Nachmittagswahnsinn von Sasy-chan ================================================================================ Kapitel 1: Lina --------------- „Siehst du den Typen da, Emily? Scheiße, sieht der heiß aus!“, quietscht Lina. Ich verdrehe nur die die Augen. Er sieht vielleicht gut aus, labert aber nur scheiße. Außerdem vollkommen eingebildet von sich selbst. Ich weiß das. Ich durfte ihn letzten Freitag bei Mareikes Party erleben, nach zehn Minuten musste ich das starke Bedürfnis unterdrücken ihm in die Fresse zu hauen. Selbstverliebter Schwachkopf und erzählte nur von sich. Das war ein Monolog, kein Dialog. Diesen Penner wollte ich eigentlich nie wieder sehen. Schnell ziehe ich Lina weg von ihm und schubse sie in eine Buchhandlung, bevor er uns sieht. Ich verspüre nicht die geringste Lust noch mal sein Gelaber zu hören. „Was ist los?“, meckert Lina, „Lass mich los! Ich will ihn ansprechen.“ „Glaub mir, der gibt nur Müll von sich.“, grunze ich. Lina kreischt begeistert auf und ich glaube mein Trommelfell platzt gleich. „Du kennst ihn?“ Niemand kann so hoch kreischen wie Lina. Sie ist vollkommen hin und weg. Ich verdrehe die Augen. „Leider.“ „Stell ihn mir vor!“, verlangt sie und ist wieder drauf und daran nach draußen zu rennen. Ich kann sie noch festhalten, und gerade verhindern, dass sie gegen die Glastür rennt. Lina kann eine Gefahr für sich und andere sein. Insbesondere, wenn sie einen süßen Typen sieht. Dann ist sie blind vor Liebe. Wortwörtlich. Besser gesagt Liebe ist nicht das richtige Wort. Besessenheit oder Wahnsinnig trifft es eher. Eine alte Dame sieht uns misstrauisch an und ich ziehe Lina weiter nach hinten, die lautstark quengelt. Glück für mich, dass ich stärker bin als sie. Der Typ von der Kasse schaut auch schon und ich weiß einer dunklen Ahnung folgend, dass wir gleich noch mehr Aufmerksamkeit auf uns ziehen werden. Lina reicht nicht nur lautstark meckern, wenn sie ihre Typen nicht bekommt wird sie beleidigend. „Lass mich los!“, verlangt sie laut, „Du willst doch nur wieder deine Schwulenmangas lesen und deine Hentais oder wie diese Pornomangas heißen!“ Ich werde knallrot und überlege wie viele Jahre man für Abstechen in der Öffentlichkeit bekommt. Wir haben jetzt die ungeteilte Aufmerksamkeit des Ladens. Es ist nur Zufall, dass wir jetzt vor dem Mangaregal stehen. Nur Zufall, klar?  Und auch, dass der neueste Chrimson Spell Band direkt vor meiner Nase liegt… „Nein, ich will dich nur vor einem düsteren Schicksal bewahren.“, gebe ich beherrscht, mit zusammengebissenen Zähnen von mir. „Du bist nur selber auf ihn scharf, wetten?“, behauptet sie. „Du willst ihn dir später schnappen, gib es zu!“ Ich will frustriert aufschreien. Menschen haben eine große Einbildungskraft. Es schockiert mich immer wieder die Dummheit der Menschheit zu sehen, aber bei der eigenen Freundin ist das noch einen Tick schockierender. „Natürlich“, sage ich sarkastisch, weil das Gegenteil bei ihr keinen Sinn macht. Ich könnte theoretisch gegen eine Wand reden, wenn Lina von etwas überzeugt ist, bleibt sie dabei. „Ich wusste es doch.“, sagt sie lauter, deutet anklagend mit dem Finger auf mich und inzwischen gebe ich die Hoffnung auf, dass die Leute sich wieder nur für sich interessieren. Die Mangaecke hat hier, glaube ich, noch nie so viel Aufmerksamkeit bekommen. Sogar das kleine Kind, das gerade eben ganz offensichtlich geheult hat ist ganz still und glotzt uns an wie zwei Außerirdische. „Kann ich ihnen helfen?“, bietet sich der Typ von der Kasse an. Anscheinend hat er mein Leid erkannt und lächelt gekonnt höfflich. Aber bei Lina ist er damit falsch. „Ja“, sagt sie. „Wussten Sie, dass Sie Mangas verkaufen, in denen Männer von Tentakelpflanzen vergewaltigt werden?