Memori3s von _Myori_ ================================================================================ Klimax ------ Die unterirdischen Gänge waren an diesem Morgen fast menschenleer, da letzte Nacht eine Mission angelaufen war, für die vor allem viele Scharfschützen zum Einsatz ausgerückt sind; ein Spion der Regierung sollte ausgeschaltet werden, der sich wieder in die Obhut seiner Vorgesetzten begeben hatte und nun unter polizeilichem Schutz stand. Zeus hatte sich, zur Verwunderung seiner eigenen Mitglieder, aus den Plänen dieses Vorhaben herausgehalten, sodass bis auf ein Team kein Schwertkämpfer beteiligt war. Ares war ein wenig mürrisch gewesen, als bekannt wurde, dass Zeus‘ Männer bei dieser Mission aussetzen würden; das ewige Trainieren ging ihm langsam auf die Nerven und er brauchte dringend Abwechslung. Dass Orpheus für diesen Morgen nun eine weitere stumpfe Übung angesetzt hatte, trug dementsprechend wenig zur Besserung seiner Laune bei. „Wofür trainieren, wenn wir doch eh nie das Tageslicht sehen dürfen…“, knurrte er verstimmt und stapfte, die Hände in die Hosentaschen vergraben und das Schwert am Gürtel, schnaubend neben Orpheus her. „Übertreibe mal nicht, du klingst gerade so, als würde man dich hier unten festhalten.“, entgegnete sein Partner seufzend und nickte beiläufig einem entgegen kommenden Mitglied grüßend zu. Wahrscheinlich der einzige, der neben ihnen beiden bereits auf den Beinen war. „Ich frage mich nur, wofür wir eigentlich da sind, wenn wir nicht an Missionen teilnehmen dürfen“, antwortete der Jüngere und gähnte. „Ich meine, wir kriegen nicht mal `nen vernünftigen Lohn, wenn wir nicht ausrücken!“ „Du willst für dein ständiges Gejammer auch noch Geld sehen?“, fragte Orpheus skeptisch, was ihn einen giftigen Blick des Blonden eingebrachte, auf den ein ebenso spitzer Kommentar wahrscheinlich gefolgt wäre, hätte ein plötzlicher Aufschrei einen Gang weiter nicht in diesem Moment ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Kurz sahen sich die beiden Männer an, dann liefen sie auf die inzwischen wimmernde Stimme zu, unter die sich immer wieder ein barsch klingender Tonfall einer zweiten Person mischte. Sie bogen um die nächste Ecke und Ares‘ Herz machte einen schmerzhaften Satz. Immer wieder versuchte sich Persephone lautstark gegen D’s erbarmungslosen Griff zu wehren, mit dem er sie an den Haaren gepackt und sie teils vor sich hertrieb, teils hinter sich her zog, je nachdem, wie sehr sie sich gebärdete. Ihre beiden Hände klammerten sich um D’s Handgelenk, dessen Finger sich in ihrem Schopf gegraben haben, zogen an ihm, kratzten die Haut auf, was allerdings nur zur Folge hatte, dass der Mann sie noch kräftiger zu sich zog und ihr wütende Worte zu zischte. Ares konnte sich das Schauspiel keine drei Sekunden lang ansehen. Zähneknirschend und die Rechte schon auf den Schwertgriff gelegt, wollte er dazwischen gehen, doch da legte ihm Orpheus eine Hand auf die Brust und hinderte ihn so in der Bewegung vorwärts zu eilen. Wütend und verständnislos starrte Ares seinen Partner an, doch dieser schüttelte nur bestimmt mit dem Kopf. „Überlass das Reden mir, okay?“ Und ohne seine Antwort abzuwarten, trat der Ältere selbst auf das Geschehen zu. „D, was ist hier los?