Als die Welt starb von Kabaal (Von Engeln und Dämonen) ================================================================================ Prolog: Der Anfang vom Ende --------------------------- Feuern! Linie halten! Oh Gott....Nein! Einheit 2, 3 und 4 sind aufgerieben worden, Kontakt zu den Einheiten 7 bis 12 verloren – Einsatzstatus unbekannt! Alle Einheiten im Einsatzgebiet befinden sich im ungeordneten Rückzug, benötigen dringend Verstärkung! Verdammt, worauf schießen wir eigentlich? Hier Einheit 5, wir stehen unter Beschuss eines, scheiße, eines Schattens?! Hier Hauptmann Garm der Einheit 1. Hatten Feindkontakt mit etwas, das aussah wie ein verdammter Köter. Nur dass das verfluchte Vieh etwa dreimal so groß war und einen Panzer in Stücke riss! Befehl des Gefechtsstandes Alpha 53 mit der Dringlichkeitsstufe ROT. Alle aktiven Kampfeinheiten haben sich umgehend zurück zu ziehen. Die neuen Rückzugsgebiete sind Gamma 2 und Delta 1. An alle aktiven Kampfverbände ziehen sie sich umgehend zu den Rückzugsgebieten.... Klick. Ein Rauschen durchzieht die Luft und wird nur in einem Bruchteil einer Sekunde nach seinem Erscheinen von der Umgebung in das wirre Spiel aus Tönen, Gerüchen und Farben eingewebt um schlussendlich unter dem unerbittlichen Dröhnen von Rotoren unterzugehen und seine weitere Existenz in der Nebenrolle einer unermüdlichen, mechanischen Geräuschkulisse zu spielen. Ruhig blickt ein kräftig gebauter Mann mittleren Alters auf das von ihm soeben abgeschaltete Funkgerät. Seine Uniform schmiegt sich wie angenäht an seine muskulöse Statur. Man kann diesem Mann ansehen, dass er mehr als eine Schlacht erlebt hat. Das verrät neben den Narben und Abzeichen auch der ruhige und dennoch kampfbereite Blick in seinen Augen. Wie ein Raubtier lauernd, bedächtig auf den Moment um sich auf seine Beute zu stürzen wartend. Dennoch scheint er heute nicht die übliche Ruhe inne zu haben, die sein Gemüt sonst in so melancholische Gleichgültigkeit gegenüber seiner Umgebung hüllt. Seine Finger rastlos und ohne festes Ziel scheinen zuerst die Luft, dann wieder die Finger der jeweils anderen Hand, dann wieder die Luft erhaschen zu wollen. Eine andere Person beugt sich respektvoll und vorsichtig vor, als würde sie sich einem Löwen nähern wollen und müsste befürchten jeden Moment angefallen zu werden. "Wir erreichen in weniger als zwei Minuten Punkt Null. Abwurf erfolgt in Kürze." Ruhe. Ein kurzer Moment, eine kleine Ewigkeit, als wolle sich die Zeit in die Unendlichkeit des Nichts schmiegen, um all der Hektik um sich herum zu entkommen. Die eben noch so nervösen Finger des Mannes finden zur Friedfertigkeit, gerade jenem vermissten Balsam der Seele, zurück und halten still. "Das Hauptquartier?", ertönt eine dunkle, kräftige, nicht feindlich, dennoch kampfbereit klingende Stimme, welche jedem unmissverständlich Autorität und Gefahr gleichermaßen signalisiert, der sie vernimmt. Diesen Effekt erzielt sie auch bei der anderen Person, die schon durch diese wenigen, aber kraftvollen Worte, zurückschreckt und sich nach Schutz suchend in die metallenen Wände hinter ihr zu schieben versucht, um weiteren Abstand von der völlig unvorhersehbaren Bedrohung vor ihr zu erhaschen. Schweiß sammelt sich auf der Stirn als Zeichen der Nervosität und schmiegt sich als Facette eines Schauspiels der Angst zwischen die Blässe der Haut und der tiefen Schwärze der geweiteten Pupillen der Augen, die sich auf die vermeidliche Bedrohung fixieren, an das Gesicht. Ein kurzes Räuspern - einem Befreiungsschlag gleich gegen die um sich haschende Verunsicherung und Ängste – und ein kurzer Atemzug – die innere Ruhe wiederherstellend und sich der Situation