Totgesagte leben länger von Nifen ================================================================================ Kapitel 1: I. Introduktion -------------------------- Es ist natürlich, dass Eltern für ihre Kinder stets das Beste wollen. Es ist wohl ebenso natürlich, dass Eltern davon ausgehen, dass die Dinge, die sie selbst glücklich gemacht haben, zum Glück ihrer Kinder beitragen. Je überzeugter ein Elternteil von dieser Devise ist, desto mehr wird dabei außer Acht gelassen, dass zum einen Kinder als Individuen sich von ihren Eltern entscheiden und zum anderen die Welt in der Zwischenzeit nicht stillgestanden hat, sondern wenigstens eine Entwicklung von zwanzig Jahren durchgemacht hat. Wenn aber diese Weiterentwicklung über zu lange Zeit ignoriert wird, ergibt sich zwangsläufig etwas, das man bestenfalls als Schon-immer-dagewesen oder auch stagnierende Tradition bezeichnen kann. Nicht, dass man mich falsch versteht: Ich habe nichts gegen Traditionen. Sie zeigen uns, wo wir hergekommen sind, was wir erreicht haben. Aber sie sollten nicht als stumpfes Relikt vergangener Zeiten gelebt werden, sondern sollten auch widerspiegeln, was in der Zwischenzeit alles zusätzlich erreicht wurde. Das Gute beibehalten, das weniger Gute verbessern. Wie etwa die Aktion mit dem Weihnachtsbaum. Gab es nicht immer, sieht aber trotzdem toll aus und hat sich deswegen, nicht zuletzt dank der muggelgeborenen Zauberer und Hexen auch in der Zauberwelt durchgesetzt. Den Julscheit haben wir aber trotzdem beibehalten. Leider aber scheint Weihnachten das einzige Fest mit lebendigen Traditionen zu sein. Viel häufiger trifft man in der Zauberwelt Britanniens die stagnierenden Traditionen an. Allein schon, wenn man sich die Schulroben von Hogwarts ansieht. Es gibt zwar ein paar Details, die sich im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte geändert haben, aber letztlich würde man bei einer Zeitreise ins Mittelalter, wo diese Roben den Muggel-Universitäten abgeschaut worden waren, nicht auffallen. Daran ändern auch unterschiedliche Stoffmuster nichts. Letztlich ist es der gleiche Schon-immer-dagewesen Schnitt mit ein paar aktuellen Anpassungen, wie etwa dieser Dackelkragen an Rons übriggebliebener Festrobe aus den siebziger Jahren zum Julball während meines dritten Hogwartsjahres. Noch schlimmer aber als diese modische Langeweile – denn immerhin kann man unter den Roben tragen, was einem gefällt – sind die Protokolle, denen offizielle Empfänge und Festlichkeiten in der Zauberwelt Britanniens folgen. Dabei ist es egal, ob es sich um Familienfestlichkeiten, Firmenfestlichkeiten oder Festlichkeiten des Ministeriums handelt. Sie alle folgen uralten Schon-immer-dagewesen Protokollen. Meinen Recherchen nach gehen die meisten Protokolle auf die Zeit unmittelbar nach den letzten Koboldkriegen zurück. Und das war noch vor der französischen Muggel-Revolution. Aber da man das schon immer so gemacht hat, wird man es auch künftig so machen. Dabei spricht alle Welt doch gerade jetzt, nachdem Voldemort endgültig besiegt ist, von Erneuerung. Reformen heißt das Wort der Stunde und alles, was verspricht, dass kein machthungriger Möchtegerndespot wieder das Ministerium übernimmt, wird mit Beifallsstürmen begrüßt. Wenn es aber um einen Ball, Empfang oder ähnliches geht: Fehlanzeige. Da besinnt man sich plötzlich auf die Traditionen. Und vergisst vollkommen, dass irgendwer nach dem letzten Koboldkrieg sich ja erst mal hingesetzt haben muss, um das Protokoll, nach dem heute eine Siegesfeier begangen wird, niederzuschreiben. Wobei man davon ausgehen kann, dass der Urheber besagten Protokolls dabei eine moderne, zeitgenössische Feier im Sinn hatte… Es hatte mir ja schon widerstrebt, dass die Hochzeit meines ältesten Bruders Bill nach all den eingestaubten Ritualen