Die Geflügelte Schlange - Schatten von Erzsebet (* * make love, not war * * - Teil 2) ================================================================================ 26. Handlungsbedarf ------------------- Bevor Nefut Amemna erreichen konnte, zogen sich die Ostler plötzlich in die nahe Stadt zurück, und die Tore wurden wieder verschlossen. Wie viele feindliche Truppen mochten in Tarib lagern? Es würde ja wohl kaum nur diese eine Hundertschaft schwer bewaffneter Söldner zu Fuß sein. Vielleicht lag sogar ein ganzes Heerlager der Hannaiim irgendwo zwischen den Hügeln verborgen. Auf dem Schlachtfeld waren nur die Tetraosi und ihre Söldner zurückgeblieben, die Ostler hatten außer ihren Verwundeten und Gefallenen sogar ihre zu Boden gefallenen Waffen mit sich nach Tarib geschafft. Nicht einmal ein Helm oder ein Schild der Gegner für ein Siegeszeichen war im heruntergetretenen Gras zu sehen. Amemna atmete etwas schwerer, als sie ihr Schwert reinigte und wieder in die Scheide schob, aber ansonsten gab es an ihr kein Zeichen von Erschöpfung. "Bist du ebenfalls unverrletzt?" fragte sie Nefut, als er endlich neben ihr stand. Nefut musterte sie allerdings nur sprachlos. Amemna hatte bei ihrem Kampf gegen diese Elitesoldaten nicht einen Kratzer abbekommen, kein Schnitt war in ihrer Kleidung zu entdecken, sie hatte nur einige Blutspritzer an den Ärmeln, die von anderen stammten. "Wie hast du das gemacht?" fragte er schließlich. "Das waren nicht einfach irgendwelche Ostler, das waren kampferprobte Männer, angesichts ihrer rot bemalten Schilde vermutlich eine Eliteeinheit. Ihre Effizienz, ihr Zusammenspiel war beeindruckend... und du hast ihnen so mühelos standgehalten." "Anscheinend bist du unverrletzt", entgegnete Amemna darauf nur, als habe sie ihm gar nicht richtig zugehört, bückte sich nun, um ihren Helm aufzuheben. Der schmutziggelbe Federbusch war völlig zerdrückt. "Ich werrde neue Federrn brrauchen", murmelte sie, entfernte die ruinierten Federn und richtete sorgfältig das Ma'ouwati-Tuch um den Helm. Mit plötzlicher Entschlossenheit setzte sie ihn wieder auf, hockte sich neben ihre erschlagene Stute und legte die Hand auf die Stirn des Tieres. Nach kurzem Verweilen stand sie auf und schlenderte weiter zu einem bewegungslos auf dem Boden liegenden Mann. "Ich kümmerre mich um unserre Verrwundeten", sagte sie im Weggehen. Amemnas Reittier sah Nefut vorwurfsvoll an, schnaubte dann kurz durch die Nüstern und rappelte sich aus seiner liegenden Position auf. Automatisch ergriff Nefut die Zügel der Stute und führte sie Amemna langsam hinterher. Die Stimmen der Reiter und Fußsoldaten verstummten langsam, während Amemna schwerverletzte Männer und Tiere heilte, oder sie wieder zum Leben erweckte, indem sie von einem zum nächsten ging, sich zu Liegenden hinunterbeugte, um sie zu berühren, Sitzenden die Hand auf die Schulter legte, als spende sie Trost, ebenso die gefallenen Pferde an Hals oder Brust berührte, doch sich während ihres Weges über das Schlachtfeld nicht einmal umsah, als interessiere sie nicht, welche Wirkung ihre scheinbar flüchtigen Berührungen hatten. Und hinter ihr erhoben sich die Pferde, als hätten sie nur geschlafen, Männer standen auf, überrascht über ihre plötzliche Heilung, wünschten ehrfürchtig flüsternd den Segen der Götter