bewusstwerdend – später, präsentiert sich nun eine ruhige und versöhnliche Stimme, wenn auch immer noch von leichter Zaghaftigkeit durchsetzt, seinem Zuhörer: "Ja, das Hauptquartier ist anscheinend vor 5 Minuten bei einer größeren Offensive der Feindstreitkräfte gefallen." Der Blick des Raubtieres in Menschengestalt verfinstert sich und lässt erneut Angst und Verzweiflung bei der anderen Person aufkommen. Aus dem bedrohlichen Unbehagen ergießt sich ein Schwall der Worte um die eigene Ungewissheit zu retuschieren: "Natürlich können wir es noch nicht hundertprozentig bestätigen. Der Kontakt ist jedoch nicht mehr wieder herzustellen und es gab schwere Gefechte in der Nähe des HQ, daher müssen wir davon ausgehen..." "Schon gut", unterbricht die tiefe Stimme den Redefluss des Gegenübers, in wohlwissender Befürchtung, dass dieser nicht allzu schnell von selbst enden würde: "Der Plan bleibt schließlich derselbe." Die andere Person nickt in vorsichtiger Zustimmung und die melancholisch, gleichbleibende Geräuschkulisse aus mechanischen Tönen nimmt wieder die vorherrschende Rolle ein. Ein dunkler, matter Vogel aus Metall, geschmiedet zur Zerstörung und Vergeltung, schmiegt sich durch die Luft über eine Ruine aus Flammen, Geröll, Qualm und grauenhaften, qualvollen Schreien hinweg, eine Fracht aus Fleisch und Blut, eine menschliche Fracht, tragend, die noch viel bedrohlicher ist, als die künstliche Vernichtungsmaschine selbst. Ihre Rotoren pflügen sich durch die aufsteigenden, schwarzen Wolken, welche einen penetranten Geruch von verbranntem Fleisch mit sich bringen. Sie ziehen aus der vollkommen zerstörten Ruine am Boden tief unter dem fliegendem Monstrum aus Stahl empor und scheinen das Grauen ihres Ursprungs selbst in die höchsten Höhen treiben zu wollen, damit niemand sich einfach davon abwende, niemand es nicht sehe. Stimmen und Geflüster, Gelächter und qualvolle Schreie erfüllen diesen Ort der Zerstörung und Verzweiflung. Als ob er sich die Aufgabe ersonnen hat, die groteskesten und tiefsten aller menschlichen Albträume aus ihren Fantasien in die Realität zu zerren. Diesem perversem Schauspiel ungeachtet setzt der metallene Vogel des Krieges seinen Weg unbeirrt und unbeeindruckt fort. Nichts davon ist neu. Die Menschheit kennt diesen Anblick. Den Anblick einer vom Krieg zerstörten Stadt. Der Krieg ist nicht neu. Er hat die Menschheit treu ihre gesamte Geschichte lang begleitet. Dennoch umhüllt ein unsichtbarer Schleier die Stadt. Eine vage Vermutung, eine dunkle Vorahnung, dass dort etwas lauert - etwas unsagbar grausam und abstoßendes gegenüber jedem lebenden Wesen. Etwas, das selbst die ruchlosesten und verdorbensten Subjekte unter den Menschen mit unfassbarem Schrecken erfüllt, verbirgt sich dort tief unten in all der Grausamkeit der Flammen und Qualen und wartet geduldig auf die menschliche Bestie im Bauch des metallenen Vogels. Die Blutlust und Vorfreude auf den kommenden Konflikt scheint sich in einer Katharsis des Grauens innerhalb der Ruinen zu steigern. Das Wesen ist nicht allein. Die ganze Welt verwandelt sich in eine Szenerie aus Ruinen, Flammen, Rauch und Geschrei, umhüllt vom Schleier des Albtraumes aus dem es kein Erwachen gibt. Die Menschheit stirbt und mit ihr vergeht die blaue Perle im Meer der schwarzen Finsternis – die Erde vergeht. Kapitel 1: I - Mensch - Tag 1: Alltag ------------------------------------- ... und das waren die Abendnachrichten von NNN - ihrem nationalen Nachrichtennetzwerk. Wir wünschen ihnen einen erholsamen Abend und für die Nachteulen unter ihnen gibt es um zwölf nach zwölf die Spätausgabe. Wie auf Kommando vermengen sich umherirrendes Licht und tanzende Töne in dem