unserer Vorväter stattfinden sollte. Gut, zugegeben, es gab auch einige wirklich hübsche Aspekte, aber ich befürchte, hätte ich nicht gewusst, dass Fred und George mit Feuerwerk dem ganzen einen denkwürdigen Abschluss auf ihre Art geben wollten, wäre ich bei all den weiß-goldenen Vorbereitungen durchgedreht. Letztlich bekamen wir natürlich eine ganz andere Art, ein höchst ungewollte Art von Feuerwerk, aber dennoch, meine Brüder hatten ebenso wie ich den Drang, ein wenig mit den Traditionen zu brechen. Dieser Drang die Traditionen wieder in die Gegenwart zu holen und dafür zu sorgen, dass auf Festen wirklich wieder gefeiert wurde, wurde noch durch die zahlreichen Bälle und Empfänge nach dem Fall Voldemorts, die zu besuchen ich das mehr als zweifelhafte Vergnügen hatte, verstärkt, so dass letztlich in mir der Entschluss heranreifte, nach meinem Hogwarts-Abschluss meine eigene magische Event-Agentur zu gründen. Es würde die erste Agentur dieser Art überhaupt sein. Und allein deswegen konnte sie nur ein Erfolg werden, vorausgesetzt, es gelang mir, einen prestigeträchtigen Kunden, vorzugsweise das Ministerium selbst zu gewinnen. Meiner Mutter gefiel diese Idee natürlich überhaupt nicht. Denn als selbstständige Unternehmerin würde ich wohl kaum gewillt sein, jenen Weg zu beschreiten, der sie selbst so glücklich gemacht hatte: den einer Mutter und Hausfrau. Womit ich mich zudem wieder gegen eine jahrhundertealte Tradition wandte, die aber glücklicherweise schon zuvor von diversen Hexen langsam aber sicher aufgeweicht worden war. Dennoch schien meine Mutter gehofft zu haben, dass ich ihrem Vorbild folgen würde. Und wenn schon nicht ihrem Vorbild, so doch dem Vorbild meiner Schwägerin, die immerhin mit zwanzig Jahren verlobt und mit einundzwanzig Jahren verheiratet gewesen war. Bei meinen Brüdern würde sie sich ja, dank Bills Vorbild bis zu deren achtundzwanzigsten Geburtstag gedulden, aber als einzige Tochter hatte ich doch bitte den Pfaden zu folgen, die mir die Frauen unserer Familie vorlebten. Na schönen Dank auch, Fleur. Aber gut, sie und Bill schienen wirklich wie füreinander geschaffen und ich missgönne ihnen ihr Glück nicht. Das Problematische an der Situation ist nur, dass mein Traumprinz noch auf sich warten lässt. Sicher, über Jahre hinweg haben alle geglaubt, dass ich eines Tages Harry Potter heiraten würde. Schließlich war ich bereits als elfjähriges Kind unsterblich in ihn verliebt. Und als er dann vier Jahre später entdeckte, dass ich ein Mädchen war, in das man sich als Junge durchaus gegen-verlieben konnte, hätte ich eigentlich wunschlos glücklich sein müssen. Für eine Zeit war ich es wohl auch. Dann kam Voldemort, dann der Sieg und irgendwo zwischen Bills Hochzeit und der ersten Jahresfeier der Schlacht von Hogwarts bin ich erwachsen geworden. Mit allen Konsequenzen, einschließlich des Zurücklassens der Helden meiner Kindheit. Denn genau das war Harry Potter für mich. Ich war mit seiner Geschichte aufgewachsen. Es war meine liebste Gute-Nacht-Geschichte, einfach weil sie mir als jüngstem Mitglied der Familie, dem ewigen Baby, erlaubte, sich stark zu fühlen. Schließlich hatte ein Baby das Böse vertrieben. Ich will damit nicht sagen, dass ich nicht auch den Teenager Harry, den ich schließlich kennenlernte, geliebt hätte. Im Gegenteil, Harry ist ein wirklich netter Kerl, jemand, mit dem man prima Quidditch spielen kann und vor allem jemand, auf den man sich verlassen kann. Das dürfte sogar einige seiner Macken, wie einem typisch-männlichen Mangel an Einfühlungsvermögen und einem geradezu als dramatisch zu bezeichnenden Hang zum Märtyrertum, ausgleichen. Vermutlich also gar kein so übler Fang. Wenn man es bei seinem Lebenspartner eben nur auf einen passablen Fang auslegt. Denn seien wir ehrlich, eigentlich liebt