Kaltherzig von P-Chi ================================================================================ Kapitel 1: the blood contract ----------------------------- Der Himmel färbte sich rot, als die Sonne, das Verderben meines Volkes, am Horizont seine letzten Lichtstrahlen auf das Schloss warf. Die dicken Vorhänge aus schwarzem Samt waren alle fest zugezogen und schützten mich vor den todbringenden Strahlen. Erschöpft strich ich mir eine meiner langen Haarsträhnen aus dem Gesicht und schwang mich in gewohnter Leichtfüßigkeit aus dem Bett. Sobald der letzte Funken Licht aus dem Zimmer wich, erfüllte mich tiefe Wachsamkeit. Zwar war mein Zimmer leer und unfassbar still, doch der Schein konnte in diesen Gemäuern mehr als nur trügen. Ich zog mir ein burgunderrotes Kleid an und schlüpfte dann in einen noch dunkleren Mantel von derselben Unheil bringenden Farbe, mit der bereits die Hände meiner Rasse beschmutzt waren. Nicht, als ob uns das etwas ausmachen würde. Die meisten von uns waren innerlich zu tot, um noch so etwas wie Schuld zu empfinden. Es klopfte leise an der Tür. „Eintreten“, murmelte ich und ließ mich vor meinen elfenbeinfarbenen Spiegeltisch sinken. Ich konnte mir nicht vorstellen, woher diese dummen Menschen das Gerücht hervor brachten, man könne uns Vampire nicht im Spiegel sehen. Alles Irrsinn, was sich die Menschen in diesen Zeiten einbildeten. Eine junge Frau mit kurz geschnittenem, blondem Haar und meeresgrundschwarzen Augen, schlich ins Zimmer und schloss lautlos hinter sich die Tür. Ihre blütenweiße Stirn zeigte besorgte Falten. Sie vermied es mir in die Augen zu blicken und richtete ihre Aufmerksamkeit stattdessen auf die schwarzen Vorhänge. „Mylady“, grüßte sie mich förmlich und bewegte dabei kaum ihre blassrosa Lippen. Wir unterließen es laut zu sprechen, weil uns Lärm in den Ohren schmerzte, immerhin konnten wir aus ziemlich weiter Entfernung Tiere atmen hören. „Seid Ihr durstig?“ Ich wandte mich meinem Spiegelbild zu, das mir, mit einem erschreckend nichts sagendem Gesicht, entgegen starrte. Meine Porzellanhaut war beinahe schneeweiß und meine schwarzen Augen hatten jeglichen Ausdruck verloren. Die Leblosigkeit in meinem Spiegelbild konnte unmöglich die meine sein. Wann hatte ich aufgehört mein blutiges, Hass zerfressenes Dasein zu genießen? „Nein“, antwortete ich, wusste aber, dass dies nicht der einzige Grund sein konnte, weshalb meine Dienerin, der einzige Mensch, den ich jemals gewandelt hatte, mich so früh besuchen kam. Gründe gab es in diesen schweren Zeiten genügend, aber ich weigerte mich seit geraumer Zeit mein Schlafgemach zu verlassen, und bezweifelte deshalb, dass gute Neuigkeiten auf mich warteten. Sollte sich doch meine Schwester darum kümmern. Diese schien ihren Platz auf dem Thron, als Königin der Vampire, sichtlich zu genießen. „Die Königin wünscht Euch zu sprechen, Mylady. Sie schien aufgebracht.“ Zusammen zuckend strich ich mir mit einer silberverzierten Bürste durch meine schneeweißen Haare und bedachte die junge Vampirin mit einem aufgesetzt desinteressierten Blick, obwohl es in mir vor Abscheu brodelte. „Meine kleine Schwester ist aufgebracht? Welch Neuigkeit“, erwiderte ich gelangweilt, nicht in der Stimmung für lästige Gespräche mit meiner Schwester, der ich ohnehin seit langer Zeit ein Dorn im Auge war. Da Leonore ohnehin ihre ganze Zeit entweder im Thronsaal oder in ihrem Schlafgemach verbrachte, ging ich ihr grundlegend aus dem Weg. „Geh, Oleen. Ich habe weitaus besseres zu tun, als den Wahnsinn meiner Schwester noch zu unterstützen.“ „Es ist wichtig“, erwiderte sie aufgebracht. Ich ließ eine Augenbraue in die Höhe wandern; erstaunt über Oleens offensichtliche Emotion. „Sie behauptet immer, es sei wichtig. Doch letztendlich geht es immer um die Werwölfe, die Leonore Schwierigkeiten bereiten. Stets musste ich sie in Schach halten, damit diese nicht über die Ostgrenze angreifen, doch seit den letzten zweihundert Jahren hat selbst diese Aufgabe keinen Reiz mehr für mich.“ Das war die einfachste Ausrede, die ich stets parat hatte. Unter keinen Umständen würde ich zugeben, dass mir Leonores Verhalten mehr und mehr zuwider wurde und ich nicht ihren Wachhund spielen wollte. „Ihr wisst von den Angriffen?“ Oleen schien nicht im Geringsten überrascht. Solche Neuigkeiten verbreiteten sich wie ein Lauffeuer im Schloss. Und trotz meiner Anweisung, den Westflügel für mich leer zu räumen, schlichen viele neugewandelte Vampire an meinen Gemächern vorbei und hofften einen Blick auf ein Kind königlichen Blutes und reinblütiger Abstammung zu werfen. Viele erzählten mir abenteuerliche Geschichten, oder von ihren Verwandlungen, und versuchten mit aller Macht Eindruck auf mich zu schinden. Vergeblich. Ich hatte weder Interesse an Freunden, noch an Gefährten. Ich blieb gerne alleine und nur eine Handvoll Vampire durften mich besuchen. Man konnte diese sogar an nur vier Fingern abzählen. Oleen, die bestimmte Rechte hatte, da ich sie eher unfreiwillig gebissen hatte. Leonore, die nur selten kam und kaum ein Wort mit mir wechselte. Und schließlich meine beiden Jäger, Lucius und Frederique, die mich mit gewissen Blutquellen versorgten, damit ich nicht den Verstand verlor, wie die armen Geschöpfe, die im Kerker ihr Leben aushauchten. Falls diese überhaupt atmeten. Es kam nicht selten vor, dass sich Außenseiter unserer Rasse gegen uns wandten und die Königin sie dementsprechend bestrafen musste. Oleen trat näher heran, aber nicht nah genug, dass ich sie mit ausgestrecktem Arm hätte berühren können. Aber kein Vampir sehnte sich nach Berührung. Wir blieben kalt. Unsere Emotionen stumpften ab, wenn wir nicht unter Menschen kamen, doch leider hatten sich die meisten nicht im Griff oder hatten sich, so wie meine Wenigkeit, von der lebenden Zivilisation abgeschnitten. „Könnt Ihr keine Ausnahme machen? Gestern, zu Sonnenaufgang, wurde der Südflügel angegriffen. Sieben Werwölfe haben sich Zugang verschafft, als die Sonne noch schien.“ „Wie viele Verluste?“, fragte ich und legte die Bürste fort. Na das klang doch interessant. Ich erhob mich von dem kleinen Hocker und schob die Vorhänge zur Seite. Silbernes Mondlicht erleuchtete den Raum und legte sich wie ein Schleier auf mein Gesicht. Draußen herrschte allgemeine Dunkelheit. Hier und Da, huschte ein Schatten vorbei und störte somit die Ruhe, die normalerweise hätte herrschen sollen. „Es sind vierzehn, doch wir konnten nicht alle Körperteile richtig zusammenfügen. Einige sind auch im Sonnenlicht verbrannt.“ „Konnten die Wölfe fliehen?“ Oleen schüttelte den Kopf. Es schien die Vampirin mit den wirren Haaren zu verunsichern, dass nur ein paar Zimmer weiter, ein Massaker stattgefunden hatte. Ich presste die Lippen aufeinander. Möglicherweise eskalierte der Krieg zwischen den beiden Rassen tatsächlich. Die Werwölfe hatten einen Vorteil erreicht und zeigten uns vor aller Augen, wie leicht sie in das Herz des Schlosses eindringen konnten. Sie verspotteten uns. Mich und meine Familie. Und das würde ich unter gar keinen Umständen dulden lassen. „Nun gut, ich bin bereit mich mit meiner Schwester zu treffen. Aber nicht im Thronsaal“, fügte ich hinzu, bevor Oleen auch nur einen Ton von sich geben konnte. „Die Bibliothek. Und trage Sorge dafür, dass sich niemand währenddessen dort aufhält. Ich kann keine Störenfriede gebrauchen.“ Die schwarzen Augen, der gewandelten Vampirin, blitzten für einen kurzen Moment stechend blau auf und versanken dann wieder in tiefer Finsternis. „Natürlich, Mylady“, flüsterte Oleen, mit einem ergebenen Lächeln auf den Lippen, und verschwand durch die Tür. Die Bibliothek, die sich im zweiten Stock des Schlosses befand, war unglaublich gewaltig und bestimmt dreimal so groß wie mein Zimmer. An allen Wänden, standen riesige Kästen, voll geräumt mit den ältesten Büchern der Geschichte und größte Informationsquelle der Vampire. In der Mitte des grau-weiß melierten Marmorfußbodens, stand ein langer Eichenholztisch, dessen Tischbeine zu engelsgleichen Geschöpfen geschnitzt worden waren. Direkt darauf, saß wohl eine der schönsten Frauen, die die Welt je gesehen hatte. Langes weißes Haar breitete sich in sanften Wellen über das kastanienbraune Holz aus und ließ sie leuchten. Hübsche schwarze Augen, huschten rasend über die Zeilen des Buches, das die Frau in den Händen hielt und dabei ihre langen, schlanken Beine, die unter schwarzem Stoff hervor lugten, ausstreckte. Die blutroten Lippen der Königin verzogen sich boshaft, als sie mich endlich bemerkte. „Schwester! Wie sehr ich mich freue dich zu sehen!“ Ich verzog leicht den Mund, angesichts dieser unverfrorenen Lüge. Aber immerhin tat sie so als ob. Ich sparte mir eine Einleitung und kam zum Punkt. Je eher ich ihrer Gegenwart entfliehen konnte, desto besser würde ich mich fühlen. Ich liebte sie zwar – auf eine verschrobene Art und Weise –, doch dass sie unsere Eltern getötet hatte, nur damit sie den Thron besteigen konnte, würde ich ihr niemals verzeihen. „Was willst du?“ Leonore schnaufte angesichts meines kalten Tons und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Ich zuckte zusammen, weil mich diese Geste zu sehr an mich selbst erinnerte. Schlimm genug, das man uns unter Umständen verwechseln konnte. „So freundlich wie eh und je, Rebecca. Hast du mir denn noch immer nicht verziehen?“ Ich antwortete nicht und ließ stattdessen meine Augen rot aufleuchten, um meinem Schweigen Nachdruck zu verleihen. Die Königin, die nicht älter als zwanzig aussah, verdrehte die Augen und winkte ab. „Lassen wir das. Wir wissen beide, dass dieses Gespräch wohl kaum ein Ende finden würde. Erinnerst du dich noch? Wir haben einmal fünf Jahre lang zusammen in einem Verließ verbracht und diskutiert. Grauenhaft!“ „Leonore“, erwiderte ich warnend, „sag mir endlich was du von mir willst, oder ich gehe.“ Die in Erinnerung schwelgende Miene meiner Schwester wurde schlagartig ernst. Ihr durchdringender Blick kreuzte sich mit dem meinen. „Ich möchte, dass du wieder die Ostgrenze bewachst.“ Ich brauchte nicht lange darüber nachzudenken und sagte entschlossen: „Nein.“ „Und wie du das wirst!“, fauchte sie und bleckte die Fangzähne. „Das war ein Befehl deiner Königin, ich dulde keine Absage!“ Ich verschränkte die Arme und verzog meine Lippen zu einem spöttischen Lächeln. „Du willst mir, deinem eigen Fleisch und Blut, Befehle erteilen? Halte mich nicht für eine Närrin, Schwester.“ Ich zischte das letzte Wort. „Ich bin nicht deine Sklavin und werde dich niemals als meine Königin betrachten!“ Die Königin stieß einen bitteren Fluch aus und schlug mit der Faust auf den Tisch. Das Holz barst unter ihrer Kraft. „Also gut, wie wäre es mit einem Schwur?“, versuchte sie mit einer andere Taktik, als sie merkte, dass sie mit ihrem hochnäsigen Gehabe und den Drohungen nicht weit bei mir kommen würde, und sprang wie eine Katze auf den Eichentisch. „Was für einen Schwur?“, fragte ich misstrauisch und schlich an den Regalen vorbei. Ich strich mit den Fingerspitzen über die Buchrücken, als ob diese mich in Sicherheit vor dieser Bestie bringen könnten. „Solltest du die nächsten fünf Jahre die Grenze für mich bewachen, so wirst du für immer aus meinen Diensten entlassen. Niemand ist so gut wie du, wenn es darum geht zu schützen was dir gehört.“ Ein wirklich verlockendes Angebot, dachte ich und schüttelte sogleich den Kopf. Egal ob ich die Schlossgrenze nun fünf oder hundert Jahre lang bewachen würde, dieser Zeitraum dauerte für mich nicht länger als ein Wimpernschlag. Aber mir bereitete Sorgen, dass Leonore ihr Versprechen nicht halten würde. Früher oder Später, würde sie mich wieder brauchen, denn ohne mich war sie ungeschützt, hilflos. Und ich könnte mich niemals aus ihren Klauen befreien, egal wie sehr ich es wollte. Es gab nur einen Weg einen Vampir auf sein Versprechen festzunageln. „Ich will dein Blut darauf.“ „Traust du mir so wenig?“, fragte Leonore zuckersüß und klimperte mit ihren langen, weißen Wimpern. Ich konnte erkennen, wie ein Muskel in ihrem rechten Augenwinkel zuckte. Musste ich auf diese Frage antworten, wo doch die Antwort so offensichtlich war? Ich wollte sie mir nicht zur Feindin machen, obwohl ich ohnehin nur noch einen Schritt davon entfernt war. „Ruf deinen Zeugen“, sagte ich ruhig und deutete mit einer ausholenden Geste auf die massive Holztür zu meiner Rechten. Wenn zwei Vampire untereinander einen Pakt abschlossen, so war es Gesetz dass man jeweils eine Person aufrief die Zeuge dienen sollte, damit alles mit rechten Dingen zuging. Leonore presste ihre scharlachroten Lippen so fest aufeinander, dass sich diese hellrosa färbten und rief dann mit bissigem Unterton nach ihrer lieblings Sklavin. „Evelyn! Komm her!“ Ein kleines Mädchen, ungefähr sieben – plus über fünfzig Jahre –, schlüpfte durch den Türspalt und marschierte in fließender Bewegung auf uns zu. Mit grimmigem Gesichtsausdruck stellte sie sich neben die Königin und musterte mich mit unverhohlenem Hass. Ihre eisblauen Augen hinterließen beinahe Brandlöcher in meiner Haut. Evelyn Firewall wirkte beinahe schon unschuldig, mit ihren purpurrotem lockigem Haar und den Stirnfransen die fast ihre großen Kinderaugen verdeckten. Kein Mensch würde jemals dahinter kommen, dass es sich hier um das personifizierte Böse handelte, in Form einer kleinen, unschuldig wirkenden Siebenjährigen, die meine Schwester während Zeiten der Pest verwandelt hatte. Seitdem wich dieses kleine Monster nicht mehr von ihrer Seite. „Meine Königin“, flüsterte die ergebene Sklavin und verbeugte sich leicht. „Wie kann ich Euch dienen?“ Auch Oleen hatte es bereits zu uns verschlagen und stellte sich so leise wie ein Windhauch hinter mich. „Mylady? Gibt es ein Problem?“, fragte sie, mit einem kühlen Blick in Richtung der anderen beiden Vampirinnen. Ich schüttelte den Kopf. „Ich brauche dich als Zeugin.“ Die Blondine riss die Augen auf. Ihr musste wohl klar sein, dass wenn es jemals zu einer Auseinandersetzung kommen sollte, sie sich entweder für ihre Königin oder ihre Schöpferin würde entscheiden müssen. Eine schwere Last bürdete ich ihr auf, doch ich wusste, es gab niemanden dem ich mehr vertraute als ihr. Nun ja, auf jeden Fall war sie die letzte die mir ein Messer in den Rücken jagen würde, wenn es hart auf hart kam. „Bereit?“, fragte ich die Beteiligten und erntete nur ungeduldiges Schweigen. Ich biss mir mit meinen spitzen Fangzähnen in die Pulsader und streckte der Königin meine blutige Hand entgegen. Leonore tat es mir gleich und verschränkte ihre Finger mit meinen. „Besiegelt“, sagten wir unisono und blickten abwechselnd zu Oleen und Evelyn, die beide in missmutigem Einverständnis nickten. Eveyln zitterte am ganzen Leib. Ein kleiner Nachteil, als Kind verwandelt worden zu sein. Man konnte sich in Gegenwart von Blut nicht sonderlich gut beherrschen. Ich zog meine Hand aus ihrem unerbittlichen Griff und wischte das Blut an meinem Umhang ab. „Fünf Jahre“, wiederholte ich. „Nicht mehr und nicht weniger.“ Oleen führte mich zur Tür. Ihre Finger zuckten vor Nervosität. „Und lass dich nicht von den Wölfen beißen!“, hörte ich Leonore noch lachen, ehe der Türflügel mit einem lauten Knall ins Schloss fiel. Auf dem Weg in mein Zimmer, leckte ich das Blut von meiner Hand und ergab mich den Nerv tötenden Fragen meines blonden Schützlings. Es bedurfte all meiner Überredungskünste einsetzten, um sie davon zu überzeugen, dass ihr Platz im Schloss war und sie mir keinesfalls an die Grenze folgen sollte. Ich traute Leonore zu, irgendwelche hinterlistigen Fallen zu planen, daher wollte ich dass die kluge Messerwerferin ein Auge auf die Königin und ihr Gefolge behielt. Sie lauerten in jeder Ecke, hinter jedem Schatten, deshalb nannten wir sie auch ‚die Ohren des Schlosses’. Eine einzige falsche Handlung, und ich war so gut wie tot. Kapitel 2: the mind-reading witch --------------------------------- Die fünfzehnmeterhohe Steinmauer, mit oben herausragenden Eisenpfählen und Efeu überwucherten Steinblöcken, war nicht annähernd so eindrucksvoll, wie man vielleicht glauben mochte. Sie diente lediglich zur Abschreckung von Menschen und anderem übernatürlichen Gesindel, die es auf Vampire abgesehen haben mochten – und außer Werwölfen gab es nur sehr wenige davon –, doch wenn einer der Dorfbewohner nicht gerade Todessehnsucht, eine lange Leiter und Übung in Akrobatik hatte, so würde es niemand auch nur wagen das Grundstück zu betreten. Bei den Übernatürlichen wurde es natürlich kniffliger. Vampire konnten keine Bannzauber bewirken oder Magie jeglicher Art ausüben, daher blieb unsere einzige Chance der physische Kampf ums Überleben. In meinen fünfhundert Jahren, war ich bereits zwei Wesenheiten begegnet, die weder Mensch noch Wolf waren, und beide hatte ich nur knapp überlebt. Nephilime und Hydras waren keine zu unterschätzenden Gegner. Doch dank meiner Wenigkeit, und die einer geschulten Soldatengruppierung, wurde die Grenze ausreichend gut überwacht. Einige konnten noch so gut ausgebildet sein, es gab immer Tote. Ob nun Vampir oder Werwolf – es spielte keine Rolle. Wir waren nur die Schachfiguren meiner Schwester, und sie war eine meisterhafte Spielerin. Nebel kroch über den grasbewachsenen Boden, der alle zwei Meter von einem großen Kreuz aus Holz durchstoßen wurde. Die Gräber der Königsfamilie. Vor Jahrhunderten waren wir ein großer Clan gewesen; gespalten in drei Familien – del Mar, Guazatti und Winchester. Wir hätten alle beisammen bleiben können, wenn eine Gruppe von Königsschlächtern – eine vampirische Meuterbande, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, alle aus der königlichen Familie auszulöschen – uns nicht verraten hätte, und damit begonnen hatte, ihre eigene Armee zu erschaffen. Sie hatten einen Weg gefunden Tiere zu verwandeln. Dieser Tag war unser aller Untergang. Die Geburt der Werwölfe. Mit einem kurzen Abstoß sprang ich auf die Mauer und ging sofort in Habachtstellung. Es roch nach Blut. Und Wölfen. Ein Knurren stieg in meiner Kehle auf. Ich sprang von der Mauer und schlich in den Wald, der sich hinter der Grenze erstreckte wie ein Meer aus hölzernen Riesen und somit das Revier der Werwesen markierte. Von weitem konnte ich Vampire ausmachen, die versuchten ihre Beute einzukreisen und sich dabei nicht gerade geschickt anstellten. Wie Trolle, trampelten sie über jeden Zweig und verursachten immer währende Knack-Laute. Durch die Bäume, die mir lästigerweise im Weg standen, konnte ich nicht genau erkennen um wie viele von ihnen es sich genau handelte, aber das war auch unwichtig. Ich würde die Wachposten nun ohnehin ablösen; sollten sich diese doch im Schloss nähren und mich meiner Einsamkeit überlassen, die mir wie ein zweiter Schatten folgte. Ich hielt mich in den dunkelsten Schatten die die Nacht zu bieten hatte, als ich mich den Jägern näherte und mit zusammengekniffenen Augen die Szene beobachtete. Drei Vampire. Zwei Wolfsjungen, kaum älter als zehn. Ein wahres Festmahl für meine Brüder und Schwestern. Aber Wolfsjungen waren tabu, denn es würde die Wölfe nur unnötig provozieren und die derzeitige Lage noch aufheizen. Wie ein Waldbrand, würde ein kleiner Funken schon genügen, um alles in meterhohen Flammen aufgehen zu lassen. Ein Krieg wäre der einzige Ausweg – aber das Ende für beide Rassen. Die drei Vampire, zwei davon hatten dunkles, der andere hellblondes Haar, fletschten schon gespannt die Zähne und lauerten, wie die Vorboten des Todes, den beiden Junge mit den wilden Lockenmähnen auf und ließen ihre Augen bedrohlich aufglühen. Eines der Wolfskinder, mit funkelnden dunkelgrünen Augen, fauchte und stellte sich mutig vor den Kleineren, der sich mit tränenüberströmtem Gesicht geduckt hielt. Beide waren noch jung. Zu jung, um als Vorspeise für Vampire zu enden. In dem Moment, als der hellblonde Vampir auf die Jungen zusprang, wurden diese von mir an den Kragen gepackt und in die Höhe gehoben. Meine Bewegungen waren so schnell gewesen, dass selbst die gewandelten Vampire bei meinem Anblick noch blasser wurden. „Na? Genug gespielt?