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Totgesagte leben länger

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I. Introduktion

Es ist natürlich, dass Eltern für ihre Kinder stets das Beste wollen. Es ist wohl ebenso natürlich, dass Eltern davon ausgehen, dass die Dinge, die sie selbst glücklich gemacht haben, zum Glück ihrer Kinder beitragen. Je überzeugter ein Elternteil von dieser Devise ist, desto mehr wird dabei außer Acht gelassen, dass zum einen Kinder als Individuen sich von ihren Eltern entscheiden und zum anderen die Welt in der Zwischenzeit nicht stillgestanden hat, sondern wenigstens eine Entwicklung von zwanzig Jahren durchgemacht hat. Wenn aber diese Weiterentwicklung über zu lange Zeit ignoriert wird, ergibt sich zwangsläufig etwas, das man bestenfalls als Schon-immer-dagewesen oder auch stagnierende Tradition bezeichnen kann.

Nicht, dass man mich falsch versteht: Ich habe nichts gegen Traditionen. Sie zeigen uns, wo wir hergekommen sind, was wir erreicht haben. Aber sie sollten nicht als stumpfes Relikt vergangener Zeiten gelebt werden, sondern sollten auch widerspiegeln, was in der Zwischenzeit alles zusätzlich erreicht wurde. Das Gute beibehalten, das weniger Gute verbessern. Wie etwa die Aktion mit dem Weihnachtsbaum. Gab es nicht immer, sieht aber trotzdem toll aus und hat sich deswegen, nicht zuletzt dank der muggelgeborenen Zauberer und Hexen auch in der Zauberwelt durchgesetzt. Den Julscheit haben wir aber trotzdem beibehalten. Leider aber scheint Weihnachten das einzige Fest mit lebendigen Traditionen zu sein.

Viel häufiger trifft man in der Zauberwelt Britanniens die stagnierenden Traditionen an. Allein schon, wenn man sich die Schulroben von Hogwarts ansieht. Es gibt zwar ein paar Details, die sich im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte geändert haben, aber letztlich würde man bei einer Zeitreise ins Mittelalter, wo diese Roben den Muggel-Universitäten abgeschaut worden waren, nicht auffallen. Daran ändern auch unterschiedliche Stoffmuster nichts. Letztlich ist es der gleiche Schon-immer-dagewesen Schnitt mit ein paar aktuellen Anpassungen, wie etwa dieser Dackelkragen an Rons übriggebliebener Festrobe aus den siebziger Jahren zum Julball während meines dritten Hogwartsjahres.

Noch schlimmer aber als diese modische Langeweile – denn immerhin kann man unter den Roben tragen, was einem gefällt – sind die Protokolle, denen offizielle Empfänge und Festlichkeiten in der Zauberwelt Britanniens folgen. Dabei ist es egal, ob es sich um Familienfestlichkeiten, Firmenfestlichkeiten oder Festlichkeiten des Ministeriums handelt. Sie alle folgen uralten Schon-immer-dagewesen Protokollen. Meinen Recherchen nach gehen die meisten Protokolle auf die Zeit unmittelbar nach den letzten Koboldkriegen zurück. Und das war noch vor der französischen Muggel-Revolution. Aber da man das schon immer so gemacht hat, wird man es auch künftig so machen. Dabei spricht alle Welt doch gerade jetzt, nachdem Voldemort endgültig besiegt ist, von Erneuerung. Reformen heißt das Wort der Stunde und alles, was verspricht, dass kein machthungriger Möchtegerndespot wieder das Ministerium übernimmt, wird mit Beifallsstürmen begrüßt. Wenn es aber um einen Ball, Empfang oder ähnliches geht: Fehlanzeige. Da besinnt man sich plötzlich auf die Traditionen. Und vergisst vollkommen, dass irgendwer nach dem letzten Koboldkrieg sich ja erst mal hingesetzt haben muss, um das Protokoll, nach dem heute eine Siegesfeier begangen wird, niederzuschreiben. Wobei man davon ausgehen kann, dass der Urheber besagten Protokolls dabei eine moderne, zeitgenössische Feier im Sinn hatte…

Es hatte mir ja schon widerstrebt, dass die Hochzeit meines ältesten Bruders Bill nach all den eingestaubten Ritualen unserer Vorväter stattfinden sollte. Gut, zugegeben, es gab auch einige wirklich hübsche Aspekte, aber ich befürchte, hätte ich nicht gewusst, dass Fred und George mit Feuerwerk dem ganzen einen denkwürdigen Abschluss auf ihre Art geben wollten, wäre ich bei all den weiß-goldenen Vorbereitungen durchgedreht. Letztlich bekamen wir natürlich eine ganz andere Art, ein höchst ungewollte Art von Feuerwerk, aber dennoch, meine Brüder hatten ebenso wie ich den Drang, ein wenig mit den Traditionen zu brechen.

Dieser Drang die Traditionen wieder in die Gegenwart zu holen und dafür zu sorgen, dass auf Festen wirklich wieder gefeiert wurde, wurde noch durch die zahlreichen Bälle und Empfänge nach dem Fall Voldemorts, die zu besuchen ich das mehr als zweifelhafte Vergnügen hatte, verstärkt, so dass letztlich in mir der Entschluss heranreifte, nach meinem Hogwarts-Abschluss meine eigene magische Event-Agentur zu gründen.

Es würde die erste Agentur dieser Art überhaupt sein. Und allein deswegen konnte sie nur ein Erfolg werden, vorausgesetzt, es gelang mir, einen prestigeträchtigen Kunden, vorzugsweise das Ministerium selbst zu gewinnen.

Meiner Mutter gefiel diese Idee natürlich überhaupt nicht. Denn als selbstständige Unternehmerin würde ich wohl kaum gewillt sein, jenen Weg zu beschreiten, der sie selbst so glücklich gemacht hatte: den einer Mutter und Hausfrau. Womit ich mich zudem wieder gegen eine jahrhundertealte Tradition wandte, die aber glücklicherweise schon zuvor von diversen Hexen langsam aber sicher aufgeweicht worden war. Dennoch schien meine Mutter gehofft zu haben, dass ich ihrem Vorbild folgen würde. Und wenn schon nicht ihrem Vorbild, so doch dem Vorbild meiner Schwägerin, die immerhin mit zwanzig Jahren verlobt und mit einundzwanzig Jahren verheiratet gewesen war. Bei meinen Brüdern würde sie sich ja, dank Bills Vorbild bis zu deren achtundzwanzigsten Geburtstag gedulden, aber als einzige Tochter hatte ich doch bitte den Pfaden zu folgen, die mir die Frauen unserer Familie vorlebten. Na schönen Dank auch, Fleur. Aber gut, sie und Bill schienen wirklich wie füreinander geschaffen und ich missgönne ihnen ihr Glück nicht.

Das Problematische an der Situation ist nur, dass mein Traumprinz noch auf sich warten lässt. Sicher, über Jahre hinweg haben alle geglaubt, dass ich eines Tages Harry Potter heiraten würde. Schließlich war ich bereits als elfjähriges Kind unsterblich in ihn verliebt. Und als er dann vier Jahre später entdeckte, dass ich ein Mädchen war, in das man sich als Junge durchaus gegen-verlieben konnte, hätte ich eigentlich wunschlos glücklich sein müssen. Für eine Zeit war ich es wohl auch. Dann kam Voldemort, dann der Sieg und irgendwo zwischen Bills Hochzeit und der ersten Jahresfeier der Schlacht von Hogwarts bin ich erwachsen geworden. Mit allen Konsequenzen, einschließlich des Zurücklassens der Helden meiner Kindheit. Denn genau das war Harry Potter für mich. Ich war mit seiner Geschichte aufgewachsen. Es war meine liebste Gute-Nacht-Geschichte, einfach weil sie mir als jüngstem Mitglied der Familie, dem ewigen Baby, erlaubte, sich stark zu fühlen. Schließlich hatte ein Baby das Böse vertrieben.

Ich will damit nicht sagen, dass ich nicht auch den Teenager Harry, den ich schließlich kennenlernte, geliebt hätte. Im Gegenteil, Harry ist ein wirklich netter Kerl, jemand, mit dem man prima Quidditch spielen kann und vor allem jemand, auf den man sich verlassen kann. Das dürfte sogar einige seiner Macken, wie einem typisch-männlichen Mangel an Einfühlungsvermögen und einem geradezu als dramatisch zu bezeichnenden Hang zum Märtyrertum, ausgleichen. Vermutlich also gar kein so übler Fang. Wenn man es bei seinem Lebenspartner eben nur auf einen passablen Fang auslegt. Denn seien wir ehrlich, eigentlich liebt Harry nicht mich, das Individuum, die Frau, sondern meine Familie und bei mir vermutlich auch noch die äußere Ähnlichkeit zu seiner toten Mutter. Vielleicht hätte er sich genauso gut in Ron oder einen anderen meiner Brüder verlieben können, wenn diese weiblich gewesen wären. Aber ich möchte nicht wegen meiner Familie geheiratet werden. In dem Fall könnte ich mich genauso gut an den nächstbesten, gesellschaftlich wie finanziell gut dastehenden Reinblüter hängen, der eine reinblütige Genspenderin für seine Nachkommenschaft in Form einer Ehefrau sucht. Genauso wenig möchte ich wegen einer möglichen Ähnlichkeit zu einer Toten geheiratet werden.

Alles in allem also keine realistischen Voraussetzungen für eine lebenslange Beziehung zwischen zwei erwachsenen Menschen. Leider wurde mir dies erst zur Gänze bewusst, als mir Harry auf der Feier anlässlich des ersten Jahrestages des Sieges über Voldemort einen Heiratsantrag machte. Um das Ganze noch etwas schlimmer zu machen, war ich mir im ersten Moment noch nicht einmal bewusst gewesen, was Harry da tat, hatte ich doch die meiste Zeit des Abends damit verbracht, mir darüber Gedanken zu machen, wie man das Protokoll überarbeiten konnte, wenn ich erst mit meiner Event-Agentur den Auftrag dazu erhielt. Peinlich, peinlich! Und obwohl man annehmen müsste, dass ich aufgrund eines so öffentlichen Antrags nicht anders könnte, als selbigen anzunehmen, brach ich doch nach einem Augenblick der Besinnung mit diesem unausgesprochenen Tabu und lehnte ab. Ich schätze ja, dass Harry insgeheim geahnt hatte, dass ich ihm einen Korb geben könnte und deswegen einen öffentlichen Ort gewählt hatte, um dieses Risiko zu minimieren. Leider hatte er dabei nur seinen eigenen Gryffindor-Mut mit einkalkuliert, nicht aber meinen. Immerhin dürfte ihm der Trost, der ihm augenblicklich von meiner Mutter gespendet wurde, klar gemacht haben, dass er sich auch ohne Status als mein Verlobter weiterhin als zur Familie gehörend betrachten durfte. Tatsächlich schien an diesem Abend höchstens Harry selbst für meine Haltung Verständnis zu haben und meine Mutter konnte ich auch erst zur Ruhe bringen, als ich unter anderem anführte, dass ich zu dem Zeitpunkt von Harrys Antrag ja gerade mal siebzehn Jahre alt gewesen bin und noch nicht einmal mit Hogwarts fertig war. Wer bitte macht heutzutage noch einer Siebzehnjährigen einen Antrag und wartet nicht wenigstens bis sie mit der Schule fertig ist? Und selbst das wäre immer noch reichlich früh. Ich bin doch nicht so etwas wie ein Vorkaufsrecht auf Weasley-Zugehörigkeit, das man sich schnellstmöglich sichern muss!

Wenige Tage nach diesem Desaster haben sich Harry und ich ausgesprochen, und auch wenn meine Mutter nach wie vor glaubt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich wieder zur Besinnung komme und Harry und ich wieder zusammenfinden, sind sich Harry und ich einig, dass wir als Bruder und Schwester ein weitaus besseres Team abgeben. Wir sind also nach wie vor gute Freunde, auch wenn wir aufpassen müssen, uns nicht in vermeintlich verfänglichen Situationen überraschen zu lassen, die meine Mutter dann wieder völlig falsch verstehen würde.

Weshalb also mein Traumprinz weiter auf sich warten lässt, mir meine Mutter weiterhin in den Ohren liegt, mich doch bitte an den von ihr für weibliche Mitglieder der Familie erstellten Zeitplan für Familienplanung zu halten, und ich mich mehr und mehr in meine Arbeit eingrabe. Weniger aus einem vermutlich verständlichen Fluchtbedürfnis heraus, als vielmehr weil mir meine Arbeit Spaß macht und es mir Befriedigung verschafft, zu sehen, wie die Projekte langsam Gestalt annehmen.
 

Natürlich war der Anfang alles andere als einfach. Als eine Weasley war ich bei Gringotts nur marginal kreditwürdig, keineswegs aber in dem Umfang, wie es für die Gründung einer eigenen Firma von Nöten gewesen wäre, noch dazu mit einer Geschäftsidee, die so in der Zauberwelt Englands vollkommen unbekannt und daher für die Bank ein nicht abschätzbares Risiko darstellte. Reiche Erbverwandte gab es auch nicht, sonst hätte ich als Kind gewiss mehr Geburtstagsgeschenke bekommen und im Gegenzug mehr Briefe an betreffenden Verwandten schreiben müssen, um bei selbigem ja nicht in Vergessenheit zu geraten. Denn wie heißt es so schön bei den Muggeln: Nur das quietschende Rad bekommt das Öl. Und im Falle eines existenten Erbverwandten hätten Fred und George seinerzeit auch nicht Harry als Sponsor für ihren Scherzartikelladen gebraucht. Gut, ich bin mir sicher, dass meine Zwillingsbrüder es auch ohne Harrys Hilfe irgendwie geschafft hätten, und wenn es bedeutet hätte, sich die ersten Jahre mit ihrem Versandhandel über Wasser zu halten. Aber im Gegensatz zu mir, hatten sie ja bereits eine von dem Klientel angenommene Produktpalette. Mit Harrys Hilfe wurde es natürlich deutlich einfacher für sie. Vermutlich hätte ich Harry ebenfalls um Hilfe für die Gründung meiner Agentur bitten können und es ist gar nicht mal so unwahrscheinlich, dass er mir anstandslos diese Hilfe gewährt hatte. Doch es hätte sich mehr als merkwürdig angefühlt und irgendwie konnte ich es nicht. Schließlich ist Harry nicht nur ein brüderlicher Freund sondern auch mein Ex. Und seinen Ex fragt man einfach nicht um Geld, erst recht nicht, nachdem man seinen Heiratsantrag abgelehnt hat. Das geht irgendwie nicht.

Zum Glück kam mir der Zufall zu Hilfe und ich musste nicht meinen Stolz hinunterschlucken und entweder einen langweiligen Ministeriumsjob annehmen, der es mir erlaubt hätte über Jahrzehnte vielleicht genug Geld beiseite zu legen, um mir meinen Traum zu erfüllen, oder Harry schließlich doch um Geld zu bitten. Charlie lud mich für den Sommer nach meinem Hogwarts-Abschluss ein, wohl auch um mir etwas Erholung von Mum zu gewähren, die in der ersten Zeit nach Harrys Antrag einen ein klein wenig an Mrs. Bennet aus 'Stolz und Vorurteil' in der Zeit nachdem Lizzy diesem komischen Cousin abgelehnt hatte erinnerte. Ich konnte mich zwar nicht mehr genau an das Buch erinnern – Hermione hatte in dem Sommer, wo wir Sirius' Haus geputzt haben, gelesen und ich hab ein paar Highlights vorgelesen bekommen –, aber das war mir im Gedächtnis geblieben.