“ Der Angesprochene reagierte nicht. Weiterhin Persephone hinter sich herziehend, ging D den Gang hinab, bis Orpheus die beiden eingeholt hatte und sich ihnen wütend in den Weg stellte. „D!“ Abschätzig schaute der Schütze auf den Brünetten hinab, auch wenn der Größenunterschied nur wenige Zentimeter betrug. „Misch dich nicht ein, Orpheus!“, knurrte er drohend. D’s gefährliche Launen waren jedem Mitglied bekannt. So gut wie jeder hatte sie schon am eigenen Leib erfahren dürfen, was dem Springer einen berüchtigten Ruf eingebracht hatte. „Das hier geht dich gar nichts an!“ Er wollte weitergehen, doch da schloss sich Orpheus‘ Hand um seinen Oberarm. D’s Blick zuckte augenblicklich zu diesem Berührungspunkt und Ares war sich sicher, dass Orpheus schon längst eine Kugel im Kopf stecken hätte, wären die Finger von D’s Waffenhand nicht damit beschäftigt gewesen, Persephones Schopf zu umklammern. Orpheus‘ Blick war ungewöhnlich hart geworden. Er hatte Respekt vor dem Schützen, er galt nicht umsonst als einer der Besten, allerdings hieß das noch lange nicht, dass er sich einschüchtern ließe. „Ich will wissen, was das hier werden soll. Vorher lasse ich dich nicht gehen!“ D’s dunkle Augen verengten sich gefährlich. In diesem Moment schrie Persephone wieder auf und krümmte sich unter seinem fester gewordenen Griff. Ein Ruck ging durch Ares‘ angespannte Muskeln, doch er blieb stehen, sichere zwei Meter hinter Orpheus. Er hatte mit den Jahren gelernt, dass es in der Regel besser war, auf Orpheus‘ diplomatisches Talent zu vertrauen – seine Methoden wären hierfür mit Sicherheit weniger geeignet gewesen… „Sie ist seit vier Tagen nicht mehr bei ihrer Arbeit erschienen.“, zischte D dann endlich, dennoch machte er nicht den Eindruck, als hätte er sich Orpheus‘ Worten gebeugt. Seine Stimme war unverändert ungeduldig und schneidend. Er drückte den Kopf der jungen Frau weiter runter und schüttelte ihren Schopf, als rüge er einen ungezogenen Hund. „Ich soll sie zu Hades bringen.“ „Indem du sie durch die Gänge schleifst?“ „Es ist meine Sache, wie ich mit ihr umgehe!“ Sein Blick wanderte noch einmal zu Orpheus’ Hand, die weiterhin seinen Oberarm umschloss. Energisch befreite er sich aus diesem Griff. „Geh mir aus dem Weg und kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten!“ Für Sekunden schwiegen sich die beiden Männer nur starrend an und Ares glaubte schon, dass Orpheus im nächsten Moment nachgab und D ziehen ließ, als er seinen Blick senkte und somit den Augenkontakt unterbrach. Statt sich abzuwenden sah er jedoch zu Persephone, die aus verängstigten, tränenden Augen zurückstarrte. Ihre Hände umgriffen immer noch D’s und ihr Blick, der unter den Haarsträhnen hervor blitzte, die ihr wild ins Gesicht fielen, erinnerte an ein gehetztes Tier, das in die Ecke getrieben worden ist. „Ist das wahr?“, fragte Orpheus sie mit sanfter, aber dennoch fordernder Stimme. Ares sah, wie sie schnell die Lider niederschlug, um Orpheus‘ Blick so zu entkommen. Sie schluckte. „Ich … ich fühlte mich nicht so besonders.