“, fragte ich in klirrend kaltem Tonfall und fixierte das Trio ungnädig. „Wachablösung. Verschwindet.“ Meine Stimme ließ keinen Widerspruch zu und die beiden Dunkelhaarigen wichen ehrfürchtig vor mir zurück, doch der Hellhaarige, der sich scheinbar für den Anführer hielt, knurrte mich nur verachtend an. „Das ist unsere Beute.“ Die Worte waren nur ein Flüstern, aber unmissverständlich. Meine Lippen wurden schmal bei dieser Respektlosigkeit. „Ich sagte, Ihr sollt verschwinden“, wiederholte ich und ignorierte die strampelnden Leiber, die ich noch immer festhielt. „Lasst unsere Beute los!“, zischte er nun lauter, zog einen Dolch aus seinem Gürtel und rannte in geradezu selbstmörderischer Absicht auf mich zu. Ich seufzte über die Dummheit so mancher gewandelter Vampire und war gleichzeitig überrascht, dass er keine Ahnung zu haben schien, wen er da herausforderte. Es würde ihm rein gar nichts nützen, wenn er mit einem Zahnstocher auf mich losging. Wunden reinblütiger Vampire heilten innerhalb weniger Sekunden, deshalb war es auch so schwer gewesen unsere Familien umzubringen. Die Tatsache allein, dass ein Wesen der Nacht einen Dolch bei sich trug, war völliger Irrsinn. Er musste wohl erst kürzlich gewandelt worden sein, doch warum war er dann an der Grenze postiert? Hatte ihn meine Schwester für entbehrlich gehalten? Es war mir gleich – wenn er nicht gehorchte, würde er ohnehin nicht lange Leben, also zog ich seine Qualen auch nicht in die Länge, sondern warf die Wölfe hoch in die Luft und nutzte diese Gelegenheit um meinem Angreifer in tödlicher Absicht den Kopf abzureißen. Meine Augen glühten rot, als der leblose Körper zu Boden plumpste und der Kopf nur wenige Meter entfernt landete. Ich fing die beiden schreienden Gören auf, die von ihrem haarsträubenden Flug kehrt machten, und warf den übrig gebliebenen Vampiren einen giftigen Blick zu. „Wenn ihr es noch einmal wagen solltet, meinen Worten nicht zu gehorchen, werdet ihr genauso enden wie er.“ Ich deutete mit einem Nicken auf den kopflosen Leib. Mit dem Fuß rollte ich ihnen den Kopf zu. „Nehmt den hier mit und richtet meiner Schwester, eurer Königin, einen schönen Gruß aus.“ Die Vampire waren verschwunden wie der Blitz, als sie erkannten, wen sie so erzürnt hatten und ließen mich mit den beiden Wölfchen alleine. Endlich. Ich setzte die beiden stillschweigend ab und ignorierte das Fauchen und Brüllen, mit dem sie mich zu erschrecken versuchten. „Denkt ihr etwa, ich habe Angst?“, fragte ich sie mit hochgezogener Augenbraue. Der Kleinere, mit den hellbraunen Augen, warf seinem Begleiter einen höchst verwirrten Blick zu und wich einen Schritt zurück. Dieser schien genauso ratlos zu sein, wie er selbst. „Und jetzt wundert ihr euch, dass ich euch nicht umbringe“, riet ich. „Sie liest unsere Gedanken. Sie ist eine Hexe“, hauchte der Ältere mit weit aufgerissenen Augen und ballte seine kleinen Hände zu Fäusten. Der Kleine wimmerte bei dieser Aussage und vergrub sein pausbäckiges Gesicht im Rücken des anderen. Ich lachte über diese Unverfrorenheit, aber ich würde ihnen ihre Illusionen nicht rauben. Je mehr Angst sie vor mir hatten, desto schneller würden sie lernen, dass man mit Vampiren nicht spaßen konnte. Ein lang gezogenes, schrilles Heulen ertönte in der Ferne und ließ alle Anwesenden erstarren. Ein Kälteschauer kroch mir den Nacken hinauf. Jemand rief nach den Jungen. Besser, wenn diese Personen nicht in die Nähe der Grenze kamen, oder mich gar an der Seite der Welpen sahen. Ich war gerade nicht auf einen Kampf aus. Ich wollte meine Ruhe haben, in diesem stillen Wald. Beunruhigt machte ich den Wolfsjungen Platz und sprang auf den schmalen Ast eines Baumes. „Schnell, lauft zu euren Eltern“, säuselte ich wie der Teufel in Person. „Und spielt in Zukunft woanders. Zu diesen Zeiten ist es sehr gefährlich hier draußen.“ Ich zwinkerte den beiden noch einmal zu und rannte wieder zurück zur Steinmauer. Binnen weniger Sekunden war ich wieder an Ort und Stelle, als hätte ich diesen Platz in den letzten fünfhundert Jahren nie verlassen. Mein erkaltetes Herz wurde schwer bei dem Gedanken. Ich mochte diesen Ort nicht – hier stand man stets an vorderster Front und man hatte keine andere Wahl, als um sein Leben zu kämpfen. Entweder man starb im Kampf gegen die Werwölfe oder man wurde von den Vampiren hingerichtet, weil man die Wölfe auf das Grundstück der Königin gelassen hatte. Egal wie man es auch drehte und wendete, die Berufung eines Grenzwächters brachte nur Unheil mit sich. Wenn man an einen Ort postiert wurde, dann meistens auf ewig. Im Grunde hatte ich es ganz allein meiner königlichen Abstammung zu verdanken, lebend wieder ins Schloss zurückkehren zu dürfen. Andere hatten da weniger Glück. Während eines solchen Zeitraumes, wie ich ihn erdulden musste, wurden Gefühle stumpf. Ich fühlte weder Freude, noch Hass, einfach gar nichts. Ich blieb leer und kümmerte mich einfach um meine Aufgaben, doch irgendwann konnte selbst ich mir nicht mehr einreden, dass der Krieg zwischen den Rassen irgendeinem Nutzen diente. Warum also kämpfte ich? Warum blieb ich? Ich wusste es nicht. Wahrscheinlich lag es daran, dass diese Personen, die ich kaum kannte und mir im tiefsten Inneren meiner Seele furchtbare Angst einjagten, die einzigen Lebewesen waren die mich akzeptierten wie ich war. Reinblütig. Gefährlich. Durstig. Und vollkommen allein. Kapitel 3: the unwelcome newcomers ---------------------------------- Noch vor Sonnenaufgang war ich wieder im sicheren Bereich der Vampire und wollte nichts lieber tun als mich in meinem Bett zu verkriechen, doch kaum hatte ich einen Schritt in das Schloss gemacht, da war auch schon Oleen an meiner Seite und fragte mich nach zwei Vampiren aus, die meiner Schwester einen abgerissenen Kopf vor die Füße gelegt und ihr einen schönen Gruß übermittelt hatten. „Sie war sehr wütend, Mylady. Was habt Ihr euch nur dabei gedacht?“, flüsterte die Messerwerferin ehrfürchtig und folgte mir im Laufschritt, ehe ich ihr die Tür vor der Nase zuknallte, weil ich keine Notwendigkeit darin sah, mich vor ihr zu rechtfertigen. Der Durst brannte in meiner Kehle wie lauter kleine Feuerameisen, als ich mich auszog und unter die Bettdecke schlüpfte. Als Reinblüterin brauchte ich regelmäßig Blut. Die Gier konnte ich noch im Zaum halten, doch sie kam oft genug um mich tagtäglich zu quälen. Ich würde vielleicht noch zwei Nächte lang durchhalten können, aber für meine Aufgabe brauchte ich Kraft und ich rechnete bereits damit, morgen von einer Horde Werwölfe Besuch zu bekommen. Ob die Kleinen wohl bereits ihre Eltern gefunden hatten? Wie immer wurde ich, pünktlich zu Sonnenuntergang, von einem leisen Klopfen aufgeweckt und stand leicht benommen aus dem Bett. „Mylady Rebecca? Eure ehrwürdige Schwester Leonore, Königin der Vampire und Schlächterin der Werwölfe, wünscht Euch im Speisesaal vorzufinden, bevor Ihr zurück auf Euren Posten geht“, drang eine Fistelstimme von der anderen Seite der Tür zu mir her, deren Nachricht mich erschaudern ließ. Ein Essen mit meiner Schwester. Lieber würde ich mir einen Dolch ins Herz rammen lassen – was wahrscheinlich auch der Fall sein würde, sollte ich nicht dort aufkreuzen. Missmutig zog ich mir eine Hose an – damit ich mich auch bewegen konnte, wenn ich um mein Leben rang –, meine braunen Lederstiefel mit Schnallen und zog mir dann meinen langen dunkelroten Mantel mit Kapuze, über meine weiße Bluse mit einem Korsett darüber, an. Sicherheitshalber verstaute ich noch zwei Messer mit einer gewellten Klinge aus Silber in meinen Stiefeln und band mir eine schwarze Peitsche um die Hüfte. Letztendlich kümmerte ich mich noch um meine wallenden Haare. Um sie zu bändigen, flocht ich sie zu einem langen Zopf und steckte sie mir, mit glänzenden Nadeln und Spangen, hoch. Widerwillig marschierte ich in Richtung Speisesaal, durchquerte dabei viele Räumlichkeiten und Gänge, wobei ich hin und wieder einigen verschreckten Vampiren begegnete, die mich entweder mit unverhohlenem Hass oder Neugierde musterten. Bewunderung lag kaum in ihren schwarzen, ausdruckslosen Augen. Es war nicht zu übersehen, wem ihre Treue galt. Mit durchgestrecktem Rücken und steif nach unten gezogenen Schultern, öffnete ich die Türe und schlüpfte schnell in den Speisesaal. Das Licht des Mondes, dass durch die ganze verglaste Wand links von mir, eindrang, strahlte heute Abend unglaublich hell und machte es überflüssig Kerzen anzuzünden, obwohl wir sie ohnehin nicht benötigt hätten. Zwei Vampire hatten sich in schwarzen Umhängen neben der in der Mitte sitzenden Königin postiert und hielten den Kopf gesenkt, so dass ich keinen Blick auf ihre Gesichter erhaschen konnte. Leibwächter waren äußerst unangenehme Zeitgenossen. „Rebecca, wie pünktlich du doch bist.“ Mit einem hämischen Kräuseln der blutroten Lippen, deutete Leonore mit ihrem Glas auf den Sitzplatz am anderen Ende des langen Tisches. „Setz dich doch, Schwester.“ Ohne den Blick von ihrer erhabenen Gestalt abzuwenden, ließ ich mich auf den Thron ähnlichen Sessel sinken. Vor mir, nur zehn Zentimeter von mir entfernt, stand ebenfalls ein Weinglas, aber anstatt mit Rotwein, war es mit Blut gefüllt. Mit Blut, dessen Geruch mir süße Verführungen zuflüsterte und deren Farbe mich zu hypnotisieren vermochte. Vorsichtig legte ich meine zittrigen Finger um das Glas, doch noch wagte ich es nicht, die warme Flüssigkeit zu kosten. Sie stammte frisch aus der Quelle. Höchstens zwei Minuten alt. Welch eine Verschwendung wenn ich mich nicht erbarmte ... aber schließlich saß ich mit meiner Schwester an einem Tisch. Und wie sie mich fixierte, passte mir gar nicht. Das Blut könnte vergiftet sein, kam es mir in den Sinn und verwarf diesen dummen Gedanken sofort wieder. Wenn dies der Fall hätte sein sollen, dann hätte sie sich kaum die Mühe gemacht, einen Eid abzulegen, um mich an ihre Dienste zu binden. Allerdings tat man immer gut daran, etwas paranoid zu sein. „Warum hast du mich herbestellt, Leonore?“, fragte ich sachlich und stellte das Glas zurück auf den Tisch. Mit den Fingerspitzen schob ich es noch ein gutes Stück weiter von mir weg. Ich würde Frederique und Lucius darum bitten müssen, mir noch vor meinem Verschwinden einen Menschen bringen zu lassen. Mein Durst war stärker, als ich gedacht hatte. „Was für eine nette … Geste, du dir doch ausgedacht hast, liebste Schwester. Für deine Verhältnisse“, fügte sie noch hinzu und nahm einen weiteren Schluck. Sicher spielte sie auf den abgetrennten Kopf an, den ich ihr hatte überbringen lassen. Die Männer hinter ihr bewegten sich keinen Millimeter. „Ja“, stimmte ich zu. „Das hatte ich mir auch gedacht, nachdem er versucht hatte mich anzugreifen.“ Die Vampirin zog eine ihrer perfekten Augenbrauen in die Höhe und brach in Gelächter aus. Ihre Leibwächter zuckten zusammen. „Interessant wie du die Dinge regelst. Und ich dachte bereits, wir hätten nichts gemeinsam.“ Mir wurde übel bei dem Gedanken irgendwelche Parallelen zu ihr aufzuweisen, aber ich zwang mich, mir nichts anmerken zu lassen. Diese Genugtuung würde ich ihr nicht geben. „Gibt es sonst noch etwas, worüber du mit mir sprechen wolltest? Oder habe ich bereits genug für dein Amusement getan?“ „Hmm, ja, da war allerdings noch etwas.“ In ihren Augen blitzte der Schalk auf. „Von nun an wird Evelyn mit dir die Ostgrenze bewachen, sei also so gut und versuch nicht sie in Stücke zu reißen.“ Ich versuchte erst gar nicht ein Knurren zu unterdrücken. „Dieses Biest hat an der Ostgrenze nichts zu suchen!“ „Oh, da wäre ich mir nicht so sicher“, blaffte Leonore zynisch. „Glaube nicht, dass ich dir blind vertraue nur weil wir verwandt sind, Rebecca, denn ich weiß, dass deine Loyalität schon lange nicht mehr mir gilt. Du bist nur dir selbst wichtig, seitdem––“ „Genug! Kein einziges Wort mehr!“, beendete ich dieses Gespräch, indem ich mich erhob und zur Tür eilte, vor der ich noch einmal kurz inne hielt, es aber nicht wagte mich umzudrehen und in die leuchtend roten Augen meiner Schwester zu blicken, die genau wusste, wie sie mich verletzten konnte. Derart furchtlos waren selbst die edelmütigsten Krieger nicht. „Sollte“ – ich knirschte mit den Zähnen – „Evelyn auch nur einen Fuß auf mein Gebiet setzten, wirst du von ihr noch nicht einmal mehr den Kopf wiederfinden.“ „Ist das eine Drohung?“, fragte die samtene Stimme, als stünde sie direkt hinter mir und hauchte mir kalten Frost auf den Nacken. „Nein. Nur eine Warnung“, erwiderte ich ebenso kalt und stolzierte erhobenen Hauptes hinaus, obwohl ich mich so klein wie eine Maus fühlte. Auf dem Weg in meine Gemächer begegnete ich dem Teufel. Oder besser gesagt, der Teufelin mit den roten Haaren und dem Blick, der Tote vor Schreck zum Leben wieder erwecken könnte. Das kleine Mädchen blickte mich von unten hinauf an – in ihren Augen lag die brodelnde Verachtung, mit der ich oft genug Bekanntschaft gemacht hatte und es nicht noch einmal darauf anlegte, das Schwert gegen sie zu erheben. Damals, als sie sich eben erst Leonore angeschlossen hatte und ich deswegen – mit der Naivität einer liebenden Schwester – eifersüchtig wurde und sie zum Duell herausgefordert hatte, hätte mir das kleine Monster beinahe den Kopf abgerissen. Dabei hätte ich doch wissen müssen, dass Evelyn dank dem Blut meiner Schwester, um einiges mächtiger war als die anderen frisch gewandelten Vampire. Schlussendlich hatte ich dennoch gesiegt und ihr jämmerliches Leben als Schoßhündchen meiner Schwester verschont. Mittlerweile bedauerte ich es zutiefst. Die Rothaarige verschwand um eine Ecke, ohne mich auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. „Mylady?“, fragte eine mir allzu bekannte Stimme und ich drehte mich um, um den Vampir mit den langen braunen Haaren, die er mit einem blauen Band im Nacken zusammen gebunden hatte und den schwarzen Augen, die leer auf einen Ort hinter mir starrten, zu begrüßen. „Lucius“, sagte ich und entdeckte Frederique hinter ihm, flankiert von zwei dunkelblonden Vampirinnen mit fülligen Körpern, die ausschlossen, dass diese beiden zu ihren Lebzeiten jemals ein Schlachtfeld auch nur von nahem gesehen hatten. Auch ihnen nickte ich leicht zu und machte einen Schritt vorwärts. Die Vampirin, die sich rechts in Frederiques muskulösen Arm eingehakt hatte, machte unmerklich einen Schritt zurück. Ich musste an mich halten, um nicht zu grinsen und sie noch mehr in die Enge zu treiben. Ich hob eine Hand. Die beiden Vampirinnen verschwanden, als hätte ich ihnen eröffnet ihre molligen Kadaver den Ratten zum Fraße vorzuwerfen. Frederique, dessen welliges Haar wie ein Vorhang über seine linke Gesichtshälfte fiel, stellte sich neben Lucius und verbeugte sich. Die beiden waren kaum älter als ich, standen aber stets an meiner Seite wenn ich sie brauchte. Dennoch würden sie sich niemals gegen die Königin stellen. Das wäre Hochverrat und würde mit dem endgültigen Tode bestraft. So viel also zum Thema ‚sie waren da wenn man sie brauchte‘. „Bringt mir einen Menschen auf mein Zimmer“, bat ich klanglos und schlenderte an ihnen vorbei. „Sehr wohl, Mylady“, sagten die beiden in tiefem Bariton und eilten dann in den Kerker, in denen sich die Gefangenen meiner Schwester tummelten. Sie hatte eine ziemlich eigene Vorstellung was ‚Haustiere’ anbelangte. Gelangweilt und gesättigt lag ich mit geschlossenen Augen auf einem Baumstamm, dessen Rumpf noch halb an den Wurzeln hing und den Stamm deshalb schräg über den Boden hielt. Die Magd, die Lucius und Frederique mir gebracht hatten, war abgemagert gewesen und hielt sich kaum noch am Leben. Kaum etwas, aus dem man viele Nährstoffe ziehen konnte, aber es würde reichen. Entweder meine beiden Vampire waren im Kerker auf meine Schwester getroffen, die ihnen befohlen hatte mir das magerste Ding mitzubringen, das sie hatten, oder dort unten gab es tatsächlich kaum noch Überlebende. Ich erschauderte bei der Erinnerung an den dunklen, feuchten Keller, der sich als Tunnelsystem unter dem Schloss verborgen hielt. Die Schreie, die ich damals als Kind wahrgenommen hatte, hallten mir noch immer in den Ohren nach. Die verstümmelten Leichen und zerfetzten Körper hatten mich wünschen lassen ich wäre blind. Doch am schlimmsten war der Geruch. Verdrecktes Blut. Verbranntes Fleisch. Der Duft des Todes. Das Knacken eines Astes ließ mich in Alarmbereitschaft, mit der Hand an meiner Peitsche, aufspringen. Ich rümpfte die Nase, als mir der unverwechselbare Geruch eines Werwolfs entgegen wehte. Sie verirrten sich für meinen Geschmack viel zu oft hierher. „Zeigt Euch“, befahl ich. Ein ungewohnter Laut hallte von den Bäumen wieder. Ein langsames Händeklatschen. Irritiert starrte ich den Wolf in Menschengestalt, der scheinbar schutzlos hinter einem Baum hervor trat, fassungslos an. Wieso bemerkte ich ihn nicht schon eher? War ich derart in Gedanken versunken gewesen? „Wer seid Ihr?