Federschwingen von RhapsodosGenesis ================================================================================ Ray beugte sich über das Buch. Mittwochs lernte er nach wie vor alleine, weil Kyrie ihre Termine hatte. Und da die nächsten Prüfungen bereits in der nächsten Woche am Start waren, konnte er sich keine Verzögerungen leisten – also musste er im Haus bleiben, anstatt wie üblich rechtzeitig zu fliehen. Wobei das auch sehr viel schwerer war als gedacht, nachdem Liz und Kim den ganzen Tag zuhause verbrachten. Und ihn immer sahen. Und dass Liz einfach hartnäckig immer wieder an seine Zimmertür klopfte, um ihn dazu zu bewegen, sich beim Essen zu ihnen zu gesellen. Doch er lehnte ab. Er war zwar ungemein erleichtert, dass Kim doch in keine Risikogruppe bei Schwangerschaften gerutscht war, doch das bedeutete nicht, dass er sich auch weiter für sie interessieren musste. … Es interessierte ihn viel mehr, dass es sowohl seiner eigenen Familie als auch Kyrie gut ging. Sie schien … weitaus befreiter zu sein. Seit einigen Wochen. Auch wenn da noch immer etwas an ihr war, das ihm verriet, dass sie sich nie ganz wohl fühlte. Und es musste irgendwie damit zusammenhängen, dass sie ein medizinisches Wunder war. … Natürlich glaubte er ihr, wenn sie ihm sagte, dass die Medizin, die sie nahm, scheinbar tolle Wirkungen auf sie hatte … aber … von so etwas hatte noch nie gehört. … Und sie wirkte nach solchen Aktionen immer so … verändert. In eine gute Richtung, aber trotzdem … was war mit den Problemen passiert, die sie gehabt hatte? Warum wollte sie ihm nicht einmal davon erzählen, wenn sie schon gelöst waren? Womit hing das nur alles zusammen? Er verstand es einfach nicht … Und doch hoffte er inständig, dass das nichts mit seiner Persönlichkeit zu tun hatte. … Aber das könnte sie ihm doch sagen – wenn er der Verursacher ihres Unmuts wäre. Wenn er etwas getan hätte, was ihr Vertrauen beeinträchtigte … Er würde etwas daran ändern wollen. Immerhin … wollte er, dass es ihr gut ging. Dass sie bei ihm blieb … Nichts weiter. Ein Klopfen ließ ihn kurz zusammenzucken. „Abendessen ist bereit“, erklärte Liz ihm durch die Tür hindurch, „Ich habe gekocht.“ „Nein, danke“, gab er unbewegt zurück. „Du isst zu wenig“, belehrte sie ihm, „Du kannst nicht denken, wenn du nicht isst.“ „Ich bin klug genug“, erwiderte er, wobei er zur Tür schaute. Natürlich sah er nichts außer der Tür, aber … es gab ihm Sicherheit, dass sie diesen Raum nicht einfach betreten konnte. „Du bewegst dich zu wenig“, meinte sie, „Davon wirst du irgendwann Probleme bekommen.“ „Studierst du jetzt Medizin?“, fragte er leicht gereizt, „Lass mich in Ruhe. Ich esse später.“ Sie lachte kurz auf. „Und du hast eindeutig zu wenig Sozialkontakt.