Nun ist ein Drachenreservat natürlich nur begrenzt ferientauglich, aber da es auch sonst ziemlich abseits von allem liegt, hatte es einen entscheidenden Nachteil für die Mitarbeiter dort, den ich wiederum zu meinem Vorteil nutzen konnte: Die nächste Einkaufsmöglichkeit abgesehen von einem kleinen Gemischtwarenladen im Reservat war nur nach vierzig Minuten Besenflug, um die Appariergrenze zu überwinden, und einem anschließenden Apparieren zur nächsten Stadt möglich. Flohanschluss gab es auch nicht mehr, seit das Reservat einen frisch geschlüpften, sibirischen Grünflämmling bekommen hatte. Der Grünflämmling spie nämlich grünes Feuer, das exakt die gleiche magische Signatur eines Flohfeuers aufwies und war deswegen in der ersten Woche seines Aufenthalts im Reservat dreimal im Kamin verloren gegangen. Also war der Flohnetzanschluss für das Reservat geschlossen worden, denn natürlich hatte in einem Drachenreservat ein Drache größere Priorität als mögliche Einkaufsgelegenheiten für die Mitarbeiter. Folglich aber hatten die Mitarbeiter verhältnismäßig viel ungenutztes Geld, das sie gerne auch bei einem guten Pokerspiel einsetzten. Und Poker war eines der Spiele, die ein Weasley definitiv in allen Varianten beherrschte. Weniger wegen des Glückspielfaktors als mehr weil es ein Spiel gewesen war, bei dem alle Familienmitglieder problemlos hatten mitspielen können. Whist und Bridge dagegen, die englischen Klassiker, waren auf vier Spieler begrenzt und somit nutzlos. Nein, Poker und Weasleys, das gehörte einfach dazu. Und ausnahmsweise war es Mum gewesen, die uns die besten Muggeltricks beibrachte und nicht Dad. Denn beim Zauberpoker konnte es böse enden, wenn man bei einer magischen Trickbetrügerei erwischt wurde, aber mit der herrlich typischen, um nicht zu sagen traditionellen Ignoranz der meisten Hexen und Zauberer was Muggeltricks betraf, wurden wir nie erwischt. Wie sonst hätten wir Weasley-Kinder uns bei den Hogsmeade-Wochenenden den Besuch im Honigtopf oder ein Butterbier bei Madam Rosmerta leisten können? Von unserem mickrigen Taschengeld gewiss nicht. Aber es hatte immer ein paar besserwisserische Ravenclaws oder wichtigtuerische Slytherins gegeben, die bereit waren, ein paar Sickel oder Knuts an uns zu verlieren. Natürlich haben wir acht gegeben, es mit den Einsätzen nicht zu übertreiben, schließlich bestand stets die Gefahr, dass wir entweder ehrlich verloren oder das Pech hatten an jemanden zu geraten, der noch bessere Tricks beherrschte als wir. Auch wären große Einsätze sicher nicht vor der Lehrerschaft unbemerkt geblieben. Das Einsatzlimit von einem Sickel war ebenfalls Mums Regel, was mir einmal mehr bewies, dass meine Zwillingsbrüder ihren Hang zu Streichen wohl eher von unserer Mutter als unserem Vater geerbt hatten.

Natürlich wurde ich von Charlies Kollegen zum Mitspielen eingeladen, als man sich zur geselligen Runde am Abend traf. Ich hätte auch gerne mitgespielt, nur lag hier der Einsatz bei einer Galleone und ähnlich wie Ron in der fünften Klasse mit der DA-Ortungsmünze bemerkt hatte, besaß ich keine Galleone. Fragend hatte ich Charlie angeblickt und dieser hatte nur gegrinst und genickt. Er lieh mir die Galleone. Und ich verlor prompt. Einfach weil ich bei dem Gedanken eine ganze Galleone zu verlieren viel zu verkrampft gewesen war. Charlie hatte mir daraufhin nur lächelnd eine zweite Galleone zugeschoben. Erst hatte ich ablehnen wollen, weil ich befürchtete, unter den Spielern könnte sich jemand befinden, der mein Weasley-Pokerkönnen übertraf, doch Charlie schüttelte auf die ungestellte Frage nur unmerklich den Kopf. Und schob mir noch einmal fünf der goldenen Münzen zu. Ich musste also nicht sofort gewinnen, es reichte, wenn ich Charlie am Ende des Abends das Geld würde zurückzahlen können. Außerdem brachte mein Bruder damit zum Ausdruck, dass er selbst genug Geld hatte, um damit leben zu können, wäre ich an diesem Abend tatsächlich vom Pech verfolgt. Ich entspannte mich und gewann das nächste Spiel. Ebenso das darauf folgende. Dann aber wurde ich vorsichtig. Ich durfte nicht das Gefühl aufkommen lassen, ich hätte eine Glückssträhne. Denn keine Strähne hält ewig und je länger man behauptet, eine Siegesserie wäre bloßes Glück, desto misstrauischer werden die Mitspieler. Ich gewann also ein oder zwei Spiele, verlor ein oder zwei Spiele, hatte mal Glück mit den Einsätzen, mal Pech, aber alles in allem gelang es mir den Abend so zu beeinflussen, dass ich am Ende zwanzig Galleonen gewonnen hatte.

So ein rumänischer Sommer kann lang sein. So ein rumänischer Sommer kann erfolgreich sein. So ein rumänischer Sommer kann einem die Zukunft sichern. Zwar hatte ich am Ende längst nicht so viel Geld zur Verfügung, wie Fred und George es seinerzeit für die Eröffnung ihres Ladens gehabt hatten, aber ich musste mir schließlich keinen Laden anmieten. Mir reichte ein simpler Büroraum und der konnte zur Not sogar im Fuchsbau liegen. Was angesichts der Tatsache, dass meine Brüder größtenteils ausgezogen waren – Ron hatte nominal noch sein Zimmer, auch wenn er mehr Zeit bei Harry in London verbracht als zu Hause – kein Problem darstellte. Der Gründung meiner Agentur stand also nichts mehr im Wege, zumal die Beantragung eines Gewerbes, sofern man nicht mit gefährlichen oder gefährdeten Dingen handeln wollten, in der Zauberwelt weit einfacher war als in der Muggelwelt.

Mein erster Auftrag war die Gestaltung einer Kinderhalloweenfeier und mein Auftraggeber niemand anderer als Harry. Es war offensichtlich, dass er mir damit unter die Arme greifen wollte, aber solange er es auf diese Art tat und mir nicht einfach das Geld schenkte, sollte es mir recht sein. Außerdem würden ja noch andere Kinder bei der Feier sein, denn es war selbstredend, dass Teddy Lupin, den Harry als Anlass genommen hatte, mich zu beauftragen, herzlich wenig von dem Fest hätte. Aber da war Andromeda Tonks, die weitererzählen konnte, wenn die Feier gelungen war und auch die begeisterten Kinder würden sicherlich das ihre dazu beitragen. Weshalb ich also mein Bestes gab und all die Elemente, die mir als Kind an Halloween immer gefallen hatten übernahm, Harry fragte, was ihm an den Muggelhalloweens gefallen hatte, die er als Kind miterlebt hatte – auch wenn es in seinem Fall mehr als Zuschauer gewesen war – und kombinierte alles zu einem bunten Treiben. Angefangen damit, dass jedes Kind beim Eintreffen ein Überraschungsbonbon erhielt, dass seine Kleidung in eine kindgerechte Halloween-Verkleidung verwandelte, über eine spannende, aber nicht zu gruselige Jagd nach Süßigkeiten durch das Haus von Mrs. Tonks und hinterher ein gruseliges Schlemmerbuffet mit Krakenwürstchen in Blutseen (Ketchup), frittierten Knochen (Pommes Frites) und Geisteräpfeln. Es war ein Erfolg!

Es folgten weitere Kinderveranstaltungen und gerade als ich schon glaubte, auf ewig Kindergeburtstage organisieren zu müssen und mein Traum die verstaubten Empfangsprotokolle des Ministeriums überarbeiten zu dürfen an den Nagel hängen zu müssen, schaffte ich endlich den nächsten Schritt. Und dieses Mal gleich richtig in die Reinblüter-Domäne. Die Pennifolds beauftragten mich, die Feier anlässlich des fünfzehnten Geburtstags ihrer Tochter zu organisieren. Das mag auf den ersten Blick nicht sonderlich aufregend klingen, aber der fünfzehnte Geburtstag einer Hexe ist in Reinblüterkreisen für gewöhnlich das Alter, ab dem sie als heiratsfähig gilt. Das ist heutzutage natürlich ausgemachter Blödsinn, niemand heiratet so früh, aber bei den traditionsverhafteten Reinblütern ist das noch immer der Zeitpunkt, ab dem die Eltern sich unter den Zauberern nach einem geeigneten Gatten für ihre Tochter umsehen. Natürlich wird heute mehr Rücksicht darauf genommen, ob Zauberer und Hexe sich auch einander zugetan sind, als früher, aber dennoch ist es im Leben einer Hexe ein bedeutender Geburtstag. Bei mir selbst hatte es zwar keinen großen Firlefanz gegeben, aber Fred und George hatten sich gemüßigt gefühlt, mir ein Buch mit den besten Flüchen zu schenken, um mir aufdringliche Verehrer vom Hals zu halten – ich sag nur Flederwitsch – und Bill und Charlie hatten mir ein hübsches Fußkettchen geschenkt – Bill das Kettchen und Charlie einen kleinen goldenen Anhänger dazu. Und von Mum und Dad hatte ich das erste Mal in meinem Leben gänzlich neue Schulroben und keine Second-Hand-Roben bekommen. Bei den Pennifolds würde man sich natürlich nicht mit ein paar Geschenken zufrieden geben. Das vollständige Protokoll von annodazumal sah da etwas viel Pompöseres vor. Einschließlich eines Drachenkampfes, bei dem der siegreiche Zauberer die holde Jungfer rettete. Ich weiß nicht, ob man mich beauftragte, weil Miss Pennifolds kleine Schwester auf einem der grandiosen Kindergeburtstage gewesen war und heiß von mir und meinem Organisationstalent geschwärmt hatte oder ob es ein wenig subtiler Versuch war, einen Weasley zum Versagen zu bringen, weil Drachenkämpfe in England verboten waren und es mir somit unmöglich wäre, das Protokoll einzuhalten. Jedenfalls war ich fest entschlossen, nicht zu versagen und ich hatte auch reichlich Ideen und Erfolg. Statt eines Drachens ließ ich zwei Drachen antreten – riesige Drachenmasken mit langen Seidenschwänzen, wie sie in China zu deren Neujahrsfest durch die Straßen getragen wurden. Und natürlich beließ ich es nicht bei einem simplen Kampf gegeneinander, sondern ich ließ die männlichen Gäste als Teamdrachen gegeneinander in allerlei klassischen Wettbewerben um das Privileg mit Miss Pennifold letztlich tanzen zu dürfen, antreten. Unter anderem ließ ich die beiden Drachen miteinander Zauberwalzer tanzen. Das ganze war so unorthodox, dass Mrs. Pennifold beinahe alle meine Pläne zunichte gemacht hätte, hätte nicht Miss Pennifolds älterer Bruder sofort begeistert erklärt, er würde gerne das eine Drachenteam leiten. Und ich schaffte es sogar, die Wettbewerbsdisziplinen so würdevoll im Rahmen des Protokolls zu halten, dass niemand lächerlich gemacht wurde und trotzdem alle ihren Spaß hatten. Seither gehören die Chinesischen Neujahrsdrachen zum neuen Protokoll dieser Geburtstagsfeiern. Wer sich keinen solchen Drachen leisten kann, kann seine Party gleich als Misserfolg abstempeln.

Doch den eigentlichen Durchbruch schaffte ich erst, als ich, ganz überraschend, von niemand anderem als Draco Malfoy gebeten wurde, die Feier seiner Hochzeit mit Astoria Greengrass zu organisieren. „Man erwartet von uns einerseits, dass wir als Reinblüter die Traditionen waren, aber andererseits können es sich die Malfoys nicht leisten zu sehr an alten Bärten zu hängen. Wir müssen zeigen, dass wir die Vergangenheit hinter uns gelassen haben und mit der Zeit gehen“, hatte Draco in seinem typisch herablassenden Malfoy-Ton erklärt und ich hatte mir lebhaft vorstellen können, was bei diesen Worten alles ungesagt geblieben war. Also ging ich ähnlich vor wie seinerzeit bei Harry mit der Halloweenparty. Ich legte den Brautleuten das Protokoll des traditionellen Hochzeit vor und bat sie, all die Teile zu markieren, die ihnen persönlich gefielen und welche sie selbst nur mit Mühe tolerieren würden. Es war für mich wenig überraschend, dass das erste, was Astoria von der Liste strich, das öffentliche Zubettgebrachtwerden war. Den Eröffnungstanz hingegen wollte sie – sehr zu Dracos Verdruss – unbedingt beibehalten. „Es muss ja nicht unbedingt Zauberwalzer sein“, hatte Astoria zur Güte vorgeschlagen und ich hatte die beiden daraufhin prompt in eine Muggeltanzschule geschleppt, wo sie für ihren Eröffnungstanz Tango lernten. Denn nachdem ich Draco erklärt hatte, dass er damit, ganz traditionell, vor den Augen aller, sein horizontales Verlangen nach seiner Braut vertikal zum Ausdruck bringen könnte, war sogar sein männliches Ego Feuer und Flamme.

Die Hochzeitsfeier hatte Stil, enthielt überraschend viele traditionelle Elemente, doch ich hatte die Angelegenheit von allem angestaubten Kitsch befreit – wie etwa den Puttenperücken, welche die Hauselfen sonst bei diesen Gelegenheiten tragen mussten – und war doch zeitgemäß. Es gab ein klassisches Streichorchester, doch hatten sich die Musiker bereiterklärt, ein paar moderne Hits wie sie etwa die Schwestern des Schicksals sangen als Instrumentalversion einzustudieren. Da beschwerte sich auch niemand, dass die traditionelle Ogerblutsuppe durch eine exzellente mediterrane Tomatensuppe ersetzt worden war.

Tatsächlich war es die Malfoy-Greengrass-Hochzeit im Sommer gewesen, die mir meinen jetzigen Auftrag im Ministerium beschert hatte. Genau, endlich arbeitete ich daran, die verstaubten Protokolle des Ministeriums einer zeitgemäßeren Bestimmung zuzuführen. Aber da aller Anfang bekanntlich schwer ist, waren es natürlich nicht die offiziellen Feiern und Empfänge, mit denen man mich betraute, sondern die Kantine. Genau, die Kantine. Über Jahre hinweg hatte ich nicht einmal gewusst, dass es im Ministerium für Zauberei eine Kantine für die Mitarbeiter gab. Was aber auch kein Wunder war, ging doch kaum jemand dort essen. Nun aber hatte Minister Shacklebolt bei der Durchsicht des letzten Haushalts festgestellt, wie viel diese ungenutzte Kantine jeden Monat verschlang, ohne, dass ein Knut im Ausgleich durch die Einnahmen wieder hereinkam. Da es ihm aber auch widerstrebte, die Hauselfen, die jahrelang treu ihren Dienst in der Kantine versehen hatten, so plötzlich mit Kleidern vor die Tür zu setzen – was für ein Licht hätte das auf ihn als Minister geworfen? – weshalb er nur einen Ausweg sah: Die Kantine musste für die Ministeriumsmitarbeiter wieder attraktiver werden!

Genau das also war mein Auftrag. Ich wusste bereits von früheren Zusammenarbeiten mit Hauselfen, dass diese willig waren, es aber nicht in ihrer Natur lag, von sich aus etwas an Althergebrachtem zu ändern. Wenn man also schon immer lauwarmes, verkochtes Rindfleisch mit kalter Minzsoße gegessen hatte, konnte man das getrost noch ein paar Jahrhunderte tun, es sei denn, die Herrschaft wünschte es anders. Und die Herrschaft wünschte es jetzt eindeutig anders. Das für mich wohl immer noch Erstaunlichste an Hauselfen ist, dass sie wirklich jedes Rezept, das man ihnen einmal vorlegt, ihre Leben lang perfekt aus dem Gedächtnis nachkochen können. Was wiederum für mich bedeutete, dass ich aus dem Vollen schöpfen konnte. Nun war ich persönlich natürlich Fan der Küche meiner Mutter, aber ich wusste, dass ich mit klassischer Hausmannskost die Kantine kaum attraktiver machen konnte. Die gab es bereits in guter Qualität zu gutem Preis im Tropfenden Kessel in der Winkelgasse, wohin nicht wenige Ministeriumsangestellte regelmäßig um die Mittagszeit flohten. Was hingegen in der Winkelgasse fast gänzlich unbekannt war, waren die internationalen Gerichte, wie man sie einmal in der Woche als Abwechselung in Hogwarts zu kosten bekam, damit all die Schüler mit einem nicht-britischen Hintergrund nicht allzu sehr an kulinarischem Heimweh litten. Es gab kein Zauberrestaurant mit indischen oder chinesischen Speisen auf der Karte, für französisches Essen musste man nach Frankreich reisen und die italienische Küche war höchstens den Wagemutigen, die sich manchmal nach Muggellondon wagten, in Form von fragwürdiger Pizza bekannt. Deshalb war es nahelegend, Themenwochen zu veranstalten, bei denen man internationale Köstlichkeiten probieren konnte, ohne sich in einem Muggelrestaurant blamieren oder gar in ein anderes Land reisen zu müssen.

