusen sondern hatten ihren eigenen Kopf und fuhren ihre Krallen aus wenn man etwas gegen ihre Launen unternahm. Sie verkrochen sich auch gern wenn man ihnen auf den Keks ging. Also würde er seinen Kater erst einmal in Frieden lassen.

Er ging also barfuß aus dem Raum und erledigte erst einmal die üblichen morgendlichen Aufgaben. Zunächst ging er in die Küche, die über die kleine Treppe zu erreichen war, wie das gesamte Stockwerk das von dort aus zu erreichen war. Er bestellte sein Frühstück, einen Imbiss und das Abendessen, als er das quittierte und gehen wollte fiel ihm da etwas ein. Er war nicht mehr alleine. Er hielt im Türrahmen inne und ein erleichtertes Grinsen huschte über das sonst so ernste Gesicht. Er spürte in sich selbst wie gut das ihm tat und sonnte sich minutenlang in diesem Gefühl. Er rutschte am Türstock hinunter denn dieses Gefühl drohte ihn zu überwältigen. Ein Keuchen entwich seiner Kehle und er bäumte sich auf als sein Innerstes, seine Seele vor Freude zu brennen begann. Ein Teil des ausgetrockneten Bereichs den er nicht mehr hatte sehen und erreichen können war wieder hell erleuchtet und rutschte an seinen Platz. Er kicherte als er sich wieder aufrichtete.
 

Sein Tierchen wusste gar nicht was es da in ihm anrichtete mit seiner bloßen Anwesenheit. Er würde wieder erstarken und gesunden und die Dunkelheit die seine Seele beinah völlig verschattet hatte würde wieder zu dem werden was sie einmal gewesen war: Ein verschmerzbarer kleiner Teil der unscheinbar und nicht relevant war.

Aber bis es soweit war gab es viel zu tun. Zum Beispiel die Essensbestellung zu erweitern. Was hatte sein Tierchen denn gern?

Er stand auf und ging wieder zum Bestellterminal. Er bestellte ein buntes Sammelsurium an Speisen für verschiedene Uhrzeiten, hielt die Bestellung aber insgesamt klein. Tierchen in Gefangenschaft hatten zunächst nicht viel Vertrauen in Speisen ihrer Herrchen und mussten erst an die Hand die sie fütterte gewöhnt werden.
 

Jules schickte die Bestellung mit einem Stirnrunzeln ab. „Ich muss aufhören mit diesen Vergleichen...“, murmelte er zu sich selbst und verließ die Küche.
 

Er warf die Sauna an und ging ins Badezimmer. Leise zog er die Tür hinter sich zu erledigte seine morgendliche Toilette und verließ sie schließlich nach Rasur, Zähneputzen und dem üblichen Kram den man als zivilisierter Mensch so machte wenn man unter Leute ging.

Selbst das Türschließen war eine Maßnahme die er sonst unterließ. Wozu auch? War ja sonst keiner da während seines Freigangs. Er band die Mähne aus Zöpfen, die ihm eines der Mädchen während ihrer Besuche flocht zusammen und streifte durch die Gänge und Räume auf der Suche nach dem Ti... Firn.
 

Der große Wohnraum, der in Längsform eine komplette Seite des Stockwerks durchmaß schien leer zu sein. Die Sonne ging langsam auf und er genoss dies wie jeden Tag an dem er die Möglichkeit dazu hatte. Er ging näher an die Fensterfront und fand ohne seine Seelensicht zu bemühen eine hinter dem Vorhang sitzende Gestalt. Firn sah sich den Sonnenaufgang ebenso an.
 

Die Klimaanlage sorgte dafür, dass es kühl in diesem Raum war, denn die Sonnenstrahlen gelangten nicht hier hinein. Die Fassade der Glaswand war so gestaltet, dass sie jedwede Sicht von außen nach innen verbat. Firn schien ihn zu ignorieren also drehte sich Jules um und ging in die Mitte des Raumes der durch drei Stufen nach unten führend eine offene Feuerstelle beheimatete. In der hohen Decke eingelassen war, eine Abluftanlage die die aufsteigende Hitze größtenteils ableitete und zum Wärmen des oberen Stockwerks nutzte.

Ethanol sorgte dafür dass es ein Feuer gab und Jules zündete es an. Er legte sich auf die weichen Kissen, die um das Areal auf den Couchen lagen. Er konnte stundenlang in das Feuer sehen, es übertrug die Illusion von Wärme und Gemütlichkeit auf ihn und damit auch Geborgenheit. Aber daraus konnte er keine Energie ziehen, denn es war nur eine Illusion. Er war Abhängig von der Nähe des Menschen. Nur eine andere Seele konnte seine erhellen. Im wahrsten Sinne.
 

Firn registrierte mit Erleichterung dass der Mann wieder ging und beobachtete das Erwachen der Sonne. Er musste an die Worte des Mannes denken. Sein Brandmal brannte heißer als das Feuer von tausend Sonnen...
 

Er hatte immer noch seine Klamotten von gestern am Leib und ihm war kalt. Diese Sonne jedenfalls würde ihn nicht wärmen, fiel ihm nach einer halben Stunde auf. In Vegas war es heiß, doch hier drinnen gab es mehrere Arten von Kälte und er spürte die Auswirkung ihrer jetzt schon.
 

Hazel und die anderen in London und auch in Anchorage waren jetzt so weit weg. Er würde sie nie wiedersehen, so viel stand schon jetzt fest.

Und bei all dem was ihn ereilt hatte kam ihm jetzt der Gedanke wie sie wohl reagieren würden wenn sie ihn jetzt sehen könnten. Er fühlte sich freier, der Schleier, der auf ihm gelegen hatte war weniger dicht. Er konnte sehen ohne eine Hilfe und er sah alles deutlich. Zwar hatten die dumpfen Kopfschmerzen noch nicht nachgelassen aber das kümmerte ihn wenig anhand dessen was er dazu gewonnen hatte. Er konnte sich von den Einzelheiten draußen kaum losreißen.
 

Irgendwann konnte er seinen Körper nicht mehr ignorieren und beschloss diversen Bedürfnissen nachzugehen. Also schob er den Vorhang beiseite und schlich sich durch den Raum auf der Suche nach einer Toilette. Er fand ein Badezimmer und verschloss die Tür hinter sich. Sein Spiegelbild sprang ihm entgegen als er sich umdrehte. Seine hellblauen Augen stachen in dem sonst eher bronzefarbenen Teint jetzt aber eher blass heraus. Die dunklen fedrig geschnittenen schwarzen Haare mit den überlangen Strähnen vorne lagen wirr um seinen Kopf und wussten wie er selbst nicht so genau wo sie hingehörten. Er hatte sie auf der linken Gesichtshälfte länger gelassen um von seiner Brille und seiner markanten Augenfarbe abzulenken.
 

Er verließ das Badezimmer wieder nachdem er seine Blase erleichtert, sein Gesicht gewaschen hatte und seine Zähne geputzt hatte. Beim Durchsuchen der Schränke war ihm ein Schubfach mit verpackten Zahnbürsten in die Hände gefallen.

Bei seinem Streifzug durch die Räume fand er zu seinem Erstaunen eine Sauna und ein Schwimmbecken. Er ging näher bückte sich und ließ das Wasser durch seine Finger rinnen. Ein luxuriöses Gefängnis. Als er dort hockte und das Wasser betrachtete bemerkte er nicht wie sich Jules von hinten näherte.
 

Dieser betrachtete sich den Mann einen Moment lang bevor er einem spontanen Impuls nachgab seinen Fuß ausstreckte und den anderen kurzerhand mit einem Tritt ins Wasser beförderte.

Und das nur weil er sehen wollte ob Katzen schwimmen konnten, tadelte er sich selbst als er so dort stand und das Drama betrachtete.
 

Jules tauchte prustend wieder auf, wischte sich das Haar aus seinem Gesicht und war erstaunt wie tief das Becken war. Er konnte nicht stehen darin. Er hielt sich schwimmend über Wasser und sah anklagend zum anderen auf der dort mit den Händen in den Taschen seiner schwarzen Hose stand und ihn beobachtete.

„Gibt es einen Grund dafür? Oder amüsiert es dich nur?“
 

Jules ging näher und setzte sich an den Rand. Er ließ seine Beine ins Wasser hängen und bemühte sich dabei nicht erst die Hosenbeine hochzukrempeln. „Du bist hier um mich zu amüsieren. Das sollte reichen.“

Ein Schatten der Kränkung huschte über das offene Gesicht und Jules bereute seine Worte augenblicklich. Das musste der Teil seiner Seele sein, der hier rebellierte der bereits einer gewissen Heilung anheim gefallen war.
 

„Streck deine Hand im Wasser aus“, forderte Jules von ihm.
 


 


 


 

Fortsetzung folgt...
 

Danke fürs Lesen!

(Dieser Teil wurde nicht beta gelesen!)
 

Bis zum nächsten Mal
 

Gadreel ^_^

Firn

Firn
 


 

„Und wenn ich es nicht tue? Was tust du dann?“, wollte Firn von ihm wissen und Jules sah in dessen Gesicht dass es die Antwort nur zu gut kannte und diese so spöttisch dahin geworfene Frage reine Provokation war.
 

„Du weißt was ich dann tun kann. Also warum forderst du es heraus?“

Weil er die Grenzen auslotet weil er schreit und strampelt um frei zu kommen, wie du es zu Anfang auch getan hast als sie damit begonnen haben dich zu erpressen.

Irgendwann hatte er aufgegeben wie Firn es auch tun würde.
 

„Ich will dir etwas zeigen, also tue mir den Gefallen, ja?“
 

„Nein.“
 

Jules sah ihn einen Moment lang unschlüssig an, dann zog er seine Beine aus dem Wasser, zog seine Hose aus ließ sie platschend ins Wasser fallen und ging nackt wie er war weg. Sein Ziel führte ihn in die Sauna. Ein Ort der ihm sonst Entspannung schenkte. Entspannung war besser als Zorn und besser als jemandem den Hals umzudrehen, den er nicht wirklich vergraulen wollte.
 

Firn sah dem Mann erstaunt nach. Damit hatte er nicht gerechnet, viel mehr, dass dieser seine inneren Barrieren wie bisher mühelos überwinden und dabei sein Inneres nach außen kehren würde.

Nach kurzem Zögern schwamm er an den Rand und hievte sich und seine nasse Kleidung aus dem Wasser. Er sah sich um und fand einen Bademantel über einer Liege hängen. Er zog sich aus, legte seine nasse Kleidung ab um in den Bademantel zu schlüpfen. Eine Dusche war jetzt angesagt aber andere Kleidung war wohl Fehlanzeige. Nun, wenn er hier der neue Mitbewohner war konnte er sich auch Kleidung ausborgen wie er befand.
 

Firn suchte die einzelnen Räume ab und wurde schließlich in einem der Zimmer fündig. Regale reihten sich aneinander und beheimateten ähnlich aussehende Hosen und Oberteile. Einheitskleidung Schrägstrich Gefängniskleidung.

Es gab auch andere Kleidungsstücke, die wie Unikate aussahen. Eine Lederkombination aus unterschiedlichen schwarzen Ledern, die in Flicken exakt und in feiner Handarbeit zusammengenäht worden waren. Ein genaues Gegenstück gab es in Weiß. Firn strich mit den Händen darüber. Das Leder fühlte sich phantastisch weich an. Dann gab es noch sündhaft teure Anzüge. Zwei Jeans und zwei Pullover. Alles in allem zählte Firn 27 dieser exotischen Kleidungsstücke, der Rest des Raumes war gefüllt von schwarzen bequemen Hosen und weißen oder schwarzen Longsleeves und Shirts. Socken und Unterwäsche befanden sich in langen Schubfächern. Er suchte sich eine schwarze weiche Hose und dazu ein weißes langärmliges Shirt mit V Ausschnitt aus. Dazu gesellten sich noch Socken und Unterhose und mit seiner Beute ging er dann in das Badezimmer welches er zuvor schon mit Beschlag belegt hatte.
 

Das Badezimmer war luxuriös und groß ausgestattet. Er legte seine erbeuteten Kleidungsstücke auf der großen Ablage ab und betrachtete sich sein Spiegelbild. Dabei fuhr er sich über die Bartstoppel seines Dreitagebarts und beschloss dass es wieder Zeit wurde sich einer Rasur zu unterziehen.

Zunächst würde er jedoch duschen. Er schlüpfte aus dem Bademantel und öffnete die Glastür der Dusche. Auf die Prothese brauchte er keine Rücksicht zu nehmen, denn sie war unempfindlich gegen Nässe. Er nahm sie nur zur Wartung ab und diese war erst wieder in einem halben Jahr vorgesehen. So wie die Dinge liefen brauchte er sich darüber aber keine Sorgen mehr zu machen. Tote brauchten keine Armprothese mehr egal wie abgefahren und fortschrittlich diese war.
 

Das Wasser war himmlisch warm auf seinem Körper und er lehnte den Kopf in den Nacken um sich minutenlang berieseln zu lassen. Was sollte er jetzt unternehmen? Gab es wirklich keinen Ausweg mehr für ihn?
 

Er wusste nicht mehr wie lange er dort gestanden hatte und hatte auch nicht bemerkt, dass die Duschtüre geöffnet wurde. Erst als sich Hände auf seinen Rücken legten zuckte er brachial zusammen und drehte sich wütend um. Er sah sich einem ernst blickenden Jules gegenüber, der seine Hände mühelos abwehrte, obwohl er von Statur her ihm nur marginal überlegen war. Er kannte diese Handgriffe die ihm schlussendlich einen brachialen Kontakt mit der Duschwand bescherten und ihm den Arm auf den Rücken drehten. Wing Tsun war eine Kampfsportart die er kannte, aber keineswegs beherrschte.

„Ich habe nachgedacht und finde, dass ich heute zum Spielen aufgelegt bin. Und da niemand da ist der ansonsten mit mir spielen könnte nehme ich dich dafür. Du bist wie geschaffen dafür: unfertig, aufmüpfig, beschädigt“, drang die kühle Stimme von Jules an sein Ohr. Ihm schien es keinerlei Mühe bereitet zu haben seine Schläge abzuwehren, er atmete kaum schneller.
 

„Nein“, keuchte dagegen Firn an der Duschwand, seine Wange klebte unsanft an daran. „Nein... nicht jetzt...nicht...“

Er spürte die Präsenz des Mannes wieder durch seine errichteten Schilde gleiten als wären sie nicht vorhanden. Er wehrte sich mit allem was er hatte auch auf Kosten seines Armes, er schrie und tobte.

„Willst du mich dafür bestrafen, dass ich nicht alles tue was du von mir verlangst?“

„Sicher“, sagte Jules und das Lächeln das Firn durch die Worte hörte brachte die Wut an die Oberfläche. Er bemerkte dass Irgendetwas tief in ihm Hilfe und Rettung aus dieser Situation offerierte. Doch dieses Etwas kam nicht durch, es war gefangen. Das fremde Bewusstsein von Jules berührte einen Teil in seinem Selbst dass diese Art der Berührung nicht gewohnt war, doch es fügte sich wie ein Hund der gestreichelt wurde. Das letzte was Firn wahrnahm war dieser auslöschende Schmerz der sein gesamtes Sein betraf bevor er mit einem Stöhnen zusammenbrach.
 

Jules hatte das erwartet und fing den schlaffen Körper mit seinem eigenen ab als er ihn zu Boden gleiten ließ. Er lehnte sie beide an die Duschwand an und betrachtete sich die Umgebung. Der Zustand des Wassers hatte sich verändert. Eistropfen und lange Eiszapfen hingen vom Duschkopf und lagen um sie herum. Er grinste triumphierend und nahm eine der Eiskugeln in seine Hand. Der Körper den er immer noch an sich hielt war heiß, die Wangen glühten förmlich. Er nahm das Eis und kühlte die heiße Stirn des Mannes in seinen Armen. Dann beugte er sich hinunter und benetzte die trockenen Lippen mit Eis und einem sanften Kuss.

„Warum ist das bei dir immer so schwierig, hmm?“, fragte er den Mann der ihm im Moment ohnehin keine Antwort geben konnte.

„Das hättest du viel einfacher im Schwimmbecken haben können. Wenn du etwas offener für mich wärst dann würdest du auch nicht diese Schmerzen haben“, brummte er beleidigt.

Einer der fallenden Eiszapfen hatte ihn an der Brust geschrammt und er betrachtete sich den kleinen Kratzer.

„Irgendwann wirst du mich vermutlich umbringen, aber bis dahin müssen wir noch viel miteinander spielen. Es wird dir zwar nicht helfen, aber es vertreibt mir die Langeweile.“ Er lächelte und hangelte sich nach oben um die Temperatur am Regler wärmer zu stellen. Die Düsen des Duschkopfes waren noch frei aber schon mit Reif belegt. Der warme Regen von oben schmolz das Eis um sie herum. Jules legte seine kühle Hand auf die Stirn des Mannes und strich ihm über den Kopf. Erst nach einer halben Stunde kehrte wieder Leben in den Mann zurück und er bewegte sich stöhnend.
 

Firn öffnete die Augen – ins schwarze Nichts hinein.

Und wieder sah er nichts, aber er spürte Jules an sich, Wasser prasselte auf sie und die Erinnerung kam wieder. Er versuchte sich aufzusetzen was ihm aber kaum gelang so schwach fühlte er sich.

„Warum macht es dir... so viel Spaß mich zu quälen?“, fragte er müde.
 

