Der Glasgarten von Gadreel_Coco (The Missing Link) ================================================================================ Kapitel 1: Flake ---------------- The Missing Link Teil 1://Flake Augustus saß gerade über eine der Rechnungen gebeugt, die er für einen Kunden erstellte als er die Tür im Verkaufsraum hörte und sein Blick auf die Uhr ihm sagte, dass dies wohl sein Ziehsohn sein musste. Er stand auf und ging von dem kleinen Büro in den Verkaufsraum. Firn, kam ihm bereits entgegen und er sah mitgenommen aus. Der Unterricht war anstrengend für ihn, doch Firn hatte es sich nicht ausreden lassen, er hatte das Studium gewollt und Augustus musste Hazel, die die Verantwortung für ihn übernommen hatte dazu überreden. Firn schloss die Tür mit einer Langsamkeit und Bedächtigkeit, die man eher einem Achtzigjährigen zugesprochen hätte. Augustus ging um den Verkaufstresen seines Antiquitätenladens herum und kam dem Jungen entgegen. Firns Augenmerk lag immer noch auf der Türklinke und er sah erst auf als Augustus die Tür schloss. „Anstrengend heute gewesen?“, brummte der Mann und sah in die bemerkenswerten graublauen Augen, deren Faszination größtenteils von den dicken Brillengläsern verborgen wurde. Ohne die Brille blickten aus einem ernsten Gesicht eisblaue Iriden wach und interessiert in die Welt. Nur wenn die Anstrengung zu groß wurde waren es trübe kühle Seen an einem nebligen Morgen. Wie jetzt auch. Firn nickte als Antwort. Augustus schmunzelte und nahm ihm den Rucksack ab. „Komm geh nach hinten, ich mach uns beiden etwas zu Essen. Hazel hat gegen Acht angerufen du sollst morgen bei ihr vorbei kommen. Sie möchte etwas Wichtiges mit dir besprechen. Bee kommt vorbei und holt dich ab.“ Firn blieb auf dem Weg zu ihren Privaträumen stehen und sah ihn an. „Ich weiß, ich weiß Junge, morgen willst du wieder zur Uni. Es ist aber wichtig, Hazel hat nicht mit sich reden lassen, du weißt doch wie hartnäckig sie sein kann.“ Firn schien das zufrieden zu stellen denn er ging weiter. Besorgt fasste Augustus den Jungen unterm Arm und führte ihn durch das Büro in die Privaträume. Er setzte den Jungen auf einem Sessel in der Wohnküche und hob dessen Beine auf einen Hocker. „Ruh dich aus, während ich das Essen mache, ja?“ Er nahm ihm die Sehhilfe ab und legte sie auf ein kleines Tischchen neben dem Ohrensessel. Firns Augen, die den alten Glanz verloren hatten schlossen sich müde und sein Kopf glitt zur Seite. „Soll ich dir die Prothese abnehmen?“ Firn rollte den Kopf von einer Seite zur anderen. Augustus interpretierte dies als eine Verneinung was ihn dazu bewog ihn in Ruhe zu lassen. Der Antiquitätenhändler machte sich daran Gemüse aus dem Kühlschrank zu holen und begann mit dem Kochen. Hin und wieder warf er einen Blick zu dem 26 Zwanzigjährigen jungen Mann um sich zu versichern dass Morpheus ihn noch immer fest in seinem Griff hielt. In Situationen wie diesen, wenn Firn zu fertig war um sich um sich selbst zu kümmern erinnerte sich Augustus gerne an die Zeit als er noch ein Kind gewesen war. Er teilte sich die Verantwortung für Firn seit dessen Kleinkindalter mit der Familie Worthington. Zu Anfang mit Henry Worthington, jetzt mit seiner Tochter, die die Führung der Londoner Gruppe übernommen hatte mit Hazel Worthington. Der Junge hatte ihnen stets Sorgen gemacht, seit er nicht ganz normal auf die Welt gekommen war. Seine Eltern hatten ihn in ein Heim gegeben, dass für behinderte Kinder geistiger Natur eingerichtet war. Er war damals nur eingeschränkt belastbar gewesen, hatte eine stark eingeschränkte Sehkraft und war mit einem Armstumpf geboren worden. Ab der Mitte des linken Oberarms fehlte ihm der Arm. Noch dazu wurde angenommen, dass Firn Intelligenzgemindert war, da er kaum sprach. Zunächst hatte man ihn sogar für blind gehalten, aber seine Sehkraft hatte sich verbessert. Hazels Vater wurde spät – vielleicht zu spät - als Berater hinzugezogen, erst mit zehn Jahren hatte ein PSI der in dem Heim arbeitete ihn gebeten Firn zu untersuchen. Herausgestellt hatte sich, dass Firn ein PSI war. Ein schwacher PSI dessen Klassifikation schwer einzuschätzen war. Irgendetwas war mit dem Jungen im Mutterleib schief gelaufen. Er hatte nur schwachen Zugang zu seinen Fähigkeiten, trotzdem war er sehr intelligent, auch wenn er im Alltag nur selten etwas sagte. Henry Worthington hatte bei seinen Untersuchungen herausgefunden, dass dies und die gering Belastbarkeit damit zu tun hatte, dass der Junge geistig und seelisch mit seinen Fähigkeiten beschäftigt war. Irgendetwas blockierte gewisse Handlungen und strengte ihn derart an, dass er kaum Aufmerksamkeit für etwas anderes fand. Wenn er in die Uni ging war es am Schlimmsten. Hatte er frei und war erholt sprach er auch mehr und war fast wie ein normaler junger Mann. Worthington fand heraus, dass er am Ehesten ein Destroyer war, doch seine telekinetischen Fähigkeiten waren sehr schwach ausgeprägt. Zusätzlich fanden sie heraus dass er extrem starke Schilde besaß, die so noch nie dagewesen waren. Die Stärke wurde dadurch begründet, dass seine Schilde flexibel waren, bisher in dieser Form noch nie aufgetreten. Vielleicht eine Art Mutation. Und er besaß einen Energiekörper der immens von denen abwich, die sie bisher gekannt hatten. Allerdings war nicht klar wofür er diesen brauchte. Er nutzte ihn nicht. Zusammen genommen war Firn etwas Besonderes und es war traurig, dass sie nie sehen würden was er eigentlich hätte werden sollen. Augustus hatte ihm eines Tages gesagt, als Firn wieder einmal in dieser schwierigen melancholischen Phase gerutscht war, dass er einfach nicht ganz fertig war. Etwas blockierte seine Fähigkeiten und mit dieser Blockade verbrauchte er so viel Energie, dass er kaum genügend übrig hatte für etwas anderes. Damit war der Junge zufrieden gewesen und hatte nie wieder ein Wort darüber verloren. Er beklagte sich ohnehin nie über etwas. Firn war alleine nur bedingt lebensfähig. Eine Wohnung alleine, die er sich wünschte traute ihm keiner zu, selbst Augustus nicht. Jeder der Londoner Gemeinschaft kümmerte sich um ihn, begleitete ihn falls nötig oder half ihm bei Behördengängen. Firn fand das alles andere als toll. Er beschwerte sich zwar nicht darüber, aber Augustus erkannte den Unwillen seines Schützlings an seiner Art das Thema zu wechseln. Augustus musste bei dem Gedanken schmunzeln. Alex Brennan ein reicher Nachtclubbesitzer kümmerte sich stets um neue Armprothesen, die dem neuesten Stand der Technik entsprachen. Bee ein neunmalkluger aufgeweckter vierzehnjähriger war Firns bester Freund und der kleine Rabauke kam oft zu ihnen um Firn mit auf seine „Erkundungstouren“ zu nehmen. Im Alter von zehn Jahren hatten sie Firn aus dem Waisenhaus geholt und er war bei Augustus Flake eingezogen. Henry Worthington und Augustus waren derart ratlos, dass sie den Jungen zu einer Farseer nach Anchorage gebracht hatten, eine