Bis zu diesem Auftrag hatte ich mir nie sonderlich viele Gedanken darüber gemacht, wie kompliziert es sein konnte, einen ansprechenden Speiseplan für eine ganze Woche im Voraus zu erstellen. Und der Speiseplan war erst der Anfang, nutzte doch die beste Küche nichts, wenn der Speisesaal selbst einen Charme wie Snapes alter Klassenraum ausstrahlte. Dekoration musste also auch noch organisiert werden, dazu eifrig im Ministerium für die neue alte Kantine geworben werden und natürlich durfte ich das Budget nicht überziehen. Ehrlich, dagegen war es regelrecht leicht gewesen, die Malfoy-Hochzeit zu organisieren. Vielleicht aber kam es mir auch nur so vor, weil ich bei diesem Auftrag noch mehr das Gefühl hatte, unbedingt Erfolg haben zu müssen, wenn ich je die Siegesfeier neu protokollieren wollte. Deswegen war ich mehr als dankbar, als man mir anbot, ich könnte ein leerstehendes Büro im Ministerium unweit der Kantine nutzen, um dort die Arbeiten vor Ort zu koordinieren. Doch das alles, Speiseplan, Einkaufslisten, Dekorationen, gerieten eines Tages in den Hintergrund, als mein Minimuff Atlas ganz aufgeregt in mein Büro gewuselt kam.

II. Introduktion (Gleichberechtigung muss sein)

Wissenschaft in der Zaubererwelt basierte zum großen Teil auf Versuchen und Fehlschlägen, weniger darauf, Zusammenhänge schematisch oder mathematisch zu erfassen. Zaubertränke bildete hierbei eine gewisse Ausnahme, da die Interaktion der einzelnen Zutaten stets zu berücksichtigen war, aber oft ließen sich Interaktionen unterdrücken oder umwandeln, so dass sich letztlich wenig durch theoretischen Ansatz wirklich präzise vorhersagen ließ. Angesichts dieser Vorgehensweise war es vermutlich wenig verwunderlich, dass an den Zauberschulen gerade mal ein einziges Fach gelehrt wurde, dass sich mit Zahlen beschäftigte – Arithmantik – und es nach Abschluss einer Zauberschule gerade mal einen Geschäftszweig gab, wo jemand mit einer Vorliebe für Zahlen sich betätigen konnte – Finanzwesen im engeren wie im weiteren Sinn. Wer sich in seinem Beruf mit Zahlen beschäftigen wollte – und Inventuren verschiedener Läden zählten da nicht, wurden die meisten Läden doch mit einem selbsttätigen Inventurzauber vermietet – konnte sich also entweder bei Gringotts, der Zauberbank, bewerben und dort niederen Bankdienst versehen oder sich weiter zum Fluchbrecher ausbilden lassen und als solcher alte Zauber mathematisch analysieren, in der Hoffnung so herauszufinden, wie man diese ausschaltete, ohne selbst schaden zu erleiden, oder sich dem steuerlichen Verwaltungswesen anschließen, was in der Allgemeinheit mit überpedantischen Finanzpinseln gleichgesetzt wurde, oder sich in der freien Wirtschaft als Finanzberater betätigen.

Die meisten Menschen Zauberbritanniens neigten dazu, ihren Zeitgenossen gemäß der Schulhäuser, denen sie in Hogwarts angehört hatten, die ein oder andere Karriere in den oben beschriebenen Sektoren zuzuordnen. So waren es überwiegend Gryffindors, die, das Abenteuer suchend, sich zum Fluchbrecher ausbilden lassen würden. Ravenclaws hingegen vermutete man im Verwaltungswesen und Slytherins aufgrund ihrer Ambitionen erwartete man nicht außerhalb der freien Finanzwirtschaft zu sehen. Umso befremdlicher musste es daher für die meisten wirken, wenn sie erfuhren, dass Blaise Zabini, Slytherin und Jahrgangsgefährte von Harry Potter, dem Jungen, der überlebte, um Voldemort endgültig zu besiegen, ausgerechnet ein Finanzpinsel geworden war. Denn Blaise umgab so gar nicht die trockene Aura, wie sie derlei I-Punkt zentrierende Kümmelspalter an den Tag legten, die sich mit ihrem eher unbedeutenden Verwaltungsakt ungeheuer wichtig machen wollten. Aber Blaise war auch kein gewöhnlicher Finanzpinsel. Er war ein Finanzpinsel im Dienste der Internationalen Vereinigung von Zauberern und berichtete dem Supreme Mugwump höchstpersönlich. Und als ein solcher Finanzpinsel musste er sich nicht mit kleinlichen Verwaltungsangelegenheiten beschäftigen, wie etwa dem Eintreiben säumiger Strafgelder für Flohnetzmissbrauch oder betagten Hexen erklären, dass sie auch in diesem Jahrhundert Steuern zahlen müssten, dass es eben keine Altersbefreiung von Steuern gäbe und sie ihm auch keine Socken stricken bräuchten, wenn er sie von den Steuern befreite, weil er das nicht könne, da er die Vorschriften zu beachten habe. Als Finanzpinsel der Internationalen Vereinigung der Zauberer war es mehr seine Aufgabe, internationale Großgeschäfte zu überwachen, um Kartellbildung zu vermeiden, Verhandlungen mit Geldhäusern und Regierungen zwecks magischen Ausgrabungsarbeiten diplomatisch zu leiten und gelegentlich auch Firmen oder Ministerium hinsichtlich ihrer Haushalte zu überprüfen, wenn diese unter der Beobachtung der Vereinigung standen. Und gerade weil er in dieser Funktion dem Supreme Mugwump direkt berichtete, hatte sein Wort wirkliches Gewicht, hatte er selbst wirkliche Macht im internationalen Finanzwesen. Ohne, dass er dafür einem Klienten hätte schöntun müssen, wie es die freischaffenden Finanzberater tun mussten. Macht, wie sie eines ambitionierten Slytherin würdig war. Natürlich übersahen die meisten seiner Mitmenschen diesen Faktor. Ebenso wie die wenigsten von ihnen wussten, dass seine Arbeit bei weitem nicht daraus bestand, endlose Zahlenkolonnen auszuwerten. Denn die Zahlen, die er in seinem Beruf zu Gesicht bekam, waren in den seltensten Fällen die Zahlen, die er wirklich sehen wollte. Er war sich nur zu bewusst, dass die meisten Leute, egal ob private Unternehmen oder öffentliche Institutionen, die Prüfungsunterlagen zu ihren Gunsten ein wenig manipulierten. Und ehrlich gesagt, war es ihm ziemlich gleichgültig, ob der Chef seinen Privatbesen bei der jährlichen Inspektion der Firmenbesen auch mit untersuchen ließ und auch gleich über die Firma abrechnen ließ. Das waren kleine Fische. Wenn aber in den Unterlagen ein ganzer Flugpark an Besen aufgeführt war, mit allen sich daraus ergebenden Abschreibungsmöglichkeiten, sich aber kein Besen außer dem des Chefs auffinden ließ, sah das schon anders aus. Denn die Firmen und Institutionen, die sich an die Internationale Vereinigung der Zauberer wendeten, taten dies nicht ohne Grund und nicht ohne daraus folgende Auflagen. Meist waren es für das Allgemeinwohl wichtige Firmen und Institutionen, die aufgrund verschiedener Umstände am Abgrund standen und aufgrund anderer Umstände unabhängige Unterstützung brauchte. Oder es ging um den Austausch heikler Informationen, bei denen die Internationale Vereinigung als unabhängige Wächter bestellt wurden, um zu verhindern, dass die eine oder die andere Seite mit den ihnen anvertrauten Informationen Schindluder trieb. Und Finanzen waren eben der Punkt, wo sich Schindluder am offensichtlichsten niederschlug. Natürlich nie in den offiziellen Unterlagen, aber Blaise hatte ein untrügliches Gespür für Zahlen, so dass er es förmlich riechen konnte, wenn die Papier manipuliert waren. Wobei sein Gespür für Zahlen ihm dann untrüglich half, die Manipulation zu finden, da kein Zauberer, egal wie gewissenhaft, einen Manipulation fortlaufend fehlerfrei beibehalten konnte. Irgendwann kam es zu einer winzigen, eigentlich vernachlässigbaren Unregelmäßigkeit und schon hatte Blaise einen Anfang an dem er dann das gesamte Rätsel auflösen konnte.

Sein aktueller Auftrag allerdings, so sein Chef, war eher als Erholungsauftrag gedacht. Es galt als erste Stichprobe der Vereinbarung das britische Ministerium für Zauberei und seinen Haushalt zu überprüfen.

Kaum, dass seinerzeit nach dem endgültigen Fall Voldemorts Kingsley Shacklebolt zum Interimsminister und später per Wahl in seinem Amt bestätigt worden war, hatte dieser sich daran gemacht, das Ministerium wieder aufzubauen. Natürlich mit allen notwendigen Reformen, die sich aus der Lektion, die Voldemort Britannien erteilt hatte, ergeben hatten. Doch dabei hatte er sehr schnell feststellen müssen, dass viele Abteilungen längst nicht so effektiv wirtschafteten, wie sie eigentlich sollten, und dass in der Vergangenheit die sich daraus ergebenden Haushaltslöcher zu mehr als einhundert Prozent durch private Spenden gestopft worden waren. Natürlich konnte man die einzelnen Abteilungen dazu anhalten, mit dem ihnen zugeteilten Etat auszukommen, aber Wiederaufbau bedeutete weit mehr als das. Und um nicht wieder von privaten Spenden abhängig zu werden, hatte Shacklebolt daraufhin das einzig Vernünftige getan: Er hatte sich an die Internationale Vereinigung der Zauberer um Unterstützung gewandt. Eine Unterstützung, die gerne gewährt wurde, jedoch wie stets an Bedingungen geknüpft wurde, worunter auch eine unregelmäßige Überprüfung des Haushalts gehörte, um sicherzustellen, dass man in Zauberbritannien nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückfiel und sich so ein neuer Voldemort wieder einkaufen konnte. Da aber dies die erste Überprüfung wäre und zudem der Fall Voldemorts erst wenige Jahre zurück lag, war davon auszugehen, dass Blaise keinerlei Unregelmäßigkeiten vorfinden würde und stattdessen ausreichend Zeit haben würde, sich mit alten Freunden und Bekannten zu treffen.

Soweit der Plan. Aber Pläne waren ja bekanntlich dazu da, über den Haufen geworfen zu werden. Und so hatte sich Blaise noch keine zwei Tage mit den Unterlagen, die ihm der Minister durch seinen persönlichen Assistenten hatte überbringen lassen, beschäftigt, als sein Gespür für Ungereimtheiten anschlug.

Wie es schien, hatte man gemeinhin beschlossen, den Froschungsetat allseits aufzustocken, was an und für sich eine gute und zu befürwortende Idee war. Denn Forschungsergebnisse ließen sich wiederum vermarkten und brachten letztlich wieder mehr Geld in die Kassen. Es mochte auch für das erste Jahr ein hinreichender Anreiz gewesen sein, allen Abteilungen das gleiche Mehr-Budget zuzugestehen, damit jede Abteilung ordentlich Gehirnschmalz investierte, interessante Forschungsprojekte auszuarbeiten, die fortzusetzen sich für das Ministerium lohnte. Aber im zweiten Jahr wiederum allen Abteilungen das gleiche Forschungsbudget zuzuteilen? Und auch im dritten Jahr? Selbst wenn man sich vom Verdacht reinwaschen wollte, bestimmte Abteilungen vielleicht zu bevorzugen, müsste sich spätestens nach zwei Jahren das ein oder andere Projekt als unrentabel erwiesen haben, während andere Projekte durchaus durch einen entsprechend höheren Etat schneller zu profitablen Ergebnissen kommen konnten. Ganz abgesehen davon, dass nicht jede Abteilung sich für Forschungsprojekte eignete. Schließlich konnten Verwaltungsabteilungen, die lediglich mit Papierkram beschäftigt waren, den Locher auch nur einmal erfinden. Irgendetwas stimmte hier eindeutig nicht.

Die offizielle Vorgehensweise sah nun vor, dass Blaise die einzelnen Abteilungen würde besuchen und mit dem jeweiligen Abteilungsleiter sprechen müssen. Eine auf den ersten Blick fruchtlose Angelegenheit, denn erstens misstrauten ihm die Ministeriumsmitarbeiter per se, als würde er sie zur Rechenschaft ziehen, bloß weil er zufällig mitbekam, wie sie Ministeriumseulen für den Transport privater Post benutzten und zweitens würde kein Ministeriumsmitarbeiter bei einer offiziellen Untersuchung zu Protokoll geben, dass er das Gefühl habe, das Budget seiner Abteilung wäre zu reichlich bemessen. Und der unausgesprochene Ehrenkodex verlangte, dass man gleichzeitig auch nicht behauptete, man könne durchaus einen größeren Etat gebrauchen und vorschlagen die dafür notwendigen Mittel einer bestimmten Abteilung zu entziehen. Denn wenn man erst einmal auf die Art versuchte, sich bei einem Prüfer Liebkind zu machen, trat man damit eine Lawine von verleumderischen Gerüchten los, die rasch in Grabenkämpfe ausarteten und ein Ministerium handlungsunfähig machten. Oder vereinfacht gesagt: Wer als erster den Stein warf, musste damit rechnen, dass alle übrigen nach der Kindergartenregel ‚Wie du mir, so ich dir’ handelten.

Manchmal aber gelang es einem auch, zwischen den Zeilen interessante Dinge zu erfahren. Etwa, wenn eine Abteilung besonders stolz auf eine Idee war. Oder wenn man versuchen wollte zu verstecken, dass man gar kein Forschungsprojekt hatte und stattdessen die dafür zur Verfügung gestellten Geldmittel benutzte, um eine vernünftige Abteilungsweihnachtsfeier auszurichten. Letzteres war vermutlich der betreffenden Abteilung nicht einmal zu verdenken, war doch der Anteil im Budget, der für Weihnachtsfeiern vorgesehen war, nach dem, was Blaise gesehen hatte, geradezu lächerlich, obgleich allseits bekannt war, dass Weihnachtsfeiern im richtigen Rahmen zu mehr Kollegialität und daraus folgend mehr Produktivität im nächsten Jahr führten. Und gerade die Verwaltungsabteilungen konnten kaum, wie andere Abteilungen, durch die siebenunddreißigste Erfindung des Lochers ihr Weihnachtsfeierbudget aufstocken, benötigten aber vielleicht mehr noch als andere Abteilungen den kollegialen Zusammenhalt.

Aus der Summe all dieser Beobachtungen, so hoffte Blaise, würde es ihm vielleicht gelingen, einen brauchbaren Hinweis zu erhalten.
 

Den ersten Hinweis in diese Richtung erhielt er in der Abteilung für restriktierte Zaubertränke. Ein eher unauffälliger Satz und vermutlich dazu angetan, Blaise davon zu überzeugen, wie angetan alle hier von Minister Shacklebolts Arbeit waren.

„Wir waren vielleicht ein wenig überrascht, aber auf jeden Fall mehr als froh, als Minister Shacklebolt von der zentralisierten Forschung die Budgets wieder auf die Abteilungen und damit in unsere Obhut übergab.“

„Und zugleich Ihren Etat auch ein wenig aufstockte“, lockte Blaise mit einem einnehmenden Lächeln, doch der betreffende Abteilungsleiter schwieg. Was sich im nachhinein als weiterer Hinweis herausstellte. Denn kein einziger Abteilungsleiter, mit dem Blaise sprach, erwähnte die Budgeterhöhung. Nicht bei jedem sprach Blaise diesen Punkt an, aber trotz genauem Zuhören, konnte er auch zwischen den Zeilen keine einzige greifbare Reaktion bezüglich des erhöhten Forschungsetats feststellen. Es hatte fast den Anschein, als gäbe es für diese Abteilungen diese Mehrmittel gar nicht. Weshalb sich für Blaise nun folgende Fragen ergaben:

1) Wenn Minister Shacklebolt die Forschung wieder dezentralisiert hatte, ließ das darauf schließen, dass unter Voldemort die Forschung zentralisiert worden war. Bei einem Despoten und Kontrollfreak wie Voldemort nicht von der Hand zu weisen. Aber welche Projekte waren zentralgesteuert verfolgt worden? Keine der Abteilungen hatte etwas von den Schreckenserfindungen verlauten lassen, die man unter Voldemorts Herrschaft hätte vermuten können. Keine fleischfressenden Flüche als Zwangsprojekte für die Zauberkunstabteilung, keine Spionagetropfen in der Zaubertrankabteilung, keine Verwandlungen, die es einem erlaubten, innere Organe von Gegnern in Steine zu verwandeln. Was also hatten diese Abteilungen in dem Jahr entwickelt?

