Memori3s von _Myori_ ================================================================================ Vertrauen --------- Ohne den Blick von dem hageren Mann zu nehmen, nippte Zeus an seinem Glas, dessen Inhalt vor langem einmal kalt gewesen war. Der Typ am Tresen flirtete schon seit zwei Stunden mit einem der wenigen weiblichen Gäste der Kneipe herum. Der Frau schien es nicht weiter zu stören, dass er mit seiner Hand ihren sowieso schon knappen Rock beinahe ganz nach oben geschoben hatte und nach seinen starrenden Blicken zu urteilen, hatte er sie- zumindest in Gedanken- schon viel weiter ausgezogen. Bei diesem Anblick war es für Zeus kein großes Wunder mehr, dass sich nur so wenige „normale“ Frauen in dieses Lokal verirrten… Mürrisch schaute er auf seine Armbanduhr, dann suchte er den Blick des blondgefärbten jungen Mannes, der in der gegenüberliegenden Ecke der Kneipe saß und mit den Augen, genau wie er, den Mann am Tresen fixierte. Nach seinen unruhigen Fingern zu urteilen, die, einem Staccato gleich, auf der kleinen Tischplatte vor ihm trommelten, schien auch er am Ende seiner Geduld angelangt zu sein. „Ist der Typ immer noch nicht fertig?“, brummte Hades im selben Moment genervt via Headset in Zeus` Ohr. Der Mann am Tresen lachte auf einmal kehlig und zog die Rothaarige mit einem Ruck näher an sich heran, sodass sie beinahe von ihrem hohen Barhocker fiel und zumindest das schien ihr etwas zu viel zu werden, denn sie ließ keinen Augenblick verstreichen, um sich elegant aus der Umarmung des Betrunkenen zu befreien. Na endlich… Zeus wollte schon sein Glas endgültig leeren und nach seiner Jacke greifen, als die Frau auf einmal den Barkeeper zu sich heranwinkte und in einer kurzen Geste auf das fast leere Glas ihres Begleiters deutete. Nur mit Mühe unterdrückte Zeus ein Stöhnen. „Nein, er kriegt noch eine Runde ausgegeben…“, antwortete er Hades verspätet und fuhr sich frustriert durchs Gesicht. „Wenn die so weiter macht, bringt sie ihn noch vor uns um.“, knurrte Mischas Stimme in seinem Ohr gereizt. Zeus warf einen unauffälligen Blick auf den Mann in der anderen dunklen Ecke des Schankraumes. Mischa bemerkte Zeus und sah mürrisch zurück, den Kopf auf eine Handfläche gestützt. „Glaub mir, ich geb den beiden noch fünf Minuten- wenn die dann immer noch nicht fertig sind, geh ich dazwischen und wechsel mal selbst ein paar gepflegte Worte mit der Schönheit.“, hörte Zeus ihn sagen, wobei sich bei seinen letzten Worten ein breites Grinsen auf die Lippen des jungen Mannes gelegt hatte. Deutlich schüttelte Zeus langsam den Kopf und sah den Jüngeren streng in die Augen. „Vergiss nicht, warum wir hier sind- spar dir die Frau für später auf, wenn es unbedingt sein muss.“ Mischa lachte kurz und hart auf. „Ich würde nichts lieber tun, als diesen Mistkerl endlich umzulegen, aber ich darf ja nicht. Du hast schließlich den Auftrag erhalten… ich frag mich sowieso, warum ich dann überhaupt mitkommen sollte- als wenn du meine Hilfe benötigen würdest…“ „Wenn ich es alleine könnte, hätte ich dich ja wohl nicht engagiert, oder?“, erwiderte Zeus, woraufhin Mischa auf der anderen Seite der Kneipe nur mit einem Schulterzucken antwortete. Er versuchte sich das genervte Seufzen nicht anmerken zu lassen. Mischa war nicht gerade leicht zu Händeln und es erforderte eine gehörige Portion an Geduld und Toleranz, um sein anstrengendes Verhalten zu ertragen. Engagiert? Zeus hätte sich am liebsten für seine eigene Formulierung lauthals selbst ausgelacht- wäre dieses halbe Kind nicht der Neffe seines Auftraggebers gewesen, hätte er Mischa schon am Eingang der Kneipe mit einem Tritt hochkant wieder hinausbefördert. Seit sie hier waren, gab er einen unangemessenen Spruch nach dem anderen von sich, sodass Zeus` großzügige Toleranz und Gutmütigkeit schon längst ausgemerzt und praktisch nicht mehr existent waren. Er ist noch neu in dem Geschäft, redete sich Zeus in solchen Momenten immer wieder ein, und er ist der Lieblingsneffe vom Chef, also reiß dich zusammen... „Soll ich die Sache irgendwie beschleunigen?