“ Als ob das nicht genug wäre, grabscht sie sich auch noch den entsprechenden Band und hält ihn nach kurzem Blättern an der gesagten Stelle hoch. Natürlich so deutlich, dass die Hälfte der Anwesenden reinglotzen kann und nicht gerade an Augenkrebs leidet, wie ich insgeheim hoffe . Der alten Schachtel von gerade eben fallen fast die Augen aus. Ich tue mir leid und auch der Kassierer, der jetzt in einer mir unbekannten Sprache rumstammelt, die unserer sehr ähnelt, verdient mein Mitleid.  Lina zuckt nicht mal mit der Wimper, es stört sie auch nicht, dass es mucksmäuschen still im Laden geworden ist. Seelenruhig drückt sie mir den Band in die Hand. „Den wolltest du doch kaufen.“, sagt sie böse lächelnd und wieder so laut, dass es jeder hören kann. Mir wird heiß und ich kämpfe sehr mit mir ihr nicht den Hals umzudrehen. Meine Gewaltfantasien nehmen ihr Maximum an. Lina geht zur Kasse. „Also was ist jetzt?“, sagt sie beinahe gelangweilt. Der Kassierer erwacht aus seiner Starre und bewegt sich in ihre Richtung mit einem verstörten Gesichtsausdruck.  Ich glaube, dieses Bild wird sich für immer in sein Gedächtnis einprägen. Und ich? Ich schlage langsam Wurzeln, kann mich nicht entscheiden, ob ich hier und jetzt auf der Stelle sterbend im Boden versinken will, oder lieber hoffen soll, dass Lina der Blitz trifft. Langsam kehrt wieder Betriebsamkeit ein, aber ich spüre immer noch vereinzelte Blicke auf mir. Neugierige. Anklagende. Misstrauische. War es hier schon immer so heiß? Kurz überlege ich ob ich Chrimson Spell einfach zurücklegen und so tun soll, als ob nie etwas passiert wäre, aber dann entscheide ich mich dagegen. Langsam schlurfe ich zur Kasse, komme mir dabei wie bei einem Spießrutenlaufen vor und umklammere den Manga mit dem eindeutigen Cover. Lina starrt gelangweilt die ausliegenden Lesezeichen an und hat wahrscheinlich schon längst wieder alles vergessen. Ungeschickt schiebt der Kassierer den Band in eine Tüte. Ich wette, sonst hat er nicht zwei solche linke Hände. Zittrig nehme ich die Tüte an und gerade als ich glaube, alles ist überstanden und wir endlich die Buchhandlung verlassen, in die ich nie wieder einen Schritt setzen werde, passiert das denkbar schlimmste. Das Schicksal hasst mich. Gerade als wir auf die Fußgängerzone treten, wer kommt uns, mit jedem Tag mindestens einstündigem Aufenthalt im Bad, entgegen? Der eingebildete Penner. Kevin. Scheiße. Er erkennt mich nicht wieder. Was für ein Glück. Aber, wie gesagt, das Schicksal liebt es mir ans Bein zu pissen. Lina reißt die Augen auf und ich sehe ihr an, dass sie ihn schon mit Blicken verspeist. Was macht sie dann? Rennt sofort gegen ihn. „Tschuldigung.“, nuschelt sie und lächelt ihn unschuldig an. Er setzt auch eins auf. „Nicht so schlimm.“ Ich verdrehe genervt die Augen und will einfach nur hier weg. Auf die gegenseitige Musterung von den beiden habe ich keine Lust. Ich habe das Gefühl unter zwei Raubtieren zu sein, die sich gleich anspringen und es hier direkt miteinander treiben werden. Es ist offensichtlich, dass beiden gefällt was sie sehen. Ich werde gerade übergangen und ich würde jetzt am liebsten verschwinden, aber ich weiß, dass Lina hinterher tierisch sauer wäre. Ewig glotzen sich die beiden treudoof an und grinsen dabei wie blöde. Oh Gott, ich glaube ich muss gleich kotzen. Ich bin doch nicht gerade in einer Verliebtheitsszene. Meine Komplexe kommen wieder hoch und ich beiße mir auf die Lippe. Ich dachte ich hätte die besiegt, aber jetzt… Oh man. Mich hat noch nie ein Typ so angestarrt. Okay, ich habe nicht wirklich Lust auf so einen Lackaffen, aber irgendwie fühlt man sich so klein und hässlich, wenn immer die eigene Freundin von Kerlen oft angeglotzt wird und sie keine Scheu davor hat jemanden anzusprechen. Lina hat eigentlich keine Hemmungen. Spontan fällt mir keine ein. Gut, sie