Chaos des nun von menschlicher Hektik erfüllten Raumes. Hier und dort werden Kabel getragen, werden Flüche und Befehle ausgespien, über dieses und jenes getratscht und all jenen Dingen nachgegangen, die in einem Fernsehstudio eines Nachrichtensenders halt üblicherweise nachgegangen wird, sobald die benötigte Sendung aufgezeichnet ist. In all dem Trubel und der Hektik bleibt eine Person, eine junge Frau, ruhig. Gelassen beobachtet sie von ihrem Platz hinter dem Pult, von dem sie eben noch das Ende der Sendung bekannt gab, das Treiben der Männer und Frauen um sich herum. Ruhig und bedacht streift sie mit ihren grünen Augen, welche einen von Stärke und Intelligenz zeugendem Charakter durch das Leuchten ihres innersten Selbst reflektieren, durch den Raum, der eben noch vollends von einer angespannten wenn auch bedächtigen und ruhigen Atmosphäre eingebettet, wie bei einer Explosion nun in einem Chaos an Farben, Tönen und Tätigkeiten in ein buntes Wirrwarr des Lebens getaucht wurde. Ein Lächeln zeichnet sich auf ihren kräftigen roten Lippen, welche von ihren weichen, sanften Gesichtszügen umschmeichelt werden, ab. Sichtlich gefällt der jungen Frau das Bild, das sich vor ihr abzeichnete. Diese Dynamik des Lebens, welche eben noch unter dem Joch der Erwartung und Professionalität zurückgehalten, nun freigelassen und ohne Erbarmen sich jeder noch so kleinen Nische des Raumes ermächtigend, in das Herz all dieser Mensch eindringend und sich innerhalb tausender Tätigkeiten in ein augenscheinlich chaotisches Wirrwarr verliert, welches jedoch für den geübten Beobachter ein überaus kluges und gewitztes System aus unzähligen kleinen Abläufen darstellt. Chaotisch doch effizient, wie einem Ameisenbau gleich - der Gedanke setzte sich in dem Geist der jungen Frau fest als sie diese Szenerie des Lebens beobachtet. Liv kommst du morgen auch zu der Party von Greg? Oder hast du schon andere Pläne? Ein kurzer Augenblick der Verwunderung durchzieht den noch in der Szene des Raumes gefangenen Geist der jungen Frau, welche sich bei dem erklingen des Namens Liv offensichtlich angesprochen fühlt, bis sie sich endgültig von dem bunten Schauspiel des fidelen Chaos losreißt und ihren Kopf zur Seite schwenkt, wobei ihr langes kastanienbraunes Haar einem Schleier gleich durch die Luft gleitet und damit die ein oder andere Person in ihrer Umgebung zu einer akuten Unterbrechung ihrer Tätigkeit treibt, um sich in dem Bann des Antlitz der jungen Frau zu verlieren. Bedaure, aber morgen bin ich bereits mit einer Freundin verabredet. Kurz und direkt ertönt ihre sanfte Stimme mit einer weniger sanften Abfuhr an den jungen Mann, der sie gerade angesprochen hat. Was sie jedoch mit einem freundlichen Lächeln wieder gut zu machen versucht. Nachdem sie sich darauf erhebt, verabschiedet sich Liv von dem jungen Mann sowie einigen anderen Kollegen. Sie verlässt sicheren Schrittes das Gebäude und steuert auf den Ausgang zu, der bereits von weitem, quer durch den voluminösen Foyer mitsamt seines glänzenden, stilvollen und einladend hellen Bodens sowie an den spärlich dennoch geschmackvoll ausgewählten und platzierten Grünpflanzen vorbei, die mit Aluminiumrahmen in einem gittergleichen Spinnennetz der menschlichen Gedanken der künstlichen Ordnung zusammengehängten Fensterfassade durchdringend, den Blick auf das letzte noch strahlend helle Licht vom blauen, wolkenlosen Himmel des frühen Abends zulässt. Ruhig und bedächtig in ihrer Position verharrend beobachtet Liv mit einer unerklärbaren und sonderbar wohlfühlenden Sehnsucht die Klarheit des alternden Abendhimmels, fühlt wie sich der Wind an ihren Wangen vorbei schmiegt und spielerisch durch ihr leichtes