Traumseherin, die Firn erst seinen Namen gegeben hatte. Ins Melderegister war Firn mit dem Namen Andrew Miller eingetragen. Doch diesen Namen hatte er noch nie gemocht, er hatte schon als Kind das Gesicht verzogen wenn ihn jemand so genannt hatte. Drew galt noch als akzeptabel und er stellte sich gerne mit diesem Namen vor, den Namen Firn jedoch liebte er. Dieser Name war jedoch ihrer PSI Gemeinschaft vorbehalten. Augustus hatte das Gemüse soweit, dass er es zu einem schmackhaften Eintopf mit ein wenig Fleisch verarbeiten konnte. Als alles in der Kasserolle kurz angebraten war schob er es in den Ofen. Sie würden erst in zwei Stunden Essen, so wie es aussah. Firn schlief tief und fest und das Essen brauchte ohnehin noch längere Zeit. Er ging zu Firn, strich ihm sanft über den zerzausten schwarzen Haarschopf. „Schlaf noch ein wenig“, murmelte er und seufzte mit einem Lächeln. Er ging wieder in sein Büro und arbeitete weiter an seinen Rechnungen. Firn wachte mit einem erholten Gefühl auf und streckte sich ausgiebig. Er sah sich um und blinzelte über die verschwommene Sicht. Seine Rechte tastete nach rechts und fand die Sehhilfe ohne die er blind wie ein Maulwurf war sofort, da sie an dem Platz lag an dem sie stets lag. Er setzte die Brille auf und sah sich in der Wohnküche um. Der Duft nach Essen ließ seinen Magen knurren und er verzog den Mund zu einem nachsichtigen Lächeln. Er wollte heute Abend noch ins Fitnesstraining und fühlte sich nach dem kurzen Schläfchen dem durchaus gewachsen. Morgen konnte er nicht in die Uni was ihm gar nicht in den Kram passte, aber Hazel wollte ihn sprechen und er wusste nicht was sie von ihm wollte. Die Beine von dem Hocker ziehend setzte er sich auf und streckte sich erneut wie eine Katze, er lockerte seine Nackenmuskulatur und stand auf. Augustus war sicher im Laden verschwunden. Er ging durch die Küche und fand den 55 Jährigen ehemaligen Soldaten über einem Wust an Papieren gebeugt. Dieser lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete sich Firn, wie dieser mit verschränkten Armen im Türrahmen stand und ihn seinerseits betrachtete. „Wie war die Prüfung?“ Firn zuckte mit den Schultern wie stets mit dieser ihm so eigenartigen Anmut. „Anfangs leicht, dann ging mir der Saft aus und ich habe kaum etwas zu Papier gebracht.“ „Es lag also nicht am Stoff?“ Firn schüttelte den Kopf. „Vielleicht solltest du mit dem Dozenten sprechen, er könnte dir...“ „Ich will keine Ausnahme sein.“ Augustus sah ihn skeptisch an, legte den Kugelschreiber auf das Papier vor sich fallen. „Du bist es, mein Junge. Daran gab es nie einen Zweifel. Und das wird es auch nie geben“, sagte Augustus milde. Firn machte ein mürrisches Gesicht. Augustus hatte in dem Gesicht, dass so viel verbarg und selten etwas von dem was in dem Jungen vor ging offenbarte zu lesen gelernt. Es war nur eine minimale Veränderung der Mundwinkel, die den Unmut der in Firn herrschte offenbarten. Augustus ließ den Blick über den Körper des jungen Mannes gleiten. Er war gut trainiert und er hatte ihm einiges über Selbstverteidigung und den Umgang mit Handfeuerwaffen beigebracht, was teils schwierig war mit der Prothese, aber Firn beeindruckte ihn mit einer Lerngeschwindigkeit dass es selbst Worthington und ihn gewundert hatte. Firn war ein extrem gut aussehender, trainierter junger Mann mit ein paar Defiziten. „Was ist mit Marie?“ Firn wandte sich von ihm ab und lehnte sich mit dem Rücken an den Türrahmen. Er sah in die Küche hinein. „Gibt es bald Abendessen?“ Ein Themenwechsel also. Aber so leicht kam ihm Firn heute nicht davon. Der Junge hatte noch keine Freundin und es war eine Schande, dass er keine fand. Ein Mädchen namens Mary Winter saß in der Uni in einigen Kursen neben ihm. Firn mochte sie gern und Augustus hatte ein gewisses Interesse aus dem was der Junge ihm erzählte gewittert. Augustus erhob sich. Er ging zu Firn, der immer noch in die Küche blickte. „Du bist ein gutaussehender junger Mann, Firn und das weißt du auch. Das sagen dir die Blicke der Mädchen UND der Jungen seit Jahren. Firn ließ den Kopf sinken und starrte auf die Dielen in der Küche. Ja, sicher, brummte er in Gedanken. Gutaussehend mit nur einem richtigen Arm und einer kurzen Aufmerksamkeitsspanne und der Sehkraft eines Maulwurfs bei Tag. „Wer soll mich wollen?“, sagte er ruhig und löste sich von der Tür um in die Küche zu gehen. Augustus sah ihm nach. Es war keineswegs Trauer oder Bedauern in der Stimme zu hören, nur eine Frage neutral vorgetragen. PSI hegten kein sexuelles Interesse an ihm, und das lag nicht nur daran dass sie ihn für fehlerhaft hielten. Das hieß nicht, dass Firn nicht beliebt war, ganz im Gegenteil viele vergötterten ihn regelrecht. Jeder in ihrer Gemeinschaft liebte Firn und er war stets ein beliebter Gast auf ihren Zusammenkünften. Aber mehr auch nicht. Er war eher so etwas wie das ewige Kind, das es zu beschützen galt. Und Firn war alles andere als ein Kind mehr. Er war ein ausgewachsener junger Mann, attraktiv mit dem Körper eines Adonis, nur vielen den meisten Menschen sofort seine Handycaps ins Auge und nicht die aufreizenden Vorzüge, die er zu bieten hatte. Als Firn zwanzig war hatte er Augustus gesagt, dass er alleine bleiben würde, dass es besser so wäre für alle Beteiligten. Es hatte Augustus wütend und zugleich traurig gemacht. Augustus ging in die Küche und half Firn den Tisch zu decken. „Setz dich“, entband er den Jungen von den restlichen Vorbereitungen und holte das Ragout aus dem Ofen. Rosmarin klein geschnitten, etwas Knoblauch und die Raspel einer Zitronenschale wurden in einer Schale gemischt und auf den Tisch zwischen sie gestellt. „Gehst du heute noch ins Training?“, fragte er während er das Baguette schnitt dass es zu dem Ragout geben würde. „Ja.“ „Ich fahr dich wenn ich den Laden zugemacht habe.“ Firn nickte. „Ich lass mich von James zurück fahren.