“, brachte sie leise hervor und ihre Augen huschten flüchtig zu D hinauf, als wolle sie abschätzen, ob ihm diese Antwort zusagte, oder ob sie eine weitere Rüge für was auch immer zu erwarten hatte. Orpheus ließ sich von ihrer eingeschüchterten Reaktion nicht aus der Ruhe bringen und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder D zu, der dem Treiben mit aufeinander gepressten Lippen gezwungener Weise stattgegeben hatte. Der Respekt, der hier wohl dafür sorgte, dass die Situation nicht eskalierte, schien zumindest etwas auf Gegenseitigkeit zu beruhen. „Nun, da hast du deine Erklärung, warum sie nicht bei Hades aufgetaucht ist“, sagte Orpheus ruhig an D gewandt und runzelte leicht die Stirn. „Ich sehe keinen Grund darin, sie wie ein Tier hinter dir her zu zerren. Also lass sie jetzt endlich los!“ D’s Blick wurde noch verbissener und provozierend reckte er das Kinn vor. „Glaubst du, du kannst mir Befehle erteilen?“, zischte er und trat näher an Orpheus heran. „Du nimmst dir zu viele Freiheiten mir gegenüber heraus. Vergiss nicht, wer ich bin! Ich stehe über dir.“ Etwas legte sich in Orpheus‘ Haltung. Er wich nicht zurück, er richtete sich D stattdessen etwas entgegen und obwohl Ares die Augen seines Partners nicht sehen konnte, so war er sich sicher, dass sich dieser dunkler Schatten wieder über das sonst so heitere Grün in Orpheus‘ Iriden gelegt hatte, welches ihm genauestens bekannt war. Er bemerkte, wie Persephones Blick nervös zwischen den beiden Männern hin und her huschte. Es fehlt nicht mehr viel, dachte er und schloss seine Finger langsam und unauffällig um den Griff seines Schwertes. „Wegen einem Titel werde ich garantiert nicht vor dir im Dreck kriechen, D.“ „Willst du dich mit dir anlegen?“ „Nein“, entgegnete Orpheus und deutete in diesem Augenblick hinter sich auf Ares, dass sich dieser innerlich anspannte. „Aber wenn du sie nicht sofort loslässt, könnte es passieren, dass ich einen Moment lang nicht auf meinen Partner hier aufpasse und der ist nicht so friedliebend wie ich. Vor allem Springern gegenüber nicht; denen geht er besonders gerne auf die Nüsse, glaub mir.“ Für einen kurzen Moment richtete sich D’s Blick auf den Jüngeren hinter Orpheus und Ares‘ Griff um sein Schwert wurde noch fester, dann sah D zurück zu dem Brünetten vor ihm und verzog schnaufend einen Mundwinkel, dass man sich an ein verzerrtes Grinsen erinnert fühlte. „Soll ich jetzt etwa Angst bekommen?“ „Das kommt ganz darauf an, wie schnell du die Hände von ihr nimmst.“ Nun warf auch Orpheus einen Blick auf Ares. Tatsächlich erschienen seine Iriden viel dunkler als gewöhnlich. „Noch drei Sekunden und es könnte kritisch werden ... ich an deiner Stelle würde loslassen.“, fügte er im ruhigen Tonfall hinzu und drehte sich wieder zu D um. Sein Blick streifte noch einmal Persephone. „Ich bin mir sicher, dass sie von alleine gehen kann.“ Wieder legte sich Schweigen über die Anwesenden. Sekunden passierte nichts, dann wanderte D’s freie rechte Hand auf einmal zu der Beretta an seiner linken Seite. Er kann beidseitig schießen, ertönte Hermes‘ ehrfürchtige Stimme auf einmal in Ares‘ Gedanken und gleichzeitig erinnerte er sich an einen Abend vor ein paar Wochen zurück, kurz nachdem D zum Springer erhoben worden war. Nahezu alle Mitglieder von Olymp hatten sich an diesem Abend zusammengesetzt und Shoot `em up gesehen. Diese geselligen Abende waren selten, aber es gab sie und dann waren alle Rivalitäten und Zwiste für