“ „Ich bin zweimal die Woche zuhause“, verteidigte er sich barsch. „Das Essen wartet trotzdem“, fügte Liz hinzu – und dann hörte er, wie sie weg ging. … Wie hatte sie es nur geschafft, dass er ihr immer mehr und mehr Informationen zur Verfügung stellte? Immer, wenn sie kam, redete sie mit ihm. Solange, bis er es nicht mehr ignorieren konnte. Wieso war sie nur so hartnäckig? Ihr dürfte an ihm doch gar nichts liegen! Warum wollte sie nur so auf ihn zugehen? Er seufzte leise. Dann holte er sein Handy heraus. Er wollte Kyrie eine Nachricht schreiben. Er sehnte sich danach, etwas von ihr zu hören. Und zwar jetzt. Also tippte er darauf los. Er hatte ja nicht direkt eine Ahnung, was er schreiben wollte. Er wollte sich nur erkunden, ob es ihr auch nach wie vor gut ginge. Ob alles klar war – wie es ihr genau ging … Vermutlich machte er sich zu viele Sorgen. Er wusste ja, dass sie es ihm nicht sagen würde. Aber dadurch würde sie ihn nicht loswerden. Er würde an ihrer Seite bleiben. Bis zum Schluss. Die Pünktlichkeit, mit der die Todsünden den neuen Schwur wahrnahmen, überraschte ihn tatsächlich – seit sie ihn gesprochen hatten, hatten sie jeden Tag ihre Pflichten erfüllt. Jeder zur richtigen Zeit. Und allein diese Tatsache unterstrich den Ernst der Angelegenheit: Dass sich jeder daran hielt, war der Beweis, dass jeder Angst davor hatte, dass sich jemand nicht daran halten konnte. Und doch gab keiner der stärkeren Partei nach. „Diese Halbengelgeburten werden immer häufiger“, fuhr Invidia besorgt fort, „Was kann das bedeuten?“ Sie rieb sich die Schläfen. „Solche Jahre gibt es öfter“, beruhigte Superbia sie, „Sie kommen, sie gehen.“ „Das sagst du so – aber so häufig wie jetzt …?“ Sie hielt sich den Kopf weiterhin – und Ira wäre ihrer Geste am liebsten gefolgt. Die Blockade meldete sich wieder. In letzter Zeit immer häufiger. … Sie würde bald brechen. Er musste mit jemandem darüber reden. „Auch dieses Problem ließe sich in einer Engelsversammlung lösen“, meinte Acedia, „Wenn wir nämlich neue Todsünden hätten …“ Superbia unterbrach sie barsch: „… würde das rein gar nichts daran ändern.“ … Weil es keine neuen Todsünden geben konnte – nicht, solange die alten nicht tot waren. Und das durften sie nicht sein. Acedia erhob sich. „Dann sind wir für heute wohl fertig“, beschloss sie, „Es sei denn, jemand von euch kommt endlich zur Vernunft?“ „Oder ihr kommt von eurer Paranoia weg“, schlug Avaritia vor, „Die passt nämlich wirklich nicht zu euch.“ „Wir werden ja sehen, wohin eure Haltung uns führt“, gab Acedia zurück, „Und sagt dann nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.“ „Du fürchtest dich vor einer Luftgestalt“, stieß Invidia hervor, „Nichts weiter! Gula hat bestimmt eine Spur zu Luxuria gefunden – und die ist bestimmt irgendwo auf Urlaub.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ihr seid verrückt – es ist noch nicht einmal ein Jahr vergangen.“ … Und nur aufgrund des zu kurzen Zeitraums würden sie es nicht ernst nehmen. Würden sie gar nichts ernst nehmen. Immerhin konnten sie eintausend Jahre lang leben. Was war da ein halbes Jahr schon wert? Oder ein Jahr. Oder zwanzig Jahre? Und plötzlich krachte die Blockade wieder gegen ihn. … Er sollte es Acedia sagen. Wenn er es den anderen verriet, würden sie ihn nur für noch verrückter halten als ohnehin schon. Aber sie würde ihm glauben. „Stimmen wir ab“, fuhr Superbia dazwischen, „Engelsverhandlung aufgrund von Gulas und Luxurias kurzzeitigem Verschwinden?“ Acedia und Ira erhoben sich. „Erfüllen unserer Pflicht als Bewahrer der Ruhe und Ordnung, durch die wir die Engel nicht weiter aufwühlen, als sie ohnehin schon durch sämtliche Gerüchte sind?