auf Amemna, versprachen, das wieder gewonnene Leben auf ewig in ihren Dienst zu stellen oder verneigten sich nur schweigend. Und da Amemna die Dankesworte nicht zur Kenntnis zu nehmen schien, wurden sie noch einmal an Nefut gerichtet, damit er sie dem Birh-Melack weitergab. Einige faßten auch nach Nefuts Händen um sie zu küssen und baten ihn, ihren Dank zu überbringen, als wagten sie nicht, sich Amemna in dieser Weise zu nähern. Nach dem zehnten unverdient erhaltenen Dank zog Nefut sich zurück, führte Amemnas Stute zu Derhan und Oremar, die mit ihren Pferden am Rand der Straße warteten. "Bist du nun auch der Meinung, daß er keinen Leibwächter braucht?" begrüßte Derhan ihn, aber Nefut ging nicht darauf ein, sondern beobachtete weiter seinen Birh-Melack. Noch immer bewegte Amemna sich langsam zwischen den Verwundeten und Gefallenen hin und her, die hinter ihr aufstanden, als habe sie sie emporgezogen. Der Anblick, den Amemnas leichter Schritt über das trotz der etwa zweihundert Männer inzwischen sehr leise gewordene Schlachtfeld bot, ließ Nefut an eine Gärtnerin bei einem Spaziergang durch einen Blumengarten denken, die beiläufig die Pflanzen begutachtete, welke Blätter abzupfte und hier und dort Wasser spendete. "Unser Birh-Melack erweckt die Toten", hauchte nun Oremar und selbstvergessen nickte Derhan zu diesen Worten, aus denen ausschließlich Bewunderung klang, nicht die Furcht vor Dämonen. Anscheinend hatte Oremar sich endlich an den Gedanken gewöhnt, daß Amemna ein Unirdischer war. Nefut allerdings fiel es zunehmend schwerer, die Auswirkungen ihrer unirdischen Natur zu akzeptieren. Die Verehrung, die Zuneigung, die aus den Gesichtern der Geretteten sprach, war für Nefut geradezu unerträglich. Mußte er seine Geliebte in Zukunft mit der ganzen Birh-Mellim teilen? Nach kurzer Zeit kam Amemna mit Nefuts Pferd am Zügel zu ihnen, sah nun doch ein wenig erschöpft aus, aber lächelte Nefut sehr zärtlich an. "Wirr müssen unserrem Feldherrrn berrichten, daß Tarrib besetzt ist", sagte sie, nahm die Zügel ihres Pferdes, reichte die des anderen Tieres an Nefut. Nefut nahm die Zügel mit einem ehrerbietigen Nicken entgegen, wich aber Amemnas Blick aus. Sie hob mit den Fingerspitzen sein Kinn. "Was ist los, Nefut? Du weißt, welche Fähigkeiten ich habe. Soll ich sie den Männerrn verrweigern, die sie brrauchen?" Langsam, Nefuts Bart dabei liebkosend, zog sie die Finger wieder fort. "Es ist nur so...", Nefut überlegte, wie er das in ihm erwachte Unbehagen, das sich doch deutlich von Eifersucht unterschied, in Worte fassen konnte. "...beängstigend?" ergänzte Amemna den Satz für ihn. Sie sah plötzlich sehr ernst aus. "Die anderren empfinden es so. Sie halten Abstand von mirr, auch wenn sie sich fürr meine Hilfe arrtig bedankt haben." Amemna seufzte tief. "Verrmutlich hätte ich es nicht tun dürrfen. Die fünfundzwanzig Mann und sieben Pferrde würrden wohl in derr Schlacht kegen die Hannaiim keinen Unterrschied machen", sagte sie leise. Ohne auf eine Reaktion von Nefut zu warten, schwang sie sich auf ihr Pferd, brachte ein paar Schritte Abstand zwischen sich und ihre Männer und rief die Mellim zusammen. "Er ist schamlos wie ein Ostler", brummte Derhan kopfschüttelnd, während er sich in seinen Sattel hiefte, und ritt zu seinem Birh-Melack. Die beiden