ein paar ruhige Stunden unter den Mitgliedern vergessen. Bei einer Szene, in der der Protagonist einem Mann das Ohrläppchen wegschoss, weil dieser einen Ohrring trug, das ihm nicht gefiel, hatte jemand D gefragt, ob er das auch zustande bringen würde. Er hatte dabei breit gegrinst und auch andere hatten angefangen zu lachen; Ares erinnerte sich, dass zu diesem Zeitpunkt niemand mehr wirklich nüchtern gewesen war. Er selbst hatte sich auch nicht mehr zügeln können, und musste bei der Vorstellung eines karottenfressenden D’s unkontrolliert lachen. D hatte nur ruhig dagesessen und seine Lippen leicht zu einem Lächeln verzogen. „Würdest du dein Ohr zur Verfügung stellen?“, hatte er gefragt und jegliches Lachen war augenblicklich abgebrochen. Jeder wusste, dass D nicht scherzte. Ares wollte neben Orpheus‘ Seite treten, als er sah, dass auch die Hand des ehemaligen Springers zu seiner Waffe wanderte, als auf einmal eine Stimme die Stille durchbrach. „Jungs!“ Herks mahnender Tonfall ließ Ares herumfahren; D und Orpheus sahen sich weiterhin in die Augen. Der Hüne war am Ende des Ganges aufgetaucht und sah nicht minder verärgert und angespannt aus. Dann endlich löste sich D’s Hand aus Persephones Schopf, die erschöpft und verängstigt zu Boden sackte und sich den Hinterkopf hielt. D wandte den Blick immer noch nicht ab, sah Orpheus schweigend an, dann griff er nach Persephones Arm, um sie nicht weniger grob wieder auf die Beine zu ziehen. Sie hielt den Kopf gesengt und biss sich auf die Lippen, um nicht erneut aufzuschreien. „Beweg dich.“, knurrte er und schubste sie an Orpheus vorbei den Gang hinunter. Sie wehrte sich nicht, ging nur stolpernd weiter. Ein letzter hasserfüllter Blick zu Orpheus, dann setzte sich auch D in Bewegung und drehte den Schwertkämpfern den Rücken zu. Orpheus sah den beiden hinterher, und ließ die Hand am Schwertgriff wieder langsam sinken. „Persephone!“ Ein heftiger Ruck ging durch den Körper der Frau, ehe sie vorsichtig zurücksah. Auch D war wieder stehen geblieben. Trotz des warnenden Blickes seitens des Springers, begann Orpheus zu lächeln und deutete auf sich und Ares. „Heute Abend wollten wir und ein paar andere noch was Trinken gehen. Du kannst dich gerne uns anschließen. Wenn du magst, hol ich dich später bei Hades ab.“ Bei den Worten legte sich Angst in ihren Blick. Sie war nicht wie die Angst vor D, die er bislang in ihren Augen entdeckt hatte; diese Angst ließ sie zusammenfahren, zwar nicht sichtbar, aber dennoch sah man ihr an, dass ihre Beine beinahe eingeknickt wären und ihre Lider zuckten, als erwarte sie eine Ohrfeige. Sie presste die Lippen aufeinander, streifte mit diesem merkwürdigen Blick kurz D, dann straffte sie die Schultern und strich sich einige Strähnen hinter das Ohr. Ihre Hände zittern, stellte Orpheus fest und dieser Anblick ließ ihn selbst auch schaudern. „Kein Interesse“, antwortete sie knapp und in ihrer Stimme lag die gewohnte Abweisung, mit der sie jedem begegnete, dann drehte sie sich um und ging, gefolgt von D, der wieder eine Hand um ihren Oberarm geschlossen hatte. Die Stirn nachdenklich in Falten gelegt, sah Orpheus weiterhin den Gang hinab zu der Stelle, an der Persephone und D aus seinem Blickfeld verschwunden waren. Ein Schnauben ließ ihn dann doch schließlich den Kopf drehen. „…‘nen kleines Dankeschön ist wohl zu viel verlangt…“, brummte Ares mürrisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Hinter ihnen wurden Schritte laut, auf die Herakles neben dem Duo auftauchte und dieselbe Blickrichtung einschlug. „Kann mir mal jemand erklären, was das gerade sollte?