“, meldete sich Hades mitfühlend erneut zu Wort. „Wenn du diese Frau irgendwie davon abhalten könntest, unsere Zielperson ins Koma saufen zu lassen…“, erwiderte Zeus um Beherrschung kämpfend und massierte sich seinen Nasenrücken. „Wie wär` s mit einem empörten Anruf ihres aggressiven Bruders?“ Zeus runzelte belustigt die Stirn. „Du, frommes Lamm, willst tatsächlich die Stimme erheben?“ „Man sagt mir ein gewisses schauspielerisches Talent nach…“, entgegnete Hades stolz, dennoch konnte Zeus das Schmunzeln aus der Stimme des anderen deutlich heraushören. „Fragt sich nur, ob es den Typen interessieren würde, wenn sie `nen Schläger als Bruder hätte- von ihr mal ganz abgesehen.“, mischte sich Mischa in das Gespräch über Headset ein. „Sie scheint ja von ihm ziemlich angetan zu sein.“ „Oder sie hat noch keine Möglichkeit gefunden, ihn loszuwerden…“, gab Zeus zu bedenken und sah wieder zu den Beiden am Tresen. Das Lächeln der Frau wurde mit jeder Minute gequälter, dass sie ihm schon beinahe leid tat. Auf einmal hörte er Mischa durchs Headset genervt schnauben. „Mir reicht`s jetzt, ich hab lang genug gewartet! Der Affe soll endlich ins Gras beißen!“ „Mischa, bleib-“, fing Zeus drohend an, unterbrach sich allerdings sofort wieder und wurde kreidebleich, als der Jugendliche sich in diesem Moment von seinem Platz erhob und auf den Mann am Tresen zuging. Ohne ein Wort mit ihm zu wechseln, riss Mischa den Typen so plötzlich und unerwartet von seinem Stuhl hinunter, dass die Rothaarige neben ihm erschrocken aufschrie. Die Gespräche der anderen Gäste um ihn herum verstummten augenblicklich und alle sahen wie gebannt auf den jungen blonden Mann. Zeus hätte vor Zorn in die Tischkante beißen können. „…was ist passiert?“, fragte Hades vorsichtig nach. „Der Bengel hat sich grad sein eigenes Grab geschaufelt…“, knurrte Zeus durch aufeinander gepresste Zähne leise hindurch und griff nach seiner Jacke und dem länglichen Stoffbündel, das an seinem Tisch gelehnt hatte. Mit wenigen ausgreifenden Schritten hatte er Mischa und den Mann erreicht, der sich benommen auf die Knie hochgerappelt hatte und nun mit glasigen Augen zu seinem Angreifer hochglotzte. Die Frau hatte entsetzt die Hände vor den Mund geschlagen und starrte die drei Männer um sie herum der Reihe nach verwirrt und verängstigt an. Mischa wollte gerade mit einem Tritt nachlegen, doch da kam ihm Zeus zuvor und stieß den Jüngeren von dem Betrunkenen so stark weg, dass dieser ein paar Schritte zurückstolperte. Zeus warf seinem Partner kurz einen warnenden Blick zu, dann packte er den anderen Mann an den Schultern und riss ihn unsanft in die Höhe. Mit einem entschuldigenden Lächeln wandte er sich dann an die Rothaarige. „Ich hoffe, Sie können unserem Cousin sein unverschämtes Verhalten irgendwann verzeihen…“, sagte Zeus mit einem so flehenden Blick, dass die Frau ihn blinzelnd anschaute. Er sah, wie sie leicht errötete, als sie einen Augenblick später mit einem zaghaften Nicken antwortete. „Danke…“, erwiderte Zeus erleichtert und schenkte ihr sein breitestes Jungenlächeln, zu dem er im Moment imstande war. Die Reaktion der Frau nicht abwartend, drehte er sich keine Sekunde später zu Mischa um, der ihn empört anstarrte, dann nickte Zeus energisch in Richtung Ausgang und zog den betrunkenen Mann hinter sich her. Zu Mischas eigenem Glück gehorchte er Zeus widerstandslos und folgte dem Älteren aus der Kneipe hinaus, jedoch nicht ohne sich noch einmal an die perplexe Frau zu wenden und ihr grinsend zuzuzwinkern. Draußen konnte Zeus dann seine Wut nicht mehr verstecken. Ihre Zielperson immer noch am Kragen haltend, blieb er abrupt stehen und drehte sich zu Mischa um, der hinter ihm hergegangen war. „Bist du eigentlich noch ganz dicht da oben?