Jules strich wieder über die Stirn die nun nicht mehr ganz so heiß war. „Weil du so schön leidest?“, bot er als Antwort an.
 

„Klingt logisch“, erwiderte Firn halbherzig.
 

Aber er spürte, dass sich etwas verändert hatte, er konnte noch nicht ganz sagen was genau das war, aber irgendetwas war anders als zuvor.
 

„Komm, steh auf, wir sollten uns anziehen, das Essen wartet sicher schon.“
 

„Essen? Wie soll ich jetzt etwas essen?“
 

„Ich bin mir sicher du wirst essen wenn du erst einmal anfängst. Du bist nur deshalb so schlapp weil deine letzte Mahlzeit viel zu lange her ist.“
 

„Lass mich aufstehen“, sagte Firn daraufhin unwirsch.
 

„Bitte, ich halte dich nicht auf“, Jules stand flink auf und sah zum anderen hinunter der sich immer noch mit dem nassen Boden und seinen langen Beinen die ihm nicht recht gehorchen wollten auseinandersetzte.
 

Firn sah nicht nach oben, er kam lediglich bis zu den muskulösen Oberschenkeln, dann verbat er seinen Augen weitere Inspektionen vorzunehmen. „Hilf mir hoch“, bat er, doch Jules stand dort immer noch untätig herum.
 

„Und was bekomme ich als Gegenleistung?“, erdreistete sich Jules und sah dem armen Kerl zu wie er sich nach seiner Absage erneut abmühte.
 

Firn gab es auf seine Oberschenkel zitterten und die gläsernen Wände gaben ihm keinen Halt. „Abgesehen davon, dass du mich in die Lage gebracht hast. Was willst du?“, fragte er entkräftet. Er konnte die momentane Schwäche sicher aussitzen aber ihm wurde langsam trotz des warmen Wassers kalt und seine Haut schrumpelte sich schon langsam an den Fingern. Außerdem war ihm schwindlig und die schwarzen Punkte vor seinen Augen machten die Sache nicht besser, vielleicht sollte er doch lieber sitzen bleiben. „Kannst du das Wasser abstellen?“
 

Jules sah das Gesicht an, das sich verdüstert hatte und spitzte die Lippen.

Er drehte sich um und verließ die Duschkabine. Dann nahm er sich ein Handtuch, trocknete sich seine geflochtenen Zöpfe notdürftig ab, trocknete den Rest seines Körpers in aller Seelenruhe ab und verließ das Badezimmer. Er schloss die Tür hinter sich und überließ Firn seinem Schicksal.
 

Dieser lehnte den Kopf an die Duschwand und lachte bitter auf. Wenn das zwischen ihnen so weiter ging würde er das nicht mehr lange durchhalten. Er war es nicht gewohnt ständig abgewiesen zu werden, er war ein umgänglicher Mensch, scheute den Konflikt. Er war harmlos, ein ganz normaler Junge, der einfach nur seine Ruhe wollte und das tat was man ihm sagte, meistens jedenfalls. Der liebe nette Junge von nebenan, der vielleicht etwas langsam im Kopf, nur einen Arm hatte und halb blind war. Wie konnte er nur hier in so etwas Furchtbares hineingeraten?

Nach einer Weile in der er wiederholt versucht hatte aufzustehen und dabei ausgerutscht war und nun würdelos aus der Dusche kroch blieb er auf den warmen schwarzen Fliesen des Badezimmers erschöpft liegen. Was war nur mit seinem Körper? Warum war er plötzlich wieder so schwach?

Das hatte sich doch alles ganz gut angelassen. Nach der ersten ‚Reparatur’ wie es Jules bezeichnete war er fit wie noch nie gewesen.

Hatte Jules erneut etwas mit ihm etwas gemacht was das bewirkt hatte?

Er würde einfach hier liegen bleiben und dem Plätschern des Wassers in der Dusche lauschen. Irgendwann würde er wieder hoch kommen dessen war er sich sicher.
 

Jules hatte sich in der Zwischenzeit angezogen und das Essen inspiziert dass bereits gekommen war. Er stellte alles auf zwei große Tabletts und trug sie ins Wohnzimmer wo immer noch das Feuer vor sich hin flammte. Nachdem er das erledigt hatte streifte er langsam zurück zum Badezimmer. Er öffnete die Tür und fand sein Haustier auf dem Boden eingerollt mit halb geschlossenen Augen. Einen Moment versank er in die Betrachtung bis er sich einen Ruck gab und zu ihm ging. Er ging in die Hocke und strich eine der überlangen Haarsträhnen, die getrocknet war von der Wange. „Und, hast du es dir überlegt?“
 

„Was?“
 

„Deine Antwort darauf was du bereit bist für meine Hilfe zu leisten?“
 

„Ich habe dich gefragt was du willst.“
 

„Alles will ich. Uneingeschränkt.“
 

„Dann nimm es dir eben. Das tust du ohnehin egal was ich dazu zu sagen habe. Wozu diese Spielchen?“, fragte er mit schwacher Stimme.
 

„Weil ich mich langweile, wozu sonst?“
 

Jules sortierte mit Firns unzulänglicher Hilfe dessen Glieder und richtete ihn auf sodass er ihn auf die Bank setzen konnte die es im Badezimmer gab. Er kniete sich vor ihn und Firn beobachtete dies mit skeptischem Argwohn. Die Hände strichen über seine Oberschenkel hinauf über die Flanken zu seiner Brust, dort verharrten sie und Jules kam näher. Er legte seine Stirn auf sein Brustbein und umarmte ihn. Dabei presste er Firns Männlichkeit an dessen Bauch was Firn die Kiefer aufeinanderpressen ließ. Das war nicht förderlich. Ganz und gar nicht. James hatte nie derartige Reaktionen mit seiner bloßen Berührung bei ihm bewirkt.

„Warum tust du das immer wieder?“
 

„Was?“
 

„Mich in Verlegenheit bringen?“
 

„Tu ich das?“
 

„Ja das tust du.“
 

Jules löste sich von seiner Umarmung leicht und sah nach oben zu Firn. „Wie?“
 

Firn rollte mit den Augen. „Ich bin nicht unempfindlich für deine Berührungen. Auch wenn es so sein sollte.“

Jules tat natürlich jetzt genau das was Firn vermeiden wollte aber mit seinen Worten herausgefordert hatte –wie ihm jetzt viel zu spät einfiel. Er war wirklich dumm.

Jules nahm seine Hand von seiner Brust sah nach unten und legte seine Hand um Firns Glied. Er streichelte es und Firn löste seine Hände von seinem Halt auf der Bank um das zu unterbinden was dazu führte, dass er nach vorne kippe und dank Jules ‚umsichtiger Hilfe’ auf dessen Schulter zu liegen kam. „Hör auf damit, hör sofort auf damit, bitte...“, keuchte er. „Du hast nicht das Recht dazu.“
 

Jules küsste das Ohr das seinen Lippen so nah war. „Ich habe das Recht dazu, Totgeweihter. Und da ich dich offensichtlich sexuell errege mit meinen Berührungen hatte ich die Hoffnung dir ein wenig Erleichterung zu verschaffen.“
 

„Wenn du mich nicht ständig anfassen würdest hätte ich dieses Problem jetzt nicht.“
 

Jules strich immer noch sanft über das halberegierte Glied. „Meine Berührungen haben nicht die Absicht dich zu erregen, mein Tierchen. Dass du auf mich derart anspringst ist dein Problem und nicht meines. Mich jedenfalls interessiert der Sex mit dir oder sonst jemandem keineswegs.“

Er ließ von ihm ab und Firn atmete auf als er wieder aufgerichtet wurde und Jules ihm ein Handtuch brachte. Er trocknete ihm seine Haare fürsorglich ab, bedachte das Gesicht liebevoll mit dem Handtuch und seinen Körper. Er ließ nichts aus und Firn kam sich tatsächlich vor wie eine geliebte Puppe oder ein Haustier. Oder ein Kind.
 

Firn sah Jules dabei mit zerfurchter Stirn zu, etwas anderes konnte er im Augenblick ohnehin nicht tun denn jedwede Kommunikation führte bei Jules nur zu seltsamen unlogischen Handlungen oder dergleichen Antworten.

„Du bist wirklich weit weg von einem Menschen“, sagte Firn plötzlich nach einer Reihe von Überlegungen die er angestellt hatte und sah zum anderen auf als dieser sich erhob.
 

„Ich habe nie etwas anderes behauptet“, kam die prompte Antwort.

Außerdem kam hinzu, dass der Mann hier seit zwei Jahren in einem absurden Gefängnis lebte und im Grundgenommen missbraucht wurde. War das der Grund für sein teilweise gemeines Verhalten?

„Warst du schon immer so oder haben sie etwas bei dir beschädigt?“ Er meinte im Kopf und er meinte es tatsächlich gehässig. Aber Jules hängte nur das Handtuch auf und holte seine Kleidung. Er ging vor ihm wieder auf die Knie und fädelte die Hosenbeine ein. Für einen Moment fassten die dunklen Orben ihn genau ins Auge und Firn wusste nicht welche Attacke ihm als nächstes blühte.
 

„Ich bin beschädigt“, sagte Jules leise und nahm seine Arbeit wieder auf. Er zog ihm die Socken über und holte das Langarmshirt, dass er ihm über den Kopf streifte. „Ich bin sogar so beschädigt, dass bald nichts mehr übrig sein wird von dem was ich einmal war. Es...“ Jules hob den rechten Arm an und mit Firns Unterstützung zog er ihm das Shirt über.

Dann kam er zu dem linken Arm und sah die Prothese an als würde er sie zum ersten Mal sehen. Er runzelte die Stirn, griff nach den Streben des Unterarms und hob ihn an. Firn verzog den Mundwinkel zu einem spöttischen Lächeln half ihm aber dabei. Er schlüpfte in das Shirt und Jules zog es ihm über den Rücken.

Dann zog er ihn auf die Beine und die Hose hoch – ohne Unterwäsche, die er wohl vergessen hatte.

„... wird nicht mehr lange dauern. Wobei ich sagen muss seit du hier bist hat sich der Prozess verlangsamt und ist zum Stillstand gekommen.“

„Welcher Prozess?“
 

„Der des Verfalls. Meine Seele zerfällt Stück für Stück. Zunächst geschah es langsam und ich habe mich dagegen gewehrt.“ Er schwieg einen Moment, so als würde er sich an diese Zeit erinnern. „Dann resignierte ich und nach und nach bemerkte ich nicht wie ich mich an etwas anpasst hatte dass für mich die Hölle war und ist. Meine Seele verdunkelte sich stetig und schließlich ohne Hoffnung zerfiel sie Stück für Stück. Und dann... nun den Rest kannst du dir denken. Dann bin ich irgendwann in nächster Zeit Geschichte. Vorher werde ich noch ein paar von diesen Rosenkreuzern mit ins Grab nehmen. Du solltest dann aber hier weg sein, das empfehle ich dir dringend“, sagte er leise lachend. Firn war nicht mehr zum Lachen zumute.

„Bist du deshalb ein so großes Arschloch weil deine Seele hier leidet?“
 

Jules stand vor ihm und hob sein Kinn an sodass sie sich ansahen.

„Nein, ich war vorher schon eins. Ein riesengroßes sogar. Wenn du glaubst dadurch ein wenig Mitleid mit mir und dieser Situation entwickeln zu wollen, dann muss ich dich enttäuschen. Tu es nicht.“
 

Jules log das sich die Balken bogen aber er sah keinen Sinn darin den Mann für sich einzunehmen. Er würde über kurz oder lang hier zugrunde gehen und erfreute sich lediglich des einen oder anderen Moments die dieser Mann ihm hier bescherte. „Ich bin froh dass du hier bist, das versüßt mir meine letzten Tage.“
 

„Wenn du bald stirbst wozu dann dieser Handel mit dieser Frau, diesem Direktor? Warum ist sie darauf eingegangen?“
 

„Weil die dumme Kuh es nicht weiß. Sie glauben mich auf ewig wie eine Zitrone auspressen zu können. Aber dem ist nicht so.“ Er zuckte mit den Schultern. „Reparaturarbeiten kosten mich Energie, die ich zu einem Teil zurückerhalte wenn ich mich zwischen den Arbeiten erhole, aber es geht stets ein kleiner Teil für immer von mir verloren, den ich nur durch bestimmte Umstände zurückbekomme.“

Reparaturarbeiten... dass er nicht lachte. Ganz so gut war es nicht was er da tat. Er war eher die Putzkolonne, mit reparieren hatte das weniger zu tun. Aber er langweilte sich eben. Und einer wie er brauchte Unterhaltung sonst wurde er verrückt. Noch verrückter als ohnehin schon. Sein Verhalten anderen gegenüber war immer schon von einer gewissen Distanzlosigkeit gekennzeichnet gewesen. Der komplette Reizentzug der letzten Monate jedoch hatte dies um ein Vielfaches verschlimmert. Er hungerte nach anderen Menschen, nach dem Kontakt, der körperlichen und geistigen Kommunikation. Und er tat sich schwer damit seine Handlungen zu reflektieren. Dafür hatte er seine Schwester gehabt. Die nun nicht mehr da war um ihn zu korrigieren und ihn in die Schranken zu weisen.
 

„Und welche Umstände wären das?“
 

„Geborgenheit, Nähe, das Gefühl von Schutz oder das Gefühl der Fürsorge für Jemanden et cetera...“
 

„Was ist mit Liebe?“
 

Jules öffnete die Tür. „Was soll damit sein?“
 

Firn zuckte mit den Schultern. „Wäre das nicht das Komplettpaket?“
 

„Sicher. Aber es gab niemanden der mich vor diesem ganzen Drama geliebt hätte und den ich auch nur in meine Nähe gelassen hätte und wenn sich deine Seele verfinstert will dich niemand mehr lieben, nicht die wahre Liebe, die tief aus deiner Seele entspringt und die nicht blind aber bedingungslos ist. Es ist zu spät dafür für mich. Der Verfall hat bereits begonnen mein Handeln in letzter Zeit zeugt davon.“ Er hatte diesen Seelenhunger nicht mehr unter Kontrolle.
 

„Sieh mich an. Könntest du mich lieben? Du sagtest meine Berührungen lassen dich nicht kalt. Also sag mir kannst du es?“
 

„Nein“, antwortete Firn ohne einen Moment der Überlegung.
 

„Warum nicht?“
 

Firn sah auf und erkannte das Lächeln eines Menschen der eine Falle aufgestellt hatte und nun zusah wie sie zuschnappte.

„Es ist deine verachtende verletzende Art mir gegenüber.“
 

„Ja, so ist es.“
 

Jules kam zu ihm und stützte ihn beim Aufstehen. Als er jedoch ein paar Schritte ging wurde es besser und mit der Unterstützung ging es den Flur hinunter zum Wohnzimmer. Trotzdem war er fertig als Jules ihn hinsetzte. Irgendwie kreiselten immer noch die Worte von Jules in seinem Kopf umher und ließen ihn nicht los. Es gab einen Haken daran und er fand ihn nicht.
 

Neben Firn stand ein Tablett mit Früchten, kleinen, zurecht geschnittenen Häppchen und hübsch angerichteten Salaten in kleinen Schälchen. Er sah wieder weg, denn ihm war nicht nach Essen zumute.
 

Jules beobachtete dies und nahm seine eigene Gabel auf um das Stück Gemüsetarte anzustechen. „Falls ich hier fertig sein sollte und du hast noch kein Stück gegessen werde ich dir wohl behilflich sein müssen. Also überleg dir gut ob du Hilfe von mir brauchst.“

Er sah den Mann einen wohl überlegten Moment lange an. Die zweite Reparatur war hart für diesen gewesen und keiner der Rosenkreuzer hatte genügend innere Stärke besessen um sie zu überleben. Ein reiner PSI hatte da mehr Chancen, dennoch schlauchte es ziemlich. Aber diese zweite Reparatur hatte sich gelohnt auf diesem hübschen Gesicht konnte er nun sehr eindrücklich stille Wut erkennen. Das faszinierende Eisblau der Augen schrie sie ihm mit einer gehörigen Portion Trotz förmlich entgegen. Jules lächelte. Köstlich anzusehen wie er befand.
 

„Du wirst mich zum Essen zwingen? Ist dir denn nichts heilig?“ Firn griff zu den Trauben und zupfte sich eine ab. Widerwillig steckt er sie sich in den Mund.

„Du meinst jemanden der Menschen auf der Basis ihrer Existenz zerstören kann dem sollte etwas so simples wie dich zum Essen zu zwingen heilig sein?“ Jules lupfte zweifelnd eine Augenbraue.
 

„Ja wenigstens das sollte es. Gibt es etwas dass dir überhaupt noch wichtig ist?“
 

Jules befand diese Frage als rein rhetorisch, weshalb er sich einer Antwort enthielt.
 

Er aß seine Tarte und beobachtete Firn dabei wie er langsam zu Essen begann. Er musste Hunger haben, bei dem Maß an Energie das er eingesetzt hatte.
 

„Hast du noch nie bemerkt, dass du Probleme hast?“, fragte er als er sich seinen Früchten widmete.
 

„Probleme?“ Er hob seinen künstlichen Arm etwas an. Er trug seinen Handschuh nicht wie ihm gerade auffiel als er die Fingerglieder betrachtete, die in einem metallischen Blau schimmerten.
 

„Mit deinen Fähigkeiten.“
 

Firn überlegte und war für ihnen Moment unschlüssig. Er stellte das kleine Schälchen mit dem Salat zur Seite. „Mit mir war noch nie etwas wirklich in Ordnung. Ich habe mich damit arrangiert. “
 

„Und du hast dir nie Gedanken darüber gemacht“, schlussfolgerte Jules.