“ Augustus ließ sich von Firn die Teller reichen und gab ihnen beiden eine ordentliche Portion darauf. James also. Von diesem Mann hatte Firn bereits öfters gesprochen, wenn auch wenig, aber dennoch hin und wieder war dieser Name gefallen. Er brachte Firn oft nach dem Training nach Hause, meist später als ein solches Training dauern sollte. Firn hatte nie ein Wort darüber verloren, doch Augustus hatte sich seine Gedanken darüber gemacht. Und er ahnte warum Mary OUT und James IN war. Aber Firn wirkte nicht so als wäre James derjenige, der sein Herz höher schlagen ließ. Firn äußerte sich ohnehin nie über Gefühle als hätte er keinerlei Zugang dazu oder nur sehr beschränkten. Es war so als wäre alles für ihn eher gleichgültig was seine eigene Person betraf. Einmal war er Rosenkreuzern in die Hände gefallen, sie hatten ihn konvertieren wollen. Firn hatte kurzen Prozess mit einem von ihnen gemacht. Er hatte ihn verprügelt und Augustus danach angerufen was er mit ihm nun machen sollte. Der Rosenkreuzer war ein Scanner gewesen und war nicht durch die flexiblen Schilde des Jungen gedrungen was diesen dazu veranlasst hatte seinerseits in die Offensive zu gehen. Als Augustus bei Firn und dem bewusstlosen Rosenkreuzer angekommen war stand dieser unbeteiligt daneben und beobachtete den Mann. Völlig unbeteiligt und sachlich erklärte er ihm was vorgefallen war. Ebenso verhielt es sich wenn er sich verletzt hatte oder ihm etwas angetan worden war. Er hatte Schmerzen und man konnte ihm diese ansehen und er äußerte sie auch als solche nur bewertete sein Gehirn diese anders. Sie wirkten nicht bedrohlich auf Firn und er nahm sie als Gottgegeben hin. Ebenso war es mit vielen Situationen oder Ereignissen. Als dann dieser Name James öfters im Gespräch fiel war Augustus hellhörig geworden. Firn war leicht auszunutzen und falls James das herausgefunden hatte war es für diesen ein leichtes mit Firn alles zu machen was diesem in den Sinn kam. Bisher hatte Augustus aus Firn nur herausbekommen, dass dieser James um die 40 Jahre war und der Besitzer des Fitnessstudios. Firn ging seit zehn Jahren dort hin und dieser James hatte ihm geholfen was Training, Physiotherapie und Massagen anging um ihn mit seinem Handycap zu helfen. Bei was er ihm noch geholfen hatte darüber ließ sich Firn nicht aus. Er konnte nur hoffen, dass diese von ihm befürchtete Liaison nicht schon seit zehn Jahren lief. Firn ging fast jeden Tag dort hin und Augustus musste mit Grauen an die Möglichkeit denken, dass dieser James ihn seit zehn Jahren sexuell ausnutzte. Denn das war sein schlimmster Verdacht. Augustus selbst war schwul und das hatte auch seine Frau akzeptiert. Er hatte Lena geliebt und sie ihn trotzdem geheiratet. Sie hatte seine gelegentlichen Freunde akzeptiert. Nie hatte sie an seiner Liebe zu ihr gezweifelt. Tom ein langjähriger Freund hatte jahrelang mit ihnen in einem Haus gelebt. Der Beruf hatte ihn nach Asien verschlagen und der Kontakt war bis auf wenige Tage im Jahr an denen sie sich sahen reduziert. Als dann Lena starb hatte Augustus nur mehr Firn, den Lena wie ihr eigenes Kind geliebt hatte. Augustus wollte Firn glücklich sehen, aber er bezweifelte, dass James derjenige welcher war der ihm dieses Glück bescherte. Firn war sehr passiv im Leben und ließ es an sich vorüberziehen. Es war als würde er auf etwas warten. Firn holte sich eine zweite Portion und Augustus fasste den Jungen genau ins Auge. „Würdest du mir sagen wenn du Sorgen hättest, Firn?“ Firn nickte sofort behielt aber sein Augenmerk auf seinem Essen. „Ist dieser James gut zu dir?“ Firns Gabel hielt kurz inne bevor sie ihren Dienst wieder aufnahm. Firn witterte die versteckte Frage aber er war nicht bereit sie Augustus abzunehmen. Er nickte erneut. Er wusste, dass Augustus sein Verhältnis zu James nicht gutheißen würde und hielt sich besser bedeckt. James hatte ihm viel geholfen und er gab ihm dafür stets etwas zurück. Zwar bezahlte er mit seinem Körper aber James schien diese Art der Bezahlung auszureichen. Er beschwerte sich zumindest nicht. Firn hörte wie Augustus sich noch ein Brot nahm und etwas davon abpflückte um es zu Essen. Er hoffte das Thema war erledigt. James hatte ihm gezeigt wie er mit seinem Arm an den Geräten arbeiten konnte und an welchen Sportarten er teilnehmen konnte. Er hatte seine Muskeln gelockert, Krankengymnastisch versorgt und seinen Körper dahingehend trainiert wie er heute aussah. Es lag auf der Hand, dass eine Gegenleistung nur sinnvoll war und wenn diese so aussah, dass er James zur Verfügung stand wenn dieser wollte dann war dies eben so. Er sah darin nichts Verwerfliches, aber er wusste, dass Augustus aufgrund der Vatergefühle für ihn diesen Umstand weniger pragmatisch betrachtete. Selbst James war mit der Situation an manchen Tagen nicht zufrieden, aber er hatte sich wohl damit abgefunden, dass er von Firn nicht die gewünschte Begeisterung oder Gefühlsausbrüche erwarten konnte. Firn mochte es nicht besonders von Mitmenschen angefasst zu werden, es sei denn es diente einem bestimmten Zweck, was bei James ja der Fall war. Er war in gewisser Weise eine Ausnahme von dieser Regel. Als sie fertig mit dem Essen waren schickte ihn Augustus hinauf in sein Zimmer, das er im zweiten Stock bewohnte um sich hinzulegen. Er solle sich vor dem Training ausruhen was stets bitter nötig war damit er das Training und das was James gelegentlich von ihm in Anspruch nahm nicht seine gesamten Energiereserven verbrauchte. Firn zog sich aus und legte sich in sein Bett, er schlief fast auf der Stelle ein. Augustus kümmerte sich um den Abwasch und fuhr den Jungen eine Stunde später zum Studio. Spät in der Nacht hörte er die Tür und die schweren langsamen Schritte des Jungen die Treppe hinauf. Er hielt fast auf jeder Stufe an und Augustus hatte das Gefühl es würde eine Ewigkeit dauern bis er die schlurfenden mühsamen Schritte hörte die sich die Stufen ins nächste Stockwerk hinauf arbeiteten. Es war oft so und er hatte es sich abgewöhnt in der Nacht aufzustehen um ihm zu helfen. Der Junge war stets wenig erbaut darüber gewesen. Fast hätte Augustus gereizt dazu gesagt. Und er hatte diesen James im Verdacht, der diese Gereiztheit bei Firn auslöste. Augustus schloss die Augen und versuchte endlich den Schlaf zu finden den er vergeblich gesucht hatte bis der Junge endlich wieder zuhause war. 2. Firn saß in dem viel zu großen und eindeutig zu kühl eingerichteten Arbeitszimmers der Person die ihn finanziell unterstützte und sich die Fürsorge mit Augustus Flake teilte. Hazel Worthington war eine strenge Frau um die Dreißig und der Sentinel der Londoner Clans. Bee sein bester Freund saß neben ihm unruhig als hätte er Hummel im Hintern. Hazels braune Augen ruhten auf ihm als sie Bee ins Auge fasste. „Stell dein Gezappel ein, Bee“, kam die kühle Zurechtweisung und ihre Stimme hatte den Klang von Stahl, dabei war sie aber nicht unfreundlich. Bee grinste sie frech an hörte aber auf und saß einigermaßen ruhig. „Anchorage hat eine Anfrage gestellt. Die Farseer möchte dich sehen." Sie ließ ihn nicht aus ihrem Blick, ganz so als erwarte sie eine bestimmte Reaktion von ihm. "Ich war anfangs damit nicht einverstanden. Aufgrund deines Zustandes bin ich der Meinung, dass du diese weite Reise kaum alleine bestreiten kannst.“ Sie sortierte einige Unterlagen und reicht sie ihm über den großen Schreibtisch. Als er sie nicht entgegennahm legte sie die Zettel und etwas das aussah wie ein Reisepass vor ihn hin. „Zustand?“, fragte er mit rauer weil eher sparsam benutzter Stimme. Ein Zustand war etwas, dass sich wieder änderte, es war zeitlich begrenzt. „Ist das nicht ein bisschen zu hart, Ms Worthington?“, mischte sich Bee ein und sein Gesicht drückte deutlich sein Missfallen aus. Sie ignorierte ihn. „Wie siehst du das, Firn? Ist es zu hart?