“, rief er aufgebracht und sein Griff um das Stoffbündel wurde stärker. Mischa ließ sich davon allerdings nicht beeindrucken, sondern verdrehte nur schnaubend die Augen und schob seine Hände in die Hosentaschen. „Sei doch froh, ich hab die Sache hier nur abgekürzt-“ „Du hast die Sache nur noch verschlimmert!“, fiel Zeus ihm barsch ins Wort und deutete zurück zu der Kneipe, aus der sie gerade gekommen waren. „Hast du eigentlich `ne Ahnung, wie viele sich jetzt gerade dein Gesicht gemerkt haben? Wir waren da drinnen, um zu beobachten, nicht zum Schaulaufen!“ „W- wer seid ihr eigentlich? Was wollt ihr von mir?“, wimmerte auf einmal der hagere Mann, den Zeus am Kragen festhielt. In einem Ansturm von purer Wut musste er sich ziemlich zusammenreißen, um nicht loszubrüllen. Mit einem Ruck ließ er den Mann los und sah ihn mit vor Zorn funkelnden Augen an. „Beweg dich einen Meter und ich töte dich auf die langsamste Art, die ich kenne.“, zischte er mit dunkler Stimme, dass dem Angesprochenen auf einmal alle Farbe aus seinem verschwitzten Gesicht fiel. Zeus wollte sich schon wieder Mischa zuwenden, als der Betrunkene erneut anfing zu stottern: „Aber… was- was habe ich euch denn getan? Wer seid ihr, verdammt?“ Bevor Zeus antworten konnte, war Mischa freudlos lachend an seine Seite getreten und zog aus der Innentasche seiner weiten Jacke plötzlich eine Pistole hervor. „Was du getan hast? Hast du schon so viel gesoffen, dass du das wirklich vergessen hast?“, fragte der Jüngere düster und richtete die Waffe auf den Hageren, dass dieser noch blasser wurde. „Tja, mein Onkel hat nicht vergessen, was du seinem Bruder- meinem Vater - angetan hast. Bei uns wird Clanverrat mit dem Tod bestraft, das weißt du doch hoffentlich noch, oder?“ Als Mischa die Waffe entsichern wollte, griff Zeus nach seinem Arm, in dessen Hand er die Pistole hielt und riss sie zur Seite. „Bist du wahnsinnig? Steck das weg!“, rief er wütend und für einen Moment passten sie nicht auf. Der hagere Mann nutzte die Ablenkung und rannte augenblicklich davon. Fassungslos sahen die beiden ihrem Ziel hinterher, dann richtete Mischa zähneknirschend seinen Blick auf den Älteren neben ihm, der ihn immer noch am Handgelenk festhielt. Mit einem Ruck befreite er sich aus seinem Griff. „Was sollte das denn jetzt? Ich hätte den Typen in einer Sekunde-“ Mischa verstummte, als er in dem Moment Zeus in die Augen sah. Die unterdrückte Wut loderte so stark hinter den Pupillen seines Gegenübers, das die Hitze beinahe körperlich zu spüren war. „Du wolltest ihn hier- auf öffentlicher Straße- umlegen?“, fragte ihn Zeus mit einer gefährlichen Ruhe in der Stimme, dass Mischa unauffällig schlucken musste. Zeus sah auf die Waffe in der Hand des Jüngeren. „Ohne Schalldämpfer?“ Mischa betrachtete ebenfalls seine Hand und als bemerke er erst jetzt die Waffe, die er hielt, riss er erschrocken die Augen auf und hielt sie entsetzt von sich weg. Schuldbewusst sah er Zeus wieder an. „Ich-“, begann er, doch auch diesmal ließ der Dunkelhaarige ihn nicht ausreden. „Steck endlich diese verdammte Pistole weg und sieh zu, dass du ihn wieder einholst!“, knurrte er zornig. „Und gewöhn dir in Zukunft an, deinen Kopf einzuschalten, bevor du morgens aus dem Bett steigst…“ Mischa zuckte unter dem barschen Tonfall zusammen, nickte kurz eingeschüchtert und rannte dann dem Mann hinterher. Zeus sah dem Jungen wütend nach und versuchte einen Moment lang sich wieder zu sammeln. „Was hast du jetzt vor, Zeus?“, fragte Hades über Headset, was sein Partner mit einem genervten Schnauben kommentierte. „Der Typ ist in Richtung des alten Stadtzentrums gelaufen- Mischa, gib Hades die Position unserer Zielperson durch und du, Hades, suchst die nächste abgelegene Sackgasse auf diesem Weg raus.