“, fragte ich mit monotoner Stimme. „Komisch, mir lag dieselbe Frage auf der Zunge“, meinte der Fremde und musterte mich eingehend. Ich war es nicht gewohnt, dass man mich so direkt ansah, da die meisten den Blick senkten oder einfach durch mich hindurch schauten. Er schien nicht daran interessiert zu sein die Grenze zu überqueren, sonst hätte er es längst versucht, also würde ich auch nicht einschreiten müssen. Und was wenn er zu mir wollte? Ich überdachte diese Idee und schüttelte innerlich den Kopf. Lächerlich. Der Werwolf legte den Kopf schief, wobei ihm einige haselnussbraune Haarsträhnen ins Gesicht fielen. „Willst du mich nicht angreifen?“ Ich kniff abschätzend die Augen zusammen. Es gefiel mir nicht sonderlich, dass er es sich herausnahm mich so persönlich anzusprechen. Als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen. Allerdings hatte ich auch nie wirklich ein kleines Plauderstündchen mit Werwölfen, also woher sollte ich wissen, ob nicht alle so sprachen? „Der Gedanke ging mir durch den Kopf“, antwortete ich zynisch und wartete in Wirklichkeit nur auf einen triftigen Grund um ihn töten zu können. Der Mann, mit dem kantigen Gesicht und den listigen Augen eines Fuchses, grinste und machte einen Schritt auf mich zu, den ich sofort als Angriff interpretierte. Aus reinem Reflex packte ich meine Peitsche und warf sie schnalzend nach ihm. Das schwarze Haar umschlang seinen linken Fußknöchel, und noch in derselben Sekunde schleuderte ich den Griff über einen dicken Ast und fing ihn auf der anderen Seite wieder auf. Mit einem kräftigen Ruck meinerseits wurde der Werwolf in die Luft gerissen und schwang nun kopfüber – sein freies Knie angewinkelt wie eine verkehrte 4 – hin und her. „Oh, das war jetzt aber unnötig“, war sein tadelnder Kommentar dazu. Hatte er denn keine Angst? War er nicht wütend? Meine Verwirrung muss mir ins Gesicht geschrieben gewesen sein, denn der Mann in den kurzen Hosen und mit nacktem Oberkörper, seufzte theatralisch und verschränkte die Arme, was in seiner momentanen Position alles andere als autoritär wirkte. „Willst du mich nicht runterlassen?“ Ich schnaufte. „Nicht in nächster Zeit. Zuerst nennt Ihr mir Euren Namen.“ „Tristan“, antwortete er abschätzend. Er verspannte sich und ich konnte praktisch hören wie er mit den Zähnen knirschte. Ich fragte nicht nach, ob das wohl sein richtiger Name war, denn im Grunde spielte es keine Rolle. Feind war Feind. „Und deiner?“ Wieder war ich kurz davor mein Gesicht zu verziehen. So wie er sich in meiner Gegenwart verhielt, nahm ich nicht an, dass er mich mit der Vampirkönigin in Verbindung brachte und damit das auch so blieb, sagte ich: „Becca.“ Der Wolf hob seine dunklen Augenbrauen, als klang der Name viel zu gewöhnlich für jemanden wie mich. „Also gut, Becca. Bist du die Hexe?“ Ich legte den Kopf fragend schief und wartete auf eine Erklärung. Er wusste doch, dass ich eine Vampirin war, oder? Der Mann räusperte sich. Obwohl sein Gesicht langsam rot anlief, zeigte er in dieser Hinsicht keinerlei Regung und formulierte seine Frage anders: „Bist du die Frau, die die beiden Wolfsjungen verschont hatte?“ „Und wenn ich es wäre?“, fragte ich argwöhnisch. Ich fühlte mich unwohl bei dem Gedanken mit einem Werwolf – meinem Todfeind – zu plaudern, wo wir uns doch eigentlich bis auf das Blut bekämpfen sollten. Der, der sich Tristan nannte, zog die Augenbrauen zusammen. „Ja oder nein?“ Ich verdrehte die Augen. „Schon möglich“, murmelte ich, was wohl Antwort genug für den Werwolf war. Überraschend hörte ich meine Peitsche reißen, als hätte der Wolf lediglich einen Wollfaden zerrupft und wurde von zwei starken Armen zu Boden gerissen. Er ist flink, schoss es mir durch den Kopf und ließ mich wieder zu Besinnung kommen. Blitzschnell und in fließender Bewegung rollte ich mich auf ihn drauf und zog eins der Messer aus meinem Stiefel, das ich ihm an die Kehle drückte. Zischende Rauchfäden stiegen von seiner Haut auf. „Nicht – bewegen“, wies ich ihn zornig an. Mit dieser Aktion hatte er nicht gerade meine Sympathien geweckt. Im Gegenteil. Ich hatte jetzt nicht schlecht Lust ihn umzubringen wie es dieser bösartige, gnadenlose Teil in mir verlangte, aber mein rationaler Verstand hatte noch immer die Überhand. Seine Atmung blieb ruhig. Für meinen Geschmack schien er sich seiner eine Spur zu sicher zu sein. Wie dumm von ihm. „Allein die Tatsache, dass Ihr mich angegriffen habt, wäre Grund genug um Euch zu töten“, teilte ich ihm meine Gedanken laut mit. Um seine Mundwinkel zuckte es. „Und warum tust du es dann nicht?“ Diese Aussage irritierte mich sogar noch mehr als alles Vorhergegangene, weil ich nicht wusste wie ich sie beantworten sollte. Warum konnte ich mich nicht einfach seiner entledigen? Hatte ich mich zu lange im Schloss verkrochen und vergessen, wie man sich gegenüber einem Werwolf zu verhalten hatte? Oder wollte ich mich so sehr von meiner Schwester abheben, dass ich sogar dazu bereit war einem Wolf das Leben zu schenken? „Außerdem hatte ich nicht vor, dich zu töten“, fügte er hinzu. „Es war nur eine Prüfung.“ „Was für eine Prüfung?“, fragte ich, nicht überzeugt von seiner unschuldigen Absicht. „Ob du genauso bist wie die anderen, oder nur so tust.“ Seine Hand bewegte sich auf mich zu und ich schnitt ihm als Warnung ein kleines Andenken in den Hals. Keinesfalls eingeschüchtert, legte er sie auf meine Wange. Die Hitze brannte wie Feuer auf meiner Haut. Ich versuchte den Schmerz wegzublinzeln, doch vergebens. Zu lange hatte ich ohne Berührung gelebt, als dass ich dieses Gefühl jetzt einfach hätte wegstecken können. „Schluss damit“, flüsterte ich, nicht sicher ob ich es auch wirklich wollte. Wie lange war es her seit mit jemand angefasst hatte? Jahre? Dekaden? Auf jeden Fall so lange, dass ich mich nicht mehr daran erinnern konnte. Anstatt zu tun, was ich ihm befiel, wanderte seine Hand von meiner Wange in meinen Nacken und drückte meinen Kopf soweit runter, dass meine Stirn fast seine berührte. Meine Finger verkrampften sich um den Griff meines Messers, aber ich ließ es gestehen, weshalb auch immer. Hatte dieser Mann denn keinen Überlebensinstinkt? Und wenn wir schon einmal dabei waren, hatte ich keinen? Ich hatte mich nie in solch einer Situation befunden, und konnte scheinbar nicht allzu gut damit umgehen. Vielleicht wäre Evelyn doch ganz nützlich gewesen. „Was habt Ihr vor?“, fragte ich und versuchte nicht allzu verschreckt zu klingen. „Ich will mich bedanken“, hauchte Tristan und hob den Kopf in Erwartung eines Kusses, doch das war der Moment indem ich von ihm fort sprang, als wäre er ein Berglöwe der sein Maul aufriss um mich zu verschlingen. Mein Herz raste mir in der Brust, eine etwas verstörende Besonderheit der Reinblüter. Wir waren nicht direkt tot. Wir waren lebendig, unsere Haut war relativ warm und wir konnten sogar Tränen vergießen. Sinnlose Kleinigkeiten, wie ich fand. Und in eben solchen Moment verfluchte ich meine Abstammung. Es wäre mir sehr gelegen gekommen genauso leblos zu sein wie meine unreinen Artgenossen, dann müsste ich mir keine Gedanken darüber machen, ob der Wolf meine Reaktion bemerkte und als Schwachpunkt sah. „Verschwindet!“, fauchte ich Tristan an, der sich mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht aufrappelte. Wie schön, dass sich wenigstens einer hier amüsierte. Es sprach doch nichts gegen ein bisschen Spaß, indem man eine Vampirin auf die Schippe nahm, nicht wahr? „Du bist wirklich interessant, Becca“, sagte der Wolf, sichtlich amüsiert über meine Reaktion. Ich unterdrückte einen Fluch. Er hatte mich überrumpelt, das war alles. Es würde nie wieder vorkommen und sollte er es doch versuchen, würde er Bekanntschaft mit meinen Fangzähnen machen. „Es wäre klüger wenn Ihr verschwindet.“ „Eine Frage noch“, bat Tristan mit schief gelegtem Kopf. „Warum hast du die Kinder am Leben gelassen? Ihr Vampire seid nicht gerade Heilige.“ Diese Frage war leicht zu beantworten. „Es ist meine Aufgabe die Grenze zu schützen. Nicht mehr und nicht weniger.“ „Das beantwortet nicht meine Frage.“ „Eine bessere werdet Ihr auch nicht bekommen.“ Das schien er mir zu glauben, denn er zwinkerte mir noch ein letztes Mal zu, ehe er auf die Knie fiel und begann sich zu verwandeln. Nur wenige Vampire – ich hatte bis heute Nacht nicht dazu gehört – hatten jemals die Verwandlung in einen Werwolf miterlebt, doch den Gerüchten nach musste es sehr schmerzvoll sein. Ich konnte seine Knochen brechen und seinen Kiefer knacken hören, als sich sein Körper veränderte, größer wurde. Ein leicht bläulicher Schimmer lag auf seiner Haut, und einige Sekunden später auf seinem goldbraunen Fell, von dem ich nicht wusste ob es vielleicht nur an dem Vollmond lag, der uns heute Nacht Gesellschaft leistete. Tristans Beine wurden länger, ebenso seine Arme, aus denen Furcht erregende Klauen wuchsen. Sein breiter Rücken krümmte sich leicht und sein Kopf nahm die Gestalt eines riesigen Wolfes an. Ohne dass ich es richtig mitbekommen hatte, hielt ich plötzlich meine beiden Messer in den Händen. Mir wurde bewusst, dass meine Bereitschaft ihn in dieser Gestalt zu töten um einiges größer war, sollte es zu einem Handgemenge kommen. Mit einem Schuss könnte ich unter Umständen sogar sein Herz treffen, fragte sich nur, ob das Silber ihn schnell genug hinwegraffen würde, bevor er sich das Messer wieder herausziehen konnte. Bevor ich meinen endgültigen Entschluss fassen konnte, blinzelte mich der Wolf, dessen Augen zu menschlich für mich wirkten, mit herausgestreckter Zunge an, gab ein kurzes Jaulen von sich und verschwand hinter dem schützenden Schleier der Dunkelheit. In den ersten Minuten konnte ich nicht anders als ihm hinterher zu starren und zu hoffen das es weder eine Falle war, noch das er versuchte Verstärkung zu holen. Nichts geschah, und erst dann ließ ich meine Waffen wieder sinken und schlenderte zur Mauer begab, um mich meinen Amok laufenden Gedanken hinzugeben. Ich hatte mich gerade mit einem Werwolf unterhalten, ohne dass wir uns gegenseitig an die Kehle gegangen waren. Eine merkwürdige Nacht. Und wie es aussah war sie noch nicht vorbei. Etwa zwei Stunden später hörte ich wieder das tiefe Grollen eines Werwolfs, die sich in letzter Zeit viel zu oft in meine Nähe trauten. Es war nicht Tristan, dass erkannte ich bereits an dem beißendem Geruch von totem Fleisch, der mir ins Gesicht wehte. Dieser Wolf hatte gerade Vampire getötet. Ich hoffte nur, es war niemand von den anderen Grenzen, die von wesentlich mehr Vampiren bewacht wurden, was aber nicht hieß, dass sie auch stärker waren. Ich stellte eine Ausnahme dar. Schnell, stark, Kriegserfahren und sehr, sehr schwer zu töten. Mit meiner eingerollten Peitsche in der Hand schlich ich mich in den finsteren Wald, der jegliches Licht verschluckte und gab mein Bestes zwischen Schatten und Bäumen zu unterscheiden, während ich gleichzeitig versuchte diesen nächtlichen Besucher zu erspähen. Hinter mir zerbrach ein Zweig, ein warmer Atemhauch strich über meinen Nacken. Ich wirbelte herum und wollte auf das pelzige Monster einschlagen, doch da war nichts außer Luft. Dann ließ das sanfte Rascheln von Blättern meinen Kopf nach rechts zucken und diesmal sah ich ihn. Glühende türkisfarbene Augen die mich aus einem massigen Körper mit langer Schnauze anstarrten. Mit seinem schwarzen Fell tarnte er sich perfekt in der Finsternis, wurde zu einem einzigen großen Schatten, der die Ausmaße eines ausgewachsenen Hengstes hatte. Jedoch mit einem Maul, das meinen Schädel ohne große Anstrengung wie eine Walnuss aufknacken könnte. Ohne auf eine weitere Beschreibung einzugehen, warf ich die Peitsche weg – die bei einem so riesigen Wolf ohnehin nutzlos gewesen wäre – und griff sofort zu den Messern, die ich gezielt nach ihm schleuderte. Trotz seiner Größe schaffte er es dennoch auszuweichen, duckte sich und sprang im nächsten Augenblick auf mich zu, erwischte jedoch nur den Baum als ich mir zur Seite rollen ließ. Seine monströsen Krallen hinterließen tiefe Furchen im Holz. Er war schnell, als er mit seinen vielen Fangzähnen nach mir schnappte, aber ich war schneller. Mit dem Fuß verpasste ich ihm einen Tritt gegen den Unterkiefer, der seinen Kopf nach oben schnellen ließ, was ihn aber nicht lange aufhielt und mir keine Gelegenheit gab auszuweichen, als er diesmal einen Hieb mit seinen Krallen verpasste. Ich schrie nicht, da sich die tiefen Wunden beinahe sofort wieder verschlossen. Ich hatte schon Schlimmeres durchgestanden, auch wenn diese Kratzer wie die Hölle brannten. Ich stieß mich von einem Baumstamm ab, um nach dem Schwung aufwärts, auf seinen haarigen Rücken zu springen. Der Werwolf brüllte so laut, dass es mir durch Knochen und Mark ging, als ich mit rot gewordenen Augen meine tödlichen Fangzähne in seinen dicken Hals stoßen wollte, um mit einem sauberen Biss seine Herzarterie zu trennen. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass sich das Biest auf den Rücken fallen ließ und mir mit seinem Gewicht sicher einige Rippen und einen Teil der Wirbelsäule brach, ganz zu schweigen von den Quetschungen an meiner Lunge. Ich keuchte und versuchte mich von diesem Rückschlag nicht behindern zu lassen, aber nach meiner schnellen Genesung bemerkte er trotzdem, dass ich um einiges langsamer geworden war. Wenn ich nicht besser aufpasste, könnte das mein Todesurteil bedeuten. Ich fauchte und sprang in Richtung der Dolche, die nach seinem Ausweichmanöver in einem Baumstamm feststeckten, doch ich schaffte es nur ein einziges Messer herausziehen, bevor der schwarze Werwolf mich von der Seite erwischte und zu Boden riss. Mein Kopf schlug auf einer dicken, hervorstehenden Wurzel auf und nach einem kurzen Knacke-Laut setzte der Schwindel ein, der mich für die Zeit außer Gefecht setzte, die der Werwolf brauchte um meine Arme mit seinen Teller großen Tatzen bewegungsunfähig zu machen. Ich blinzelte den Schmerz fort, der meine Wirbelsäule hinab schoss und versuchte mich gegen die Bestie zu stemmen, was seine Krallen nur noch tiefer in mein Fleisch trieb. Ein selten gespürter Druck legte sich auf meine Brust und ich glaube ich war einfach zu stolz, um mir einzugestehen, dass es sich dabei wohl um Angst handelte. Er war zu stark. So stark, wie ich es vorher noch nie bei einem Werwolf erlebt hatte. Ich würde sterben. Diese Vorstellung packte mich mit solch erstaunlicher Gleichgültigkeit, dass ich einige Sekunden brauchte, um zu realisieren wie der Wolf keine Anstalten machte mir die Kehle durchzubeißen und mich stattdessen musterte, als wäre ich ein festgenagelter Schmetterling. Für einen kurzen Moment war ich vollkommen gefangen von diesem Anblick tödlicher Schönheit. Die Kaltblütigkeit, die sich in seinen türkisen Augen wiederspiegelte. Der reine Duft von Schnee, der an ihm haftete. Der Kopf des Werwolfes kam näher und ich spannte mich an, erwartete den Schmerz sobald er meine Kehle zerfetzte, doch seine kalte Schnauze drückte sich lediglich gegen mein Schlüsselbein und atmete tief ein. Sein Fell stellte sich auf, er schloss die Augen und ein Schütteln ging durch seinen Körper. Ich packte die Ablenkung beim Schopf, befreite meine linke Hand – natürlich nicht ohne erheblichen Schaden davonzutragen –, umfasste mit blutigen Fingern den Dolch, der neben mir gelandet war und trieb ihn tief in die Brust meines Angreifers. Der Werwolf knurrte, so dass ich einen herrlichen Blick auf seine fingerlangen Fangzähne hatte und mir ziemlich sicher war, mein Schicksal besiegelt zu haben, doch zu meiner endlosen Überraschung ließ er von mir ab und verschwand in den Schatten des Dickichts genauso schnell wie er gekommen war. Ich blieb auf dem kalten Boden liegen und versuchte zu begreifen, warum ich noch immer am Leben war, bis ich das bekannte Kribbeln auf meiner Haut spürte, das den Sonnenaufgang ankündigte. Ich erhob mich schwerfällig und ging zurück zum Schloss. Auf halbem Weg murmelte ich: „Er hat meinen Dolch mitgenommen. Den will ich wieder.“ Kapitel 4: the golden necklace ------------------------------ In der nächsten Nacht war ich bis an die Zähne bewaffnet. Weil diese leuchtenden Wolfsaugen immer wieder vor meinem inneren Auge auftauchten, wollte ich erst gar nicht an die Grenze zurückkehren, aber ich weigerte mich Angst zu empfinden, musste mir aber gleichzeitig eingestehen, dass es kein Wunder war, dass ich verloren hatte. Ich hatte noch nicht einmal ein Schwert bei mir getragen! Meine Selbstüberschätzung hätte mich beinahe mein Leben gekostet, doch einen guten Dienst hatte mir der Schattenwolf dennoch erwiesen. Er hatte mich wieder daran erinnert, was für Monster Werwölfe eigentlich waren. Daher kam es mir sehr gelegen, als Tristan in der nächsten Nacht wiederkam. Entspannt und schutzlos schlenderte er auf die Grenze zu, wo ich ihn bereits mit meinem geschliffenen Schwert erwartete. Abwartend saß ich auf einem Ast und in dem Moment, als er einen Fuß außerhalb des Waldes setzte, sprang ich direkt vor ihn und schleuderte ihn gegen einen Baum. Bevor er auch nur begreifen konnte was passierte, war ich bereits wieder bei ihm und drückte ihn mit einer Hand gegen den Stamm, mit der anderen drückte ich ihm das Silberschwert an die Kehle. „Es war ein Fehler hierher zukommen“, zischte ich. „Letzte Nacht habt Ihr Euer Todesurteil besiegelt. Sprich, wer war es?