“ Ira setzte sich im selben Moment, als die anderen drei aufstanden. Acedia platzierte sich ebenfalls langsam, wobei sie weiterhin den Kopf schüttelte. „Wie könnt ihr nur so stur sein?“, murmelte sie leise. „Wir sind Engel“, stellte Superbia sachlich fest, „Wir vertrauen einander.“ Sein Blick richtete sich auf Ira. „Wir beschuldigen unsereins nicht des Mordes.“ Acedia schnaubte wortlos. … Und Ira fragte sich, wie wahr seine Worte waren. Dass sie alle Angst hatten, war doch verständlich. Doch auch Superbias Worte waren nachvollziehbar – wer sollte ihnen etwas getan haben? Und noch schlimmer: Warum? Doch Ira war sich so sicher, wie er sein konnte: Luxuria war nicht einfach so verschwunden. Sie musste einen triftigen Grund haben. Und den würden sie ohne Engelsversammlung nicht herausfinden können. „Das Ergebnis ist wohl wieder eindeutig“, stellte Invidia fest, „Dann können wir ja gehen.“ Und schon machte sie ihre Worte wahr – und der Rest folgte ihrem Beispiel. Doch ehe Acedia den Raum verlassen konnte, hielt er sie an der Hand fest. Er wollte nicht unbedingt, dass die anderen bemerkten, dass sie sofort wieder tuschelten – obwohl es eigentlich bedeutungslos wäre. „Warte kurz“, bat er sie leise, als sie alleine im Raum waren. Acedia wirkte überrascht. Sie beließ ihre Hand in seiner. „Ja?“ … Wie lange war es her, seit er diese Hand halten konnte, sobald er das wollte? „Ich muss mit dir sprechen“, flüsterte er ihr zu, „Es ist dringend.“ „Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich, „Aber ich habe gerade etwas vor.“ Sie schlug die Augen nieder und entwendete sich aus seinem Griff. „Treffen wir uns morgen nach der Konferenz?“, schlug sie vor. „Wir sollten ungestört reden können“, fügte er noch hinzu, „Oben am Dach der Todsünden vielleicht?“ Ihre Lippen verkrampften sich, als wollte sie noch etwas sagen – doch stattdessen nickte sie, wandte sie sich einfach um und flog davon. Er blieb alleine im Raum zurück. … Hoffentlich würde sie ihn nicht für einen Verrückten erklären. „Du brauchst keine Angst zu haben“, beruhigte er sie mit einem zuverlässigen Lächeln, „Du musst den Himmel nie wieder ohne mich betreten. Ich werde immer bei dir sein. Du brauchst mich nur zu rufen.“ Und damit materialisierten sie sich wieder auf der Erde. … Das würde Kyrie wieder Möglichkeiten geben – sie könnte wieder ihre Oma besuchen, diesmal aber zur richtigen Zeit … Sie könnte Nathan Kylie ablenken lassen, während sie selbst Maria besuchte … Sie könnte die Welt sehen. Und doch stand sie am Anfang. Unfrei, unselbstständig und völlig von Nathan abhängig … Nur durch seine Anwesenheit konnte sie die Angst in ihr soweit unterdrücken, dass sie sich traute, einen Fuß in den Himmel zu setzen. Sie seufzte. „Was ist los?“, fragte Nathan besorgt, „Ist wieder etwas passiert?“ „Noch immer das alte Übel“, beschwerte Kyrie sich, während sie ihre Arme verschränkte, „Dass du all deine Zeit für mich aufwendest …“ Sie überblickte die Nordstadt. Der Winter hatte sich bereits wieder verabschiedet, der Frühling stand in voller Blüte vor der Tür. Die Blumen blühten und der Himmel sonderte zum Licht auch wieder diese angenehme Wärme ab … Und solange Nathan da war, vermochte sie das Licht auch zu genießen. „Ist doch gar nicht wahr!