Großstadtherzen. von xSnowPrincess (Sasuke & Sakura) ================================================================================ Kapitel 2: Grau & ein paar Farbtupfer. -------------------------------------- G r o ß s t a d t h e r z e n . Kapitel 2: Grau & ein paar Farbtupfer. . . . Lila ist die Farbe der Melancholie. Wenn Sakura Haruno bisher dem Irrglauben verfallen gewesen war, sie führe bereits ein Leben, welches anstrengender und belastender nicht sein konnte, so hatte das Schicksal sie definitiv eines besseren belehrt. Diese Nacht war mit Abstand die allerschlimmste ihres Lebens gewesen. Sie war mit Ino wach geblieben und hatte einfach nur solidarisch neben ihr gesessen. Geredet hatten sie kaum – es war nicht Sakuras Stärke Konversation auf dieser Ebene zu führen. Sie wusste einfach nicht wie sie es anfangen sollte, wie sie trösten sollte, was sie sagen sollte ... sie war ratlos gewesen, also hatte sie lieber geschwiegen. Irgendwann war Ino mit dem Kopf auf dem Tisch eingeschlafen, woraufhin Sakura Ino irgendwie aufs Sofa bugsiert, und sie zugedeckt hatte. Sakura selbst hingegen war die ganze Nacht über wach geblieben. Mittlerweile war die Sonne am Aufgehen. Sakura stand am Fenster und sah in den rötlich eingefärbten Himmel. Sonnenaufgänge hatten etwas Poetisches. Für Sakura waren sie gewissermaßen ein Symbol für Leben. Jeden Tag kam und ging die Sonne. Machte weiter. Lebte. Nichts konnte sie am Aufgehen hindern, nichts konnte sich der Sonne in den Weg stellen.... und dabei ging es nur um einen banalen Sonnenaufgang. Aber es war immer so, sie interpretierte viel zu viel in manche Dinge hinein. Sie wollte das manche Dinge eine größere Bedeutung hatten, warum wusste sie nicht. Vielleicht wollte sie sich selbst kleiner darstellen als sie eigentlich war oder vielleicht ergötzte sie sich auch in ihrem eigenen Mitleid – Sakuras Gehirn wäre mit Sicherheit ein Fest für jeden Psychologen gewesen. Sakuras Kopf tat weh vom vielen Nachdenken, sie hatte es mit Kopfschmerztabletten versucht, aber es hatte nicht geholfen. Sie hatte sogar gleich zwei geschluckt – eine half ihr sowieso nie. Am meisten machte ihr diese Ungewissheit zu schaffen, sie wusste einfach nicht wie es weitergehen sollte, wie sie mit Ino und Miyako umgehen sollte ... irgendwer schien sie ganz gewaltig zu hassen, wenn man bedachte wie schlecht es ihr ging und dann hatte dieser Irgendwer auch noch nichts Besseres zu tun, als ihr weiteres Leid auf die Schultern zu laden. Beinahe so, als ergötze diese Person sich an ihrem Leid. Aber wenn Sakura Haruno eines von ihrem Leben, dem Schicksal oder wem auch immer, gewöhnt war, dann Leid. Wenn sie ehrlich war, wusste sie nicht einmal mehr wann dass alles angefangen hatte. Wann sie sich verloren hatte.... Sakura schreckte aus ihren Gedanken. Sie hatte ein Geräusch gehört. Sie drehte sich um und erblickte Miyako, die barfuss und sich die Augen reibend in der Schlafzimmertür stand. Tapsend kam sie auf die junge Frau zu. Miyako gähnte dabei herzhaft. »Kann ich was zu trinken haben?«, fragte sie verschlafen und Sakura schüttete ihr daraufhin Orangensaft in ein Glas ein. »Lass deine Mama noch ein bisschen schlafen«, mahnte Sakura das kleine Mädchen. Miyako gehorchte und setzte sich an den Küchentisch. Sakura stand ein wenig verloren herum. Sie frühstückte morgens nicht, aber sie kannte die Gewohnheiten ihrer Gäste in dieser Hinsicht nicht. Und außerdem, wusste sie einfach nicht wie sie sich verhalten sollte, sie fühlte sich unwohl in ihrer Haut. Auf verquere Art und Weise mochte Sakura ihre Einsamkeit, sie bot ihr immerhin Schutz und irgendwie auch ein Zuhause. »Ähm... willst du etwas essen?«, presste sie schließlich nach einer Weile hervor. Miyako nickte eifrig. »Ich will ...