Vertrauter Fremder von Verath (Projekt 120) ================================================================================ Kapitel 1: Casimir? ------------------- Casimir? Eine spontane Idee, die durch temporäre Schreibsucht hervorgerufen wurde. Hoffe, es gefällt euch :) ______________________________________________________________________ Es war kalt. Er hatte nun bald wirklich keine Lust mehr. Wer würde schon gerne in der Dämmerung in einem von Schnee überzogenen Wald herumirren? Und das alles nur wegen Casimir. Zitternd schlang der Junge seine Arme enger um seinen Körper und stapfte weiter durch den schweren, tiefen Schnee, in der Hoffnung, nicht an den am Boden wuchernden Pflanzen hängen zu bleiben. Schließlich sah er diese unter der weißen Masse nicht mehr. Die Sonne war schon am Untergehen und es begann erneut zu schneien. Hätte er sich doch nur eine dickere Jacke angezogen oder Handschuhe. Aber nein, er war völlig überstürzt hinter Casimir hergelaufen, um ihn wiederzuholen und nun hatte er den Salat. Er fand ihn einfach nicht wieder, hatte ihn schon längst aus den Augen verloren und irrte nur noch missgelaunt im Wald herum. »Casimir! Komm' doch wieder her. Ich hab' bald wirklich keine Lust mehr.« Seine Stimme klang verzweifelt. Er wollte doch nur wieder zurück nach Hause, ins Warme. Und sicherlich wollte Casimir das auch. Er verstand sowieso nicht, warum er weggelaufen war. Es ging ihm bei ihnen doch richtig gut. Er hatte immer genug zu fressen, konnte raus, wann er wollte und ein einziges Miauen und sofort war jemand an der Tür oder am Fenster um ihn wieder hereinzulassen. Er hatte ein wirklich schönes Katzenleben und doch war er vor gut einer Stunde plötzlich aus dem Haus getigert und im Wald verschwunden. Eigentlich würde er sich um Casimir keine Sorgen machen, aber wenn er nicht bald zurückkommen würde, müsste er die ganze Nacht in dieser schrecklichen Kälte verbringen. Es gab eigentlich keinen richtig geschützten Ort bei ihrem Grundstück, wo er über Nacht Schutz vor dem Schnee und der eisigen Kälte finden würde. Und da er Kyle sehr wichtig war, wollte dieser nicht, dass er frieren müsste. Aber egal, wie laut Kyle auch rief und wie lange er auch suchte, er fand seinen Kater einfach nicht. Ermüdet von der Suche blieb er stehen. Seine Übergangsjacke, die er sich im Vorbeilaufen vom Kleiderständer gerissen hatte, schützte ihn lange nicht gut genug vor dem Wind und dem Schnee. Seine Finger waren eiskalt und er zitterte. Die Schneeflocken setzten sich in seine Haare und schmolzen nur langsam dahin. Vor ihm trat sein Atem als kleines Wölkchen in Erscheinung. »Casimir! Wenn du jetzt nicht kommst, gehe ich alleine zurück!« Er blickte um sich. Überall waren dunkle Baumstämme und weißer Boden, aber kein Kater war zu sehen. Tief seufzte er auf. Das hatte doch alles keinen Sinn. Bald würden seine Eltern zurückkommen und bis dahin sollte er sich besser wieder aufgewärmt haben und trocken sein, sonst dürfte er sich von seiner Mutter sicherlich eine kleine Standpauke über die richtige Kleidung im Winter anhören. Er machte am Absatz kehrt, rieb sich erneut die Hände aneinander um sie etwas warm zu halten und ließ seinen Blick trotzallem noch über die Bäume und den Boden schweifen. Vielleicht würde er Casimir ja doch noch am Rückweg finden. Plötzlich entdeckte er etwas. Er blieb stehen und sah genauer hin. Hatte er sich getäuscht? Nein, da war etwas im Schnee hinter einem der Bäume. Es sah fast aus wie ein Mensch… »Wer ist da?