„Du hast keinen Gedanken daran verschwendet warum du dich mit Gefühlen schwer tust?“
 

„Das tue ich überhaupt nicht“, begehrte Firn auf.

Das stimmte nicht so ganz, aber er war immer der Meinung, dass es eben Menschen gab die gefühlsbetonter agierten und Menschen die es eben nicht taten.
 

„Du hast keinen normalen Zugang zu deiner Seele. Als PSI ist das eine unzumutbare Beschneidung. Du siehst dir Dinge an und nimmst sie hin ohne innere Gefühlsregung, das nenne ich ein Problem.“
 

„Manchmal bemerke ich diesen Unterschied sehr deutlich, und ich wundere mich über die Ruhe in mir.“
 

„Diese Ruhe ist nicht natürlichen Ursprungs, ein Pseudo-Destroyer der diese innere Ruhe hat ist entweder ein eiskalter Killer oder manipuliert.“
 

„Niemand hat mich manipuliert.“
 

„Die Natur hat das getan. Eine unglückliche Kombination deiner Eltern hat dies aus dir gemacht.“
 

„Ich habe Gefühle und ich spüre sie auch. Das kann also nicht sein.“
 

„Natürlich hast du sie. Aber es gibt Situationen in denen sie dir fehlen. Und dann hast du ein Problem, denn im Gegensatz zu den Menschen ohne diese starke PSI haben wir Instinkte. Sie helfen uns Gefahrensituationen zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Ist dir noch nie aufgefallen, dass Menschen mit unserer speziellen Seelenprägung ein gefälliges Äußeres besitzen?“
 

„Nein.“
 

„Dem ist aber so. Und wir suchen uns auch nur Partner die dem entsprechen. Das liegt daran, dass wir in den letzten Jahrhunderten gelernt haben das Attraktivität mehr erreicht als bloße Stärke. Die Evolution findet bei uns schneller statt als bei normalen Menschen. Darauf haben wir keinen Einfluss. Es hilft uns als Minderzahl in dieser Welt zu überleben.“
 

Firn schüttelte den Kopf. „Das ist Schwachsinn.“
 

Jules lächelte und ließ eine Erdbeere zwischen seinen Lippen verschwinden. „Schwachsinn ist, dass du blind in Gefahren hineinläufst ohne den leisesten Argwohn. Du kommst hier her ohne Angst oder die Befürchtung in eine Falle zu laufen. Das nenne ich Schwachsinn. Du hast keine Instinkte, die dir beim Überleben helfen. Nicht in unserer Welt.“
 

„Du meinst die Welt die es bald nicht mehr geben wird?“
 

„Sie wird es weiterhin geben. Rosenkreuz werden sie beherrschen. Es wird eine neue Welt sein in der Menschen ohne PSI Menschen zweiter Klasse sein werden. Wenn wir sie nicht aufhalten.“
 

„Und wie willst du das genau tun? Von hier drin meine ich. Oder hast du dir bereits einen geheimen Plan ausersonnen und wartest lediglich darauf bis der Tag X kommt an dem der Augenblick günstig ist ihn in die Tat umzusetzen?“
 

Jules verschluckte sich beinahe an einer weiteren Erdbeere als er lachen musste. Er lag auf der Couch Firn gegenüber. Zwischen ihnen das heimelige Feuer. Er setzte sich auf als er hustend lachen musste. „So viel Sarkasmus hätte ich dir gar nicht zugetraut. Offenbar befinden wir uns in einer Phase der stetigen Rekonvaleszenz.“ Er lachte noch immer leise vor sich hin.

„Nein, ich bin bereits Geschichte. Ich werde nicht mehr miterleben wie die Marines kommen und uns den Arsch retten oder wie alles was uns ausmacht vor die Hunde geht.“
 

„Gab es so etwas wie dich schon einmal?“
 

Jules wandte ihm das Gesicht zu, die Erdbeere die gerade seinen Mund heimsuchen wollte noch zwischen den Lippen. Er sah in die eisblauen Augen.

„So etwas wie mich? Meinst du meine Neigung zu hinterhältigen Attacken dir gegenüber oder die Tatsache, dass ich schneller deine Seele in Stücke reißen könnte als diese Erdbeere zu verspeisen?“
 

„Ich meine die Tatsache, dass du überhaupt die Möglichkeit hast Zugang zur menschlichen Seele zu haben.“
 

Jules legte sich wieder zurück und zog die Beine an, lässig legte er das Linke über das Rechte und wippte mit dem Fuß.

„Keine Ahnung. Wir führten nie Buch darüber wer was kann. Und mir ist davon nichts bekannt.“ Was gelogen war. Ein gut gehütetes Geheimnis war es und nur wenige wussten davon.
 

„Dann willst du also einfach so aufgeben? Deine Einzigartigkeit einfach so vergehen lassen ohne... ohne einen Ausweg?“
 

„Stört dich das?“ Jules hangelte sich eine Traube.
 

„Dich nicht?“
 

„Das geschieht jeden Tag auf dieser Welt, tausendfach, zehntausendfach. Jeder Mensch ist einzigartig. Das was ich mache können auch Menschen ohne PSI- Fähigkeiten. Jeden Tag berühren sie die Seelen anderer. Manche von ihnen schaffen es sogar Seelen zu verletzen oder sie zu zerstören. Und zerstören dabei sich selbst gleich mit.“
 

„Du weißt was ich meine“, sagte Firn ernst und sah das so sorglose Gesicht aufmerksam an, das ihm nur das Profil präsentierte. Jules antwortete ihm lange nicht. Er wirkte abwesend. Aber Firn war geduldig und wartete.
 

„Ich habe lange gekämpft, aber auch ich habe Schwachpunkte. Als sie diese herausfanden war der Anfang vom Ende gekommen. Es gibt einen Moment im Leben bis zu dem du alles im Griff hast auch wenn es noch so schlimm kommt. Aber wenn dieser Moment kommt an dem es nur ein klein bisschen zu viel wird dann dreht sich die Abwärtsspirale immer schneller. Ich habe lange gekämpft bis zu diesem Moment und dann verdunkelte sich meine Seele. Das Ende für einen wie mich.“
 

„Weißt du was in Japan los ist?“, änderte Firn das Thema, denn er sah, dass er so beim Anderen nicht weiter kam. Er hatte immer noch so etwas wie einen Auftrag und die Vorkommnisse in Japan hatten in Anchorage Besorgnis und einen Funken Hoffnung entfacht.

Jules hielt mit einer Traube in den Fingern inne. Er legte sie wieder zurück und das sorglose Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an.

„Lüg mich nicht an“, schob Firn gleich voraus.

Jules drehte das Gesicht zu ihm. „Was dort vorgeht geht uns nichts an.“
 

„Also weißt du es und willst es nur nicht sagen. Für uns hier drin spielt es doch ohnehin keine große Rolle. Wozu die Geheimniskrämerei?“
 

„Weil es uns nichts bringen wird, deshalb. Dort gibt es lediglich einen Kampf unter PSI und Jägern die sich schlussendlich gegenseitig auslöschen werden. Was sollte uns das nutzen?“
 

„Und was wenn nicht?“
 

Jules lächelte. „Was nützt das uns? Vor ein paar Wochen war ein Mann hier in Vegas. Seine Signatur gleicht denen der Rosenkreuzer. Allerdings hatte ihr Muster eine Stärke, die ich bisher nur bei den Alten Herrschaften von SZ gesehen habe.“
 

„Woher...?“
 

„Die Kinder haben mir davon berichtet, allerdings hatte ich ihn schon gespürt als er in der Stadt ankam. Er hat starke Schilde und die Rosenkreuzer haben ihn nicht bemerkt, diese Trottel. Aber für mich ist das ohne Belang, wenn man hier untätig herumsitzt fällt ein PSI wie er auf als würde er laut herumbrüllen und ein Leuchtsignal abschießen.“
 

„Das ist vielleicht ein Mitglied von Schwarz gewesen“, sagte Firn fassungslos. „Was wenn sie gegen die Rosenkreuzer in Japan kämpfen? Was wenn sie uns helfen könnten? Was wenn alle von Schwarz noch leben?“ Schließlich wusste jeder der Hazel nahe stand um SZ letzten Kampf in Japan und wie dieser ausging.
 

„Und wenn das alles zutrifft, was sollte ihnen das nützen uns zu helfen? Schwarz räumten hinter SZ her, sie waren die Putzkolonne der alten Trias, Killer Firn, nichts anderes. Wenn du nur im Ansatz daran glaubst, dass sie Lust darauf hätten sich einen kleinen Infight mit ihren ehemaligen Blutsbrüdern von Rosenkreuz zu liefern bist du naiver als ich dachte.“
 

„Sie müssen uns helfen!“, begehrte Firn auf und ballte die Fäuste.
 

„Sie müssen gar nichts.“ Jules sah auf seine Prothese und schien fasziniert davon zu sein. Firn rollte mit den Augen.
 

„Aber wenn sie von SZ ausgebildet worden sind, dann haben sie sicher mit den gleichen Problemen zu kämpfen wie die Rosenkreuzer auch. Wir könnten ihnen einen Deal anbieten. Wir helfen ihnen ihre Probleme in den Griff zu bekommen und dafür helfen sie uns gegen Rosenkreuz.“
 

„Und wer sollte ihnen helfen?“ Jules lächelte spöttisch.
 

„Arsch“, keifte Firn. „Du natürlich. Nur du kannst das.“
 

Jules wandte das Gesicht wieder ab. Firn stand auf ging um das Feuer herum, kniete sich vor den anderen und nahm das Gesicht in beide Hände. Die Fingerkuppen der Prothese umfassten die rechte Kopfseite. Er beugte sich über ihn. „Nur du kannst das.“
 

„Hast du vorhin nicht zugehört?“, fragte Jules in aller Seelenruhe und war erneut erstaunt über die leidenschaftlich blickenden Augen die ihn so feurig ansahen. So voller... „...Hoffnung ist etwas das ich am Meisten hasse. Sie ist oft so trügerisch und verderbt und kann unsere Seelen langsam zerstören und das ohne dass wir es bemerken, wie ein langsam schleichendes Gift von dem wir nichts bemerken.“ Er schmiegte sich in die künstlichen Finger der linken Hand.
 

Firn schüttelte den Kopf.
 

„Nein? Sieh an was sie in einer Sekunde aus dir gemacht hat?“, sagte er mit einem spöttischen Blick. „Du kommst freiwillig zu mir, berührst mich ohne mit der Wimper zu zucken oder deine Abneigung gegen mich wahrzunehmen. Und sie ist dazu fähig, dass du dich selbst vergisst und nur für sie lebst.“
 

Firn hörte nicht auf diese Worte, sie sollten ihn nur davon abhalten seine Argumente vorzubringen.
 

„Nur du kannst uns helfen. Die Farseer hatte Recht. Hier ist der Ort an dem ich Hilfe finde.“ Auf mehr als nur eine Art wie ihm schien.
 

„Eine Farseer? Wo?“
 

Firn ging nicht darauf ein, es war unerheblich wo. Er strich mit der Rechten gedankenverloren über Jules Schläfe als er ihm die Haare aus dem Gesicht strich und ließ dann davon ab. Er setzte sich auf den Boden und lehnte sich an die Couch. „Wir müssen irgendwie hier raus.“
 

Jetzt wusste er was er tun musste. Schwarz finden, sie kontaktieren, ihnen einen Handel anbieten und dafür brauchte er Jules. Lebendig.

„Was kann ich tun damit du wieder gesund wirst?“ Er wusste nicht wie er es sonst sagen sollte.
 

Jules Hand legte sich auf seine Schulter. „Es ist zu spät für mich.“
 

Firn wandte sich heftig um, stand auf, nahm die Hand und pinnte sie mit seiner Linken Jules über den Kopf. Dieser Mann machte ihn wütender als jemand sonst in seinem Leben zuvor.

„Das ist es nicht. Das ist es nie bis es soweit ist“, schrie er ihn an.
 

„Willst du mir weh tun?“, fragte Jules mit einem teuflischen Lächeln.
 

„Nicht mehr als du mir“, kam die Replik und Firn lockerte den Druck des Metalls auf das Handgelenk etwas.

„Ich werde dich reparieren. Dann werden wir sehen was geschieht. Wenn du es überlebst und ich dies auch tue – was ich bezweifle – dann können wir uns Gedanken darüber machen wie wir her heraus kommen.“ Falls du repariert bist sollte es heißen. Von der winzigen kleinen unausgesprochenen Problematik, dass er dazu überhaupt nicht in der Lage war.
 

„Das heißt, dass es davon abhängt ob ich die Reparatur überlebe? Es hängt von mir ab?“
 

„Wenn du es so ausdrückst, ja.“ Er würde es nicht überleben. Keiner tat das. Nicht wenn er an dieser Seele herumpfuschte.
 

„Gut, wann können wir weitermachen?“
 

Jules hob die freie Hand, die nicht von Firn festgehalten wurde und strich ihm über die Wange. „Wenn wir uns ausgeruht haben. Nicht vor nächster Woche. Ich habe dir ohnehin schon viel zugemutet in den letzten Stunden.“
 

Firn ließ von ihm ab und ging zum Fenster. Seinen Gedanken überschlugen sich. Jules musste sich erholen. Schnell. Was war also dazu nötig? Berührungen, Nähe, Geborgenheit, Fürsorge, all das was dazu nötig war um Bindungen entstehen zu lassen. Als er da so stand hörte er wie jemand in den Raum gelaufen kam. Der Aufzug war zu weit weg als dass er ihn gehört hätte. Es war eines der Mädchen. Er erinnerte sich, dass sie neben diesem Mann, der ihn bedroht hatte auf der Couch gesessen hatte.
 

Sie lief auf Jules zu und fiel ihm in die Arme als er sich aufsetzte. Sie umarmten sich als wäre es das letzte Mal und Jules presste das Mädchen an sich.

Danach kamen alle Kinder und Jugendlichen in den großen Raum. Sie beachteten ihn jedoch nicht sondern beschäftigten sich mit Jules, fragten ihn wie es ihm ging und was er machte. Es war als wäre Firn nicht vorhanden. Jules sah ihn an und schüttelte den Kopf. Nur das Mädchen wandte sich um und sah ihn direkt an. Sie lächelte zaghaft und zwinkerte ihm zu.
 

Firn zuckte mit den Schultern und beschloss sein Tablett mit Essen wegzuräumen, das meiste davon hatte er verputzt wie ihm auffiel als er es in die Küche brachte und es in den kleinen Aufzug stellte, der es hinunter in die Hotelküche brachte.

Er beschloss den Fitnessraum aufzusuchen. Zunächst holte er sich jedoch Sportschuhe aus dem Ankleidezimmer. Jules hatte fast die gleiche Schuhgröße, die Schuhe passten zwar nicht ganz perfekt aber es sollte und musste reichen.

Er besah sich das Laufband das dort stand und beschloss zu laufen.
 

Und das tat er dann auch über eine Stunde lang. Als er danach verschwitzt und erschöpft aber gut gelaunt ins Badezimmer ging saß dort auf der Bank Jules. Ein Mädchen hatte ihm die Haare gewaschen und ihm die langen Haare wieder in dünne Zöpfe geflochten.

„Könnt ihr mich einen Moment alleine lassen?“
 

„Klar!“, bekundeten sie und verließen das Badezimmer. Firn ging ihnen nach einem Wink von Jules aus dem Weg.
 

Das Mädchen schloss die Tür hinter sich und Firn hob fragend die Augenbrauen.
 

„Sie nehmen dich nicht mehr wahr.“
 

„Ja, soweit war ich auch schon.“ Sollte er ihm sagen, dass eines der Mädchen ihm zugezwinkert hatte?
 

„Sie können es nicht mehr weil sie manipuliert wurden. Vermutlich um einen Kontakt zu dir zu vermeiden. Setz sie also keinem Stress aus in dem du ihnen im Weg stehst oder sie berührst. Das verstehen sie nicht.“
 

„Wer würde das schon?“

Firn wurde auf Musik aufmerksam die über den Flur aus dem Wohnzimmer zu hören war.

„Sie haben mir neue Musik mitgebracht.“
 

„Sehr aufmerksam von ihnen“, sagte Firn zynisch als er sein Oberteil abstreifte. Er sah Jules an, der ihn aufmerksam wie immer beobachtete.

„Du bist sexuell an mir nicht interessiert wie du sagst?“, fragte er als er die Schuhe abstreifte.
 

Jules legte den Kopf schief als verstand er die Frage nicht.
 

„Ich frage nur weil du mich immer ansiehst als hättest du eindeutig die Absicht mich flach zu legen.“ Er kannte diesen Blick nur zu gut.
 

Jules runzelte die Stirn, öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber unverrichteter Dinge wieder.
 

Firn musste lächeln als er das sah, wandte sich aber Socken und Hose zu. Schließlich stand er nackt vor dem anderen, der nun den Blick scheute. Firn wandte sich nach einem Moment ab und ging in die Dusche. Er schloss sie und stellte das Wasser an.
 

So war das also. Wenn Jules eindeutige Angebote bekam wusste er nichts damit anzufangen. Und er selbst hatte meistens anderes im Sinn. Wenn es um seinen... Seelenhunger ging waren die Maßnahmen eindeutig, nur was war mit dem Hunger den sein Körper verspürte?
 

Als er fertig mit duschen war, hatte Jules das Badezimmer verlassen. In die Flucht geschlagen. Firn grinste.
 

