Dein wilder Garten - Mein Herz von Ibogaeru (NaLu) ================================================================================ Kapitel 1: Das Wiegenlied einer Weide ------------------------------------- Kapitel 1 - Das Wiegenlied einer Weide Er hatte jetzt schon keinen Bock mehr auf diese Stadt, dabei waren sie noch nicht mal am Ortseingangsschild vorbei gefahren. Und er hatte auch keinen Bock mehr auf die vorwurfsvollen Blicke, die ihm sein Vater alle paar Minuten von der Seite zuwarf. Er wusste, dass sein Vater kaum eine andere Wahl gehabt hätte. Entweder den neuen Job annehmen und umziehen, oder mit Sack und Pack auf der Straße landen, weil man ihm die Sozialhilfe gekürzt hätte, wenn er sich geweigert hätte. Natsu wusste, dass sein Vater bei seiner Entscheidung besonders an ihn gedacht hatte, immerhin war er erst 17 und hatte noch fast zwei Jahre Schule vor sich, ehe er studieren oder eine Ausbildung machen konnte. Wenn es nach seinem Vater ginge, würde er studieren. Wenn es nach Natsu ging, würde er sich eine Ausbildung suchen und so schnell wie möglich sein eigenes Geld verdienen. Er hatte keine Lust mehr, seinem Vater auf der Tasche zu liegen auch wenn dieser immer beteuerte, dass es für ihn selbstverständlich war, seinem Sohn finanziell unter die Arme zu greifen. Natsu bat seinen Vater nur sehr ungern um Geld. Sie hatten nie viel besessen, aber es hatte immer für ihre Familie gereicht. Sie waren ja auch nur zu zweit gewesen, seit seine Mutter vor zehn Jahren gestorben war und er bekam Halbwaisenrente, aber da seine Mutter nicht gearbeitet hatte, war es nicht besonders viel. Und doch hatte es immer gereicht. Bis sein Vater seinen Job in der Eisenschmiede verloren hatte, weil die Arbeitsstellen rationiert werden mussten. Als dann das Angebot einer anderen Schmiede gekommen war, hatte Igneel nicht lange überlegt und Natsu gewissermaßen vor vollendete Tatsachen gestellt. Eine Woche lang hatte er nicht mit seinem Vater geredet, hatte die Schule geschwänzt und war in den Hungerstreik getreten – ohne Erfolg. Also blieb Natsu keine andere Wahl als sich in ihren schrottreifen Wagen zu setzen und fast sechs Stunden Fahrt über sich ergehen zu lassen. Allerdings nicht, ohne sich dreimal zu übergeben. Er hasste Autofahrten und sein Magen hasste sie noch mehr. Als sie schließlich durch die Straßen ihrer neuen Heimatstadt fuhren, war Natsu beinahe erleichtert. Er hatte sich seinen Hintern plattgesessen und sein Magen rebellierte immer noch, seine Katze protestierte lautstark und sein Vater trommelte ungeduldig auf dem Lenkrad. Das helle Kopfsteinpflaster, über das sie mit ihrem Auto holperten, regte Natsu jetzt schon auf. Es hatte eine grässliche Farbe und wurde bei Regenwetter bestimmt zur rutschigen Todesfalle. Das fehlte ihm auch noch, sich den Hals zu brechen nur um pünktlich zur Schule zu kommen. Die Schule! Er stöhnte auf und lehnte seinen Kopf an die Autoscheibe. In seiner alten Schule war er schon aufgefallen wie ein bunter Hund mit seinen kirschblütenfarbenen Haaren. Natsu hatte seine Haare als Kind immer gemocht, sie machten ihn auf eine ganz spezielle Weise einzigartig. Aber spätestens mit der Pubertät und den ersten Unsicherheiten und Anforderungen an ein „männliches“ Erscheinungsbild hatte er sich gewünscht, stinknormal zu sein, oder wenigstens ein paar väterliche Gene mehr geerbt zu haben. Igneel hatte Haare wie Flammen, rot und störrisch umrahmten sie sein kaum gealtertes Gesicht. Allmählich durchzogen die ersten grauen Haare seine rote Mähne, aber das ließ Igneel nur