« Es gab sicherlich einige Verrückte, die im Wald herumliefen, aber solchen wollte er eigentlich niemals begegnen. Man hörte ja so einige Sachen in den Nachrichten. Unsicher stand Kyle da und wippte von einem Fuß auf den anderen. Wenn das da wirklich so ein Irrer war, würde Laufen dann noch etwas bringen? Einen Versuch wäre es sicherlich wert. Aber derjenige, der da hinter dem Baum saß, reagierte überhaupt nicht auf seine Frage. Er besah ihn sich genauer, musste dafür aber noch einen Schritt weitergehen, weil er nichts Genaueres erkennen konnte, so wie er jetzt stand. Sah er da richtig? Der Kerl - Kyle war sich ziemlich sicher, dass es sich um einen Mann handelte - war nackt! Wie verrückt musste man denn bitte sein, um ohne Kleidung mitten im Winter im Schnee zu sitzen? Kyles Augenbrauen zogen sich zusammen, nachdem seine anfängliche Verwunderung verschwunden war. Er ging seitlich - fast wie ein Krebs - um den Baum herum. Immer darauf bedacht, dem Unbekannten ja nicht zu nahe zu kommen und falls nötig schnell weglaufen zu können. Der Fremde war zwar männlich, aber noch kein richtiger Mann. Er war höchstens in Kyles Alter und das bezeichnete er dann doch nicht so. Da saß ein Junge. Höchstens noch ein junger Mann. Er saß mitten im Schnee in sich zusammengekauert, die Arme waren um die Beine geschlungen und er zitterte schrecklich. Anscheinend versuchte er so viel Wärme wie möglich bei sich zu behalten, aber lange funktionierte das sicher nicht. Kyle wusste zwar nicht, wie lange der Junge da schon saß, aber er war bestimmt schon völlig unterkühlt. »Hey, du. Was machst du hier?« Der Unbekannte zuckte zusammen, scheinbar hatte er ihn bis jetzt gar nicht mitbekommen und nur ganz langsam hob sich der Kopf. Er hatte pechschwarzes Haar und war schlank, aber nicht zierlich. Wie groß er war, konnte Kyle in ihrer momentanen Position nicht schätzen. Aber das, was ihn wirklich verwunderte, waren die stechend grünen Irden des Jungen. Sie schienen selbst in der beginnenden Dunkelheit nichts an ihrer Farbe zu verlieren und schimmerten ihm entgegen. Aber der Ausdruck in ihnen sprach von Unsicherheit und leichter Angst. Wer auch immer dieser Junge war, er schien kein Irrer und kein Verrückter zu sein, der Kyle etwas antun würde und das beruhigte diesen schon sehr. »Willst du mit zu mir? Dir ist sicherlich schrecklich kalt.« Aber eine wirkliche Reaktion bekam er auf seine Frage nicht. Er wurde nur weiterhin von diesen unglaublich grünen Augen angesehen. Er legte den Kopf schief und sah abwartend auf den anderen hinab, aber von diesem würde wohl auch nichts mehr kommen. Fest entschlossen griff er nach dem Arm des anderen und zog diesen hoch. Dabei spürte er, die fürchterlich kalt dessen Haut war. »Na komm schon. Hier in dieser Kälte holst du dir nur den Tod.« Dann bemerkte er die verschämte Haltung des Fremden, er stand seitlich abgewandt zu ihm und versuchte, seinen Arm loszubekommen. Kyle ließ los und der andere zog seinen Arm sofort zurück an seinen Körper, bedeckte damit seine Körpermitte und mit dem anderen Arm versuchte er sich warm zu halten. Es dauerte einen Moment, bis Kyle verstand. Natürlich. Ihm wäre es bestimmt auch ziemlich peinlich, würde er vor einem völlig Fremden nackt stehen. Er strich sich durch seine blonden, kurzen Haare, bevor er sich schweren Herzens seiner Jacke entledigte und diese über die Schultern des Unbekannten legte. Jener zog sich das Kleidungsstück sofort um den Körper und hielt es mit seiner Hand fest umklammert, damit es nicht allzu viel des eisigen Windes an seine Haut ließ. »Gehen wir. Mir ist kalt und dir sicher auch.