Der Rächer von Nifen ================================================================================ Kapitel 1: I. ------------- Tagesprophet, 27. Oktober 2009 „Augustus Bellamont, aussichtsreicher Kandidat für das Amt des Zaubereiministers bei der nächsten Wahl, hat gestern überraschend seinen Rückzug von der politischen Bühne angekündigt. Wie die spontanen Nachforschungen dieser stets nach der Wahrheit suchenden Zeitung zu Tage förderten, war diese Entscheidung keineswegs so freiwillig, wie Bellamont die Öffentlichkeit glauben lassen will. Unseren Quellen zufolge, die natürlich ungenannt bleiben, steht Bellamont vor dem Bankrott und kann sich nicht länger eine kostspielige Wahlkampagne leisten. Gerüchteweise droht sogar die Zwangsversteigerung des Bellamont-Anwesens in Hampshire. Falls Sie also auf der Suche nach einem neuen Zuhause mit Stil sind...“ „Was soll das heißen: Die Verliese sind bis auf Weiteres eingefroren?“ Die schrille Stimme der elegant gekleideten Hexe passte so überhaupt nicht in die altehrwürdigen Hallen des Gringotts-Bankhauses in der Winkelgasse, London, England. Entsprechend indigniert waren die Blicke, mit denen die anwesenden Kobolde, welche die Bank leiteten, die aufgebrachte Kundin bedachten. Es gehörte sich einfach nicht, wegen Finanzen eine Szene zu machen. Entweder man hatte genug Geld oder nicht, und beide Situationen galt es einfach zu akzeptieren, wenn man mit den Kobolden Geschäfte machen wollte. Und Bankgeschäfte waren, wie der Name schon besagte, Geschäfte. „Mrs. Bellamont“, zischte der sie betreuende Kobold entsprechend ungehalten. „Aufgrund diverser Außenstände, die den Geldwert Ihrer Einlagen deutlich übersteigen, blieb uns keine andere Wahl...“ Die Dame – Cecilia Bellamont, Gattin von Augustus Bellamont – unterbrach den Bankkobold aufgebracht. „Ich verlange auf der Stelle Silverdig zu sprechen. Als unser jahrelanger Kundenbetreuer wird er Ihnen sicher erklären, dass es sich hierbei um einen Irrtum handelt!“ „Bedaure, Mrs. Bellamont“, erwiderte der Kobold unnachgiebig, „aber Oberkobold Silverdig ist derzeit in einem Kundengespräch und wünscht nicht gestört zu werden. Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt...“ Jeder Bankangestellte, egal ob Mensch oder Kobold, hörte deutlich die Botschaft heraus, die hinter dieser Aussage stand. Allein schon die Tatsache, dass eine so prominente Kundin wie Mrs. Bellamont von einem Jung-Kobold, der gerade erst die Finanzschule abgeschlossen hatte, statt von einem der Oberkobolde wie sonst üblich, bedient wurde, sprach Bände. In Kombination mit dem Hinweis, dass die Konten eingefroren waren – etwas, das bei Gringotts wörtlich zu verstehen war und sich in einer zentimeterdicken, magischen Eisschicht um das entsprechende Verlies manifestierte, die zu schmelzen der unterirdisch hausende Wachdrache der Bank mit seinem Feuer wenigstens eine halbe Stunde benötigte – würde sich auch so schnell kein Oberkobold mit einem freien Termin finden. Sollte sich aber die Situation widererwartend zu Gunsten der Bellamonts aufklären, würde Silverdig mit Freuden jederzeit in seinem vollen Terminkalender Zeit finden, diese Kunden persönlich zu begrüßen. Nicht, dass jemand in der Bank ernsthaft an eine solche Schicksalswende glaubte, schließlich waren die Ereignisse rund um das Bellamont-Vermögen erster Tagespunkt der allmorgendlichen Vorstandssitzung gewesen und entsprechend Gesprächsthema Nummer Eins unter den Angestellten. Offenbar hatte vor zwei Tagen das Gorsemoore-Waisenhaus einen anonymen Scheck über 100.000 Galleonen in der Post gefunden – ausgestellt auf das Waisenhaus – und prompt eingelöst. Das magische Siegel auf dem Schriftstück hatte allen Überprüfungen standgehalten und der Scheck daher als rechtskräftig anerkannt worden, weshalb der Betrag unverzüglich von einem Verlies in das andere transferiert worden war. Als der zuständige Sachbearbeiter diese ungewöhnliche Kontobewegung seines Kunden bemerkte, benachrichtigte er den edlen Spender: Mr. Augustus Bellamont. Gewiss, es