anderen Mawati folgten ihm schweigend. * Die Reiter beschützten den Marsch der unter den aufziehenden Regenwolken kräftig ausschreitenden Fußtruppen auf ihrem Weg in das Heerlager der Tetraosi, und in so manchem Gewand klafften blutige Löcher, Arme und Beine waren blutverkrustet. Amemna hatte dafür gesorgt, daß sich Leichen vom Schlachtfeld erhoben. Der Mawar der Tetraosi befahl, ein Loblied auf Upar zu singen, ihren Stadtgott, da er ihnen den Birh-Melack gesandt habe. Und sogar einige der Söldner fielen nach einer Weile in die sich ständig wiederholenden Lobpreisungen ein. Der Schwarze Wanack winkte Nefut neben sich und ließ sich dann hinter seine Einheit zurückfallen. "Auf ein Worrt, Nefut von Bussirr." "Natürlich, Prinz", gab Nefut zurück. "Wie komme ich zu der Ehre?" Adí W'schad mußte doch wissen, daß Nefut nicht mehr der Zweite von Amemnas Wannim war, sondern nur noch ein einfacher Mawati. Der Prinz lenkte sein Pferd näher an Nefut und sagte in vertraulichem Ton: "Man hörrt seltsame Dinge von unserrem Birrh-Melack." "Seltsamere als seine Heilungskräfte, Prinz W'schad?" fragte Nefut zurück. Hatte sich herumgesprochen, daß die Regentin von Tetraos Amemna jede Nacht in ihr Bett bestellt hatte? Oder hatte man dem Prinzen hinterbracht, daß Amemna und Nefut sich in der Öffentlichkeit lange und begehrlich geküßt hatten? "Nun, err sei eine Wiederrkeburrt derr Hawat errsählte derr Mawarr derr Ostmännerr", gab Adí W'schad zurück. Nefut sah ihn nur verständnislos an. Was sollte das bedeuten, eine Wiedergeburt der Hawat? "Err nannte unserren Birrh-Melack einen 'Köttlichen Switterr', err sei sweikeschlechtlich wie Hawat, habe einen weiblichen Schoß und ein männliches Klied", sagte Adí W'schad langsam, beobachtete Nefut während seiner Worte aufmerksam. Nefut klappte unwillkürlich der Mund auf. Wie kam der Mawar der Ostler dazu, soetwas - "Jochawam!" entfuhr es Nefut. "Ist es also wahrr?" Was sollte Nefut dazu sagen? Wenn er sich dazu äußerte, gab er sich damit als Amemnas Liebhaber zu erkennen. Andererseits hatte er sich geschworen, sich öffentlich zu seiner Liebe zu bekennen, nicht nur den Mawati gegenüber. Nach Nefuts Kenntnis waren Liebesverhältnisse zwischen Männern bei den Südländern zwar nicht üblich, aber sie sahen darin doch anders als Oshey keine Verletztung göttlicher Gebote. Und konnte ein Südländer in einer Wiedergeburt der Hawat, der Göttin, die in jedem Gruß der Südländer um ihren Segen angefleht wurde, etwas Schlechtes sehen? Der Prinz wartete geduldig auf eine Antwort. Langsam nickte Nefut also. "Ja, bei Tyrimas Licht, Amemna Darashy ist zweigeschlechtlich", bekannte er leise. Aber wieso war Adí W'schad zu ihm gekommen, um das Gerücht bestätigen zu lassen. Der Schwarze Wanack stand doch auf freundschaftlichem Fuße mit Amemna. "Warum habt ihr nicht den Birh-Melack selbst danach gefragt?" Adí W'schad machte ein südländertypisches Zeichen der Ehrfurcht vor den Göttern, das Nefut auch von Schelschér kannte. "Das hätte ich vielleicht vorr derr Schlacht kewagt, aberr nach dem, was eben keschah, scheint es wahrr su sein, und wenn ich mich ihm nicht mit derr nötigen Ehrrerrbietung näherre, könnte die Köttin mich strrafen", erklärte er mit einem schiefen Lächeln. "Ka'awat", flüsterte er dann ehrfürchtig. 