« Er war sich sogar sicher, dass dem anderen kalt war. Er zitterte noch immer wie Espenlaub, seine Haut fühlte sich fast wie der Schnee an und die Haltung sprach Bände. Da der Junge jedoch keine wirklichen Anstalten machte, mitzukommen und nur auf den Boden vor sich starrte, ergriff Kyle kurzum dessen Hand und zog ihn dann hinter sich her. Dessen Hand war wirklich kalt. Eiskalt. Bedacht, nicht zu schnell zu gehen, machte er sich mit ihm auf den Rückweg. Der Schwarzhaarige hatte auch keine Schuhe an, deshalb taten ihm wohl jeder Schritt auf dem harten und unebenen Waldboden mit den ganzen Steinen und Ästen und die Kälte des Schnees weh. Während des ganzen Rückweges sprachen sie nicht miteinander. Kyle war zu sehr in Gedanken. Wieso war er hier im Wald gesessen? Und das auch noch nackt? Das ergab doch keinen Sinn. Niemand würde sowas freiwillig machen. War er vor irgendetwas oder irgendwem geflüchtet? Doch bevor er seine Gedanken weiterspinnen konnte, waren sie an ihrem Haus angekommen. Die Tür war anscheinend zugefallen, deshalb suchte Kyle in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel, den er dann auch recht bald fand. Hoffentlich waren seine Eltern noch nicht wieder da, denn er wusste wirklich nicht, wie er den nackten Jungen erklären sollte. Ob sie ihm überhaupt glauben würden? Man fand schließlich nicht jeden Tag einen Fremden völlig ohne Kleidung im Wald hinter dem Haus. Er ging hinein und zog den anderen noch immer an der Hand hinter sich her. Mit einem schnellen Blick in die Küche und das Wohnzimmer atmete er auf. Niemand da. »Jetzt duscht du erst einmal heiß und ich gebe dir ein paar Klamotten von mir, damit du dich wieder aufwärmst. Und dann sehen wir weiter.« Damit schob er den Jungen vor sich her die Treppen hinauf und ins Bad. In seinem eigenen Zimmer trocknete er sich seine eigenen Haare etwas und kramte ein kleines Weilchen in seiner Kommode, bis er etwas fand, von dem er dachte, es könnte dem anderen vielleicht passen. Mit der Kleidung ging er dann zurück zum Bad und klopfte kurz an. »Ich lege dir die Sachen vor die Tür, okay? Komm einfach wieder nach unten, wenn du fertig bist.« Unten in der Küche machte er sich dann daran, einige Brote zu belegen. Wer wusste schon, wie lange der Junge da im Wald gewesen war? Konnte doch gut möglich sein, dass er einen Bärenhunger hatte. Aber es dauerte länger als erwartet, bis dieser sich bei ihm blicken ließ. Nun trug er eine Jeans und ein warmes Sweatshirt. Kyle bedeutete ihm, er solle sich doch setzen und dem kam der andere dann auch einen Moment später nach. »Hier, falls du Hunger hast.« Er schob ihm den Teller mit Broten vor die Nase. Die grünen Augen seines Gastes folgten dieser Bewegung und lagen dann auf dem Teller, aber er machte keine Anstalten, etwas davon zu nehmen. »Wie heißt du überhaupt? Ich bin Kyle«, stellte er sich vor. Doch er bekam keine Antwort. Etwas missgelaunt versuchte er es noch einmal. »Woher kommst du? Was hast du da im Wald gemacht und warum hattest du nichts an?« Denn der andere würde ihm diese Fragen sicherlich am besten beantworten können, hatte Kyle für sich entschlossen. Aber auch dieses Mal antwortete er nicht. Skeptisch musterte Kyle ihn. Was war nur mit ihm los? Verstand er ihn nicht? Oder konnte er vielleicht einfach nur nicht sprechen? »Kannst du sprechen?« Erwartungsvoll sah er dem anderen in die Augen, was etwas schwer war, da diese noch immer auf dem Teller lagen. Er wartete, aber nichts. Keine Antwort. Seufzend lehnte sich der Blonde im Stuhl zurück und sah mit hinter dem Kopf verschränkten Armen zur Decke hinauf. Das hatte doch alles keinen Sinn. »Naja, wenn du nicht reden willst… meine Eltern wissen bestimmt, was wir mit dir machen sollen.« Kyle konnte gar nicht so schnell schauen, da hörte er einen Stuhl über den Boden schaben. »B-bitte nicht. Nichts sagen.« Verblüfft davon, dass der andere ihn anscheinend sehr wohl verstanden hatte und ebenso gut sprechen konnte, richtete er seinen Blick wieder auf diesen. Der Junge stand, hatte die Hände auf dem Tisch abgestützt und sah ihn flehend an. Mit diesen unglaublich grünen Augen… »Warum sollte ich meinen Eltern nicht sagen, dass ich dich gefunden habe? Sie können dir sicherlich helfen, wieder zurück zu kommen. Wo immer du auch herkommst.