“, beruhigte er sie grinsend, „So viel wie du für deine Prüfungen lernst, verbringen wir ja nicht einmal Zeit miteinander!“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich danke dir dafür … wirklich.“ Sie schaute ihm in die Augen. „Mach dir keine Sorgen“, beruhigte er sie, „Es ist sogar erleichternd, dass du mich durch die Rufe zwingst, aufzustehen.“ Er deutete auf sich. „Ich bin ja bekanntlich die Faulheit in Person!“ Sie lächelte. … Sie wusste, dass er keine Zeit hatte. Dass er bei der Sache mit Gula noch am Anfang stand, weil ihre Informationen ihm wirklich nichts genützt hatten – dass er sich den Mittwoch frei kämpfte … und dass er sich trotzdem Zeit für seine Freunde nahm. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, dass sie wirklich Angst vor ihm gehabt hatte … Das musste ihr Gewissen gewesen sein. Die Last, die sie nach unten gedrückt hatte, sodass alles um sie herum riesig und einschüchternd erschien … Sie wollte so etwas nicht mehr erleben … Sie wollte einfach ihr Dasein fristen, Spaß mit ihren Freunden haben … … Ihre Freunde … Deliora war wirklich nicht mehr gekommen. Sie hatte sie nicht mehr gesehen – genauso wenig wie die anderen. Sie war scheinbar andauernd bei der Arbeit … und keiner wollte sie stören … Wie schafften es die Engel, sie nicht zu vermissen? Es einfach so als gegeben hinzunehmen, dass sie nicht mehr kommen würde? … Es fiel ihr schwer. Aber sie musste sich wohl anpassen … Vielleicht würde sie ja auch bald zurückkommen … Das wäre doch dann eine äußerst positive Überraschung – wie auch die Einladung zum Spiel, die Thierry ihr zukommen hatte lassen. Sie hatte dann mit Nathan gesprochen, ob er sie zu dem Spiel begleiten wolle. Nächsten Donnerstag war es angesetzt, weshalb Thi bereits angemerkt hatte, dass er am nächsten Mittwoch keine Zeit haben würde, am Treffen teilzunehmen … Und es schien ihn auch nicht im Geringsten zu stören, dass Nathan sie wieder begleiten musste. … So sauber verlief das Löschen von Erinnerungen also … Es war eine rückstandslose Entfernung … Und auch wenn es sich auf sie positiv auswirkte – dass die Engel das wirklich aktiv benutzten, ließ sie erschaudern … Die Art, wie sie es einsetzten – wie sie die Macht benutzten, um alles zu ihrem Besten zu gestalten … dass ihnen nicht auffiel, wie grausam das war. Oder wie sie zumindest den Blick davor versperrten. … Genauso wie sie. „Ich bringe dich dann nach Hause!“, beschloss Nathan und marschierte auch schon los, „Das mit dem Rufen gelingt dir mittlerweile übrigens echt gut“, lobte er sie, „Gar keine negativen Schmerzwellen kommen mehr mit! Ich bin ein gesunder Mann!“ Er grinste breit. Sie lächelte. „Ich hatte ja Zeit zum Üben“, wiegelte sie ab. … Und ihr wäre es nach wie vor lieber, wenn es nicht nötig wäre. Aber … sie konnte nicht alles haben. Musste sich entscheiden … Wie sie sich dazu entschieden hatte, erleichtert darüber zu sein, dass Nathan sie wirklich nicht wegen eines Gesetzesbruchs geklagt hatte – er hatte es für sich behalten … und ließ sich nicht anmerken, ob oder dass es ihn belastete … Was ihr wiederum Sorgen bereitete. Auch wenn es nach wie vor einfach falsch war … Sie war ein Verbrecher. Sie sollte bestraft werden. … Wenn sie nicht nur so viel Angst vor der Strafe hätte … „Und das beste Versuchsobjekt!