Harry nicht mich, das Individuum, die Frau, sondern meine Familie und bei mir vermutlich auch noch die äußere Ähnlichkeit zu seiner toten Mutter. Vielleicht hätte er sich genauso gut in Ron oder einen anderen meiner Brüder verlieben können, wenn diese weiblich gewesen wären. Aber ich möchte nicht wegen meiner Familie geheiratet werden. In dem Fall könnte ich mich genauso gut an den nächstbesten, gesellschaftlich wie finanziell gut dastehenden Reinblüter hängen, der eine reinblütige Genspenderin für seine Nachkommenschaft in Form einer Ehefrau sucht. Genauso wenig möchte ich wegen einer möglichen Ähnlichkeit zu einer Toten geheiratet werden. Alles in allem also keine realistischen Voraussetzungen für eine lebenslange Beziehung zwischen zwei erwachsenen Menschen. Leider wurde mir dies erst zur Gänze bewusst, als mir Harry auf der Feier anlässlich des ersten Jahrestages des Sieges über Voldemort einen Heiratsantrag machte. Um das Ganze noch etwas schlimmer zu machen, war ich mir im ersten Moment noch nicht einmal bewusst gewesen, was Harry da tat, hatte ich doch die meiste Zeit des Abends damit verbracht, mir darüber Gedanken zu machen, wie man das Protokoll überarbeiten konnte, wenn ich erst mit meiner Event-Agentur den Auftrag dazu erhielt. Peinlich, peinlich! Und obwohl man annehmen müsste, dass ich aufgrund eines so öffentlichen Antrags nicht anders könnte, als selbigen anzunehmen, brach ich doch nach einem Augenblick der Besinnung mit diesem unausgesprochenen Tabu und lehnte ab. Ich schätze ja, dass Harry insgeheim geahnt hatte, dass ich ihm einen Korb geben könnte und deswegen einen öffentlichen Ort gewählt hatte, um dieses Risiko zu minimieren. Leider hatte er dabei nur seinen eigenen Gryffindor-Mut mit einkalkuliert, nicht aber meinen. Immerhin dürfte ihm der Trost, der ihm augenblicklich von meiner Mutter gespendet wurde, klar gemacht haben, dass er sich auch ohne Status als mein Verlobter weiterhin als zur Familie gehörend betrachten durfte. Tatsächlich schien an diesem Abend höchstens Harry selbst für meine Haltung Verständnis zu haben und meine Mutter konnte ich auch erst zur Ruhe bringen, als ich unter anderem anführte, dass ich zu dem Zeitpunkt von Harrys Antrag ja gerade mal siebzehn Jahre alt gewesen bin und noch nicht einmal mit Hogwarts fertig war. Wer bitte macht heutzutage noch einer Siebzehnjährigen einen Antrag und wartet nicht wenigstens bis sie mit der Schule fertig ist? Und selbst das wäre immer noch reichlich früh. Ich bin doch nicht so etwas wie ein Vorkaufsrecht auf Weasley-Zugehörigkeit, das man sich schnellstmöglich sichern muss! Wenige Tage nach diesem Desaster haben sich Harry und ich ausgesprochen, und auch wenn meine Mutter nach wie vor glaubt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich wieder zur Besinnung komme und Harry und ich wieder zusammenfinden, sind sich Harry und ich einig, dass wir als Bruder und Schwester ein weitaus besseres Team abgeben. Wir sind also nach wie vor gute Freunde, auch wenn wir aufpassen müssen, uns nicht in vermeintlich verfänglichen Situationen überraschen zu lassen, die meine Mutter dann wieder völlig falsch verstehen würde. Weshalb also mein Traumprinz weiter auf sich warten lässt, mir meine Mutter weiterhin in den Ohren liegt, mich doch bitte an den von ihr für weibliche Mitglieder der Familie erstellten Zeitplan für Familienplanung zu halten, und ich mich mehr und mehr in meine Arbeit eingrabe. Weniger aus einem vermutlich verständlichen Fluchtbedürfnis heraus, als vielmehr weil mir meine Arbeit Spaß macht und es mir Befriedigung verschafft, zu sehen, wie die Projekte langsam Gestalt annehmen. Natürlich war der Anfang alles andere als einfach. Als eine Weasley war ich bei Gringotts nur marginal kreditwürdig, keineswegs aber in dem Umfang, wie