war nicht ungewöhnlich, dass Politiker gemeinnützigen Einrichtungen Geld spendeten, aber nie in solchem Umfang und nie anonym. Nicht, wenn sich aus einer solchen Tat politisches Kapital schlagen ließ. Und nicht in einem solchen, verliesleerenden Umfang, wenn der nächste Monat mit seinen wiederkehrenden Verpflichtungen praktisch vor der Tür stand. Als Mr. Bellamont schließlich in Silverdigs Büro geführt worden war, hatte dem Oberkobold nur ein Blick in das unrasierte Gesicht des Mannes genügt, um zu wissen, dass dieser am Ende war. Mit dem Scheck, der sein magisches Siegel trug, konfrontiert, war Augustus Bellamont noch mehr in sich zusammengesunken, hatte aber die Echtheit des Dokuments nicht abgestritten. Immerhin hatte er noch genug Würde, seine Dankbarkeit hinsichtlich des diskreten Vorgehens der Bank auszudrücken und auf seinem Gesicht hatte sich auch eine gewisse Erleichterung widergespiegelt, als er erfuhr, wer den Scheck eingelöst hatte. Denn wie sich im Verlauf des Gesprächs herausgestellt hatte, hatte Bellamont den Scheck als Schuldschein beim Kartenspiel ausgestellt. Und auch in der Zaubergesellschaft galten Spielschulden als Ehrenschulden, die man auf jeden Fall zu begleichen hatte. Ob dieser Offenbarung hatte Silverdig etwas irritiert mit der Stirn gerunzelt. Es war der Bank nicht unbekannt, dass eine der Einkommensquellen von Mr. Bellamont das Glücksspiel war und es wurde sogar gemunkelt, dass er nicht immer ehrlich spielte, aber das betraf die Kobolde nicht und so hatten sie bislang kommentarlos sein Geld verwaltet. Dass aber nun ein so... talentierter... Spieler wie Mr. Bellamont auf seinem eigenen Territorium geschlagen wurde... Doch Silverdig war Kobold und als solcher interessierten ihn die Schicksalsschläge seiner Kunden nur so weit, wie ihre Konten davon betroffen waren. Und in Mr. Bellamonts Fall bedeutete das, dass die bald fällige Rate der Hypothek, mit der sein Anwesen belastet war, die Gehälter seiner Stabsangestellten, Rechnungen diverser Geschäfte, die Bellamont Kredit gewährten, und so weiter nicht würden beglichen werden können. Die vorsichtige Schätzung der zu erwartenden Verpflichtungen überstieg deutlich den aktuellen Gegenwert an Münzen und Wertgegenständen sowie den zu erwartenden Einnahmen in den Bellamont-Verliesen, und Silverdig setzte den Fall auf die Tagesordnung der Vorstandssitzung, wo konsequenterweise die Einfrierung der Konten angeordnet wurde. Schließlich hatte die Bank hinsichtlich der Hypothek ihre Interessen zu wahren. Bill Weasley, Fluchbrecher 1. Ranges und zuständig für die Klassifizierung und sachgerechte Protektionierung von altertümlichen Artefakten bei der Gringotts-Bank, war auf dem Weg zur Teeküche gewesen, als der Tumult in der Kundenhalle ihn nachsehen ließ, was los war. Er war nicht der einzige, der eine solche Neugierde zeigte, denn an der Ecke des Korridors, der zur Kundenhalle führte, standen bereits ein paar seiner Kollegen. Karen aus der Devisenabteilung lächelte ihm zu und er gesellte sich neben sie. „Was ist denn los?“, fragte er. „Ach, nichts weiter, nur Mrs. Bellamont, die wohl heute nicht auf Shopping-Tour gehen kann“, kam es grinsend zurück, während Karen ihm gleichzeitig einen einladenden Blick mit ihren Augen zusandte. „Ich kann nicht sagen, dass es mir wirklich leid tut...“ Bill ignorierte den flirtenden Blick seiner Kollegin. Er wusste, dass er seit der Trennung von Fleur von vielen als so etwas wie Freiwild betrachtet wurde, aber das hieß nun nicht, dass er eine neue Frau an seiner Seite suchte. Tatsächlich war neben vielen anderen Gründen seine bisexuellen Neigungen mit die Ursache für die Trennung gewesen. Denn Fleur hatte es einfach nicht ertragen können, dass sie trotz ihrer Veela-Gene es nicht schaffte, ihn gänzlich an sich zu fesseln. Das war immer dann deutlich geworden, wenn die beiden jungen Eltern ihre Kinder mal für einen Abend bei den Großeltern einquartiert hatten, um auszugehen, und Bill es auf der Tanzfläche in den Clubs, die sie dann