“, befahl er, woraufhin ein zweistimmiges „verstanden“ von seinen beiden Partnern folgte. Zeus nickte zufrieden und etwas beschwichtigt lauschte er dem knappen Funkkontakt zwischen Hades und Mischa. Als Hades dann anfing, den Jüngeren durch die Straßen zu lotsen, setzte auch er sich in Bewegung und bog in eine nahe gelegene Gasse ab. Ein hoher Zaun tauchte vor ihm auf, über den er flink kletterte und seinen Weg mit angezogenem Tempo fortsetzte. Er musste schneller als Mischa und der Kerl sein, damit sein Plan aufgehen konnte, doch zum Glück kannte er in dieser Umgebung die eine oder andere Abkürzung, die der Betrunkene in seinem panischen Zustand garantiert nicht nutzen würde. Nach ein paar Minuten erreichte er die menschengefüllte Fußgängerzone der Innenstadt. Schnell gab er Hades seine Position durch. „Du hast sie gleich eingeholt.“, berichtete Hades daraufhin. „Hinter der nächsten Ecke rechts müsstest du sie sofort sehen… Mischa treibt ihn dir direkt in die Arme.“ „Sehr gut!“ keuchte Zeus atemlos und schlug die angegebene Richtung ein. Die Menschen, die ihm nun entgegenkamen, erschwerten ihm sein Vorwärtskommen, doch er störte sich nicht weiter an den empörten Rufen, die ihm hinterhergeworfen wurden, wenn er sich wieder unsanft an jemandem vorbeidrängte. Die von Hades genannte Kreuzung tauchte vor ihm auf und ohne in seinem Lauf stoppen, bog er rechts ab und sah tatsächlich keinen Augenblick später den Hageren auf sich zulaufen, gefolgt von Mischa. Der Mann erschrak sichtlich, als er Zeus entdeckte und blieb wie erstarrt stehen. Panisch ließ er seinen Kopf von links nach rechts schnellen, dann rannte er in die nächste Straße. „Er ist links abgebogen.“, informierte Zeus Hades schnell und legte auf den letzten Metern an Tempo zu. „Dann habt ihr ihn…“, erwiderte Hades zufrieden, dann hörte Zeus ein leises „Klick“ und seine Verbindung zu ihm war unterbrochen- wie immer, wenn Zeus kurz davorstand, einen Auftrag abzuschließen. Völlig außer Atmen kam Mischa mit hochrotem Kopf bei Zeus an, der vor der langgezogenen Gasse stehen geblieben war und sah erwartungsvoll zu dem Blassen hoch. Zeus schnappte ebenfalls hörbar nach Luft, dennoch war er in weitaus besserer Verfassung, als der Mafia- Sprössling. Er nickte dem Jüngeren energisch zu und betrat dann mit Mischa, der einen Meter hinter ihm ging, die dunkle Gasse. „Diesmal überlässt du mir das Reden, verstanden?“, brummte Zeus und entknotete im Gehen die Riemen des Stoffbündels. Mit ein paar routinierten Handgriffen waren sie gelöst und Mischa konnte in dem dämmrigen Licht von entfernten Straßenlaternen die silberverzierte Holzscheide eines Katanaschwertes erkennen. Abrupt blieb er stehen und starrte mit geweiteten Augen auf die Klinge. Zeus bemerkte sein Zurückbleiben, ließ sich jedoch von seiner Reaktion nicht beirren. „Tu nicht so, als wenn du sie zum ersten Mal sehen würdest…“ Mischa schluckte hart. Natürlich hatte er dieses Schwert schon einmal gesehen- vor einer Woche, als sein Onkel Zeus engagiert hatte- und natürlich kannte er die Geschichten, die man sich seit neustem überall erzählte: von einem jungen Kopfgeldjäger, der mit einem Katana tötete. Aber Mischa hatte immer gedacht, dass es eben nur Geschichten seien- welcher normale Mensch würde in einer Zeit, die von Schuss- und Automatikwaffen geprägt war, noch so etwas Altmodisches wie ein Schwert vorziehen? „Und was ist, wenn der Typ `ne Pistole bei sich hat?“, fragte Mischa vorsichtig und folgte Zeus wieder in sicherem Abstand. „Hat er nicht.“, entgegnete der Dunkelhaarige ruhig und warf den groben Leinenstoff zusammen mit seiner Jacke auf den Boden der Gasse und ging weiter. „Wenn er eine dabei gehabt hätte, hätte er sie schon längst benutzt…“ Der schmale Weg, der zwischen zwei Häuserreihen herlief, machte einen scharfen Knick. Zeus musste grinsen. Der hagere Typ ist, ohne es zu wissen, in sein Verderben gerannt. Manchmal erschreckte selbst ihn Hades` abgebrühte Denkweise. Sie schritten um die schwer einzusehende Ecke und fanden ihre Zielperson vor einem drei Meter hohen Maschendrahtzaun, um dessen oberes Ende ein dichter Stacheldraht gewickelt worden war, sodass man unmöglich über den Zaun hätte klettern können. Sehr clever, lobte Zeus seinen Partner anerkennend in Gedanken und zog die Klinge aus der Schwertscheide. Das schneidende Geräusch des polierten Metalls ließ den Hageren alarmiert auf dem Absatz umdrehen. Mit panisch aufgerissenen Augen starrte er auf das blitzende Schwert und drückte sich immer mehr an den Zaun, als hoffe er, sich so durch die Maschen hindurch quetschen zu können. „Jun Murasame“, erhob Zeus ruhig die Stimme, dass seine Worte an den hohen Mauern der Gasse widerhallten. „Sie sind sich Ihrem Vergehen bewusst?