2) Wenn keine der Abteilungen über ein größeres Budget verfügten, wo floss dann das ganze Gold hin, das auf dem Pergament für die Forschung zur Verfügung gestellt wurde?

Die erste Frage ließ sich vermutlich mit einem gründlichen Blick in die geheimen Archive des Ministeriums beantworten – es sei denn natürlich ein übereifriger Mitarbeiter hatte dort alle Spuren von Voldemorts Herrschaft getilgt. Ob um sich selbst zu schützen oder um den Neuanfang wirklich bei Null beginnen zu lassen, wäre dabei unerheblich. Die zweite Frage hingegen war eigentlich genau der Grund, weshalb Blaise hier war, würde sich aber ungleich schwieriger beantworten lassen. Denn er konnte schlecht Minister Shacklebolt mit dem konfrontieren, was er bislang hatte. Nichts davon ließ sich einwandfrei beweisen, vieles basierte nur auf seinen Schlussfolgerungen, die wiederum aus einer Mischung aus Erfahrung und Bauchgefühl herrührten.

Weshalb Blaise beschloss, sich erst einmal auf die erste Frage zu konzentrieren. Denn so wie sich sein Bauchgefühl anfühlte, war bei weitem nicht auszuschließen, dass beide Fragen irgendwie zusammenhingen und wenn er eine Frage beantworten konnte, bestand die Chance, dass er der Lösung des zweiten Rätsels schon ein gutes Stück näher war.
 

„Wie bitte? Ich soll Ihnen uneingeschränkten Zugriff auf die Archive des Zaubereiministeriums von Britannien gewähren, Mr. Zabini?“ Irritiert sah der hochgewachsene dunkelhäutige Minister den Jüngeren an. „Wissen Sie da, was Sie von mir verlangen? Dort lagern Geheimnisse aus vergangenen Zeiten, die selbst heute noch, sollten sie publik werden, zu einem Krieg zwischen Rassen oder Nationen führen könnten. Noch nicht einmal die Unsäglichen haben uneingeschränkten Zugriff darauf. Einzig der amtierende Zaubereiminister verfügt über einen solchen Zugriff und selbst hier sind in dem Eid, den ein Minister bei Amtsantritt schwören muss, extreme Klauseln enthalten, die stärker sind als ein unbrechbarer Schwur, so dass es einem Amtsinhaber selbst nach seinem Ausscheiden unmöglich wäre, etwas darüber zu sagen. Und noch etwas: Ohne diesen Schwur ist es unmöglich bestimmte Bereiche des Archivs zu betreten.“

Blaise seufzte. Er hatte geahnt, dass es nicht einfach werden würde, aber dass es sich so kompliziert gestalten würde... Immerhin wuchs durch diese Sicherheitseinrichtungen die Chance, dass das, was er suchte, tatsächlich in den Archiven zu finden war. Es müsste ihm irgendwie gelingen, seine Suche einzugrenzen, dann könnte ihm Shacklebolt auch einen lediglich eingeschränkten Zugriff gewähren. „Die Unterlagen, die ich suche, fallen in die Herrschaftszeit Voldemorts. Also keineswegs jene uralten Geheimnisse, die den internationalen Frieden gefährden, Minister.“

„Aber auch Voldemorts Herrschaft ist vergangen... Sie können mir glauben, manches, was ich beim Aufräumen dieses Büros gefunden habe, hätte ich lieber nie zu Gesicht bekommen.“ Kingsley Shacklebolt schien bei diesen Worten sichtbar zu altern. „Es wäre geradezu naiv anzunehmen, dass Voldemort sich mit Britannien zufrieden gegeben hätte.“

Das war ein Punkt, den Blaise nicht von der Hand weisen konnte. Dann aber kam ihm eine Idee. Es war unwahrscheinlich, dass diese Geheimnisse, die Shacklebolt schützen wollte, alle Abteilungen umfasste. „Gibt es unter den folgenden Abteilungen eine, deren vollständige Wochenberichte der vergangenen fünf Jahre Sie mir uneingeschränkt zur Verfügung stellen könnten? Von Interesse wären die wissenschaftlichen Abteilungen: Tränke, Zauber, Verwandlungen.“ Das waren die Abteilungen, in denen Blaise bei seinen Untersuchungen in den vergangenen Tagen die vielversprechendsten Forschungsaktivitäten gefunden hatte.

„Bedaure, die einzige ‚Abteilung’ deren Berichte ich Ihnen guten Gewissens zur Verfügung stellen könnte, wären die der Kantine.“

Kantine? Wollte Shacklebolt ihn verarschen? Blaise war kurz davor, den Minister mit dem zu konfrontieren, was er bislang an Unstimmigkeiten herausgefunden hatte und von diesem eine Erklärung zu verlangen. Doch er riss sich am Riemen. Wenn er jetzt die Zügel schießen ließ, erntete er bestenfalls Halbwahrheiten, erreichte aber weiter nicht viel. „Und wenn ich einen ähnlich starken Schwur leistete wie Sie, Minister? Ich möchte den internationalen Frieden genauso wenig gefährden, wie Sie, und als Mitarbeiter der Internationalen Zauberervereinigung wäre es nicht der erste antike Eid, den ich leisten müsste.“

Shacklebolt schüttelte nur müde den Kopf. „Dieser spezielle Teil des Antrittseids kann nur von einer Person zu einer Zeit gesprochen werden. Erst, wenn der Minister den Amtsaustrittseid schwört oder verstirbt, ist sein Nachfolger in der Lage, den Antrittseid zu leisten. Deswegen müssen Sie sich wohl oder übel mit den Kantinenberichten zufrieden geben, Mr. Zabini. Ich werde dafür sorgen, dass mein Assistent sie Ihnen heute Nachmittag vollständig überbringt.“

Blaise wusste, dass er damit aus der Unterredung entlassen war. Doch was bei Morgana sollte er mit den Wochenberichten der Kantine anfangen? Die Anzahl der eingekauften Kartoffeln würde ihm wohl kaum mehr Aufschluss über die Forschungsangelegenheiten des Ministeriums in Voldemorts Jahr gewähren, als gar kein Bericht.

Dennoch gebot es die ihm eigene Gründlichkeit, dass er auch diese Akten studierte. Und vielleicht sollte er bei der Gelegenheit sich auch mal diese ominöse Kantine ansehen...

III. Hinweise & Spuren

Atlas war nicht jener Minimuff, den ich im Sommer vor meinem fünften Hogwartsjahr bei meinen Brüdern gekauft hatte, sondern jener Minimuff, den ich im Sommer darauf von ihnen erhielt. Mein erster Minimuff war nämlich bei dem Gefecht um den Astronomieturm zwischen die Fronten, oder eher gesagt unter die Stiefel geraten. Es ist schon erstaunlich, wie viele Weasley-Charakterzüge Minimuffs aufwiesen. Und mein erster Minimuff hatte die notorische Angewohnheit, sich des nachts aus dem Gryffindorturm zu schleichen. Eine Angewohnheit, die ihm letztlich zum Verhängnis geworden war. Atlas hingegen war eines der unverkäuflichen Exemplare gewesen. Einer jener Minimuffs, die in ihren Charakterzügen unter den Weasleys meinen Zwillingsbrüdern weit mehr glichen als gut für sie war. Und so hatte sich Atlas ausgerechnet in der Entwicklungswerkstatt meiner Brüder herumgetrieben, als diese mit Demiguisehaaren und Ingwerextrakt an ihren Unsichtbarhüten arbeiteten. Atlas hatte die Tinktur, die als Zwischenschritt dieser Produkte verwendet wurde, für Wasser gehalten und da er wohl durstig gewesen war, gierig getrunken. Und konnte sich seitdem unsichtbar machen. Wobei er eigentlich überwiegend unsichtbar war. Das erste Mal, dass er nach diesem Unfall sichtbar geworden war, war als er in einen Topf grün-blauer Malfarbe – die Zwillinge hatten ihren Laden streichen wollen – gefallen war. Er hatte Fred und George spontan an die große Weltkugel, wie sie auf Dads Muggelatlas abgebildet war, erinnert, so dass sie diesen Minimuff fortan Atlas nannten. Es hatte ein paar Untersuchungen gebraucht, doch letztlich hatten Fred und George herausgefunden, dass simples Wasser ebenfalls genügte, Atlas sichtbar zu machen. Während all der Untersuchungen hatte sich Atlas als überaus intelligenter Minimuff erwiesen, und nachdem das Ministerium gefallen war, hatten meine Brüder gewusst, dass ich ein so intelligentes Haustier wie Atlas dringender brauchen würde, als sie. Und sie hatten recht behalten. Atlas und ich hatten jenes schreckliche Jahr in Hogwarts überlebt, wobei sich Atlas als überaus kreativer Minimuff erwiesen hatte, der mehr als bereitwillig mir bei meinen Missionen innerhalb Hogwarts geholfen hatte. Wir hatten sogar eine Form der Kommunikation entwickelt, bei der Atlas Zeichen laufen lernte und mir so die wichtigsten Dinge signalisierte. So stand etwa eine dreifache Zickzackwelle für Hogwarts und ein S mit geschlossenem unteren Bauch für Snape. Es war eine überaus wirkungsvolle Kommunikation geworden.

Gerade weil Atlas so unauffällig und überlebenserprobt war, hatte ich mir im Laufe der Zeit angewöhnt, meinen Minimuff auch zu meiner Arbeit mitzunehmen. Nicht selten war es bei vergangenen Aufträgen schon vorgekommen, dass Atlas unsichtbar im Nebenraum den geheimen Wünschen von Betroffenen in Form unzufriedenen Gemurmels gelauscht hatte und es mir so ermöglicht hatte, Details in meiner Planung so anzupassen, dass letztlich alle zufriedengestellt waren. Nun im Ministerium hatte ich ihn kommen und gehen lassen, wie er wollte, stets sicher, dass er mir ob meiner Bemühungen immer das ehrlichste Feedback von den Angestellten, die in der Kantine gegessen hatten, bringen würde.

Doch mit dem, was mir Atlas an diesem Tag berichtete, hätte ich nun nie im Leben gerechnet.

„Was? Atlas, langsamer!“, verlangte ich, nachdem mein Minimuff erst in die allgegenwärtige Wasserschüssel gesprungen war und nun wie ein wild gewordenes Meerschweinchen über meine frisch abgeschriebenen Speise- und Dekorationspläne flitzte, offenbar zu aufgeregt mitzubekommen, dass ich bei diesem Gewusel kaum ein Zeichen von dem anderen unterscheiden konnte.

Wieder und wieder rannte Atlas die gleichen Formen, bis ich schließlich erkannte, dass er von einem meiner Brüder sprach, dann, dass er einen der Zwillinge meinte, doch als ich „George?“ fragte, bekam ich das Zeichen für ‚anderer’ serviert. „Fred? Was ist mit Fred?“ Was hatte mein Minimuff drei Jahre nach Freds Ableben plötzlich über meinen toten Bruder entdeckt?

LEBEN rannte Atlas wieder und wieder das Zeichen über das Papier, bis die Tinte soweit verschwommen war, dass ich eher an den entstandenen Pfützen entzifferte als an Atlas’ Bewegungen, was er mir mitteilen wollte, so sehr sträubte sich mein Kopf zu verstehen, was der Minimuff da sagte.

„Fred lebt?“, stieß ich schließlich ungläubig hervor. Aber das konnte nicht sein! Wir hatten ihn doch begraben, wir...

Doch Atlas ließ sich nicht beirren. Wieder und wieder schrieb er, dass mein toter oder wenigstens todgeglaubter Bruder lebte. Dass er ihn gesehen hatte!

Das riss mich dann aus meiner schockähnlichen Starre. Atlas hatte meinen Bruder Fred gesehen. Hier im Ministerium. Und ich zweifelte keinen Moment daran, dass Atlas wirklich Fred und nicht George gesehen hatte. Schließlich hatte Atlas schon bei mir gelebt, als George sein Ohr verloren hatte. Er konnte also die Zwillinge unterscheiden. „Wo hast du ihn gesehen?“, brach es aus mir heraus.

Leider konnte mir Atlas diese Frage nicht zufriedenstellend beantworten. Denn unsere Kommunikation hatte auch ihre Grenzen.

Es kostete mich den restlichen Nachmittag, um herauszufinden, dass Atlas sich in der Küche herumgetrieben hatte, unsichtbar auf der Schulter einer der Hauselfen reitend, als dieser Hauself plötzlich innerhalb des Ministeriums appariert war und dabei Atlas mitgenommen hatten. Atlas wusste natürlich nicht, wo sie sich dann befanden, aber wo auch immer er war, er hatte dort Fred gesehen. Der Hauself hatte ein Tablett mit Essen abgestellt und war dann wieder zurück appariert. Wiederum mit Atlas im Schlepptau. Und danach war Atlas zu mir gekommen.

So lange es auch gedauert hatte, mir diese Geschichte mitzuteilen, so erfreut war ich, als ich damit am Ende wenn auch nicht den Aufenthaltsort Freds, so doch die Auskunft, wer mir diese Information mitteilen konnte, erfahren hatte. „Oh Atlas! Du bist der Größte!!“ Und ich drückte überglücklich den Minimuff an mich.

Wie würde meine Familie staunen, wenn sie plötzlich erführen, dass Fred lebte? Wenn ich ihnen Fred heimbringen könnte? Und vor allem erklärte es endlich, weshalb George von allen Familienmitgliedern Freds Tod ohne größere Trauer überwunden hatte. Denn gerade bei Zwillingen hätte man doch meinen sollen, dass der Verlust des Bruders, seiner anderen Hälfte, George stärker mitnehmen müsste als Bill, Charlie oder mich. Was, wenn George die ganze Zeit gewusst hatte, dass Fred noch am Leben war? Aber wenn Fred noch am Leben war, wen hatten wir dann beerdigt? Egal, jetzt wollte ich erst einmal meinen doch unter den Lebenden weilenden Bruder finden!

„Tamso immer bringt Essen in Ideen-werden-wahr-Raum. Aber Tamso nie jemanden mitnehmen kann. Tamso schlechter Elf...“

An dieser Stelle musste ich eingreifen, denn sonst hätte ich plötzlich einen Hauselfen vor mir gehabt, der aufgrund der gusseisernen Bratpfanne morgen wegen Kopfschmerzen nicht wirklich einsatzfähig gewesen wäre.

Leider brachte mich die Aussage des Elfen nicht wirklich weiter. Es war aber auch zu blöd, dass Hauselfen gerade Orte nicht immer so benannten, wie wir Menschen. Ein ähnliches Beispiel war die Namensdiskrepanz bezüglich des Raums der Wünsche in Hogwarts. Aber immerhin waren Hauselfen sehr bildlich in ihren Namen. Ich musste also nur noch herausfinden, was sich hinter einem Ideen-werden-wahr-Raum verbergen könnte. Vielleicht ein Forschungsraum? Oder der Gesetzinitiierungsraum? Zu viele Möglichkeiten schossen mir durch den Kopf, weshalb ich letztlich auf die für eine ehemalige Gryffindor offensichtlichste Idee verfiel: Ausprobieren. Ich würde einfach, wenn alle Leute hier im Ministerium Feierabend machten, Atlas mit mir in jede Abteilung nehmen, zur Not jeden Raum und ihn fragen, ob das dem Ort entsprach, wo er Fred gesehen hatte. Da die Stockwerke sich allesamt deutlich unterschieden müssten wir früher oder später auf das richtige stoßen!
 