“ Sie sah ihn neutral an. „Hart nicht“, er zuckte mit den Schultern und versuchte sich zu konzentrieren. Er wusste nicht wohin dieses Gespräch laufen würde und das forderte eine hohe Konzentration von ihm und das wiederum verbrauchte mehr Energie als er gedacht hatte. „Eher falsch.“ „Inwiefern?“, fragte Hazel und ihre Mundwinkel zuckten leicht. In ihren Blick hatte sich eine milde Note eingeschlichen. „Ein Zustand ist im Allgemeinen vorrübergehend. Ich denke nicht, dass etwas an mir vorrübergehend ist.“ „Wer weiß das schon, Firn?“ Bee sah zu Firn und runzelte die Stirn. „Nun wie dem auch sei. Ich bin nicht begeistert davon, dass sie dich in Anchorage sehen möchten, aber sie haben diese Bitte ausdrücklich vorgebracht und es ist ohnehin an der Zeit, dass die Farseer dich erneut sieht. Sie sagte, sie habe von dir geträumt. Du bist nun alt genug, dass du es dir anhören kannst und vielleicht hilft es dir in gewisser Weise. Wie ihr beide wisst wird die Lage hier in London zunehmend schwieriger und unübersichtlicher. Gestern fand erneut ein Übergriff auf einen Scanner statt.“ „Konvertiert?“, fragte Bee. „Nein. Tod. Richard hat sich selbst getötet bevor sie dazu gekommen sind. Es deutet jedenfalls auf Selbstmord hin.“ Bee richtete den Blick nach unten. Seine Mundwinkel hingen nach unten und er ballte die Fäuste in seinem Schoß. Hazel hatte nicht vorgehabt ihren zwei Schützlingen dies zu erzählen aber es diente ihrer Sicherheit über die gegenwärtige Lage bescheid zu wissen. „Aus diesem Grund bin ich nicht mehr abgeneigt euch beide nach Anchorage zu schicken.“ „Uns beide?“, Bee war bereits Feuer und Flamme so wie er den Kopf hob und seine zu strahlen begannen. „Ja, ich möchte Firn nicht alleine reisen lassen und dir tun ein paar Tage Ferien gut. Trotzdem lasse ich den besten Runner den wir haben nur ungern ziehen." Sie brachte so etwas wie ein Lächeln zustande. "Die Anfrage kam schon vor einigen Wochen und wie ich bereits erwähnte war ich geneigt sie ihnen zu verwehren.“ Bee sprang auf und wandte sich begeistert Firn zu der diesem Treiben ruhig zusah. „Setz dich bitte wieder hin“, wies Hazel ihn daraufhin an, in diesem ganz speziellen freundlichen Tonfall der klang wie eine Bitte aber doch ein deutlicher Befehl war. Bee erkannte ihn, hielt in seinem Treiben inne und ließ sich ordentlich gesittet auf den Stuhl sinken. „Ich habe euch bereits für heute Abend einen Flug gebucht. Vor euch liegen die Unterlagen, inklusive der Pässe und der Reiseerlaubnis für dich Bee. Es ist alles geregelt sodass ihr keine Schwierigkeiten bekommen solltet. Die Straßen sind momentan nicht sicher, weshalb ich möchte, dass ihr sobald wie möglich abreist. Hat einer von euch Einwände? Anchorage hat mir versichert, dass es keine Angriffe in letzter Zeit bei ihnen gegeben hat.“ Firn fühlte sich komplett überfahren, dennoch verneinte er als Antwort da dies von ihm erwartet wurde. „Müssen wir dort bleiben?“, fragte Bee und aus seiner Stimme war heraus zu hören wie wenig er davon hielt. „Ihr kommt erst zurück wenn ich es gestatte, Bee.“ „Was?“ Bee schüttelte den Kopf. „Ich will hier bleiben, bei dir, Hazel!“, sagte er voller jugendlicher Leidenschaft. „Vorsicht junger Mann, erinnere dich bei Gelegenheit mit wem du hier sprichst“, mahnte sie ihn, allerdings meinte Firn ein Lächeln in den Augen des Sentinels zu erkennen. „Ja, Ms Worthington“, brummte Bee wenig einsichtig wie es erschien. „Noch eines. Anchorage hat wichtige Daten in Bezug auf PSI Aktivitäten in Asien. Ich möchte, dass ihr euch diese Daten anseht und mir darüber berichtet, wenn ihr angekommen seid. Wir bleiben in Kontakt, denkt daran wir brauchen Hilfe. Auch wenn ihr denkt ich will euch aus der Schusslinie halten – was natürlich der Fall ist – seid ihr nicht nur auf Urlaub dort. Ihr erfüllt dort einen Zweck, habt ihr verstanden?“ „Ja“, sagte Firn, denn jetzt war das auch für ihn in Ordnung dass er dorthin ging. Er sah Hazel an. Sie wusste wie sie mit ihm sprechen musste. Er legte den Kopf leicht schief und fasste sie genau ins Auge. Trotzdem sie wenig Kontakt zueinander hatten wusste sie wie sie ihm gewisse Notwendigkeiten beibringen musste. Bee nickte eifrig. „Gut, dann geht jetzt, packt eure Sachen zusammen und seid pünktlich am Flughafen. In Anchorage werdet ihr von einer Frau Namens Mute abgeholt.“ Sie waren entlassen und standen beide auf. „Und Firn, versuche bitte mit den Menschen zu sprechen und zu interagieren. Seid bitte beide vorsichtig, denn ich möchte keinen von euch verlieren. Verstanden?“ Sie nickten unisono und verließen dann das Büro des Sentinels. In Firn arbeitete es. Als er im Vorzimmer ankam musste er sich kurz am dortigen Tisch abstützen. Amy sah zu ihnen auf. „So schlimm ihr Zwei? Dabei war sie doch heute gut gelaunt“, wisperte Amy mit einem milden Lächeln. „Ach Amy, das war sie tatsächlich“, grinste Bee und streckte die Zunge heraus. „Nur hat sie Firn völlig über den Haufen gerannt, könnte man sagen. Ich glaube er versucht gerade zu verdauen, dass sie uns loswerden will.“ Firn hörte die Unterhaltung nur mit halbem Ohr, es rauschte in seinem Kopf und er schüttelte einmal den selbigen um das Klingen zu verscheuchen. Er bemerkte nur am Rande wie jemand ihm einen Stuhl unter den Hintern schob und ihn niederdrückte. „Seid ihr nicht böse, sie steht unter Druck und versucht gerade ihre Kinder zu schützen. Natürlich kann sie nicht alle von ihnen außer Landes schaffen, das würde auffallen und viele würden ihrem Beispiel folgen wollen. Das wäre nicht klug. Aber ihre beiden größten Schätze will sie in Sicherheit wissen. Es ist nur zu eurem Besten, glaubt mir.“ Bee schnaubte. „Hier könnte ich mehr ausrichten als dort. Wer beschützt sie denn jetzt wenn ich nicht mehr da bin, hmm?“ „Ja, das werde dann wohl ich übernehmen müssen“, sagte Amy nachdenklich und Bee glaubte der Frau kein Wort. „Du veräppelst mich doch!“, brummte er beleidigt. „Niemals, großer Bee“, versprach Amy hochheilig mit ernstem Gesicht und Bee zog eine Grimasse des Mitleids. „Jaa, schon klar, lass uns abhauen Firn, hier wird man doch nur nach Strich und Faden verarscht.“ Firn rappelte sich hoch nachdem das Rauschen in seinen Ohren aufgehört hatte und ließ sich im Schneckentempo von Bee aus dem Vorzimmer bringen. „Passt auf euch auf und kommt mir heil wieder“, rief ihnen die Sekretärin nach und Bee winkte ohne sich umzudrehen mit einer Hand. Als sie wieder auf der Straße waren hatte sich Firn langsam wieder im Griff. Er war aber in Gedanken abgelenkt und bekam nur am Rande mit dass Bee ihn in das wartende Taxi bugsierte. Sie würden also London verlassen. Was wohl Augustus dazu sagen würde? 3. „Erlassenes Dekret an alle im Exil lebenden PSI Akteure Wir die Gesellschaft für spezielle Sinnesbefähigung/Zentrum für Anwendung, Weiterentwicklung und Forschung im PSI Grenzbereich befinden alle Akteure, die nicht zum Wohl der Allgemeinheit und der Nichtbefähigten ihrer Meldepflicht nachkommen als Aggressor und erklären sich mit ihrer sofortigen Auslöschung als einverstanden. Ferner erklären sich die PSI Akteure, die der Meldepflicht nachkommen dazu bereit sich einem intensiven Training zu unterziehen um ihre mitunter für die Nichtaktiven Mitmenschen unter den wir leben gefährlichen Fähigkeiten unter Kontrolle zu bringen.