«, sie zögerte und überlegte. Dabei drehte sie die Augen nach oben und ließ die Zunge ein Stück heraushängen. Sakura erschrak ein wenig, als sie bemerkte, dass sich ein Lächeln auf ihr eigenes Gesicht gestohlen hatte. Miyako war zweifelsohne das süßeste Kind, dem sie je begegnet war. Plötzlich hellte sich das Gesicht des blonden Mädchens auf. »Ich will Schokocornflakes!« Sakura bezweifelte stark, so etwas im Haus zu haben. Sie durchsuchte den Kühlschrank und die Schränke, aber sie fand nichts, was auch nur annähernd Schokocornflakes glich. »Eh...tut mir Leid«, stammelte sie. »Ich – ich äh – ich kann dir höchstens ein Brot machen....« Miyako machte ein wenig begeistertes Gesicht. Sakura sah sich hastig um. »Mit Nutella?«, fügte sie hinzu und versuchte mit ihrem enthusiastischen Tonfall die Situation irgendwie noch zu retten. Miyako zuckte mit den Schulter und Sakura interpretierte dies als ein okay. Sie suchte nach Brot und fand auch tatsächlich welches, auch wenn sich in der Tüte nur noch genau eine einzige Scheibe befand. Himmel, es wurde Zeit, dass sie einkaufen ging. Spätestens wenn Ino auch etwas essen wollte, würde sie ziemlich dumm dastehen. Sakura begann damit, dass Brot mit Nutella zu beschmieren. »Ich kann Schokocornflakes kaufen«, sagte Sakura leise. »Nachher... also ... eh... falls ihr noch länger bleibt.« Im nächsten Augenblick war Sakura froh, dass Miyako noch ein kleines Kind war, und die nachdrückliche Betonung des Wortes gekonnt falls überhörte. In ihrem Kopf wirbelten tausend Gedanken umher. Alles durcheinander, alles viel zu viel und viel zu voll, zu viele umherschwirrende Gedanken, zu viele Fragen, zu wenig Antworten... Seufzend stellte sie Miyako das Nutellabrot auf einem Brettchen auf Tisch. Das Mädchen wollte gerade herein beißen, als sie innehielt. »Magst du ein Stück?«, fragte sie und hielt Sakura das Nutellabrot entgegen. »Was?«, fragte Sakura, obwohl sie Miyako akustisch recht gut verstanden hatte. »Das war doch das Letzte«, erklärte Miyako und zuckte mit den Schultern. Für einen Augenblick schien die Welt stehen zu bleiben. Sakuras Mund klappte auf und wieder zu. Sie wollte etwas sagen, aber sie wusste nicht was. So viel Nettigkeit war sie nicht gewöhnt. Es war nur eine kleine, nebensächliche, unbedeutende Geste, aber ... irgendwie war es so viel mehr. »Nein«, flüsterte sie schließlich. »Danke... ich – ich habe keinen Hunger.« Miyako zog eine Schnute und biss herzhaft in das Nutellabrot hinein. Fünf Minuten später, war ihr Gesicht mit Schokolade beschmiert und auf dem Brettchen lagen nur noch Krümel. Sakura musste sich hinsetzen, aber Miyako verlangte bereits nach Malstiften. »Du malst gerne, was?«, fragte sie mehr zu sich selbst, als zu ihrem kleinen Gast. Miyako nickte eifrig. Sakura verspürte das seltsame Verlangen, Miyako in den Arm zu nehmen, aber stattdessen wandte sie ihren Blick ab und schüttelte den Kopf. »Eh ... sie liegen noch da vorne beim Wohnzimmertisch, denke ich«, sagte sie und flugs war Miyako verschwunden. Diese Gefühle machten ihr Angst. Sie durfte niemanden nah an sich heran lassen, Ino und das Kind würden früher oder später wieder abhauen und sie wäre erneut alleine. Da war es eindeutig besser, so wenig Bindung wie möglich aufzubauen. Aber Sakura Haruno wurde das Gefühl nicht los, dass es für solche Einsichten bereits zu spät war. Das da längst eine Bindung geschaffen worden war und dass man sie keineswegs einfach kappen konnte. Vielleicht auch, weil sie diese Einsamkeit verachtete. . . . Rosa ist die Farbe der Kindlichkeit. Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack. Tick. Tack. Die Uhr wollte einfach nicht aufhören. Jede Sekunde schien eine Ewigkeit zu dauern. Sakura saß ratlos an ihrem Küchetisch. Am liebsten wäre sie weggelaufen, immer weiter. Einfach nur weg von hier. Die Alternative zum Weglaufen war unter dem Tisch verstecken, aber beides war wohl kein Weg aus dieser Sache. Miyako summte vor sich hin, während sie malte. Beinahe gegen ihren Willen musste Sakura sie dabei beobachten. Irgendwie fühlte sie sich durch das Mädchen an sich selbst erinnert. Als Sakura klein gewesen war, hatte sie auch den lieben langen Tag gemalt. Häuser, Blumen, Menschen. Aber vor allem Herzen und Sonnen. Und Wolken und Sterne. Und manchmal auch Prinzessinnenkleider. »Kura?« Plötzlich unterbrach die leise Stimme von Miyako die Stille und Sakuras Fluchtgedanken. »Kennst du das Lied von den Affen und der Kokosnuss?« Unweigerlich schlugen Sakuras Gedanken Purzelbäume. Affe? Kokosnuss? Bitte, was? »Was?«, fragte sie schließlich. Miyako seufzte und begann zu singen. »Die Affen rasen durch den Wald, nanananana ... « Sie verlor sich in gesummten Kauderwelsch. Die Melodie kam Sakura dennoch wage bekannt vor. Ihr war, als hätte sie dieses Lied schon einmal gehört. In ihrem Kopf tauchte ihr alter Kindergarten auf, doch sie schob den Gedanken beiseite. »Weiter weiß ich leider nicht«, erklärte das blonde Mädchen, während sie so fest mit einem Stift von reinsten sonnengelb aufdrückte, dass die Spitze abbrach. Sie fluchte leise, aber es war eher ein quengeliger Laut, als ein Fluchen. Sakura erkannte es nur als solches an, weil Miyako das Gesicht dabei verzog. »Mein Papa hat das immer mit mir gesungen, meine Mami kann sich den Text nämlich auch nicht merken, hihi«, fuhr sie nach kurzer Überlegung fort. (Offenbar war es für ein vierjähriges Mädchen nicht so wichtig ob die Sonne nun gelb oder rosa war, den sie hatte sich einfach den rosa Stift geschnappt.) Sakura wollte nicht, dass das Gespräch in diese Richtung ging, aber wie sollte sie es verhindern? »Aber vom Himmel aus kann mein Papi nicht mit mir singen, glaub ich... « Ihre Stimme wurde leiser. Fang bitte nicht an zu weinen, bitte, bitte, bitte, alles, nur das nicht, betete Sakura in Gedanken, aber Miyako holte sich stattdessen einen hellblauen Stift und begann eifrig damit ein paar Wolken zu zeichnen. »Kannst du vielleicht mit mir singen?« Plötzlich erstrahlte ein überdimensionales Lächeln auf ihrem Gesicht »Oh ... «, hauchte Sakura, und mehr als ein Hauchen war es definitiv nicht. »Ich würde gerne, aber- ich – ich – eh ... kann den Text leider auch nicht.« »Achso...« Das phänomenale Grinsen erlosch genauso schnell, wie es gekommen war. Sakura konnte dieses trauriges Gesicht nicht ertragen. Sie wollte nicht dass Miyako traurig war. Sie mochte ihr Lächeln. Ihr Strahlen. Es brachte ihr Herz zum Lächeln. »Warte«, sagte sie. »Ich habe etwas für dich.« Sakura erhob sich vom Küchentisch und ging in ihr Schlafzimmer. Es dauerte bis fand wonach sie suchte. Unter ihrem Bett standen ein paar Kisten und neben ihrem Bett auch. Sie musste ein paar Kisten durchwühlen, bis sie dunkelblaue Glasaugen und einen gelblichen Stofffetzen, begraben unter Krimskrams, erspähte. Sie zog die Puppe heraus uns besah sich ihr. Die Haare waren ein wenig zerzaust, aber ein Kamm konnte das sicher regeln Und das Kleid war vergilbt, aber die Puppe sah noch immer schön aus. Irgendwie hatte sie eine traurige, kindliche Schönheit. Mit einem kleinen Beinahelächeln ging sie ins Badezimmer, schnappte sich eine Bürste und kämmte das Haar der Puppe durch. Es war schwerer als erwartet, über fünfzehn Jahre in einer Kiste, waren eben nicht einfach wegzubürsten. Aus der Küche ertönte ein Ruf. »Kura?