***
 

Wer bitte schön war auf die Idee gekommen, eine Hauselfe zum Abteilungsleiter zu ernennen?

Fassungslos starrte Blaise auf den Berg Berichte, die allesamt in dem grammatikalischen Kauderwelsch der Hauselfen abgefasst waren und die Wochenberichte der Kantine darstellten. Und was noch schlimmer war, wer auch immer diese unterbeschäftigte Hauselfe war, sie hatte wirklich alles aufgeschrieben. Einschließlich des gerade angesagten Hauselfenklatsches. Als ob er wissen wollte, ob die Art, wie man ein Geschirrtuch um den Körper knotete einen Elf schlanker oder dicker wirken, oder gar die Ohren spitzer aussehen ließ. Wobei offenbar spitze Ohren bei Hauselfen als attraktiv galten.

Blaise stöhnte bei dem Gedanken daran, sich noch durch zig solcher Berichte lesen zu müssen. Wenn er wenigstens einen Anhaltspunkt, ein Schlagwort gehabt hätte, wonach er suchen musste, dann hätte er einen entsprechenden Zauber auf die Berichte legen und so das ganze Verfahren vereinfachen können.

Etwas Warmes stupste ihn von der Seite an und als Blaise von dem Pergamenthaufen aufsah, fiel sein Blick auf Sudoku, seine Schwarzsamtaugenechse. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen auf, als er seinem tierischen Gefährten über die weißen Schuppen strich. Doch Sudoku hatte offenbar etwas anderes im Sinn, stupste sie doch mit ihrer schwarzen Nase den in der Innentasche seines Umhangs steckenden Muggeledding an. Blaise lachte leise. „Du meinst, ich sollte meine Gedanken sortieren, in dem ich mich auf etwas anderes konzentriere?“

Die schwarzen Samtaugen blinzelten kurz, um Zustimmung auszudrücken, dann wandte die Echse Blaise die glatte Seite zu, so dass dieser, wie schon so häufig, auf ihre Schuppen ein Sudoku zaubern konnte. Es war die Bereitschaft seine Rätseleien und häufig daraus resultierenden Kritzeleien auf den Schuppen zu ertragen, die Blaise dazu bewogen hatten die Echse von ‚Whitey’, wie seine Mutter das seltene Tier ursprünglich – offenkundig aufgrund der Schuppenfarbe und somit wenig einfallsreich – getauft hatte, in Sudoku umzubenennen.

Blaise war selten in der Lage zu widerstehen, wenn Sudoku von sich aus anbot, als Rätseloberfläche zu dienen und bald schon zierte ein 9x9-Gitter die weißen Schuppen, in dem sich scheinbar wahllos Zahlen befanden.

Während er Einsen und Dreien verglich, Siebenen eintrug und Achten ermittelte, klärten sich seine Gedanken und nur noch Zahlen und Logik existierte. Hier Zahlen ausschließen, dort optionale Lösungen vormerken, Rückschlüsse ziehen... und als er die letzte Zahl eintrug, hatte er des Rätsels Lösung!

Die Berichte waren alle mehr als gewissenhaft abgefasst worden, was allein die zahlreichen Klatschbestandteile belegten. Folglich war davon auszugehen, dass besagte Abteilungsleiterelfe auch wirklich alles notiert hatte, was sich in den betreffenden Wochen zugetragen hatte. Zugleich aber war davon auszugehen, dass wenn Blaise in diesen Berichten etwas entdecken wollte, das ihm bei seiner eigentlichen Aufgabe half, es sich um etwas handelte, worüber zu berichten den Elfen verboten worden war. Und was tat eine gewissenhafte Elfe, die über etwas berichten wollte, das sie nicht berichten durfte? Sie tat genau dies: Sie schrieb in dem Bericht über ein Ereignis, dass sie nicht berichten durfte. In mehr oder weniger exakt dieser Formulierung. Einer Formulierung, nach der sich suchen ließ!

„Danke Sudoku, du bist die Größte!“
 

Tatsächlich gab es in den Wochenberichten eine ganze Fülle an nicht-berichtbaren Einträgen, aber immerhin erlaubte diese Einschränkung es Blaise sich direkt auf das Jahr von Voldemorts Herrschaft (unter dem Deckmantel von Pius Thicknesse als Minister) zu konzentrieren. Natürlich waren die Geheimnisse in dieser Zeit noch dichter gesät. Aber schlussendlich stieß Blaise doch auf den Eintrag, nach dem er gesucht hatte, ohne zu wissen wie er genau aussah:

„Wir Hauselfen überall hinkönnen im Ministerium. Wir Hauselfen sogar überall außerhalb des Ministeriums hinkönnen, wenn wir den Auftrag erhalten. Das weiß jedes Hauselfenkind. Wieso fragt dann Minister Thicknesse ob es möglich ist, dass Hauselfen Essen über lediglich acht Stockwerke transportieren, damit die, von denen niemand wissen darf, an dem Ort, über den den Hauselfen zu sprechen untersagt wurde, nicht verhungern? Natürlich können wir das!“

Oha! Gekränkte Hauselfe... Blaise schüttelte innerlich den Kopf über Thicknesses diplomatischen Fauxpas. Dann aber überlegte er...

Die Kantine, und somit das Refugium der Hauselfen, lag auf einem mittleren Flur des Zaubereiministeriums, genauer gesagt im fünften Stockwerk, so dass alle Angestellten einen angemessen kurzen Weg dorthin hatten, wenn sie sich dort ihr Mittagessen holen wollten. Da aber das Ministerium nur 10 Stockwerke gesamt hatte, konnte die Aussage der Abteilungsleiterelfe mit dem Transport über acht Stockwerke nicht stimmen. Oder etwa doch? Gab es etwa im Ministerium Stockwerke, die vor der allgemeinen, arbeitenden Bevölkerung geheim gehalten wurden? Und wenn ja, was verbarg sich dort?

„Blaupausen! Ich brauche die Bauzeichnungen des Ministeriums!“, stieß Blaise aufgeregt hervor. Schließlich war nicht auszuschließen, dass das Ministerium ursprünglich noch mehr Stockwerke umfasst hatte, die aber im Laufe der Zeit und im Zuge des auch in der Zaubererwelt spürbaren Fortschritts nicht mehr gebraucht wurden und dann in Vergessenheit geraten waren. Was, wenn Voldemort von diesen Stockwerken gewusst und diese wieder in Gebrauch genommen hatte?

Für einen Moment wurde Blaise ganz übel bei dem Gedanken dort vielleicht das Zauberäquivalent einer Muggel-Folterkammer samt kürzlich dorthin verbrachter Opfer am Ende seiner Suche vorzufinden, doch dann riss er sich zusammen und machte sich auf den Weg in das Archiv. Denn die alten Baupläne würden wohl kaum so geheim sein, dass er deswegen eine Erlaubnis des Ministers benötigte.
 

***
 

Weshalb konnten Zaubereiministeriumsangestellte nicht dem allgemeingängigen Klischee von Beamten folgen und brav um spätestens 17 Uhr den Federkiel fallen lassen und nach Hause eilen? Feierabend war doch schließlich der einzige Zeitpunkt, wo Beamten-Mikado nach Mankomania-Regeln gespielt wurde... Aber nein, natürlich musste es auch im Zaubereiministerium jene unterrepräsentierten Mitarbeiter geben, für die Beruf von Berufung kam und die folglich nicht eher heimgingen, bis nicht auch der letzte Vorgang des Tages sorgfältig abgeschlossen war (selbst wenn das bedeutete, bis nach elf Uhr abends im Büro zu sitzen, wie mir ein Blick auf meine Armbanduhr verriet), oder aber die notorischen Speichellecker, die hofften mit ein paar abgesessenen, unproduktiven Überstunden ihren Vorgesetzten beeindrucken und so eine Beförderung erlangen zu können. Früher hätte ich ohne zu zögern meinen älteren Bruder Percy in die letztgenannte Kategorie gesteckt, auch wenn er schon damals mit übermäßiger Sorgfalt Kesselwandstärken verglichen hat, aber seit der Schlacht um Hogwarts war er wieder deutlich menschlicher geworden. Gut, das änderte nichts daran, dass er nach wie vor notorisch lange abends im Ministerium war, allerdings aus anderem Grund. Einem Grund, von dem Mum noch nichts ahnte, machte er doch sämtliche Enkelkinderwünsche, die sie vielleicht für Percy hätte heben können, zunichte. Aber man konnte nicht in der Klatschzentrale des Ministeriums, aka der Kantine mit all ihren klatschsüchtigen Hauselfen, beschäftigt sein, ohne nicht mitzubekommen, dass Percy dem Minister wohl bei mehr assistierte als bei dem täglichen Schreibkram. Nämlich etwa bei der Abendgestaltung im privaten Umfeld... Ich vermute ja stark, dass Dad, der ja ebenfalls im Ministerium arbeitet und somit auch etwas von dem Klatsch mitbekommen müsste, einfach nur wissentlich die Augen vor der Wahrheit verschließt, denn solange er es nicht weiß, muss er es Mum auch nicht erzählen. Denn Dad ist furchtbar schlecht darin, Dinge vor Mum geheim zu halten, oder gar sie zu belügen. Aber solange er etwas nicht wirklich weiß... Ich persönlich finde ja, dass die beiden, also Percy und Kingsley, sich gut ergänzen, und ich bezweifle auch nicht, dass Kingsley gut in die illustre Runde passen würde, die sich stets zum allsonntäglichen Mittagessen einfindet. Wenn Percy denn mal den Mut findet, Mum reinen Wein einzuschenken. Aber das wird er früher oder später, schließlich war auch er ein Gryffindor und Kingsley ist auch nicht gerade duckmäuserisch veranlagt. Überhaupt ist unser Minister in etwa so weit von einer Maus entfernt, wie ein Minimuff von einem Drachen.

Apropos Minimuff... Auch bei diesem Stockwerk, das glücklicherweise im Gegensatz zu den vorigen Stockwerken einmal tatsächlich wie ausgestorben war, schüttelte Atlas seinen Minimuffkopf. Hier war er auch nicht mit dem Hauselfen Tamso gewesen.

Entschlossen marschierte ich zu den Treppen und begab mich in das nächst tiefer gelegene Stockwerk. Es war wirklich angenehm, dass das Ministerium unterirdisch gebaut war. Denn die Sorgfalt meiner Suche schloss die Benutzung des Fahrstuhls verständlicherweise aus. Allerdings hoffte ich, dass meine Suche letztlich in einem Stockwerk enden würde, das noch in Fahrstuhlreichweite war. Denn der Gedanke am Ende eine nicht abzuschätzende Anzahl Treppen wieder emporklimmen zu müssen, stimmte mich selbst nach sieben Jahren Treppentrainings in Hogwarts nicht gerade froh. Und doch führte mich meine Suche immer tiefer in die Gewölbe des Ministeriums. Soeben hatte ich die harmlos wirkenden Tore der Mysteriumsabteilung hinter mir gelassen, was gleichzeitig auch einen Abschied von den Fahrstühlen bedeutete. Aber, so schöpfte ich Mut, jetzt gab es nur noch die Ebene mit den Gerichtssälen, dann hätte ich das ganze Ministerium durchsucht. Es musste einfach das nächste Stockwerk sein!

Oder auch nicht. Denn Atlas ließ sich selbst nach gutem Zureden nicht dazu überreden, zu nicken. Es war also immer noch nicht das richtige Stockwerk. War mein kluger Minimuff am Ende in irgendeinem obskuren Trakt der Mysteriumsabteilung, zu dem ich selbstredend keinen Zugang hatte, gewesen? Aber nein, die zauberhafte Bausubstanz des Ministeriums beruhte auf einem Schichtzauber, wie mir Hermione einmal erklärt hatte, und dieser Schichtzauber war für magische Wesen, einschließlich Hexen, Zauberer und auch Minimuffs deutlich spürbar. Oder anders ausgedrückt: Jedes Stockwerk hatte seine eigene magische Grundsignatur, die sich über das ganze Stockwerk erstreckte. Und die Mysteriumsabteilung bildete da keine Ausnahme.

In diesem Moment krabbelte eine Spinne an der gegenüberliegenden Wand, gerade noch im schwachen Schein meines Zauberstabes sichtbar, hastig um die Ecke. Und augenblicklich erwachte in Atlas der Jagdtrieb. Hatte ich schon erwähnt, dass mein lieber Minimuff nichts lieber fraß als Spinnen? Nein? Jetzt jedenfalls wurde ich wieder mit aller Gewalt daran erinnert. Und ein jagender Minimuff kann verdammt schnell sein, weshalb ich mich beeilen musste, meinem kleinen Suchkumpanen hinterher zu eilen, während dieser die Spinne verfolgte.

Leider sind wir Menschen längst nicht so trittsicher wie die meisten Tiere, egal ob magisch oder nicht, wenn wir etwas im Dunkeln verfolgen – von unserer mangelnden Nachtsicht einmal gänzlich abgesehen. Was in meinem Fall im wahrsten Sinne zu einem Fall führte, nämlich direkt eine Treppe hinab, von deren Existenz ich bis zu diesem Moment keinen blassen Schimmer gehabt hatte. Die gute Nachricht: Es gab noch mehr als zehn Stockwerke! Die schlechte Nachricht: Morgen würde ich überall grün und blau sein! Soviel zu den Gedanken, die mir während meines schier unendlichen Sturzes durch den Kopf gingen. Denn wohin auch immer die steile Treppe führte, es war bestimmt höhenmäßig mehr als ein Stockwerk, dass ich gerade auf so unelegante Weise überwand. Die Steilheit verhinderte mehr als effektiv, dass ich irgendwo Halt finden konnte und die ständigen Stöße sorgten dafür, dass ich mich nicht genug konzentrieren konnte, um einen Polsterungszauber heraufzubeschwören. Dann allerdings schien es mir doch gelungen zu sein! Jedenfalls hörten die unangenehmen Stöße abrupt auf.

Bis ich unter mir ein leises Stöhnen und grummeliges Knurren vernahm.

Ups! Schien ganz so als hätte ich doch keinen Polsterungszauber geschafft, sondern als wäre ich stattdessen auf einem Lebewesen, den Tönen nach zu urteilen einem Menschen gelandet...

Hastig machte ich mich daran, von meinem unfreiwilligen Kissen herunterzukrabbeln, was natürlich nicht ohne weiteres Stöhnen und Knurren von sich ging. Und dann blickte ich im Schein meines immer noch schwach leuchtenden Zauberstabes, der wie durch ein Wunder den Sturz unversehrt überstanden hatte, in ein durchaus bekanntes Gesicht: „Zabini!“, keuchte ich erschrocken.

„Weasley?“, klang es ungläubig und ein wenig schmerzverzerrt aus dem Mund meines ehemaligen Schulkameraden.

„„Was machst du hier?““, richteten wir beide gleichzeitig die offensichtlichste Frage aneinander. Doch keiner von uns kam dazu, auch nur zu einer Antwort anzusetzen, denn plötzlich flammte am anderen Ende des Korridors, in den die Treppe mündete, ein grelles Licht auf.

„Shit!“, fluchte Zabini und zog mich unsanft auf die Füße und zurück in die Treppenöffnung, als gleich darauf neben uns in der Wand ein Fluch einschlug. Unglaublicherweise aber hatte ich keinen Menschen einen Fluch ausrufen hören. Natürlich gab es ungesagte Flüche – Harry, Ron und Hermione hatten seinerzeit unter Snapes VdK-Regime häufig genug darüber gestöhnt – aber es waren auch keine Schritte von Zauberern zu hören gewesen, die in den Gang gelaufen kamen. Selbstverständlich bestand auch hier die Möglichkeit die Geräusche zu unterdrücken und ich war schließlich in dem Moment mehr auf Zabini denn auf mögliche Angreifer konzentriert gewesen und es war auch nicht auszuschließen, dass sich, wer auch immer der oder die Angreifer waren, bereits im Flur aufgehalten hatte, aber selbst als ich jetzt vorsichtig um die Ecke lugte, konnte ich niemanden ausmachen, der den Fluch auf uns gehetzt haben könnte.

„Lass uns abhauen!“, zischte mir da Zabinis ins Ohr und zog mich bereits mit sich die Treppenstufen hinauf. Eine Aktion, bei der meine Beine nur höchst widerwillig gehorchten, aber schließlich wäre es sonst wieder schmerzhaft geworden und nach dem Weg die Treppe hinunter konnte ich gut auf eine Wiederholung die Treppe hinauf verzichten.