noch imposanter wirken. Natsu seufzte. Er wäre so gerne ein bisschen mehr wie sein Vater. Und doch wollte er nicht so sein, denn seine weicheren Gesichtszüge und seine hellen rosa Haare hielten seine Mutter auf eine bestimmte Art lebendig, schließlich waren es ihre Gene, die ihn von seinem Vater unterschieden. Igneel lenkte den alten Wagen von der gelben Kopfsteinpflasterstraße, die sich quer durch die Stadt schlängelte, auf eine genauso holprige Schotterpiste, die vor einem ehemals blauen Gartenzaun endete. Igneel bat ihn, das Tor zu öffnen und Natsu kletterte mühsam aus dem Auto. Nach sechs Stunden auf den durchgesessenen Sitzen tat ihm jeder Knochen weh. Der Riegel des Tors war verrostet und ließ sich nur schwer öffnen. Das letzte Bisschen, was an blauer Farbe auf den Holzpfosten übrig war, bröselte ab, sobald man mit der Hand dagegen stieß. Das Gras war so hoch gewuchert, dass es Natsu einiges an Kraft kostete, das Tor weit genug zu öffnen, damit ihr Auto hindurch passte. Überall wucherte Unkraut und es wimmelte nur so vor kleinen Tierchen. Natsu schmunzelte. Wenigstens seine Katze, Happy, würde an ihrem neuen Zuhause seinen Spaß haben. Igneel lenkte den Wagen an ihm vorbei und Natsu lief dem Auto hinterher. Er bog um eine Ecke und erstarrte. Er hatte sich auf dem Weg hierher vorgenommen, ihr neues Haus nicht zu mögen, aber das schien ihm jetzt, da er es sah, unmöglich. Es war ein kleines Backsteinhaus mit blauen Fenstern. Auch von den Fensterrahmen blätterte die Farbe ab und die ursprüngliche Farbe des Hauses konnte er nicht mehr erkennen. Das ganze Haus war mit Efeu überwuchert, nur Fenster und Türen waren frei gelassen worden. Sogar der Carport neben dem Haus war ein einziges grünes Gebilde, in das mit Müh und Not ihr großes Auto passte. Links neben dem Haus stand eine uralte Trauerweide, deren lange Zweige im leichten Wind sanft über einen kleinen Anbau streichelten, von dem manche Teile des Daches noch nicht komplett im grünen Efeumeer versunken waren. Irgendwo in der Nähe plätscherte ein Bachlauf und die Sonne malte fremde Muster durch die Zweige der Weide auf den verwilderten Garten. Natsu war wie berauscht von diesem Meer aus Farben und Formen und er wusste, dass er dieses Haus nicht mochte, vielmehr hatte er sich direkt darin verliebt. Hoffnungslos. „Und? Gefällt es dir?“, riss ihn Igneels tiefe Stimme aus seiner Starre. Natsu öffnete den Mund um zu antworten, aber er war nicht in der Lage zu sprechen. Igneel lachte leise und melodisch in sich hinein. „Ich hab mir gedacht, dass es dir gefällt. Von innen ist es auch nicht schlecht. Nicht ganz so eindrucksvoll wie von außen, aber mit ein bisschen Arbeit kriegen wir das auch wieder hin.“ Natsu nickte stumm und ging auf die Tür zu. Vorsichtig berührte er die abblätternden Farbstreifen und drückte sie an das ausgewaschene Holz der Tür. Es gab keine Klingel, nur einen gusseisernen Türklopfer. Um den schweren Ring schlängelte sich ein asiatisch aussehender Drache und starrte ihn aus dunklen Augen an. Sanft zeichnete Natsu seine Konturen nach und spürte das kühle Metall an seiner Hand. „Wir streichen sie nicht, oder? Die Türen und Fenster“, fragte er ehrfürchtig. „Hatte ich nicht vor“, bestätigte Igneel und drückte ihm einen Schlüssel in die Hand. Auch der Schlüssel wurde von einem Drachen verziert und lag kühl und schwer in seiner Hand. Die Tür quietschte leise als Natsu sie öffnete und in den kleinen Flur ging. Warmes Sonnenlicht flutete durch die Fenster und Staub tanzte in ihren Strahlen. Auch die Türrahmen waren blau, der Holzboden war ausgeblichen und knarrte unter Natsus Schritten. Eine dunkle Wendeltreppe führte in den ersten Stock. Das Geländer war wieder mit einem Drachen verziert und Natsu fuhr fasziniert über die hölzernen Schuppen. Igneel hatte die ersten Sachen aus dem Auto geholt und stellte sie im Flur ab. „Die Schlafzimmer sind oben“, informierte er Natsu, „und es gibt noch einen Raum unterm Dach. Den kannst du auch gerne als Zimmer nehmen, der wär sicher was für dich.