Firn kam ins Wohnzimmer und sah dass zwei der Mädchen halb auf Jules lagen und mit ihm kuschelten. Sie schliefen augenscheinlich. Einer der Jungs machte sich an der Musikanlage zu schaffen während die anderen im Pool ihr Unwesen trieben. Firn beschloss sich ans Fenster zu setzen und die Aussicht zu genießen. Er nahm seinen Platz hinter dem Vorhang wieder ein und ließ seine Gedanken treiben.
 

Er wollte hier raus und er wollte nicht, dass ein Wesen wie Jules hier starb. Etwas in ihm hatte sich verändert nach dem was Jules mit ihm in der Dusche veranstaltet hatte. Er fühlte nun eine unbestimmte Wut in sich, eine Sehnsucht nach dem dort draußen und er hatte das Bedürfnis etwas an dem Zustand ihrer Welt im Verborgenen verändern zu wollen. Wie hatten sie all die Jahre dieses Leben im Verborgenen zulassen können? Waren sie selbst schuld an dieser Misere?

Hazel sagte, dass sie zu schwach wären, aber Firn befand nun, dass sie zu passiv waren. Sie hatten sich sicher gefühlt und waren zu arrogant gewesen um die Zeichen zu sehen.
 

Als es dunkel wurde holten die Kinder Essen aus der Küche. Er stellte etwas für ihn beiseite und sagte den Kindern, dass sie es zurück in die Küche in den Kühlschrank stellen sollten, er wolle sich etwas für später aufheben.

Nach dem Essen gingen die Kinder und Jules kam zu ihm. Er schob den Vorhang beiseite und strich ihm zögerlich über das Haar. „Wir müssen uns fertig machen. Die zwölf Stunden unseres Ausgang sind bald vorbei. Im Kühlschrank steht noch etwas Essbares für dich.“
 

Firn stand auf und verspürte ein leeres Gefühl im Magen. Er ging in die Küche während Jules bereits in ihr Gefängnis ging. Firn nahm sich etwas Obst und folgte ihm. Ihr Gefängniswärter, der Jules mit Angel angesprochen hatte schloss hinter ihnen ab und das Licht dimmte sich herunter. Sie setzten sich aufs Bett und hingen ihren Gedanken nach. Jules legte sich als erster hin und Firn machte ihm Platz. Er setzte sich auf den Boden. Seine Gedanken ließen ihn noch nicht schlafen und die Hand die vom Bett baumelte und Nähe suchend auf seiner Brust lag auch nicht.

„Ist eines dieser Kinder deines?“, fragte er ins Halbdunkel. Die Leisten der unteren Begrenzung der Glasfront verströmten ein warmes Licht.
 

Jules seufzte und seine Hand fand ihren Weg auf seine stoppelige Wange.

„Sehe ich für dich wie ein liebender Vater aus? Oder alt genug dafür?“
 

Firn sah in die Dunkelheit fern des Lichts in diesem Raum. „Was würde ein liebender Vater nicht tun um sein Kind zu schützen? Ich frage mich warum die Kinder immer noch hier sind. Vielleicht hast du für sie auch einen Deal wie für mich ausgehandelt. Außerdem schätze ich dein Alter auf Mitte Zwanzig. Streng genommen kannst du Vater sein.“
 

„Kein schlechter Gedankengang. Aber ich bin nicht so..., mir will das richtige Wort nicht einfallen. Ach ja jetzt hab ich es: edel, wie du glaubst. Und mit deiner Schätzung liegst du in etwa Richtung. Ja, die grobe Richtung scheint zu stimmen.“
 

„Es könnte natürlich auch sein, dass du nie zugeben würdest dass eines dieser Kinder deines ist. Es wäre wohl sicherer für das Kind und sicherer für dich.“
 

„Mag sein“, sagte Jules verträumt und Firn hörte ein Lächeln heraus.
 

„Wo sind die Eltern dieser Kinder?“
 

„Konvertiert oder tot.“
 

„Dann sind das alles deine Kinder.“
 

„Nicht wirklich.“
 

„Bei uns in London... gibt es die Möglichkeit sich seine Eltern auszusuchen. Falls wir unsere leiblichen Eltern verlieren oder nicht mehr bei ihnen Leben können oder wollen, weil sie unsere Fähigkeiten nicht verstehen, dann gibt es einen Rat der sich unser annimmt und uns Gehör schenkt. Wir wählen unseren Vater oder unsere Mutter aus zu der wir gehören wollen.“
 

„Und das funktioniert?“
 

„Ja sehr gut sogar. Unser Sentinel hat vier Kinder aufgenommen.“
 

„Und deine Eltern?“
 

„Ich wuchs bei Augustus Flake auf. Er ist mein Ziehvater wenn du so willst.“ Er vermisste Augustus der in jeder Lage wusste was zu tun war und es auch hier wissen würde. Er hatte ihn viel gelehrt in den letzten Jahren.
 

Firn bemerkte wie die Hand die auf seiner Wange ruhte zu seinem Ohr glitt und leicht daran zog.

„Komm rauf.“
 

Firn wandte sich halb um und verschattete so das Gesicht das vor ihm lag. „Warum? Ist wieder kuscheln angesagt?“, fragte er spöttisch in das nah bei ihm liegende Gesicht.
 

„Ich denke nicht, dass du mehr im Sinn hast.“
 

„Denkst du nicht? Wie kommst du darauf? Hast du meine Gedanken gelesen?“ Er beugte sich vor und berührte die Lippen des Mannes vor sich, nippte an der weichen Haut.
 

Er konnte fühlen wie der andere zögerte und er sah seine Chance gekommen. Er legte seinen Arm um die Schulter schob seine Hand hinter den üppigen Haarschopf und strich mit der Zunge über die halb geöffneten Lippen, seine Zunge stahl sich hinein als Jules verdutzt etwas sagen wollte. Doch Firn unterband dies in dem er ihn weiter küsste. Jules schien damit nicht gerechnet zu haben er wollte nach hinten ausweichen was Firn mit seiner Hand unterband. Jules schien gar nicht zu wissen was er tun sollte. Er spürte die Aufgeregtheit des Mannes und ließ langsam von ihm ab. Er behielt die Berührung ihrer Lippen bei. „Weißt du überhaupt wie das geht?“, wisperte er. Jules Hand hatte sich in seinen metallischen Oberarm verkrallt als gelte es sich vor einem Abgrund zu retten.
 

Jules sagte nichts und als er sich löste und in das Gesicht sah blickte er in zwei dunkle Augen die nichts offenbarten.

„Du willst etwas von mir. Gut ich gebe es dir. Dafür will ich im Gegenzug ebenso etwas.“
 

„Was?“, hauchte Jules.
 

Firn hob die Brauen und lächelte. Er war wohl jetzt am Zug und irgendetwas in ihm schien diese Macht zu genießen. Aber sie war trügerisch.

„Wenn du etwas anfängst dann solltest du es auch zu Ende führen. Deine ständigen Berührungen machen mich an, Jules. Entweder das ganze Paket oder gar nichts. Das ist mein Angebot.“ Woher kam das denn jetzt? Wo war der nette behinderte junge Mann von nebenan geblieben?

Wie würde Augustus so schön sagen: Harte Zeiten erforderten besondere Maßnahmen, Junge.
 

„Das...“, Jules setzte sich auf und Firn ließ es zu. Jules war durchtrainiert und die Handgriffe in der Dusche mit denen er ihn außer Gefecht gesetzt hatte waren ihm noch im Gedächtnis.

„... das geht nicht.“
 

„Warum nicht?“

Jetzt war Firn tatsächlich auf die Begründung gespannt. Das er nicht auf Männer abfuhr war unwahrscheinlich so unbefangen wie Jules ihn anfasste. PSI waren ohnehin eher gleichgeschlechtlich ausgerichtet, wie ihm Augustus erklärt hatte. Sie zeugten Kinder und hatten auch Frauen oder Männer die sie liebten. Aber es war selten und schlussendlich zog es sie zu einem gleichgeschlechtlichen Partner.

Aber das brachte auch den Umstand mit, dass sie weniger Nachwuchs zeugten, was in der Vergangenheit dazu geführt hatte, dass über den Rat angeregt wurde dies zu ändern in dem man den PSI nahe legte sich andersgeschlechtliche Partner zu wählen und Kinder zu zeugen. Das stieß nicht gerade auf offene Ohren aber alle waren überzeugt davon, dass sie ohne Nachwuchs bald aussterben würden. Mittlerweile funktionierte das ganz gut – das mit dem Aussterben.
 

„Das hat Gründe“, sagte Jules unbestimmt und eindeutig defensiv.
 

„Gut. Dann fass mich nicht wieder an.“

Jules hatte etwas an sich dass James nie erreichen würde. Vielleicht weil James kein PSI war. Oder weil Jules an seiner Seele etwas verändert hatte. Vielleicht war es das?

War er deshalb dem anderen mehr zugetan?
 

„Wenn du nicht tust was ich dir sage, ist dein Leben hinfällig“, hörte er von hinter sich auf dem Bett ziemlich wütend.
 

Firn stand auf. Er fühlte der Wut in sich über diese Worte nach. Und es fühlte sich gut an. Befriedigend. „Willst du das gleich durchziehen? Kein Problem, wir holen den Typen her und der sagt dieser Zimtzicke von ‚Direktorin’ dass ich sterben will. Alles kein Problem.“

Firn hatte die Schnauze voll von diesem...

Er ging hinüber zu dem Terminal auf dem ein Knopf angebracht war um mit ihrem Wächter zu sprechen. Er berührte den Knopf als er herumgerissen wurde und er einen Tritt in die Seite bekam. Er landete mit Schwung auf dem Boden und ächzte. Also doch nicht sterben. Hatte er sich schon gedacht.
 

Ein dunkler Schatten kam auf ihn zu und Firn wehrte den nächsten Angriff ab in dem er sich duckte und Jules gegen die Glaswand warf. So ging das eine Zeit lang weiter nur unterbrochen von ihrem Atem oder einem Stöhnen und Keuchen.

Er hatte von Augustus einiges gelernt was schmutzige Tricks während eines Kampfes anbelangte, während Jules sich an bestimmte Regeln zu halten schien. Er ließ ihn hochkommen und wartete bis er wieder stand bevor er wieder angriff. Was ihn nicht die Bohne interessierte. Irgendwann flog er trotz der Tricks gegen die Glaswand und schlug sich heftig den Kopf dabei an. Er sackte nach unten und hielt sich mit der Hand an der Wand fest. Heftige dumpfe Kopfschmerzen hämmerten in seinem Schädel. Jules kam zu ihm und noch währenddessen holte Firn aus und schlug ihm kräftig zwischen die Beine. Jules klappte vor ihm zusammen brachte es aber noch fertig ihm eine zu scheuern. Er kam über den Mann der immer noch stöhnte und sich zusammenrollte, er zog dessen Kopf in den Nacken und kam ganz dicht an dessen Ohr. „Ja, es tut weh und ja es wird vielleicht blau, aber nur vielleicht. So fest wars nicht. Und da ich dich nun besiegt habe gehörst du für heute Nacht mir. Wir können das gerne jeden Abend machen. Der Gewinner entscheidet. Was hältst du davon?“
 

„Nichts.“
 

Jules wollte sich umdrehen, doch Firn war schneller da er das bereits erwartet hatte. Er griff in Jules Schritt packte sich dessen Männlichkeit inklusive was dazu gehörte und hörte mit Genugtuung das Stöhnen vor Schmerzen und das heftige Atmen.
 

„Wer hat gewonnen?“
 

„Du.“
 

„Und wem gehört diese Nacht?“
 

Firn musste die Antwort die er hören wollte erzwingen und er fühlte sich kein bisschen schlecht dabei.
 

„Dir.“
 

Gut. Er ließ ihn frei und brachte sich vor einem Racheakt in Sicherheit. Er legte sich aufs Bett und wartete. Doch er wartete zunächst vergeblich. Jules blieb liegen. Er war schon fast eingeschlafen als ihm auffiel, dass Jules immer noch dort lag.

Innerlich aufseufzend drehte er sich auf den Rücken. Er gähnte herzhaft und rieb sich die Augen. Dann stand er auf und ging zu dem dunklen Schatten der dort lag. Vermutlich würde er sich jetzt eine einfangen. Oder mehrere.

Er stieg über den seitlich liegenden Mann und ging in die Hocke, sodass er fast auf dem Mann saß ihn aber noch nicht berührte. Er strich ihm die Haare zur Seite und berührte mit seinen Fingerspitzen eine nasse Wange.

Entweder es tat höllisch weh und er hatte übertrieben oder er war einfach ein schlechter Verlierer.
 

„Hey, Verlierer. Was heulst du hier rum?“ Jules hatte die Augen geöffnet, sah ihn jedoch nicht an.

„Soll ich dich zum Bett schleifen?“ Er zuckte mit den Schultern. Vom dem Punkt einmal abgesehen, dass Jules ihm wahrscheinlich zu schwer war wenn er sich dessen Körperbau in Erinnerung rief.

„Versuchs“, kam die rauchige Stimme, die er nur zu gut vom anderen kannte.

Firn seufzte und erhob sich wieder. Er ging zum Bett. „Na wenn der Prophet nicht zum Berg kommt... du weißt ja wies weitergeht...“, brummte er verdrossen, zog das Kissen vom Bett und die Decke und kam zurück zu dem Mann. Er warf diesem das Kissen über den Kopf und die Decke hinterher.
 

Jules befreite sich mit einem verhaltenen Stöhnen aus dem Wust und setzte sich auf. Er beugte sich nach vorne und Firn sah mit etwas Mitgefühl auf ihn herab als ihn ein erboster Blick traf.

„Niemand fasst meinen Schwanz ungestraft und ohne meine Erlaubnis an.“ Und was war mit James? Der hatte ihn mehr als einmal ohne eine explizite Erlaubnis angefasst. Nur war es ihm vor dem Kontakt mit Jules nie wichtig gewesen. Es kam ihm vor als wäre er noch vor ein paar Wochen ein anderer Mensch gewesen. Firn starrte in die Dunkelheit und versuchte sich an sein früheres Selbst zu erinnern. Er fand noch Reste in sich.

Firn legte sich neben Jules auf den Boden und zupfte an der Decke die halb über Jules ausgebreitet war.

„Das ist lächerlich“, begehrte dieser kopfschüttelnd auf. „Du willst jetzt auf dem Boden Sex? Du bist schlimmer als sie...“, fing er an verstummte aber dann als er seinen Fehler bemerkte.
 

„Wer hat denn heute was von Sex gesagt?“, keifte Firn zurück.

Er hatte den Satz durchaus vernommen.
 

Jules schwieg einen Augenblick. „Was willst du dann?“
 

„Fürs Erste möchte ich, dass du dich aufs Bett legst. Los mach schon, der Boden ist nicht gerade bequem zum Schlafen.“
 

Jules kam nach einigem Zögern auf die Beine. „Und dann?“
 

Firn sah zu ihm hoch, konnte aber dessen Gesicht im Dunkeln nicht erkennen, da Jules vor der Beleuchtung stand.

„Wirst du sehen“, gab sich Firn bedeckt und streckte die Hand aus um sich aufhelfen zu lassen. Nach einigem Zögern ergriff Jules seine Hand und half ihm hoch. Firn nahm so viel Schwung, dass er auf Jules prallte und diesen an die Glaswand drängte. Er lächelte hinterhältig in das überraschte Gesicht und stützte seine Arme auf den Schultern ab.

„Ich habe ein Monster erschaffen“, wisperte Jules und machte große Augen. Offenbar meinte er es ernst.

Firns Hände krochen in den Nacken und legten sich auf Jules Brust. Erneut okkupierte er zärtlich die weichen Lippen. Er umgarnte und umschmeichelte diese Lippen, die nur langsam und zögerlich auf seine Avancen eingingen und sich schließlich wie spröde Schmetterlingsflügel für ihn öffneten. Sanft umschmeichelte Firn eine schüchterne Zungenspitze und lud sie zum Tanz ein. Er neckte Jules, zog sich wieder zurück und nur langsam bemerkte Firn wie dieser mutiger wurde.
 

Firn war so konzentriert auf den anderen Körper, dass er nicht bemerkte wie etwas seine inneren Schilde durchdrang und wie es gleich einer Lawine immer schneller und mächtiger von Statten ging. Es war wie ein Damm der plötzlich brach und die Fluten strömten in ihn. An einem bestimmten Punkt bemerkte er es und wollte sich zurückziehen doch das war nicht mehr möglich. Sie hatten sich in einen leidenschaftlichen Kuss verstrickt und Jules hielt ihn damit gefangen. Er wollte nicht mehr aufhören.
 

Und als sein Energiekörper bis zum bersten gefüllt war griff er auf das zurück was seine andere spezielle Fähigkeit war. Er öffnete ein Reservoir in seinem Ich dass ein größeres Fassungsvermögen hatte und er hatte schon immer Zugang zu diesem Bereich und sich immer gewundert warum er als schwacher Destroyer dies benötigte. Doch wenn Jules recht hatte und er etwas anderes war dann gehörte dass zu seiner Seele.

