Von Drachen und Zauberern von Nifen ================================================================================ Kapitel 5: V. ------------- Hermione war kein Mensch, der lange untätig sein konnte. Zwar hielt Mia sie reichlich auf Trab, aber die geistige Herausforderung, die sie so liebte, fehlte. Außerdem mochte sie es nicht, anderen auf der Tasche zu liegen, und so fragte sie schließlich Charlie, ob es nicht irgendwelchen Papierkram im Reservat gab, bei dessen Bewältigung sie sich vielleicht nützlich machen konnte. Charlie wusste zwar auf Anhieb nichts, versprach aber, sich in der Verwaltung zu erkundigen. Am nächsten Tag kam er grinsend mit einem überquellenden Pappkarton zurück. „Also, sofern du dir nicht zu fein für Archivarbeit bist, hätten wir laut Verwaltung jede Menge Arbeit für dich. Denn obgleich jeder Mitarbeiter seine entsprechenden Berichte verfasst und bei der Verwaltung einreicht, kümmert sich die Verwaltung nur um jene Berichte, die mit dem Finanzwesen zusammenhängen. Der Rest landet unsortiert in solchen Kartons, denen dann nur eine Jahreszahl zugewiesen wird. Eine Praxis, die laut Verwaltung, seit Anbeginn des Reservats gepflegt wird. Was natürlich das Wiederfinden bestimmter Aufzeichnungen nicht wirklich erleichtert. Das meiste Wissen wird innerhalb des Reservats deswegen wohl mündlich weitergegeben, was ja auch schön und gut ist, solang wir nur auf unser Reservat beschränkt operieren. Aber auf die Weise bleiben wir forschungstechnisch ziemlich isoliert und erfahren meist erst aus Fachzeitschriften von neuen Erkenntnissen. Einzig, die Tatsache, dass wir das größte Reservat Europas sind, sichert uns einen gewissen Ruf, doch wir würden gerne auch Anschluss an die internationale Gemeinschaft bekommen.“ Hermiones Augen leuchteten, als Charlie geendet hatte. Eine solche Herausforderung war genau nach ihrem Geschmack. Und wer wusste schon, auf welche Schätze sie in diesen Berichten stieß? Aber... „Wenn so viel von dem Archiv abhängt, wieso stellt das Reservat nicht einen Archivar ein?“ „Tja“, erwiderte Charlie etwas verlegen, „das ist ein Selbstläufer, den die Verantwortlichen zu lange ignoriert haben. Neben privaten Spenden und einem festen Etat im Zauberhaushalt des jeweiligen Landes finanzieren sich solche Reservate auch über Forschungsgelder aus der internationalen Gemeinschaft für Drachenwesen. Zu dieser internationalen Gemeinschaft gehören natürlich auch eine ganze Reihe Staaten, die zwar kein eigenes Drachenreservat unterhalten, aber finanziell einen Beitrag leisten. Und diese Länder sind, verständlicherweise, an Ergebnissen interessiert, Erkenntnissen, die aufgrund ihrer Unterstützung gewonnen wurden. Entsprechend sind Zuwendungen für international forschende Reservate mit zugehörigen Publikationen höher – deren Aufwand ist ja auch größer – als bei rein erhaltenden Reservaten, worunter unseres leider fällt. Sprich, weil man den Aufbau eines Archivs zu lange vernachlässigt hat, die internationalen Zuwendungen für erhaltende Reservate aber immer weiter gekürzt werden, ist man jetzt an dem Punkt angelangt, wo man sich keinen Archivar mehr leisten kann, aber eigentlich dringend auf höhere Zuwendungen angewiesen ist, die man nur mit einem Archiv bekommt.“ Hermione grinste. „Da zeigt sich mal wieder, wie schön man sich mit der Praxis ‚Das haben wir schon immer so gemacht’ ins Aus manövrieren kann. Etwas, wo ich ja auch in England versucht habe, gegen anzukämpfen. Umso schöner also, die Möglichkeit zu haben, hier ernsthaft etwas zu bewegen und zu wissen, dass die Arbeit auch gewürdigt wird.“ Ihr ganzer Körper vibrierte förmlich vor Verlangen, sofort anzufangen. Charlie lachte. „Dann habe ich also gut daran getan, dir gleich eine Kiste mitzubringen, damit du dir einen Überblick verschaffen kannst, was für Arten an Aufzeichnungen es zu erfassen, sortieren und archivieren gilt.“ Von da an verbrachte Hermione fast ihre ganze Zeit in jenen Kellerräumen, die die Archiv-Kisten beherbergten. Mia war dabei stets an ihrer Seite, entweder in einem mit Schutzzaubern versehenen Laufstall, wo sie vor eventuell herabfallenden Akten und zu viel Staub sicher war, oder aber, was dem Kind natürlich weit besser gefiel, in einem der bereits aufgeräumten Räume, wo Hermione Akten, die in die entsprechenden Rubriken passten, einsortierte. Diese Räume zu erkunden war natürlich weit aufregender als der Laufstall. Die Verwaltungsangestellten hatten sich schnell an ihre Anwesenheit gewöhnt, doch Hermione war sich durchaus der Blicke bewusst, die man ihr zuwarf, besonders wenn Charlie sie am Abend abholte. Häufig schwang er Mia dann hoch über seinen Kopf, was diese fröhlich Krähen ließ und auf die darauf folgende Frage, wie ihr Tag gewesen sei, brach über ihn ein wahrer Sturzbach kindlichen Gebrabbels ein. Wer es nicht besser wusste, hätte Charlie ernsthaft für Mias Vater halten können. „Stört es dich nicht?