“ Hazels Finger verkrampften sich um das Pad, dass die Botschaft enthielt. Sie scrollte wiederholt den Bildschirm hinauf und hinunter und fand doch nur die gleichen Textstellen wieder. Was hoffte sie zwischen den Zeilen zu lesen? Wir lassen euch in Ruhe? Ganz im Gegenteil. Was dort stand war eher: wir erklären euch den Krieg. Sie warf das Tablett auf den Tisch und stand erbost auf. Nach dieser kurzen Schwäche, straffte sie sich, riss sich zusammen und strich ihren grauen Rock glatt. Sie zupfte ihre Bluse gerade und drückte eine Taste auf ihrem Multifunktionspad. „Amy kannst du bitte kommen?“ „Natürlich“ Hazel zog das Pad wieder zu sich heran als einer der Flügel der hohen und mit Intarsien verzierten Doppeltür aufschwang und eine Frau Mitte Zwanzig hereintrat. Die Geräusche ihrer Absätze die diese auf dem Parkett hinterließen hallten von den hohen Wänden wider. Hazel nahm das Pad hoch und wedelte mit dem Bildschirm. „Haben das alle bekommen?“ Amy durchquerte beflissen den Raum und blieb vor dem Tisch stehen, Hazel reichte ihr den Bildschirm und schon bevor sie einen Blick darauf geworfen hatte, nickte diese. „Ja, ich habe bereits Gesprächsanfragen von über einem Dutzend Clans.“ „Auch aus Übersee?“ Amy nickte und ihr Gesicht drückte Besorgnis aus. „Wünschen Sie eine Versammlung, Hazel? Soll ich eine Benachrichtigung rausschicken?“ „Nein, nicht mehr übers Netz,. Dass muss persönlich erledigt werden. Schick einen Runner.“ „Wir haben keine Runner mehr, Hazel.“ „Keinen Runner mehr? Was ist mit Yuki?“ „Yuki habe ich bereits kontaktiert. Sie ist nicht auffindbar. Ihr Clan ist besorgt und wir können davon ausgehen, dass Rosenkreuzer sie erwischt haben.“ „Und Bee habe ich nach Anchorage geschickt“, murmelte Hazel. „Sind Sie noch nicht benachrichtig worden, Hazel?“ Hazel sah auf und in Amys Gesicht stand Sorge. „Was ist passiert?“ Bee war ein ausgezeichneter Runner und einer ihrer Vertrauten. Amys Gesicht wurde aschfahl und ihr Blick war zwar auf ihr Gesicht gerichtet aber ihre Augen hielten den Kontakt nicht mehr. „Was ist mit ihm, Amy? Ist er tot? Was ist mit Firn?“ Ihre Stimme war fest und sie beglückwünschte sich über so viel Haltung. „Nein“, erwiderte Amy besorgt und hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste. „Nein, Hazel, das ist er nicht, nur schwer verletzt. Ich dachte Sie wüssten es bereits. Es hat solange gedauert weil Bee sich nicht äußern konnte und seine Personalien nicht sofort festgestellt werden konnten. Die Nachricht kam vor einer Stunde. Sie war im Verteiler und kam über das Netz deshalb dachte ich, dass sie...“ „Wie ist das passiert?“, unterbrach Hazel sie. Hazel setzte sich auf ihren Ledersessel und stützte den linken Ellbogen auf, sie rieb sich die Schläfe mit der Hand und presste die Augen zusammen während sie den Bericht von Amy erhielt. „Firn und Bee waren unterwegs zum Flughafen als sie angegriffen wurden.“ „Wer hat sie angegriffen und wie, ist das bekannt?“ „Zwei Telepathen, soweit der Runner sich erinnert. Sie stellten ihn auf eines der höheren Häuser und ließen es wie Selbstmord aussehen. Das übliche Muster. Er sprang vom Dach und hatte Glück dass ein Lastwagen unten vorbei fuhr und das Haus nicht all zu hoch war. Es war wohl doch eher eine Warnung, trotzdem ist der Runner verletzt. Ein Beinbruch, Beckenbruch diverse Rippenbrüche und eine Gehirnerschütterung.“ „Das waren Anfänger, oder eine Warnung.“ Hazel rieb sich die Stirn und schüttelte den Kopf. „Was ist mit Firn?“ „Bee kann sich nicht daran erinnern. Sie haben sich bei ihrer Flucht aus den Augen verloren.“ Hazel holte tief Luft und gab sich selbst die Schuld dafür die beiden Jungen allein geschickt zu haben. Es war ein Fehler gewesen. „Ich habe die Flüge überprüft. Eines der Tickets ist eingelöst worden. Ich gehe davon aus, dass Firn das Ticket benutzt hat.“ „Ja, könnte sein. Er kann bisweilen recht pragmatisch sein. Am Besten schicken wir Anchorage eine Nachricht. Kümmere dich bitte darum. Firn soll mich sofort nach seiner Ankunft kontaktieren. Wenn er das nicht tut stehen die Chancen gut, dass wir ihn verloren haben“, sagte sie zynisch. „Der Flug ging gestern um 23.00 Uhr. Er müsste schon angekommen sein.“ „Das erledige ich sofort.“ „Was die Einberufung des Rates angeht werde ich mich selbst darum kümmern. Die Einberufung sollte von einem Runner erledigt werden.“ Schließlich war sie selbst auch einmal als Runner tätig, bevor sie die Vorsitzende der Londoner Vereinigung wurde. Vorsitzende von vielleicht nicht einmal mehr 127 PSI in London und Umgebung, die sich bisher gut verstecken konnten. Nur wie diese Mail in ihr Netzwerk gelangen konnte wusste sie nicht. Es gab bereits einen Überläufer und nach dieser Nachricht, wer konnte es ihnen verdenken? „Amy mach Schluss für heute wenn du Anchorage benachrichtigt hast, es ist ohnehin schon spät. Und nimm dir für morgen frei, wir schließen die Agentur morgen.“ „Zwischen neun und zehn kommen aber drei Mädchen um...“ „Sag ihnen ab, bitte“, sagte Hazel und packte den Tablett-PC in ihre Handtasche und hing sie sich um die Schulter, sie schnappte sich ihren Mantel von der Garderobe und verließ ihr Büro. „In welchem Krankenhaus liegt Bee?“ „In der Great Ormond...“ „Gut, Danke Amy.“ Hazel verließ die Modellagentur mit dem stilisierten Wolf auf weißem Grund als Logo und stieg in ein Taxi ein. Sie nannte die Adresse und fragte unten an der Information nach einem Benjamin Turner. Bee fand den Namen witzig und was sollte sie schon dagegen haben? Es war ein guter Name. Hazels rote Pumps klackerten über die Stufen als sie die Feuertreppe hinauf in den ersten Stock nahm. Sie hielt nicht sonderlich viel von Aufzügen musste sie zugeben und meistens bekam sie klaustrophobische Anwandlungen mit Angst und Schweißausbrüchen wenn sie länger als die erforderliche Zeit in einem blieb. Sie ging auf die Station, die sie ihr genannt hatten und klingelte an der Tür der Intensivstation. „Turner. Mir wurde gesagt mein Sohn Benjamin liegt bei ihnen.“ „Einen Moment bitte“, sagte die Pflegerin über die Sprechanlage. „Sicher, danke.