Sommerkleid streift um sich dann in der endlosen Leere des Raumes, der nur vom Himmel allein gefasst werden kann, zu verabschieden, während hinter ihr die Ausgangstür leise ins Schloss zurück gleitet. Hmm... Ein zufriedener Seufzer, ein angedeutetes, gar heimliches Lächeln und ein in der Zufriedenheit der Augen zur Formvollendung gebrachter Ausdruck der inneren Ruhe und Gelassenheit, des inneren Friedens und der Freude finden ihren Weg durch den Dschungel der menschlichen Seele und ihrer tückischen Gefühle, vorbei an der viel zu häufig belastenden sowie stoischen und allzu an den Verstand gebundenen Gedankenwelt, an die Oberfläche der Wirklichkeit, um den Sekundenbruchteil des perfekten Moments den Liv verspürt zu zelebrieren. Noch von dem wundervollen Augenblick des Erwachens ihrer Sinne, welche sich nun langsam aber stetig aus der Lethargie der arbeitsbedingten Professionalität befreien und in freudig erwartender Neugier alles in sich aufnehmend um sich haschen, benommen, beginnt sie ihren Weg zur nahen U-Bahn Station fortzusetzen. Als sie auf die Station am Ende der Straße zu schlendert, bemerkt sie das Zwitschern der Vögel über ihr und blickt den weit über ihren Kopf hinweg ziehenden Tauben vergnügten Geistes nach. Während die Tauben an der in der Mitte der Stadt empor steigenden Kathedrale vorbei in dem Horizont der städtischen Skyline eindringen und mit ihr bis zur Unkenntlichkeit zu einem einzigen Strich verschmelzen, erreicht Liv die überirdisch gelegene, modern eingerichtete U-Bahn Station. Nicht lang, nur ein kurzer Augenblick, einem Wimpernschlag gleich, den Liv für ein weiteres wohltuendes Bad in ihrer guten Laune nutzt und die Bahn schiebt sich trotz der massiven metallenen Masse scheinbar mühelos über die stählernen Adern der modernen Menschenwelt voran. Kaum gestoppt pulsiert die kostbare Fracht des Lebens aus der künstlichen Welt in die freie Unendlichkeit unter dem langsam aber stetig dunkler werdenden Himmel. Ein Pulsschlag und es bricht eine Flut von Menschen aus dem Zug. Ein zweites Pulsieren und die ursprüngliche Gruppe beginnt einer weiteren Menge derselben zu weichen, die nun in den Bauch der metallenen Schlange strömt, um über das verzweigte Netzwerk der stählernen Äderchen an die verschiedenste Orte gebracht zu werden. Auch Liv fügt sich in diese Menge und sitzt im nächsten Moment auf einem der Plätze eines Wagons, um ein kurzes vibrieren des metallenen Ungetüms in dem sie nun sitzt zu verspüren, bevor, wie ein Blick durch die leicht verschmierten Fenster erahnen lässt, sich der Zug wieder seiner ihm angedachten Bestimmung nach über die stählernen Stränge hinweg in Bewegung zu setzen beginnt und damit die unendlich scheinende Weite der Welt ein kleines bisschen zusammen schrumpfen zu lassen. Schneller, immer schneller, als ob der Zug von einer unsichtbaren Kraft gezogen würde, fegt sie über die Strecke des vom menschlichen Geist entsprungenen Geflechts aus Stahl hinweg. Stetig auf ein in unendlicher Entfernung liegendem Ziel entgegen. Nur um hin und wieder langsamer zu werden, zur Ruhe zu kommen und zu stoppen. Dann strömen die Menschen aus und ein und der Zug setzt seine Reise, seinem in ewiger Ferne liegendem Ziel entgegen, unermüdlich fort. Die Schlange aus Metall beginnt sich nun, ihrem von den Menschen erhaltenen Namen gemäß, in den Untergrund zu wühlen und das letzte noch schummrige Licht des langsam der Nacht weichenden Tages wird durch einige periodisch an den kahlen Betonwänden auftauchenden, künstlichen Lichtquellen verdrängt. Liv löst sich von der für ihren Geschmack nun zu monotonen Aussicht und lässt ihren Blick frei durch den Wagon streifen. Doch noch mitten in