es für die Gründung einer eigenen Firma von Nöten gewesen wäre, noch dazu mit einer Geschäftsidee, die so in der Zauberwelt Englands vollkommen unbekannt und daher für die Bank ein nicht abschätzbares Risiko darstellte. Reiche Erbverwandte gab es auch nicht, sonst hätte ich als Kind gewiss mehr Geburtstagsgeschenke bekommen und im Gegenzug mehr Briefe an betreffenden Verwandten schreiben müssen, um bei selbigem ja nicht in Vergessenheit zu geraten. Denn wie heißt es so schön bei den Muggeln: Nur das quietschende Rad bekommt das Öl. Und im Falle eines existenten Erbverwandten hätten Fred und George seinerzeit auch nicht Harry als Sponsor für ihren Scherzartikelladen gebraucht. Gut, ich bin mir sicher, dass meine Zwillingsbrüder es auch ohne Harrys Hilfe irgendwie geschafft hätten, und wenn es bedeutet hätte, sich die ersten Jahre mit ihrem Versandhandel über Wasser zu halten. Aber im Gegensatz zu mir, hatten sie ja bereits eine von dem Klientel angenommene Produktpalette. Mit Harrys Hilfe wurde es natürlich deutlich einfacher für sie. Vermutlich hätte ich Harry ebenfalls um Hilfe für die Gründung meiner Agentur bitten können und es ist gar nicht mal so unwahrscheinlich, dass er mir anstandslos diese Hilfe gewährt hatte. Doch es hätte sich mehr als merkwürdig angefühlt und irgendwie konnte ich es nicht. Schließlich ist Harry nicht nur ein brüderlicher Freund sondern auch mein Ex. Und seinen Ex fragt man einfach nicht um Geld, erst recht nicht, nachdem man seinen Heiratsantrag abgelehnt hat. Das geht irgendwie nicht. Zum Glück kam mir der Zufall zu Hilfe und ich musste nicht meinen Stolz hinunterschlucken und entweder einen langweiligen Ministeriumsjob annehmen, der es mir erlaubt hätte über Jahrzehnte vielleicht genug Geld beiseite zu legen, um mir meinen Traum zu erfüllen, oder Harry schließlich doch um Geld zu bitten. Charlie lud mich für den Sommer nach meinem Hogwarts-Abschluss ein, wohl auch um mir etwas Erholung von Mum zu gewähren, die in der ersten Zeit nach Harrys Antrag einen ein klein wenig an Mrs. Bennet aus 'Stolz und Vorurteil' in der Zeit nachdem Lizzy diesem komischen Cousin abgelehnt hatte erinnerte. Ich konnte mich zwar nicht mehr genau an das Buch erinnern – Hermione hatte in dem Sommer, wo wir Sirius' Haus geputzt haben, gelesen und ich hab ein paar Highlights vorgelesen bekommen –, aber das war mir im Gedächtnis geblieben. Nun ist ein Drachenreservat natürlich nur begrenzt ferientauglich, aber da es auch sonst ziemlich abseits von allem liegt, hatte es einen entscheidenden Nachteil für die Mitarbeiter dort, den ich wiederum zu meinem Vorteil nutzen konnte: Die nächste Einkaufsmöglichkeit abgesehen von einem kleinen Gemischtwarenladen im Reservat war nur nach vierzig Minuten Besenflug, um die Appariergrenze zu überwinden, und einem anschließenden Apparieren zur nächsten Stadt möglich. Flohanschluss gab es auch nicht mehr, seit das Reservat einen frisch geschlüpften, sibirischen Grünflämmling bekommen hatte. Der Grünflämmling spie nämlich grünes Feuer, das exakt die gleiche magische Signatur eines Flohfeuers aufwies und war deswegen in der ersten Woche seines Aufenthalts im Reservat dreimal im Kamin verloren gegangen. Also war der Flohnetzanschluss für das Reservat geschlossen worden, denn natürlich hatte in einem Drachenreservat ein Drache größere Priorität als mögliche Einkaufsgelegenheiten für die Mitarbeiter. Folglich aber hatten die Mitarbeiter verhältnismäßig viel ungenutztes Geld, das sie gerne auch bei einem guten Pokerspiel einsetzten. Und Poker war eines der Spiele, die ein Weasley definitiv in allen Varianten beherrschte. Weniger wegen des Glückspielfaktors als mehr weil es ein Spiel gewesen war, bei dem alle Familienmitglieder problemlos hatten mitspielen können. Whist und Bridge dagegen, die