“ Immer schön höflich bleiben, sagte sie sich. Zunächst wanderte sie unruhig und ungeduldig vor dem Wartebereich der Station hin und her wie es einer besorgten Mutter nun einmal zustand, die auf den Besuch ihres Kindes, das auf der Intensivstation lag wartete. Nach zehn Minuten wurde sie von einer Ärztin abgeholt, die ihr alles über den gesundheitlichen Zustand ihres vermeintlichen Sohnes erzählte, das sie nur nebensächlich interessierte. Sie wusste ohne dass es ihr gesagt wurde, dass er sich erholen würde. Er hatte eine gute Konstitution, wie sie alle. Sie wolle jetzt zu ihm, sagte sie nach angemessener Zeit wie es ihr schien und die Ärztin nickte verständnisvoll, fragte aber noch ob sie wüsste ob ihr Sohn Probleme hätte, ob es Probleme in der Familie gäbe. „Nein, er hat ein gutes Verhältnis zu seinem Vater, vielleicht ist es die Schule, sie wissen ja wie Kinder sein können“, nudelte sie die Klischees ab und ließ zumindest die geschiedene Ehefrau oder den gewalttätigen Vater dieses Mal außen vor. Naja bei vier PSI die ihr als „Kinder“ unterstanden musste man sich bei dem einen oder anderen „Unfall“ in der Klinik oder bei der Polizei diverse Begründungen einfallen lassen. Vor allem weil sich der Herr Vater so gut wie nie um derlei kümmerte. Dieser unfähige Idiot. Und ihre Mutterinstinkte waren bereits abgenutzt – im Moment jedenfalls. Ganz davon abgesehen, dass sie mit knappen dreißig Jahren zu jung war um drei Kinder im Alter zwischen zehn und vierzehn zu haben. Naja streng genommen hätte es hin hauen können, rein biologisch verstand sich... Sie kappte diese nutzlosen Gedankengänge die ins Nichts führen würden und betrat das Zimmer in dem Bee lag. Sie seufzte als sie ihn sah. Die Ärztin war ihr gefolgt und erklärte ihr kurz die Geräte und ihre Funktion, damit sie nicht erschrak. Hazel hob filmbuchreif eine Hand an ihren Mund um ihr Entsetzen den Blick der Ärztin auszusetzen und diese legte ihr tröstend eine Hand auf den Arm und führte sie zu einem Stuhl der neben dem Bett stand. Sie setzte sich und nahm Bees Hand. Die Ärztin plapperte noch etwas davon, dass sie vor der Tür wäre wenn sie etwas bräuchte. Als sie endlich weg war spürte Hazel eine unliebsame Feuchtigkeit an ihrem Zeigefinger und nahm die Hand von ihrem Gesicht. Hektisch begann sie in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch zu suchen und wischte sich unter dem Unterlied die Tränen weg um ja nicht ihre Make-up zu verschmieren. Sie stopfte das benutzte Tuch in einen übervollen Mülleimer. Als sie sich umdrehte blickte sie in geöffnete Augen eines vierzehnjährigen Jungen, der sie aus einem blassen Gesicht heraus ansah. Seine Lippen waren blassrosa und er bewegte sie vorsichtig. Ihre Hand zitterte als sie näher ging und sich wieder setzte. Sie strich nervös ihr Kostüm glatt und er beobachtete sie dabei. Als sie wieder aufblickte kräuselte sich einer der Mundwinkel die nicht eingerissen waren zu einem spöttischen Lächeln. „Hör auf zu grinsen“, wies sie ihn brüsk an. Sie erhob sich und beugte sich über ihn bis ihr Gesicht und ihre Augen sich ganz nahe waren. Sie berührte seine Stirn mit ihrer und sie hörte wie er seufzte. Dieser Seufzer ging durch den ganzen schmalen Leib wie ein Beben. Sie drang so schnell in seine geöffneten mentalen Bereiche ein und holte sich die nötigen Informationen die sie brauchte. Sie hatte Recht behalten es waren Anfänger gewesen, die ihn angegriffen hatten. Sie strich mit der Rechten Hand über die noch geöffneten Augen und die Lider fielen wie müde Schmetterlingsflügel hinunter auf die unteren Lider und verdeckten die Sicht auf strahlend blaue Augen. Sie erhob sich wieder, gab dem Jungen einen Kuss auf die Stirn und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. Den mentalen Kontakt hatte sie behalten, aber sie hatte ihn in einen Schlaf befördert der die Heilung beschleunigte, ihn aber für einen telepathischen Kontakt empfänglich ließ. Runner hatten den Vorteil, dass sie Energie von anderen Runnern absorbieren konnten. So blieb Hazel bei ihm und hielt die Hand in ihrer. Sie schlief darüber selbst ein und wurde erst durch ein Geräusch aufgeweckt, das ein Pfleger machte als er eine der Schmerzspritzen für die Spritzenpumpen im Hintergrund an seinem Arbeitsplatz im Zimmer vorbereitete. ‚Hey, Hazel’, kontaktierte sie Bee und Hazel wandte sich vom Pfleger ab um den Jungen anzusehen. ‚Das heißt Ms Worthington“, wies sie ihn zurecht und setzte sich aufrechter im Stuhl hin beließ aber den Kontakt zu ihm den sie über die Hand und den steten Energiestrom hatte. Sie spürte bereits die Müdigkeit in ihren Knochen, aber ein wenig konnte sie ihm noch geben, bevor sie den Kontakt abbrechen musste. Sie waren keine Whisperer, aber manchmal während einer Energieübertragung gelang es ihnen zu kommunizieren. Es war ihnen lediglich möglich ihr mentales Energiegerüst, oder ihren Energiekörper so aufeinander abzustimmen, dass sie eine Art Symbiose herstellten und dachten sie wären ein einziger Körper. Dieser versuchte nun, die unterschiedlichen Energielevel in diesem Energiekörper auszugleichen um ein Gleichgewicht herzustellen. Ein fähiger Runner konnte so von einem noch mächtigeren PSI Energie zu anderen PSI transportieren wo sie benötigt wurde. Dabei war tatsächlich Geschwindigkeit wichtig, was ihrer Profession den Namen gab. Sie übertrugen auch versteckte Botschaften in diesen Übertragungen, was sie zu hervorragenden Botengängern machte. ‚Ich hab deine Lippen auf meiner Stirn gefühlt, Ms Hazel’, unterbrach er ihre kontemplative Auseinandersetzung mit ihrem früheren Job. ‚Ach hast du das, ja? Muss wohl ein feuchter Traum gewesen sein’, erwiderte sie abfällig, allerdings konnte sie keine Färbung in ihre Worte legen doch ihre sich leicht schmälernden Augen zeugten von Grimm. ‚Kannst du dich daran erinnern was mit Firn geschehen ist?’ Er sah sie an und sie konnte in den blauen Augen erkennen, dass sich der Junge schuldig an der Sache fühlte. ‚Nein. Sie haben uns getrennt. Und dann war er plötzlich weg. Es tut mir Leid.’ Er wandte den Blick ab und seine Mundwinkel hingen verdächtig nach unten. Tränen konnten sie beide jetzt nicht gebrauchen. ‚Sieh mich an, Bee’, sagte sie und sah ihn ernst an. Nur zögerlich suchte er den Augenkontakt. ‚Es ist nicht deine Schuld. Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass er den Flug erwischt hat. Eines der Tickets wurde benutzt. Wir versuchen Anchorage zu kontaktieren um in Erfahrung zu bringen ob er dort angekommen ist.’ Ob ihn das beruhigte wagte sie zu bezweifeln. Firn war nicht gerade selbstständig. Er sah sie lange an bevor er die Augen langsam schloss und sie dann wieder ebenso langsam wie in Zeitlupe öffnete. Er wandte den Kopf und blickte an die Decke. Sein Gesicht war so klein, so voller Schrammen und es war voller Trauer. Als dieses Gefühl bei ihr ankam kappte sie sofort die Verbindung was ihn zunächst sehr schnell atmen ließ, heftig und laut. Sie wusste, dass es nicht angenehm war die Verbindung zu kappen bevor der Energielevel ausgeglichen war. Aber ein Ausgleich hätte ihr zu viel Energie genommen, die sie heute dringend brauchte und beim Ausmaß seiner Verletzungen hätte sie viel geben müssen zu dem sie nicht bereit war. Er war nicht der Einzige für den sie da sein musste. Der Pfleger wurde aufmerksam und kam zum Bett. „Tuts wieder mehr weh, Benjamin?“ „Ja, da unten“, sagte Bee leise und deutete auf seine unteren Rippen. „Okay, ich hole dir etwas“, versprach der Pfleger und verließ den Raum. „Ich muss gehen.