“ Natsu nickte und stieg die Stufen in den ersten Stock hinauf. Fünf blaue, ausgeblichene Holztüren führten vom Flur ab. Hinter der ersten Tür entdeckte Natsu einen kleinen Raum mit einem winzigen, runden Fenster. Die anderen drei Räume waren größer und freundlicher, weil die alten Holzfenster mehr Licht hineinließen. Der letzte Raum auf dieser Etage war das Bad. Es war der einzige Raum auf dieser Etage in dem es keine alten Holzdielen gab, sondern schlichte weiße Fliesen. Obwohl das Haus so alt war, kam Natsu das Bad schon fast modern vor. Die Dusche war eben, die Wanne war rund und stand in der Ecke unter dem Fenster. Nur das Waschbecken ließ erkennen, dass auch dieser Raum seine besten Tage schon hinter sich hatte. Es stand auf einer dunklen Holzkommode und hatte einzelne Risse. Neben dem Bad führte eine schmale Holztreppe unters Dach. Igneel hatte mit seiner Vermutung richtig gelegen. Der Dachboden war ganz sicher etwas für ihn. Die schrägen Wände und das alte Fachwerk, die den Raum dominierten, zogen ihn magisch an. Langsam ging Natsu durch den Raum und der alte Holzboden knarrte auch hier unter seinen Füßen. Der Dachboden war groß genug, dass Natsu genug Platz haben würde, trotz der Dachschrägen. An einer Stelle waren zwei Fenster parallel ins Dach gebaut worden. Er stellte sich darunter und blickte in die Zweige der Trauerweide. Er würde Igneel bitten, sein Bett unter diesen Fenstern aufzustellen. Natsu ging auf die Suche nach seinem Vater und fand ihn in der Wohnküche. Auch hier war alles aus Holz und blau war die vorherrschende Farbe. Das große Wohnzimmer ging nach vorne heraus. An einer der Wände stand ein großer Kamin. Natsu sah sich die verschnörkelten Muster auf dem Kaminsims genauer an und stellte fest, dass es sich auch hier um Drachen handelte. Während Natsu die Schränke der hellen Landhausküche untersuchte, kam Igneel mit den ersten Töpfen ins Haus. „Und? Was sagst du?“, wollte er wissen. Natsu nahm seinem Vater die Töpfe ab und räumte sie in einen der Schränke. „Es ist unglaublich. Alles ist alt und aus Holz und das Efeu überall ist einfach genial.“ Igneel lächelte zufrieden. Dann bat er Natsu, ihm bei den größeren Möbelstücken zu helfen, damit sie rechtzeitig zum Abendessen das Wichtigste im Haus hatten. Am Abend war fast alles im Haus verstaut. Nur über die genauen Standorte der Möbel mussten sie noch diskutieren. Igneel war von Natsus Idee, sein Bett unter die Fenster zu stellen, einverstanden und so lag er jetzt in seinem Bett und starrte in den klaren Sternenhimmel über ihm. Es war, als würde er unter freiem Himmel schlafen und die Trauerweide neben dem Haus rauschte und sang ihm ein Wiegenlied. Natsus erster Tag an seiner neuen Schule war ein Fiasko. Die Fairy Tail High School hatte in den umliegenden Städten einen guten Ruf, aber Natsu war sich nicht sicher, ob der nicht durch Bestechungsgelder finanziert wurde. Der erste Lehrer, der ihm vorgestellt wurde, war ein Typ mit einer Frisur wie Krebsscheren, der seine Sätze immer mit „ebi“ beendete. Der erste Schüler, den er aus seiner neuen Klasse