“ Ares zuckte mit den Schultern. „Hades‘ Art, seine Mitarbeiter zum Arbeitsplatz zu eskortieren. Sie hat anscheinend ein paar Tage krank gefeiert.“ Tief seufzend fuhr sich Ares durch die Haare und schaute zu Orpheus. „Du hattest Recht, dieses Frauenzimmer bringt nur Ärger.“ „Sie hatte Angst.“, entgegnete Orpheus nur wieder nachdenklich, woraufhin der Blonde noch einmal mit den Schultern zuckte. „Hätte ich auch, wenn D’s Visage das erste am Morgen wär, was ich zu Gesicht bekäme.“ Er verzog mürrisch das Gesicht. „Aber davon abgesehen, hatte sie die ja schnell wieder abgelegt, nachdem wir das Problem für sie gelöst hatten. Dann war sie wieder die gewohnt kaltschnäuzige Zicke. Ich werde aus diesen Gefühlsschwankungen echt nicht schlau.“ Kopfschüttelnd wandte er sich ab und deutete in Richtung Halle. „Komm, lass uns endlich deine dämliche Trainingseinheit hinter uns bringen!“ „Geh schon mal vor.“, antwortete Orpheus sofort und augenblicklich stoppte Ares in seinem Gang, die Brauen ungläubig nach oben gezogen. „Wie bitte?“ „Du hast mich schon verstanden“, entgegnete der Brünette und sah in Ares‘ verwundertes Gesicht. „Mir ist eingefallen, dass ich Zeus noch etwas berichten soll.“ Der Blick des Jüngeren wurde noch skeptischer. „Und das muss jetzt sein.“ Es war keine Frage, sondern eher eine anklagende Feststellung; nicht, dass Ares nun plötzlich einen wahnsinnigen Drang nach Konditions- und Krafttraining verspürte, allerdings wollte er das unvermeidbare Übel auch nicht unnötig aufschieben. Orpheus zuckte nur unbeeindruckt mit den Schultern. „Ja“, entgegnete er bloß, was Ares nicht besonders zufrieden stellte. „Du bist lang genug hier, um auch mal ohne mich trainieren zu können.“ Er wandte sich schon zum Gehen um, Ares‘ leicht aus der Fassung gebrachtes Gesicht bewusst ignorierend, als Herk ihn an der Schulter berührte und neben ihn trat. „Warte, ich begleite dich zu Zeus.“ „Wollt ihr mich verarschen?“ Ares‘ wütender Ausruf ließ die beiden Älteren fragend umschauen. „Wartet, lasst mich noch Kekse besorgen, dann können wir alle zusammen ein gemütliches Kaffeekränzchen bei Zeus abhalten!“ „Geh!“, kam es genervt von Orpheus und dem Leutnant gleichzeitig zurück und tatsächlich wagte es Ares nicht, diesem synchronen Befehl zu widersprechen. Stattdessen schnaufte er nur hörbar und drehte auf dem Absatz um, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und leise vor sich hin murrend. Kurz sah Orpheus ihm noch nach, doch er hakte die Angelegenheit schnell für sich wieder ab. Manchmal reagierte Ares eben immer noch wie ein eingeschnapptes Kind, daran würde sich wahrscheinlich auch so schnell nichts ändern; er hatte sich damit abgefunden und es zu ignorieren gelernt. Er wollte sich schon wieder in Bewegung setzen, da zog ihn Herks Pranke sofort wieder zurück. Stirnrunzelnd sah er zu seinem alten Lehrer hinauf. „Was?“ „Wo willst du hin?