« Doch der Junge schüttelte nur wild den Kopf, sodass seine schwarzen Strähnen nur so in sein Gesicht schlackerten. »Nein, nein! Du darfst keinem was sagen. Ich… ich habe keinen Ort, an den ich zurückkehren könnte…« Dabei hörte er auf, den Kopf zu schütteln und blickte starr auf die Tischplatte. Wie? Er hatte kein Zuhause? Aber von irgendwo musste er doch herkommen. War er vielleicht ein Waisenkind und vom Heim ausgerissen? Wurde er da womöglich schlecht behandelt? Hörte man ja immer mal, dass sich die Kinder untereinander oft nicht gut verstanden und sich prügelten. »Jetzt sag mir erst einmal deinen Namen, dann überlege ich es mir«, überredete Kyle ihn. Und nach kurzem Zögern bekam er tatsächlich eine Antwort. »M…Miro.« »Miro? Ein seltsamer Name. Ich hab noch nie jemanden getroffen, der so heißt.« Dann stützte er seine Arme auf dem Tisch ab und überlegte. Er sollte seinen Eltern nichts von Miro sagen. Wie sollte das gehen? Früher oder später würden sie es bestimmt sowieso mitbekommen. Man konnte nicht einfach so einen Menschen geheim halten, der bei einem wohnte. Ein Motorengeräusch riss ihn aus seinen Überlegungen. Seine Eltern waren wieder da. Er hörte, wie der Motor abgestellt wurde und die Autotüren aufgingen. »Bitte«, die flehende Stimme brachte ihn dazu, wieder auf Miro zu schauen. Dieser hatte seine Hände gefaltet und schien so verzweifelt. Er musste einen guten Grund haben, dass er nicht wollte, dass jemand anders von seiner Anwesenheit wusste. Kyle sprang auf. »Okay. Hoch, zweite Tür links. Und keinen Mucks!«, befahl er und erhaschte noch einen kurzen Blick auf den erleichterten Ausdruck auf Miros Gesicht, bevor dieser auch schon loslief und die Treppe hinaufrannte, bevor er verschwand. Kyle hingegen stellte den Teller mit Broten auf die Treppe, um sie später mit hochzunehmen und begrüßte dann seine Eltern, als diese keinen Moment später durch die Haustür kamen. Er blieb noch ein paar Minuten bei ihnen, frage, wie es denn so auf der Firmenfeier seines Vaters war und verneinte, als sie wissen wollten, ob seine Schwester schon wieder von ihren Freundinnen zurück war. Diese blieb meistens bis spät in die Nacht bei ihrer Clique, wenn sie erst einmal zusammen waren. Dann eiste er sich bald von seinen Eltern los, schnappte sich den Teller mit Essen und ging hinauf in sein Zimmer. Dort war kein Licht. Hatte Miro solche Angst, entdeckt zu werden? Er schaltete es ein und entdeckte den Schwarzhaarigen auf seinem Bett sitzen. »Du hast ihnen nichts gesagt, oder?« »Nein. Aber wieso willst du nicht, dass jemand davon weiß, dass du hier bist?« Das würde ihn dann schon interessieren. Doch Miros Blick wanderte nur wieder zu Boden und er sagte nichts mehr. Es schien nicht so, als würde der andere ihm auf solche Fragen antworten. Weder auf die, woher er kam, noch auf die, warum er hier war oder warum niemand davon wissen sollte. Und für heute hatte Kyle auch keine Lust mehr, die Antworten aus Miro herauszubekommen. Vielleicht würde er es morgen wieder versuchen. Er hielt dem Jungen den Teller mit Essen vor die Nase. »Jetzt iss' wenigstens etwas, wenn du mir schon nichts verraten willst.« Miro blickte von den Broten zu Kyle hinauf, dann wieder auf den Teller, bevor er sich dann doch zögerlich etwas davon nahm und es noch einen Moment skeptisch ansah, bevor er hineinbiss. »Ich habe nichts Giftiges hineingetan, falls dich das beruhigt«, seufzte er und stellte den Rest auf seinen leicht überquellenden Schreibtisch ab, nachdem er einen Fleck dafür freigeräumt hatte. »Das… ist gut.