“, fragte Hermione eines Abends, als sie eine der Verwaltungsangestellten mit einer Drachenhüterin tuscheln sah. „Ich mein, es war eine Sache, die Annahme des Gastwirts im Dorf nicht zu korrigieren, aber das hier sind deine Kollegen und Freunde...“ Charlie grinste. „Warum sollte es mich stören, wenn sei eine hübsche und brillante junge Frau wie dich für meine Lebensgefährtin halten? Oder dieses aufgeweckte Energiebündel her für meine Tochter? Du hast es doch auch nie richtiggestellt, wenn die Leute dich für Mias Mutter halten.“ „Bei mir ist das ja auch was anderes. Ich bin ihre Patin und nun, da ihre Eltern tot sind, tatsächlich ihre Ersatzmutter. Mia gehört zu mir. Abgesehen davon, dass es momentan sicherer ist, wenn niemand etwas von Mias Herkunft weiß. Aber bei dir ist es etwas anderes“, widersprach Hermione. „Wenn die Leute hier glauben, dass wir zu dir gehören, obwohl dem nicht so ist, dann behindern wir doch deine... sozialen Aktivitäten.“ Charlie sah Hermione zuerst perplex an, dann konnte er ein Lachen nicht unterdrücken. „Hermione, du bist einmalig! Hast du dich nie gefragt, warum die anderen hier so ohne weiteres die Annahme akzeptiert haben, du seiest eine intime Bekanntschaft von mir und Mia meine daraus resultierende Tochter?“ „Weil du ein Foto von mir im Nachttisch aufbewahrst?“, konterte Hermione ironisch. „Wäre eine Überlegung wert. Würde aber voraussetzen, dass jemand anderes außer mir Zugang zu meinem Nachttisch hätte. Was aber niemand hat. Denn trotz aller Flirtangebote, habe ich mich nie mit jemandem aus dem Reservat eingelassen. Das hätte einfach die Zusammenarbeit unnötig verkompliziert, spätestens wenn die Beziehung nicht funktioniert hätte. Und wir sind hier letztlich eine zu kleine Gemeinschaft, um uns solche Spannungen leisten zu können. Weshalb all meine Affären außerhalb des Reservats stattfanden, meist in Bukarest. Sie glauben jetzt vermutlich, dass eine dieser Affären, in diesem fall eben eine aus England, mich wie die sprichwörtliche Vergangenheit eingeholt hat. Zumal sie keine Ahnung bezüglich der tatsächlichen Zahl meiner Affären haben und ich sie, zugegeben, in dem Glauben gelassen habe, es wären mehr als es tatsächlich waren. Und was das ‚zu mir gehören’ betrifft, was würdest du sagen, wenn ich dir erklärte, dass ich nichts dagegen hätte, wenn dem so wäre? Das ich es mir im Gegenteil sogar wünschen würde?“ Tausend Emotionen schienen sich bei diesen Worten in Hermiones Gesicht wiederzuspiegeln. Gewiss, sie hatte sich von Anfang an, seit sie Charlie in dem Gasthaus gesehen hatte, zu ihm hingezogen gefühlt. Zuerst hatte sie geglaubt, es liege daran, dass er sie an Ron erinnerte. Aber Charlie war in vielen Dingen ganz anders als Ron, so dass eine bloße Familienähnlichkeit hierfür nicht der Grund sein konnte. Dann hatte sie vermutet, dass das Gefühl der Geborgenheit, das sie in seiner Gegenwart empfand, damit zusammenhing, dass er ein Weasley war. Und die Weasleys waren das Einzige, was ihr an Familie geblieben war. Dass also ihre Gefühle rein familiärer Natur waren. Doch je länger sie hier war, je mehr Zeit sie mit Charlie verbrachte, desto mehr musste sie sich eingestehen, dass ihre Gefühle weit über das hinausgingen, was sie etwa für Bill oder George, die ja genau wie Charlie als ihre Weasley-Brüder ehrenhalber betrachtet werden mussten, empfand. Bei Charlie hatte sie das Gefühl, endlich nach Hause gekommen zu sein. Auch die körperliche Anzierung die sie spürte, war eine andere als bei Ron... weniger jugendlicher Drang, sondern reifer, erwachsener, tiefer gehend. Die Frage, ob Charlie vielleicht ähnlich fühlte, hatte sie stets weit von sich geschoben, schien es ihr doch zu gefährlich, sich in ihrer Situation auf eine Beziehung einzulassen. Lieber wollte sie sich erst gar keinen illusorischen Hoffnungen hingeben. Doch als sie jetzt in Charlies offenes Gesicht blickte, wusste sie, dass er Einwände bezüglich seiner Sicherheit nicht würde gelten lassen. Denn als Freund, ganz gleich, wie man den Begriff definierte, würde er sie nicht im Stich lassen und somit so oder so die Gefahr mit ihr teilen. Das es also keinen triftigen Grund gab, nicht den Schritt vom getrennten Sessel beim abendlichen Zusammensein im Wohnzimmer zum gemeinsamen Sofa mit Anlehnerlaubnis zu wagen. Zumal sie es ja wohl beide wollten, wie Hermione Charlie schließlich gestand. Tatsächlich änderte sich mit dieser Aussprache kaum etwas im gemeinsamen Zusammenleben. Sicher, es gab immer wieder Küsse, kurze wie lange, leidenschaftliche, zärtliche – Küsse in allen Variationen, die beide überaus genossen. Aber wie das nun mal so war, wenn zum Zusammenleben auch ein Krabbelkind gehörte, war ungestörte Zweisamkeit eher selten. Dennoch hätte keiner von beiden Mia in ihrem Leben missen mögen. Und zumindest für den Moment genügte es ihnen, sich der Nähe des anderen sicher zu sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)