englischen Klassiker, waren auf vier Spieler begrenzt und somit nutzlos. Nein, Poker und Weasleys, das gehörte einfach dazu. Und ausnahmsweise war es Mum gewesen, die uns die besten Muggeltricks beibrachte und nicht Dad. Denn beim Zauberpoker konnte es böse enden, wenn man bei einer magischen Trickbetrügerei erwischt wurde, aber mit der herrlich typischen, um nicht zu sagen traditionellen Ignoranz der meisten Hexen und Zauberer was Muggeltricks betraf, wurden wir nie erwischt. Wie sonst hätten wir Weasley-Kinder uns bei den Hogsmeade-Wochenenden den Besuch im Honigtopf oder ein Butterbier bei Madam Rosmerta leisten können? Von unserem mickrigen Taschengeld gewiss nicht. Aber es hatte immer ein paar besserwisserische Ravenclaws oder wichtigtuerische Slytherins gegeben, die bereit waren, ein paar Sickel oder Knuts an uns zu verlieren. Natürlich haben wir acht gegeben, es mit den Einsätzen nicht zu übertreiben, schließlich bestand stets die Gefahr, dass wir entweder ehrlich verloren oder das Pech hatten an jemanden zu geraten, der noch bessere Tricks beherrschte als wir. Auch wären große Einsätze sicher nicht vor der Lehrerschaft unbemerkt geblieben. Das Einsatzlimit von einem Sickel war ebenfalls Mums Regel, was mir einmal mehr bewies, dass meine Zwillingsbrüder ihren Hang zu Streichen wohl eher von unserer Mutter als unserem Vater geerbt hatten. Natürlich wurde ich von Charlies Kollegen zum Mitspielen eingeladen, als man sich zur geselligen Runde am Abend traf. Ich hätte auch gerne mitgespielt, nur lag hier der Einsatz bei einer Galleone und ähnlich wie Ron in der fünften Klasse mit der DA-Ortungsmünze bemerkt hatte, besaß ich keine Galleone. Fragend hatte ich Charlie angeblickt und dieser hatte nur gegrinst und genickt. Er lieh mir die Galleone. Und ich verlor prompt. Einfach weil ich bei dem Gedanken eine ganze Galleone zu verlieren viel zu verkrampft gewesen war. Charlie hatte mir daraufhin nur lächelnd eine zweite Galleone zugeschoben. Erst hatte ich ablehnen wollen, weil ich befürchtete, unter den Spielern könnte sich jemand befinden, der mein Weasley-Pokerkönnen übertraf, doch Charlie schüttelte auf die ungestellte Frage nur unmerklich den Kopf. Und schob mir noch einmal fünf der goldenen Münzen zu. Ich musste also nicht sofort gewinnen, es reichte, wenn ich Charlie am Ende des Abends das Geld würde zurückzahlen können. Außerdem brachte mein Bruder damit zum Ausdruck, dass er selbst genug Geld hatte, um damit leben zu können, wäre ich an diesem Abend tatsächlich vom Pech verfolgt. Ich entspannte mich und gewann das nächste Spiel. Ebenso das darauf folgende. Dann aber wurde ich vorsichtig. Ich durfte nicht das Gefühl aufkommen lassen, ich hätte eine Glückssträhne. Denn keine Strähne hält ewig und je länger man behauptet, eine Siegesserie wäre bloßes Glück, desto misstrauischer werden die Mitspieler. Ich gewann also ein oder zwei Spiele, verlor ein oder zwei Spiele, hatte mal Glück mit den Einsätzen, mal Pech, aber alles in allem gelang es mir den Abend so zu beeinflussen, dass ich am Ende zwanzig Galleonen gewonnen hatte. So ein rumänischer Sommer kann lang sein. So ein rumänischer Sommer kann erfolgreich sein. So ein rumänischer Sommer kann einem die Zukunft sichern. Zwar hatte ich am Ende längst nicht so viel Geld zur Verfügung, wie Fred und George es seinerzeit für die Eröffnung ihres Ladens gehabt hatten, aber ich musste mir schließlich keinen Laden anmieten. Mir reichte ein simpler Büroraum und der konnte zur Not sogar im Fuchsbau liegen. Was angesichts der Tatsache, dass meine Brüder größtenteils ausgezogen waren – Ron hatte nominal noch sein Zimmer, auch wenn er mehr Zeit bei Harry in London verbracht als zu Hause – kein Problem darstellte. Der Gründung meiner Agentur stand also nichts mehr im Wege, zumal