“, gab er noch hinzu. Sie lachte leise. … Leider war sie nicht so entspannt, wie sie sich gerne gegeben hätte. Es war jetzt seit weiterhin gut drei Wochen nichts vorgefallen, was auf Xenons Aktivitäten hingewiesen hätte – aber trotzdem fühlte sie sich nach wie vor unwohl, wenn sie an die Gefahr dachte, die sie ihre Freunde durch ihr Erscheinen im Himmel aussetzen konnte … und nicht zuletzt sich selbst. „Sind deine Eltern eigentlich heute zuhause?“, wollte er plötzlich wissen. „Ja“, meinte sie, „Eigentlich sollten sie da sein.“ „Gut!“, freute er sich, „Dann kann ich mir bestimmt ein Stück Kuchen holen!“ Sie lächelte. „Du darfst dich doch immer bedienen.“ … Vor allem, seit er sie „geheilt“ hatte, waren John und Magdalena noch versessener auf ihn. Dass er ihnen Glück brachte … und sie konnte nicht einmal etwas dagegen sagen – weil es ja tatsächlich so war. Jetzt. Wieder. Warum war es so kompliziert …? Aber sie wollte ihn nach wie vor nicht verpetzen. Weil er sich gebessert hatte … weil er wieder so war wie vorher … Hoffentlich würde er jetzt immer so bleiben. „Danke“, meinte er leichtfertig, „Damit habe ich sogar gerechnet!“ Sie schüttelte einfach lächelnd den Kopf. … Nathan war schon eine Sache für sich. Sie fuhr in die Tasche ihres frühlingshaften Mantels, der in einem leichten Blau schimmerte, und holte ihr Handy hervor. „Ich sage ihnen, dass sie etwas vorbereiten sollen“, erklärte sie sich bereit. Und am Display leuchtete eine Nachricht auf. … Als sie Rays nahmen las, setzte ihr Herz eine Sekunde aus. War er etwa bei ihr zuhause und hatte sie nicht angetroffen? … Nein … Er wusste ja, dass sie nicht da war. Er würde nicht kommen. Aber warum schrieb er dann? Sie war erst vor zehn Minuten geschickt worden. … Wenn sie ihr Handy nicht ständig noch von der Universität her auf Lautlos hätte, hätte sie es sogar mitbekommen … Sie öffnete die Meldung. „Hey, wie geht es bei dir mit Lernen voran? Deine letzte Prüfung wird nächste Woche sein, oder? … Was machen wir dann eigentlich in den Sommerferien, wenn wir nichts mehr zum Lernen haben?“ Sie las die Nachricht noch einmal. Sie spürte, wie ihr Herz einen Salto schlug – und dann noch einen. Er machte sich jetzt schon Gedanken um die Sommerferien! Sie hatten nicht darüber geredet – aber … es freute sie ungemein! Und plötzlich klang die Freude wieder ab. Flaute ab von einer Sekunde zur nächsten, nur weil sich vor ihrem inneren Auge der Himmel abgebildet hatte. Und dieser strafte all ihre Freude Lügen. Sie würde diese Prüfungen hinter sich haben. Doch … diese Sommerferien hatten nicht den erlösenden Charakter, den sie sonst hatten. Sie waren genauso einengend wie die Zeit hier. … Sie … würden sie nicht befreien … So viel Zeit mit Ray, ohne komplett bei ihm zu sein – wie sie seine Nähe genießen konnte, ohne wirklich ihm zu gehören … „Du ziehst eine Grimasse, als hätte deine Mutter dir erst geschrieben, dass eure Katze sechs Junge bekommen hat und sie super süß waren … und dann alle sieben überfahren worden wären“, kommentierte Nathan, „Von einem Truck. Wenn ihr eine Katze hättet, würde das bestimmt da stehen.