“ Sie erhob sich und nahm ihre Handtasche wieder auf. „Ich muss ein Treffen vereinbaren. Wir halten dich auf dem Laufenden. Ich werde sehen ob ich es morgen einrichten kann vorbeizukommen. Wir werden uns darum kümmern dich in eine unserer Einrichtungen zu verlegen, sobald der Transport natürlich gestattet ist.“ „Ja“, sagte die leise Stimme und sie drehte sich nach einem Nicken um. An der Tür, den Griff bereits in der Hand drehte sie sich erneut um. „Es wird Krieg geben. Sie haben uns eine Kriegserklärung geschickt. Halte dich bedeckt über Informationen die Firn betreffen. Auch möchte ich nicht, dass bekannt ist, dass er nach Anchorage unterwegs ist. Ich möchte erst sichergehen, dass er nicht dort angekommen ist bevor ich bekannt gebe, dass wir ihn verloren haben.“ Sie wollte gar nicht an diese Möglichkeit denken. „Falls wir uns nicht mehr wiedersehen möchte ich dir sagen, dass...“, sie unterbrach sich als die Tür von außen geöffnet wurde und der Pfleger wiederkam. „Sie gehen?“ Sie nickte und wich seinem Blick aus. „Ich muss mit seinem Vater sprechen, sie verstehen...“ Schnell verließ sie den Raum und floh regelrecht von der Station und dem Krankenhaus. Bleib ruhig, mahnte sie sich. Der wird schon wieder, außerdem gab es schließlich noch mehr Kinder und auch Erwachsene um die sie sich kümmern musste seit sie den Posten geerbt hatte. Mehr oder weniger von ihrem Vorgänger, den sie vor fünf Jahren bei einem Auslandsbesuch in den Staaten auf offener Straße ermordeten. Sie ging die Straße entlang und zum nächsten Taxistand. Sie hatte ihren Job als Runner aufgegeben um alles zusammenzuhalten als ihr Ziehvater ermordet worden war. Und das Schlimme an der ganzen Sache war die Tatsache, dass es ein sehr einsamer Weg war. Sie sah in den dunklen Himmel hinauf als ein fernes Grollen ihre Aufmerksamkeit weckte. Der Geruch nach Regen lag in der Luft. Sie kam gerade noch rechtzeitig am Taxistand an als die ersten Tropfen auf den Bürgersteig fielen und stieg rasch ein. Es war bereits Abend und sie musste zu fünf Adressen fahren. Vier davon waren relativ einfach zu bewerkstelligen, die fünfte war ausgesprochen unerfreulich und deshalb schob sie diese weit nach hinten. 4. Bee lag im Bett und fummelte an seiner Infusion herum die sich mit seinen Fingern verheddert hatte. Er konnte sich kaum bewegen nach dieser ganzen Scheiße, die sie mit ihm veranstaltet hatten, diese dreckigen Kanalratten von Wichsern. Beckenbruch, Oberschenkelbruch und dann erst diese Nummer mit den Rippen, das war das Übelste bei dem ganzen Scheiß. Er zupfte die Schlaufe über seine Finger und hatte nach geschlagenen fünf Minuten die Infusionsleitung wieder sortiert. So nun konnte er zum eigentlichen Ziel kommen – er wollte dem Pfleger klingeln der ihm gefälligst ein Telefon bringen sollte. Sie war schon seit einer Stunde weg und sie war in keiner guten Verfassung gegangen, das hatte er ihr angesehen und er hatte es ihr auch nicht leichter gemacht. Er mit seiner ewigen Schmachterei nach Liebe und Anerkennung hatte sie auch noch in die Enge getrieben. Er wusste doch wie wenig sie von der Gefühlsduselei hielt. Effizienz und Effektivität waren ihr Motto. Sie war schließlich gekommen und hatte ihn besucht und sie hatte ihm einen Kuss gegeben auch wenn’s nur die Stirn war und sie hatte sein Energielevel angehoben. Sie hatte ihm sogar beim Einschlafen geholfen und ihm so Kraft geschenkt. Viel für die neue Eiserne Lady in London. Er war stolz auf sie und er war stolz zu ihren Kindern zu gehören, die sie hütete und erzog. Sie machte ihren Job gut und sie hielt alle zusammen. Aber das was nun auf sie zurollte war mehr als sie alleine stemmen konnte und sie war alleine. Der Rat der fünf in dieser Stadt war nicht mehr das was er in früheren Zeiten gewesen war, es war eine Bande aus Drückebergern, Opportunisten, Schwindlern und Feiglingen. Es gab eine Ausnahme von dieser Regel. Nur war diese Ausnahme schwer einzuschätzen und Bee war sich nicht immer so sicher auf welcher Seite Ash Santiago stand. Manchmal hatte sich Bee schon gefragt ob der Typ es überhaupt selbst wusste. „Brauchst du was, Benjamin? Wieder die Schmerzen?“ „Nee, der Stoff von vorhin hat echt reingehauen, geht schon. Ich... muss meinen Vater anrufen, meine Mom... ihr ging’s nicht gut als sie ging und ich will wissen ob sie bei ihm angekommen ist.“ Ihm war zwar inzwischen kotzübel von den Schmerzmitteln die sie in ihn reinpumpten aber besser als die Atemnot die ihm seine Rippenschmerzen bescherten wenn er nicht richtig durchatmen konnte. „Also gut, Benjamin ich bring dir unser tragbares Telefon.“ Wenn er sich doch nur erinnern könnte was mit Firn passiert war. Er hatte Angst, dass er verletzt war oder dass sie ihn in die Finger bekommen hatten. Denn wenn das geschehen war... die Rosenkreuzer hatten doch keine Verwendung für einen wie Firn. Sie würden ihn sicher töten. Firn war sein Freund und es nagte an ihm, dass er nicht wusste was mit ihm war. So viele seiner Freunde waren verschwunden. Er atmete tief ein was ihm einen Stich in seine verletzte Seite bescherte und versuchte diese furchtbaren Gedanken zu verdrängen. Er wollte mit Ash sprechen, durfte ihm aber nichts von Firn erzählen, also sollte er sich gefälligst zusammenreißen. Sicher würde Hazel Ash alles erzählen sobald sie es für angebracht hielt. Bee betätigte die Fernbedienung die ihm das Kopfteil höher stellte und bis der Pfleger ihm das Telefon brachte hatte er es sich soweit bequem gemacht, dass er einigermaßen erhöht im Bett lag von Sitzen wollte er noch nicht sprechen. Er wartete noch bis der Pfleger den Raum verlassen hatte bevor er die Nummer wählte, die er eigentlich nicht – unter Prügelstrafe und Verwünschungen angedroht nie anrufen sollte. Also rief er jetzt Ash Santiago an oder auch den dreckigen Ash wie ihn viele weniger schmeichelhaft nannten. Manche sagten auch hässlicher Ash. Musste wohl an der Narbe liegen die ihm jemand von der Schläfe, über die Wange hinunter zum Hals gezogen hatte und die immer noch schimmerte wie eine Erzader im Sonnenschein. Was daran hässlich sein sollte war Bee immer noch schleierhaft, denn es war eine der Narben die er sich auch gewünscht hätte. Sah männlich aus und jeder konnte sehen, dass er diesen Angriff überlebt hatte. Außerdem flogen die meisten Frauen auf Ash, wobei Bee da nicht ganz sicher war wie viel von dieser Schwärmerei empathischem Einfluss geschuldet war. Trotzdem: Ash war sein Held und er wollte wie er sein. Noch immer war ein Freizeichen zu hören und er legte wieder auf. Nach zehn Minuten versuchte er es noch einmal. Dieses Mal wartete er länger und schließlich wurde auch abgenommen. „Wenn du diese Scheiße nochmal machst, Kleiner reiß ich dir den Arsch auf, hast du mich verstanden?“, krachte die wütende kratzige Stimme des Club Schrägstrich, Hotel Schrägstrich Partyservicebesitzer durch das Telefon sodass Bee es reflexartig vom Ohr weghielt und eine Grimasse zog. „Und von welcher Scheiße sprichst du, Santiago?