'Darin ist die Göttin' mußte das heißen, wenn Nefut sich richtig an die Formen erinnerte. Und er mußte dem Prinzen Recht geben. Es erklärte alles, wenn Amemna von der Göttin selbst erfüllt war. Wie Nefut von Schelschér wußte, war Hawat nicht nur zweigeschlechtlich, sondern hatte auch zwei Gesichter, war zugleich die Schaffende und die Vernichtende. Und angesichts ihres Wirkens während und nach der Schlacht schien Amemna neben ihrer Zweigeschlechtlichkeit doch ebenfalls diese beiden Eigenschaften in sich zu vereinen. Wie war Nefut nur auf die Idee gekommen, bei ihr menschliche Maßstäbe anzulegen? Niemand konnte mit gutem Gewissen eifersüchtig auf andere sein, die ebenfalls der Göttin nahe sein wollten. Und die Göttin wiederum würde allen uneingeschränkt ihre Liebe schenken, weil ihr Herz nicht durch die den Sterblichen eigenen kleinlichen Gedanken von Ausschließlichkeit gefesselt war. Vielleicht erleichterte es Nefuts Herz, Amemna so zu sehen, also nickte er. "Ka'awat", bestätigte er. So wie Amemna für die Ostler ein Göttlicher Zwitter und die Südländer die Wiedergeburt der Hawat war, hatte sie für den Oshey Nefut durch ihr unirdisches Erbe doch ebenfalls Anteil am Göttlichen. * Endlich erreichten sie wieder das Heerlager der Tetraosi. Amemna eilte zu den Zelten des Feldherrn, während die Männer der Mellim und die Fußsoldaten ihren Unterkünften zustrebten. Nefut übernahm die Versorgung der Pferde der Mawati. Nachdem er zwei Mal kontrolliert hatte, ob alle Tiere frisches Stroh, genügend Futter und Wasser hatten, und ihn weiterhin bei jedem Gedanken an Amemna das unangenehme, am ehesten der Furcht verwandte Gefühl heimsuchte, setzte er sich neben den Unterstand und begann, sein Schwert zu reinigen und zu schleifen, um seine Hände zu beschäftigen während er nachdachte. Amemnas unirdische Fähigkeiten waren fraglos beunruhigend. Hatte sie nicht schon mehrfach auf bloße Gedanken Nefuts geantwortet, als habe er sie ausgesprochen? Hatte sie nicht gerade gegen einige gepanzerte Ostler gekämpft, als wisse sie im voraus, wohin deren Schläge zielten? Und hatte sie heute nicht zum wiederholten Male gezeigt, daß sie über Leben und Tod gebot, wie es kein sterbliches Wesen vermochte? Sie war begehrenswert, machtvoll, aber auch gefährlich. War an der in Hamarems Buch ausgeführten Theorie doch mehr dran, als die Gelehrten glauben wollten? Wie viele von den Kritikern dieser Theorie hatten in ihrem Leben schon einmal leibhaftig dem Kind eines Unirdischen gegenüber gestanden? Dämonen und Unirdische hatten wohl tatsächlich vergleichbare Kräfte - und es war wahrscheinlich, daß sie auch eine vergleichbare Gefahr für die Menschen darstellten. Die Dämonen nährten sich dem allgemeinen Glauben nach von der Kraft der Menschen. Doch die Unirdischen schienen es nicht viel anders zu halten, so erschöpft wie Jochawam nach seiner Verbindung mit Amemna offensichtlich gewesen war, als hätte ihn seine Geliebte all seiner Kraft beraubt. Mit Nefut hatte Amemna soetwas nie gemacht, aber vielleicht lag das nur daran, daß er sich entgegen ihren Wünschen ihrer männlichen Natur enthielt. Oder hatte es etwas damit zu tun, daß Jochawam wie Amemna über unirdische Kräfte verfügte, aber weniger machtvoll war? In der Nacht hatte Amemna doch selbst gesagt, daß sein unirdisches Erbteil Jochawams Verhängnis gewesen