kennenlernte, ließ sich am besten mit „gruselig“ beschreiben. Er hatte schwarze, lange Haare, rote Augen und so viele Piercings im Gesicht wie ihr neues Haus Efeublätter. Natsu bekam vom Krebslehrer den Platz neben dem Piercingtypen zugewiesen, der sich ihm knapp als Gajeel vorstellte. Viel mehr bekam Natsu in den ersten vier Schulstunden nicht über seinen Sitznachbarn heraus. Dafür bekam er sehr wohl mit, dass Gajeel nicht der einzige schräge Vogel hier war. Ein weißhaariger Typ mit einer riesen Narbe im Gesicht fragte ihn in der zweiten Stunde, ob er Manns genug sei und einer seiner Kumpel riss sich in der Zwischenzeit sämtliche Kleider vom Leib. Die rothaarige Klassensprecherin prügelte ihn für den Strip halb tot und wandte sich dann liebevoll lächelnd Natsu zu, dem ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Sie stellte sich als Erza vor und verkündete ihm, dass er sich an die Klassenordnung zu halten hatte, wenn ihm nicht das Selbe wie dem Stripper, sie nannte ihn Gray, passieren wollte. Natsu schluckte und nickte. Zufrieden lächelnd kümmerte Erza sich danach um einen blonden Typen, der im Klassenraum einen halben Sandkasten ausleerte und irgendetwas von Muse und Konzentration brummte, was im doch nichts brachte außer einer deftigen Ohrfeige. In der fünften Stunde hatten sie Englischunterricht bei einer Lehrerin, die aussah wie ein entlaufenes Hausmädchen und jeden Schüler, der sich meldete, fragte, ob er sie bestrafen würde. Nach etwa der Hälfte der Stunde fiel Natsu auf, dass besonders ein Mädchen mit blauen Haaren zum Verlauf des Unterrichts beitrug und das Gajeel dieses Mädchen mit besonderem Interesse musterte. Natsu grinste und räusperte sich. „Du magst sie?“ Erschrocken ließ Gajeel seinen Stift fallen und lief so rot an, dass selbst Igneel mit seinen glutroten Haaren neben ihm farblos ausgesehen hätte. „W-wie kommst du darauf?“, stotterte er verlegen. Natsu zuckte mit den Schultern. „Geraten.“ Gajeel fluchte ertappt und wurde, wenn das überhaupt noch möglich war, noch roter. Einige Minuten starrte er stumm auf sein Heft vor sich, dann drehte er sich wieder zu Natsu um. „Sie heißt Levy. Ist ein ziemlicher Bücherwurm, aber hat sich ein bisschen um mich gekümmert, als ich neu hier war. Den Weg zeigen und so.“ Natsu nickte. „Also bist du auch nicht von hier?“ Gajeel schüttelte den Kopf. „Vor fast zwei Jahren mit meinem Vater hierher gezogen, wegen der Eisenschmiede.“ Verblüfft sah Natsu seinen Sitznachbarn an. „Dein Vater arbeitet in der Eisenschmiede?“ Gajeel nickte. „Deswegen sind mein Vater und ich auch hierher gezogen“, erklärte Natsu. Am Ende seines ersten Schultages begleitete Gajeel ihn nach Hause. Unterwegs redeten sie über ihre Väter, die bald Arbeitskollegen sein würden. Gerade überquerten sie den kopfsteingepflasterten Marktplatz, als Natsu mit jemandem zusammenstieß. Erschrocken griff er nach einer Person mit hellen blonden Haaren, bevor er sie komplett über den Haufen rennen konnte. Bevor er sich jedoch entschuldigen konnte, schlug die Person ihn mit der flachen Hand ins Gesicht. Verdutzt sah Natsu in die braunen Augen eines Mädchens, das etwa so alt sein musste wie er und hielt sich seine schmerzende Wange. „Hast du keine Augen im Kopf, du Idiot?!“, blaffte ihn das Mädchen an. „Und wie siehst du überhaupt aus? Mir wär es ja peinlich, wenn mich jemand so sieht. Deine Klamotten sind ja sowas von out und deine Haare sehen aus wie ein Kaugummi!