« - »Ich bin gleich wieder da«, rief Sakura zurück. Irgendwie fand sie Kura mittlerweile gar nicht mehr so schlecht. Eigentlich sogar ganz nett, irgendwie besonders. Schließlich sahen die blonden Puppenhaare wieder halbwegs ordentlich aus. Immer noch geschmückt mit diesem Beinahelächeln, machte sie sich auf den Rückweg in die Küche. Miyako saß schon ganz gespannt auf ihrem Stuhl, sie hopste sogar ein wenig darauf herum und sie hatte schon wieder ihre Zunge ein Stückchen rausgestreckt. »Schau mal«, sagte Sakura, hielt ihr die Puppe hin und konnte ihre Freude, eine wirklich sehr seltsame Freude, kaum verbergen. »Ihr Name ist Alice – und als ich klein war, war sie meine Lieblingspuppe und -«, jetzt zögerte Sakura ein wenig, beschloss dann aber, doch weiterzureden, »und manchmal, war sie sogar meine beste Freundin.« Plötzlich fühlte sie sich wie ein kleines, unbeholfenes Mädchen. Irgendwo stecken geblieben im Leben. Als wäre die Zeit weitergelaufen, während sie selbst stehen geblieben war. Es war ein ganz merkwürdiges Gefühl, aber es war irgendwie nicht einmal so schlecht. Miyako streckte die Hände nach der Puppe aus und die junge Frau gab sie ihr. Einen Augenblick lang betrachtete Miyako die Puppe. Ihren blassen Teint, die dunkelblauen, strahlenden Augen und das perfekte Puppenlächeln mit den viel zu weißen (okay, mittlerweile gelblichen), Zähnen. Dann fiel ihr Blick auf das Kleid und Sakura sagte hastig: »Ich weiß, sie ist schon sehr alt und –«, aber Miyako unterbrach sie. »Darf ich mit Alice spielen?« Sakura wusste nicht weshalb, aber als sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr strich, konnte sie nur lächeln. Kein Beinahelächeln im Übrigen. »Ich schenke sie dir, Miyako. Bei mir modert sie nur in einem Karton herum.« »Was ist modert? «, wollte das Mädchen verwirrt wissen, doch bevor Sakura auch nur zu einer Erklärung ansetzen konnte, hastete Miyako auch schon mit Alice davon. Ins Schlafzimmer so wie es aussah. Ihre Malsachen ließ sie selbstverständlich liegen. Seufzend machte sich Sakura daran, eben diese wegzuräumen, als sie eine Bewegung in der Küchentür wahrnahm. »Scheiße man Sakura.« Das war Ino. Sie stand im Türrahmen zur Küche. Sie sah nicht gut aus. Immer noch verweint und rot um die Wangen und Augen herum. Aber sie lächelte. »Du bist ein verdammt noch mal absolut einzigartig guter Mensch«, sagte sie mir belegter Stimme. »Und die gottverdammt, beste Freundin die man sich wünschen kann. Nach all den Jahren, nach all diesen Dingen, nach - « Aber als Sakura Ino umarmte, sie beinahe zerquetschte, da hörte die Blondine auf zu reden und erwiderte die Umarmung einfach nur. »Ich hab dich vermisst«, flüsterte Sakura ihr ins Haar. Und mehr musste nicht gesagt werden, der Rest war klar. Die beiden Frauen verstanden sich ohne Worte, schwiegen sich an und umarmten sich einfach nur. Zumindest solange, bis Miyakos gekränkte Stimme ertönte. »Gottverdammt, Alice und ich wollen mitknuddeln!« Und Sakura konnte nicht anders, als sich die feuchten Augen abzuwischen und hysterisch aufzulachen. . . . Blau ist die Farbe der Sympathie. Es war absolut unglaublich, was ein Tag alles verändern konnte. Ein Lächeln, eine Umarmung, ein paar Tränen – und plötzlich erscheint einem alles in einem anderen Licht. Als Sakura Haruno sich selbst im Badezimmerspiegel ansah, hatte sie das erste Mal seit langer Zeit das Gefühl, einen echten Menschen vor sich zu sehen und nicht nur eine Maske. Ein Mensch, mit Gefühlen und Emotionen. Es war ein seltsamer Anblick, das Spiegelbild lächeln zu sehen. Sakura seufzte und schaltete den Wasserhahn an. Dann spritzte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht und beobachtete im Spiegel, wie die Wasserperlen ihre Wangen herunter tropften. Die traurige Wahrheit war, dass Sakura geglaubt hatte, niemandem mehr wichtig zu sein. Sie hatte zu kaum jemandem von früher noch Kontakt und wenn