die Beantragung eines Gewerbes, sofern man nicht mit gefährlichen oder gefährdeten Dingen handeln wollten, in der Zauberwelt weit einfacher war als in der Muggelwelt. Mein erster Auftrag war die Gestaltung einer Kinderhalloweenfeier und mein Auftraggeber niemand anderer als Harry. Es war offensichtlich, dass er mir damit unter die Arme greifen wollte, aber solange er es auf diese Art tat und mir nicht einfach das Geld schenkte, sollte es mir recht sein. Außerdem würden ja noch andere Kinder bei der Feier sein, denn es war selbstredend, dass Teddy Lupin, den Harry als Anlass genommen hatte, mich zu beauftragen, herzlich wenig von dem Fest hätte. Aber da war Andromeda Tonks, die weitererzählen konnte, wenn die Feier gelungen war und auch die begeisterten Kinder würden sicherlich das ihre dazu beitragen. Weshalb ich also mein Bestes gab und all die Elemente, die mir als Kind an Halloween immer gefallen hatten übernahm, Harry fragte, was ihm an den Muggelhalloweens gefallen hatte, die er als Kind miterlebt hatte – auch wenn es in seinem Fall mehr als Zuschauer gewesen war – und kombinierte alles zu einem bunten Treiben. Angefangen damit, dass jedes Kind beim Eintreffen ein Überraschungsbonbon erhielt, dass seine Kleidung in eine kindgerechte Halloween-Verkleidung verwandelte, über eine spannende, aber nicht zu gruselige Jagd nach Süßigkeiten durch das Haus von Mrs. Tonks und hinterher ein gruseliges Schlemmerbuffet mit Krakenwürstchen in Blutseen (Ketchup), frittierten Knochen (Pommes Frites) und Geisteräpfeln. Es war ein Erfolg! Es folgten weitere Kinderveranstaltungen und gerade als ich schon glaubte, auf ewig Kindergeburtstage organisieren zu müssen und mein Traum die verstaubten Empfangsprotokolle des Ministeriums überarbeiten zu dürfen an den Nagel hängen zu müssen, schaffte ich endlich den nächsten Schritt. Und dieses Mal gleich richtig in die Reinblüter-Domäne. Die Pennifolds beauftragten mich, die Feier anlässlich des fünfzehnten Geburtstags ihrer Tochter zu organisieren. Das mag auf den ersten Blick nicht sonderlich aufregend klingen, aber der fünfzehnte Geburtstag einer Hexe ist in Reinblüterkreisen für gewöhnlich das Alter, ab dem sie als heiratsfähig gilt. Das ist heutzutage natürlich ausgemachter Blödsinn, niemand heiratet so früh, aber bei den traditionsverhafteten Reinblütern ist das noch immer der Zeitpunkt, ab dem die Eltern sich unter den Zauberern nach einem geeigneten Gatten für ihre Tochter umsehen. Natürlich wird heute mehr Rücksicht darauf genommen, ob Zauberer und Hexe sich auch einander zugetan sind, als früher, aber dennoch ist es im Leben einer Hexe ein bedeutender Geburtstag. Bei mir selbst hatte es zwar keinen großen Firlefanz gegeben, aber Fred und George hatten sich gemüßigt gefühlt, mir ein Buch mit den besten Flüchen zu schenken, um mir aufdringliche Verehrer vom Hals zu halten – ich sag nur Flederwitsch – und Bill und Charlie hatten mir ein hübsches Fußkettchen geschenkt – Bill das Kettchen und Charlie einen kleinen goldenen Anhänger dazu. Und von Mum und Dad hatte ich das erste Mal in meinem Leben gänzlich neue Schulroben und keine Second-Hand-Roben bekommen. Bei den Pennifolds würde man sich natürlich nicht mit ein paar Geschenken zufrieden geben. Das vollständige Protokoll von annodazumal sah da etwas viel Pompöseres vor. Einschließlich eines Drachenkampfes, bei dem der siegreiche Zauberer die holde Jungfer rettete. Ich weiß nicht, ob man mich beauftragte, weil Miss Pennifolds kleine Schwester auf einem der grandiosen Kindergeburtstage gewesen war und heiß von mir und meinem Organisationstalent geschwärmt hatte oder ob es ein wenig subtiler Versuch war, einen Weasley zum Versagen zu bringen, weil Drachenkämpfe in England verboten waren und es mir somit unmöglich wäre, das Protokoll