Der Rächer von Nifen ================================================================================ Kapitel 4: IV. -------------- Tagesprophet, 19. Dezember 2009 „Rächer fordert sein erstes Todesopfer Die Verbrechensserie durch den Zauberer, der als der Rächer bezeichnet wird, hat einen neuerlichen Höhepunkt gefunden. Bartholomew Cummings wurde gestern am späten Abend von ein paar Zauberern, die nach einem letzten Butterbier im Tropfenden Kessel auf dem Heimweg durch Muggel-London waren, tot in einer Hofeinfahrt zwischen Mülltonnen gefunden. Anhand der Zauberroben sofort als einer der ihren identifiziert, benachrichtigten die Nachtschwärmer umgehend die Auroren, die Mr. Cummings anhand seines Zauberstabes identifizierten. Was jedoch die Todesursache betraf, standen die Auroren zunächst vor einem Rätsel. Erst die hinzugerufenen Medimagier des St. Mungos, die aufgrund rechtlicher Gegebenheiten den Tod hatten bestätigen müssen, konnten hier Licht ins Dunkel bringen. Es war ein alter Fluch, der seit Jahrhunderten aus der Mode gekommen war, weil er einfach zu viel Magie des Ausführenden aufzehrt und diesen vollkommen erschöpft zurücklässt. Magisch ließ sich dieser Fluch nicht nachweisen, doch die Körperhaltung und die zuletzt tödlichen Verletzungen des Opfers zeigten deutlich, welcher Zauber hier angewendet worden. Und das Fehlen jeglicher magischer Signatur lässt wiederum keinen anderen Schluss zu, als dass es sich bei dem geheimnisvollen Täter um den Rächer gehandelt hat. Zudem bestätigen einige Ladenbesitzer in der Winkelgasse, die wegen des bevorstehenden Weihnachtskundenansturms an diesem Abend länger gearbeitet hatten, dass sie eine schwarze Wolke, wie sie ebenfalls stets mit dem Rächer in Verbindung gebracht wird, durch die Einkaufsstraße haben huschen sehen. Eine dramatische Entwicklung und doch will das Mitleid für Bartholomew Cummings nur zögerlich in einem aufsteigen, nachdem Cummings am Vortag erst von seiner Verlobten, Gardenia Bates, wegen körperlicher Gewalt angezeigt worden war. Wie die junge Hexe dem zuständigen Auror zu Protokoll gegeben hatte, war Cummings unter Alkoholeinfluss schon immer etwas gewalttätig gewesen, doch eine Trennung war für sie nicht in Betracht gekommen, nachdem sie vor wenigen Monaten entdeckt hatte, dass sie schwanger war. Doch zuletzt waren seine Schläge so heftig geworden, dass sie am Donnerstag mit heftigen Unterleibsschmerzen in das Zauberkrankenhaus gefloht hatte, wo sie kurz darauf ihr ungeborenes Kind verlor. ‚Bartho hat mein Kind getötet!’, sagte sie dem Auroren mit unverhohlener Trauer und Wut in der Stimme. Unter diesen Gesichtspunkten könnte man glatt glauben, der Rächer halte es mit der alten Muggelweisheit: Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ 300 Artefakte überprüften sich nicht mal eben von selbst und auch nicht über Nacht, und auch wenn die Zeit drängte, konnte Blaise nicht umhin, sich einzugestehen, dass er jede Minute, die er mit Bill Weasley zusammenarbeiten durfte, weidlich genoss und zu seinen privaten Gunsten zu nutzen versuchte. Dabei war er durchaus erfolgreich. Er hatte mit seiner ersten Einschätzung Recht gehabt, Bill schien seinen Flirtversuchen nicht abgeneigt zu sein, und nach etwas mehr als einer Woche hatte er den ältesten Weasley dieser Generation soweit, dass dieser einem gemeinsamen Abendessen in einem netten, kleinen Restaurant am Freitag Abend zustimmte. Umso enttäuschter war Blaise, als er wie ein hässliches Entlein über zwei Stunden alleine im dem Restaurant saß und Bill sich mit keiner Faser blicken ließ. Es wartete noch nicht einmal eine Eule mit einer entschuldigenden Absage auf ihn, als er nach einem köstlichen, wenngleich einsamen Mahl – denn im Gegensatz zu den handelsüblichen hässlichen Entlein, verfügte Blaise über ein gesundes