« Die Stimme hörte sich so an, als würde diese Tatsache Miro wirklich verwundern. »Naja, solche Sachen wie belegte Brote krieg ich schon noch hin«, grummelte Kyle darauf. Er war ja nicht völlig unfähig was das Kochen anging. Dann nahm er sich selbst auch eines und setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl. Er biss ab und während er kaute, besah er sich seinen neuen, temporären Mitbewohner noch einmal genauer. Er war ein Stück größer als er selbst, aber das war kaum der Rede wert. Sein Gesicht war hübsch, die Wangenknochen hoch angesetzt, die Kieferlinie gut ausgebildet, die Nase gerade und das alles ließ ihn schon recht erwachsen aussehen, wobei er noch immer auch weiche Züge hatte, die ihn wieder jugendlicher erscheinen ließen, aber Miro schien noch immer eher unsicher, vor allem nun, da er ihn so betrachtete, merkte er, wie sich der Junge leicht versteifte. Er saß im Allgemeinen relativ gebeugt da, hatte die Beine an den Körper gezogen und sah nach unten auf sein Essen. Nur langsam richteten sich seine Irden auf ihn, sodass er ihn aus den Augenwinkeln ansah. Der Ausdruck sprach die stumme Frage fast schon direkt aus: 'Habe ich etwas falsch gemacht, oder was ist los, dass du mich so ansiehst?' Auf Kyles Gesicht erschien ein leichtes Lächeln. »Nein, alles okay. Iss' einfach weiter. Du hast bestimmt Hunger.« Doch diese grünen Augen kamen ihm so bekannt vor. Irgendwie, jedenfalls beschlich ihn das leise Gefühl, diese von irgendwoher zu kennen. Er wusste nur nicht woher. Hatte er Miro vielleicht schon einmal gesehen? Er konnte sich nicht daran erinnern. Möglicherweise spielte ihm sein Gedächtnis da auch einfach nur einen Streich. Vorerst aßen sie stumm weiter. Kyle würde die Fragen auf den nächsten Tag verschieben und den anderen für heute damit in Ruhe lassen. Warum auch immer dieser nackt im Wald gewesen war, es hatte sicher einen guten Grund gehabt und wenn er nicht darüber sprechen wollte, war das für den Moment auch okay. Nachdem sie fertig mit Essen waren, legte sich Miro auf sein Bett zurück und schloss die Augen. Kyle ließ ihn machen und kümmerte sich etwas um die Vorbereitung auf die Schule für morgen. Er hatte noch ein paar Hausaufgaben zu erledigen, vor allem Mathematik, was ihn doch eher quälte, als ihm gefiel. Aber er wusste auch, dass er diese besser machen sollte, denn sonst käme er bald gar nicht mehr mit dem Stoff mit. Reichte schon, dass er das letzte halbe Jahr Nachhilfe hatte nehmen müssen, weil er nichts mehr verstanden hatte von dem, was der Lehrer ihnen beibringen hatte wollen. Er war verhältnismäßig stark in die Aufgabe vertieft, sodass er doch ziemlich erschrak, als Miro sich ruckartig aufsetzte und zur Tür blickte. Kurz darauf hörte Kyle, wie unten die Tür zuschlug und seine Schwester bekannt gab, dass sie wieder da war. Dann wurde ihre Stimme wieder leiser, sodass er nicht mehr verstand, was sie sagte. Anscheinend sprach sie gerade mit ihren Eltern. Kyle sah zu dem anderen hinüber. Dieser schenkte ihm einen besorgten Blick. »Keine Sorge, sie kommt normalerweise nicht in mein Zimmer und wenn doch, klopft sie eigentlich an.« Dadurch sichtlich erleichtert ließ sich Miro wieder zurückfallen und auch Kyle kümmerte sich wieder um seine Mathematikaufgabe. Einige Minuten später hörte man, wie seine Schwester die Treppen hinaufstapfte und vor seiner Tür stehen blieb. Beide, Miro und Kyle sahen erneut auf und der Schwarzhaarige reagierte in einer unheimlichen Geschwindigkeit. Nur ein kurzes Klopfen war zu vernehmen, bevor die Zimmertür aufging, doch das reichte Miro schon aus und er war vom Bett auf den Boden geschlittert und hatte sich unter das Bett gerettet, fast so als hätte er genau gewusst, dass darunter genug Platz für einen Menschen war, solange dieser nicht zu breit oder groß war. Einen Augenblick sah Kyle noch gebannt auf die Stelle, von der aus Miro seinen kleinen Stunt begonnen hatte, dann jedoch räusperte sich seine Schwester und er sah zu ihr hinauf. »Ich weiß ja, dass dein Bett wirklich sehr interessant ist, aber könnte ich für eine Minute um deine Aufmerksamkeit bitten?