einzuhalten. Jedenfalls war ich fest entschlossen, nicht zu versagen und ich hatte auch reichlich Ideen und Erfolg. Statt eines Drachens ließ ich zwei Drachen antreten – riesige Drachenmasken mit langen Seidenschwänzen, wie sie in China zu deren Neujahrsfest durch die Straßen getragen wurden. Und natürlich beließ ich es nicht bei einem simplen Kampf gegeneinander, sondern ich ließ die männlichen Gäste als Teamdrachen gegeneinander in allerlei klassischen Wettbewerben um das Privileg mit Miss Pennifold letztlich tanzen zu dürfen, antreten. Unter anderem ließ ich die beiden Drachen miteinander Zauberwalzer tanzen. Das ganze war so unorthodox, dass Mrs. Pennifold beinahe alle meine Pläne zunichte gemacht hätte, hätte nicht Miss Pennifolds älterer Bruder sofort begeistert erklärt, er würde gerne das eine Drachenteam leiten. Und ich schaffte es sogar, die Wettbewerbsdisziplinen so würdevoll im Rahmen des Protokolls zu halten, dass niemand lächerlich gemacht wurde und trotzdem alle ihren Spaß hatten. Seither gehören die Chinesischen Neujahrsdrachen zum neuen Protokoll dieser Geburtstagsfeiern. Wer sich keinen solchen Drachen leisten kann, kann seine Party gleich als Misserfolg abstempeln. Doch den eigentlichen Durchbruch schaffte ich erst, als ich, ganz überraschend, von niemand anderem als Draco Malfoy gebeten wurde, die Feier seiner Hochzeit mit Astoria Greengrass zu organisieren. „Man erwartet von uns einerseits, dass wir als Reinblüter die Traditionen waren, aber andererseits können es sich die Malfoys nicht leisten zu sehr an alten Bärten zu hängen. Wir müssen zeigen, dass wir die Vergangenheit hinter uns gelassen haben und mit der Zeit gehen“, hatte Draco in seinem typisch herablassenden Malfoy-Ton erklärt und ich hatte mir lebhaft vorstellen können, was bei diesen Worten alles ungesagt geblieben war. Also ging ich ähnlich vor wie seinerzeit bei Harry mit der Halloweenparty. Ich legte den Brautleuten das Protokoll des traditionellen Hochzeit vor und bat sie, all die Teile zu markieren, die ihnen persönlich gefielen und welche sie selbst nur mit Mühe tolerieren würden. Es war für mich wenig überraschend, dass das erste, was Astoria von der Liste strich, das öffentliche Zubettgebrachtwerden war. Den Eröffnungstanz hingegen wollte sie – sehr zu Dracos Verdruss – unbedingt beibehalten. „Es muss ja nicht unbedingt Zauberwalzer sein“, hatte Astoria zur Güte vorgeschlagen und ich hatte die beiden daraufhin prompt in eine Muggeltanzschule geschleppt, wo sie für ihren Eröffnungstanz Tango lernten. Denn nachdem ich Draco erklärt hatte, dass er damit, ganz traditionell, vor den Augen aller, sein horizontales Verlangen nach seiner Braut vertikal zum Ausdruck bringen könnte, war sogar sein männliches Ego Feuer und Flamme. Die Hochzeitsfeier hatte Stil, enthielt überraschend viele traditionelle Elemente, doch ich hatte die Angelegenheit von allem angestaubten Kitsch befreit – wie etwa den Puttenperücken, welche die Hauselfen sonst bei diesen Gelegenheiten tragen mussten – und war doch zeitgemäß. Es gab ein klassisches Streichorchester, doch hatten sich die Musiker bereiterklärt, ein paar moderne Hits wie sie etwa die Schwestern des Schicksals sangen als Instrumentalversion einzustudieren. Da beschwerte sich auch niemand, dass die traditionelle Ogerblutsuppe durch eine exzellente mediterrane Tomatensuppe ersetzt worden war. Tatsächlich war es die Malfoy-Greengrass-Hochzeit im Sommer gewesen, die mir meinen jetzigen Auftrag im Ministerium beschert hatte. Genau, endlich arbeitete ich daran, die verstaubten Protokolle des Ministeriums einer zeitgemäßeren Bestimmung zuzuführen. Aber da aller Anfang bekanntlich schwer ist, waren es natürlich nicht die offiziellen Feiern und Empfänge, mit denen man mich betraute, sondern die Kantine. Genau, die