“ „Ich will zu Zeus gehen, habe ich doch gerade gesagt!“ Orpheus‘ Stimme klang immer ungeduldiger; Herks Gesicht verdunkelte sich jedoch auch zusehends, was den Brünetten etwas stutzig werden ließ. „Und warum?“, fragte Herk weiter, woraufhin sich Orpheus aus seinem Griff befreite, indem er mit der Schulter rollte. „Ich werde ihm erzählen, wie Hades mit Persephone umspringt.“, erklärte er ernst. „Du hast es nicht gesehen, weil du zu spät gekommen bist, aber dieser Scheißkerl D hat sie durch die Gänge gezerrt wie ein Tier auf dem Weg zur Schlachtbank! Sie hatte Angst zu Hades zu gehen, das hat man ihr deutlich ansehen können.“ Die Augen des Leutnants verengten sich weiter. „Das ist nicht unsere Sache, Orpheus.“, brummte er, was Orpheus‘ Wut nur noch weiter anfachte. Er geriet selten in Rage, aber die Begegnung mit D und nun dieses uneinsichtige Verhalten von Herk waren Zündstoff genug. „Aber es ist Zeus‘ Recht das zu erfahren! Wir sind alle Mitglieder von Olymp und ich sehe nicht tatenlos zu, wenn ich mitbekomme, dass einer unserer Leute so behandelt wird!“, zischte er erbost. Herk musterte ihn eindringlich, sah ihm mit gleichbleibend mürrischem Ausdruck entgegen, dann brach er den Blickkontakt ab und seufzte. „Gut, ja, D hat sich gewalttätig verhalten, aber das ist immer noch Hades‘ Angelegenheit und nicht-“ „Es geht mir nicht um D’s Handeln!“, unterbrach Orpheus ihn wütend. „Herk, sie war in Panik! Sie wollte nicht zu Hades gehen und das muss einen Grund haben.“ Wieder zog es Herakles vor, zu schweigen und die Lippen aufeinander zu pressen. Von seiner Sturheit, seinen Schüler davon abzuhalten, zu Zeus zu gehen, war kaum noch etwas geblieben, was Orpheus am Rande seiner aufgewühlten Emotionen sehr wohl wahrnahm, doch nicht weiter drüber nachdachte. Es war im Moment nicht wichtig, was Herk nun umgestimmt hatte. Orpheus suchte den Blick seines Lehrers. „Herk, wenn … wenn Hades ihr etwas angetan hat oder noch antut, dann muss Zeus das wissen.“, versuchte er den Älteren zu beschwören. „Dann muss er etwas unternehmen!“ „Er weiß es bereits.“, murmelte Herk auf einmal, den Blick wieder abwendend. Orpheus starrte ihn an, als habe sein Gegenüber ihn geschlagen. Nach weiteren Sekunden des Schweigens nahm Herk widerwillig den Blickkontakt wieder auf und nun erkannte Orpheus dieselbe Unruhe in seinen Augen, die auch ihn befallen hatte. „Vor drei Tagen ist Persephone zu mir gekommen und hat mich gefragt, ob ich sie trainieren könnte. Kein normales Verteidigungstraining. Sie hat explizit danach gefragt, wie man sich aus Griffen befreien kann. Aber ich konnte sie nicht einmal fester anfassen, ohne dass sie schon verunsichert zurückgewichen ist. Danach ist sie auch nicht noch einmal wiedergekommen.“ Orpheus senkte den Blick und konnte ein Zittern nicht unterdrücken. Ihm schwirrte der Kopf. „Vor drei Tagen?“ Herk nickte. „Ich habe Zeus davon erzählt.“, begann er, hielt jedoch sofort wieder inne und sah Orpheus verändert in die Augen. „Zeus weiß es, Orpheus. Dass Hades sie-“ Er brach den begonnenen Satz ab, doch Orpheus ergänzte ihn für sich in Gedanken und dabei lief ein eiskalter Schauer seinen Rücken hinab. Er sah seinen Mentor schweigend und äußerlich gefasst an, dann atmete er tief durch, um auch sein Inneres etwas zu beruhigen, ehe er wieder ansetzte: „Drei Tage. Er weiß es schon so lange und er hat bisher nichts unternommen?