Er öffnete alle vorhandenen Barrieren und ließ die Flut kommen. Jules stöhnte und sein Körper fing zu zittern an. Als schließlich das Tosen in Firns Selbst nachließ und die Flut sich in ihrer Energie etwas erschöpfte brach Jules zusammen. Firn wachte aus ihrem Taumel auf als der Körper den er hielt schwer wurde. „Jules... Jules... verdammt...“, er ließ ihn nach unten gleiten und schüttelte ihn. Müde öffneten sich die schweren Lider und offenbarten schwarze, große Murmeln aus bodenlosem Nichts. Die Bindehaut war kaum mehr zu sehen. „Du sprichst... zum ersten Mal... meinen Namen aus...“, Jules grinste gelöst, wie betrunken.
 

Die Präsenz in ihm war schwer und so mächtig, dass Firn kaum mehr Worte fand. Er lehnte sich an Jules an, der immer noch zitterte. Seine Lippen waren kalt, wie sein ganzer Körper.

„Was ist passiert?“
 

„Ich habe dich geflutet... und...“
 

„Das habe ich bemerkt, wenn auch zu spät.“
 

„... ich dachte nicht, dass du das überlebst. Wie...?“
 

„Dir geht’s nicht gut dabei. Du bist eiskalt.“
 

„Ich hatte keine Kontrolle darüber. Du hast sie mir genommen.“
 

„Löst dass ein Kuss bei dir aus?“ Firn lachte leise.
 

„Wie kannst du mich tragen? Wie kannst du so viel von mir ertragen?“
 

„Betriebsgeheimnis“, seufzte Firn. „Du bist fertig, kannst du das rückgängig machen?“
 

„Ich bin nicht fertig, nur völlig entspannt.“
 

Jules zog sich langsam zurück, er atmete tief ein als das Zittern stärker wurde und er anfing sich an Firn festzuklammern keuchte er vor Unwohlsein. Schließlich hatte er es geschafft und sie klammerten beide aneinander wie zwei Ertrinkende.

„Gott... das fühlt sich an...“
 

„Ja... genau... so fühlt es sich an.“
 

„Nein, es ist besser.“
 

„Keine Ahnung.“
 

Firn öffnete die Augen und bettete seine Wange an Jules Gesicht. „Willst du deshalb keinen Sex? Weil du Angst davor hast? Oder weil es dann umso besser ist wenn du dich komplett in mich verströmst?“
 

„Das hört sich nicht ganz jugendfrei an wenn du es so sagst.“

Jules lachte dieses erotische Lachen das Firn von Anfang an eine Gänsehaut beschert hatte.
 

„Aber es ist so, oder?“
 

Ein Nicken war die Antwort. „In dem Moment in dem ich mich hingebe, kann ich es nicht mehr aufhalten.“
 

„Warum ist das so?“
 

„Du fragst zu viel“, brummte Jules und seufzte.
 

„Das entbindet dich nicht von einer Antwort.“
 

„Wenn ich etwas nicht ertragen kann passiert das.“
 

„Du flüchtest?“
 

„Hmm kann sein, dass man es so sagen kann. Aber es ist nicht wirklich immer gut für mich und andere... in meiner Umgebung das herauszufordern. Es geschieht auch nicht immer. Zuletzt bei meiner Frau Rachel. Aber das war kein Problem, sie war ein Runner. Was mich auch dazu brachte sie auszuwählen.“
 

„Was ist mit Rachel jetzt?“
 

„Sie hat sich umgebracht als die Rosenkreuzer sie jagten. Die Polizei informierte uns als sie ihre Leiche in einem Container fanden. Ihr Energiekörper war komplett leer. Sie hat das sicher selbst getan um uns zu schützen und sich selbst vor der Konvertierung zu bewahren.“
 

„Das tut mir Leid, Jules.“
 

„Es ist Jahre her.“ Und seine Liebe zu Rachel war nicht von Anfang an vorhanden gewesen. Sie hatten sich arrangiert und sich lieben gelernt. Er war in ein tiefes seelisches Loch gefallen als die Nachricht von ihrem Tod eingetroffen war.
 

„Die wenigsten können mich komplett tragen und dann ertragen. Manche können mich komplett aufnehmen aber dann zerreißt ihr Energiekörper und sie sterben beim Versuch mich zu ertragen. Nur wirklich starke PSI schaffen das. Ein guter Runner vielleicht auch.“
 

„Könntest du länger bei mir bleiben? Was passiert dann mit dir?“
 

„Ich könnte es, eine Zeit lang. Ein kleiner Teil bleibt mit mir und dir verbunden als Brücke. Ich könnte von dir Energie beziehen und mich stärken für diese Zeit. Du hast das ziehende Sehnen gespürt beim Zurückgehen was bewirkt, dass ein Teil deiner Energie mit zurück geht und ein Teil meiner Energie in dir verbleibt. Würden wir das öfter hintereinander tun könnten wir so einen Energieausgleich unserer Seelen bewirken, ähnlich wir Runner das tun nur um ein vielfaches heftiger.“
 

„Ein Spitzenorgasmus...“, grinste Firn breit an Jules Ohr, der schnaubte.
 

„Das ist doch ein wenig untertrieben. Wenn das aber das Einzige ist was dich daran interessiert...“
 

„Natürlich“, fiel Firn ihm lachend dazwischen. „Komm hoch wir legen uns hin, ich hab genug für heute.“

Er lehnte sich zurück und versuchte aufzustehen. Seine Beine waren ziemlich wacklig. Jules jedoch war quicklebendig als er aufstand und ihm unter die Arme griff. „Du hast dich schnell erholt...“, brummte Firn als sie zum Bett gingen.
 

„Du hast mir viel von dir gegeben“, versuchte sich Jules an einer Erklärung.
 

„Ich habs dir nicht gegeben“, hielt Firn dagegen.

„Doch hast du. Du hast es mir förmlich entgegengeworfen.“
 

„Ausversehen.“ Firn setzte sich hin und ließ sich rückwärts aufs Bett fallen. Gott war er ausgelaugt und fertig. Jules hob seine Beine aufs Bett und kurz darauf knallte ein Kissen auf sein Gesicht gefolgt von der Decke. Ja, sie schenkten sich gegenseitig nichts. Wie ich dir so du mir. Firn schob das Kissen zur Seite und rollte sich herum um Jules Platz zu machen. Als sie schlussendlich lagen schlich sich Jules wieder an ihn und stupste seinen Rücken vorsichtig an. Firn verzog das Gesicht leidend und brummte. „Na komm schon her, bisher hast du ja auch nicht um Erlaubnis gebeten.“
 


 


 

Fortsetzung folgt...
 

Vielen Dank fürs Lesen!

(Dieser Teil wurde nicht beta gelesen!)
 

Gadreel

Tristian

Tristian
 


 

Jules antwortete nicht, stattdessen schlang er seinen Arm um ihn, seine Stirn schmiegte sich an Firns Nacken und er seufzte wohlig. Firn rollte mit den Augen. Im Halbschlaf nach einiger Zeit fiel ihm noch etwas ein.

„Hilft dir das bei der Genesung?“
 

„Das tut es“, murmelte Jules und sein Atem kitzelte über die feinen Härchen an Firns Haut.

„Du tust es seitdem du hier bist.“

Jules biss sich auf die Unterlippe. Er spürte Reue. Firn versprach sich Rettung durch den Umstand seiner Heilung. Nun... vielleicht könnte das gelingen, aber wie viel war dann noch von Jules übrig?

Er konnte keine Seele heilen. Er konnte nur Beschädigungen entfernen, aber die Risse konnte er nicht füllen. Das Konstrukt würde irgendwann zusammenbrechen.

Jules seufzte und schloss die Augen.
 

Sie schliefen ein und schliefen immer noch selbst nachdem ihr Wärter die Tür für sie geöffnet hatte. Als sie aufwachten war es bereits Mittag.

Jules setzte sich auf und sah auf die Terminaluhr. „Wir haben vergessen unser Essen für heute zu bestellen. Das Terminal ist gesperrt“, sagte er und wandte sich zu ihm um. Firn lag noch immer auf dem Bauch und grinste.

„Was ist mit Mickey?“

„Er kommt wohl heute nicht“, kam die nachdenkliche Antwort und Firn witterte dahinter Besorgnis.

„Ich habe von meiner Ration die du mir weggestellt hast nur wenig gegessen. Das können wir uns teilen“, bot er an.

Firn drehte sich auf den Rücken und besah sich die sitzende Gestalt des Mannes die nachdenklich dasaß. Firn beobachtete das Profil und für ihn sah er wie jemand aus, der nach einer Lösung suchte die nicht ganz einfach sein würde.

„Woran denkst du?“
 

„Ich könnte darum bitten, das Terminal freischalten zu lassen.“
 

Firn schmälerte seinen Blick und setzte sich auf. „Und das würden sie so einfach tun?“
 

„Ich denke nicht ohne mein Entgegenkommen.“
 

„Was würden sie dafür wollen?“
 

„Keine Ahnung.“ Firn erkannte bei dieser Antwort dass sie nicht richtig war. Was bedeutete dass er log.
 

„Du weißt was sie dann wollen.“
 

„Ich...“
 

„Dann lass es. Wir kommen heute klar. Wir haben genügend Getränke. In den oberen Schränken habe ich sogar eine Flasche Wein gefunden. Könnte unser Abendessen werden.“ Firn zwickte Jules in die Seite.
 

„Aber du musst...“
 

„Nichts muss ich. Du wirst nicht um diesen Gefallen bitten, wenn sie etwas von dir wollen was du nicht bereit bist zu geben.“
 

Jules wollte noch etwas sagen, aber Firn legte ihm drei Finger auf die Lippen. „Glaubst du das würde mir gefallen?“
 

Jules sah ihn nur an.
 

„Ich kann mir vorstellen, dass deine Leidensfähigkeit sehr weit expandiert werden kann, nach der langen Zeit in der du hier ihr Gefangener bist und dich selbst bewahrt hast ohne dich ihnen komplett unterzuordnen. Aber meine Leidensfähigkeit ist sehr begrenzt und ich wäre sehr wütend auf dich wenn du das tun würdest.“
 

„Warum?“
 

„Zunächst einmal weil wir selbst Schuld daran sind und ich mir ein wenig Würde bewahren will. Es wäre untragbar für mich wenn du noch etwas tust um mir zu helfen und deine Lage noch schlimmer dabei machst.“
 

Firn musste auf die Toilette und robbte zur Bettkannte. „Außerdem will ich wissen was diese ‚sie’ von dir will.“
 

„Welche ‚sie’?“
 

„Die mit der du mich verglichen hast als du dachtest ich wolle Sex auf dem Boden mit dir.“
 

Jules sah ihn nicht an und Firn konnte Verlegenheit in dem abgewandten Mann erkennen. Ja, er hatte es nicht vergessen.
 

„Ist es die diese Frau? Der Direktor?“ Firn war schon halb aus der Tür hinaus und drehte sich noch einmal um.
 

„Du musst nicht alles wissen“, ließ ihn Jules abblitzen und Firn lachte spöttisch. „Also ist sie es.“ Er wandte sich ab und ging über den schmalen Flur die paar Stufen nach unten um in den Bereich zu gelangen, der es ihnen hier angenehm machte. Er ging ins Badezimmer benutzte die Toilette dort und putzte sich die Zähne. Danach war eine Dusche fällig und dann endlich eine längst überfällige Rasur. Das eisblaue seiner Augen stach aus dem bärtigen Gesicht heraus. Währenddessen dachte er hin und wieder daran ob Jules sich daran hielt nicht um die Erlaubnis zu bitten das Terminal bedienen zu dürfen. Aber als er aus dem Badezimmer kam roch er den Duft von Kaffee und Jules hantierte in der Küche. Firn ging zu ihm und blieb im Türrahmen stehen. „Willst du einen Kaffee?“
 

„Haben wir Zucker und Milch hier?“, löste sich Firn von seiner Stütze und kam zu Jules, der bereits an den Kühlschrank ging.

„Haben wir.“ Er reichte ihm die Milch trank seinen eigenen Kaffee aber schwarz wie es schien.

Jules betrachtete sich den Teller den er gestern für Firn weggestellt hatte, darauf lagen Obst, zwei Sandwiches und ein paar Cracker. Er sah nicht gerade begeistert drein. „Willst du gleich essen?“
 

„Nein mir reicht mein Kaffee vorerst.“ Firn nahm einen Schluck des Kaffees und betrachtete sich das betrübte Gesicht des Mannes der gerade das Essen wieder in den Kühlschrank stellte.

„Wir sind in einem Gefängnis Jules. Hast du das vergessen?“ Er ließ den Mann nicht aus dem Blick.

„Es ist leicht das zu vergessen.“
 

„Ich bin nicht bereit das zu vergessen.“ Firn sah zu wie Jules seinen Kaffee nahm und einen Schluck trank. Er war still und in sich gekehrt.

„Hast du denn Hunger?“

Jules schüttelte schnell den Kopf. „Nein. Wir können später essen.“
 

Firn ging zu ihm und hob das Gesicht aus der Betrachtung der Kaffeetasse zu sich hoch. „Du bist hier nicht mehr allein. Also triff keine Entscheidungen die auch einen Einfluss auf mich haben.“
 

„Der verdammte Scheiß Hotelkomplex gehört mir, also...“, fing Jules erbost an.

„Ach ja? Schön dass du dich daran erinnerst. Davon habe ich bisher nur wenig bemerkt. Du kannst dir nicht einmal irgendetwas zu Essen machen geschweige denn bestellen wenn du das möchtest. Wenn sie dir das Wasser abstellen, dann verdursten wir hier unweigerlich. Du bist ein Gefangener. Und Gefangene Bitten nicht um etwas solange sie nicht müssen. Und noch müssen wir gar nichts. Hast du noch Kontrolle über irgendetwas in deinem Leben? Geld? Deine Kinder? Dich selbst? Mich?“

Jules sah ihn mit diesem unleserlichen Blick an, der alles bedeuten konnte, vielleicht Erstaunen über so viel Mut ihm das jetzt entgegenzuschleudern, oder aber auch Selbsterkenntnis. Firn konnte es nicht sagen.
 

Ich habe wirklich ein Monster geschaffen.

„Ich halte dein Leben in meiner Hand. Das ist das Einzige das ich kontrolliere.“
 

Firn lächelte spöttisch. Und Jules bemerkte nicht wie er langsam aber sicher Jules an sich band. Interessant. Sie führten hier ihr kleines Psychospielchen auf. Sein Lachen verblasste. Sie mussten hier raus, dringend bevor sie Züge annahmen die ihnen beiden nicht gefallen würden.
 

Jules war abhängig von menschlicher Zuneigung wie andere von Wasser und Brot... Sich das zunutze zu machen war leicht. Aber wollte Firn das auch?

Jules war sehr beherrscht, aber seine Augen drückten die Verzweiflung nur zu deutlich aus. Die Dunkelheit in ihnen war für Firn nur zu gut erkennbar.
 

Firn verließ die Küche und ging ins Wohnzimmer. Er setzte sich dort auf die Fensterbank und besah sich die Aussicht während er seinen Kaffee trank. Danach würde er eine Runde laufen und vielleicht etwas Schwimmen. Er schwamm sonst jeden Tag bevor er zur Uni ging... gegangen war. Also warum sollte er das Becken ungenutzt lassen?

Seiner Prothese konnte das Wasser nichts anhaben.
 

Jules stand immer noch unschlüssig in der Küche. Für einen kurzen Moment war es ihm egal was Firn von ihm erwartete. Er hatte das Terminal angetippt um die Direktorin anzurufen, die ihm eine erneute Öffnung des Terminals ermöglichte als er die Finger doch davon ließ.

Er verließ schließlich die Küche und ging mit dem Kaffee ins Wohnzimmer. Dort schaltete er die Musikanlage ein und wählte ein paar Songs aus. Dann setzte er sich auf die Couch und trank seinen Kaffee aus. Er war lange nicht mehr so umtriebig gewesen bis Firn hier aufgetaucht war, trotzdem war es langweilig auf Dauer. Er hatte sich hier gut eingelebt. Jeder Tag begann gleich und endete gleich, bis auf die wenigen Besuche die sie ihm mit den Kindern gestatteten und die Besuche die er bei der Direktorin wahrnehmen ‚durfte’. Meistens gingen sie nach draußen und er durfte im Hotelrestaurant essen. Danach tja danach wurde es unangenehm für ihn. Das letzte Mal war es vor vier Wochen gewesen und einmal im Monat stand einer dieser Besuche auf dem Programm.
 

Jules sah sich um, fand Firn halb hinter dem Vorhang verborgen sitzen.
 

Er erinnerte sich an das himmlische Gefühl der Zweisamkeit, das seiner Seele auftrieb gegeben hatte. Es hatte ihn erfüllt und er vermisste es jetzt bereits. Er drehte sich zur Seite und betrachtete sich - das Kinn auf die Rückenlehne gestützt -den jüngeren Mann. Er hatte Prinzipien oder? Fragte sich Jules und er fragte sich auch wie sehr es ihn schon nach ihm sehnte und was geschehen würde wenn er weg wäre? War das seine letzte Möglichkeit ihn vor dem Vergehen zu retten?
 

Über diese Gedanken kam Jules den ganzen Tag nicht hinweg. Er war niemand, der sich schnell verliebte. Ganz im Gegenteil: Denn selbst mit Rachel die er sehr gemocht hatte war es ein Prozess von langer Dauer gewesen. Aber er spürte auch, dass seine Seele hungerte und sie nahm sich das Erstbeste was ihr in die Finger kam.
 

Der Abend hielt Einzug, aber sie verzichteten auf ihr Kampfduell, da sie beide Hunger hatten und müde waren.

Die nächsten Tage verliefen ähnlich unspektakulär und es hatte sich ein gewisser Alltag eingestellt. Firn hatte ihn nicht noch einmal geküsst doch Jules durfte so oft mit ihm kuscheln wie er das Bedürfnis danach verspürte.
 