“ In dem Blick des Angesprochenen lag nur noch pure Angst und Zeus sah deutlich, wie sich sein Atem beschleunigte und er panisch nach Luft schnappte. Auf einmal griff er unter seine Jacke und zog ein Taschenmesser hervor, das er Zeus, der nur noch wenige Meter von ihm entfernt war, entgegenstreckte. „Bleibt weg von mir!“, schrie Murasame hysterisch und tatsächlich stoppte der Dunkelhaarige in seiner Bewegung, vorwärts zu gehen- im Gegensatz zu Mischa, doch den erwischte er noch rechtzeitig am Arm, ehe er außer Reichweite gewesen wäre. Das Gesicht des Jüngeren war auf einmal überschattet von einer Maske der Wut auf diesen Mann, der vor ihnen stand und das Messer, mit beiden Händen umklammert, zwischen seinen beiden Angreifern hin und her bewegte, als sei er sich nicht sicher, welcher die größere Gefahr für ihn darstellte. Sein Messer kam bei dem Kleineren mit den blonden Strähnen im Haar zum Stillstand. Der Zorn in den Augen dieses Mannes war schwer zu übersehen. Murasame nahm allen Mut zusammen. Er würde sich nicht unterkriegen lassen, niemals! „Ich bereue keine meiner Taten!“, rief er um Festigkeit in seiner Stimme kämpfend. Der Blick des unbewaffneten Mannes verfinsterte sich zusehends. „Dieser Dreckskerl hat`s nicht anders verdient! Er ist menschenverachtend und grausam zu seinen eigenen Leuten.“ Er unterbrach sich und packte noch fester um den ledernen Griff des Taschenmessers. „Er hat meine Frau töten lassen, nur weil ich einen- einen einzigen beschissenen Fehler gemacht habe…“ Seine eigene Wut übernahm wieder die Kontrolle über sein Denken und vor Zorn zitternd spie er aus: „Ich verfluche jeden Einzelnen aus eurem scheiß Dragan- Clan! Und ich bete jeden Tag dafür, dass dieser Mistkerl nicht mehr aus seinem verdienten Koma erwacht!“ „Wage es ja nicht, so über meinen Vater zu sprechen!“, schrie Mischa den Mann auf einmal an, befreite sich aus Zeus` locker gewordenen Griff und zog erneut seine Waffe hervor. Zeus handelte in dem Bruchteil einer Sekunde. Blitzschnell stieß er Mischa zur Seite und wollte ihm die Pistole aus der Hand schlagen, doch da hatte sich der Schuss schon längst gelöst. Knallend peitschte die Kugel durch die Luft, prallte funkenschlagend an der linken Gassenwand ab und schnellte zurück. Der Querschläger traf Zeus am Oberarm und bohrte sich wie glühendes Eisen in sein Fleisch. Von seiner stark blutenden Verletzung abgelenkt, achtete Zeus nicht mehr auf Murasame- erst der wütende Aufschrei, mit dem der Hagere auf ihn zugerannt kam, ließ ihn erschrocken aufblicken. Instinktiv sprang Zeus zurück und wich somit Murasames Streich aus, jedoch setzte der Mann sofort nach. Mit ungelenken Bewegungen ließ der Betrunkene die Messerklinge in großen Bahnen durch die Luft schneiden und Zeus fiel es immer schwerer, trotz der schlecht gezielten Streiche, Murasame auszuweichen. Irgendwann verlangsamten sich die Bewegungen seines Gegners, sodass er dessen bewaffnete Hand mit seiner Linken zu packen bekam- der Schmerz, der dabei durch seinen ganzen Arm jagte, versuchte er mit aufeinandergebissenen Zähnen zu ignorieren. Dann ging alles rasend schnell. Zeus zögerte nicht oder dachte über sein Handeln nach, sondern stieß die gesamte Klinge des Katana durch den Torso des Hageren. Die Welt schien für einen Moment die Luft anzuhalten, dann vernahm er durch den Schleier seines eigenen brennenden Schmerzes den gurgelnden Laut des Gefallenen, der, keine Sekunde später, mit geweiteten Augen vor ihm zusammensackte. Als Zeus das Schwert aus seinem Opfer wieder