“ Natsu starrte das Mädchen einfach nur an. Mit jedem ihrer Worte verlor er eines seiner Gegenargumente und die Schuldgefühle, weil er einfach in sie hineingelaufen war, schrumpften. Neben ihm schlug sich Gajeel mit der Hand vor die Stirn und verdrehte die Augen. Als das Mädchen in wieder anbrüllen wollte, fand er plötzlich seine Sprache wieder und stellte fest, dass er stinksauer war. „Tut mir leid, dass ich es verpasst habe, dich über den Haufen zu rennen. Und ich mit deinen aufgepumpten Brüsten würde mir keine Gedanken über die Haare anderer Leute machen!“, zischte Natsu sie an. Dann hob er das Kinn und stolzierte an ihr vorbei, nicht ohne die Wolke aus Parfüm wahrzunehmen, auf der sie schwebte. Sie brüllte ihm ein wütendes „Arschloch“ hinterher, worauf er mit einem gereizten „Freak“ reagierte. Als die blonde Zumutung aus seiner Hörweite verschwunden war, drehte er sich zu Gajeel um. „Wer war denn die?“, brummte Natsu. Gajeel zog eine Augenbraue hoch. „Lucy Heartphilia. Ihren Eltern gehört das große Anwesen am See, aber sie wohnt mit ihrer Tante und ihrer Cousine in einer kleinen Wohnung hier in der Innenstadt. Keine Ahnung warum, denn die haben Geld wie Heu. Lucy ist eine Zicke“, klärte er Natsu auf. Natsu schnaubte. „Dass die eine Zicke ist, hättest du mir nicht sagen müssen. Die hält sich wohl für was Besseres, nur weil ihre Familie in Geld badet?“ Gajeel nickte. Dann grinste er boshaft. „Hab noch nie einen gesehen, der sich mit ihr anlegt. Normalerweise kuschen alle oder gaffen ihr in den Ausschnitt.“ „Und wenn sie dreimal so große Brüste hätte, an der würde ich meine Blicke nicht verschwenden“, schimpfte Natsu. Gajeel zuckte mit den Schultern und den Rest des Weges schwiegen Beide. Als sie den Stadtkern hinter sich gelassen hatten, trennten sich ihre Wege. Gajeel wohnte mit seinem Vater auf einem alten Bauernhof, wo sie ein paar Kühe hielten um für den Notfall ein paar Geldreserven zu haben. „Wo wohnst du eigentlich?“, wollte Gajeel wissen. Natsu deutete in Richtung ihres neuen Hauses und stellte fest, dass man aus der Ferne nur die Trauerweide und eine Menge Efeu sehen konnte. „Da hinten, in dem alten Haus, das in Efeu versinkt“, erklärte er Gajeel. Verdutzt sah dieser ihn an. „Im Efeudrachen?“ „Im was?“, fragte Natsu ungläubig. „Der Efeudrache“, erklärte Gajeel, „So wird das Haus genannt, wegen der ganzen Drachenfiguren, die im Haus verteilt sind.“ „Ach, die“, bestätigte Natsu. Gajeel nickte ehrfürchtig. „Die Leute aus der Stadt erzählen sich, dass hier ein Drache gelebt haben soll. Als die Menschen auf ihn aufmerksam wurden, hat er sich in Efeu gehüllt und versteckt. Die Figuren im Haus sollen daran erinnern, dass dieses Haus mal ein Drache war, der über die vielen Jahre unter seinem Efeugewand seine Form verloren hat. Und weil die Natur um ihre Schöpfung trauert, ist an der Stelle die Weide gewachsen.“ Skeptisch sah Natsu ihn an. „Und das soll ich dir glauben?“ „Das musst du nicht, aber keiner aus der Stadt wird sich eurem Haus nähern. Sie glauben, dass der Drache immer noch lebendig ist und sie verschlingen könnte.“ Natsu hob eine Augenbraue und schüttelte den Kopf. „Schwachsinn!“ „Wenn du meinst“, murmelte Gajeel, drehte sich um und schlenderte nach Hause. Natsu sah seinem merkwürdigen Klassenkameraden eine Weile hinterher, dann folgte er dem Rauschen der Trauerweide nach Hause. „Wusstest du, dass die Leute in der Stadt unser Haus „Efeudrache“ nennen?“, fragte Natsu seinen Vater, während sie ihre kleinen, roten Sofas quer durch das Wohnzimmer schoben. Igneel nickte einfach. „Und das hat dich nicht abgeschreckt?