sei. Mußten bei den Unirdischen vielleicht die Schwächeren den Stärkeren ihre Kraft überlassen, so wie die Bienen den Honig sammelten für ihren Fürsten? War es zu weit hergeholt, dem Dämon ein ähnliches Verhalten zu unterstellen, der den Körper des alten Priesters in Bewegung gesetzt hatte? Wollte er nun Amemnas Kraft aussaugen, nachdem er die des alten Priesters in sich aufgenommen hatte? Wußte überhaupt ein Mensch etwas darüber zu sagen, wie Dämonen und Unirdische gegeneinander kämpften? Warum bedienten sie sich bei ihren Fähigkeiten dazu menschlicher Gestalt? Und warum hatte keiner mehr ein Wort über diesen Dämon verloren, der nun doch wohl in Jochawams Körper ruhte? Wäre es Hamarem und Amemna in der Nacht gelungen, ihn zu bannen, hätte Amemna es Nefut doch sicher wissen lassen. Hatte der Dämon mehr Macht über die Gedanken der Sterblichen, als sie in Zauberschlaf zu versetzen? Amemna gelang es ja anscheinend, Einblick in fremde Gedanken zu nehmen, doch er hatte nicht die volle Kraft eines Unirdischen. Hatte der Dämon vielleich die Macht zu verhindern, daß irgend jemand sich über ihn Gedanken machte, über die Möglichkeiten, ihn zu bekämpfen und zu vertreiben, daß es jetzt so auffällig still um ihn war? Konnte er die Gedanken der halben Wannim manipulieren? Ein dunkler Mantelsaum erschien in Nefuts Gesichtsfeld - Derhan. "Was ist los?" fragte Nefut barsch. Warum tauchte der Unruhestifter nur gerade in dem Moment auf, in dem Nefut das Gefühl hatte, einer wichtigen Angelegenheit auf die Spur zu kommen? "Du liebst unseren Birh-Melack, nicht wahr?" fragte Derhan herausfordernd. "Ja", blaffte Nefut zurück, hielt den Blick auf seine glänzende Klinge gerichtet, in der sich schon die hell- und dunkelgrauen Wolken spiegelten, polierte sie aber weiter. "Und unser Birh-Melack holt sich bekanntermaßen noch andere Männer auf sein Lager", fuhr Derhan erbarmungslos fort, ließ sich sogar in Nefuts Reichweite in die Hocke nieder, "von Frauen neben seiner Gattin ganz zu schweigen." Nefuts rechte Hand umklammerte den Polierstein, die Finger der anderen verkrampften sich um das Heft der Klinge. "Laß es gut sein, Derhan", warnte Nefut den anderen, ohne ihn anzusehen. Diesmal hatte er ein Schwert dabei. "Dann sag ihm, er soll diskreter sein. Er ist eine Schande für eine Oshey-Wannim, und er macht seinem Namen Schande. Auch der Abkömmling eines Unirdischen sollte sich benehmen, insbesondere wenn seine Gattin in der Nähe ist." Derhans Anstandserwägungen überraschten Nefut. "Sag das Hamarem", antwortete er dann. "Ich bin nicht mehr der Zweite der Wannim." "Ich habe es gestern versucht, aber er warnte mich nur, nicht ungebührlich von unserem Birh-Melack zu reden. Du bist übrigends auch nicht sehr diskret... aber das willst du nicht hören", stichelte Derhan weiter. Nefut sah ihn nun doch an. "Was will ich nicht hören? Daß ich mich zu offensichtlich zu meiner Liebe bekenne?" fragte er herausfordernd. Derhan würde sagen, was er sagen wollte, egal was Nefut einwandt. Aber wenn Nefut sich zurückhielt, wenn er schwieg, war Derhan hoffentlich schneller fertig und Nefut konnte vielleicht mit Amemna darüber beraten, ob es diese manipulatorischen Kräfte des Dämons tatsächlich gab und was man ihnen entgegen setzen konnten. Dafür mußten sie sich allerdings außerhalb