Kantine. Über Jahre hinweg hatte ich nicht einmal gewusst, dass es im Ministerium für Zauberei eine Kantine für die Mitarbeiter gab. Was aber auch kein Wunder war, ging doch kaum jemand dort essen. Nun aber hatte Minister Shacklebolt bei der Durchsicht des letzten Haushalts festgestellt, wie viel diese ungenutzte Kantine jeden Monat verschlang, ohne, dass ein Knut im Ausgleich durch die Einnahmen wieder hereinkam. Da es ihm aber auch widerstrebte, die Hauselfen, die jahrelang treu ihren Dienst in der Kantine versehen hatten, so plötzlich mit Kleidern vor die Tür zu setzen – was für ein Licht hätte das auf ihn als Minister geworfen? – weshalb er nur einen Ausweg sah: Die Kantine musste für die Ministeriumsmitarbeiter wieder attraktiver werden! Genau das also war mein Auftrag. Ich wusste bereits von früheren Zusammenarbeiten mit Hauselfen, dass diese willig waren, es aber nicht in ihrer Natur lag, von sich aus etwas an Althergebrachtem zu ändern. Wenn man also schon immer lauwarmes, verkochtes Rindfleisch mit kalter Minzsoße gegessen hatte, konnte man das getrost noch ein paar Jahrhunderte tun, es sei denn, die Herrschaft wünschte es anders. Und die Herrschaft wünschte es jetzt eindeutig anders. Das für mich wohl immer noch Erstaunlichste an Hauselfen ist, dass sie wirklich jedes Rezept, das man ihnen einmal vorlegt, ihre Leben lang perfekt aus dem Gedächtnis nachkochen können. Was wiederum für mich bedeutete, dass ich aus dem Vollen schöpfen konnte. Nun war ich persönlich natürlich Fan der Küche meiner Mutter, aber ich wusste, dass ich mit klassischer Hausmannskost die Kantine kaum attraktiver machen konnte. Die gab es bereits in guter Qualität zu gutem Preis im Tropfenden Kessel in der Winkelgasse, wohin nicht wenige Ministeriumsangestellte regelmäßig um die Mittagszeit flohten. Was hingegen in der Winkelgasse fast gänzlich unbekannt war, waren die internationalen Gerichte, wie man sie einmal in der Woche als Abwechselung in Hogwarts zu kosten bekam, damit all die Schüler mit einem nicht-britischen Hintergrund nicht allzu sehr an kulinarischem Heimweh litten. Es gab kein Zauberrestaurant mit indischen oder chinesischen Speisen auf der Karte, für französisches Essen musste man nach Frankreich reisen und die italienische Küche war höchstens den Wagemutigen, die sich manchmal nach Muggellondon wagten, in Form von fragwürdiger Pizza bekannt. Deshalb war es nahelegend, Themenwochen zu veranstalten, bei denen man internationale Köstlichkeiten probieren konnte, ohne sich in einem Muggelrestaurant blamieren oder gar in ein anderes Land reisen zu müssen. Bis zu diesem Auftrag hatte ich mir nie sonderlich viele Gedanken darüber gemacht, wie kompliziert es sein konnte, einen ansprechenden Speiseplan für eine ganze Woche im Voraus zu erstellen. Und der Speiseplan war erst der Anfang, nutzte doch die beste Küche nichts, wenn der Speisesaal selbst einen Charme wie Snapes alter Klassenraum ausstrahlte. Dekoration musste also auch noch organisiert werden, dazu eifrig im Ministerium für die neue alte Kantine geworben werden und natürlich durfte ich das Budget nicht überziehen. Ehrlich, dagegen war es regelrecht leicht gewesen, die Malfoy-Hochzeit zu organisieren. Vielleicht aber kam es mir auch nur so vor, weil ich bei diesem Auftrag noch mehr das Gefühl hatte, unbedingt Erfolg haben zu müssen, wenn ich je die Siegesfeier neu protokollieren wollte. Deswegen war ich mehr als dankbar, als man mir anbot, ich könnte ein leerstehendes Büro im Ministerium unweit der Kantine nutzen, um dort die Arbeiten vor Ort zu koordinieren. Doch das alles, Speiseplan, Einkaufslisten, Dekorationen, gerieten eines Tages in den Hintergrund, als mein Minimuff Atlas ganz aufgeregt in mein Büro gewuselt kam. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)