“, bohrte Natsu nach. „Ganz im Gegenteil“, erklärte Igneel. „Gerade weil das Haus einen bestimmten Ruf hat, fand ich es interessant. Außerdem findet man kaum ein zweites Haus wie dieses hier.“ Das stimmte allerdings. Natsu schmunzelte über die Entscheidungsfähigkeiten seines Vaters und schob sein Sofa weiter durch den Raum. Die erste Woche in Magnolia war vergangen. Natsu saß auf der Wiese im Schatten der Trauerweide und kraulte seine Katze. Alle Möbel waren aufgestellt, der Kleinkram war in die Schränke geräumt und der alte Holzboden in den Räumen abgeschliffen worden. Natsu fand ihr neues Haus immer noch unglaublich spannend, denn jeden Tag entdeckte er neue Dinge, die ihm vorher nicht aufgefallen waren. Die alte Scheune ganz am Ende des Gartens, zum Beispiel, oder die vielen Bücher im Keller. Igneel wollte sie durchschauen und in die Bücherregale im Wohnzimmer stellen oder an Liebhaber verkaufen. In der Schule lief es für Natsu nicht besonders gut. Als seine Klassenkameraden erfahren hatten, dass er und sein Vater im „Efeudrachen“ wohnten, mieden sie ihn als hätte er eine ansteckende Krankheit. Nur Gajeel redete noch mit ihm. Auch er war an der Schule nicht besonders beliebt und so saßen sie in den Pausen oft auf einer Bank unter einer Eiche und aßen schweigend. Ab und an wechselten sie ein paar Worte, aber Gajeel war kein besonders gesprächiger Typ. An seinem zweiten Schultag stellte Natsu zu seinem Entsetzen fest, dass Lucy Heartphilia neben ihm saß. An seinem ersten Tag war sie nicht da gewesen und als er sich am nächsten Morgen neben sie setzte, starrte sie ihn missmutig an. Natsu gab sich alle Mühe, die blonde Zumutung neben ihm zu ignorieren und sich auf den Unterricht zu konzentrieren, aber immer wieder suchte Lucy Streit. „Na, Kaugummikopf“, stichelte sie, „mit wie viel Geld hat sich ein Idiot wie du hier eingeschlichen?“ Natsu widerstand der Versuchung ihr die Zunge raus zu strecken und schaute weiter zur Tafel. „Weniger als du bestimmt“, brummte er ihr zu. Sie schnaubte. „Klar. Das du keine Kohle hast, sieht man aus drei Meilen Entfernung!“ „Immerhin habe ich Niveau!“, konterte er. Jetzt war sie es, die ihm die Zunge raus streckte. In den nächsten paar Tagen musste er sich anhören, das er geistig unterbelichtet, hässlich, schwul und arm wie eine Kirchenmaus sei. Meistens fielen ihm passende Erwiderungen ein, aber manchmal ließ sein Verstand ihn im Stich, was Lucy nur noch mehr anheizte. In der letzten Stunde seiner ersten Schulwoche hatten sie Sport und mussten sich von einer blauhaarigen Furie um den Ascheplatz scheuchen lassen. Mal wieder lieferte Natsu sich ein Wortduell mit seiner neuen blonden Feindin, als sie stolperte und beinahe hingefallen wäre. Reflexartig griff er nach ihrer Taille und stellte sie wieder auf ihre Füße. Noch bevor er irgendetwas zu seiner Verteidigung sagen konnte, hatte sie ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Verdutzt hielt er sich die schmerzende Wange und sah Lucy dabei zu, wie sie fluchend ihre Hand umklammerte und im Kreis hüpfte. Die Gute hatte ihn wohl etwas zu fest geschlagen oder hatte nicht damit gerechnet, dass man bei einem gezielten Kinnhaken durchaus Schmerzen erleiden konnte. Sie tat ihm fast schon leid und er schmunzelte. „Alles okay?“, fragte er vorsichtig. Wütend funkelte sie ihn an. „Nichts ist okay, du Idiot. Warum grabscht du mich auch an?“ „Ich hätte dich auch mit der Nase auf den Boden knallen lassen können, Prinzessin“, zischte er. „Außerdem ist es nicht meine Schuld, dass du zu blöd bist um gescheit auszuteilen.“ „Ach, geh weg!“, brummte sie beleidigt. Er zuckte mit den Schultern. „Nichts lieber als das.