des Wirkungskreises des Dämons befinden. "Du willst nicht hören, daß dein Interesse für die Frau des Birh-Melack viel zu offensichtlich ist. Du hast wohl seit jenem Ereignis nicht viel dazu gelernt." Derhan hatte doch geschworen, niemals wieder davon zu sprechen! Seine Hand bewegte sich wie von selbst und die Spitze der Klinge berührte schon fast Derhans Knie, bevor Nefut sich zwang, innezuhalten, das Schwert nachdrücklich in die Scheide schob. "Du redest über Dinge, die dich nichts angehen, Derhan", preßte Nefut zwischen den Zähnen hervor. "Ich bin nicht mehr der Zweite und folglich auch nicht der Sittenwächter der Wannim, aber du ebensowenig. Sprich mit Hamarem oder schweige davon." Derhan atmete tief durch. "Ich will dich nicht herausfordern, Nefut. Aber ich appelliere an deine Vernunft. Denkst du, die Gemahlin unseres unirdischen Birh-Melack hegt dir gegenüber freundliche Gefühle? Sie führt etwas im Schilde, glaub mir. Sie hatte mich bereits eine Stunde nach ihrer Ankunft im Söldnerlager vor Tetraos beauftragt, nach Nefut Darashy zu suchen. Und ich glaube nicht, daß sie dir wirklich ein Versöhnungsangebot eures Vaters überbringen will." Ein Versöhnungsangebot Murhan Darashys? Das klang so unglaublich wie Schnee in der Schädeloase. Also plante Merat tatsächlich so etwas wie Rache für die Hinrichtung ihrer Mutter? Nefut löste seine noch immer um das Schwertheft geklammerten Finger, verstaute mechanisch die Schleif- und Poliersteine. "Ich teile Deine Vermutung", sagte er langsam. Anscheinend war Derhan ihm doch nicht ausschließlich feindlich gesonnen. "Und inzwischen weiß auch sie, daß ich einst Nefut Darashy war." Derhan nickte. "Dann erinnere dich deiner prinzlichen Erziehung und zügle deine Gelüste. Eine intime Begegnung mit ihr ist vermutlich dein Tod." Wenn Nefut es ohne Amemnas Zustimmung wagte, hatte Derhan damit wohl recht. Und in einem Stamm hätte Merat Nefut in jedem Fall vor dem Fürsten als Vergewaltiger anklagen können, da wäre es egal gewesen, wie Amemna zu den Intimitäten zwischen Nefut und Merat stand. Amemna würde Nefut auspeitschen müssen oder andernfalls - wenn sie ihn wirklich so sehr liebte, wie sie sagte - selbst gezüchtigt und verbannt werden, weil sie nicht für die Sicherheit ihrer Gattin gesorgt hatte. Und vermutlich war sie sich dessen noch nicht einmal bewußt, weil sie die Gesetze der Oshey nicht so gut kannte, wie ihre Pflichten als Birh-Melack. Richtig, Amemna mußte noch beim Feldherrn sein, bis dorthin würde der Einfluß des Dämons doch sicher nicht reichen. Er mußte sofort mit ihr sprechen. Nefut sprang auf und ließ den über den plötzlichen Aufbruch überraschten Derhan zurück. * Nefut rannte durch die Lagergassen, bis er das Zentrum mit den Zelten der Tetraosi-Befehlshaber erreichte. Vor einem der Zelte standen zwei Männer Wache, dort würde er zumindest Auskunft darüber erhalten, ob Amemna sich noch in einer Unterredung mit dem Feldherrn befand oder inzwischen zu den Mawati zurückgekehrt war. Er grüßte die beiden Soldaten kurz nach Sitte der Oshey und sagte: "Ich suche meinen Herrn, den Birh-Melack Amemna Darashy." "Wie ist dein Name, Oshey?" fragte einer der Männer zurück. "Ich heiße Nefut von Bussir, ich gehöre zur Wannim des Birh-Melack." "Laßt ihn eintreten", erklang eine auffällig tiefe und