würde nicht gerade nackt auf der Straße rumtanzen, wobei nicht mal dabei bin ich mir gar nicht mal sicher. Vielleicht würde sie das doch tun… Ich bin das komplette Gegenteil von ihr und manchmal frage ich mich wie wir beide miteinander auskommen, wieso sie den Kontakt zu mir sucht. Manchmal vermute ich, sie bracht nur jemanden zum Zuhören, ihre anderen Freundinnen, Tussen mit reichen Daddys, die sich die ganze Zeit nur über Klamotten und Schuhe unterhalten, scheinen sich nicht gerade für viel anderes zu interessieren. Ich habe sie kurz gesehen mit ihren Designerklamotten und fünftausend klimpernden Arm- und Halsbändern und das hat mir gereicht. Lina schien mir anfangs genauso zu sein, ihr Vater ist irgend so ein hohes Tier in einer Firma. Aber Lina ist anders. Irgendwie. Keine Ahnung. Es gibt Tage an denen geht sie mir tierisch auf die Nerven geht und sie froh sein kann, dass keine Messer oder andere potenzielle Tötungswerkzeuge in meiner Nähe vorhanden sind. Wie jetzt. Aber nun weiß ich, dass ich unfair ihr gegenüber bin. Lina ist hübsch und sie versteckt es auch nicht. Kevin ist auch nicht hässlich. Zwei wunderschöne Menschen, die scharf auseinander sind. Hollywood müsste ganz schnell hier auftauchen. Mir kommt die Galle hoch. Endlich nach Tausenden von Jahren des hirnlosen Gaffens öffnet Kevin den Mund und gibt unserem sinnlosen Rumstehen vielleicht ansatzweiße einen Sinn. Beide tauschen jetzt Belanglosigkeiten aus wie Name, Handynummer und E-Mailadresse. Jetzt weiß ich, dass Lina gleich zum Drogerieladen rennen wird und sich wieder eine Packung Kondome kaufen wird. Zur Sicherheit für das nächste Treffen. Nicht falsch verstehen, Lina ist keine Schlampe. Sie hat nur ihren Spaß und sie liebt Sex, wie sie immer ausdrücklich betont. Genauso, wie sie wahnsinnig verrückt nach Jungs ist. Ich kann dann nur schweigen. Meine Erfahrungen sind auf diesem Thema begrenzt. „Hey, ich kenne dich doch“, höre ich Mister Eingebildet sagen. Uii, er lässt sich dazu hinunter mit mir zu reden. Diesmal hat es nur wenige Minuten gebraucht, bis er gemerkt hat, dass ich nicht nur die hässliche Deko bin. Auf der Feier war es glatt eine Stunde. „Weißt du woher? Du kommst mir so wahnsinnig bekannt vor.“, versucht er es wieder. Keine Ahnung woher du mich kennst. Ich kann nicht in deinen Kopf schauen. Denk mal nach Junge! Erwartungsvoll sehen mich beide an.  Ich bin so viel ungeteilte Aufmerksamkeit nicht gewöhnt und kann mir den ätzenden Tonfall gerade so verbeißen. „Auf Mareikes Party.“ Es gelingt mir nicht ganz, denn Lina zieht misstrauisch eine perfekt gezupfte Augenbraue nach oben. Kevins Gesicht ist ein einziges Fragezeichen. Ich seufze, tja wozu noch intelligent sein, wenn man allein mit strahlender Schönheit durch das Leben kommt. Diese Theorie ist wohl auch langsam unter den männlichen Individuen dieses Planeten bekannt und scheint sich mit erschreckender Geschwindigkeit auszubreiten. „Letzten Freitag.“, gebe ich ihm noch den Tipp und hoffe verzweifelt, dass sich unter seiner perfekt nachgemachten Justin Bieber Frisur, auch ein funktionstüchtiges Gehirn befindet. Ich bin nicht gerade ein Intelligenzbolzen und besitze auch nicht gerade das Erinnerungsvermögen eines Elefanten, aber ein klein wenig erinnern, mit wem ich letzte Woche so geredet habe, kann ich gerade so rekonstruieren. Und das hier war vor gerade mal vier Tagen. Also echt mal. In seinen Augen blitzt Wiedererkennen auf. Wow. Ich bin zutiefst beeindruckt, nach einem gefühlten Jahrtausend erinnert sich der Herr wieder an mich, die unbedeutende Persönlichkeit. Vielleicht sollte ich nächstes Mal ein großes Dekolleté  zeigen, dass er sich wieder an meine Oberweite erinnert. „Du warst doch, die Stille da, du hast fast kein Wort gesagt.