“ Tristan blieb völlig ruhig, ein wahres Musterbeispiel an Selbstbeherrschung, nur eine tiefe Falte zeichnete sich zwischen seinen Augenbrauen ab. „Wovon redest du, Becca?“ „Spielt nicht den Unschuldigen“, knurrte ich und bohrte meine Nägel tiefer in seine Haut. „Ich spreche von dem Köter, der mich gestern angegriffen hat. Also, sagt mir auf der Stelle was das war oder ich schwöre, ich werde Euch hier und jetzt in so viele Stücke schneiden, dass Euer Volk Monate damit verbringen wird, wieder alles von Euch einzusammeln.“ „Becca, ich habe keine Ahnung wovon du sprichst.“ Er packte die Klinge meines Schwertes und versuchte sie wegzudrücken. Sofort zischte seine Haut und ein Rinnsal von Blut floss die Schneide hinab. Ich stemmte mich gegen ihn, um das Schwert möglichst in seiner Nähe zu behalten, doch die Klinge zitterte nun direkt zwischen uns. „Ihr seid ein Lügner, Tristan“, erwiderte ich kalt, ließ plötzlich locker und sah zu wie der stämmige Mann mit dem Gesicht nach vorne fiel. In einer schnellen Bewegung fixierte ich ihn mit dem Schwert, das ich ihm durch die Schulter rammte, und drückte ihn mit einem Fuß fest auf den Boden. Schon besser, dachte ich, zufrieden mit mir selbst. Ich hatte mich gestern derart hilflos und schwach gefühlt, dass in mir nun pure Freude aufstieg, als ich meine Dominanz demonstrieren konnte. Ich fühlte mich stark. Unbezwingbar. Er verzog das Gesicht zu einer gequälten Grimasse, gab aber weder einen Laut von sich, noch versuchte er sich zu wehren. Als versuchte er ein wildes Tier zu beruhigen. „Wollt Ihr sterben?“, fragte ich ärgerlich. „Warum kämpft Ihr nicht?“ „Weil du das nur als Beweis für meine Schuld ansehen würdest“, keuchte er. „Ich habe nichts mit dem Angriff auf dich zu tun.“ Ich kniff die Augen zusammen. Er klang ehrlich, doch das musste in der Regel gar nichts bedeuten. Allerdings wäre er entweder lebensmüde oder einfach nur dumm, wenn er hier noch einmal aufkreuzte, sollte er doch etwas mit dem Schattenwolf zu tun haben. Es wäre klüger – und vor allem einfacher – wenn ich ihn einfach köpfte. Dann wäre der Spuk mit ihm vorbei und ich könnte mich besser darauf konzentrieren, die Grenze vor dem Schattenwolf zu schützen. Ich stieg von ihm runter und zog ihm das Schwert aus der Schulter. „Hört auf hierher zu kommen. Bleibt weg.“ „Erst wenn ich weiß, was dich so besonders macht“, erwiderte er und setzte sich auf. „Ich bin nur eine Grenzwächterin.“ Bis auf die Tatsache das ich nicht gewandelt worden und königlichen Blutes war – aber das musste er nicht unbedingt wissen. Es würde meine Situation nur komplizierter machen. Tristan schnaubte und massierte seine Schulter. „Du traust mir nicht“, sagte er nach einer Weile und wagte es tatsächlich empört zu klingen. „Werwölfe verdienen mein Vertrauen nicht. Sie sind hinterlistig und primitiv.“ „Als ob Blutsauger besser wären“, feixte er und das war das erste Mal, dass ich einen Ausdruck von Verachtung in seinen Augen erkannte. Etwas, worauf ich schon die ganze Zeit gewartet hatte. Tristan erhob sich geschmeidig und ging auf die Mauer zu. Kurz bevor er den kalten Stein berührte, sprang ich vor ihn und stieß ihn zurück. „Kommt der Mauer nicht zu nahe, sonst muss ich Euch wirklich töten.“ Der Werwolf hielt die Hände in die Höhe, um zu zeigen, dass er sich friedlich benehmen würde. „Ich wollte dir etwas geben, aber ich würde dir lieber nicht zu nahe kommen, solange du das Schwert in der Hand hast.“ Erstaunt beobachtete ich ihn wie er ein goldenes Collier – verziert mit weißen Perlen und einem granatfarbenen Diamanten – aus seiner Hosentasche zog. Viele dicke Schnörkel aus Gold, die hin und wieder von den Perlen durchbrochen wurden, umschlangen den funkelnden Diamanten in der Mitte. Ich war begeistert, aber zu misstrauisch um mich richtig darüber freuen zu können. „Soll das auch wieder eine Art ‚Dank’ sein?“ Tristan zuckte die Schultern. Ich konnte den Stolz und die Zufriedenheit, die von im ausging, praktisch riechen. Er wusste genau, wie sehr ich dieses Schmuckstück begehrte und von dessen Perfektion verzaubert war. Er legte mir die Kette um den Hals. Diesmal wehrte ich mich nicht über die Berührung, auch wenn seine Hände länger als nötig in meinem Nacken ruhten und ich an mich halten musste, um das Schwert nicht in seine Brust zu stoßen. „Warum?”, fragte ich verwirrt, trat einen Schritt zurück und brachte etwas Abstand zwischen uns. Das Collier fühlte sich kalt und schwer auf meiner Haut an, verursachte aber auch ein angenehmes Kribbeln, das mein Herz schneller schlagen ließ. Es war beinahe zwölf Jahre her, seit ich das letzte Mal Schmuck getragen hatte. Ich hatte schon ganz vergessen, wie gut es sich eigentlich anfühlte. Tristan zuckte die Schultern. „Weil du die Kinder gerettet hast? Weil du mich nicht getötet hast, obwohl du mehrmals die Chance dazu hattest? Es gibt viele Gründe.“ „Dann sind wir wohl quitt.“ „Bei weitem noch nicht“, erwiderte er mit einem mysteriösem Lächeln. „Ich gehe jetzt besser. Es sei denn, du möchtest, dass ich bleibe.“ „Lebt wohl, Tristan.“ Er grinste. „Wir werden sehen.“ Als ich mir sicher war, dass er außer Hörweite war, fuhr ich mir mit der Hand über das Gesicht und verfluchte mich für meine Schwäche. Was war ich nur für eine Närrin! Nicht nur, dass ich mich praktisch vom ihm hatte bezahlen lassen, nein, ich musste ihn auch noch laufen lassen. Ich hatte den Verstand verloren! Es war die einzig plausible Erklärung für mein abartiges Verhalten. Nachdem ich meine Runden auf der Ostgrenze gedreht hatte und auf der Nord- und Südseite nach dem Rechten gesehen hatte, machte ich mich auf den Weg zurück zum Schloss. Ich sah den Himmel bereits heller werden, wie er einen rosigen und orangen Ton annahm, der mir Gänsehaut bereitete. Der Tagesanbruch vertrieb mich von meinem Platz, während die gewandelten Jäger gezwungen waren, sich in der Erde zu vergraben und bis zum Nachtanbruch auszuharren. Oleen erwartete mich bereits und hielt mir das Tor offen, durch das ich schnell schlüpfte und sofort in den Westflügel eilte. „Willkommen zurück, Mylady“, begrüßte sie mich leise und nahm mir den Umhang, sowie meine Waffen, ab. Ihr Blick fiel auf die Kette um meinen Hals. „Ein Geschenk“, antwortete ich auf ihren fragenden Blick hin. Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, doch sie ließ es zum Glück auf sich beruhen. „Gibt es Neuigkeiten, was Leonore anbelangt?“ Die Messerwerferin schüttelte den Kopf. „Nein. Sie verhält sich ausgesprochen ruhig. Auch ihre Diener halten sich zurück.“ „Gut, beobachte sie dennoch weiter. Gab es neue Anschläge?“ Wieder ein Kopfschütteln. Ich erwischte mich dabei, wie ich fragte: „Bei dem letzten Angriff, sagtest du, einige Werwölfe konnten nicht fliehen. Sind noch welche am Leben?“ Sie nickte leicht und beschleunigte ihren Schritt, um mit mir mitzuhalten. „Sechs Männer und eine Frau. Sie konnten nicht sehr weit vordringen, als die Schergen der Königin eingriffen. Fünf von ihnen sind tot und zwei haben wir gefangen genommen. Sie wurden in den Kerker gebracht.“ Ich stoppte bei der Erwähnung des albtraumhaften Kerkers. Mit zusammen gekniffenen Augen drehte ich mich zu ihr um, woraufhin sie sofort einen Schritt zurück trat und beschämt den Kopf senkte, auch wenn sie im Grunde nichts falsch gemacht hatte. „Lasst die Gefangenen frei“, befahl ich ausdrücklich und hoffte dieses Thema schnell erledigen zu können, aber meine sonst so treue Dienerin rührte sich nicht vom Fleck. „Ich weiß, wie es anmaßend es sein muss Euch dies zu fragen, aber warum wollt Ihr diesem Abschaum wieder die Freiheit schenken, obwohl sie das Schloss angegriffen und vierzehn Vampire getötet haben?“ Ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen, aber noch war keine Spur von dem Blau zu erkennen, das sich zeigte wenn sie sich ernsthaft aufregte. „Was glaubst du, was passiert, wenn die Wölfe Wind davon bekommen, dass es noch Überlende gibt?“ Die Vampirin schwieg. „Natürlich werden sie versuchen ihre Kameraden zu befreien und du weißt, wie leicht diese Monster Tagsüber bei uns eindringen könnten, wenn sie es wollten. Wenn wir die Gefangenen fliehen lassen, dann könnten wir sie möglicherweise so lange Ablenken, bis wir uns eine neue Strategie überlegt haben.“ „Aber werden diese Bestien sich nicht erst recht rächen wollen, wenn sie merken, wie schlimm die Gefangenen gefoltert wurden?“ Da hatte sie nicht Unrecht. Entweder die Werwölfe würden es als Warnung oder als Provokation ansehen. Nicht als einen Gefallen meinerseits. „Lass das meine Sorge sein. Sie werden nicht wieder angreifen. Jedenfalls nicht aus diesem Grund.“ Die Messerwerferin verzog das Gesicht, was wohl als Lächeln gelten sollte. „Ich verstehe immer noch nicht, warum Ihr nicht den Thron angenommen habt“, schmeichelte sie mir und führte mich zu einer steinernen Treppe, die steil in die tiefsten Tiefen des Kellers führte. Rechts an der Wand, hatte man in fünf Meter Abständen Fackeln befestigt, die es den menschlichen Dienern vereinfachen sollten, sich hier unten zurechtzufinden. Es lebten nicht viele Menschen im Schloss – von den Gefangenen und Blutwirten abgesehen. Höchsten so um die fünf, die wohl alle hofften, dass jemand sie zu einem der Unsrigen machte. Ich persönlich war noch keinem begegnet, und war auch relativ froh darüber. Unten angelangt, durchquerten wir einen kleinen Torbogen und bewegten uns weiter fort, wobei wir uns die ganze Zeit geduckt halten mussten, um nicht mit dem Kopf an der bedrohlich tief liegenden Decke anzustoßen. Nach zwei Minuten wurde der Gang breiter. An den Wänden reihten sich verschlossene Stahltüren, die kein Mensch je durchbrechen könnte. Die Werwölfe wurden ganz am Ende, in den sogenannten Käfigen, gefangen gehalten. Ein Gefängnis mit Gittern aus reinem Silber. Wir bogen um eine Ecke, an deren Ende sich der Käfig mit den beiden Gefangenen befand. Die beiden Männer darin schienen jung zu sein, aber ich hatte früh genug gelernt mich von Äußerlichkeiten nicht täuschen zu lassen. Die beiden Körper, die mit Silberketten an der Steinwand gekettet waren, sahen ziemlich zerschunden und blutig aus. Schweiß troff ihnen aus allen Poren und ihre Hautfarbe war vor lauter Schmutz kaum noch zu erkennen. Mit einem kurzen Kopfnicken schickte ich die beiden Wächter, die zu beiden Seiten der Zellen standen und mich misstrauisch gemustert hatten, weg. Ich zog den alten Zentralschlüssel aus meiner Tasche und schloss auf. „Könntest du mir bitte einen Samtbeutel bringen?“, bat ich Oleen und konnte in ihrem Gesicht ablesen, wie sehr sie mit sich rang mich hier alleine zu lassen, aber schließlich vertraute sie auf meine Fähigkeiten und nickte. Sobald sie in dem anderen Gang verschwunden war, beugte ich mich zu dem etwas weniger schlimm aussehenden Jungen und strich ihm eine sandblonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Er rührte sich nicht, also klatschte ich ihm ein paar Mal gegen die Wange, bis er blinzelnd die neblig blauen Augen öffnete. Ein Knurren stieg aus seiner Kehle, als er erkannte welches Wesen es gewagt hatte ihn anzurühren. „Bevor Ihr voreilige Schlüsse zieht, muss ich erwähnen, dass ich nicht hier bin, um euch hinzurichten.“ Ich beeilte mich auf den Punkt zu kommen. „Willigt ein mir einen Gefallen zu tun, dann lasse ich euch frei.“ „Eher friert die Hölle zu!“, fauchte er und um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, zerrte er an seinen Ketten und versuchte nach mir zu schnappen. „Bring es hinter dich und töte mich endlich, Blutsauger!“ „Vielleicht komme ich noch darauf zurück, wenn Ihr nicht aufhört so herum zu brüllen. Sagt Euch der Name Tristan etwas?“, versuchte ich es erneut und warf einen kurzen Blick auf seinen Freund, der noch immer schlaff an der Wand hing. Der Blonde schob trotzig das blau geprügelte Kinn vor. „Nie von ihm gehört.“ Ich blickte kurz über meine Schulter. Niemand war zu sehen. Umso besser. Ich legte das Collier ab und ließ es vor seiner Nase baumeln. „Wirklich nicht? Denn er hat mir dies geschenkt, im Gegenzug für eure Freiheit.“ Mich interessierte nicht, ob meine Lüge plausibel klang oder nicht, denn eigentlich wollte ich nur die Kette loswerden und die Gefangenen möglichst unbemerkt heraus schaffen. Bevor der Werwolf weiter nachfragen konnte, tauchte Oleen wieder auf und reichte mir einen dunkelblauen Samtbeutel. Ich ließ das Collier hineinfallen und knotete den Beutel fest zu. „Oleen, befreie den anderen von seinen Ketten.“ Sie tat wie geheißen, während ich ebenfalls versuchte dem Blonden zu helfen. Nachdem die Schlösser aufgeschlossen waren, rieb sich der Werwolf die blutverschmierten Handgelenke. Er bedachte mich mit einem abschätzigen Blick und warf sich mit erstaunlicher Kraft seinen bewusstlosen Freund über die Schulter. „Du lässt uns wirklich gehen?“, fragte er noch einmal nach, und ließ mich keinen Moment aus den Augen. Sein Argwohn überraschte mich nicht, denn wie oft passierte es schon, dass ein Vampir so etwas wie Gnade walten ließ? Ich verdrehte die Augen und bedeutete ihnen, dass sie mir folgen sollten. „Meine Herrin nimmt ein großes Risiko auf sich, euch gehen zu lassen“, verteidigte mich Oleen und bildete die Nachhut. Sie schien nicht gerade viel Angst vor den Werwölfen zu haben, was ich ihr hoch anrechnete. Wahrscheinlich hielt sie dennoch ihre Wurfmesser bereit. „Pah! Als ob euch Blutsaugern untereinander etwas passieren würde!“, meinte der Junge skeptisch. „Ihr wärt überrascht“, murmelte ich und erreichte endlich den Ausgang. Die Gänge schienen wie leer gefegt. Kein Wunder. Denn laut den zugezogenen Vorhängen, war bereits die Sonne aufgegangen. Es war so unheimlich still, dass ich fürchtete der leiseste Atemzug den ich von mir gab, würde mich verraten und die ganze Meute auf mich hetzen. Aber nichts. Alle schliefen tief und fest. Als der Werwolf mit seinem Freund drohte umzukippen, stützte Oleen ihn, obwohl sie sich sichtlich davor ekelte ihn zu berühren, während wir in den Nordflügel eilten. Ich hielt mich im tiefen Schatten der Tür verborgen, als ich diese aufzog. Selbst die sonst so mutige Messerwerferin wich auf der Stelle zurück, als das Licht über die Türschwelle fiel und den Gang erleuchtete. „Hier, fang“, sagte ich ruhig und warf ihm den Beutel zu. Er fing den Beutel mit einer Hand auf und zog verwirrt die Stirn in Falten. „Richtet Tristan aus, dass ich mich nicht bestechen lasse, schon gar nicht von einer Rasse, die ich bis aufs Blut verabscheue.“ Seine Augen warfen blaue Blitze auf mich ab. „Und wer soll ihm diese Nachricht ausgerichtet haben?“ „Becca“, antwortete ich etwas unwirsch und schlug die Tür hinter ihnen zu. Diese Hitze war einfach unerträglich. Auch Oleen wirkte ziemlich mitgenommen und blass. Bereits der kleinste Sonnenstrahl fühlte sich für uns an, als ob man uns die Haut in Schichten abzog. Man hatte mich als Kind tagsüber immer im Zimmer einsperrt, da ich nicht auf die Warnungen meiner Eltern und Diener hören wollte, die mir diese unmöglich erscheinenden Geschichten von brennenden und zu Asche zerfallenden Körpern erzählten. Ich glaubte einfach nicht daran und war zu sehr von mir – einer Reinblüterin – überzeugt. Ich kam mir immer unbesiegbar und mächtig vor. Eines Tages, als man mich wieder wegsperren wollte, versteckte ich mich in einem der Zimmer der menschlichen Dienstmägde. Sie waren gerade alle weg gewesen, um zu putzen, sich ausbluten zu lassen oder was auch immer, und ich nutzte die Gelegenheit um den Sonnenaufgang mitzuerleben. Ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um über den Rand des großen Fensters blicken zu können. Zuerst faszinierten mich noch die Farbenübergänge von schwarz zu blau zu violett, doch sobald die rosaroten, orangen und hellblauen Farbtöne erschienen, setzten die Kopfschmerzen ein, was für mich keinen wahren Hinderungsgrund darstellte. Stur starrte ich weiterhin aus dem Fenster, ohne zu wissen, wie sehr ich es bereuen würde. Und dann, in dieser einzigen Sekunde, sah ich den allerersten Lichtstrahl aus dem Horizont kommen und das Zimmer erleuchten, nur um mich im nächsten Moment schreiend und weinend auf dem Boden wiederzufinden. Meine Augen hatten schlimmste Verbrennungen davongetragen und es bedurfte mehrere Liter Blut, ehe sie wieder geheilt waren. Dennoch blieb ich noch für einige Tage blind, mit einem unauslöschlichen Brandmal auf meiner Seele. Kapitel 5: the beginning of the end ----------------------------------- Da ich eine Konfrontation mit Leonore möglichst vermeiden wollte, flüchtete ich am nächsten Abend direkt auf meinen Posten. Ich wollte gar nicht wissen, was sie sich für hübsche Strafen für mich überlegen würde, sobald sie erfuhr wer für die Flucht der Wölfe verantwortlich war. Es gab zwar nur sehr wenige Möglichkeiten Reinblüter zu töten, doch das hielt Leonore nie davon ab neue Experimente durchzuführen. Es war mir einfach unbegreiflich, wie sie es geschafft hatte unsere Eltern zu vernichten und ich konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob sie mir damit ebenfalls gefährlich werden konnte. Ich wollte gerade meine sechste Runde auf der Mauer drehen, als mir plötzlich der Geruch eines Werwolfes in die Nase drang. Und es war nicht Tristan, das konnte ich mit Sicherheit behaupten. „Kommt raus! Ich weiß, dass Ihr hier seid!