dann nur sehr sporadisch. Man hatte sich einfach nichts mehr zu sagen und so kam höchstens mal ein seichter Smalltalk via Internet zustande, der mit »Hallo« begann, mit »Wie geht es dir« weiterging, woraufhin grundsätzlich die Lüge »mir geht’s gut« folgte, und schlussendlich immer mit »Okay, dann bis bald« endete. Aber plötzlich war Ino wieder da und diese Vertrautheit, die immer noch zwischen ihnen herrschte, verwirrte Sakura. Nach all den Jahren… sie war wirklich davon ausgegangen, dass sie Ino vergessen hatte, und umgedreht. Aber offensichtlich war das alles nichts als kunstvolle Selbsttäuschung gewesen. Vielleicht stimmte es tatsächlich, dass man einen Menschen, den man einmal geliebt hat, nie vergessen oder hassen kann. Höchstens verdrängen. Gedankenverloren kämmte die junge Frau sich die Haare. Sie hatte Miyako versprochen Schokomüsli zu kaufen und genau das hatte sie jetzt auch vor zu tun. Zwar war ihr äußerst unwohl bei dem Gedanken mit dem Mädchen allein wegzugehen, aber Ino war vor einer halben Stunde losgefahren um die Koffer von ihr und ihrer Tochter zu holen. Irgendwie hatte Sakura die zwei schließlich dazu eingeladen, vorerst bei ihr zu bleiben. Auch wenn dies eher ein Affektversprechen gewesen war – eigentlich war ein bisschen Gesellschaft gar nicht so übel. Sie zog es zwar für gewöhnlich vor für sich zu bleiben - denn einsame Menschen kann man nicht so leicht verletzen – doch seit Ino und Miyako bei ihr waren, also seit nicht einmal vierundzwanzig Stunden, hatte Sakura ihrem eigenen Empfinden nach, vermutlich mehr gelächelt als sonst in einem Monat. Und irgendwie tat es gut. Sakura war lange nicht mehr in der Fußgängerzone gewesen und großartig verändert hatte sie sich dennoch nicht. Hier und da waren ein paar neue Geschäfte aufgemacht worden, aber dafür waren an anderer Stelle auch welche zugemacht worden. Miyako, die an ihrer Hand lief schien ausnahmslos jedes Geschäft auf seine Weise gut zu finden. »Schau mal, Kura, da gibt es Barbies«, sagte sie beispielsweise und deutete auf ein Schaufenster, indem eine Barbie in einem roséfarbenen Kleid ausgestellt war. Einmal blieb sie auch vor einem Fotoladen stehen und hüpfte auf und ab, weil auf einem der ausgestellten Bilder Luftballons zu sehen waren. Sie summte vor sich hin und hatte partout darauf bestanden ihre neue Puppe, Alice mitzunehmen. In einem kleinen Tante Emma Laden fanden die zwei schließlich Schokomüsli, und weil Miyako herumquengelte kaufte Sakura ihr sogar noch eine Tafel Schokolade. Sakura mochte es nicht besonders durch die Fußgängerzone zu schlendern, ihr waren hier viel zu viele Menschen mit viel zu traurigen Geschichten. Aber irgendwie schaffte Miyako es, sie bei Laune zu halten. Es war nicht so schlimm wie sonst und ihr fielen diesesmal auch eine Menge lächelnder Menschen auf. Aber der Overkill war im Endeffekt doch wieder Miyako. Als Sakura mit ihr an einem Obdachlosen vorbeiging, wollte sie das Mädchen schnell weiterziehen. Der alte Mann tat ihr auch Leid – aber sie hatte einfach keine Kraft sich mit noch traurigeren Existenzen zu beschäftigen. Vielleicht war diese Denkweise sogar egoistisch, aber im Grunde genommen war es nur ein Schutzmechanismus. Miyako jedoch flüsterte: »Guck mal, Kura, ein ganz armer Mann« - und dann riss sie sich von Sakuras Hand los und rannte zurück zu dem am Boden sitzenden Mann. »Bitteschön«, sagte sie und drückte dem Mann ihre Schokoladentafel in die Hand. Dann strahlte sie ihn an und kam zurück gelaufen. Immer noch strahlend. Der Mann blickte ihr absolut ungläubig nach. »Du bist wirklich ein sehr nettes Mädchen«, bemerkte Sakura und starrte in die großen, runden Augen des kleinen Mädchens. Jetzt strahlte sie sogar fast noch mehr und schlug einen sehr stolz klingenden Ton an. »Das hat mein Papi auch immer gesagt!