“ Ich verkneife mir mal jeden Kommentar. Na ja Chartsmusik, World of Warcraft und Lästern über einen Mathelehrer, den ich im Übrigen ganz sympathisch finde, war da nicht so mein Ding. „Ja.“, sage ich kurzangebunden. „Genau“, sagt er und nickt dazu ernst, als hätten wir gerade die hungernden Kinder in Afrika angesprochen. Rettet mich mal jemand aus dieser Situation? „Wenn du nicht einsam sterben willst, solltest du dich besser anziehen.“, sagt er plötzlich. In mir macht sich Verwirrung breit. Wie kommt er auf einmal auf diesen Schwachsinn? „Äh, bitte was?“ „Wovon redet ihr gerade?“, schaltet sich jetzt auch Lina ein. „Na ja, musst eben mehr Ausschnitt haben, so wie sie“, sagt er und deutet auf Lina. Mir wird von einer Sekunde auf die andere kalt. Lina ist sexy und sie zeigt es auch entsprechend im Gegensatz zu mir. Nein, ich halte mich nicht für abgrundtief hässlich, aber auch nicht für Miss Universe und ich habe auch nicht direkt vor, genau wie Lina zu werden. „Muss ich nicht.“ Diesmal lasse ich meiner Abneigung gegen ihn in meinem Ton freien Lauf. Dumm, oder geblendet von seiner Arroganz, oder was auch immer, bemerkt er es natürlich nicht und labert weiter. „Okay, dann musst du dich nicht wundern, wenn…“ Ich spüre wie Lina nach meiner Hand greift. Anhand ihrer Ausstrahlung, weiß ich, dass sie wieder etwas vorhat. Ich weiß nur nicht was, weil mir warm wird. Sie hält meine Hand. Oh Shit, ich dachte auch, dass hätte ich hinter mir. Lächelnd erklärt sie ihm, „Sorry, Emily hat es nicht nötig, sich für irgendjemanden zu verändern und ganz bestimmt nicht für jemanden wie dich.“ Ungläubig sieht er auf unsere Hände und jetzt kann ich fast die Rauchwölkchen aus seinem arbeitenden Köpfchen aufsteigen sehen. Mir wird ganz mulmig. Ich glaube, er interpretiert da was Falsches hinein. Auch jetzt mit Linas spöttischem Blick. Dann macht sie das bescheuertste, was ich niemals erwartet hätte. Sie küsst mich. Nicht auf die Wange. Auf den Mund. Kein Freundschaftskuss zur Begrüßung oder zum Abschied, wie das andere machen. Ein richtiger Kuss. Ich bin viel zu überrascht um zu reagieren. Er ist sanft und… viel zu schnell vorbei. Ich sehe in Linas Augen eine seltene Tiefe von Gefühlen, als sie sich von mir löst. Ihre sonst so selbstsichere, arrogante Art ist für einige Sekunden verschwunden.  Ich weiß nicht wie ich reagieren soll, als ich erkenne, dass auch ihr jetzt die Worte fehlen. Wieso, zur Hölle? Es war ihre Idee. Lina begnügt sich jetzt nur mit einem süffisanten Grinsen zu Mister Cool. Diesem ist nur die Kinnlade runtergeklappt und starrt uns fassungslos an.  Mein Herz klopft. Das hier ist seltsam. „Ihr seid Le… Le…?“, würgt er hervor, kann das Wort nicht aussprechen. „Lesben.“, komme ich ihm automatisch zur Hilfe, obwohl ich immer noch nicht fassen kann was gerade passiert ist. An dieser Silbe ist nichts Schwieriges zum Aussprechen, finde ich. Sie auf mich bezogen habe ich nie. Ich bin immer noch verwirrt und wahrscheinlich knallrot. Ein Kuss mitten auf der Straße, in aller Öffentlichkeit. „Schönen Tag noch, Arschloch.“, knurrt Lina. Ich mache nichts als sie ihn stehen lässt und ich diesmal von ihr weggezogen werde. In meinem gerade auf Sparflame laufenden Kopf, blitzt noch kurz der Gedanke auf, dass sie zu unhöfflich zu ihm ist und ich sie eigentlich anschreien sollte, wegen gerade eben. Aber die in meinem Kopf dafür zuständigen Bereiche sind ausgeschaltet. Fast wäre ich gegen die Oma aus der Buchhandlung gelaufen, die versteinert zu uns rüber sieht. Außer ihr sind wir dem Rest der Passanten wohl egal oder nicht weiter beachtet worden. Ich weiß nicht wieso, aber als mich ihr entsetzter Blick trifft, kann ich mir ein dümmliches Lächeln nicht verkneifen. Ich glaube, heute wird Lina keine Kondome kaufen.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)