Selbstbewusstsein, war sich seiner Attraktivität sehr wohl bewusst und nicht gewillt, den Abend über zu hungern, wenn ein gutausgebildeter Koch nur darauf wartete, ihm etwas tolles zu kochen – nach Hause kam. Entsprechend sauer apparierte er am folgenden Morgen in aller Herrgottsfrühe zum Shell-Cottage – denn natürlich hatte er sich als Slytherin im Vorfeld informiert, wo Bill wohnte – um diesen zur Rede zu stellen. Niemand ließ einen Blaise Zabini bei einem Date sitzen und entschuldigte sich nicht einmal dafür. Es war ein reichlich übernächtigter Bill, der Blaise die Tür öffnete. Zerzaustes Haar, zerknittertes Gesicht, kleine Augen, die eindeutig sagten, dass egal was vorgefallen war, Bill in der Nacht zu vor eindeutig zu wenig guten Schlaf bekommen hatte. „Blaise?“, war das erste, was Bill müde und überrascht heraus brachte. „Ja, Blaise“, bestätigte dieser, noch immer nicht wirklich freundlich gesonnen. „Der Mann, mit dem du gestern Abend zum Essen verabredet warst und dem du noch nicht mal eine Eule geschickt hast, um ihm zu sagen, dass du es nicht schaffst.“ Blaise war sauer. Wenn Bill mit jemand anderem sich die Nacht um die Ohren geschlagen hatte, hätte er zumindest den Anstand haben können, ihm abzusagen. „Ich... kann mich an gestern Abend überhaupt nicht erinnern. Ich weiß noch...“ Bill fuhr sich über das Gesicht und versuchte verzweifelt in seinem umnebelten Hirn Fetzen des vergangenen Abends zu finden. Dann erinnerte er sich zumindest an seine Manieren und sagte: „Komm erst mal rein.“ Er führte Blaise in die Küche, wo er einen Kessel für Teewasser aufsetzte. „Ich weiß noch, dass ich lang gearbeitet habe, weil die Zeit zwischen Feierabend und dem Essen mit dir mir zu knapp erschien, um erst noch nach Hause zu flohen. Aber danach... Ich hab die Bank verlassen...? Klar, hab ich die Bank verlassen, sonst wäre ich ja jetzt nicht hier. Aber danach... nichts. Wie weggeblasen. Das nächste, was dann in meinem Gehirn auftaucht, bist du, wie du jetzt vor meiner Tür standst.“ Während Bill vor sich hin murmelte und den vergangenen Abend zu rekonstruieren versuchte, war Blaises Blick auf den Tagespropheten gefallen, der über das Abonnement geliefert worden war und jetzt auf dem Küchentisch lag. Ein Verdacht kroch in ihm empor, den er leider so schnell nicht von der Hand weisen konnte. Was, wenn das Artefakt, von dem sie ausgingen, dass es die Aura heraufbeschwor, eigenständig arbeitete? Wenn der Rächer das Werkzeug des Artefakts war und nicht das Artefakt das Werkzeug des Rächers? „Weißt du noch, woran du gestern Abend zuletzt gearbeitet hast?“, wollte er wissen, von der Rolle des potenziellen Liebhabers, der versetzt worden war, in die Rolle des inoffiziellen Ermittlers des Ministeriums schlüpfend. „Ein Kartuschenpuzzle, das in richtiger Anordnung eine altägyptische Schmuckschatulle öffnet“, entgegnete Bill beinahe augenblicklich. Blaise musste an sich halten, um nicht laut loszufluchen. Ägyptisch war nicht die Antwort gewesen, auf die er gehofft hatte. Trotzdem sagte ihm sein Gespür, dass er nicht zu weit von der Wahrheit entfernt sein konnte. „Arbeitest du nur an ägyptischen Artefakten?“, bohrte er weiter. „Es ist mein Spezialgebiet. Schließlich war ich mehrere Jahre vor Ort bei den Ausgrabungen“, erwiderte Bill ein wenig verwirrt. „Hm...“, brütete Blaise nachdenklich. War dieses Artefakt vielleicht sogar so mächtig, dass es von seinem Werkzeug nicht einmal berührt werden musste, sondern die bloße Nähe ausreichte? Verschiedene, winzige Details, Puzzleteilen gleich, blitzten bei diesen Gedanken in seinem Kopf auf. Details, die regelrecht zu schreien schienen, dass sie keine Zufälle sein konnten. „Hast du Zettel und Stift für mich?