“ Als die Sportstunde endlich vorbei war, machte er sich stöhnend auf den Weg in die Umkleide. Gerade wollte er die Tür öffnen, da räusperte sich jemand hinter ihm und er drehte sich mit gerunzelter Stirn um. Eine seiner Klassenkameradinnen stand hinter ihm und lächelte ihm schüchtern zu. Wenn Natsu sich richtig erinnerte, dann war sie die kleine Schwester von Mirajane und Elfman Strauss, Lisanna. Fragend sah er sie an. Verlegen sah sie auf ihre Füße. „Hab noch nie gesehen, dass jemand Lucy mal die Meinung geigt“, murmelte sie, mehr zu ihren Füßen als zu Natsu. „Dann ist es allerhöchste Zeit, dass einer damit anfängt“, erklärte Natsu ihr und wunderte sich, warum Lucy noch niemand Kontra gegeben hatte. Er fragte Lisanna danach. Diese schien mit so einer Frage nicht gerechnet zu haben und trat unsicher von einem Fuß auf den anderen. „Das… ist eine etwas längere Geschichte“, brachte sie schließlich hervor. „Wenn du sie hören willst, könnten…“, sie brach mitten im Satz ab und lief tomatenrot an. Skeptisch hob Natsu eine seiner kirschblütenfarbenen Augenbrauen. „Wenn ich sie hören will, dann könnten?“, bohrte er nach. „Dann könnten wir ja ein Stück zusammen nach Hause gehen“, brachte sie hervor und mit jedem Wort wurde ihre Stimme leiser. Ihre Ohren brannten feuerrot und ihre Augen waren auf alles gerichtet nur nicht auf sein Gesicht. Natsu lachte. Irgendwie fand er Lisanna süß. Obwohl sie so schüchtern war, hatte sie sich die Mühe gemacht und ihn angesprochen. Er musterte ihr Gesicht, die hellen, kurzen Haare, die graublauen Augen und stellte überrascht fest, dass er sie hübsch fand. Igneel würde beim Abendessen durchdrehen, wenn Natsu ihm davon erzählte. Er grinste Lisanna an. „Gerne.“ Entspannt lehnte er sich an den Stamm der Weide und dachte an ihren Spaziergang zurück. Lisanna hatte ihm von Lucys Familienproblemen erzählt und das sie nicht immer so zickig gewesen war. Aber er machte sich nicht die Mühe, viele Gedanken an sie zu verschwenden. Immerhin mochte er sich nicht einmal. Dafür musste er feststellen, dass er Lisanna mochte. Auf dem Nachhauseweg war sie immer mehr aufgetaut und hatte ihm alles Mögliche erzählt. Sie hatten sich ein Eis gekauft und sich in eine der kleineren Grünanlagen verzogen. Zum Abschied hatte Lisanna ihm frech zugegrinst und Natsu war lächelnd nach Hause gegangen. Jetzt hatte er eine neue Freundin in Magnolia gefunden. Vielleicht war sie sogar mehr, dachte er manchmal, denn er hatte sich in der Nähe eines Mädchens noch nie so eigenartig wohl gefühlt. Als Igneel in unter der Trauerweide fand, hatte Natsu ein breites Grinsen im Gesicht. „Und? Wie heißt sie?“, wollte er wissen, als er sich neben seinem Sohn in den Schatten setzte. „Ich weiß nicht, wovon du redest“, erwiderte Natsu fröhlich. „Natürlich nicht“, lachte Igneel und wuschelte Natsu durch seine rosa Haare. „Brich der Kleinen nicht das Herz“, fügte er gespielt streng hinzu. Natsu zog nur empört eine Augenbraue hoch und die Beiden lachten, während eine leichte Brise die Zweige der Weide umspielte und eines ihrer beruhigenden Lieder anstimmte. ______________________________________________________________________ Das war also das erste Kapitel. Und es sieht ein bisschen nach Natsu und Lisanna aus, ich weiß. Aber das ist Absicht, ändert sich aber im Laufe der Geschichte, obwohl ich die beiden auch ganz niedlich finde. Ich hoffe, es hat euch gefallen und ich hoffe, dass ihr auch bei den nächsten Kapiteln reinschaut^^ lg~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)