“ Es gab da ja vielfältige Möglichkeiten im Augenblick. „Es klingeln zu lassen und dann aufzulegen nur um zu warten bis ich möglichst weit von diesem Scheißding weg bin um erneut anzurufen“, knarzte die Stimme durch die Leitung. „Ah. Ach so ich dachte schon du meinst meinen kleinen Unfall. Hätte mich auch gewundert wenn du dir wie auch immer geartete Sorgen um mich machen würdest.“ Bee schmunzelte als es still wurde und er sich das Gesicht des Mannes vorstellte, wie er die Augen zunächst genervt verdrehte und dann diesen besorgten Blick in den Augen bekam. Diesen Blick mit dem er ihre eiserne Lady bedachte wenn sie gerade nicht hinsah. „Ich hab von dem ‚Unfall’ gehört. Wer nicht, Kleiner? Hat sie deine Verlegung schon organisiert?“ Santiagos Stimme beruhigte ihn und Bee ließ seinen Kopf in den Nacken auf sein Kissen fallen und schloss für einen Moment die Augen. „Nein. Ich kann noch nicht transportiert werden. Sie ist ziemlich durch den Wind. Sie hat mir nen Kuss gegeben.“ Er lächelte breit als es wieder still wurde. „Du spinnst. Die geben dir zu viele Schmerzmittel, Kleiner“, sagte Santiago etwas lahm. „Nö, war echt so.“ „Liegt daran, dass sie dachte du nippelst ihr ab.“ „Und? Is ja beinahe schon an der Tagesordnung, was macht da einer mehr oder weniger schon aus?“ „Sie hängt an dir, Kleiner“, gab Santiago zu auch wenn es ihm schwer zu fallen schien, so zögernd wie es sich anhörte. „Ja klar, hab ich gemerkt“, brummte Bee und schnaubte. „Genauso wie sie an deiner Person hängt.“ „Oh ich bin eine ganz andere Nummer, mir würde sie am liebsten einen gut geknoteten Strick um den Hals legen und unter mir die Falltür öffnen. Vermutlich würde sie mir vorher auch noch einen Kuss auf die Stirn geben. So für alle Fälle, damit niemand sagt sie hätte mich nicht geschätzt – für alles was ich für sie getan habe.“ Bee lachte plötzlich auf. „So was Ähnliches hat sie vor sich hin gestammelt als sie hier raus is. Für meine Arbeit wollte sie mir danken nur für den Fall dass wir uns nicht mehr sehen würden...“ „Das hat sie gesagt?“ „Jepp. Glaubt wohl, dass sie es nochmal bei mir versuchen oder dass ich’s nicht überlebe. Dass sie mich schon abschreibt tut doch etwas weh.“ Es wurde wieder still. „Gibt’s sonst noch was?“ „Sie sagte, dass es Krieg geben würde, und dass eine Kriegserklärung ins Haus geflattert ist.“ „Das ist richtig. Jeder einzelne der ins Netzwerk geht hat diese Nachricht auf dem Bildschirm. Jeder einzelne. Es gibt sicher den einen oder anderen der sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen lässt. Ich gehe davon aus, dass der kleine Unfall mit dir ein Warnschuss vor den Bug war.“ „Sie haben mich mit Absicht am Leben gelassen? Irgendwie beschämend.“ „Sei dankbar, dass du lebst, Bee“, sagte Santiago ernst und Bee seufzte. „Klar, bin ich das, ich frage mich nur wie lange und was sie sich als nächstes einfallen lassen. Ich liege hier wie auf dem Präsentierteller. Jeder der reinkommt könnte ein potentieller Kreuzanhänger sein. Sie wissen wie ich aussehe und müssen nur verfolgt haben wo sie mich hingebracht haben. Zwei Telepathen im Hirn zu haben die dich von innen nach außen kehren und ihre perversen Spielchen mit dir treiben ist kein Zuckerschlecken. Ich dachte ich müsste kotzen als ich sie in meinem Kopf gespürt habe. Es fühlte sich an wie...“ „Ja.. ich weiß, Kleiner. Es fühlt sich wie eine Vergewaltigung an und du hast immer noch das Gefühl als wären sie bei dir. Dir fällt es schwer alleine im Raum zu bleiben und gleichzeitig kannst du niemanden bei dir ertragen weil du nicht weißt wer es ist oder was sie dir weismachen wer sie sind. Zum Glück haben sie keinen so guten Saboteur. Sie haben einige Ghostwhisperer, aber keinen Saboteur. Der letzte bekannte Saboteur hätte nicht einmal vor Ort sein müssen um dich springen zu lassen. Er hätte genauso gut in Russland sein können. Das waren Anfänger.“ „Das wage ich zu bezweifeln. Schließlich haben sie mich an den Rand gehen lassen und ließen mich springen.“ „Ja damit wollen sie uns sagen, dass sie mächtiger geworden sind und die Botschaft ist angekommen. Nur überleg doch mal, sie haben zwei Ghostwhisperer gebraucht um dich halbe Portion an den Rand dieses Gebäudes zu bringen. Mich wurde es nicht wundern wenn den Typen der Schädel noch wochenlang davon brummt.“ „Was heißt hier halbe Portion?“, begehrte Bee höchst beleidigt auf. „Du bist zwar im Auftrag Ihrer Majestät unterwegs gewesen trotzdem bist du ne halbe Portion. Deine Schilde sind lausig im Vergleich zu unseren.“ Ash verstummte einen Moment. „Sie haben keinen Saboteur, dafür sind sie nicht gut genug. Und derjenge der so etwas mit Spaß an der Arbeit verrichten würde, sozusagen mit einem Fingerschnippen gilt als tot. Selbst wenn er noch leben würde ordnet er sich meines Wissens nicht diesen Handlangern unter. Diese Kategorie steht zu weit oben in der Rangfolge um sich mit dir abzugeben. Momentan scheinen sich die größeren Tiere auf etwas in Asien zu konzentrieren, das ist allgemein bekannt, nur wenn die dort fertig sind kriegen wir ein wirklich großes Problem. Es gibt keine guten Saboteure mehr – meines Wissens.“ Er wiederholte das als müsste er sich selbst beruhigen – oder als wäre er sich nicht sicher und wollte ihn nur beruhigen. „Asien?“ Santiago brummte etwas zustimmendes, das bestenfalls als Ja zu werten war. „Dass sie nun eine Kriegserklärung rausschicken lässt mich tatsächlich etwas staunen.“ „Das heißt sie sind tatsächlich stärker als wir bisher gedacht haben.“ Bee spürte schon, dass das Gespräch offenbar bald beendet war. Etwas ging also in Asien vor – Anchorage wollte ihnen Daten darüber zeigen. Es war wichtig wenn die Farseer diese Anfrage gestellt hatte. „Mag sein. Ich kann dazu noch nichts sagen. Ruh dich aus...“, begann Santiago das Gesprächsende einzuläuten. „Ja, sicher, Mann und ich glaub ich mach jetzt Schluss muss mich ausruhen, gibt sonst Ärger mit dem Doc, und mit der willst selbst du dich nicht anlegen. Und wenn ‚Her Majesty’ aufkreuzt behandele sie zur Abwechslung mal anständig. „Ach? Und wenn nicht?“ „Das ist deine letzte Warnung, Mann. Sonst muss ich dir mal nen Besuch abstatten und wir gehen mal vor die Tür, kapiert?“ Santiago lachte sich schlapp am anderen Ende der Leitung. „Wirst schon sehen!“, brummte Bee wenig erwachsen und legte auf. Er wollte nicht, dass der andere zuerst auflegte das war ihm wichtig. Er wollte das Gespräch beenden, nicht Ash. Bee behielt das Telefon in der Hand und schloss die Augen. Vielleicht bekam er dann nicht mit wenn sich jemand Zutritt verschaffte und ihm endgültig das Licht ausknipste. Was war nur mit Firn? Seine Lippen zitterten als die Sorge um seinen Freund wieder überhand nahm und er die Tränen hinunterschluckte. Vielen Dank fürs Lesen! Gadreel ^-^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)