IV. Bloß nicht locker lassen

Was zum Henker hatte Weasley in diesem Bereich des Ministeriums gesucht? Blaise hatte noch nicht einmal gewusst, dass Ginny Weasley beim Ministerium arbeitete. Zumindest hatte er sie auf keiner der Gehaltslisten gesehen, und die Gehaltslisten gehörten eindeutig zu den Dokumenten, die man ihm für seine Aufgabe überlassen hatte. Und egal für welche Abteilung sie arbeitete, weshalb war sie um diese Zeit in einem Stockwerk herumgeschlichen, das nicht benutzt wurde, nur um dann die unbekannte Treppe hinab zu fallen?

Fragen über Fragen, und doch war sich Blaise sicher, dass er den Abend nicht ganz als Fehlschlag abhaken musste. Denn was auch immer sich im tiefsten Gewölbe des Ministeriums verbarg, es war wichtig genug, um mit diversen Schutzzaubern gleich einer Muggelalarmanlage gesichert zu sein. Zumindest war davon auszugehen, dass die Phänomene, die Weasley und ihn zu dem eher fluchtartigen Abgang verleitet hatten, auf eine Alarmanlage zurückzuführen waren, denn Blaise hatte weder eine Hexe noch einen Zauberer außer ihnen beiden bemerkt. Auf jeden Fall stand fest, dass er noch einmal in diesen Gang musste. Denn der Gang würde irgendwohin führen und vielleicht brachte ihn das ja der Antwort auf seine ursprünglichen Fragen näher. Aber es erschien ihm eingedenk der nächtlichen Ereignisse mehr als angebracht, mehr über dieses Gewölbe, das lediglich auf den alten Zeichnungen aus dem 14. Jahrhundert zu finden gewesen war, herauszufinden. Was ihn wieder zu Weasley und der Frage, was sie dort gewollt hatte, zurückbrachte.

Weasley schaffte es sogar, sich mit den Fragen, die ihre Anwesenheit aufgeworfen hatte, so tief in sein Unterbewusstsein zu graben, dass er nachts sogar von ihr träumte. Entsprechend unruhig war sein Schlaf gewesen und daraus resultierend war sein Anblick im Spiegel am darauf folgenden Morgen mehr als übernächtigt. Nichts wünschte er sich in diesem Moment mehr als eine wirklich gute Tasse Kaffee, aber zu seinem Leidwesen hatte er die Tatsache akzeptieren müssen, dass England so etwas schlicht und ergreifend nicht bot. Weder in der Muggelwelt, noch in der Zaubererwelt. Wobei er allerdings den Muggeln zugestehen musste, dass ihr Gebräu leidlich besser schmeckte, was aber vermutlich nur der Tatsache geschuldet war, dass Muggel keinen alternativen Zaubertrank brauen konnten. Leider aber war es auch ein Fakt, dass Blaise durch seine internationale Tätigkeit was Kaffee betraf verwöhnt worden war. Besonders italienischer Kaffee hatte es ihm angetan. Mit frischgemahlenen Bohnen und bitte nicht als Filterkaffee zubereitet oder gar als lösliche Ersatzvariante mit heiß Wasser aufgegossen. Diese beiden Varianten erfüllten zwar koffeintechnisch ihren Zweck, aber sein Geschmack war es nicht. Umso überraschter war er dementsprechend, als er nach dem vergeblichen Versuch einem starken Schwarztee die gleiche wachmachende Wirkung zu entlocken, das Ministerium betrat und dort einen gar köstlichen Kaffeeduft in der Luft wahrnahm. Nun roch jeder frisch aufgebrühte Kaffee im ersten Moment verführerisch, sogar englischer Kaffee, aber Blaise war nicht umsonst in der Welt weit genug herumgekommen, um noch den Hauch von Kaffeeöl in dem Duft wahrzunehmen, der auf frischgemahlene Bohnen hindeutete. Doch als er sich im Atrium umschaute, konnte er nirgends einen mobilen Kaffeestand, den er eigentlich aufgrund des Duftes erwartet hatte, entdecken. Stattdessen lotste ihn sein Geruchssinn zu einem der großen magischen Anschlagstafeln, wo Verlautbarungen des Ministeriums aber auch Kleinanzeigen von Mitarbeiter für Mitarbeiter ausgehängt werden konnten. Und mitten unter kostengünstig abzugebenden Kröten und Eulensitterservice prangte ein deutlich duftendes Plakat, dass darauf aufmerksam machte, dass die Ministeriumskantine diese Woche ganz im Zeichen italienischer Gaumenfreuden stünde. Frühstück, Mittag und Teezeit.

Hätte Blaise nicht am Vortag die Bauzeichnungen des Ministeriums studiert, hätte er vermutlich nicht gewusst, wo er die Kantine suchen musste. Und den neugierigen, aber etwas orientierungslosen Blicken nicht weniger Ministeriumsangestellter, wussten diese auch nicht wirklich, wo die Verköstigungshallen ihres Arbeitgebers lagen. Kein Wunder also, dass die Kantine es nötig hatte, derartige Eigenwerbung zu starten. Doch wenn der Kaffee dort so gut war, wie er auf dem magischen Plakat roch, dürfte es um die Zukunft der Kantine weit besser bestellt sein. Blieb also nur noch zu testen, ob der Kaffee dem Duft gerecht wurde.

Eine kurze Fahrt mit dem Fahrstuhl und dann den kleinen Espressotassen, die aus Werbezwecken und zweifelsohne auch als Orientierungshilfe in die Bodenfliesen gezaubert worden waren, folgend, gelangte Blaise kurz darauf in das, was wohl die Kantine darstellen sollte. Hier und da konnte man schon Verbesserungsansätze erkennen, aber alles in allem war von modernem Charme nicht viel zu sehen. Aber Blaise war ja nicht wegen des Ambientes hier, sondern wegen des Kaffees – und erlebte zum zweiten Mal ein diesem Tag eine vermutlich als angenehm zu bezeichnende Überraschung. Denn der magische Edelstahlkaffeevollautomat wurde von niemand anderem als Ginevra Weasley beaufsichtigt!

Augenblicklich wurde aus ihm unerfindlichen Gründen sein Mund staubtrocken, so dass schon zu befürchten stand, er bekäme nicht einmal seine Kaffeebestellung artikuliert. Dabei brauchte er das Getränk doch in diesem Moment dringender denn je. Dann aber quiekte die Hauselfe, welche die Bestellungen annahm, ein wenig ungeduldig – soweit es Hauselfen eben bei ihrer Natur möglich war, Zauberern und Hexen gegenüber Ungeduld zu zeigen – und löste ihn so aus seiner Starre. „Einen Cappuccino“, bestellte Blaise hoffnungsvoll, nachdem er gesehen hatte, dass der Coffeemagic, wie Weasley den Automaten genannt hatte, auch einen Milchschäumer hatte. „Und eine Verabredung zum Abendessen“, fügte er gleich darauf noch spontan hinzu, wobei sein Blick in Richtung Ginevra deutlich machte, dass er gewiss nicht eine der Hauselfen mit dieser Bemerkung meinte.
 

***
 

Warum genau habe ich noch einmal zugesagt, heute mit Zabini auszugehen? Gewiss nicht wegen seines beinahe als unwiderstehlich zu bezeichnenden Lächelns. Oder seiner faszinierenden Augen. Und bestimmt habe ich deswegen mich nicht auf der Arbeit beeilt, damit ich hinterher noch kurz bei George vorbeischauen und mich umziehen kann. Und ganz gewiss trage ich deswegen jetzt nicht meine absoluten Lieblingsroben und habe mir die Haare hochgesteckt!

Merlin und Morgana! Es ist wirklich gut, dass ich so vorausschauend war, ein wenig Abendgarderobe bei George in der Winkelgasse zu platzieren. Denn wenn Mum mich so sehen könnte, würde der Tagesprophet übermorgen schon meine Verlobungsanzeige drucken und einfach den Namen des Verlobten freilassen, so heiß ist Mum darauf, mich endlich wieder zu Verabredungen gehen zu sehen. Sie würde mir nie glauben, dass dieses Essen fast schon eher als geschäftlich zu bezeichnen ist. Und noch weniger würde sie mir das Thema dieser Geschäftsverhandlungen glauben. Ich befürchte fast, noch nicht einmal George würde mir das glauben, obwohl er stets so tat als wisse er, dass sein Zwillingsbruder noch am Leben ist. Aber man merkt doch, dass Fred ihm fehlt. Dass er darunter leidet, nicht zu wissen, wo sein Bruder ist. Und gerade deswegen würde er mir nicht glauben.

Was mich wieder darauf bringt, weshalb ich zugesagt hatte, mich mit Zabini zu treffen. Denn die oben genannten Gründe hatte ich ja bereits ausgeschlossen. Es ging einzig um Fred, sowie vielleicht darum, was Blaise gestern in dem Gang gemacht hatte, den Atlas mir später als das Stockwerk bestätigte, in dem er meinen angeblich toten Bruder so quicklebendig gesehen hatte.

Dennoch kam ich umhin zu hoffen, dass Zabini wenigstens ein vernünftiges Restaurant ausgewählt hatte und mich nicht auf eine Schüssel Eintopf im Tropfenden Kessel einzuladen gedachte. Er hatte mich doch eingeladen? So in dem Sinne, dass er auch mein Essen bezahlte und wir nicht die Rechnung teilten? Oder hatte ich das falsch verstanden?

Es war vermutlich gut, dass ich trotz der vielen Zeit, die ich in den letzten Tagen und Wochen mit Hauselfen verbracht hatte, noch keine Hauselfenangewohnheiten angenommen hatte, sonst hätte ich mir für diese hirnverbrannten Gedanken am Ende jetzt eine Bratpfanne über den Schädel gezogen. Bei allen Meerjungfrauen, wir lebten mittlerweile im einundzwanzigsten Jahrhundert und ich war bereits jetzt mit meiner Agentur so erfolgreich, dass ich mir um ein simples Abendessen wohl kaum Gedanken machen musste, selbst wenn ich mein Essen am Ende vielleicht selbst bezahlte. Wer wusste schon, vielleicht würde ich am Ende des Abends es sogar vorziehen, mich nicht von Zabini einladen zu lassen...
 

Es war ein französisches Muggelbistro, das es irgendwie geschafft hatte wenn schon nicht den Kaffee, so doch wenigstens die Kochkunst von Paris nach London mitzubringen. Es war ein eher kleines Restaurant, aber immerhin nicht so abgehoben, dass man schon für den bloßen Anblick weißer Tischdecken gedanklich eine Null mehr an die Preise in der Speisekarte hängen durfte. Ich wählte Steak mit Parmesansauce, Zabini vegetarische Lasagne. Nachdem der Kellner mit der Bestellung gen Küche verschwunden war, erklärte er mir, dass er auf seinen Reisen gelernt habe, dass ein Restaurant, dass auch vegetarische Gerichte gut zubereiten konnte, als wirklich gutes Restaurant zu bezeichnen war, wohingegen ich dagegen hielt, dass die Saucen erkennen ließen, ob in der Küche gepanscht oder wirklich gekocht wurde. Es war interessant, dass wir beide darauf bestanden, gutes Essen zu bekommen, und jeder seine eigene Methode hatte, die Küche zu testen.

Irgendwann wurde im Laufe des Abends aus Zabini Blaise. Und zum ersten Mal in meinem Leben bestand ich nicht darauf, Ginny statt Ginevra genannt zu werden. Denn irgendwie klang aus Blaises Mund Ginevra alles andere als förmlich oder steif. Es klang respektvoll, neugierig, sanft und stark zugleich.

Natürlich beglich Blaise die Rechnung und natürlich hatten wir vereinbart, den sonderbaren Gang bei passender Gelegenheit noch einmal genauer zu erkunden. Wenngleich keiner von uns beiden, trotz der Nähe, die an dem Abend zu einem gewissen Maße entstanden war, dem anderen erzählen wollte, weshalb genau er am Vorabend in jenem Stockwerk des Ministeriums gewesen war.
 

Die passende Gelegenheit einen erneuten Vorstoß in das unterste Gewölbe des Ministeriums zu wagen, ergab sich drei Tage später. Der Minister hatte für eine Ansprache nach Wales reisen müssen, was bedeutete, dass die Abteilungsleiter, die sich stets ein wenig von ihm beobachtet fühlten, einmal berechtigt früher Feierabend machten, was wiederum für die restliche Belegschaft ähnliches bedeutete, war doch somit niemand da, den man mit Überstunden hätte beeindrucken können. Natürlich gab es immer noch diejenigen, die einfach an ihrem Job hingen, aber insgesamt war die Zahl der Angestellten, die an diesem Abend länger als üblich im Ministerium verweilten geringer als sonst.

Dieses Mal hatte auch Blaise Verstärkung mitgebracht, in Form seiner Echse Sudoku, der ich zu gerne mal über die samtenen Augen gestrichen hätte, um herauszufinden, ob sie wirklich samtig waren, wie es in den Büchern hieß, aber das verbot sich wiederum von selbst, schließlich würde ich es auch nicht mögen, wenn mir jemand in den Augen herumpiekste. Atlas war natürlich auch wieder mit von der Partie und da dieses Mal alle Beteiligten um die Treppe wussten, gab es keine unvorhergesehenen Pannen, welche die Abwärtsbewegung schmerzhaft hätten beschleunigen können. Und wir wussten um die Alarmzauber, weshalb wir also nicht einfach aufs Geratewohl in den Gang stolperten, sondern auf ihre eigene Bitte hin unsere tierischen Begleiter vorschickten. Das funktionierte besser als jeder Murmel-Trick, mit dem man in Muggelcomics immer Fallen auslösen konnte, um zu verhindern, selbst hineinzutappen. Allerdings sahen wir vermutlich ähnlich dämlich wie diese Comicfiguren aus, wenn wir uns unter Zaubern hindurchrobbten, über andere Fallen hinwegschwebten oder uns an den Wänden entlang pressten. Denn leider hatten weder Sudoku noch Atlas den Punkt finden können, wo man die Zauberalarmanlage ausschalten konnte. Sicherlich gab es so einen Punkt, aber nun ja... es ging ja auch so vorwärts. Nur halt nicht ganz so elegant. Aber an diesem Abend war ich in praktischen Jeans und nicht in einer stilvollen Abendrobe unterwegs, weshalb der Verlust an Eleganz wohl durchaus zu verschmerzen war.

Die ersten paar Räume, die von dem Korridor abzweigten, waren dunkel und verlassen und die zentimeterdicke Staubschicht auf dem kahlen Steinboden zeigte an, dass diese Räume bereits so lange nicht mehr in Benutzung waren, dass sogar die Hauselfen es aufgegeben hatten, dort zu reinigen. Hauselfen waren diesbezüglich praktisch veranlagt: Räume, die länger nicht benutzt wurden, wurden leer geräumt und dann sich selbst überlassen. Es war für diese dienstbaren Geschöpfe einfacher, den betreffenden Raum bei Wiederinbetriebnahme einfach einmal grund zu reinigen. Der Staub bereitete vor allem Atlas Probleme, denn in seinem Fell hatte sich derart viel verfangen, dass einfaches Ausschütteln dem nicht mehr Herr werden konnte und er sich dadurch nicht mehr unsichtbar machen konnte. Leider aber konnten wir es auch nicht riskieren mit einem Ratzeputz-Zauber ihm zu helfen, wussten wir doch nicht, ob es nicht einen Zauberdetektionsalarm gab, der losging, sobald wir selbst einen Zauber wirkten. Sogar Sudoku, der aufgrund der glatten Oberfläche seiner Schuppen nicht ganz so anfällig für Staub war, sah bald mehr grau denn weiß aus.

Ehrlich, einen dunklen Gang entlang zu robben, schweben, schleichen, ist anstrengender als man sich gemeinhin vorstellt und ungleich langweiliger als auf einem Thestral durch halb England zu fliegen. Und ich weiß wovon ich spreche! Dementsprechend könnte man meinen Zustand fast schon als ekstatisch bezeichnen, als wir endlich Licht am Ende des Tunnels, oder in unserem Fall Korridor, erblickten. Jene sanft schimmernde Linie Lichts unter einer geschlossenen Tür, die einem verrät, dass man den langen Weg durch den Flur nicht umsonst hinter sich gebracht hatte. Leider bedeutete dieses Licht gleichzeitig auch, dass, wer auch immer sich dahinter befand, unglücklicherweise noch wach war.