“, rief ich in den Wald und sprang von der Mauer auf die Tau feuchte Erde. Das Rascheln von Blättern ertönte, ein Windstoß fegte durch den Wald und blies mir die Haare aus dem Gesicht, als hätte mich ein riesiger Drache angepustet. Ich sah einen Gegenstand aufblitzen und im nächsten Augenblick hörte ich das Zischen eines scharfen Dolches, der direkt auf mich zuflog. Noch in der Luft fing ich ihn auf, kurz bevor die Klinge in meine Stirn einschlug. Es war mein Dolch. Genau genommen der, den ich in den Brustkorb des Schattenwolfs gerammt hatte. Sofort war ich auf der Hut und zückte mein Schwert. Das Aufflackern eines türkisen Augenpaars bestätigte meine Vermutung, dass der Werwolf sich hier irgendwo versteckt hielt. Ich suchte die ganze Gegend ab, atmete den Geruch von feuchter Erde ein und versuchte die Spur des Schattenwolfs aufzunehmen, ohne dabei allzu tief in den Wald zu gelangen. Je weiter ich vordrang, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, gleich auf ein ganzes Rudel tollwütiger Werwölfe zu stoßen. Nach einigen erfolglosen Minuten blieb ich auf einem Streifen Mondlicht stehen, das es geschafft hatte durch die Baumkronen zu scheinen und schloss die Augen. Wenn ich es nicht schaffte den Wolf zu finden, musste er eben mich finden. Ich spürte einen Luftzug hinter mir. Es roch nach Schnee. Meine Finger versteiften sich um den Griff meines Schwertes, aber ich rührte mich nicht von der Stelle und atmete ruhig und gleichmäßig. Geduldig wartete ich darauf, dass der Schattenwolf mich angriff. Ich spürte ihn hinter mir aufragen wie ein wahr gewordener Albtraum. Es war also nur eine Frage der Zeit. Sobald er mir nahe genug war, könnte ich ihm mit einer einzigen Umdrehung den Kopf abschlagen. Ich runzelte die Stirn. Warum ließ er sich so viel Zeit? Als die Zeit vorüber strich, ohne dass etwas geschah, nahm meine Geduld ein Ende und ich drehte mich um, nur um festzustellen, dass ich alleine war. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu meinem Posten zurückzukehren. Enttäuscht, und doch irgendwie ... erleichtert. Ich hatte genug vom Kämpfen. Fünf Jahre¸ sagte ich mir. Nur noch fünf Jahre. Die nächsten Nächte statteten mir weder Tristan noch der Schattenwolf einen Besuch ab. Groteskerweise fühlte ich mich deshalb umso gestörter von ihnen, weil sie die ganze Zeit in meinen Gedanken herumgeisterten und ich mir den Kopf zerbrach, warum sie nicht kamen. Hatten sie das Interesse verloren? Hielt etwas sie auf? Hatten andere Jäger sie entdeckt? Ich hatte eindeutig zu viel Zeit für mich, wenn ich bereits anfing mir Sorgen um Werwölfe zu machen. Ich wurde mir allmählich selbst zuwider, denn ein besonders angenehmer Zeitgenosse war ich nicht gerade. Eher das Gegenteil davon – melancholisch, trübselig und niedergeschlagen mit einem Hang zum Selbstmitleid. Daher hob sich meine Laune beinahe auf der Stelle, als Oleen mich mit düsterer Miene besuchte. Ihr Arm stand in einem absurden Winkel ab und blaue Male zeichneten sich auf ihrem bleichen Hals ab, die eigentlich schon längst hätten verheilen sollen. „Was ist passiert?“, fragte ich emotionslos, als sie eine kleine Verbeugung vollführte. „Die Königin“, sagte sie, als wären weitere Erklärungen überflüssig, dennoch fuhr sie fort: „Sie ist rasend vor Wut, Mylady. Sie hat drei Diener getötet, die das Pech hatten, gerade in ihrer Nähe zu stehen.“ „Quelle surprise. Sie hat scheinbar von der Flucht der Werwölfe erfahren.“ Sie nickte langsam. In dem wenigen Licht das uns zur Verfügung stand, wirkten ihre blonden Haare beinahe grau. „So ist es. Sie richtet Euch aus, dass Euch eine Strafe erwartet sobald sie Zeit für Euch findet.“ Mit einem plötzlichen Knacken, wie brechende Knochen, hatte sich ihr Arm wieder in die richtige Position gebracht, ohne dass sie etwas hatte dafür tun müssen. Die Würgemale waren ebenfalls verschwunden und ihre Kiefermuskeln entspannten sich wieder. „Damit habe ich bereits gerechnet“, gab ich unbeeindruckt zu. „Du kannst gehen, Oleen. Trink etwas und berichte mir über weitere Vorgehensweisen was die Bekämpfung von Werwölfen angeht.“ „Natürlich“, sagte Oleen, blieb aber an Ort und Stellte stehen. „Noch etwas, Mylady. Ich weiß nicht ob es relevant ist, aber in letzter Zeit treiben sich erstaunlich viele Kopfgeldjäger im Schloss herum. Entweder es hat mit dem Schutz der Königin zu tun oder sie plant sie gegen euch zu verwenden.“ Innerhalb eines Wimpernschlags war sie über die Mauer gesprungen und außerhalb meines Sichtbereichs. Wie ich meine Schwester kannte, war es eher Zweiteres, jedoch musste ich mir deswegen keine Gedanken machen. Sie brauchte mich. Für jetzt. Daher mussten die Kopfgeldjäger einem anderen Zweck dienen. Womöglich versuchte sie die Löcher im Clan zu stopfen, die die Wölfe hinterlassen hatten. Seit diese übermenschlichen Tiere existierten, hatte die Vampirpopulation drastisch abgenommen, besonders da die Königsschlächter die meisten starken und alten Vampire aus dem Weg geräumt hatten. Was mir dagegen den Schweiß auf die Stirn trieb, war die Furcht vor Leonores Strafe. Sie hatte fast fünfhundert Jahre lang Zeit gehabt, um sich zu einer sehr kreativen und gleichzeitig höchst grausamen Persönlichkeit zu entwickeln. Ihre Spiele waren bereits alles andere als witzig, ich wollte gar nicht wissen was sie sich überlegte um jemandem richtig wehzutun. Dank meines Status‘ – und meinem mangelnden Interesse an vampirischer Politik – besaß ich sozusagen Narrenfreiheit, die mir erlaubte einige Regeln und Gesetze nach meinem Belieben zu biegen. Bis jetzt war ich also noch nie in den Genuss von Leonores Fertigkeiten gekommen, doch ihr Ruf eilte ihr voraus. Ich brauchte sie nicht dazu, mir das Leben zur Hölle zu machen. Das schaffte ich schon ganz alleine. Gerade als ich angefangen hatte, wieder zu meinem alten Ich zurückzukehren, tauchte erst nach einem ganzen Monat – in dem ich Leonore kein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte – eine bekannte Gestalt hinter den Bäumen auf und kam mit grimmigem Gesichtsausdruck auf mich zugeschlendert. Ich straffte die Schultern und versuchte dem Drang zu wiederstehen eine Waffe zu ziehen. Auch wenn er stinksauer aussah, glaube ich nicht, dass er mich angreifen würde. Es würde mich jedenfalls nicht wundern, wenn ich mich in diesem Punkt irrte. „Was soll das bedeuten, du lässt dich nicht bestechen?“, fragte er aufgebracht und hielt das Collier auf Augenhöhe, als wäre es der Beweis für irgendeine Schandtat die ich begangen hatte. „Ich sagte doch, es ist ein Geschenk.“ „Ich brauche keine Geschenke.“ Obwohl die Versuchung unheimlich groß war, das schöne Stück einfach für mich zu behalten. Allerdings was sollte ich damit? Man durchsuchte fast jeden Monat mein Zimmer und wenn Leonore das Collier an meinem Hals sah, würde ihr sofort klar werden, dass ich es von Außerhalb hatte. Ich kannte ihre Schätze, genauso wie sie die meinen kannte, daher war es fast unmöglich unseren Besitz voreinander geheim zu halten. Tristan kniff die Augen zusammen und fixierte mich mit einem derart harten Blick, dass ich versucht war wegzugucken. „Wenn du wirklich so kaltherzig bist, wieso hast du dann Peter und Lyon frei gelassen?“ Schön, sie hatten es also lebend über die Grenze geschafft. Wenigstens eine Sache, die in letzter Zeit nicht schief gegangen war. „Ein Anflug geistiger Umnachtung“, sagte ich und winkte wie selbstverständlich ab. „Ihr könnt mit danken, indem Ihr und Euer türkisäugiger Freund mir in Zukunft aus dem Wege geht.“ „Was hast du gerade gesagt?“ Ich musterte ihn prüfend. Er sank in sich zusammen, als hätte ihm jemand einen Felsen auf die Schultern gesetzt. „Ihr habt richtig gehört, Tristan. Ich will, dass Ihr und der große, schwarze Wolf mit den türkisblauen Augen außerhalb meines Territoriums bleibt. Ihr seid mir ein Dorn im Auge.“ Tristan schüttelte heftig den Kopf, wobei etwas längere Strähnen hin und her geschleudert wurden. „Nein, Becca, du verstehst nicht, er ist––!“ „Na, wenn das nicht allerliebst ist“, neckte plötzlich eine bekannte Stimme und ließ mich zur Salzsäule erstarren. Langsam drehte ich meinen Kopf und betete mit aller Macht, dass es nicht die Person war, die ich geglaubt hatte zu hören. Doch da stand sie. Mein persönlicher Albtraum. Dieses Mal trug Leonore ein knöchellanges, indigoblaues Kleid mit Fransensaum und einem eng zugeschnürtem Korsett. Sie hatte kleine Runensteine in ihr hüftlanges Haar geflochten und hielt in ihrer rechten Hand ein Schwert. Laut dem Schimmern der Klinge, handelte es sich dabei wohl um Silber. „Leonore, was tust du hier?“, fragte ich, absichtlich emotionslos. Sie sollte nicht die Genugtuung bekommen, mich aus der Fassung gebracht zu haben. Die Vampirin lächelte und zeigte ihre langen Eckzähne. Gemächlich streichelte sie ihr kleines Schoßhündchen, das sich zufrieden an sie schmiegte und mich schadenfroh, mit immerzu leuchtenden Augen, ansah. Evelyn. Ich hätte wissen müssen, dass dieses kleine Biest blind den Befehlen ihrer Herrin gehorchte und mich hinterrücks ausspionierte. „Nachdem man mir berichtet hatte, du hättest die Gefangenen frei gelassen, dachte ich, ich sollte dir einen kleinen Besuch abstatten, wo ich doch schon so lange keine Zeit mehr für dich hatte.“ Ihre Augen blitzen scharlachrot auf. „Ich wusste nicht, dass du in solch … interessanter Gesellschaft bist.“ Tristan versteifte sich hinter mir und ließ Leonore und ihre Gefolgschaft – bestehend aus Evelyn und drei anderen Vampiren – nicht aus den Augen. „Wer ist das, Becca?“ Anfangs hatte ich es noch begrüßt, dass die Wölfe scheinbar nicht wussten, wer Teil der Königsfamilie war – und vor allem wie sie hießen –, doch in diesem Augenblick, war das alles einfach nur sehr, sehr ärgerlich. Tristan hätte bei ihrem Anblick eigentlich längst die Flucht ergreifen sollen, stattdessen stand er wie eine Statue hinter mir und knurrte die zischenden Vampire an. „Becca!“ Leonore lachte schrill und warf dabei den Kopf in den Nacken. Ihre höhnische Stimme bereitete mir Kopfschmerzen. „Hast du es ihm nicht erzählt? Also wirklich, Rebecca, schämen solltest du dich.“ Sie wedelte tadelnd mit ihrem Zeigefinger und sprang von der Mauer. Die kleine Teufelin folgte ihr wie ein Schatten. Meine Augen wurden schmal. „Wage es ja nicht, Leonore.“ Der Werwolf sah mich verständnislos von der Seite an. „Rebecca? Leonore? Was ist hier los?“ „Na los, sag es ihm“, befahl die Königin mit einem breiten Grinsen. „Oder soll ich es tun?“ Ich knirschte mit den Zähnen. Wunderbar. Jetzt würde ich nicht um eine Antwort herum kommen. Besser er erfuhr es von mir, als von ihr. Wer weiß, was für Lügen sie sonst noch mit einfließen ließ. „Das“ – und es kostete mich große Überwindung diese Worte auszusprechen – „ist die Königin der Vampire, Leonore del Mar die Zweite … und meine kleine Schwester.“ Ich konnte geradezu spüren, wie die Temperatur um Tristan ins Bodenlose fiel. Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Er presste seine Lippen fest aufeinander. Ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch, dann richtete ich mich kerzengerade auf und tat einen Schritt auf meine Schwester zu. „Leonore, lass uns zurück in das Schloss gehen, wo wir über meine Bestrafung sprechen können.“ Die Vampirin rümpfte die Nase, als hätte sie etwas Ekelhaftes gerochen. „Denkst du wirklich es wäre so einfach? Du hast soeben Hochverrat begangen, Schwesterherz, und mich noch dazu um zwei Gefangene betrogen. Du weißt, dass diese Tat mit dem Tod bestraft wird.“ In ihren roten Augen glomm freudige Erwartung, als hätte sie ewig auf diesen Moment hingearbeitet. War das ihr Plan gewesen? Mich Stunde um Stunde zu beobachten und darauf zu warten, dass mir ein Fehler unterlief? Hätte sie dieses Katz und Maus Spiel bis in alle Ewigkeit weitergeführt? In gewisser Weise war ich froh, dass es nun ein Ende hatte. „Ich weiß – aber er wird gehen.“ Ich deutete auf den Werwolf, der lauernd im Hintergrund stand und stumm dieses Szenario beobachtete. Warum verschwand er nicht? Warum musste er es mir so furchtbar schwer machen und mich ablenken? Leonores Lächeln wurde breiter. „Das glaube ich nicht. Schnappt ihn euch!“ Die Vampire, die sich wie Schatten im Hintergrund versteckt hielten, stürmten los und packten Tristan an den Armen, der damit begann sich wild dagegen zu wehren. Er brüllte auf und setzte mit einem heftigen Schütteln seines Körpers die Verwandlung in Gang. Ich nutzte diese kleine Ablenkung, riss der Königin das Schwert aus der Hand und schleuderte die Klinge direkt durch den Schädel eines Vampirs, der bewusstlos zu Boden ging. Wenn jeder Vampir bei solch einer Verletzung sterben würde, wäre bestimmt schon die Hälfte unserer Art ausgerottet. Fauchend stürzte sich Evelyn auf mich und krallte sich in meinen Haaren fest. Ihre kleinen aber ungeheuerlich scharfen Fangzähne steuerten direkt auf meinen Hals zu. Ich konnte mir das kleine Biest nur mit Mühe vom Leib halten. Ich vernahm das reißen von Fleisch, als Tristan einen weiteren Vampir aus dem Weg räumte und in kleine Einzelteile verarbeitete, während der letzte Vampir mit einem gewöhnlichen Schwert auf ihn einstach. Allmählich verlor ich die Geduld. Mit einem kräftigen Ruck verdrehte ich den Kopf der Rothaarigen und ließ sie zu Boden fallen, wo sie mit zuckenden Armen versuchte ihren Kopf wieder in die richtige Position zu bringen. Krächzende Laute drangen aus ihrer Kehle und ließen mich meinen Blick abwenden. Leonore stand einfach da und blickte verachtend auf das kleine Mädchen herab. Für sie waren Diener nicht mehr wert als Dreck. Ich hatte mich früher ja selbst nicht anders verhalten, aber wenigstens hatte ich gelernt mich um die zu kümmern die auf mich angewiesen waren. Ich sparte mir den Versuch, meine Schwester anzugreifen. Es hätte ohnehin keinen Sinn, da wir beide uns nächtelang in Stücke reißen, innerhalb Minuten wieder heilen konnten und uns somit absolut ebenbürtig waren. Stattdessen wandte ich mich von ihr ab und stellte erleichtert fest, dass Tristan die drei Vampire erledigt hatte, wenn auch nicht ganz unbeschadet. Er schüttelte sein blutverkrustetes Fell, woraufhin einige Bluttropfen umhergeschleudert wurden und auf meinem Gesicht landeten. Ich zuckte noch nicht einmal zusammen und wischte mir die Flüssigkeit einfach mit dem Ärmel fort. Tristan kam mit hechelnder Zunge auf mich zu getrottet, nur um daraufhin die Königin der Vampire mit gefletschten Zähnen anzuknurren. Leonores Lippen wurden schmal als sie allmählich in Bedrängnis geriet. Immerhin war von Evelyn nicht mehr viel zu erwarten. Sie kämpfte immer noch damit ihren verdrehten Kopf zu richten. Ihr Blick huschte kurz Hilfe suchend zu ihrer Herrin, nur um sich wieder abzuwenden als ihr klar wurde, dass von ihrer Seite keine Hilfe zu erwarten war. Aber scheinbar machte das der Rothaarigen nicht viel aus. Ihr ganzer Hass konzentrierte sich allein auf mich. „Damit wirst du nicht durchkommen, Rebecca“, warnte mich Leonore. „Früher oder später werde ich dich zur Rechenschaft dafür ziehen, was du unserem Volk angetan hast!“ „Wir wissen doch beide worum es dir wirklich geht“, antwortete ich kalt wie Eis. „Du hast mich doch schon immer gehasst. Nein, nicht nur mich, auch andere. Mutter, Vater––“ „Du irrst dich, Rebecca. Du bist diejenige, die sich von uns abgewandt hat.“ Sie erwiderte mein frostiges Lächeln und beugte sich zu Evelyn, um sie zu packen. Anmutig sprang sie, mit dem rothaarigen Kind unter ihrem Arm, über die Mauer. Der Schwur war damit wohl gebrochen und ich war endgültig aus dem Kreis der Familie verstoßen worden. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis jeder Vampir von meiner Desertation erfuhr und nach Vergeltung lechzte. Schließlich gab es nun keinen Grund mehr sich mir gegenüber zurückzuhalten. Tristan verwandelte sich zurück in seine menschliche Gestalt, hob das fallen gelassene Collier auf und trat an mich heran. „Deine Schwester, huh? Ich hätte es mir denken können. Du bist zu stark, um ein gewöhnlicher Blutsauger zu sein.“ Ich warf ihm einen strengen Blick zu angesichts seiner Gelassenheit gegenüber dieser Enthüllung. „Ich bin eine Reinblüterin. Niemals gestorben, niemals gewandelt. Es überrascht mich, dass Ihr es nicht schon eher bemerkt habt. Immerhin habe ich einen Herzschlag.“ Er zuckte die Schultern, wirkte aber nachdenklich. „Was hast du jetzt vor? Es sieht nicht so aus, als ob du zurück in euer Nest gehen könntest. Du könntest mit mir kommen.“ Ich brach in schallendes Gelächter aus, welches mir schlagartig wieder verging als ich seine ernste Miene sah. „Hört gut zu, Tristan. Bevor ich auch nur einen Fuß in euer Versteck setze, kehre ich eher zu meiner Schwester zurück. Also geht. Versucht nicht mir zu folgen.“ Keine Frage, je mehr er mich besucht hatte, desto sympathischer war er mir geworden, aber mehr zu empfinden wäre einfach nur töricht. Ich war nicht bereit ihm mein Leben anzuvertrauen und er täte gut daran, genauso zu handeln und dorthin zurückzukehren wo er hingehörte. Es wäre glatter Selbstmord, mich in das Versteck der Werwölfe zu begeben. Ich wandte mich ab und machte mich auf den Weg nach Süden, wo sich etwa zwei Meilen entfernt ein kleines Dorf angesiedelt hatte. Anfangs konnte ich noch Tristans Schritte hinter mir hören, die jedoch nach einiger Zeit leiser und leiser wurden, bis ich mir sicher war ihn abgehängt zu haben. Mal hielt ich mich an der Grenze und mal im Wald auf, bewegte mich im Zickzack fort, um mögliche Verfolger abzuschütteln. Wie schon an der Ostgrenze endete der Wald abrupt, da die Menschen vor Winteranbruch eine ganze Reihe von Bäumen fällen mussten, um die eisig kalten Monate zu überstehen. Vor mir breitete sich kahles Festland aus, in dessen Mitte das kleine Dorf stand. Von außen machte es ein katastrophales Bild, doch je tiefer man in das Herz dieser Miniaturstadt drang, desto mehr machte es einen stabileren Eindruck. „Wer seid Ihr? Ein Reisender?“, ertönte plötzlich eine kratzige, alte Stimme. „Nachts hat hier niemand etwas zu suchen. Hier lauern Kreaturen, denen Ihr lieber nicht begegnen wollt.