herauszog, fiel er endgültig leb- und geräuschlos zu Boden. Blut sammelte sich in Murasames weit geöffneten Mund, lief an seinen Mundwinkeln hinunter und tränkte, zusätzlich zu der klaffenden Wunde in seinem Bauch, den Asphalt in einem satten Rot. Seine starren Augen glotzten wie gebannt in den klaren Nachthimmel, aus dem es wieder leicht zu schneien begonnen hatte. Tief Luft holend wechselte Zeus seine Schwerthand und umfasste die vor Schmerz pochende Wunde an seinem Oberarm. Der schwarze Stoff seines Pullovers und die schlechten Lichtverhältnisse machten es ihm unmöglich, genauere Einzelheiten zu erkennen, aber nach dem Schmerz zu urteilen, der wie eine Welle durch seinen ganzen Arm jagte, wenn er diesen anspannte, musste sich zumindest ein Teil des Querschlägers in seine Muskeln gebohrt haben. Er verzog das Gesicht, als er die Hand auf die Wunde presste, um die Blutung etwas zu lindern. Etwas rührte sich in seinem Augenwinkel und er hörte, wie Mischa leise vor sich hinmurmelte. Zeus drehte sich zu dem Jüngeren um. Er war totenblass im Gesicht und seine schreckensstarren Augen fixierten wie gebannt die blutgetränkte Klinge in Zeus` Linken. Zeus beschloss, den Jungen zu ignorieren, wandte sich stattdessen augenverdrehend wieder von ihm ab und hockte sich vor den Toten, um sich zu vergewissern, dass es an diesem Zustand tatsächlich keine Zweifel gab. Sein Blick glitt an dem leblosen Körper entlang und blieb an Murasames linker Hand heften. An seinem Ringfinger trug er einen schlichtgehaltenen Ring aus Gold, dessen Glanz und Pracht jedoch beinahe gänzlich vom Blut verschluckt worden war. Vermutlich sein Ehering, stellte Zeus nüchtern fest, seine Frau war ja immerhin der Anlass für dieses Drama gewesen. Ein sarkastisches Lachen kroch seine Kehle hinauf. Dieser Typ nahm Rache für seine Frau, trug sogar weiterhin ihren gemeinsamen Ehering und dennoch hatte er sich so ungeniert und direkt an eine andere Frau rangemacht… wie paradox doch das Handeln werden konnte- vor allem, wenn genug Verzweiflung und Alkohol im Spiel waren. Daneben, am Mittelfinger, trug er einen weiteren Ring aus einem leicht angelaufenem Metall- das Zeichen des Clans, dem er angehört hatte. Murasame musste einen höher gestellten Rang im Dragan- Clan bekleidet haben. Die Ringe, so wusste Zeus aus Hades` Nachforschungen, wurden nicht an jeden vergeben und weitaus seltener an Mitglieder, die nicht zur direkten Familie gehörten. Er war schon damals, als er noch gedealt hatte, öfters Männern über den Weg gelaufen, die in dem Namen der Draganbrüder in derselben Branche wie er gearbeitet haben, jedoch hatten nicht einmal die besten Dealer unter ihnen so ein Schmuckstück getragen. Murasame musste dem Clan sehr loyal gewesen sein und man hatte ihm anscheinend im Gegenzug dafür sehr vertraut- was im Endeffekt jedoch beides kein Gewicht gehabt hatte. Unauffällig strich Zeus dem noch warmen Toten über die Hand, zog dabei beiläufig den Metallring vom Finger und stand wieder auf. „Meine Arbeit ist hiermit getan.“, verkündete Zeus und wandte sich Mischa zu, der sich in diesem Moment ebenfalls vom Boden erhob und ihn immer noch verstört ansah. Mit Mühe unterdrückte Zeus ein erneutes Augenrollen. Dieser Junge war doch wirklich nicht mehr zum aushalten… Um schlimmeres zu verhindern- und weil er den Anblick dieses Häufchen Angst, das kurz vor der Ohnmacht stand, nicht weiter ertragen wollte- drehte er kurzerhand auf dem Absatz um und ging die Gasse hinunter. Hinter ihm erwachte Mischa endlich aus seinem Schockzustand. „Warte!“, rief er dem Dunkelhaarigen hinterher. „Was ist mit… mit ihm hier?“, fragte er zögernd und Zeus konnte deutlich die Panik in seiner Stimme wahrnehmen. Noch einmal blieb er stehen und sah über die Schulter zurück. Hilflos stand Mischa neben Murasame, was in den Blonden ein ziemliches Unbehagen auszulösen schien. Gleichgültig zuckte der Angesprochene mit den Schultern. „Was weiß ich?