“ „Haha“, macht Kyrie keineswegs belustigt. Sie drückte die Nachricht weg, als sie bemerkte, dass Nathan zu spicken versuchte. „Der Kuchen ist alle“, erzählte sie ihm ernst. Nathan schaute sie entgeistert an. „Was? Das kann nicht sein!“ „Also lass mich kurz anrufen“, forderte sie und blieb stehen. Sie versuchte, das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken. … Sie konnten es wie in den Winterferien machen … Sich einfach irgendwo treffen … Zeit miteinander verbringen … und dabei immer klarer vor Augen zu sehen, wie falsch das war, was sie abzog … Sie wählte die Nummer – und nach dem zweiten Klingeln hob ihr Vater ab: „Kingston?!“ „Ich bin es“, begrüßte sie ihn, „Kyrie … Nathan würde vorbei kommen. Passt das?“ „Ray darf doch immer kommen … Moment.“ John hielt kurz inne. „Nathan?“ „Der Engel in Person, du weißt doch …“, beschrieb sie ihn in lockerem Ton. Sie setzte sich wieder in Bewegung. „Natürlich! Nathan braucht doch nicht zu fragen!“, meinte er, „Dann bis gleich? Ist alles in Ordnung?“ „Natürlich“, antwortete sie sofort, „Bis dann.“ Und sie legte auf, woraufhin sie ihr Handy wieder wegsteckte. „Ich mag es, als Engel beschrieben zu werden“, sinnierte Nathan grinsend. „Du bist ein Engel“, entgegnete sie mit gedämpfter Stimme. „Und ich bin echt gut darin!“, lobte er sich selbst. Kyrie schüttelte kurz den Kopf. … Am liebsten hätte sie Ray sofort irgendwie geantwortet … Aber das würde sie erst tun, wenn sie wieder alleine war … Wenn … wenn sie sich besser konzentrieren konnte. … Die Sommerferien … wie sie näher rückten. Dann war der erste Teil ihres Studiums schon um. … Wie schnell die Zeit verstrich … „Vermisst du das Studium eigentlich?“, wollte Kyrie wissen, „Und die Erde allgemein …“ Er lachte kurz auf. „Ich bin sooft hier – ich käme nicht einmal dazu, sie zu vermissen.“ Er grinste. „Aber ja, das Studium war zwar hier oben …“ Er deutete auf seinen Kopf. „… anstrengender, aber insgesamt weitaus angenehmer als das Assistent-Sein!“ „Ich glaube, die anderen sind jetzt über dich hinweg“, fügte Kyrie hinzu, weil es ihr gerade in den Sinn kam – die Nathan-Gruppe hatte sich in letzter Zeit ziemlich aufgelöst. … Aber sie hörte auch nicht mehr so auf das Getratsche nach den Vorlesungen. … Er grinste. „Eigentlich dauert das länger. Da habe ich wohl zu wenig Eindruck hinterlassen!“ Er hob seine Sonnenbrille nach oben. „Soll ich ihnen einen Besuch abstatten?“ Kyrie schüttelte erneut den Kopf. „Das wäre doch bloß ein Unweg.“ „Du hast Recht – Kuchen vor Spaß!“ Und die letzten Meter zu ihrem Haus rannte er, ohne auf sie zu warten. Am liebsten wäre sie ihm hinterher gerannt. Warum konnte er nicht einfach warten? Sie umklammerte ihr Handy, als könnte ihr das nützen, falls Xenon kommen würde und Nathan nicht da war … Nein, sie durfte nicht schon wieder damit anfangen … Damit, an ihm zu zweifeln. Zu glauben, dass er nicht hier wäre, wenn sie ihn brauchte … Freunde waren füreinander da, hatte er gesagt. Und sie sollte ihn beim Wort nehmen. Sie sollte ihm nicht nachlaufen. Und doch sah sie, wie er immer weiter weg lief. Er war nicht weit, aber … weit genug … Damit ließ sie ihr Handy los. Und rannte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)