“, fragte Blaise Bill, der ihm verwirrt beides reichte. Augenblicklich vertiefte sich Blaise in seine Arbeit, sah dann aber noch einmal kurz von der Liste, die er notierte, auf. „Du solltest dir vielleicht was anziehen. Wir beide werden gleich zur Bank flohen.“ „Wieso? Nein! Das geht nicht. Ich muss heute Victoire, Dominique und Louis abholen. Heute macht Mum Christmas Pudding und die Kleinen sind da jedes Jahr dabei. Es hat mich mehr als nur Überzeugungsarbeit gekostet, dafür zu sorgen, dass ich heute die drei aus Frankreich nach England mitnehmen kann. Wenn ich heute nicht bei Fleur und ihren Eltern auftauche, wird meine liebe Ex-Frau das sofort als Grund anführen, warum ich nicht gleichberechtigt das Sorgerecht für meine Kinder haben darf!“ Bill war bei dieser Aussicht beinahe außer sich. Er durfte einfach seine Kinder nicht verlieren. Blaise seufzte. Er konnte Bill verstehen, und er kam auch nicht umhin, eine gewisse Sehnsucht zu verspüren. Wie oft hatte er sich als Kind gewünscht, dass einer der Ehemänner seiner Mutter so um ihn gekämpft hätte, wie Bill es um seine Kinder tat. Wie ein richtiger Vater eben. Eine richtige Familie... „Wie wäre es mit einem Deal... Du holst deine Kinder ab, bringst sie in den Fuchsbau und hilfst, bis der Pudding am Dämpfen ist und kommst dann zur Bank? Ich werde derweil bei George vorbeisehen und mir die letzten Aufzeichnungen anschauen. Aber wir müssen noch heute in deiner Abteilung ein paar Dinge überprüfen!“ „Du meinst, die Rächergeschichte hängt irgendwie mit der Bank zusammen?“, schien Bill endlich die unausgesprochene Aussage hinter Blaises Worten zu verstehen. Dieser nickte stumm und vertiefte sich dann wieder in seine Liste. Ihm war nämlich aufgefallen, dass sich erstaunlich viele Übergriffe des Rächers indirekt mit Gringotts in Verbindung bringen ließen. Der Vermieterin standen die Mieter gegenüber, die meist Gringotts-Angestellt waren. Dem Apotheker stand als Mutter des geschädigten Jungen ebenfalls eine Gringotts-Mitarbeiterin gegenüber. Bei dem Heiratsschwindler fehlte zwar noch die Verbindung, aber Blaise würde es nicht wundern, wenn eines von Wickfords Opfern bei Gringotts arbeitete. Auch diverse andere Opfer hatten Verbindungen zu Mitarbeitern der Bank. Einschließlich des jüngsten Opfers Cummings, der mit jener Kollegin Bills – Gardenia – verlobt gewesen war. Zu viele Zufälle. Natürlich stand bei Bartholomew Cummings noch nicht eindeutig fest, dass hierfür der Rächer verantwortlich war, auch wenn einiges dafür sprach. Doch Blaise wusste, dass Augenzeugen leicht zu beeinflussen waren, daher wollte er sich lieber von George die Bestätigung holen, dass der Rächer tatsächlich am Vorabend in der Winkelgasse gesehen worden war. Tatsächlich schien George bereits mit seinem Besuch gerechnet zu haben, jedenfalls führte er Blaise ohne große Umschweife in die Werkstatt und ließ die Aufzeichnungen der letzten Nacht abspielen. Und tatsächlich konnte man in der Kristallkugel die schwarze Schutzaura deutlich erkennen. Die ganze Angelegenheit verdichtete sich immer weiter, und sie gefiel Blaise von Sekunde zu Sekunde weniger gut. Doch so sehr er sich auch wünschte, die ganze Angelegenheit so schnell wie möglich aufklären zu können, musste er sich noch fast drei Stunden gedulden, ehe Bill erschien. „Sorry, ich hoffe, du musstest nicht allzu lange warten. Aber wenn meine Kinder Christmas Pudding machen, dauert es etwas... Schließlich hat jedes seine Eigenheiten, die darauf hinauslaufen, dass jedes einen eigenen, kleinen Christmas Pudding bekommt. Victoire mag keine Rosinen, Dominique keine kandierten Früchte und bei Louis muss man aufpassen, dass er Rosinen und Früchte nicht vorher aus dem Teig wieder herausfischt und so isst und er hinterher nur die Teigmasse ohne Früchte hat“, entschuldigte sich Bill. Doch das vorweihnachtliche Zusammensein mit seinen Kindern schien ihm gut getan zu haben, er wirkte nicht mehr ganz so abgespannt wie noch am Morgen. Weshalb Blaise auch nicht sagte, wie lange er schon vor der Bank wartete. Schweigend gingen sie durch die verhältnismäßig leeren Korridore der Bank, arbeiteten Samstags doch nur die Kobolde, da sie direkt für die Geldgeschäfte zuständig waren. Die Artefakt-Abteilung war beinahe ausgestorben. „Also gut, wo genau hast du gestern an dem Kartuschen-Puzzle gearbeitet?