Leise einander Zeichen gebend, beschlossen Blaise und ich, diesen Raum zu überspringen, in der Hoffnung, dass die danach folgenden Räume dunkel aber aufschlussreich wären...
 

Nun ja, sie waren definitiv aufschlussreicher. Geradezu verhängnisvoll aufschlussreich. Eigentlich nur ein Raum, denn wir kamen nicht dazu, mehr als diesen einen Raum zu untersuchen. Aber dieser Raum war ein sehr großes, sehr gut ausgestattetes Labor. Es enthielt nicht nur alle erdenklichen Gerätschaften, wie man sie aus den Zaubertrankkatalogen kannte, die ich hin und wieder auf der Suche nach ungewöhnlichen Dekorationsideen für meine Aufträge durchblätterte, sondern auch Schutzzonen für Verwandlungen und andere Zauber. Sogar ein magisches Gewächshaus schien vorhanden zu sein. Was aber am aufschlussreichsten war, waren die Tafeln und Graphiken an den Wänden. Mondzyklen wurden genau dokumentiert, daneben verschlüsselte Formeln und dann... magische Fotografien einer Werwolftransformation. Mir verschlug es vor Schreck fast dem Atem. Und dann entdeckte ich etwas auf den Fotografien, dass mich dazubrachte, mich haltsuchend an Blaise zu klammern. Der Werwolf, der sich dort verwandelte, war von Todessern umringt, die das arme Wesen mit ihren Zauberstäben in Schach hielten – auf die wenig mitfühlende Art der Todesser eben.

Was war das für ein Labor? Was wurde hier erforscht?? Und wieso wurde dies so geschützt und vor aller Welt verborgen??? Das fühlte sich nicht gerade wie ein freundlicher Wissenschaftlerkaffeeklatsch an.

Am anderen Ende des Labortisches, an den Blaise mich vorsichtshalber für noch mehr Halt geführt hatte (nicht unwahrscheinlich, dass er auch etwas Halt benötigte, aber ich würde ihn gewiss nicht zwingen, das zuzugeben), vernahmen wir plötzlich ein leises, platschendes Geräusch. Als wir uns hastig umsahen, entdeckten wir unsere tierischen Begleiter, die gerade dabei waren, mit heller Freude das Waschbecken zu untersuchen. Besonders Atlas schien begierig darauf zu sein, sich den Staub aus dem Fell zu waschen.

Damit überschlugen sich die Ereignisse. Ich hätte hinterher nicht mehr sagen können, was die Wissenschaftler auf den Plan gerufen hatte: Das Geräusch des Wassers oder der Stille-Zauber, den Blaise instinktiv aussprach. Fest stand nur, dass die Wissenschaftler in das Labor gestürmt kamen und alles andere als begeistert waren, uns dort vorzufinden. Gut, wären wir vermutlich an ihrer Stelle auch nicht gewesen, aber ich frage mich doch, ob wir gleich soweit gegangen wären, die Eindringlinge in einen der Käfige, die eine Sektion des Labors bildeten, zu sperren. Immerhin bekam jeder von uns einen Käfig, so dass Blaise und ich leidlich Platz hatten. Wir konnten zumindest sitzen, ohne ständig den Kopf einziehen zu müssen. Und wir konnten immerhin noch miteinander reden, obgleich wir klug genug waren, von vorn herein darauf zu verzichten, uns gegenseitig die Schuld an unserer derzeitig so misslichen Lage zu geben. Zumal ich hoffte, dass Atlas, der es beim Eintreffen der Wissenschaftler gerade noch rechtzeitig geschafft hatte, zu mir zu eilen und sich unter meinem Pulli zu verbergen, sobald er getrocknet war, sich unsichtbar aus dem Labor schleichen und somit Hilfe holen konnte. Denn wie sowohl Blaise als auch mir ziemlich schnell schmerzlich bewusst wurde, war aufgrund unserer Tätigkeit im Ministerium und den damit verbundenen unregelmäßigen Arbeitszeiten nicht garantiert, dass man uns all zu schnell vermissen würde. Und selbstverständlich hatten die Wissenschaftler unsere Zauberstäbe an sich genommen... Es war um es mal deutlich auszudrücken, eine beschissene Situation, in der wir uns befanden.

V. Friede, Freiheit, Mousse au Chocolat

Zu sagen, dass die Nacht unbequem war, wäre noch untertrieben. Ich konnte allein schon durch bloßes Stillsitzen die Gitterstäbe des magischen Drahtkäfigs unter mir zählen. Vermutlich war es dicker Silberdraht, wenn man bedachte, was für Fotos an den Laborwänden hingen. Ehrlich gesagt, war ich froh, dass die Wissenschaftler, nachdem sie uns eingesperrt hatten, das Licht wieder ausgemacht hatten. Somit mussten wir wenigstens nicht die ganze Nacht auf diese grauenhaften Bilder starren.

Irgendwann war Atlas trocken genug, um sich wieder unsichtbar machen zu können und nach kurzem Überlegen riet ich ihm, Percy aufzusuchen. Es war zwar mitten in der Nacht, aber ohne Hilfe eines Hauselfen würde Atlas ziemlich lange brauchen, um in Percys Büro zu gelangen. Mein Bruder kannte immerhin Atlas, auch wenn er nichts von der Zeichensprache wusste, mittels derer der Minimuff und ich kommunizierten. Aber ich vertraute darauf, dass, wenn plötzlich das vollkommen aufgebrachte Haustier seiner Schwester in seinem Büro aufkreuzte, Percy sich schon so seine Gedanken und Sorgen machen würde, oder zumindest nach mir sehen würde, um Atlas wieder bei mir abzuliefern. Leider wusste ich damit immer noch nicht, wie lange es dauern würde, bis man uns hier unten fand, aber nun ja, immerhin war der Anfang zu unserer Rettung gemacht.

An Schlaf war in dieser Lage nicht wirklich zu denken, doch auch so schmerzten unserer Glieder aufgrund der unbequemen Haltung reichlich genug, als das abermalige Eintreffen der Wissenschaftler, die einen sichtlich ausgeruhteren Eindruck machten als wir, den Anbruch des nächsten Tages signalisierte. Dennoch brachte der Tag für mich etwas Erfreuliches mit sich: Fred! Beinahe so als gehörte er zu den Wissenschaftlern, kam er mit ihnen in das Labor, streifte sich die weiße Laborrobe über und machte sich dann an einem der gefliesten Arbeitstische ans Werk. Der Anblick erinnerte mich einmal mehr daran, wie viele der Scherzartikel meiner Brüder auf erstaunlich wissenschaftlicher Forschungs- und Entwicklungsarbeit beruhten. Auch wenn die Werkstatt des Ladens in der Winkelgasse weit von diesem hochgezüchteten Labor entfernt war.

Was mich allerdings irritierte, war die Tatsache, dass er von mir und Blaise in den Käfigen keinerlei Notiz zu nehmen schien. Auch Blaise war Freds Anwesenheit aufgefallen.

„Ist das nicht dein Bruder?“, flüsterte er mir zu, leise genug, um nicht die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler auf uns zu ziehen, ganz so als befürchtete er, sie könnten mit uns noch schlimmeres anstellen als uns in diese Käfige zu sperren. „George? Der den Laden in der Winkelgasse hat? Weshalb arbeitet er im Ministerium?“

„Das ist nicht George, das ist Fred. Wenn du genau hinsiehst, erkennst du, dass er beide Ohren hat. George hat nur eines. Das andere wurde ihm von Snape bei der Konfrontation in Surrey weggehext. Aber weshalb er hier im Ministerium ist, und noch dazu in dieser geheimen Forschungsabteilung weiß ich nicht.“

„Fred? Aber Fred ist doch tot.“ Ungläubig starrte mich Blaise durch die Gitterstäbe an.

„Oder eben nicht... Denn das dort drüben ist eindeutig Fred. Und wenn du es wissen willst, ja, er ist der Grund weshalb ich mich auf unsere nächtliche Unternehmung eingelassen habe. Weshalb ich überhaupt in der ersten Nacht hier war“, platzte es leise aus mir heraus und ich erzählte, was ich von Atlas erfahren hatte.

„Minister Thicknesse gab den Hauselfen den Auftrag, die Forscher hier zu versorgen“, fügte Blaise still hinzu, als ich geendet hatte. „Das stand in den Abteilungsberichten der Kantine. Offenbar hat niemand diesen Befehl widerrufen und so tun sie es heute noch... Vielleicht... wenn die Elfen kommen, um Essen zu bringen...“

Ich schüttelte energisch den Kopf. „Tamso, der Hauself mit dem Auftrag, kommt nicht ins Labor. Das solltest du eigentlich noch aus der Schulzeit wissen. Schließlich war das eine der zehn Regeln, die Professor Snape und sogar das alte Walross Slughorn jedem eingehämmert haben: Im Labor wird nicht gegessen, nicht getrunken, nichts konsumiert, es sei denn, es handelt sich um einen unter Aufsicht eingenommenen Zaubertrank!“, imitierte ich die Stimme von Snape. „Einer der anderen Räume wird vermutlich als Speisezimmer hergerichtet sein, während die übrigen benutzten Räume höchstwahrscheinlich als Schlafquartiere dienen.“

Wie nah ich mit dieser Vermutung lag, sollten wir bereits wenige Stunden später feststellen, als offenbar Frühstückspause war. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet mir, dass es neun Uhr war, als die Wissenschaftler allesamt ihre jeweiligen Versuche in einen gesicherten Zustand zauberten und dann den Raum verließen. Alle bis auf einen.

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die anderen alle gegangen waren, kam Fred zu den Käfigen herüber. Also hatte er unsere Anwesenheit doch wahrgenommen. Doch noch ehe ich etwas sagen konnte, oder gar in eine Tirade ausbrechen konnte, die sogar Mum das Wasser reichen konnte, bedeutete er mir mit einer Geste still zu sein.

„Psst! Sie werden sowieso gleich kommen, um nachzusehen, wo ich bleibe“, zischte er mir zu. Und auf mein irritiert fragendes Gesicht hin fuhr er fort: „Ich bin so etwas wie ein Ehrengefangener hier. Auch wenn ich freiwillig hier bleiben würde, um der Truppe mit ihrem Projekt zu helfen. Das Projekt ist schließlich zu wichtig, um unvollendet zu sein. Aber nun ja, vermutlich würden sie mir nicht glauben, dass ich ihnen freiwillig helfen würde. Dazu sind sie zu sehr in ihrer eigenen, paranoiden Welt gefangen. Ehrlich, manche von ihnen würden Moody diesbezüglich ganz schön Konkurrenz machen, lebte unser Lieblingsauror noch.“

„Du bist ihr Gefangener?“, unterbrach ich ihn an dieser Stelle. „Und hilfst ihnen trotzdem? Würdest freiwillig hier bleiben? Was ist das bitte für ein Projekt, das wichtiger ist als deine Familie davon zu informieren, dass du noch am leben bist?“ Ehrlich, das ging über meinen Begriffshorizont hinaus.

„Wieso? Hat euch George denn nicht gesagt, dass ich noch lebe?“ Jetzt war es an Fred irritiert dreinzublicken.

„Er hat zwar stets behauptet, dass du nicht tot wärst, konnte aber auch nicht das Gegenteil beweisen. Was zweifelsfrei auch reichlich schwierig ist, wenn man einen Toten, der exakt so aussieht wie du, mein lieber Fred, begraben hat!“

„Stoffwechsel...“, murmelte Fred auf meine Worte nur reichlich zusammenhangslos. „Aber natürlich...“ Dann fing er sich wieder. „Was das Projekt betrifft, so kann ich euch im Moment noch nichts darüber erzählen. Erst müssen sich hier ein paar Dinge ändern. Doch so wie ich das sehe, dürfte das, dank eurer Ankunft nur noch eine Frage der Zeit sein. Denn die Forscher hier werden niemand anderem glauben als dem Minister...“

„Und wie wäre es, wenn du uns einfach freiließest?“, mischte sich nun Blaise ein.

Fred schüttelte augenblicklich den Kopf. Ich meinte sogar einen Anflug von Furcht in seinen Augen zu sehen. „Würde an der Situation nicht viel ändern. Denn die Chancen, dass es euch, selbst wenn ich euch aus den Käfigen ließe, gelingen würde, zu fliehen, sind beliebig gering. Und ich sagte ja schon, dass die Forscher hier reichlich paranoid sind. Sie werden nicht davor zurückschrecken, bei eurer Wiederergreifung weitaus drastischere Mittel zu ergreifen als euch lediglich einzusperren. Mittel, die am Ende tödlich ausgehen könnten. Bitte... Ginny... vertrau mir einfach! Ich werde euch auch nachher was zu essen mitbringen. Keine Sorge, wir lassen euch nicht verhungern. Und früher oder später wird man euch vermissen... Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Dinge hier ändern. Zumal wir so kurz vor dem Durchbruch stehen.“ Mit diesen Worten eilte Fred aus dem Labor.
 

***
 

Wenn man nichts zu tun hatte, außer sich davon abzulenken, dass man unbequem in einem zu engen Käfig eingesperrt war, konnte man sich dabei ertappen, die absonderlichsten Gedanken zu verfolgen. Zumindest ging es Blaise so. Zwar hatte er Sudoku als Gesellschaft, was mehr war, als er von Ginevra sagen konnte, deren Minimuff ja ihre Rettung organisierte, andererseits waren sie nie wirklich allein, wenn man bedachte, dass ihre Käfige direkt nebeneinander standen und um sie herum eine Horde paranoider Wissenschaftler ihrer geheimen Forschungsarbeit nachging. Doch trotz aller Gesellschaft hatte man einfach viel zu viel Zeit für abstruse Gedanken. Was vermutlich erklärte, weshalb Blaise bereits jetzt mental seine Spesenabrechnung aufstellte, obgleich er dafür immer vier Wochen nach Beendigung eines Einsatzes Zeit hatte. Nun ja, immerhin hatte dieser Vollpensionsverpflegung durch die Wissenschaftler etwas für sich, auch wenn die Unterbringung zu wünschen übrig ließ: Blaise sparte die Ausgaben für drei Mahlzeiten am Tag. Und da dies bereits der zweite Tag war, den sie in dieser misslichen Lage verbrachten... Wobei die unbequeme Lage ihn mehr dazu brachte, sie zu überlegen, wie er einen ausgiebigen Aufenthalt in einem magischen Spa inklusive Massage in der Abrechnung rechtfertigen konnte. Denn natürlich übernahm sein Arbeitgeber die Kosten für medizinische Behandlungen – und nach dem Aufenthalt hier war eine Massage mehr als nur medizinisch notwendig, wobei vermutlich das britische Ministerium für Zauberei die Ausgaben aufgedrückt bekäme –, aber medizinische Behandlungen geschahen in einem ordentlichen Krankenhaus und nicht in einer exklusiven Wellness-Oase. Und natürlich bot ein ordentliches Krankenhaus auch medizinische Massagen an... nur waren die längst nicht so erholsam in Blaises Augen, wie die in einem Spa... Nichts gegen das Personal des St. Mungos, aber die Medimagier dort verwendeten meist wohlplatzierte Massagezauber, die in etwa so viel Zartgefühl aufwiesen, wie Hagrids Hände beim Teigkneten für seine berühmtberüchtigten Kekse. Kein Vergleich zu den Massagen, die man in einem magischen Resort bekommen konnte, wo die Masseure ihren Massagen lediglich mit Zauberölen den magischen Touch verliehen, sich sonst aber auf ihr Fingerspitzengefühl verließen.

Jetzt wo er darüber nachdachte, wäre es nicht schlecht, wenn er auch eine Möglichkeit fände, einen Spa-Aufenthalt für Ginevra in seinen Spesenabrechnungen unterzubringen. Sie hatte es mindestens genauso dringend nötig wie er und zugegeben, ein Wochenende mit ihr in einem Spa zu verbringen, hatte durchaus etwas für sich. Natürlich müsste es eines sein, wo auch Haustiere erlaubt waren und es akzeptable Mousse au Chocolat auf der Speisekarte gab. Blaise liebte echte, französische Mousse au Chocolat. Allein schon bei dem Gedanken daran wurde ihm der Mund ganz wässerig. Denn auch wenn die Wissenschaftler sie nicht verhungern ließen, Zimmerservice war in ihrem Käfigdomizil nicht wirklich inbegriffen.