“ Der Nachtwächter, der mich bei seinem Rundgang bemerkt hatte, trug einen gut sichtbaren, weißen Umhang und hatte eine Fackel in der rechten Hand, die er vor Schreck beinahe fallen gelassen hätte, als ich mich ihm mit roten Augen zuwandte. „Ich weiß“, antwortete ich, warf meine Kapuze zurück und war bei ihm, bevor er auch nur einen Schrei ausstoßen konnte, um die anderen zu warnen. Ich brach ihm mit einer schnellen Kopfumdrehung das Genick und schleifte seinen leblosen Körper anschließend in den Wald, auch wenn ich nicht glaubte, dass sie für lange Zeit unentdeckt blieb. Daraufhin schlich ich mich unbemerkt an den anderen Nachwächtern vorbei in das kleine Dorf, das mich für kommende Zeit beherbergen würde. Bis auf einige Trunkenbolde, wagte sich zu dieser Stunde niemand außer Haus und so schaffte ich es unbehelligt zu einer Taverne die Zimmer vermietete – und abgeschlossen war. Doch da ich ohnehin nicht vorgehabt hatte, einfach so zum Vordereingang hereinzuspazieren – ich nahm an, dass eine allein reisende und bewaffnete Frau mit weißen Haaren durchaus auffällig gewesen wäre –, kletterte ich die Seitenwand innerhalb einer kleinen Gasse hoch und schlüpfte in das einzige offene Fenster im dritten Stock. Eine kleine Kerze erleuchtete den kleinen, schmuddeligen Raum, in dem sich bereits der Schimmel in den Ecken sammelte und bestand aus einer Kommode, auf der ein Wasserkrug mitsamt Schüssel stand, einem Tisch ohne Sessel und einem schmalen Strohbett. Ein jämmerlicher Vergleich zu meinem ehemaligen Zimmer, in dem die Betten mit Federn gefüllt waren und jedes Möbelstück in höchster Feinstarbeit gemacht worden war. Unter der leise knisternden Decke regte sich ein Mann und ein schmutziger, fettiger Haarschopf lugte hervor, gefolgt von einem faltigen Gesicht und einer Alkoholfahne, die mich die Nase rümpfen ließ. Schneller als er seine Müdigkeit wegblinzeln konnte, war ich bei ihm und drückte mit einer Hand seine Kehle zu. Er strampelte träge, versuchte noch nicht einmal nach dem kleinen Schneidemesser auf der Kommode zu greifen und krallte stattdessen seine dreckigen Finger in meinen Arm, als glaubte er, gegen mich ankommen zu können. Seine dunklen Augen starrten weit aufgerissen in mein Gesicht und als er unter meinem Griff erschlaffte, machte ich mich mit Fangzähnen über ihn her. Kapitel 6: the assassins ------------------------ Ich lebte für fast zwei Wochen im Dorf, schlief unter dem modrigen Bett des alten Mannes und suchte mir jede dritte Nacht eine neue Blutquelle, auch wenn die Auswahl alles andere als beglückend war. Entweder waren sie zu krank, zu mager oder zu betrunken. An die Tatsache, dass beinahe jede Woche ein Mensch verschwand, hatten sie sich mittlerweile gewöhnt, dummerweise machten die auftauchenden Leichen sie eindeutig nervös. Und mir das Leben schwieriger. Die Bewohner hatten zwei geistliche Vampirjäger – die ‚im Auftrag Gottes‘ gekommen waren – gerufen, die nun im ganzen Dorf Kreuze malten und Knoblauch aushingen. Aus welchem Grund auch immer. Ich war zu sehr davon abgelenkt, nicht in die Hände von Leonores Schergen zu fallen, die hinter fast jeder Ecke lauerten. Anfangs hatte ich sie noch getötet, doch leider hatte sie das erst Recht auf meine Spur geführt und nun musste ich Nächtelang in dem kleinen Zimmer ausharren und hoffen, die Schergen würden nach einiger Zeit das Interesse verlieren und glauben, ich sei weitergezogen. Am darauf folgenden Abend, an dem es wie aus Eimern regnete und die Menschen sich auf Befehl der Vampirjäger in ihren Häusern verbarrikadierten, konnte ich es in dem kleinen, stickigen Zimmer nicht mehr ertragen. Ich fühlte mich wie in einer Kiste, hatte keine Luft zum Atmen – ungeachtet dass ich keine brauchte – und bekam das Gefühl, die Wände rückten mit jeder verstreichenden Sekunde näher. Es erinnerte mich zu sehr an den Kerker des Schlosses, und diesen Gedanken ertrug ich nicht. Ich schlüpfte in meinen Umhang, steckte das Schwert in die Scheide an meiner Hüfte und verstaute die Dolche in meinen Stiefeln. Anschließend ging ich zu dem Fenster, durch das ich hereingekommen war, und öffnete es gerade weit genug, damit ich hinaus, auf das gegenüber liegende Dach, springen konnte. Beinahe sofort war ich vollkommen durchnässt, die Regentropfen schlugen auf mich ein wie kleine Steine. Über den nächtlichen Himmel zogen sich dunkle Wolken, die Mond und Sterne versteckten. Wenigstens einen Vorteil hatte das Unwetter. Der Regen würde meine Spuren schnell genug verwischen, um mir einen kleinen Rundgang erlauben zu können. Ich rannte weiter, sprang von einem Gebäude zum anderen und bemerkte viel zu spät, dass sich jemand an meine Fersen geheftet hatte. Es war schwer durch das reinigende Wasser irgendwas zu riechen, doch ich glaubte für einen kurzen Moment, den Geruch von Schnee in der Nase zu haben. Niemand war vor oder hinter mir, als ich meinen Standort nach unten verlegte und durch die verschlungenen Gassen eilte. Hatte mich jemand entdeckt? Und vor allem wer? Freund oder Feind? Ich zwang mich meinen in Hektik geratenen Puls unter Kontrolle zu bringen, meinen langsamen Atemzügen anzupassen und nicht sofort in Panik zu verfallen, als ich plötzlich das Einspannen einer Armbrust vernahm. Ich wirbelte zur Seite und konnte noch gerade so drei Pfeilen ausweichen, die in der Erde einschlugen, wo ich eben noch gestanden hatte. Jedenfalls dachte ich das. Denn als ich Schutz hinter einer Abzweigung suchte, traf mich ein weiterer Pfeil im Schenkel, als hätte man meinen Zug voraus gesehen. Ich keuchte auf. Ein grässlicher Schmerz schoss mir durch das Bein und ließ langsam alles taub werden. Sofort riss ich mir den vergifteten Pfeil, der in krankes Blut getaucht worden war, aus dem Bein, bevor es noch schlimmer wurde. Doch ich merkte schon jetzt wie jegliches Gefühl aus meinem Körper wich, als sich das Blut in mir rasend schnell verteilte. Eine in dunkelrot gehüllte Gestalt tauchte neben mir auf. Ich schaffte es noch rechtzeitig mein Schwert mit der linken Hand zu ziehen und seinen Angriff zu parieren, doch eine zweite Gestalt, in derselben Montur, rammte mir von hinten eine messerscharfe Klinge durch das rechte Schulterblatt. Ich war mir sicher, er hatte eigentlich auf mein Herz abgezielt. Zischend nutzte ich die Gelegenheit, packte meinen ersten Angreifer und zog ihn zu mir, bis er ebenso aufgespießt war wie ich, nur um ihm im nächsten Moment das Schwert durch die Schläfen zu rammen. Ich stieß den, vorerst außer Gefecht gesetzten, Körper von mir und kippte zur Seite, als mein rechtes Bein unter mir wegknickte. Schlamm klatschte mir ins Gesicht, sobald ich den nassen Erdboden berührte. Ich spürte nur vage, wie das fremde Schwert aus meinem Körper glitt, doch sobald dies geschah, rollte ich mich zur Seite und wich erneut nur knapp einem Schlag aus, der mich von meinem Kopf hätte trennen können. Gott, wie ich Kopfgeldjäger hasste. Kein Vampir sollte eine derartige Gefahr für einen Reinblüter darstellen. Insbesondere, weil sie immer mit schmutzigen Tricks kämpften. Ein dritter Vampir kniete sich vor mir nieder und packte mein kraftloses Fußgelenk, doch diesmal war er langsamer und ich schlug ihm mit einem sauberen Schnitt den Arm ab, der ihn schreiend zurück weichen ließ. Fluchend kämpfte ich mich hoch. Selbst mit nur einem halb funktionierendem Körper, würde ich mich von ein paar zweitklassigen Söldnern nicht unterkriegen lassen. Nicht jetzt. Nicht heute. Niemals. Mit neu entfachter Willenskraft, wischte ich mir den Dreck aus dem Gesicht und funkelte meine Gegner mit feuerroten Augen und ausgefahrenen Fangzähnen an. „Worauf wartet ihr?!“, rief ich wütend und ungeduldig, nachdem die Kopfgeldjäger mich nicht mehr attackierten und mich nur noch mit glimmenden Augen anstarrten. Bis ich es auf einmal wusste. Es waren mindestens acht Augenpaare, die nacheinander blau aufleuchteten und mich wie Wesen aus einem Albtraum umzingelten. Meine Finger verkrampften sich um den Schwertgriff. Noch war ich nicht bereit aufzugeben, aber ich war realistisch genug um einzusehen, dass es an ein Wunder grenzen würde, wenn ich diese Nacht überstand. Ich bereitete mich darauf vor um mein Leben zu kämpfen, als etwas Unerwartetes geschah. Wie aus dem Nichts tauchte ein schwarzhaariges Geschöpf auf, das sich ohne zu zögern auf die Vampire stürzte. Die ersten zwei Kopfgeldjäger sahen ihr Ende nicht kommen und der Schattenwolf riss sie mit seinem riesigen Maul in Fetzen. Zu meinem Leidwesen waren Kopfgeldjäger emotional zu abgestumpft, um sich von dem grausamen Tod ihrer Kameraden von ihrem Vorhaben abhalten zu lassen. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, gingen sie in den Angriff über, immer noch mich als Hauptziel. Sie wichen den schnappenden Fangzähnen des Werwolfs flink aus, doch da sie eindeutig nicht mit ihm gerechnet hatten, richteten ihre Schwerter aus Eisen natürlich keinen Schaden an, der nicht innerhalb Minuten verheilt wäre. Ich konnte meinen Blick kaum von seiner riesigen Gestalt abwenden, wie er mit seinen Klauen spielend leicht Fleisch und Sehnen durchschnitt, mehrere Gegner auf einmal überwältigte und ein Zittern durch die Menge jagte, als sein animalisches Brüllen die Stille der Nacht zerriss. Ich duckte mich an einem Kopfgeldjäger vorbei, verpasste ihm einen Tritt, der ihn in die Knie gehen ließ und enthauptete ihn. Dies büßte mir eine tiefe Fleischwunde am Rücken ein, als mich ein anderer Vampir erwischte, der es nur mit knapper Not an dem Schattenwolf vorbei geschafft hatte. Ich wollte ihn attackieren, bevor er die Möglichkeit dazu hatte, doch in diesem Moment verschwamm alles vor meinen Augen zu einer einzigen Masse aus Regen, Schweiß und Blut. Ich spürte einen Schlag auf den Kopf, der mich zu Boden gehen ließ und einen heftigen Tritt in die Magengrube. Ich keuchte auf. Mein Schwert war weg und ich konnte kaum etwas sehen. Keine guten Vorrausetzungen, um einen Kampf zu gewinnen. Ich zuckte zusammen, als ich ein lautes Krachen hörte und ein Vampir mir im Schlamm Gesellschaft leistete, dabei allerdings ein gebrochenes Genick aufwies. Jemand berührte mich am Arm. Auf der Stelle angelte ich mir einen Dolch aus meinem Stiefel und drückte die Klinge gegen denjenigen, der es gewagt hatte mich anzufassen. „Becca! Ich bin‘s!“ Ich blinzelte das Wasser aus meinen Augen und musste sie zusammen kneifen, ehe ich Tristans verschwommene Gestalt erkannte, die sich über mich beugte. Er wirkte erleichtert, mich lebendig aufzufinden. „Was zum Teufel suchst du hier?“, knurrte ich ihn an und vergaß völlig meine vornehmen Umgangsformen. Auf dem Schlachtfeld war keine Zeit um Höflichkeiten auszutauschen. Er schnaubte. „Na was wohl? Ich versuche deinen Arsch zu retten.“ Ein Kopfgeldjäger schlich sich von hinten an ihn ran, eine Axt in den Händen. „Vorsicht!“ Ich stieß Tristan zur Seite und schleuderte meinen Dolch auf den Vampir, der ihn direkt zwischen die Augen traf. Mit einem wässrigen Platschen brach er in einer Pfütze zusammen und würde vorerst keine Gefahr mehr darstellen. Tristan hatte sich indes wieder aufgerappelt und zog mich hoch. „Beweg dich, Becca, wir müssen hier weg! Es kommen noch mehr!“ In der Tat sah ich undeutlich, wie noch mehr Kopfgeldjäger auftauchten und versuchten an dem tollwütigen Schattenwolf vorbeizukommen, doch dieser bot ihnen keine Schwachstelle und meuchelte jeden, der uns zu nahe zu kommen versuchte. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich es beeindruckend oder angsteinflößend finden sollte und entschloss mich stattdessen Tristans Beispiel zu folgen und ihm hinterher zu rennen. Die Jäger, die es an dem Schattenwolf vorbei schafften, waren uns dicht auf den Fersen. Wir waren noch nicht ganz aus dem Dorf raus, da holte mich das Gift schlagartig wieder ein und ließ mich straucheln. Wenn Tristan nicht meinen Arm gepackt hätte und mich auf fast schon brutale Weise weiter zog, hätte ich keinen einzigen Schritt mehr machen können. Beinahe meine ganze rechte Körperhälfte war gefühllos. Ich hatte keine Ahnung, wie ich meinen Körper dazu brachte sich weiter zu bewegen, doch das war mir in diesem Augenblick auch ziemlich egal. Sobald wir den Übergang von Dorf zu Wald erreichten, schlug mir der unverwechselbare Geruch von Werwölfen entgegen. Einer großen Anzahl an Wölfen. Meine Beine weigerten sich weiterzulaufen und ich starrte mit aufgerissenen Augen auf den Waldrand, hinter dem sich große, dunkle Schatten abzeichneten. Ich wusste, der Wald würde mein sicherer Tod sein, doch Tristan schleifte mich unbeirrt weiter. Ein dicker Knoten eiskalter Angst schnürte mir die Luftzufuhr ab. „Ich kann nicht. Nein, ich kann da nicht rein.“ „Becca!“, beschwörte er mich ernst. „Sie werden dir nichts tun! Lauf! Sie haben uns gleich!“ Wie eine Marionette folgte ich ihm, sah den Wald näher und näher rücken, bis uns schließlich seine tiefe Schwärze umschloss, das lautstarke Prasseln des Regens von den Bäumen gedämpft wurde, und ich das mehrstimmige Grollen von Bestien hörte, die gerade einen Leckerbissen für sich entdeckt hatten. Ich hoffte nur, dass nicht ich damit gemeint war. Selbstverständlich folgten die Kopfgeldjäger uns in den Wald, unwissend, dass sie damit ihr Schicksal besiegelten. Eine Horde von pelzigen Leibern stürzte sich auf sie und zerrte wild an ihren Leibern, bis nichts mehr von ihnen übrig blieb. Ich blickte nicht zurück und versuchte mich allein auf Tristan zu konzentrieren, der zielstrebig durch das Dickicht eilte, aber nach einiger Zeit immer langsamer wurde. Ich stolperte ihm lediglich hinterher und fragte mich immer wieder, wie lange ich diesen Sprint noch durch hielt. Ich war am Ende. Die rechte Hälfte meines Gesichts war unbeweglich, blaue Venen zeichneten sich überdeutlich auf den betroffenen Stellen ab wie Spinnennetze und die Augenlider drohten mir mit jedem Schritt zuzufallen. Wir gingen immer tiefer in den Wald, wie ich es zuvor noch nie gewagt hatte. Selbst wenn ich nicht allein gewesen wäre, hatten die Werwölfe hier eindeutig einen Vorteil. Das war ihr Gebiet – sie kannten jeden Baum, jeden Stein an diesem Ort und es wäre ein fataler Fehler, wenn die Vampire glauben würden, dass sie das nicht ausnutzen würden. „Wir sind da“, sagte Tristan schließlich „Wovon redet Ihr?“, krächzte ich erschöpft und sah mich um. Ich musste zugeben, dass ich ihm ziemlich planlos gefolgt war und lediglich darauf vertraut hatte, dass er mich in Sicherheit brachte, doch in mir keimte allmählich ein erschreckender Verdacht auf, dass ich geradewegs in eine Falle tappte. „Komm.“ Er winkte mich weiter, auf eine kleine Lichtung, die von dem Unwetter nicht verschont geblieben war. Sicherlich war es sonst ein schönes Fleckchen Erde, doch nun bestand der Boden aus nassem Schlamm, der schmatzende Geräusche machte, als wir über die braune Fläche gingen. Vor uns erstreckte sich eine Art Berg, den ich zuvor noch nie gesehen hatte und mit Pflanzen geradezu überwuchert war. Meine Aufmerksamkeit fiel jedoch auf etwas ganz anderes. Eine große, schwarze Höhle prangte inmitten des Bergs wie der Eingang zur Unterwelt. Daneben stand ein Mann mit blutig zerkratztem Oberkörper, breiten Schultern und war noch dazu um ein ganzes Stück größer als ich. Aus der Entfernung – und soweit es mein vernebeltes Gehirn zuließ – erkannte ich kurzes, schwarzes Haar und einen Vampirkopf zu seinen Füßen. Ich wusste instinktiv, dass dieser Mann gefährlich war. Weitaus gefährlicher als ich es je einem Werwolf zugetraut hätte. Selbst bei Tristan hatte ich nie diese mörderische Intensität gespürt, wie in diesem Moment. „Du warst schneller als wir“, sagte Tristan und klang nicht im Mindesten überrascht. Der andere zuckte die Schultern. Sein Gesicht war überdeckt von Schatten, daher konnte ich seine Miene nicht richtig deuten. „Die Sache war schnell erledigt. Außerdem hatte ich keinen Klotz am Bein.“ Ich ignorierte den Seitenhieb und verkniff mir einen spitzen Kommentar. Er machte mich nervös und trotz meiner jetzigen Situation, befürchtete ich, dass die wahre Gefahr ganz allein von ihm ausging. „Komm her“, sagte Tristan und winkte mich näher heran, als könne er mir nicht ansehen, in was für einem katastrophalen Zustand ich mich befand. Auch wenn es mir nicht behagte, bewegte ich mich vorwärts, sah die Schatten auf dem Gesicht des Unbekannten wandern, ihn wie eine Statue über mir aufragen und fühlte wie mein Herz schmerzhaft gegen meine Brust hämmerte. Mir wurde schwindelig. „Becca, das ist Logan“, stellte Tristan ihn mir vor. „Er ist––“ Doch das war genau der Moment, in dem vor meinen Augen alles himmelwärts kippte, mein Körper erschlaffte und ich zusammenbrach. Das einzige was ich noch im Gedächtnis hatte, waren türkise Augen, die mich aus Logans hartem Gesicht anstarrten. Kapitel 7: the shadow wolf -------------------------- Irgendwann gewann ich die Besinnung wieder. Meine Glieder waren mehr als nur schwer, aber wenigstens konnte ich mich einigermaßen wieder bewegen. Außerdem fühlte sich meine Kehle ausgedörrt und brüchig an. Ich brauchte Blut und zwar dringend, denn das kranke Blut, das mir diese verdammten Kopfgeldjäger verabreicht hatten, hatte mich eindeutig mehr Kraft gekostet, als ich vermutet hatte. Träge öffnete ich die Augen. Über mir sah ich eine Wand aus Stein, die feucht in orangem Licht schimmerte. Automatisch versuchte ich mich zu orientieren. Ich befand mich in einem relativ kleinen Raum, oder sollte ich es eine Höhle nennen? Auf jeden Fall war es nicht zu vergleichen mit den vornehmen Zimmern im Schloss, die vor Angeberei geradezu strotzten. Der Raum wurde von einer einzigen Fackel erleuchtet, so dass es mir nicht sonderlich schwer viel etwas zu erkennen. Ansonsten waren die Wände, ebenso wie der Boden, kahl und grau; ein schmuddeliger Tisch stand in der Mitte, auf dem eine Vielzahl an langen Rollen und Büchern lagen. Ein kleiner Hocker befand sich direkt dahinter. Ich lag auf etwas Weichem; eine Decke aus Fell oder etwas derartigem. Tristan war nirgendwo zu sehen und in einer dunklen Ecke thronte eine finstere Gestalt, die mir einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Glühende türkisfarbene Augen durchbohrten mich mit ihrem lauernden Blick. Der Schattenwolf. Ich erinnerte mich an den kurzen Moment der Erkenntnis, der mir den letzten Funken Willenskraft geraubt hatte, bevor ich so jämmerlich zusammengebrochen war. Natürlich war ich mir im Klaren darüber gewesen, dass sich hinter dem Werwolf auch noch eine menschliche Form verbarg, doch ich hatte nie damit gerechnet, dieser auch einmal gegenüber zu stehen. Es hatte mir schlichtweg den Boden unter Füßen weggezogen. An der unterkühlten Luft um uns herum, konnte ich mehr als nur sicher feststellen, dass dieser Mann kurz davor stand mich mit tödlicher Effizienz anzuspringen und mir den Kopf vom Hals zu reißen. Es würde mich nicht wirklich überraschen, wenn das tatsächlich seine Gedanken wären. Ich versuchte so gelassen und kalt wie nur möglich zu wirken; konnte richtig spüren wie mein Gesicht zu gefrieren begann. „Ich bin überrascht, am Leben zu sein. Ihr hattet genug Gelegenheiten gehabt mich zu töten, warum habt Ihr es also nicht getan?