der Bewegung durchzieht Liv plötzlich ein kurzer und dennoch intensiver Schauer, welcher sie von Kopf bis Fuß in eine derartige Kälte taucht, dass sie im ersten Moment glaubt, das Fenster wäre noch geöffnet. Aber es ist etwas anderes. Das beginnt sie nach der ersten Verwirrung durch das Spiel zwischen Verstand und Gefühlen um die Vorherrschaft ihres Geistes langsam zu begreifen. Eine Momentaufnahme eines Gesichts. Ein Blick. Tiefe durchdringende Augen. Diese Augen sind auf sie gerichtet. Auf den ersten Blick wirkten diese Augen zu fremdartig, zu tief, zu leer und dennoch scheinen sie so voller intensivem innerem Feuer, von einem starken und unbezwingbaren Willen zeugend. Als würde Liv in die Tiefe der schwarzen Pupillen willenlos hineingezogen und gleichzeitig entblößt sich ihr vollständiges Wesen vor diesen mysteriösen Augen, die sie in ihren Bann ziehen und sie verzehren. Ein weiches Lächeln zeichnet sich auf dem Gesicht ab, das Liv, langsam aber sicher aus ihrer anfänglichen Trance erwachend, mit einem charmanten, wenn auch zögerlichen Lächeln ihrerseits beantwortet. Doch noch in selben Moment, beginnt sie sich, von der Benommenheit durch ihre Gefühle beim Anblick der fremdartigen Augen lösend, zu fragen, warum sie sich auf diesen Flirt überhaupt einlässt. Etwas verwirrt und unentschlossen, ob sie diesen unbehaglichen, dennoch ungewöhnlich interessanten Kontakt weiter intensivieren möchte, fällt ihr plötzlich ein gewohnter Ton aus der herrschenden Geräuschkulisse der menschlichen Gespräche und mechanischen Klänge in der Umgebung auf. … Ausstieg in Fahrtrichtung links. Endgültig aus ihren Konflikt zwischen brennender Neugier und skeptischer Scheu aufschreckend, löst Liv sich vollends aus dem Bann des Blicks von dem Unbekannten und wirft einen Blick durch die Scheibe, um zu erkunden wo sie sich befindet. Mist, ich muss hier aussteigen! Gedacht, getan. Liv schnappt sich schnell ihre Sachen, springt auf und eilt zum Ausgang. Noch bevor sie den Bahnsteig berührt, flammt noch einmal ihre Neugier ungezügelt, unkontrolliert und ungebremst auf. Liv wendet ihren Kopf sachte der Szenerie des Wagons in ihrem Rücken zu. Doch der Unbekannte mit dem mysteriösen Blick war nicht mehr zu sehen. Auf dem Bahnsteig stehend, hält sie weiterhin nun gänzlich von Verwunderung und Neugier übermannt nach der fehlenden Person Ausschau. Aber sie kann niemand Entsprechenden im Inneren erblicken. Dann beginnt sich der metallene Koloss wieder auf seine Reise zu begeben. Ist er auch ausgestiegen? Der Gedanke lässt ihren Körper unweigerlich reagieren und sie sucht den Bahnsteig mit ihren Augen ab. Eine riesige Menschenmenge ist hier nicht zu finden, nur vereinzelt laufen einige Menschen durch die kleine unterirdische Halle der U-Bahnhaltestelle. Niemand von ihnen gleicht dem Unbekannten. Die Lichter an der flimmern leicht und die Luft hat sich seit sie ihren Arbeitsplatz im Nachrichtenstudio verlassen hat merklich abgekühlt. Langsam bemannt sie sich ihrer und schlüpft unter ihr Kleid, spielt mit ihrer Haut, streichelt sie mit eisiger Hand, so Livs Körper mit einer Gänsehaut und einem leichten Schütteln in ihren Gliedern antwortet. Wo nichts ist kann auch nichts gefunden werden und so beschließt sie die Gedanken an den Unbekannten zu verdrängen und nach Hause zu gehen. Der Mond beginnt in seiner mystischen Pracht der Nacht ein majestätisches Licht in mitten des Gewirrs der schillernden Sterne zu schenken, als Liv immer schnelleren Schrittes die letzten Meter bis zu ihrer Haustür eilt. Langsam aber stetig breitet sich der frostige Atem der Nacht aus, doch die Kälte allein lässt sie nicht innerhalb der sicher geglaubten Wände ihrer