Es waren zwei Wochen vergangen und es war abends als ihr Wärter sie einschloss.

Kurz darauf, vielleicht eine Stunde später als sie sich noch unterhielten und auf dem Bett saßen kam er wieder. Jules hob den Kopf als das Außenlicht auf dem Flur wieder anging und er die Schritte hörte. „Angel, die Direktorin erwartet sie in Abendgarderobe.“

Jules stand auf ohne Firn dabei etwas zu sagen oder ihn anzusehen. Firn griff nach seiner Hand als er sich vom Bett erhob. „Hey was geht hier vor?“

Firn fiel auf, dass Jules Hand feucht war. Die Augen nur mehr dunkle Murmeln.

„Nichts. Wir besprechen nur etwas. Sicher geht es um die Kinder. Schlaf, ich denke, dass ich morgen früh wieder hier bin.“

Seine Stimme war tonlos, geschäftsmäßig, kalt. So wie er ihn anfangs ein paar Mal gehört hatte. Ein eiskalter Geschäftsmann, der ihn aus seinem unleserlichen Gesicht entgegenblickte.

„Sicher.“

Firn ließ ihn los und Jules ging.
 

Firn ahnte, dass es nicht um Kinder oder um eine Besprechung ging. Er schlief kaum die Nacht über. Gegen Morgen kam der Wärter und entriegelte die Tür. Firn saß bereits an der Bettkante und wartete noch immer auf Jules. „Wo ist er?“, wollte er von dem Mann wissen.

„In einem der Gästezimmer, er wollte ihren Schlaf nicht stören“, sagte dieser sah ihm aber nicht in die Augen dabei.
 

Firn ging rasch zu den Gästezimmern, die wohl noch Überbleibsel der früheren Hotelarchitektur des Stockwerks waren. Er klapperte drei der fünf Zimmer ab und fand ihn dann im Vierten. Der Raum war abgedunkelt worden, die Rollläden zur Hälfte geschlossen. Firn ging durch das Zimmer und setzte sich neben die zusammengekauerte Gestalt auf dem Bett. Er sah die Kleidung, die an ihm hing als gehöre sie ihm nicht oder als hätte jemand anderer sie ihm angezogen. Das Hemd war falsch zugeknöpft, die Hose nicht ganz geschlossen. Jules schlief augenscheinlich, seine Hände waren zu Fäusten geballt, die Stirn gefurcht. Sie hatten ihm nicht einmal die Schuhe ausgezogen bevor sie ihn hier abgelegt hatten.
 

„Jules...“, flüsterte Firn besorgt. Er strich ihm über den Kopf und der andere zuckte zusammen. Er schlief also nicht. Er hatte sich abgeschottet.

„Ich bin es, Firn... mach dich Augen auf. Ich bin da, ich bin bei dir.“
 

Die Lider öffneten sich zögernd, aber er reagierte nicht auf ihn.
 

Das änderte sich auch nach Minuten guten Zuredens nicht, jedes Mal wenn Firn ihn berührte reagierte dieser mit Ablehnung oder Erschrecken. Das war nicht der Jules den er kennen gelernt hatte. Firn ging in die Küche und bestellte ihnen etwas zu essen für den Tag, dann ging er wieder zurück zu Jules, doch da hatte sich noch nichts an dessen Zustand verändert.

Die Augen blieben blanke dunkle Seen ohne Boden und daher auch ohne Erkennen.
 

„Komm zu mir“, sagte Firn da er nicht mehr weiter wusste. „Komm zu mir, Jules. Du kannst das, du hast es gemacht. Ich kann dich tragen... komm zu mir. Du hast bei mir nichts zu befürchten, das weißt du.“

Diese und ähnliche Sätze veräußerte Firn die nächste Zeit über, bis er ein leichtes Drücken in seinem Kopf verspürte und seine Barrieren langsam durchdrungen wurden. Doch dieses Mal war es anders, es war zögernd und er hatte den Eindruck mit viel mehr Mühe verbunden als das letzte Mal. Es war keine Flut, es war ein mageres Flüsschen, das sich seinen Weg kraftlos bahnte. Und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Aber währenddessen spürte Firn, dass Jules nicht mehr ganz so ablehnend gegen seine Berührungen reagierte. Firn legte sich zu ihm und zog ihn in seine Arme. Er bettete das Gesicht an seine Schulter, sodass sein Gesicht an der Stirn des Mannes lag und noch immer strömte dessen Seele in seinen Energiekörper.

„Ich halte dich, komm zu mir...“, murmelte er und als schließlich der Fluss verebbte ging ein Seufzen durch den Körper, die Anspannung ließ komplett nach und Jules schlief nun tatsächlich ein. Firn bedachte die Stirn mit einem sanften Kuss und schloss die Augen. Er fühlte dem nach was sein Wesen nun ausfüllte. Es war nicht mehr ganz so fremd und er fühlte dem Sehnen, der Melancholie und der Verletzlichkeit nach, die nicht von ihm kam. Es war Scham dabei und eine Niedergeschlagenheit die allumfassend schien.

Da er die ganze Nacht wach gelegen hatte machte es ihm jetzt nichts aus ein wenig zu ruhen. Irgendwann wachte er auf und bemerkte, dass die Anwesenheit Jules aus ihm verschwunden war.
 

Jules lag immer noch an ihn gebettet, war aber nicht erweckbar, er schien es aber nicht mehr abzulehnen, dass Firn ihn berührte. Die Stunden plätscherten dahin und Firn wandte sich aus der Nähe um das Badezimmer aufzusuchen.

Als er mit seiner Toilette fertig war kam er wieder und machte sich daran Jules die Schuhe auszuziehen. Dann öffnete er das Hemd und stockte als er es öffnete. Blessuren, Striemen und Male von Schlägen oder etwas Ähnlichem überzogen den Oberkörper. Er zog ihm das Hemd aus was Jules trotz des Gewerkels ohne Aufzuwachen tolerierte. Firn saß da und betrachtete sich mit wütendem Entsetzen das Bild das sich ihm bot. Da der Reißverschluss der Hose nicht geschlossen war und er erkannte, dass Jules keine Unterwäsche trug ahnte er Übles.

„Jules...“, flüsterte er fassungslos.
 

Schweren Herzens zog er ihm die Hose aus und entdeckte dabei weitere Spuren die ihm nicht gefielen. Getrocknetes Sperma zwischen seinen Beinen und auch auf dem Rücken und an anderen Stellen. Er untersuchte Jules nun akribisch. Er war misshandelt und vergewaltigt worden. Das konnte Jules nicht freiwillig mögen, so viel wollte Firn in dem anderen Mann gesehen haben. Das war nicht das was Jules wollte. Nein. Das nicht. Oder hatte er sich derart in ihm getäuscht? Nein, bestimmt nicht, sonst würde er jetzt nicht diese Art Reaktion zeigen.
 

Firn deckte Jules mit einer Decke aus dem Zimmer zu und verließ es. Er holte Seife und suchte eine Schüssel in der Küche, die er für Jules Reinigung benutzten wollte. Nachdem er alle Utensilien zusammen gesucht hatte machte er sich mit einem Waschlappen, Seife und Wasser daran Jules zu waschen. Es dauerte, denn die Spuren waren getrocknet und als er Jules zur Seite drehte fand er das Zeug auch in dessen Haaren im Nacken am Hinterkopf. Irgendwann wachte Jules auf als er über seine Brust fuhr. Er sah ihm zu, blieb aber stumm und tat auch nichts um ihm zu helfen. Er war wie paralysiert.

„Dreh dich bitte zur Seite, würdest du das für mich tun?“ Firn strich ihm über die Wange und die schwarzen blanken Murmeln sahen ihn an ohne ein Erkennen zu zeigen. Firn winkelte seine Beine an und legte sie zur Seite, drehte dann den Oberkörper zur Seite und bettete den Kopf aufs Kissen, er bog den Kopf leicht nach vorne um an den Nacken und die Haare zu kommen.

Danach tauschte er das Wasser zum neunten Mal aus und wusch Jules erneut. Dann brachte er ihm warme Kleidung und zog ihn an, was wieder mit zahlreichen Verrenkungen einherging, aber Jules ließ alles mit sich geschehen wie eine Puppe.
 

Firn ging in die Küche und aß etwas, wenn auch wenig, ihm war der Appetit gründlich vergangen. Er nahm eine Wasserflasche und zwei Gläser mit in das Gästezimmer. Jules lag immer noch so da wie er ihn hingelegt hatte. „Möchtest du etwas trinken?“

Keine Antwort, wie erwartet. Er setzte sich wieder neben Jules und hob ein Glas an dessen Lippen, die sich nicht öffnen wollten. „Komm schon, Jules. Das ist nur Wasser. Trink etwas, das wird dir gut tun“, sagte Firn und sah zum ersten Mal dass sich etwas in dem Mann regte. Die Augen, diese schwarzen finsteren Abgründe schwammen in einer klaren Flüssigkeit. Er nahm das Glas von den Lippen und stellte es ab.

„Was haben sie nur mit dir gemacht...?“, fragte Firn bedrückt.
 

Jules blinzelte die Tränen weg. Plötzlich kam Leben in den Mann, er schob Firn zur Seite, setzte sich ruckartig auf und rannte in das angrenzende Badezimmer. Firn hörte wie er sich wiederholt erbrach. Er schloss die Augen und saß ratlos auf seinem Platz auf dem Bett. Es konnte doch gar nichts mehr in diesem Magen sein, seufzte er nach einer halben Ewigkeit in der sich Jules immer noch erbrach. Er ging ins Bad befeuchtete eines der Handtücher und legte es Jules in den Nacken. Für einen Moment war er unschlüssig darüber was er tun sollte oder konnte, dann kniete er sich hinter den anderen und hielt ihm die Stirn. „Es ist gut. Alles ist raus. Nichts mehr drin. Hör auf... sht... hör auf, Jules.“
 

Firn spülte und Jules zitterte am ganzen Leib als Firn ihm über das Gesicht wusch. Er nahm ihn sofort in die Arme und Jules versteckte sein Gesicht an seiner Brust. Stumm wie schon zuvor.

Firn war ein friedliebender Mensch, aber Jules hatte ihn verändert, etwas in ihm verändert und er fühlte nun Wut und so etwas wie einen Wunsch nach Vergeltung. Ja, er würde denjenigen der ihm das angetan hatte dafür büßen lassen. Egal wer es war.
 

„Geht’s wieder?“, fragte er nach einer Weile und es kam sogar ein Nicken.
 

„Gut, dann steh jetzt auf und wir gehen hier raus.“ Er hielt es für das Beste in einen Raum zu gehen, den Jules gerne mochte und das war ihr Fernsehzimmer, das sie sich zusammengebastelt hatten. Sie hatten eines der Gästezimmer dafür genommen. Dort stand ein großer Flachbildschirm und sie hatten Zugang zu den meisten Kanälen, vor allem auch zu dem Kanal der am laufenden Band Kinofilme brachte. Firn nahm Jules Hand und zog ihn hinter sich her dort hin. Er ließ ihn sich aufs Bett setzen und schob ihn in den Berg aus Kissen den sie dort wie ein Nest aufgehäuft hatten. Er schloss die Tür, der Rollladen war ohnehin herabgelassen und griff sich die Fernbedienung. Es war die Suite des Stockwerks und sie bot einige Annehmlichkeiten. Vor allem ein heimeliges Himmelbett, dessen Vorhänge er jetzt herabließ, bis auf den der ihnen sonst den Blick auf den Fernseher verwehrt hätte.
 

Firn setzte sich und zog Jules auf sich. „Jetzt komm schon und mach dich nicht so schwer“, brummte er spielerisch. Jules lag auf ihm, zwischen seinen Beinen, die dieser um den Mann geschlungen hatte und sah von seiner Brust aus auf den Fernseher. „Aristocats... perfekt meinst du nicht?“ Firn lächelte und küsste Jules auf die Stirn.
 

Sie sahen den ganzen Tag Filme und erst gegen Abend wurde Jules etwas munterer. Jedes Mal wenn Firn auf die Toilette ging, ihnen etwas zu Essen holte oder Getränke setzte sich Jules an die Bettkante und wartete ungeduldig auf ihn. Unruhig fuhren seine Hände auf der Bettdecke auf und ab und starrten auf die Tür, die offen stand. Erst wenn Firn wiederkam sah er auf und befolgte wieder das worum Firn ihn bat. Er erbrach sich erneut als er etwas aß und Firn ließ es bleiben. Wasser behielt er nur in Form von Tee und Firn beließ es für heute dabei.
 

Sie hatten noch eine Stunde Zeit bevor sie wieder zurück mussten.

„Was hältst du davon wenn wir zusammen duschen? Oder willst du das nicht?“

Jules griff seine Hand und Firn beschloss, dass es wohl eine Zustimmung war. Sie gingen ins Badezimmer und Firn beschloss die Zöpfe des Mannes zu lösen, dann zog er ihn in die Dusche, wusch ihm das lange Haar. Seine Hände seiften Jules ein der an den Fliesen lehnte und die Augen geschlossen hielt. Firn wusste nicht ob er es genoss oder die Augen geschlossen hielt um es so schnell wie möglich über sich ergehen lassen zu können. Er ging vor ihm in die Knie wusch ihm über den Intimbereich, die Leisten hinunter zu den Füßen und Jules hatte die Augen wieder geöffnet als er hochkam und diesen an sich zog um sie beide abzuspülen. Jules lehnte seine Stirn an Firns und hielt dabei die Augen geschlossen.

Es war ein friedlicher Moment und Firn fühlte zum ersten Mal an diesem Tag so etwas wie Erleichterung.

Nach der Dusche trocknete er Jules ab der untätig dastand und half ihm beim Anziehen. Dann drückte er ihm die Zahnbürste und Mundwasser in die Hand. „Los, putzen, das werde ich nicht für dich machen.“

Jules sah ihn lange an fing dann aber tatsächlich damit an. Er putzte länger als es nötig wäre und Firn sah dem ein Weilchen zu bis er ihm die Zahnbürste aus der Hand nahm und ihm das Glas mit dem Mundwasser reichte. Schlussendlich nahm er den Mann mit sich in ihre Zelle, plus einer Flasche Wasser und zusätzlicher Decken und Kissen.
 

Als ihr Wärter kam lagen sie schon in der Koje. Firn sah auf und der Mann nickte ihm zu. Dessen Gesichtsausdruck hätte Dankbarkeit gepaart mit einem schlechten Gewissen ausdrücken können, aber Firn war sich da nicht so sicher.
 

Hatte Jules das bereits öfter ohne jemanden der ihm half durchgestanden? Oder war das nur geschehen weil Firn jetzt hier war und diejenigen die Jules das angetan hatten wütend auf ihn waren?
 

Sie zerstörten damit systematisch seine Seele. War das die Dunkelheit die Jules beschrieben hatte?

„Komm zu mir wenn du willst“, murmelte Firn dem Mann zu den er in die zusätzlichen Decken gehüllt hatte und der neben ihm lag wie ein verletztes Kind. Nur das Gesicht sah aus dem Deckenwust heraus. Und dieses sah unglaublich jung und verletzlich aus. Firn war sich nicht mehr so sicher was das Alter des Mannes anging.
 

Jules sah ihn aufmerksam an.
 

„Nehme ich schaden wenn du zu mir kommst?“, fragte er aufgrund des Zögerns.
 

Ein minimales Kopfschütteln war die Antwort.
 

„Gut, was gibt es dann noch zu überlegen?“
 

Jules Lippen zitterten und er verbarg sein Gesicht rasch an seiner Brust um ihn nicht ansehen zu müssen. Er kam nicht.
 

„Ich nehme zwar keinen Schaden aber es ist auch nicht vorteilhaft?“, mutmaßte Firn.

Ein Nicken antwortete ihm.
 

Firn hörte nach einem Weilchen dass sich Jules Atem verändert hatte. Er schlief.

Während Firns Schlaf sich eher unterbrochen gestaltete, denn er wachte ständig auf in der Sorge, dass jemand kam und Jules abholte.
 

Niemand kam bis auf den Mann der ihnen ihre Zelle aufschloss. „Bleiben sie noch etwas liegen ich habe die Essensbestellung getätigt. Das Gleiche wie am Tag zuvor. Die Sauna wird vorgeheizt, wie stets.“
 

Firn hob die Hand zum Zeichen dass er verstanden hatte.

Offensichtlich war der Mann Jules mehr zugetan als er vermutet hatte.
 

Sie blieben liegen und erst nach einiger Zeit setzte sich Firn auf, er lehnte sich über den noch schlafenden und hangelte sich die Flasche Wasser heran. Er trank sie beinahe zur Hälfte aus und blieb an die Wand gelehnt mit den Beinen über die von Jules verknotet sitzen. Als er so dasaß und über ihre Situation nachgrübelte bemerkte er erst verzögert, dass seine freie Hand Jules Kopf streichelte. Ertappt zog er sie fort.

Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Fühlte er sich bereits zu Jules hingezogen? Eine aus der Not geborene Zuneigung? Dass man sich in ihrer Gesellschaft half war normal, auch dieser Körperkontakt schien ihm normal, wenn die Not es erforderte. Hazel hatte Bee lange in ihrem Bett schlafen lassen, weil er nach dem Tod seiner Eltern völlig verstört gewesen war. Doch Bee war ein Kind.
 