“ „Halt den Mund“, knurrte er. Ich kniff die Augen zusammen. Ich wusste, ich sollte es mir nicht mit ihm verscherzen, doch die Frage stellte ich mir seitdem wir uns zum ersten Mal begegnet waren. Er hätte mich töten können. Er hätte leichtes Spiel gehabt und dennoch saß ich nun hier. „Verbietet mir nicht den Mund, ich will es wissen.“ Nein, ich musste es wissen. Erst nachdem er aus dem flackernden Schatten herausgetreten war, konnte ich dessen Gesicht erkennen, das mich mit ungezügeltem Abscheu von oben bis unten musterte. Seine Augenbrauen waren tief nach unten gezogen, seine Gesichtszüge waren hart und messerscharf, und eine dünne, kaum sichtbare Narbe zog sich seinen Mundwinkel hinab. Er strahlte rohe, animalische Kraft aus und war einfach nur beängstigend. Das Tier im Manne. Oder umgekehrt. „Hör auf damit“, grollte er schließlich und seine tiefe Stimme klang hart und unnachgiebig, aber ich hatte beschlossen mich nicht mehr von ihm einschüchtern zu lassen. Es war einfach lächerlich, mich von ihm in die Enge gedrängt zu fühlen, obgleich er ein mehr als nur ebenbürtiger Gegner für mich war. „Ich verstehe Euch nicht.“ Frustriert runzelte ich die Stirn. „Womit soll ich aufhören?“ Innerhalb zwei schneller Schritte war er bei mir und drückte mir mit einer Hand die Kehle zu. Zwar nicht fest genug, dass ich ihm hätte den Arm brechen müssen, doch angenehm war es trotzdem nicht. „Logan––“ „Das! Lass es!“ Der Griff um meinen Hals wurde stärker, schnürte mir die Luft ab, bis ich kein einziges Wort mehr über meine Lippen brachte. Dann ließ er abrupt los und stellte sich mit verschränkten Armen an seinen ursprünglichen Platz. Mir den Hals reibend, fragte ich mich, weshalb er sich plötzlich zurückzog, als Tristan durch einen Spalt in der Wand hereinschlüpfte und die finstere Atmosphäre mit hochgezogenen Augenbrauen musterte. „Was ist hier los?“ „Nichts“, antworteten Logan und ich wie aus einem Mund. Sein Blick wanderte zwischen mir und Logan. Erst jetzt schien er zu realisieren, dass ich aufgewacht war, kam zu mir und vergrub sein Gesicht an meiner Halsbeuge. Seine Arme hatte er wie ein Schraubstock um mich geschlungen und im ersten Moment wusste ich nicht was zu tun war, ehe ich mich dazu herab ließ ihm den Nacken zu kraulen. Über seine Schulter hinweg sah ich Logan, wie er uns mit zusammen gebissenen Zähnen beobachtete. „Du lebst!“, sagte Tristan und klang aufrichtig erleichtert. In mir wuchs das Verlangen ihn augenblicklich fortzustoßen, da mir seine körperliche Nähe kalten Schweiß auf die Stirn trieb. Vampire waren nicht dafür gedacht ihre Emotionen so offen zu zeigen, daher war Körperkontakt nur in Kämpfen üblich und selbst da hatte man sich wortlos darauf geeignet, dies nur durch schnelle, effiziente und hoffentlich tödliche Schläge zu tun. „Wo bin ich hier?“, fragte ich, sobald Tristan von mir abließ. „In Sicherheit. Dir wird nichts geschehen.“ Ich kniff die Augenzusammen. „Das beantwortet nicht meine Frage.“ Der Mann, der wie ein kleiner Bengel vermied mir direkt in die Augen zu blicken, trat unwohl von einem Bein auf das andere, ehe er tief Luft holte und mir die Hände schwer auf die Schultern legte. „Wir sind im Versteck der Werwölfe.“ Kein Wunder, dass er mich niederdrückte, denn ich wäre sofort aufgesprungen und hätte versucht die Flucht aus dieser Todesfalle zu ergreifen. Ich spürte, wie mein Herz einige Takte aussetze, sich mein ganzer Körper wie von Schmerz gepeinigt verkrampfte und ich den bitteren Geschmack von Galle auf der Zunge schmeckte. Ich riss mich von Tristan los, duckte mich an ihm vorbei und stellte mich mit den Rücken an die einzige noch freie Wand. Ich versuchte meinen inneren Aufruhr unter Kontrolle zu bringen, doch Zorn und Angst lieferten sich einen ebenbürtigen Kampf. „Warum bin ich hier? Ich habe hier nichts zu suchen!“ „Meine Rede“, schnaubte Logan missgelaunt. Dann fuhr er sich jedoch frustriert durch das rabenschwarze Haar, das ihm wild vom Kopf abstand und deutete mit einem vagen Kopfnicken auf den anderen Mann. „Du wirst die Höhle nicht mehr verlassen. Tristan hat bereits die Entscheidung für dich gefällt, als du bewusstlos warst. Er trägt die Verantwortung für dich, aber ich für das ganze Rudel, also wirst du den Tod finden, sobald du auch nur einen Fuß nach draußen setzt.“ Ich zischte leise, angesichts seines herrischen Tons. „Ich habe keinerlei Verlangen zwischen die Fronten zu geraten! Lasst mich gehen und ich verlasse das Land noch heute Nacht!“ „Zu spät. Du bist längst ein Part dieses Kriegs.“ Das brauchte er mir nicht extra zu sagen. Auch wenn ich noch so sehr versuchte es zu verdrängen, so war mir schon seit einiger Zeit klar, dass ich dem nicht aus dem Weg gehen können würde. Dafür war ich zu sehr in die Angelegenheiten meiner Schwester verstrickt. Außerdem trug ich auch selbst Schuld daran, Tristan eingeweiht zu haben. Ich hatte einfach nicht damit gerechnet, dass er so weit gehen würde mich in ihr Versteck zu entführen und als Gefangene zu nehmen. Welche Wahl blieb mir? Leonore würde nicht eher Ruhe geben, bis sie meinen Kopf auf einen Pfahl spießen konnte und ich hatte auch keine große Lust mich gegen die Kopfgeldjäger und ihre hinterlistigen Tricks zu wehren. Wenigstens würde ich hier sicher sein ... solange die Wölfe mir nicht selbst ans Leder wollten. „Na schön“, ergab ich mich widerwillig. Hätte ich einen anderen Ausweg gesehen, hätte ich diesen bereits längst ergriffen, doch Logan hatte bereits mehr als deutlich gemacht, dass ich die Höhle nur in Einzelteilen verlassen würde. „Doch wer seid Ihr, dass es Euch das Recht gibt mir Vorschriften zu machen?“ Seine autoritäre Art kam mir schon die ganze Zeit über merkwürdig vor, ebenso Tristans Zurückhaltung ihm gegenüber und nicht zuletzt deswegen, weil er in dieser einen Nacht darauf verzichtet hatte mir den Kopf abzubeißen. Mir war noch nie ein Werwolf derart in Erinnerung geblieben wie dieser und das machte mich nervös. Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen, als Logan mir einen Blick zuwarf, der Berge in Grund und Boden hätte stampfen können. Ein tiefes Knurren dröhnte durch den Raum. Als spürte er, wie sich die Spannung zwischen mir und dem türkisäugigen Krieger zuspitzte, nahm mich Tristan bei der Hand und drückte diese fest, wie um mich daran erinnern, dass mein Leben an einem seidenen Faden hing. „Lass gut sein, Becca. Wir sollten gehen.“ „Ich werde noch mit einigen der Jäger sprechen müssen, Tristan. Bis dahin wäre es angebrachter, wenn du sie nicht aus deinem Zimmer lässt“, hörten wir Logan uns noch nach rufen, als wir uns durch den engen Spalt in der Wand schoben. Sobald ich draußen war, klopfte ich mir die lästigen Staubpartikel von meinem Umhang und wurde von meinem Begleiter grob am Arm gepackt, als ich mich umdrehte und um ein Haar in den Abgrund gefallen wäre, der sich vor mir auftat. „Unvorstellbar“, hauchte ich ehrfürchtig, als ich das gewaltige Ausmaß der Höhle vor mir sah. Die Gesteinshöhle war ein riesiges ausgehöhltes Ei, deren gegenüberliegende Seiten mit einer gemeißelten Brücke verbunden wurden. Die Ringe aus feurigen Fackeln kennzeichneten die jeweiligen Etagen; insgesamt achtzehn, zählte ich unglaubwürdig und widerstand dem Drang mir die Augen zu reiben. Ganz unten konnte ich einen sehr langen Tisch, mit jeweils zwölf Stühlen, erkennen; ähnlich wie der, der in der Schlossbibliothek stand, aber um einiges robuster und voller Kratzer. „Beeindruckend, nicht wahr?“, schmunzelte Tristan hinter mir, woraufhin ich nur sprachlos nicken konnte. Im siebten, dritten und zweiten Stock, bemerkte ich eine Vielzahl an Werwölfen in Menschengestalt, die mit schnellen Schritten hin und her eilten. Es waren zwar weitaus weniger wie ich sie aus den damaligen Kriegen in Erinnerung hatte, doch die Anzahl war noch immer erschreckend hoch. Wenn ich ehrlich war, hatte ich nicht erwartet, dass die Werwölfe derart bauwerkliches Talent aufwiesen. Wie lange sie wohl gebraucht hatten, um diesen gigantischen Untergrund auszubauen, die Brücken zu meißeln und sich hier einzuleben? Und all das, ohne das wir Vampire auch nur etwas gemerkt hatten. Ein Gedanke, der mir Schauer über den Rücken jagte. Der kaltblütigen Kriegerin in mir wurde schlecht, bei dem Gedanken, wie fähig diese Tiere doch waren, doch mein wohlgesonnenes Ich war durchaus bereit ihre Arbeit anzuerkennen. „Komm“, sagte Tristan, nahm mich an der Hand und führte mich über die schmale Brücke. Gleich darauf schlichen wir erneut durch eine kleine, höhlenartige Passage, an deren Wände sich merkwürdige Schnörkel, Zacken und Linien abzeichneten. Mit meiner freien Hand strich ich im Gehen über die eingeritzten Formen und erkannte schon bald, dass es sich dabei um ein geordnetes System handelte. Noch mochte es für mich keinen Sinn ergeben, doch Rätsel und Labyrinthe waren für mich schon immer ein Leichtes gewesen, daher würde ich für die Entschlüsselung dieser Karte womöglich Tage brauchen, wofür Menschen Monate ihres Lebens vergeudeten. Allerdings stand nicht mit Sicherheit fest, dass ich mich auch so lange hier aufhalten würde. Wenn sich Logan nun doch anders entschied? Oder die anderen Werwölfe mich nicht akzeptieren konnten? Eine große Überraschung wäre dies immerhin nicht. Ich konnte es vielleicht gleichzeitig mit sieben oder acht von ihnen aufnehmen, aber gleich eine ganze Horde? Wohl kaum. Dafür reichten selbst meine Fähigkeiten nicht aus, und in diesem jämmerlichen Zustand schon gar nicht. Ich war stark geschwächt und schrecklich müde dank des herannahenden Sonnenaufgangs, der sich in meinem Körper durch ein starkes Kribbeln ankündigte. Wir marschierten nach links und rechts, dann wieder links ... und irgendwann war ich es leid, meine Gedanken mit dieser sinnlosen Vorsicht zu verschwenden, denn entweder würde ich meinen Aufenthalt hier überleben ... oder eben nicht. Ich glaubte nicht, dass mein Verlust für irgendjemanden von ausschlaggebender Bedeutung wäre. Es wäre falsch von den Wölfen Freundlichkeit oder gar Zuneigung zu erwarten, nachdem ich und meine Familie ihnen das Leben zur Hölle auf Erden gemacht hatten. „Welchen Rang vertritt Logan?“, fragte ich, als wir uns weit genug von dem Schattenwolf entfernt hatten, um ungestört reden zu können. Tristan schnitt eine Grimasse, welches wohl als Lächeln durchgehen sollte. „Er ist der Erste.“ Ich stutzte. „Ihr meint doch nicht etwa––?“ „Doch. Er ist unser Anführer, der erste unserer Rasse und der einzige, der mehr Wolf als Blutsauger ist.“ Er machte ein finsteres Gesicht und knackte mit seinen Halswirbeln. „Mir wird ganz anders wenn ich nur daran denke, was er hat alles ertragen müssen.“ Weil ich nicht wusste, was ich darauf hätte antworten können, schwieg ich. Ich war nie dabei gewesen, als die Königsfamilie an verschiedenen Tieren ihr Blut getestet hatte und auch sonst konnte ich mir nicht einmal Ansatzweise vorstellen, was für grausige Experimente sie durchgeführt haben mochten. Ich war dementsprechend froh, dass sich meine Eltern aus dieser Sache herausgehalten hatten, auch wenn wir dennoch zu den Leittragenden wurden, die letzten Endes aufräumen durften. Wenigstens erklärte das Logans extreme Stimmungsschwankungen und Aggressivität mir gegenüber. Bestehend auf dieser Basis, erhoffte ich mir nicht viel von meiner Zukunft. „Wer sind die Jäger? Falls Ihr mir das überhaupt verraten dürft.“ Diesmal breitete sich ein ehrliches und stolzes Grinsen auf seinem Gesicht aus, was seine Augen spitzbübisch funkeln ließ. Die gespenstische Stimmung verflüchtigte sich beinahe sofort. „Das sind die Nachfahren, die Logan gebissen hat. Der perfekte Ausgleich zwischen Mensch und Tier.“ Ich unterließ es ihn darauf hinzuweisen, dass er Mensch mit Vampir verwechselte und nickte lediglich. „Wie viele Jäger gibt es denn?“ „Vor einigen Jahren waren es siebzehn, jetzt sind es nur noch neun“, antwortete er ohne zu zögern. Bedeutete es, dass er mir vertraute? „Wir kümmern uns um praktisch alles im Rudel. Vom beschaffen von Essen bis hin zur Kampfausbildung.“ „Wir? Ihr seid einer von ihnen?“ Tristan schnalzte mit der Zunge und zwinkerte mich an. „Natürlich! Das merkt man doch eindeutig an meinem Charme.“ „In der Tat“, murmelte ich amüsiert und kräuselte die Lippen. Erstaunlich wie viel besser ich mich auf einmal fühlte. Mein Aufenthalt hier erschien mir plötzlich gar nicht mehr so übel, solange ich Tristan in der Nähe hatte. Er gab mir das Gefühl, nicht das Monster zu sein für das ich mich hielt. „Habt Ihr Familie?“, stellte ich schließlich meine letzte Frage und bemerkte wie sich seine Mundwinkel leicht nach unten zogen, woraufhin er schnell wieder ein breites Grinsen aufsetzte und mich weiterschob. „Nur einen Bruder – Blake. Ein ziemlich sturer Hohlkopf, wenn du mich fragst, aber du wirst ihn mögen.“ „Ach“, sagte ich nur, obwohl sich in meinem Kopf die Fragen stapelten. Erwartete er, dass ich ihn kennenlernte? Weshalb sollte ich das wollen? Ich wollte mit so wenigen Werwölfen in Kontakt geraten, wie es mir nur irgendwie möglich war. Wie ich mich und das Temperament dieser Tiere kannte, wäre eine gewalttätige Auseinandersetzung zu erwarten. Wir kamen erneut an einem engen Spalt im Gestein an und dennoch schien der Gang kein Ende nehmen zu wollen. Über dem großen Riss in der Wand prangte ein mir unbekanntes Zeichen, welches wohl Tristans Zimmer markierte. Dieser ließ mir den Vortritt, als ich mich erneut durch den zackig verlaufenden Eingang quetschen musste, damit man nicht einfach so hindurch blicken konnte. Es war tatsächlich so wie ich vermutet hatte. Hinter dem Gestein war ein großer Raum, der durch menschengroße Löcher in weitere Räume führte. Ich ging nach rechts und erblickte eine beachtliche Sammlung an Waffen. Manche waren poliert, andere waren noch blutverkrustet oder rosteten bereits. In den beiden linken Zimmern befand sich zum einen ein wunderschönes Schlafzimmer mit Fellen von den verschiedensten Tieren am Boden und ebenso weich aussehende Kissen lagen auf der gemusterten Decke. Die Wände waren mit rotem und goldenem Samt behangen und einige Spiegel zierten das Zimmer. „Welch ... ausgefallener Geschmack.“ Unsicher sah ich mich um und rieb mir den schmerzenden Hals. Meine Kehle brannte vor Durst. Ich hatte meine Nahrungsaufnahme bereits viel zu lange hinausgezögert und ließ meinen Verstand von Minute zu Minute weiter abdriften. Nicht mehr lange und mein dämonischer Instinkt würde im Sinne des Überlebens die völlige Kontrolle übernehmen. Mein Magen zog sich krampfhaft zusammen, als ich mich auf das Fell legte und mein Gesicht in einem Kissen vergrub, um den süßen Duft des Blutes nicht mehr in die Nase zu bekommen. „Ich werde mich etwas ausruhen.“ Tristan runzelte die Stirn, zuckte dann aber die Schultern und legte sich neben mich, als wäre es das verständlichste auf der Welt. „Könnte mir sicher auch nicht schaden.“ Ich nahm nicht mehr Bewusst, wie meine Augenlieder zufielen und ich in meinen üblichen traumlosen Schlaf fiel, aber ich nahm immer noch das Kratzen in meiner Kehle und den stechenden Schmerz in meinem Magen war, der mir keine Ruhe ließ. Eine in lodernden Flammen gehüllte Gestalt manifestierte sich vor meinem inneren Auge und hielt mich fest, ließ mich brennen wie ein trockenes Stück Holz. Plötzlich durchströmte mich eine Eiseskälte, die den Brand in mir augenblicklich löschte und meinen Durst verscheuchte. Vorerst. Allmählich kam ich wieder zu Verstand und merkte erst viel zu spät, dass ich auf Tristan saß und ihn fest auf dem Boden hielt, während ich meinen Mund an seinen Hals presste. Bestürzt wich ich zurück, schmeckte noch immer das angenehm kühle Blut auf meiner Zunge und war zu abgelenkt, um zu reagieren, als mich ein schwerer Körper zur Seite riss und mich gegen die Wand schleuderte. Meine Sicht war noch immer von einem roten Schleier verhangen, irgendjemand fluchte und im nächsten Augenblick spürte ich einen stechenden Schmerz in der Brust. Ich hörte einen wütenden Aufschrei Tristans: „Blake, was hast du getan?!“ Kapitel 8: the judge -------------------- Nur langsam wurde mein Verstand wieder klar und ließ etwas anderes zu, als der Gier nach Blut. Erst nachdem ich an mir herunter blickte, stellte ich grimmig fest, dass mein Herz aufgespießt worden war. Schnaubend riss ich mir die Klinge heraus und warf diese wie einen lästigen Zweig beiseite. Es tat nicht sonderlich weh, sondern ziepte nur etwas, dennoch war ich alles andere als erfreut darüber. Selbst diese kleine Wunde bedeutete einen Blutverlust, den ich mir im Augenblick nicht leisten konnte. „Alles in Ordnung?