Wohnung flüchten. Der Gedanke an den Unbekannten ist noch immer fest in ihrem Geist verankert und will sich einfach nicht verdrängen lassen. Während sie nun versucht von diesem geistigen Gebilde auch in der Realität zu fliehen, wird sie langsam aber sicher von Panik und Unsicherheit heimgesucht. Endlich erreicht Liv die Haustür zu ihrer Wohnung. Doch diese ungewöhnliche Hartnäckigkeit des Bildes in ihrem Geist beunruhigt Liv zutiefst und so lässt sie auch noch den Schlüssel durch ihre Hände gleiten, welche geschürt von Verwirrung und unerklärlichen Ängsten einem Beben gleich zittern. Ein ruhiger, tiefer Atemzug. Ein kurzer Moment. Geschlossene Augen. Liv versucht sich erneut zu sammeln, sich zu beruhigen und ihren Geist so gut es denn ihr irgend möglich zu besänftigen. Ihr warmer Hauch entflieht ihrem Mund an ihren erröteten Lippen vorbei und zeichnet leichte Wölkchen im Takt ihrer Atmung in das Nichts das sie umgibt. Sie vernimmt das leise Rascheln der Blätter von den nahe gelegenen Bäumen, welche sich vom Wind wiegen lassen. Ruhe und Gelassenheit kehren ein, wo einst Verwirrung und Furcht hausten und die eindringlichen Augen, die Liv weder beschreiben noch fassen, aber auch nicht verdrängen konnte, beginnen zu verblassen. Die endlose, stille See aus unzähligen Gedanken verschlingt den Unbekannten, begräbt ihn und Liv öffnet langsam wieder ihre Augen. Ein ruhiger aber beherzter Seufzer um die letzte Beklommenheit abzustreifen, dann kniet sie sich hin, nach den Schlüsseln greifend, welche sie fallen ließ. Dabei bemerkt sie eine langsam aufkeimende Müdigkeit, die beginnt den Tribut für den bisherigen Kampf gegen Angst und Stress zu verlangen. Sie erschlafft, sie ermattet, ein leises Gähnen entweicht ihren Lippen, während sie die Haustür öffnet. Mühsam schleppt sie sich durch den Flur in das Wohnzimmer, wirft sich dort auf das von ihr so geliebte, kuschlige Sofa, schnappt sich eine dicke Wolldecke, die sie immer griffbereit in der Nähe liegen hat, wickelt sich in diese ein und schaltet den Fernseher an, um sich von seinem Flimmern berieseln und so die unangenehmen Gedanken des heutigen Tages mit neuen Eindrücken und Bildern endgültig zu verdrängen. Ihre Müdigkeit ist ihr dabei ein treuer Verbündeter und so verschwimmen langsam die sonst so klaren Linien zwischen Realität und Fantasie und während die reale Welt zu schwinden beginnt, erwacht die Traumwelt von Luvs Geist. Ihr Atem wird gleichmäßig, nahezu unbemerkt schließen sich ihre Augen, ihre Muskeln entspannen und Liv driftet von dieser Welt in eine andere, für den Rest der Menschheit verborgene Illusion ihrer selbst. Doch in ihrer Traumwelt ist sie abgeschottet von der Realität und so bemerkt Liv in ihrer erholsamen Trance des Traumes nicht wie das Flimmern des Fernsehers aus dem Wirrwarr der Farben und Tönen eine Reihe von Bildern zur Schau stellt. Auf dem Bildschirm erscheinen in schneller Reihenfolge, als würde jemand mit der Fernbedienung, welche jedoch unangetastet auf dem Wohnzimmertisch liegt, durch die Kanäle schalten, diverse Nachrichtensendungen. Sie zeigen alle verschiedenste auf der Welt verteilte Menschenmengen, welche in schwarzen Roben mit roten Kerzen anscheinend ziellos durch die Nacht wandern und zusammenhanglose Schreie oder unverständige Laute von sich geben. Leute versuchen sie zu beruhigen oder aufzuhalten, doch setzen die Personen ihren Marsch durch die Finsternis unbeeindruckt fort. Von alle dem bekommt Liv in ihrem Schlaf nichts mit und so wacht der Schein des Mondes über sie, welcher durch einen kleinen Spalt zwischen den Vorhängen auf ihren ruhig atmenden Körper strahlt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)