besucht hatten, nicht hatte lassen können, auch gelegentlich mit einem Mann zu flirten. Dabei war Flirten das Äußerste, was er getan hatte, denn Bill hatte seinen ehelichen Treueschwur ernst genommen. Doch allein die Tatsache, dass sich Fleur seiner nie ganz sicher zu sein schien – ungeachtet der Tatsache, dass sie diejenige war, für die er sein Junggesellenleben aufgegeben hatte, und ungeachtet dessen, dass dies einer der Charakterzüge gewesen war, der die stolze Französin an dem Fluchbrecher gereizt hatte – hatte sie unverhältnismäßig eifersüchtig werden lassen, bis schließlich ihre Ehe daran zerbrochen war. Weshalb Bill derzeit von Frauen erst einmal die Nase voll hatte und sich wenn eher am eigenen Ufer nach einem Gefährten umsehen würde. Was wiederum bedeutete, dass all die Karens der Zauberwelt ihm noch so schmachtende Blicke zuwerfen konnten, er würde nicht darauf eingehen. Dagegen ging er aber sehr wohl auf die Einladung ein, seine Kollegin mit gezieltem Nachfragen dazu zu animieren, ihm ein wenig mehr des Bankklatsches mitzuteilen. „Und weshalb tut es dir nicht leid?“ „Erinnerst du dich an den jungen Ashby vor ein paar Wochen? Anfang des Monats? Noch ältere Familie als die Bellamonts. Leider hat er den Fehler begangen, sich mit Bellamont auf ein Kartenspiel einzulassen, der ihn prompt nach Strich und Faden ausgenommen hat. Die Ashbys haben derzeit ihre Wurzeln in Neuseeland und der junge Ashby war auf Europatour, um etwas von der Welt zu sehen, ehe er sich ins Familiengeschäft einarbeitet. Für diese Reise bekam er jeden Monat in die jeweilige Stadt einen erklecklichen Betrag angewiesen. Das, was er Bellamont schuldete entsprach etwa dem Fünffachen dieser monatlichen Apanage. Natürlich hätte sein Vater ihm vermutlich den Betrag, auf den sich die Schulden beliefen, vorschießen können, aber Ashby wollte sich und wohl auch seinem Vater beweisen, dass er erwachsen genug war, um selbst eine Lösung für seine Probleme zu finden. Weshalb er Bellamont angeboten hat, ihm die Schulden in sechs Raten zurückzuzahlen, mit Koboldbeglaubigung durch die Bank. Aber statt sich auf dieses durchaus realistische Angebot einzulassen, hat Bellamont darauf bestanden, dass Spielschulden Ehrenschulden sind, die es unverzüglich zu begleichen gilt. Er meinte, wenn man nicht das Geld zum Spielen habe, sollte man als braver Junge lieber die Finger von den Karten lassen. Daraufhin hat Ashby nur gesagt, er würde den Namen seiner Familie nicht durch unehrenhaftes Verhalten ruinieren und ist gegangen. Am nächsten Tag hat man ihn tot in seinem Hotelzimmer gefunden – Selbstmord durch einen höchstpotenten Trank. Das Gesicht seiner Eltern, als sie zur Testamentseröffnung ihres Sohnes hier in die Bank kamen – denn schließlich war Gringotts der Testamentsverwalter – und erfuhren, was ihren Sohn in den Selbstmord getrieben hat, werden sogar die Kobolde so schnell nicht wieder vergessen... Irgendwie kommt es einem da schon fast als ausgleichende Gerechtigkeit vor, wenn Bellamont jetzt ebenfalls durch Spielschulden ruiniert ist.“ Bill nickte nur stumm. Vage erinnerte er sich an das verstörte Gesicht der trauernden Mutter und den zornigen Ausdruck auf dem Gesicht des Vaters, die er im Vorbeigehen kurz gesehen hatte. Doch auch wenn deren Sohn durch die nun eingetretenen Umstände in gewisser Weise gerächt worden war, konnte er keinerlei Genugtuung verspüren. Ein Mensch war ums Leben gekommen, bloß weil ein anderer unnachgiebig habgierig gewesen war... Wie alle, die den zweiten, finalen Krieg gegen Voldemort durchlebt hatten, war auch für Bill jeder sinnlose Tod wie der des jungen Ashby ein Tod zu viel. Zwar wusste er, dass viele konservative, besonders reinblütige Zauberkreise noch alte Traditionen pflegten, wonach etwa die Schande einer Familie abgewendet werden konnte, wenn das betreffende Familienmitglied, das für die Schande verantwortlich war, sich zum Schutz der Familie ehrenvoll umbrachte, doch verstehen konnte Bill es nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)