“ Seine Stimme klang immer ungläubiger. „Er sagte, er habe sich etwas überlegt, aber das bräuchte noch etwas Zeit.“ Bei diesen Worten kehrte seine Wut wieder an die Oberfläche zurück. „Wie lange will er sich das denn noch anschauen?“, grollte er und ballte die Fäuste. Er konnte nicht glauben, was er da hörte. Drei Tage und nichts war passiert! „Bis sie grün und blau ist und wirklich jeder davon Wind gekriegt hat? Oder schlimmeres passiert?!“ Der Blick seines Gegenübers verdüsterte sich wieder. „Vertraust du Zeus?“, fragte er, doch Orpheus schüttelte nur zornig mit dem Kopf. „Das tut doch jetzt nichts zur Sache!“ Er hatte die Worte noch nicht ganz ausgesprochen, da krachte Herks Linke neben Orpheus‘ Gesicht gegen die hell gestrichene Wand, dass der Jüngere unweigerlich zusammenzuckte. Herakles war dafür bekannt, stets mit einem Gesichtsausdruck herumzulaufen, als habe man ihn um drei Uhr morgens zum Dauerlauf aus dem Bett gezerrt, aber meistens steckte nichts Ernsteres dahinter. Seine Mimik wirkte einschüchternd und respektfordernd … ideal für Neuankömmlinge und Unbelehrbare. Damit der Leutnant – ein Spitzname, der sich dank Ares mit der Zeit eingebürgert hatte – allerdings wirklich schlechte Laune bekam, musste man nur das richtige Reizthema ankratzen; und seinen Vorgesetzten und Freund in Frage zu stellen, gehörte definitiv dazu. „Vertraust du ihm, Orpheus?“, fragte er ihn noch einmal und seine Stimme erinnerte dabei an einen Bären, den man aus seinem Winterschlaf gerissen hatte. Trotz der sichtlichen Ungeduld in Herks Blick, ließ sich Orpheus mit der Antwort Zeit. Es war nicht so, dass er mit den Titeln und Rängen irgendwann den Respekt vor seinem Lehrer verloren hätte, dennoch war er zu stolz, um vor diesem zornigen Blick sofort klein bei zu geben. „Ja. Natürlich.“, sagte er dann doch im ruhigen Tonfall. Im Grunde hätte es sogar keiner Antwort gebraucht; die Frage war von Anfang an rhetorisch gewesen, das wussten beide Männer. Herks Gesicht klärte sich nun um eine Nuance auf. „Gut.“, brummte er, ließ die Faust neben Orpheus‘ Wange sinken und trat einen Schritt zurück. „Dann ist diese Unterhaltung hiermit beendet. Kein Wort! Zu niemanden!“ Ohne auf eine Erwiderung zu warten, drehte sich der hochgewachsene Leutnant weg und ging seines Weges. Orpheus blieb allein zurück. Als Herakles nicht mehr zu sehen war, lehnte er sich seufzend gegen die Wand und vergrub beide Hände in den Haaren. Seine Gedanken kreisten und rebellierten in ihm unaufhaltsam. Am liebsten hätte er seine Wut laut hinausgeschrien. Vertraue ihm, sprach er sich beruhigend zu und atmete mehrere Male so tief wie möglich ein, bis er das Gefühl hatte, seine Lunge würde unter dem Druck der einströmenden Luft zerreißen wie ein prallgefüllter Luftballon. Vertraue ihm! Immer wieder aufs Neue, wie ein Gebet. Er brauchte fünf weitere Minuten, um sich zu sammeln, dann stieß er sich von der Wand ab und ging bewusst langsam in Richtung Halle. Er musste sich abreagieren. „Ares wird mich hassen.“, murmelte er, atmete ein letztes Mal tief ein, ehe er seine Schritte beschleunigte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)