volltönende Stimme aus dem Zelt, und der zweite Wächter hielt Nefut zuvorkommend den Zelteingang auf. In dem Städterzelt stand ein von Schriftstücken bedeckter Tisch und ein Klappstuhl. Und von diesem Klappstuhl erhob sich bei Nefuts Eintreten ein schlanker, ergrauter Mann in Städtertracht, der mit seiner aufrechten Haltung fast so groß wie Nefut war. "Ich bin Parpat Haterim, der Erste Sekretär des Feldherrn", sagte er und verneigte sich kurz. "Führt euch eine dringende Angelegenheit hierher? Euer Birh-Melack befindet sich noch in der Beratung mit dem Feldherrn und den Befehlshabern der Verbündeten." Nefut konnte sich nicht erinnern, diesen 'Ersten Sekretär' bei einer der Beratungen des Kriegsrates gesehen zu haben. Die eindrucksvolle Gestalt, die eher an einen im Kampf ergrauten Krieger, denn an einen Schreiber oder Sekretär denken ließ, wäre Nefut sicher auch in dem Gewimmel in Tetraos aufgefallen. "Es betrifft Geschehnisse der vergangenen Nacht", erklärte Nefut kurz. "Also handelt es sich nicht um eine dringliche Angelegenheit", schloß der Erste Sekretär mit einem prüfenden Blick auf Nefuts Gesicht. Nefut wollte protestieren, hielt dann aber inne. "Nein, es handelt sich nicht um eine dringliche Angelegenheit, aber ich würde meinen Herrn gerne vor seiner Rückkehr in unsere Zelte sprechen." "Hat es etwas mit dem Sohn unserer zukünftigen Königin zu tun, oder mit dem Toten der vergangenen Nacht?" fragte der Sekretär nun wieder. Natürlich hatte Hamarem die Tetraosi inzwischen getreulich über die Geschehnisse der Nacht unterrichtet. "Es geht um den toten Orem-Priester", sagte Nefut also. "Ach", der Sekretär zog in gespielt wirkender Überraschung die Augenbrauen hoch. "Ist euch doch noch etwas zum Tode des Priesters eingefallen, das der Zweite eurer Wannim zu berichten vergaß?" Wieso lächelte der Mann plötzlich so versonnen? "Ich weiß nicht, was der Zweite berichtet hat", erklärte Nefut ungeduldig. "Ich will nur mit meinem Birh-Melack sprechen, wenn er von Eurem Herrn entlassen worden ist." "Wieso drängt es euch so zu dieser Unterredung, Oshey? Habt ihr Angst, etwas könnte unter Tyrimas Licht zur Unzeit offenbar werden?" fragte der Sekretär lauernd. "Ich will mit meinem Birh-Melack sprechen", beharrte Nefut. "Er wird euch über die Geschehnisse der vergangenen Nacht sicher besser Rede und Antwort stehen können, als ich." Er bemerkte plötzlich, daß sich die Finger seiner Linken um das Heft seines Schwertes gekrampft hatten und löste sie mühsam wieder. Der Sekretär schnipste mit den Fingern und die beiden Wächter traten in das Zelt. "Dieser Mann kommt in Arrest", verkündete Parpat Haterim mit ehern tönender Stimme und deutete mit zwei Fingern seiner Rechten auf Nefut. Die Wächter packten seine Arme und einer zog zugleich das Schwert mitsamt Scheide aus Nefuts Gürtel. "Was soll das?" rief Nefut aufgebracht, wagte aber nicht, sich mit aller Kraft gegen die Festnahme zu wehren. Sicher würde sich doch dieses Mißverständnis sogleich aufklären. "Euch wird die Beteiligung an der Ermordung des ehrwürdigen Vaters Darhan Mehaly vorgeworfen", sagte der Sekretär mit ausdruckslosem Gesicht. Dann befahl er den Wächtern mit einem kurzen Wink seiner Rechten, das Zelt mit dem Gefangenen zu verlassen. * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)