“, erwiderte er und zog dabei fragend eine Braue in Richtung Haaransatz. „Mein Auftrag war es, ihn umzubringen. Um den Rest müsst ihr euch kümmern.“ Er konnte sehen, wie Mischa deutlich Luft holte und zur Antwort ansetzen wollte, doch solange wartete Zeus nicht. Er drehte sich wieder um und ging weiter die Gasse entlang. „Sag deinem Onkel, dass er die Bezahlung nicht vergessen soll- das restliche Geld kann er auf dasselbe Konto überweisen, wie die Vorabbezahlung.“, rief er müde und hob, ohne sich noch einmal umzusehen, die inzwischen blutverschmierte Rechte zum Abschied. Bevor er die Gasse endgültig verließ, sammelte er seine zurückgelassenen Sachen vom Boden wieder auf. Das Schwert wickelte er locker in die Leinen ein und seine Jacke legte er sich, ohne die Ärmel anzuziehen, langsam und behutsam über die Schultern, ehe er die ungefähre Richtung zurück zur Kneipe einschlug. Er brauchte länger für den Rückweg als gedacht und somit war er sichtlich erleichtert, als er, erschöpft und müde, endlich den dunklen Van mit den getönten Scheiben erreichte, der zwei Straßen von der Bar entfernt auf einem nahezu leeren Parkplatz stand. Er hatte sich dem Auto keine zehn Meter genähert, da wurde schon die Seitentür des Transporters aufgeschoben und Hades kam, eine kleine Tasche in der Hand haltend, auf ihn zugeeilt. Auf seiner gebräunten Stirn standen einige Schweißperlen, die sich in den tiefen Sorgenfalten- oder runzelte Hades die Stirn etwa vor Wut?- sammelten. Kurz schaute der Jüngere auf Zeus` Oberarm hinab, auf den er immer noch seine andere Hand presste, dann schüttelte er seufzend den Kopf. „Und du nennst Mischa kopflos?“, rief er Zeus noch im Lauf zu und begutachtete sofort mit vorsichtigen Fingern die Wunde. Die Blutung hatte nachgelassen, doch sobald Zeus die Hand wegnahm, fing sie von neuem wieder an zu bluten. Zum wiederholen Mal schüttelte Hades fassungslos den Kopf bei diesem Anblick. „Warum hast du ihm die Waffe nicht von Anfang an weggenommen? Hast du tatsächlich gedacht, dass er auf das Wort eines fremden Kopfgeldjägers so einfach hören würde?“ Überrascht zog Zeus eine Braue nach oben. „Hast du etwa doch wieder zugehört?“ Hades` helle Augen sahen flüchtig zu ihm hoch, ehe sie sich erneut auf Zeus` Verletzung senkten. „Sei froh, so konnte ich wenigstens ein paar Vorbereitungen treffen…“, brummte der Angesprochene und presste eine Mullbinde auf Zeus` Oberarm. Trotz der Schmerzen, die diese unsanfte Behandlung mit sich zogen, konnte Zeus nicht anders, als schmunzeln. Er musste sich jedes Mal zurückhalten, nicht laut loszulachen, wenn ihn sein Partner so bemutterte. Lächerlich. Als würde ihn ein Schuss in den Oberarm umbringen… Seiner Meinung nach hatte Hades eindeutig zu viele Stunden mit Hitomi zugebracht und hatte ihr währenddessen zu oft bei der Arbeit über die Schulter geschaut. Er sah Hades schweigend dabei zu, wie er seinem Arm einen provisorischen Druckverband anlegte, dann konnte er die Stille nicht mehr ertragen. Mit der freien Hand angelte er in seiner Hosentasche nach dem Ring und hielt ihn Hades stumm unter die Nase. Stirnrunzelnd unterbrach dieser seine Arbeit und sah Zeus fragend an. „Was ist das?“ „Murasames Ring.“, antwortete Zeus knapp. Hades` Blick wurde noch unsicherer. „Meinst du, das ist so eine gute Idee gewesen, ausgerechnet den zu stehlen? Dragan wird sicher danach suchen lassen.“, gab er zu bedenken, doch Zeus zuckte nur uninteressiert mit den Schultern. „Sein verdammter Neffe hat mich allein an diesem Abend mehr zur Weißglut getrieben, als der betrunkene Typ selbst- kein Geld der Welt würde als Entschädigung dafür ausreichen.