«, trällerte sie, packte Sakura an der Hand und zog sie weiter. »Kura-chan, da vorne gibt es Eis, schau mal«, rief sie und selbst Sakura, die von Kindern ihrer Meinung nach nicht so viel verstand, wusste sofort, worauf Miyako hinaus wollte. »Möchtest du ... ein Eis?«, fragte sie das Mädchen an ihrer Hand. Diese wiederum kicherte leicht. »Wenn du auch willst!« Und so kam es, dass Miyako zwei dicke Kugeln Erdbeer- und Schokoladeneis in einer Waffel schleckte und Sakura sich eine Kugel Kiwi und eine Kugel Kokos geholt hatte. Die beiden waren auf dem Rückweg, als Sakura plötzlich einen genialen Einfall hatte. Sie warf einen Blick auf die Uhr und fragte Miyako schließlich, ob sie Lust hätte, noch einmal kurz beim Spielplatz vorbeizuschauen. Miyako machte daraufhin ganz große Augen, war aber sofort Feuer und Flamme dafür. Sakura war sich nicht sicher, weshalb sie ihr dieses Angebot gemacht hatte, immerhin ist ein Spielplatz meist auch voller Menschen und erst recht in einer so großen Stadt wie Tokio. Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, das Richtige zu tun. Vielleicht war es irgendwie Instinkt, vielleicht aber auch Schicksal. Es war jedenfalls ein gutes Gefühl auf dieser alten, morschen Bank zu sitzen und Miyako beim herumtollen zuzusehen. Alice war immer mit dabei, egal ob Miyako dem Himmel entgegenschaukelte oder die Rutsche herunterrutschte. Sie erinnerte Sakura in ihrer kindlichen Unbeschwertheit an sich selbst, als sie klein gewesen war. Miyako war ein Kind, dem in letzter Zeit viel Pech passiert war und dennoch strahlte sie alles in Grund und Boden, lachte und tanzte und sang und war glücklich. Warum gelang ihr das so leicht und Sakura nicht? »Entschuldigen Sie«, sagte eine Stimme, »würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich zu Ihnen auf die Bank setze?« Sakura schreckte aus ihren Gedanken. Ein Mann in einem schwarzen Stoffmantel, mit ebenso schwarzen Augen und einem hellen Teint, stand vor ihr und hatte sie soeben angeredet. Augenblicklich kehrte Sakura Haruno in die Realität zurück. Es fiel ihr schrecklich schwer mit wildfremden Menschen zu kommunizieren, aber sie nickte dennoch mit dem Kopf. Ihr war unbehaglich zu Mute, obwohl der junge Mann sie keines Blickes würdigte, die Hände ineinander gefaltet hatte und den Kindern beim Spielen zusah. Vielleicht lag es daran, dass sie die Nähe zu Menschen für gewöhnlich vermied. »Kura! Kura!« Miyako kam ganz aufgeregt zur Bank gerannt. »Der Junge da, hat Alice in den Matschsandkasten geworfen!«, erzählte sie empört und deutete auf einen kleinen, schwarzhaarigen Jungen, der jetzt ebenfalls dazu gerannt kam. Zuerst dachte Sakura, er würde sich rechtfertigen oder entschuldigen wollen, doch er wandte seine Worte dem Mann neben Sakura zu. »Das war keine Absicht, Onkelchen«, sagte er und warf Miyako einen bösen Blick zu. »Ich bin auf dem nassen Gras ausgerutscht und gegen sie gefallen! Und dann ist die blöde Puppe in den Sandkasten gefallen!« »Alice ist nicht blöd, Blödmann!«, rief Miyako. Im nächsten Moment fingen die beiden an sich zu kabbeln und zu schubsen. Sakura war gnadenlos überfordert, aber bevor sie auch nur irgendetwas sagen, tun oder denken konnte, ergriff der Mann neben ihr das Wort. Er erhob sich und zog die beiden Kinder auseinander. »Haru, man schlägt keine Mädchen. Sei ein Gentleman und entschuldige dich!« »Ich denk ja gar nicht dran«, protestierte Haru, der ein-zwei Jahre älter als Miyako zu sein schien. Doch nachdem er den Blick seines Onkels gesehen hatte, presste er die Lippen zusammen und knirschte ein »Entschuldigung« hervor. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und rannte zurück zum Sandkasten, der zugegebenermaßen durch den Regen der letzten Tage sehr matschig war. »Tut mir ehrlich Leid«, sagte der Mann freundlich zu Miyako. »Haru ist in dem Alter, in dem Mädchen einfach bäh sind«, sagte er zu Sakura die immer noch völlig perplex auf der Bank saß. »Jungs sind viel mehr bäh«, rief Miyako erbost. »Natürlich sind sie dass«, meinte der schwarzhaarige Mann und seufzte. Sakura räusperte sich schließlich. »Miyako .. es ist schon spät – wir – wir sollten jetzt langsam zurück ...« Miyako gewann sofort ihre Fassung wieder. »Nur noch einmal rutschen, bitte, Kura, bitte!« Sakura nickte notgedrungen und das kleine Mädchen sauste davon. »Verzeihen sie die Frage«, sagte der Schwarzhaarige, der sich wieder neben Sakura gesetzt hatte, »aber sie ist nicht Ihre Tochter, oder?« »Bitte?«, fragte Sakura sofort. Sie war vielleicht was zwischenmenschliche Dinge anging nicht so gut wie andere Menschen, aber sie wusste, dass diese Frage ein wenig seltsam anmutete. »Ich meine nur, weil sie Ihnen nicht besonders ähnlich sieht.« »Nein«, sagte die junge Frau schließlich. »Sie ist die Tochter meiner ... besten Freundin.« »Verstehe«, meinte er, just in dem Moment, in dem Miyako angeprescht kam, »hat mich trotzdem gefreut, Sie kennen zu lernen, Miss -?« Sakura zögerte, beschloss dann aber doch zu antworten. »Haruno. Sakura Haruno. Eh .. gleichfalls.« Der junge Mann setzte ein Lächeln auf. »Sasuke Uchiha, sehr erfreut«, stellte er sich vor. »Nun denn, dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Resttag, Miss Haruno.« Es war Sakura Harunos erste Begegnung mit Sasuke Uchiha. . . . Grün ist die Farbe der Hoffnung. Als Sakura und Miyako nach Hause kamen, war Ino schon da. Sie wartete auf die beiden, schließlich hatte sie keinen Wohnungsschlüssel. Sie und Sakura hievten daraufhin die Koffer in die Wohnung. Ino hatte Sakura erklärt, dass sie momentan auf der Suche nach einer neuen, finanzierbaren Wohnung in der Stadt war, denn die alte, in der sie früher mit Naruto gewohnt hatte, konnte sie sich einfach nicht mehr leisten. Die Möbel standen im Augenblick in einem Lager. Miyako hatte die letzten Wochen bei Inos Eltern gelebt, und weil Ino selbst es Leid gewesen war, jeden Tag 120km zu fahren, hatte sie sich bei einer Arbeitskollegin einquartiert und war nur am Wochenende zu ihrer Tochter gefahren. Das war natürlich keine Dauerlösung gewesen, genauso wenig, wie dass hier eine Dauerlösung war. Aber wenigstens konnten Mutter und Kind so zusammen wohnen, bis sie etwas Neues gefunden hatten – Ino zu urteilen, hatte sie ein-zwei Mietwohnungen im Auge und hatte auch schon einen Ansichtstermin. Aber irgendwie war es Sakura ganz recht, wenn die beiden bei ihr waren, es fühlte sich irgendwie befreiend an. Tatsächlich brach Ino gegen fünf Uhr abends, wieder in Tränen aus, weil sie nicht wusste, wie sie Sakura jemals dafür danken solle. Schließlich erklärte sie sich dazu bereit, das Abendessen zu kochen, musste jedoch feststellen, dass man in Sakuras Kühlschrank nicht allzu viel Brauchbares finden konnte. Es war eben einfach so, dass die junge Frau sich für gewöhnlich eher von Tiefkühlkost ernäherte. Ino fand jedoch Nudeln und beschloss daraufhin, den heutigen Samstag zu einem Spagettitag zu machen. Es war der schönste Abend, den Sakura seit sehr, sehr langer Zeit gehabt hatte. Die drei aßen sich an Spagetti mit Tomatensoße satt und vergaßen für einen Moment die Welt da draußen, die traurige, graue Realität. Draußen fing es erneut an zu regnen und auch die Temperaturen sanken rapide, aber Sakura war nicht kalt wie sonst. Im Gegenteil, in ihr breitete sich eine wohlige Wärme aus. Vielleicht lag es an den warmen Nudeln, vielleicht auch an dem warmen Tee, den sie und Ino danach