Jules war das nicht mehr. Ganz im Gegenteil seine körperlichen Attribute waren die eines ausgewachsenen Mannes mit allem was dazu gehörte. Und einer extrem verletzten Seele und das als PSI mit gottgleichen Fähigkeiten.
 

Firn streckte seine Hand wieder aus und fand blind das weiche Haar und Jules Gesicht. Er streichelte mit einem Daumen über die Wange.

Jules war etwas Besonderes auf dieser Welt und daher konnte er sein Verhalten nicht mit normalen Maßstäben messen selbst wenn er die ansetzte die in ihrer Welt da draußen galten.
 

Er war anhänglich, launisch und manchmal ein ganz schönes Biest, aber wenn er hier so dalag ihm und ihrer Welt ausgeliefert hatte Firn nur den Wunsch ihn zu schützen. Jules hatte nur noch ihn der sich um sein Wohl sorgte und sich um ihn kümmerte.

Firn ahnte warum Jules behauptete, dass er Macht über sein Leben hatte. Es war sein Schrei nach Hilfe. Rettung für seine Seele. Firn würde sie ihm nicht verwehren. Zumindest das konnte er in ihrem Gefängnis tun.

Etwas kitzelte ihn an seiner Handinnenfläche und er zog sie reflexhaft etwas weg und blickte nach unten. Jules war wach.

„Na Schlafmütze, endlich aufgewacht?“ Er stupste dessen Nase an und Jules verzog das Gesicht missgelaunt.

„Ich bin kein Kind“, kam die widerborstige Antwort mit aufgerauter, ungeübter Kehle.

„Nein, aber kratzbürstig wie ne Frau“, grinste Firn nach unten.
 

Jules seufzte. „Kann sein“, gab Jules unumwunden zu. Er schälte sich aus den Decken und legte sich auf den Rücken.

„Danke.“
 

Firn seufzte und reichte Jules die Flasche. „Oder soll ich dir eine frische holen?“
 

Jules sah ihn an und nahm die Flasche. Er stützte sich auf einen Ellbogen und trank einen vorsichtigen Schluck.

„Willst du nicht wissen was passiert ist?“
 

„Ich habe genug Vorstellungskraft und Kombinationsvermögen um es mir facettenreich vorstellen zu können. Möchtest du es mir erzählen?“, fragte Firn in einem ironischen Tonfall.

Jules schüttelte wie erwartet den Kopf.
 

„Irgendwann?“
 

„Wenn wir hier raus sind.“
 

„Deal?“
 

Jules nickte. „Deal.“
 

„Es war nicht das erste Mal?“
 

„Nein.“
 

„Und wie oft jetzt schon?“
 

„Alle vier Wochen ungefähr.“
 

Firn schluckte den Zorn weg der sich seiner bemächtigte. Er fühlte wie sein Herz kalt wurde, so kalt, dass er es körperlich spürte. Sein ganzer Körper kühlte mit einem Schlag aus. Seine Atmung verlangsamte sich und wurde tiefer. Er spürte den Zorn so übermächtig, dass er spät bemerkte wie sein Sichtfeld sich veränderte. Er sah zu Jules und konnte dessen Lebensenergie schwach glimmen sehen. Er hörte nicht mehr wie Jules sich aufsetzte und ihn an den Schultern berührte, hörte auch nicht mehr wie dieser ihn anschrie. Dann irgendwann schob sich Jules in sein Sichtfeld und plötzlich erschrak er so sehr, denn was er dort sah verschlug ihm den Atem. Jules Gesichtsform war nur mehr zu erahnen, auch die Konturen nur mehr schemenhaft, aber die Form der Augen die nur mehr schwarze Höhlen waren stach wie die eines dunklen Geistes aus dem weißen nebligen Gesicht heraus. Ein weißes Glühen dort wo die Pupille sein sollte fesselte seinen Blick. „Sieh mich an!“, donnerte dessen Stimme in seinem gesamten Sein. Und er gehorchte als gäbe es nichts anderes mehr als diese Aufforderung die jede Zelle seines Körpers erfasst hatte.

Er versank in diesen schwarzen Höhlen und seine Hände klammerten sich an den Schultern fest. Sein Herzschlag wurde immer langsamer, er hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Seine Hände die er um die Schultern gekrallt hatte waren mit Eis bedeckt. Eiskristalle legten sich auch auf Jules Kleidung.
 

Und dann spürte er wie Jules zu ihm kam. Er brandete wie eine Welle an seine Barrieren und kam nicht hindurch wie sonst. Immer höher spülten sie dagegen und sie wurden höher und fegten sie schließlich hinweg. Jules gesamtes Sein strömte in ihn und Firn fühlte die Beruhigung die mit dieser hochaufbrandenden Flut einherging. Sein Energiekörper füllte sich so schnell, dass er nicht mehr wusste was zu tun war. Seine Reserve wurde jedoch automatisch geflutet als kenne seine Seele die andere und er keuchte zitternd auf als er spürte, dass die Kälte langsam nachließ. Seine Sicht nahm langsam wieder eine normale Weise an und er erkannte Jules Gesicht in seinem normalen Zustand wieder. Die weißen Pupillen waren verschwunden und Jules hatte wieder die blanken schwarzen Murmeln die er von ihm kannte.

„... kalt... so kalt...“, klapperten seine Zähne. Jules ließ ihn los und hastete vom Bett. Firn hielt sich an Jules Seele fest wie ein Ertrinkender und zog die Beine an sich, er umarmte sie und legte den Kopf darauf. „Jules...“, bat er, denn das fast unerträgliche Ziehen der Sehnsucht, die sich nun seiner Bemächtigte ließ ihn eine Verzweiflung spüren die er bisher nie gekannt hatte.

Nach einer schier endlosen Zeit kam Jules zurück. „Tut mir Leid, ich weiß... ich weiß...“

Er zog Firn mit hoch und wurde grob als dieser nicht gleich folgte. „Komm mit du brauchst Wärme... los komm schon, oder soll ich dich tragen?“, schrie er ihn an.
 

Es war noch mehr Aufforderung nötig aber schließlich schaffte es Jules ihn mit sich zu ziehen. „Er schubste ihn in die Sauna und half ihm beim Ausziehen. Die Kleidung flog kurzerhand aus dem kleinen Raum hinaus. Firn zitterte noch immer haltlos, aber das verzweifelte Sehnen war weg.

„Was war das als du weg warst?“, fragte er nach einer Weile in der er in Jules Umarmung vor ihm saß.

„Mein Körper war zu weit von meiner Seele entfernt du hast ihre Verzweiflung gespürt, denke ich.“
 

„Nicht gut.“
 

Jules lachte bitter auf. „Nein, das trifft es wohl.“
 

Firn entspannte sich etwas und pulte an den hartnäckigen Eiskristallen auf seinen Fingern herum.

„Ist es das was ich glaube?“
 

„Eis?“
 

„Das sehe ich“, erwiderte Firn schmollend.
 

„Ich denke ich habe mir hier einen Hydrokinetiker gezüchtet wie es scheint. Das Küken schlüpft langsam und entledigt sich Stück für Stück seiner Schale. Langsam sehe ich was ich da ausgebrütet habe.“
 

Firn musste lächeln. „Netter Vergleich.“

Er lehnte seinen Kopf wieder an Jules Schulter und vergrub sein Gesicht an dessen Halsbeuge.

„Aber gut hat es sich nicht angefühlt.“
 

„Kann es noch nicht, du bist noch nicht fertig. Ich bin noch nicht fertig. Du hast keine Kontrolle darüber und dein Körper weiß damit noch nicht viel anzufangen. Normalerweise wärst du langsam in diese Fähigkeiten hineingewachsen. Aber so ist es um ein vielfaches schwieriger.“ Und gefährlicher. Er brauchte seine Schwester hier, denn ohne sie würde Firn niemals mit diesen Fähigkeiten klar kommen. Sie waren nicht mit ihm synchronisiert. Ohne ihre Fähigkeit als Synergist konnte er Firns Zustand bestenfalls verschlimmern. Wenn es ganz dumm lief starb er dabei.
 

„Warum ist das vorhin so schnell gekommen?“
 

„Sag du es mir. Woran hast du gedacht?“
 

„Ich war wütend. Das bin ich sonst nie so schnell gewesen. Ich habe es nicht mal bemerkt.“
 

„Du warst wütend aufgrund dessen was mir widerfahren war?“
 

„Ja sicher. Wer wäre das nicht?“
 

„Das war also der Auslöser aber es ist kein guter Auslöser. Negativauslöser sind fatal auf Dauer.“ Jules schien darüber nachzudenken so abwesend wie dessen Stimme klang.
 

Firn hing eine Zeit lang seinen eigenen Gedanken nach.
 

„Warum wolltest du ein zweites Mal nicht zu mir kommen?“, fragte er nach einer Weile
 

Jules antwortete nicht sofort.
 

„Ich habe Angst dich zu sehr an mich zu binden. Jedes Mal wenn ich mich mit deiner Seele verbinde geschieht das ein Stück mehr. Ich habe die Befürchtung, dass ich dich binde.“
 

„Das kann passieren?“
 

„Es ist schon passiert.“
 

„Und was geschieht dann? Werde ich zu einem willenlosen Sklaven deiner Herrschsucht?“ Firn meinte es spöttisch, doch ganz so kamen seine Worte nicht heraus.
 

„Ja, mein persönlicher willenloser Sklave“, seufzte Jules. „Nein, das nicht, auch wenn es verlockend klingt.“
 

Firns Hand klatschte feucht auf Jules Brust und er stemmte sich etwas hoch. „Das hättest du gerne, hmm?“ Er sah ihn skeptisch an.
 

„Weniger intensiv als es sich vielleicht angehört hat.“
 

„Also was passiert dann?“
 

„Es ist eher das Gegenteil der Fall Holzkopf.“
 

„Das Gegenteil?“ Firn sah ihn sparsam an.
 

„Ich komme nicht mehr von dir los und ich würde alles für dich tun.“
 

„Mein persönlicher willenloser Sklave. Das klingt schon besser.“ Firn legte sich zurück auf seine bequeme Liegstatt.
 

„Warum ist das so?“
 

„Aufgrund der Bindung. Meine Seele bindet sich so stark an deine, dass sie ohne sie nicht mehr sein will. Um zu verhindern, dass das geschieht würde sie alles dafür tun.“
 

„Irgendwie klingt das nach zu viel Verantwortung.“ Es klang nach Verzweiflung.
 

„Ja, und es kann böse enden für mich wenn du beschließt mich nicht mehr zu wollen. Was ja nur normal ist falls wir hier raus kommen sollten. Wir sind gezwungen uns hier drin aneinander anzupassen, aber draußen... du wirst von hier weg gehen. Ich werde auf die eine oder andere Art hier bleiben.“ Und innerlich vertrocknen und sterben, fügte er in Gedanken hinzu.
 

Firn war sich nicht sicher was er tun würde wenn sie hier raus kämen. Er hatte eine Aufgabe zu erledigen. Aber würde er die Zeit mit Jules einfach so vergessen und abhaken können?
 

„Mein Großvater hat mir von einem wie mich erzählt und mich inständig davor gewarnt eine Seelenbindung einzugehen. Er hat mir eine Geschichte erzählt die mich damals schockierte und mir eine lehrreiche Warnung war.“
 

„Dann gab es vorher jemanden wie dich? Du hast mich belogen“, brummte Firn beleidigt. „Was hat er erzählt?“
 

„Den letzten von dem er wusste, den nannten sie Soulreaper, da er nichts weiter tat als die Feinde seines Herrn zu vernichten. Dieser Mann hatte es geschafft ihn an sich zu binden und fortan war er der Sklave dieses Mannes. Er hat sich komplett aufgegeben und lebte nur noch für die Wünsche dieses Mannes.“
 

„Klingt wie aus einem Fantasyfilm.“
 

„Hmm, ja klingt so. Und mein Großvater hatte den Ehrgeiz die Geschichte schön finster auszuschmücken. Ich habe nie erfahren ob sie wahr ist, aber ehrlich gesagt bin ich momentan in meiner eigenen Fantasygeschichte, so eine Art Science-fiction-reality Version davon.“ Er tippte auf die Armprothese. „Und den Grußel der Geschichte erlebe ich hautnah. Ich denke die Geschichte ist durchaus wahr.“
 

„Hee, ich bin kein Cyborg“, brummte Firn. „Das Ding sieht nur so abgespacet aus weil es ein scheißteurer Prototyp ist.“
 

Jules strich die Prothese entlang. Firn runzelte die Stirn.

Fast schon zärtlich, auch wenn er es nicht fühlen sondern nur mit den Augen mitverfolgen konnte, da der Arm auf Jules Brust lag.
 

Firn kam plötzlich ein fataler Gedanke und er richtete sich abrupt auf. „Will sie das von dir? Dass du dich an sie bindest?“
 

Jules holte tief Luft und kaute auf seiner Unterlippe herum. „Ja, das will sie. Aber sie wird es kaum schaffen.“
 

„Warum nicht, du hast mir erzählt, dass wenn du dich bindest...“
 

Jules richtete sich auf und nahm sein Gesicht in beide Hände. „Sie wird es nicht schaffen, Firn. Aus zweierlei Gründen: Sie ist nicht stark genug. Nicht sie ist es um die ich mir Sorgen mache. Es ist ihr Boss. Der ist definitiv stark genug und er hätte mich beinahe so weit gehabt.“
 

„Ist er bei diesen Spielchen auch dabei.“
 

„Ja, das ist er.“
 

„Deshalb kannst du sie nicht töten? Weil er die Stärke besitzt dich aufzunehmen?“
 

„Das ist richtig, und sie haben die Kinder als Druckmittel.“
 

„Und der zweite Grund?“
 

„Weil ich bereits gebunden bin.“
 

„Dann bist du aber doch nicht mehr interessant für sie... außer für diese Reparaturen und die erledigst du ja ohnehin auf Sparflamme. Wo ist also das Problem? Ich meine außer diesem Typen.“
 

„Du hast etwas übersehen, Firn“, sagte Jules und setzte sich besser auf.
 

„Was?“, fragte Firn verständnislos.
 

Jules sah ihn an wie jemand der schwer von Begriff war.
 

„Was? Bist du noch an Rachel gebunden?“
 

„Die Bindung hört mit dem Tod auf.“
 

„An eines deiner Kinder? An das Mädchen?“
 

„Welches Mädchen?“
 

„Das mit den kurzen schlohweißen Haaren. Sie war die Erste die in den Raum gelaufen kam um sich an dich zu werfen. Sie hat mich übrigens gesehen und mir zugezwinkert.“ Firn zuckte mit den Schultern.
 

„Nein, hast du nicht zugehört?“, Jules sah ihn ungläubig an.
 

„Offensichtlich nicht“, brummte Firn und runzelte die Stirn. Er setzte sich neben Jules. „Jetzt sag schon.“
 

„Ich bin an dich gebunden, Holzkopf.“
 

Firn sah ihn an. „Quatsch. Du sagtest, dass du Angst davor hast, also...“
 

„Ja, die Angst habe ich. Aber das ändert nichts an der Tatsache. Es ist letzte Nacht geschehen, oder vielmehr gestern. Ich konnte der Verlockung nicht widerstehen und habe bei dir Schutz gesucht als du mich gerufen hast.“
 

„Machen sie das mit dir? Erniedrigen und Foltern sie dich damit zu Schutz bei ihm suchst?“

Jules zuckte mit den Schultern. „Ja, so ist wohl der Plan.“
 

„Aber ich spüre gar nicht, dass du an mich gebunden bist. Spürt man da überhaupt irgendetwas?“ Firn kam sich ziemlich dämlich vor.
 

„Der Binder behält einen Teil der Seele des Gebundenen. Deshalb ist es ihm möglich die Kontrolle über ihn zu behalten. Du hast vorhin dieses ziehende Sehnen verspürt, dass dir ein starkes Gefühl eines Verlustes suggeriert. In abgeschwächter Form verspürt das der Gebundene dauerhaft. Ihm geht es nur gut wenn er dem Binder sehr nahe ist.“
 

„Ich behalte gar nichts von dir“, sagte Firn abwehrend.
 

Jules musste tatsächlich lachen ob des erschrockenen Gesichtsausdrucks.
 

„Das hast du schon, aber glaube mir ich kann es verschmerzen, es ist der Teil den der Gebundene freiwillig als Geschenk zurück lässt.
 

„Und was macht das mit mir?“
 

„Wer weiß das schon?“, Jules zuckte spitzbübisch mit seinen Schultern.
 

„Du!“, sagte Firn anklagend. „Du weißt es und willst es mir nicht sagen.“
 

Vielleicht war das so. Jules Lächeln wurde breiter.
 

Dann schwand es wieder und er sah Firn ernst an. „Vergiss nicht, Firn. Damit schwebst du hier in Lebensgefahr. Das ist es was ich vermeiden wollte.“
 

„Weil... die Bindung mit dem Tod endet.“
 

„Ja, mit deinem.“
 

„Und wie sollten die je dahinter kommen?“
 

„Sie sind nicht blöd. Grausam und nicht blöd. Das darfst du nie vergessen.“
 

„Und was geschieht wenn du stirbst?“
 

Jules stand auf. „Können wir ein anderes Mal darüber sprechen? Das ist schwierig.“
 

„Kann ich mir vorstellen“, Firn griff nach einer Hand. „Ich wills trotzdem wissen.“
 

„Dann... werden meine Fähigkeiten auf dich übertragen.“
 

„Das heißt du bleibst dann bei mir? Wann wolltest du mir das sagen?“, fragte er bitter.
 