“ „Und deshalb stiehlst du einen Metallring…“, entgegnete der Braunhaarige nüchtern und schüttelte verständnislos den Kopf. Er würde Zeus wohl nie ganz begreifen können. Ein letztes Mal wickelte er eine Bahn Mullbinde um Zeus` Oberarm und befestigte alles, dann packte er Schere und das restliche Verbandszeug wieder in die Tasche zurück und ging zurück zu dem Van. Zeus folgte ihm langsam. Sie würden wohl oder übel heute noch ins Krankenhaus fahren müssen, damit Zeus` Wunde richtig versorgt werden würde- natürlich hätte das auch Hitomi übernehmen können, doch bei diesem Gedanken breitete sich ein flaues Gefühl in Hades` Magen aus, sodass er die Idee schnell und energisch wieder verwarf. „Du kennst die Bedeutung dieses Ringes, oder?“, fragte Zeus auf einmal aus dem Nichts, dass Hades ihn zuerst blinzelnd ansah, ehe er den verspäteten Zusammenhang zu ihrem vorherigen Gespräch verstand. Hades nickte. „Natürlich. Wenn Murasame so einen Ring getragen hat, dann war er vermutlich ein höheres Tier in der Clan- Hierarchie gewesen.“ Zeus sah nachdenklich auf das Stück Metall in seiner Hand hinab. „Vielmehr bedeutet das, dass Dragan ihm vertraut hat- sehr sogar…“ Er schloss seine Faust so fest um den Ring, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. „Und was macht dieser Mistkerl Murasame? Hintergeht ihn, schert sich einen Dreck um dieses großzügige Privileg und versucht seinen Anführer umzubringen!“, sagte Zeus, wobei seine Stimme ein einziges tiefes Grollen war, den Blick immer noch auf seine geschlossene Faust gesenkt. Hades musterte ihn eindringlich. So zornig hatte er Zeus bis jetzt nur selten erlebt. „Vergiss nicht, was dazu geführt hat…“, begann er ruhig und bestimmt. „Dragan hat seine Frau töten lassen- er hat Murasames Vertrauen zuerst verletzt.“ Ruckartig schaute der Blasse zu ihm auf, die Augen vor Wut glühend. „Verstehst du denn nicht? Dragan hat ihn näher an sich herangelassen, als die meisten anderen seiner Untermänner und dann wurde er so schändlich verraten!“ Hades hielt seinem durchdringenden und gnadenlosen Blick tapfer stand, obwohl er selbst ebenfalls innerlich zu beben begann. Wieder musste er fassungslos feststellen, wie erbarmungslos gleichgültig sein Freund über Tatsachen hinwegsah, die er sich nicht eingestehen oder akzeptieren wollte. Aufgebrachte Worte lagen ihm auf der Zunge, dennoch verkniff er sich jeglichen Kommentar, denn er wusste genauso gut, dass Zeus auf diesem Gebiet nie Einsicht zeigen würde, egal wie sehr er im Unrecht lag. Er sah, wie sich Zeus schnaufend durchs dunkle Haar fuhr. „Auf wen kannst du dich heute noch verlassen, wenn dich selbst deine engsten Verbündeten hintergehen würden? Ich habe es satt, ewig mit Idioten zusammenarbeiten zu müssen, die eh nicht das tun, was ich ihnen sage- es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis uns dasselbe passiert wie Dragan.“ Vor sich hin grummelnd nahm der Blasse auf dem Beifahrersitz des Vans Platz und massierte sich seine in Falten gelegte Stirn. Hades selbst stieg seufzend auf der Fahrerseite ein und schnallte sich an. „Was die Idioten angeht:“, begann er und startete den Motor. „Bedenke, dass die meisten von ihnen selbst Kopfgeldjäger sind, die weitaus mehr Erfahrung besitzen, als wir beide zusammen- es gibt natürlich Ausnahmen…“, fügte Hades beschwichtigend hinzu, als Zeus schon aufgebracht Luft holen wollte. „Aber die allermeisten sehen es einfach nicht ein, warum sie von jemandem Befehle annehmen sollen, der viele Jahre jünger ist, als sie selbst- und du musst zugeben, dass du schon ziemlich dominant bist, wenn es um Missionen geht.“, sagte Hades schmunzelnd, dass Zeus ihn sichtlich verstimmt von der Seite her argwöhnisch musterte. Hades sprach dennoch unbeirrt weiter. „Tja, und zu der Sache mit dem Vertrauen kann ich dir nur eins sagen: alle Menschen haben ihren eigenen Kopf, in den du nicht hineingucken kannst.“ Er schwieg kurz und sah zu Zeus rüber. Sein Zorn schien nur langsam aus seinen harten Gesichtszügen zu verschwinden. Nach einer kurzen Pause, in der Hades den Rückwärtsgang einlegte und zum Ausparken in die großen Seitenspiegel schaute, fuhr er seufzend fort: „Wenn du wirklich bedingungslos ergebene Diener haben willst, müsstest du diese Leute schon einer Gehirnwäsche unterziehen…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)