“, fragte Blaise, als sie in dem großen Arbeitsraum angelangt waren. „Dort drüben“, erwiderte Bill und wies auf einen der Tische, wo tatsächlich noch, unter einem magischen Schutztuch das Puzzle zu erkennen war. Blaise nickte und begann die nächstgelegenen Kisten in Augenschein zu nehmen. „Was ist da drin?“ Bill wies auf die Kiste, welche dem Tisch am nächsten Stand. „Das ist die Kiste aus Ägypten, zu der das Puzzle gehört. Die daneben stammt ebenfalls aus dem gleichen Grab. Die hinter dir allerdings stammt aus einer Haushaltsauflösung aus Südostfrankreich.“ „Südfrankreich?“ Blaises Interesse war augenblicklich geweckt. „Bist du qualifiziert, diese Gegenstände einer ersten Untersuchung zu unterziehen?“ „Natürlich, wäre ich sonst in dieser Abteilung in einer Führungsposition?“ Bill zog ein wenig indigniert die Augenbrauen hoch. „Dann fangen wir an!“ Blaise ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Bill räumte einen angrenzenden Tisch frei und breitete die Gegenstände aus. „Keltisch, keltisch, keltisch, römisch, keltisch, griechisch, griechisch, römisch, keltisch... Hm... das sieht mir etwas zu alt aus, um römisch zu sein...“ Ein Dolch mit gravierter Steinklinge lag vor Bill auf dem Tisch, der die übrigen Gegenstände erst einmal nach Kulturen, soweit er sie erkennen konnte, aufgeteilt hatte. Er ähnelte in der Art den römischen Gegenständen, doch unterschied er sich auch ein wenig. Doch auf den Listen, die Bill zu der Kiste herausgesucht hatte, war dieser Gegenstand nicht zu finden. Das schien nicht weiter ungewöhnlich zu sein, setzten sich doch manche Artefakte aus mehreren Gegenständen zusammen und diese waren dann nicht immer einzeln aufgelistet. Aber dennoch war Vorsicht geboten. „Kannst du einen Eindämmungszauber ausführen?“, wandte sich Bill an Blaise. Dieser nickte und zückte ohne weitere Bitte seinen Zauberstab. Es war nur logisch, dass Bill sich über einen zweiten Zauberer absichern wollte. Der Fluchbrecher begann mit einer komplizierten Analysesequenz, an dessen Ende eine Zahl über dem Tisch schwebte – das Alter des Gegenstandes: 2657 Jahre. „Was sagt uns das?“, fragte Blaise, der von Geschichte nur einen groben Überblick hatte. „Es sagt uns, dass Rom als Stadtstaat zwar schon existierte, aber sich noch nicht wirklich über die Stadtgrenzen hinaus ausgebreitet hatte. Es ist ein altitalisches Artefakt. Sehr selten. Ich tippe auf etruskisch“, erklärte Bill. „Habt ihr für etruskische Artefakte einen Spezialisten? Jemanden, der uns sagen könnte, ob dieser Dolch hier einen dämonischen Zauber birgt?“, hakte Blaise nach. „Du meinst.... Dieser Dolch... Aber es hat doch bislang niemand diese Kiste in Arbeit gehabt.“ Blaise seufzte. „Wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, ist das Artefakt mächtiger, als uns bewusst ist. Und du sagtest selbst, dass vorrömische Artefakte selten sind...“ Dem konnte Bill nicht widersprechen. „Ich werde den Koboldkamin zum Museum nutzen müssen, denn für etruskische Artefakte haben wir in London derzeit keinen Spezialisten. Aber das British Museum hat einen, der häufiger mit der Bank zusammenarbeitet. Den Kobolden wird das aber nicht gefallen. Weniger, weil wir die Hilfe des Museums beanspruchen müssen, als vielmehr, weil die französische Dependenz ein so wichtiges Artefakt nicht auf den Inventarlisten aufgeführt hat.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)