Blaise war so damit beschäftigt, sein mentales Adressbuch nach einem passenden Wellnessetablissement zu durchforsten, nachdem er beschlossen hatte, ungeachtet ob es ihm gelang seine Spesenabrechnung dahingehend zu frisieren, mit Ginevra ein Wochenende an einem solchen Ort zu verbringen, dass er die unterschwellige Veränderung in der Magie des Raumes zuerst nicht bemerkte. Erst als Ginevra ihn ungelenk anstieß, blickte er auf und sah, dass die Forscher regelrecht von Panik ergriffen waren.

„Was ist los?“, wisperte er seiner Mitgefangenen zu, nicht gewillt, die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler auf sich zu ziehen.

„Ich glaube, es kommt jemand“, flüsterte diese zurück. „Siehst du, wie ihre Blicke immer wieder zur Tür wandern?“

„Aber es wurde kein Alarm ausgelöst...“

„Was heißt, dass wer auch immer kommt, von diesem Labor weiß und auch weiß, wie man die Alarmzauber abschaltet. Ich vermute, es war das Abschalten, was wir soeben gespürt haben und was die Wissenschaftler hier so in Panik versetzt hat.“

Und tatsächlich, keine drei Minuten später wurde die Tür zu dem Labor aufgestoßen und niemand anderer als der Minister für Zauberei, Kingsley Shacklebolt, höchstpersönlich kam hereinmarschiert. Dicht gefolgt von Percy Weasley, der einen ausnahmsweise nicht unsichtbaren Atlas auf der Schulter sitzen hatte.

Zu behaupten, dass die Anwesenden von seinem Erscheinen überrascht waren, wäre vermutlich die Untertreibung des Jahrzehnts gewesen. Zwar hatte Blaise gewusst, dass Ginevra ihren Minimuff zu ihrem Bruder Percy geschickt hatte, und er hatte auch gewusst, dass dieser der persönliche Assistent des Ministers war, aber das Erscheinen Shacklebolts, einschließlich des Abschaltens der Alarmanlage, bewies, dass der Minister die ganze Zeit von dieser nicht im Haushalt verzeichneten Forschungseinrichtung gewusst hatte. Blaise wusste nicht recht, wie er darüber denken sollte und beschloss eine endgültige Schlussfolgerung auf später zu verschieben. Stattdessen beobachtete er die Ereignisse, die sich im Raum entfalteten. Wie in Zeitlupe nahm er wahr, dass auch Ginevra überrascht war, dass der Minister persönlich gekommen war, sie zu befreien; interessanter aber waren die entsetzten Gesichter der Forscher, als sie erkannten, wer dort in der Tür stand. So entsetzt, dass einer der Wissenschaftler spontan die Phiole, die er zuvor mühsam am Ende einer Destillierapparatur hatte volltropfen lassen, fallen ließ. Und vermutlich war es nur der Tatsache, dass der Minister jahrelang den Auroren angehört hatte und zudem reichlich Zeit in der Gegenwart der tollpatschigsten Aurorin der Abteilungsgeschichte, Nymphadora Tonks, verbracht hatte, zu verdanken, dass es Kingsley Shacklebolt mit einem blitzschnellen Zauberstabschwung gelang, die Phiole Millimeter über dem harten Steinfußboden abzufangen und so ein Zerschellen dieser so überaus bedeutungsvollen Phiole zu verhindern.
 

Es war herrlich auf einem hölzernen Sonnenbett mit einer dicken, weichen Auflage zu liegen, in einen Palmenhimmel zu blicken, hinter dessen Blättern er vage die gläserne Überdachung des Bodwrog-Spa auf Anglesey erahnen konnte. Es war ebenso herrlich, eine gut gekühlte Schale des vermutlich besten Mousse au Chocolat diesseits des Kanals in Reichweit zu wissen. Und beinahe unschlagbar herrlich war das Gefühl, endlich wieder entspannt zu sein, nachdem Madame Mafalda mit ihren magischen Händen ihr Massagewunder bewirkt hatte. Weit besser als der Muskelentkrampfungstrank, den das Ministerium ihm gegeben hatte, nachdem sie das Labor hinter sich gelassen hatten.

Neben ihm kicherte jemand und als Blaise sich umwandte, musste er grinsen. Ginevra lag auf der Liege neben ihm und beobachtete, wie Sudoku Atlas jagte, wobei der Minimuff aber immer wieder schummelte und sich unsichtbar machte. Es hatte ihn ein wenig Überredung gekostet, ehe Ginevra zugestimmt hatte, ihn für das Wochenende hierher zu begleiten, aber auch wenn ihr Zögern angesichts der Tatsache, dass sie ihren totgesagten und nun doch lebendigen Bruder ungern sobald nach seinem Wiederfinden allein lassen wollte, verständlich war, hatte sie zugeben müssen, dass er wohl kaum in den nächsten paar Tagen schon wieder für mehrere Jahre verschwinden würde. Zumal die Arbeiten der geheimen Forschungsabteilung tatsächlich am Tag ihrer Befreiung einen so entscheidenden Durchbruch erlebt hatten, dass davon auszugehen war, dass das ganze Projekt in weniger als einem Monat beendet sein würde.

Überhaupt war die ganze Geschichte dieser Abteilung und die Art wie Fred in dieses Puzzle passte beinahe unglaublich. Vermutlich hätte Blaise es selbst nicht geglaubt, wenn er nicht im Finale dabei gewesen wäre. Wobei vermutlich für den Minister am überraschendsten war, dass Blaise ausgerechnet in den Kantinenberichten die entscheidenden Hinweise gefunden hatte, die zu dem Ende des Versteckspiels geführt hatten. Denn es war offensichtlich, dass der Minister die ganze Zeit von der Abteilung gewusst hatte, ja sogar, dass er von Fred Weasleys Überleben gewusst hatte und nach der Miene des Weasleyzwillings zu urteilen, hatte Shacklebolt seinerzeit längst nicht so schockiert reagiert wie jetzt bei der Aufdeckung des ganzen. Aber gut, vermutlich hätte es Blaise selbst auch nicht wirklich überrascht, wenn er nach Voldemorts Herrschaft den Posten des Zaubereiministers übernommen hätte und dann entdeckt hätte, dass unter seinem Vorgänger eine Forschungsabteilung gegründet worden war, die auf Voldemorts Befehl hin einen Trank entwickeln sollten, mit dem man gesunde Zauberer, Hexen, Muggel und sogar nicht-menschliche magische Kreaturen mit Lykantrophie infizieren konnte. Wobei es natürlich keine konkreten Aufzeichnungen über die Abteilung oder ihre Forschungsarbeit gegeben hatte. Diese Details hatte Shacklebolt später von Fred Weasley erfahren. Angesichts der Tatsache, dass einer der Gründe, weshalb Voldemort Thicknesse für den Posten des Ministers gewählt hatte, der war, dass Thicknesse ein Talent hatte, das Talent anderer zu erkennen, selbst wenn diese im Ministerium aufgrund aufgeblasener Egos ihrer Vorgesetzten ihr Licht mehr als nur unter den Scheffel stellten, war es wenig verwunderlich, dass die vom Minister zusammengestellte Forschungsgruppe es tatsächlich innerhalb des kurzen Jahres von Voldemorts Herrschaft es geschafft hatte, den Infizierungstrank fertig zu stellen. Aber der Infizierungstrank war nur der halbe Auftrag gewesen, wenngleich natürlich der für Voldemort vorrangige Teil. Die zweite Hälfte hatte darin bestanden, ein Gegenmittel dafür zu finden, denn nicht einmal Voldemort war so wahnsinnig, eine Waffe auf die Zaubererwelt loszulassen, die er nicht kontrollieren konnte. Eine Waffe, die sich am Ende gegen ihn richten könnte, wenn er kein Gegenmittel besaß... Dazu war Voldemort ein zu großer Kontrollfreak. Leider aber hatte Voldemorts Herrschaft nicht lange genug gedauert, um auch das Gegenmittel zu entwickeln und so sahen sich die Wissenschaftler nach fast einjähriger Isolation plötzlich mit einer Situation konfrontiert, wo sie nicht sicher sein konnten, für die Weiterführung ihres definitiv als Dunkle Künste zu klassifizierenden Projekts ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt zu bekommen. Immerhin war der neue Minister eine Figur des Lichts, ein Kämpfer des Guten... In dieser Situation war ihnen Fred Weasley über den Weg gelaufen, der gerade von einer geheimen Mission in Rumänien, um dort Blut eines schwangeren Drachens mit dessen Hilfe er das Ohr seines Bruders George nachwachsen lassen konnte zu organisieren, zurückgekehrt war. Noch hatte niemand den von den Toten wieder auferstandenen Zwilling zu Gesicht bekommen, und in einem Akt paranoider Verzweiflung hatten die Wissenschaftler Fred Weasley gekidnappt, um mit der Drohung, den Weasley-Sproß mit ihrem Lykanthropie-Trank zu infizieren, Forschungsmittel vom Minister zu erpressen.

Beinahe wäre dieser Plan fehlgeschlagen, denn zum einen war Shacklebolt nicht gewillt sich von potenziellen Todessern oder möglichen Parteigängern Voldemorts erpressen zu lassen und zum anderen war der ehemalige Auror höchstpersönlich bei der Beisetzung von Fred Weasley gewesen und war somit mehr als nur geneigt zu glauben, dass die Wissenschaftler ihm einen der ihren unter dem Einfluss von Vielsafttrank präsentierten, in der Hoffnung, dass er nicht gewillt sei, das Leben eines Menschen zu riskieren, den er kannte und der ihm in gewisser Weise etwas bedeuten musste. Als Kampfgefährte, als Sohn von Kampfgefährten, als Bruder seines Liebhabers... Interessanterweise war es Fred selbst gewesen, der Kingsley Shacklebolt dazu gebracht hatte, dem hirnrissigen Plan der Forschungsgruppe zuzustimmen. Das Projekt faszinierte ihn, er wollte helfen und es gelang ihm auch den Minister davon zu überzeugen, dass er wirklich er selbst war. Dass statt seiner Cornelius Fudge unter dem Einfluss von Vielsafttrank gestorben und begraben worden war. Weil nach dem Tod der Stoffwechsel aufgehört hatte und somit der Trank nicht mehr hatte abgebaut werden können. Und nachdem der Minister einmal über den unschönen Punkt der Erpressung hinweggekommen war, hatte er auch eingesehen, dass Fred Recht hatte in dem, dass die Forschungsarbeit zwingend weitergeführt werden musste. Wissen ließ sich nun einmal nicht zerstören, egal wie sehr man es auch versuchte. Und Wissen, gleich welcher Natur, war in den falschen Händen immer gefährlich. Um wie viel gefährlicher war dann das Wissen um einen Lykanthropie-Trank? Ohne Gegenmittel? Zumal das Gegenmittel das Potenzial besaß natürlich infizierte Werwölfe von ihrem schrecklichen Leiden zu heilen? Eben jenes Gegenmittel war endlich an dem Tag gefunden worden, als Percy Weasley und der Minister mit Atlas’ Hilfe gekommen waren, um Ginevra und Blaise zu befreien. Es war in der Phiole gewesen, die beinahe zerborsten wäre.

Blaise spürte, wie etwas über seine Beine wuselte, doch als er rasch hinblickte, konnte er nichts sehen. Atlas... „Bist du sicher, dass dein Minimuff nicht in Wirklichkeit ein verhexter Slytherin ist? So wie der schummelt...“, fragte er Ginevra neben sich.

„Wohl kaum“, gab diese grinsend zur Antwort. „Denn ich dachte, um ein Slytherin zu sein, darf man sich nicht erwischen lassen, oder wenn höchstens vom eigenen, parteiischen Hauslehrer, der dann nur die Gegenseite bestraft. So wie sich Atlas anstellt, ist er höchstens ein Gryffindor.“

„Ein passendes Haustier also für dich...“ Blaise ließ den Satz ein wenig unvollendet in der Luft hängen.

„Eigentlich müsste ich dieses ‚Kompliment’ jetzt erwidern und etwas ähnlich schmeichelhaftes über Sudokus Slytherineigenschaften sagen, aber irgendwie...“ Auch Ginevra brachte es nicht fertig den Satz ganz zu vollenden.

„Sudoku ist ein Ravenclaw. Wäre ich schließlich beinahe geworden. Aber dann wäre ich im gleichen Haus wie Anthony Goldstein gelandet. Und mit dem kam ich schon in der Babyzaubergruppe, in die uns unsere Mütter gesteckt haben, nicht klar.“

Ginevra lachte und es war ein Lachen, das sogar noch besser war als Mousse au Chocolat. Und das bedeutete in Blaises Fall viel. Sehr viel. So viel, dass für ihn feststand, dass egal wohin ihn die Internationale Zaubervereinigung als nächstes schicken würde, er jede mögliche freie Minute in England verbringen würde...
 

ENDE



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von:  _Delacroix_
2013-02-19T13:24:17+00:00 19.02.2013 14:24
Interessante Aufklärung. 
Ich gebe zu, ich war immer Vertreterin der Ansicht, wenn ich Jemanden mit Lykanthropie infizieren will, lass ich Greyback in ein Glas spucken und spritze die Pampe meinem Opfer in die Blutbahn, aber ich gebe zu, da uns niemand sagt wie viel Speichel ich bräuchte, kann es gut sein, dass die Nummer nicht funktioniert.

Jedenfalls hat die Geschichte mir sehr gut gefallen. War sehr unterhaltsam und hat mir wie immer Spaß gemacht sie zu lesen. Ginny fand ich wie gesagt auch sehr spannend charakterisiert und ehrlich gesagt überlege ich gerade, ob ich dir empfehlen soll, die Geschichte bei Arcturus' Wettbewerb "Slytherin Pride" einzureichen. Der WB hat zwar eine Pairingklausel, aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass deine Story unter das fällt, was Nix da ausschließen wollte. 
Musst du mal drüber nachdenken.^^
Von:  _Delacroix_
2013-02-19T12:57:23+00:00 19.02.2013 13:57
Italienischer Kaffee?
Das ist doch traditionell Espresso. Igitt. Was die Leute daran finden, werde ich vermutlich nie verstehen.
Aber mal was anderes. Gibt es überhaupt englischen Kaffee? Ich kenne Amerikanischen, den kann man trinken und ich kenne Irish Coffee. Den trinke ich auch immer wieder gerne. Aber es wäre mir neu, das die Briten sonst noch irgendeine Kaffeezubereitungsart ihr eigen nennen.
Von:  _Delacroix_
2013-02-19T12:19:26+00:00 19.02.2013 13:19
Okay, der Minimuff ist irgendwie knuffig und ansonsten hat das Kapitel dafür gesorgt, dass jetzt einige Fragen im Raum stehen, die sich - nehme ich mal an - in den nächsten Kapiteln beantworten werden. Ein Grund also spontan weiter zu lesen.
Von:  _Delacroix_
2013-02-19T12:00:59+00:00 19.02.2013 13:00
Uh, Wirtschaft.
 Das Thema findet man auch eher selten und ich glaube, ich weiß auch woran das liegt. Aber Spaß beiseite. 
Ich mag deinen Blaise. Wirklich und das Kapitel hat sich sehr gut und auch sehr schnell weggelesen.
Das Einzige was mir beim lesen zusätzlich aufgefallen ist, war ein Buchstabendreher im Satz: 
"Wie es schien, hatte man gemeinhin beschlossen, den Froschungsetat allseits aufzustocken, was an und für sich eine gute und zu befürwortende Idee war."
Von:  _Delacroix_
2013-02-19T11:38:42+00:00 19.02.2013 12:38
Interessant. 
Ich glaube das ist wirklich die erste FF mit Ginny, die ich lese ohne nach ein paar Sätzen das dringende Bedürfnis zu entwickeln, das Mädchen zu erschlagen. Ehrlich, eigentlich kann ich sie nicht leiden, aber in dem Kapitel wirkt sie auf mich nachvollziehbar und nicht so unsympathisch wie sonst immer. (Glückwunsch, das hat bisher nicht mal die Rowling geschafft)

Bin gespannt wie's weitergeht und werde gleich mal in Kapitel 2 gucken.^^


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