„Es ist möglich die Bindung auch ohne den Tod von dir zu lösen. Aber dies muss von dir ausgehen. Das solltest du tun bevor ich sterbe. Es ist sicher besser für uns beide.“
 

„Wie funktioniert das?“
 

„Ablehnung. Du musst mich mit allem was du hast aus dir hinauswerfen. Dafür musst du noch stärker werden. Ich bringe dich dazu dass du es schaffst“, sagte Jules aufmunternd. Es sollte wohl etwas Positives darstellen, nur warum fühlte sich Firn nicht danach?
 

Jules verließ die Sauna und Firn hielt ihn nicht auf. Jules war noch nicht ganz auf der Höhe und Firn hatte sich in seinem Leben noch nie besser gefühlt. Sie aßen zusammen. Die nächsten drei Wochen verlief alles bestens. Jules reparierte ihn weiterhin und Firn versuchte mit seinen neuen Gaben klar zu kommen. Was schwieriger war als gedacht, doch langsam verstand er was Jules bei ihm zurückgelassen hatte, eine Art Möglichkeit mehr Kontrolle auszuüben. Nur gelang ihm das nicht wirklich. Außerdem fühlte er eine Art innere Unruhe, die ihn an manchen Tagen schier die Wände hoch gehen ließ. Er fühlte sich innerlich irgendwie zerrissen. Firn schrieb das der Veränderung zu.
 

Eines Abends als sie sich in ihre Zelle begeben hatten war jedoch Schluss mit ihrem gemeinsamen Leben.
 

Ihr Wärter kam wie letztes Mal nachdem er bereits abgesperrt hatte. Jules setzte sich auf und machte sich von Firn los, der ihn zurückhalten wollte. „Ich muss...“

Der Mann öffnete die Tür. „Angel, nicht Sie. Der Boss will ihn. Es tut mir Leid.“
 

Jules sah den Mann an als würde er ihn nicht verstehen. Firn rutschte an die Bettkante, doch Jules kräftige Hand drückte seine Schulter nieder und ließ ihn nicht aufstehen.

„Aus welchem Grund?“

„Das wurde mir nicht mitgeteilt, Angel.“
 

„Ich lasse ihn nicht gehen. Das können Sie ihrem Herrn ausrichten.“
 

„Das werde ich.“

Der Mann ging.
 

„Findest du das gut, sie gegen dich aufzubringen?“
 

„Ich glaube sie haben den Braten gerochen, Firn. Wenn ich dich hier rauslasse...“
 

„...das kann niemand sagen, Jules.“
 

„Doch ich kann das sagen.“ Er hob den Kopf als ein Mann den Flur an ihre Scheibe trat, er streckte die Hand aus und Jules flog gegen die gegenüberliegende Glaswand. Er blieb liegen und der Mann, den er jetzt von seiner ersten Begegnung erkannte kam herein. „Steh auf.“ Firn stand langsam auf.

„Komm her zu mir.“

Jules regte sich immer noch nicht. Sein Kopf lag seitlich und die Augen waren geschlossen.
 

Er trat aus dem Raum und der Mann warf die Tür aus Glas hinter ihm zu. Dann packte ihn der Mann im Nacken und führte ihn den Gang entlang bis ins Wohnzimmer. Er schlug ihm hart ins Gesicht, sodass Firn zur Seite kippte und ihm Blut aus der Nase lief. „Zu Anfang dachte ich, dass es eine gute Idee wäre ihn mit einem Schoßhündchen lockerer zu machen, nur dass er jetzt so weit geht um sich seinem Schicksal zu entziehen ist lachhaft. Was will er eigentlich mit dir? Du kannst ihn nicht halten. Keiner außer mir kann das!“ Er trat Firn in die Seite und Firn blieb die Luft weg. Er keuchte und hustete.

„Ich werde ihn bekommen. Dafür töte ich dich, du kleine nichts würdige Kreatur.“
 

Firn versuchte vergeblich die Schläge abzuwehren. Es ging viel zu schnell als dass er Wut verspüren konnte. Wo war sie geblieben? Er konnte nur an Jules denken. Irgendwann als er fühlte wie ein Knochen brach und ein gleißender Schmerz durch sein Bein fuhr fiel er in die Erlösung der Bewusstlosigkeit.
 

Jules dagegen fühlte jeden Schlag, doch er war zu weit weg als dass er Firn helfen konnte. Er hieb mit der flachen Hand gegen die Scheibe und schlug fast den Knopf der dort war ein. Als sich die Stimme der Direktorin meldete schrie er sie an. „Lass mich sofort raus. Sofort. Er bringt ihn um. Und dafür werde ich dich lange leiden lassen. Mach sofort auf oder ich vernichte euch alle.“ Jules sah rot. Er wechselte zu seiner Seelensicht über, schloss alle Menschen im Umkreis mit ein. Er fand die Direktorin im Stockwerk über ihrem. Er hörte die Schreie der Menschen, die Verwirrung, da er nicht separieren konnte wem sein besonderes Augenmerk treffen sollte. Als er sie gefunden hatte, sie im Speziellen, kratzte er an ihren Schilden wie ein Raubtier mit geschärften Krallen. Er spürte ihren allumfassenden Schmerz.

Mach auf!

Dann irgendwann sprang die Tür auf.
 

Er kam ins Wohnzimmer gerannt und hielt inne als er Firns leblosen Körper auf dem Bauch liegend vorfand über ihm stehend Ruby, der Mann der seine Seele wollte. „Du willst mich?“, fragte Jules lauernd. Vielleicht war er soweit, dass er es wagen konnte...

„Ist das eine Frage um ihn zu retten?“, fragte Ruby und richtete sich auf. Er betrachtete ihn mit diesem falschen liebevollen Blick, der die Gier dahinter kaschieren sollte.
 

„Nein. Es ist eine Frage um dich zu töten.“
 

Jules griff nach Firns Seele und mobilisierte alles was von Firn übrig war. „Wenn du mich willst dann sieh zu wie du damit fertig wirst.“

Ruby lachte und hieß ihn willkommen. Jules Seele brandete in einer flachen Welle gegen die hohen Mauern, doch Ruby ließ ihn ein.

„Ich hatte mehr erwartet“, grinste Ruby siegessicher.
 

Jules lächelte ebenfalls. Weitere Wellen brandeten über die gesenkten Schilde und sie wurden höher und wie bei einem Tsunami wurden sie nicht nur höher sie stiegen ins Unermessliche und ihre Zerstörungswut war immens. Als Ruby das verstand zog er seine Schilde wieder nach oben doch da kam ihm Firns Seele zu Hilfe.

Ruby gelang es nicht seine Schilde zu festigen. Firns beste Fähigkeit waren seine flexiblen Schilde, die sich dem Eindringling anpassen konnten und die Signatur veränderten. Das machte sich jetzt bezahlt. Denn diese Fähigkeit nutzte nun Jules um das Erstarken der Schilde von Ruby zu verhindern.

Währenddessen usurpierten sie beide weiterhin Rubys Energiekörper der ein beträchtliches Fassungsvermögen hatte aber sie beide nicht bewältigen würde. Er zerbrach schließlich als der Ansturm zu groß wurde. Als dieser Bruch begann zog Jules Firn wieder zurück. Das dauerte länger und Firn war schwerer zurück in seinen Körper zu bewegen da dieser schwer beschädigt war. Mit einem gurgelnden Geräusch starb Ruby schließlich und brach neben Firn zusammen.
 

Jules lief zu Firn und hob seinen Oberkörper an. Er war schwer verletzt und übel zugerichtet worden.
 

Noch in seiner Sorge gefangen hörte er erst verspätet wie Jemand in den Raum kam. „Holt Kistarda“, vernahm er eine weibliche Stimme in der sich unterdrückte Wut gemischt mit Sorge in einem französischen Akzent ausdrückte.
 

Er sah auf und blickte in das Gesicht einer jungen Frau. Sie hatte die Uniform der Rosenkreuzer an, ihr blondes Haar war kunstvoll hochgesteckt und sie trug an ihrer Seite einen Schlagstock, eine Peitsche und auf ihrem Rücken ein Schwert. Jules zog Firn näher an sich heran.

„Mein Name ist Tristian. Ich verkörpere die dritte Spitze der Trias im Orden. Im Namen des Ordens möchte ich mich in aller Form für diese Entgleisung entschuldigen.“
 

Jules sah die Frau voller Hass an. „Sie halten mich hier zwei Jahre gefangen, töten hunderte meiner Familie und erdreisten sich jetzt zu kommen und zu sagen, dass sie nichts damit zu tun haben?“
 

Jules sah sich um und am Eingang standen einige mehr in Uniform und Bewaffnung.
 

„Sie sind nicht tot.“ Die Frau mit Namen Tristian kniete sich auf ein Knie. „Sie leben und ihnen geht es gut.“ Ihre Augen waren klar, ihr Blick ruhte fest auf ihm. Jules erkannte in ihr eine Führungsperson, die es gewohnt war mit schwierigen Situationen umzugehen und aus ihnen erstarkter als zuvor hervorzugehen.
 

„Sie meinen konvertiert.“
 

„Nein“, sie schüttelte einmal den Kopf sodass ein paar Blonde Locken aus dem Haargesteck wippten. „Nein, ganz und gar nicht. Wir konnten viele von ihnen retten...“, begann sie und Jules schluckte aufgrund dieser unfassbaren Lüge die sie ihm auftischen wollte seinen Zorn hinunter.

Eine Frau kam zu ihnen in der gleichen Uniform, sie trug eine Pumpgun quer auf ihrem Rücken. „Tristian wenn du gestattest.“

Diese erhob sich um der Frau mehr Raum zu geben. „Mit korrekter Anrede wenns Recht ist“, sagte sie bissig und schnickte der anderen Frau ans Ohr. „Ja, ja, dafür ist jetzt wohl kaum die Zeit“, brummte diese als Erwiderung. Der metallene Koffer den sie mitführte stellte sie auf den Boden. Sie schloss einige Messfühler an und Jules beobachtete alles genau. Firns Atem ging schwer und er war kaum ansprechbar.

„Er hat sicher Rippenbrüche, der Arm scheint gebrochen zu sein, das Schlüsselbein ebenso, wenn ich mir das so ansehe. Außerdem ist sein Kreislauf nicht stabil. Er muss in ein Krankenhaus.“
 

„Nein“, sagte Jules. „Ich lasse nicht zu, dass er von hier weggebracht wird.“
 

„Er wird sterben, wenn wir ihn nicht vernünftig versorgen“, sagte die Frau, die neben Tristian kniete.
 

„Wir müssen ihn hier wegbringen...“
 

„Ich glaube ich verstehe das Problem, Tristian“, wandte sich ein Mann an sie und trat näher. Tristan sah zu ihm auf.

„Und das wäre, Lloyd?“

„Sie können ihn begleiten Mr Rey. Das ist doch richtig, Tristian?“

„Natürlich“, sagte sie erstaunt und sah von ihm zu Jules.
 

„Ich verstehe das nicht“, dieser schüttelte den Kopf.
 

„Ich erkläre ihnen alles auf dem Weg zum Truck. Los Jungs, einpacken, wir verschwinden.“

„Das heißt nicht, dass ich ihnen beitrete“, sagte Jules und rührte sich nicht vom Fleck.

„Glauben Sie mir das dachte ich mir schon als ich in dieses Zimmer gekommen bin und weit vorher als ich hiervon erfahren habe. Wir haben sie verloren. Und daran sind wir selbst schuld. Bitte... begleiten sie uns in ein Krankenhaus.“
 

Jules erhob sich. „Wo sind die Kinder?“

„Kinder?“ Tristian erhob sich ebenfalls und war alarmiert.

„Wir haben alle Stockwerke durchsucht. Lloyd nimm dir Scalca und Brenno mit. Durchsucht jeden Winkel. Mona du bringst mir diese Frau, die mit Ruby gemeinsame Sache gemacht hat.
 

Zwei der Männer und die Ärztin lagerten Firn auf eine stabile Trage, die sie mit Luft füllten und sie per Vakuum fest und stabil machten. Sie schloss einen kleinen Monitor an ihn und legte ihn zwischen seine Beine. Jules sah ihnen mit Argusaugen zu und drehte sich erst um als die Frau, die er als Direktorin kannte in den Raum gebracht wurde.

„Verehrte Tristian, bitte...“
 

„Du hattest hier Kinder. Wo sind sie?“
 

„Kinder? Ich weiß nichts von Kindern.“
 

Jules sah sie stumm an. Sein Blick brannte in ihren Augen und Tristian wandte sich von ihr zu Jules und zurück. Sie ging auf die Frau zu. „Das muss ein Irrtum sein, ein großer Irrtum.“
 

„Das werden wir gleich sehen, Luca.“ Sie packte die kniende Frau an den Haaren und zerrte ihren Kopf in den Nacken, dann legte sich ihre andere Hand auf das Gesicht der Frau und Jules nahm an, dass dies hier eine Telepathin war. Wenige Augenblicke später ließ sie die Frau los, gab den Männern die sie hielten einen Wink, zog ihr Schwert und noch bevor sie schreien konnte enthauptete Tristian die Frau Namens Luca. Ihr Kopf kam dumpf auf dem Boden auf und Jules schloss die Augen. Ein Albtraum war vorbei und er fragte sich welcher jetzt beginnen würde.
 

„Räumt das auf.“

Tristian nahm sich einen der Decken und reinigte ihr Schwert grob ab bevor sie es in die Scheide zurücksteckte. „Ich weiß etwas martialisch und vorsintflutlich aber definitiv unauffälliger und leiser als Schusswaffen“, sagte sie aufgrund der offensichtlichen Abscheu die Jules zu empfinden schien. Und...naja... eine Möglichkeit eine Botschaft zu hinterlassen, die mehr Aussagekraft beinhaltete als eine simple Kugel. Außerdem hatte ein Schwert mehr Stil, wie sie befand.
 

„Wir packen sie zu den anderen.“
 

Tristian kam wieder zu ihnen. „Gibt es etwas, dass sie von hier mitnehmen möchten, Mr Rey?“

Jules schüttelte den Kopf. „Außer ihn momentan nichts.“

Er sah Tristian zum ersten Mal lächeln. „Gut.“ Es war ein geschäftsmäßiges Lächeln, keines das Wärme beinhaltete oder gar ihre Augen erreichte.

„Die Kinder?“
 

Tristian schüttelte den Kopf. „Sie haben sie weggebracht. Aber sie dürften nicht weit weg sein. Wenn wir diesen jungen Mann in ein Krankenhaus gebracht haben dürfen sie sich uns gerne auf der Suche nach ihnen anschließen.“
 

Er nickte, war jedoch im Zwiespalt.
 

Zum ersten Mal nach zwei Jahren hatte er die Möglichkeit das Hotel – sein Hotel – zu verlassen. Sie fuhren hinunter und luden Firn in einen Kleintransporter im Parkhaus. Die anderen fuhren in drei weiteren Transportern hinter ihnen her. Zwei der Wagen nahmen einen anderen Weg, während Jules mit Firn, der Ärztin, Tristian und einem Mann in Richtung Krankenhaus fuhren. Jules konnte die Eindrücke gar nicht begreifen, er pendelte zwischen Sorge um Firn um die Kinder und der in den Hintergrund geratenen Freude um seine trügerische Befreiung hin und her. „Wie heißen Sie?“, fragte er die Ärztin.
 

„Kistarda.“
 

„Mein Name ist Jules, Rey.“
 

Sie lächelte ihn bitter an und befestigte die zweite Infusion an Firns Infusionsleitung.

„Mr Rey ich weiß wie sie heißen. Jeder von uns tut das. Sie sind seit mehr als einem Jahr Gegenstand hitziger Gefechte innerhalb des Ordens und der Grund für eine Rebellion. Glauben Sie mir ich weiß wer sie sind.“
 

Jules schwieg von da ab. Er wusste nicht was er sagen sollte. Eine Rebellion innerhalb der Rosenkreuzer? Wegen ihm?

Sie brachten Firn über die Notaufnahme in das nächste Krankenhaus und Jules konnte mitansehen wie Tristian alle Beteiligten mit einem Bann belegte. Nun er musste zugeben, bei all seiner Bewunderung dafür – nur ein starker PSI konnte die an die Spitze der Trias gelangen.
 

Keiner stellte Fragen ihrer Person oder Firns bezüglich oder was genau zu diesen Verletzungen geführt hatte. Sie behandelten ihn als normalen Patienten.

Tristian blieb bei ihm bis er in den Operationssaal gefahren wurde und ebenso bis sie ihn auf die Intensivstation verlegten.

„Möchten sie hier bleiben? Er schläft sicher eine Weile“, wurde er gefragt.
 

„Ich möchte die Kinder finden.“
 


 


 

Wird fortgesetzt...
 


 

Vielen Dank fürs Lesen!

(Dieser Teil wurde nicht beta gelesen.)
 

Gadreel ^.^



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Jin-A
2014-08-11T22:18:20+00:00 12.08.2014 00:18
Dumdiduu...wann gibts was neues? :-)
Antwort von:  Gadreel_Coco
12.08.2014 16:20
Hallöchen!

Momentan lese ich gerade den kompletten Glasgarten und mache mir Notizen, da ich die letzten Jahre leider keine gemacht habe zieht sich das jetzt ein bisschen hin. ^^; Sorry! Ich denke mal, dass ich in ein zwei Wochen - hoffentlich - so weit sein werde.

GLG Gadreel ^.^
Antwort von:  Jin-A
20.08.2014 23:27
Das gibt Hoffnung ^.^ yippieh


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