« »Gut, du hast eine Minute, Lis. Genau ab… jetzt«, scherzte Kyle und sah dabei auf seine Armbanduhr. Entnervt rollte seine Schwester mit den Augen und seufzte auf. »Mum ist morgen nicht da, wenn du von der Schule heimkommst, deshalb stellt sie dir das Essen in den Kühlschrank und du kannst es dir aufwärmen, soll ich dir sagen.« Überrascht sah der Blonde auf. »Wo ist sie denn und wann kommt sie zurück?« »Sie hat einen Zahnarzttermin und konnte keinen zu einer anderen Zeit bekommen. Wahrscheinlich so um drei Uhr wird sie wieder da sein.« Dabei warf Lis ihre hellbraunen, langen Haare nach hinten und gähnte verhalten. Sie war ein hübsches Mädchen, es war wirklich kein Wunder, dass ihr die Männer nur so hinterherliefen, wenn sie single war. Obwohl sie mit ihren 18 Jahren nur gut ein Jahr älter als Kyle war, erschien sie manchmal wie eine dieser erfolgreichen Frauen, die in ihrem Leben schon alles erreicht hatten und es voll und ganz genossen. Man konnte zwar nicht sagen, dass sie so erfolgreich war, aber sie hatte eine Anstellung im Büro eines großen Unternehmens, wo sie zur Bürokauffrau ausgebildet wurde und gute Aussichten, übernommen zu werden. »Gut. Deine Minute ist um. Und das nächste Mal könntest du darauf warten, dass ich auch 'Herein' sage und nicht einfach hereinstürmen.« »Jaja, Kleiner. Schon gut, ich verschwinde ja schon. Und sei dankbar, dass ich mir überhaupt die Mühe gemacht habe, anzuklopfen. Ist ja nicht so, als würdest du sonst was Geheimes machen.« Sie winkte ihm noch und wünschte ihm eine gute Nacht, bevor sie wieder aus dem Zimmer verschwunden war. Einen Moment später kroch Miro unter dem Bett wieder hervor und stand auf. Er hatte hier und da kleine Staubfussel auf der Kleidung und zupfte diese einzeln weg. »Du solltest dringend mal da unten sauber machen. Ist ja echt eklig.« Dabei lächelte er ihm schief entgegen um seine Worte etwas abzuschwächen. »Hast wohl Recht. Gleich morgen sauge ich mal unter das Bett«, erwiderte Kyle und lächelte ebenso. Als es dann schon später war und Kyle seine Hausaufgaben endlich hinter sich hatte, stand er vom Schreibtisch auf, streckte sich und sah zu Miro, der seine Augen einen Spalt geöffnet hatte und zu ihm blickte. »Ich mach mich jetzt bettfertig. Du kannst auf dem Sofa schlafen. Ich gebe dir dafür noch eine Decke und was zum Anziehen.« Kurz darauf kramte er auch schon eine Schlafhose und ein bequemes Shirt heraus, sowie eine dicke Winterdecke. Das alles gab er Miro, bevor er sich auf den Weg ins Bad machte, wo er sich die Zähne putzte, sich fertig machte und wieder zurück in sein eigenes Zimmer ging. Der andere hatte sich währenddessen umgezogen und saß auf dem schwarzen Sofa, die Beine unter der Decke. Sein Blick lag auf Kyle, doch dieser versuchte das zu ignorieren, während er sich selbst umzog, was gar nicht so einfach war. Er fühlte sich dabei schrecklich beobachtet und war heilfroh, als er endlich seinen Schlafanzug anhatte und die kleine Lampe auf seinem Nachtkästchen anmachte, dafür das große Raumlicht ausschaltete. Er legte sich ins Bett, stellte sich seinen Wecker und sah noch einmal zu Miro, der sich nun doch hingelegt hatte und die Augen schloss. »Gute Nacht.« Dann schaltete er das Licht aus und versuchte einzuschlafen. Das war jedoch leichter gesagt als getan, denn die Fragen, warum Miro im Wald war, warum er es ihm nicht sagte, wollten ihm nicht aus dem Kopf gehen. Er musste ihn unbedingt zum Reden bringen. So konnte das doch nicht weitergehen! Früher oder später war er dann doch eingeschlafen und kuschelte sich dabei noch mehr in sein Bett, denn auch wenn eingeheizt wurde, unter der Decke war es doch wärmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)