tranken, während Miyako wieder einmal ihrer Fantasie beim Zeichnen freien Lauf ließ. Vielleicht, ganz vielleicht, hatte diese innere Wärme aber auch gar nichts mit diesen Äußerlichkeiten zu tun. Vielleicht kam diese Wärme auch von innen. Von einem Ort, den Sakura für tot gehalten hatte. In der darauf folgenden Woche hielten Sakura und Ino es so: Tagsüber war Ino zuhause und passte auf Miyako auf, abends, wenn Ino zu ihrem Job in der Bar musste, übernahm Sakura diese Aufgabe. Und obwohl Sakura in dieser Zeit viel mehr arbeitete und machte als gewöhnlich, fühlte sie sich viel weniger erschöpft als sonst. Es war, als würde eine Wärmequelle in ihrer Brust, sie am Laufen halten. So, als würde diese Wärme ihr die Kraft dazu geben, weiterzumachen. Selbst das schrecklich graue Wetter, konnte ihre Stimmung nicht so sehr trüben wie sonst. Eines Abends, als Ino bereits zu ihrer Arbeit aufgebrochen war, saß Sakura auf der Couch und las in einem Buch. Miyako residierte währenddessen auf dem Teppichboden des Wohnzimmers, und spielte mit ihren Barbiepuppen, Alice lag ganz dicht bei ihr. Seit sie die Puppe geschenkt bekommen hatte, hütete Miyako sie wie ihren Augapfel. Sie nahm sie überall mit hin und ließ sie nicht aus den Augen. Sakura war so sehr in ihre Lektüre vertieft, dass sie gar nicht bemerkte, dass Miyako sich neben sie aufs Sofa plumpsen ließ, bis sie die Stimme erhob. »Kura, spielst du mit mir Barbie?« Sakura war völlig perplex. »Ich –oh – ich, ich glaube ich kann nicht so gut Barbie spielen«, hauchte sie dahin. »Das ist nicht schwer!«, rief Miyako lachend in einem zugleich überraschten und überzeugendem Tonfall. »Oh ich weiß nicht ...« »Büüüüdee«, bettelte Miyako und setzte eine Schnute auf. »Bitte, Kura, bitte, bitte, büüüüde!« »Also eigentlich muss ich noch -«, begann die junge Frau, doch dieser Dackelblick brachte ihr Herz zum dahin schmelzen und jeglicher Widerstand zerbröselte. »Also gut«, sagte sie nachgebend, Miyako hüpfte im Sitzen auf. »Aber nur zehn Minuten, okay? Es ist nämlich schon recht spät.« Das kleine Mädchen nickte eifrig. Dann packte sie Sakuras Hand und zog sie auf den Boden. Das Buch fiel der jungen Frau aus der Hand und landete auf der Couch. »Hier«, rief Miyako und kicherte. »Du spielst die da und ich spiel die hier«, erklärte sie grinsend. Ihr Lächeln war tausend Minuten Barbie spielen wert. Denn Miyakos Lächeln brachte Sakuras Herz zum Lächeln. Zum Hüpfen, tanzen und irgendwie gut fühlen. Sakura Haruno wusste nicht genau, weshalb sie plötzlich das Gefühl hatte, es würden Farbkleckse auf ihr graues Leben fallen, aber es fühlte sich unheimlich gut und so richtig an. Zwar waren es nur kleine Farbtupfer, aber sie gaben ihr Hoffnung. Das Grau war zwar allgegenwärtig, aber es verblasste allmählich in der Sonne. Es schien neben den bunten Farbtupfern zu verlaufen, auszubleichen, weniger zu werden. Es fühlte sich ein wenig so an, als würde sie nach einer langen Eiszeit auftauen. Als würden die Eismauern um ihr Herz einfach so dahin schmelzen und das ganze grau mitnehmen und fortwischen. Die bunten Kleckse waren klein und nicht einmal besonders farbintensiv, aber Sakura erkannte, das Kleinigkeiten tatsächlich in der Lage waren Hoffnung zu geben. Vielleicht konnten sie kein Leben verändern, aber sie konnten einem zumindest ein wenig mehr Zuversicht schenken. Ein wenig mehr Glaube und Vertrauen darauf, dass man irgendwann vielleicht doch die Sonnenseite des Lebens kennenlernen würde. Denn letztendlich sind es die Kleinigkeiten, die unser Leben gelegentlich so schön machen. Kleinigkeiten, wie Barbiespielen, ein Lächeln, ein Eis essen, Spagettitage, ein kleiner Ausflug, Schokomüsli und Spielplätze. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)