“, fragte mich Tristan. Es dauerte einen Moment, bis ich ihn in einer Ecke des Zimmers ausmachen konnte. Er presste einen Mann mit dunklem, beinahe schon schwarzem, kurzen Haar gegen die Felswand und drückte ihm seinen Arm gegen die Kehle, damit dieser sich nicht rührte. Die karamellbraunen Augen des Fremden fixierten mich prüfend, seine Nasenflügel blähten sich angriffslustig und wenn ich mich nicht täuschte, hatte Tristan ihn Blake gerufen. Wie seinen Bruder. Großartig. Genau was mir gefehlt hatte. „Mir geht es gut“, erwiderte ich steif und tastete mit den Fingerspitzen meine roten Lippen ab. Für einige Sekunden konnte ich meinen Blick nicht von den faszinierenden Tropfen abwenden, riss mich aber schnell wieder los und wischte mir das Blut beinahe schon angewidert an meinem Umhang ab. Was war nur los mit mir? Blut war bei mir noch nie ein Problem gewesen – ich konnte es aus einer Quelle trinken ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, also warum hatte mich Tristans Blut getroffen wie ein Schlag auf den Kopf? Als hätte ich nie etwas Besseres zu mir genommen, wo mir doch allein bei der Vorstellung der Appetit vergehen sollte? Ich hatte beim besten Willen nicht erwartet, dass das Gegenteil der Fall sein würde. Tristan hatte seinen Bruder am Arm gepackt und stieß ihn unsanft in meine Richtung. „Mach schon“, knurrte er unfreundlich. Blake knirschte mit den Zähnen. Er hatte eine ziemlich heftig aussehende Bisswunde an der Schulter, die aber bereits wieder zu heilen begann. „––leid“, nuschelte er. Seine Lippen hatten sich kaum bewegt. Ich hob eine Augenbraue und Tristan versetzte ihm einen weiteren Stoß. Der Dunkelhaarige verdrehte die Augen und fauchte: „Es tut mir leid, okay?!“ Ich versuchte ein Lächeln, aber es war genauso emotionslos wie die die ich immer meiner Schwester geschenkt hatte. Ich sollte mich glücklich schätzen, dass er sich seinem Bruder beugte, statt mich noch ein zweites Mal anzufallen. „Mir ebenfalls.“ Nun trat Tristan wieder neben mich und musterte mich fragend. „Bist du verletzt?“ Zuerst wusste ich nicht was er meinte, dann erinnerte ich mich an das Schwert in meiner Brust und fuhr mit dem Finger den Schnitt in meiner Kleidung nach. Meine Haut hatte sich schon längst wieder geschlossen. „Verheilt.“ Nickend wandte er sich wieder seinem Bruder zu. „Blake, das ist Becca. Sie steht unter meinem Schutz, also wage es ja nicht, sie noch einmal anzugreifen“, stellte er uns vor und warf seinem Bruder einen scharfen Blick zu. „Was zur Hölle sollte das, Blake?“ Blake stieß einen derben Fluch aus und betrachtete mich mit unverhohlenem Abscheu. „Diese Frage ist nicht dein ernst, oder? Erwartest du etwa von mir, dass ich einfach zusehe wie dieser Blutsauger dich tötet?!“ Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, hatte Blake wahrscheinlich Recht. In meinem Hunger war ich um einiges stärker als gewöhnlich – reine Prävention der Natur –, daher stand die Chance ihn umzubringen erschreckend hoch. Das war ein Fehler, den ich mir keinesfalls leisten durfte. Bevor Tristan rasend vor Wut auf ihn losgehen konnte, packte ich ihn am Arm und zog ihn zurück, wie er es schon so oft bei mir getan hatte. „Lass es.“ Die haselnussbraunen Augen des Werwolfs verengten sich kurz, dann entspannte er sich langsam und atmete scharf aus. Er war blass und hatte dunkle Augenringe, die ihn um Jahre älter aussehen ließen. „Weshalb bist du gekommen, Blake?“ „Logan und die Jäger haben eine Entscheidung gefällt. Er hat mich geschickt, um sie zu holen.“ Mit einer abwertenden Geste deutete er flüchtig in meine Richtung. Tristan versteifte sich, während ich mich lediglich darüber wunderte, dass sie so schnell ein Urteil gefällt haben. Ich fürchtete, nicht als Sieger dabei herauszugehen. „Dann ... sollten wie sie nicht warten lassen“, meinte ich diplomatisch und setzte meine kalte Maske auf. Niemand brauchte im Moment zu wissen, dass ich mir mehr Sorgen machte, als ich mir eingestand. Tristan nahm mich an der Hand, Blake ging voraus. Ich schwieg während wir durch das Labyrinth gingen und hörte Tristan abwesend zu, als dieser davon erzählte, dass wir in den Saal gebracht wurden. Dort würden die Jäger, einschließlich Logan, über mein Schicksal entscheiden. Der Gang wurde alle zwanzig Meter etwas breiter und größer; Fackeln erhellten uns den Weg und ließen uns nach einigen Minuten vor einer massiven Tür stehen bleiben, die von zwei stämmigen Männern bewacht wurde. Auch diese waren dunkelhäutig und mit einer unwirklichen Schönheit bestraft, die kein Mensch jemals völlig erfassen könnte. Keiner von ihnen würde je begreifen, was uns Wesen so anders machte. Manchmal begriff noch nicht einmal ich es. Tristan umklammerte beinahe Krampfhaft meine Hand und hörte gar nicht auf nervös mit den Zähnen zu knirschen. Es war eindeutig, dass ihm dieses Szenario missfiel. Als die Türflügel von den Wachen, die mich ebenfalls ziemlich abfällig musterten, geöffnet wurden und ich einen Schritt nach vorne tat, wurde Tristan plötzlich von seinem Bruder aufgehalten und mit einem entschuldigenden Blick bedacht. „Du kannst nicht mitkommen, Tristan. Logan hat es verboten. Er will dich nicht dabei haben.“ Der Angesprochene knurrte, alles in ihm sträubte sich dagegen mich alleine zu lassen, und merkwürdigerweise berührte es mich tief im Inneren. Dabei dachte ich, es gäbe niemanden den es kümmern würde, wenn ich eines Tages verschwinden würde. Und er regte sich schon auf, wenn wir lediglich durch eine Tür getrennt wurden. Das war sehr … nett. Wie ein kleines Hündchen, das nicht von seiner Besitzerin getrennt werden wollte. Auf seinen fragenden Blick hin, zuckte ich gelassen mit den Schultern, woraufhin er schief grinste und mir zunickte. Nonverbale Kommunikation war eben doch sehr praktisch. Danach drehte ich mich langsam um und betrat das Innere des Saals. Die Türen wurden sofort wieder geschlossen, kaum das meine Füße die Schwelle übertreten hatten. Ich fragte mich, ob diese beiden mürrischen Jäger bei jedem so zuvorkommend waren, aber der Gedanke war weg, so schnell wie er gekommen war und ich nahm stattdessen neugierig den Saal in Augenschein. An einem breiten Tisch, der aus Stein gehauen und sogar geschliffen war, saßen sechs Männer und zwei Frauen, alle umgeben von einer sehr dominanten Atmosphäre. Logan saß als Oberhaupt am Kopfende des Tisches, ein Platz neben ihm war leer. Keiner schien allzu erfreut mich zu sehen. Na woran das wohl lag? Man konnte auf den ersten Blick erkennen, dass die Jäger ein gefährlicher Haufen waren. Vergleichbar mit den persönlichen Leibwachen meiner Schwester, die jeden Trick, jede noch so kleine Schwachstelle ausnutzten, um dich zur Strecke zu bringen. „Du weißt, warum du hier bist?“, fragte Logan, dessen türkiser Blick prüfend auf mir ruhte. Ich nickte und hoffte inständig pure Gelassenheit auszustrahlen, damit mir die Werwölfe meine Überreiztheit nicht anmerkten. Ich konnte nicht mit absoluter Gewissheit behaupten, dass ich die Ruhe selbst war, solange mein Leben an einem seidenen Faden hing. „Wir sind zu einer Übereinkunft gekommen.“ Mehrstimmiges Kopfnicken. Nur eine Jägerin, nämlich die Brünette mit den schwarzen, katzenhaften Augen und der dunklen, pfirsichfarbenen Haut, starrte stur auf den Tisch, anstatt sich an dem Geschehnis zu beteiligen. „Du hast uns gejagt, Blutsauger, unsere Männer gefoltert und die Frauen ohne Gnade abgeschlachtet. Du und deine Brut seid reines Gift für unsere Existenz. Eine Gefahr, die wir nicht zulassen können.“ Die Worte hallten unheilvoll in dem steinernen Gemäuer wider und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Ich hatte nicht erwartet, dass er mir die Vorwürfe derart hart ins Gesicht schleuderte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. „Und daher verurteilen wir dich zum Tode.“ Ich schloss für einen Moment die Augen und ballte die Hände zu Fäusten. Überrascht war ich nicht, das musste man mir zugutehalten, aber mir gefiel die Endgültigkeit in Logans Stimme nicht. Das Traurige daran war jedoch, dass ich wusste, dass mein Leben auf diese Weise ihr Ende finden würde. Als Verräterin. Als Ausgestoßene. Unverständnis war das einzige was man mir entgegenbrachte. Ich verbannte jegliches Gefühl aus mir, die mich vielleicht zu dummen Taten verleiten könnten, und ging auf die Menge zu, die mit wachsamen Blicken eine lauernde Haltung einnahm. „Also gut“, sagte ich mit monotoner Stimme und ging um den Tisch herum auf ihn zu. „Wenn dies eure endgültige Entscheidung ist, dann ...“ Ich ließ den Satz unvollendet und zog mein Schwert, woraufhin einige alarmiert aufsprangen, doch ich war schlau genug, um die Waffe schnell zu drehen und sie mit dem Griff nach vorne seiner Majestät hinzuhalten. Dieser hatte keinen einzigen Finger gegen mich erhoben, ob er sich nun einfach weigerte, auf mich zu reagieren oder einfach nur, weil er zu furchtlos war, um mich als ernstzunehmenden Gegner zu betrachten, daher bereitete es mir die allergrößte Freude den verblüfften Ausdruck in seinem Gesicht zu sehen, als er mit gerunzelter Stirn das Schwert betrachtete, das ich ihm darbot. „Was soll das werden?“ Ich neigte den Kopf zur Seite und zuckte die Schultern, als wäre es das Unbedeutendste auf der Welt. „Ich gebe Euch mein Schwert, damit ihr mich töten könnt.“ Ich stutzte einen Moment. „Nun, nicht das Ihr eins brauchen würdet, aber mir wäre ein sauberer Schnitt lieber.“ Ein aufgeregtes Kichern, veranlasste mich meine Aufmerksamkeit auf die Frau mit den Katzenaugen zu richten, die in schallendes Gelächter ausbrach. „Ich wusste es! Sie ist nicht so, wie ihr alle glaubt!“ Meine verwirrte Miene wechselte in Unglauben, als ich Logans wahrlich wölfisches Grinsen sah, dass man nicht gerade als Böse bezeichnen konnte. Eher ... erleichtert? Oder war das nur wieder pures Wunschdenken meinerseits? Nun war ich diejenige, die sich vor Verwirrung nicht zu helfen wusste, also fragte ich in die Runde: „Was hat das zu bedeuten?“ Die Jäger blickten mich aus einer Mischung aus Misstrauen und unterdrücktem Respekt an. Hatte ich die Pointe verpasst? „Es reicht, Hazel“, beendete Logan mit einem warnenden Seitenblick das Gegacker der Frau, die mir wissend ein breites Lächeln schenkte. Logan legte das Schwert auf den Tisch. „Du kannst jetzt gehen.“ „Wie darf ich das verstehen?“, hackte ich nach, weil ich Schwierigkeiten hatte seine Worte zu begreifen. Da stimmte doch etwas nicht. „Wir haben dich auf die Probe gestellt“, antwortete ein Jäger mit rotbraunem Haar und so klaren grauen Augen, dass man fast glauben konnte, er könne kein Wässerchen trüben. Wenn man sich da mal nicht täuschte. Mir ging sofort ein Licht auf. „Ihr dachtet, ich würde mich gegen euch wehren, was meinen Tod gerechtfertigt hätte“, stellte ich fest und konnte nicht umhin beleidigt zu klingen. Ich war kein nichtsnutziger Vampir, der noch nicht einmal den Stolz besaß ehrenvoll aus dem Leben zu treten, nein, ich war königlichen Blutes und das konnte mir niemand nehmen. Meine Ehre verbot es mir wegzulaufen, selbst wenn es vor dem Tod selbst war. Die andere Frau im Saal, eine richtige Schönheit mit langem goldblonden Haar, bleckte fauchend die Zähne. Wie reizend. „Dir werden Regeln auferlegt, die du einzuhalten hast. Ansonsten wird diese Probe nicht mehr lange eine sein“, warnte ein anderer Jäger mit einem unheimlichen Funkeln in den grünen Augen. Seine Gesichtszüge waren jugendlich, aber hinter dieser unschuldigen Fassade musste jemand sehr grausames lauern um ein Teil dieser Gruppe zu sein. „Und wie lauten diese Regeln?“, fragte ich, obwohl ich wusste, dass sie mir nicht gefallen würden, aber ich würde mich damit abfinden in meiner Freiheit eingeschränkt zu sein, genauso wie ich mich im Schloss damit abgefunden hatte. „Du wirst die Höhle nicht verlassen, das Rudel nicht betrügen und niemandem hier auch nur einen Kratzer zufügen“, befahl Logan widerspruchslos. Das waren alles Dinge, die ich bedenkenlos bewerkstelligen konnte, also wann kam der Teil, der mich in Rage bringen würde? „Ebenso wird es dir nicht gestattet uns als Nahrungsquelle zu betrachten. Wir werden dir Tiere zur Verfügung stellen“, beendete er seine Liste. Ich wusste nicht, ob Tierblut zu einem Problem werden konnte. Noch nie war ich für mehr als einige Tage gezwungen gewesen es zu trinken, aber ich konnte durchaus behaupten, dass ich am Ende dieser Zeit keinen Deut stärker war als ein gewandelter Vampir – und das bedeutete nichts Gutes für eine Reinblüterin wie mich. Ich kniff die Augen zusammen und biss mir auf die Lippe, nickte aber gehorsam. Es wäre ungünstig jetzt einen Streit zu provozieren, doch es war definitiv nötig, mit Logan unter vier Augen noch einmal darüber zu sprechen. „Ich hoffe, wir werden keine Probleme miteinander bekommen.“ Logan hob eine seiner Brauen und sah mich abwartend an. „Bestimmt nicht“, erwiderte ich frostig. „Also, wie schließen wir diesen Packt? Ich nehme nicht an, ihr besiegelt eure Schwüre mit Blut?“ Der Wolfskönig blickte mich angewidert an. „Nein!“ Hazel dagegen lächelte gnädig und stellte sich neben mich. Sie war weitaus hilfsbereiter als seine wölfische Majestät. „Wir schließen einen Vertrag, indem wir unserem Gegner über den Hals lecken. So können wir feststellen ob sich dieser auf unsere Kehle stürtzt oder nicht. Das Risiko ist natürlich hoch, aber nur so können wir beginnen dem anderen zu vertrauen. Normalerweise vollziehen wir den Vertrag als Werwolf, aber in diesem Falle muss Logan es in seiner menschlichen Gestalt machen.“ Da ich der Störenfried war, wurde es natürlich mir zuteil zu beginnen. Ich strich mir die Haare auf eine Schulter und bot ihm wagemutig meinen Hals dar, den er so leicht brechen könnte. Ihm behagte es genauso wenig wie mir, als er sich zu mir herunter beugte und mir der Geruch von Schnee in die Nase stieg. „Wenn du mich beißt, bist du deinen Kopf los“, flüsterte er mir ins Ohr. Ich stieß einen heißeren Laut aus. „Das kann ich nur zurückgeben.“ Heiß legte sich seine Zunge auf meine Haut und hinterließ eine brennende Spur. Ich erschauderte, als sein warmer Atem die feuchte Stelle zum Kribbeln brachte. Schwach werdend schloss ich meine Augen, da ich spürte wie diese rot zu leuchten begannen und krallte meine Finger in seine Schulter. Irgendwie hatte ich das Gefühl, das Logan länger an meiner Kehle verweilte, als nötig, doch ehe ich diesen wirren Gedanken fortführen konnte, zog er sich auch schon wieder zurück. Gerne hätte ich sein angeekeltes Gesicht gesehen, um mich wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen, aber ich sollte ihm meine Augen besser nicht zeigen, bevor auch ich nicht meinen Teil erfüllt hatte. Es könnte ihn vielleicht beunruhigen. Und dann würde er mir den Kopf abreißen. Nur langsam gewann ich meine Beherrschung zurück. Aber mein Hals stand noch immer in Flammen. Ich musste mich strecken und auf die Zehenspitzen stellen um an seinen Hals zu kommen, da er fast einen halben Kopf größer war als ich. Vorsichtig näherte ich mich seiner Kehle und leckte dann langsam und genussvoll über seine Halsschlagader. Er schmeckte auf köstliche Weise salzig und würzig, dennoch auf seine Weise rein und mächtig. Ich wusste nicht, welcher Teufel in mich gefahren war, aber ich ließ meine Wange provokant an seiner entlang streichen, als ich wieder einen Schritt zurück trat. Mein Pulsschlag war noch nie so schnell gewesen wie in diesem Augenblick. Würde er mir jetzt für diese Unverfrorenheit an die Gurgel springen? Obwohl seine Augenbrauen tief nach unten gezogen und seine Hände zu Fäusten geballt waren, schien es nicht den Anschein zu machen, dass er jeden Moment zum Werwolf wurde. Sein Atem ging genauso schnell wie meiner. Wahrscheinlich aus unterdrückter Wut. Das Türkis in seinen Augen blitzte gefährlich und brachte mich dazu den Blick abzuwenden. Erst jetzt nahm ich die Jäger um mich herum wieder wahr, die ich zuvor völlig ausgeblendet hatte und mich nun mit wachsamer Miene musterten. „Deine Augen sind rot“, murmelte Hazel und in ihren dunklen Augen schimmerte Unsicherheit. Ich sah zu Boden und zählte bis Zehn, ehe ich mir sicher war, dass sie wieder meine ursprüngliche kohlrabenschwarze Farbe angenommen hatten. „Kann ich ... nun gehen?“, fragte ich und betete, dass es nicht flehentlich klang. Die Brünette wechselte einen fragenden Blick mit dem Mann hinter mir und nickte. „Natürlich, komm.“ Ohne mich noch einmal umzudrehen, folgte ich der Werwölfin aus dem Saal und ehe die Türen hinter mir ganz verschlossen waren, hörte ich Logan knurren: „Über diesen Vorfall wird nicht gesprochen!“ Kapitel 9: the game ------------------- Sobald die Türen hinter mir zufielen, nahm mich Tristan in den Arm als wäre in meinem Gesicht irgendwie abzulesen, wie geschockt ich doch eigentlich war, doch da ich mit ziemlicher Sicherheit wusste, dass das nicht der Fall sein konnte, löste ich mich etwas steif aus seiner Umarmung. Ich konnte einfach nicht aufhören, mir das eben erlebte Szenario immer und immer wieder vor Augen zu führen. Dieser Vertrag, oder wie sie es nennen wollten, war derartig intim gewesen, dass mir davon noch immer die Beine schlotterten. Von Logans durchdringendem Blick wollte ich gar nicht erst anfangen. Als hätte er genau gewusst, was ich in diesen Moment gedacht hatte. Ich schauderte. „Was ist passiert?“, fragte Tristan, dem die angespannte Atmosphäre nicht entgangen war. „Nichts der Rede“, antwortete Hazel mit einem gestellten Lächeln auf den Lippen, das den Werwolf nur noch misstrauischer werden ließ. Doch da weder ich noch Hazel bereit waren, näher darauf einzugehen, beließ es Tristan bei einem beleidigten Schnauben. „Übrigens, ich habe mich noch nicht bei dir bedankt, dass du meine Kinder verschont hast“, lenkte die Werwölfin geschickt vom Thema ab und ließ mich endlich aus meiner Starre erwachen. „Das waren Eure Kinder?“, fragte ich perplex. „Ja, ich hätte mir nicht verzeihen können wenn ihnen irgendetwas passiert wäre. Ich würde alles für meine Kinder tun, selbst wenn es bedeutet sich mit einem Vampir zu verbünden.“ In ihrem Gesicht spiegelte sich pure Entschlossenheit wieder und sie scheute nicht davor zurück, mir voller Ernst direkt in die Augen zu blicken, als würde sie selbst den Tod nicht fürchten. Ich konnte diese Frau nicht wirklich einschätzen. Womöglich lag es daran, dass ich ihre Einstellung nicht teilte, aber wie auch, wenn bei meiner Erziehung jeder sich selbst der Nächste war? Aber es gab wichtigere Dinge, über die ich mir Gedanken machen musste, denn in den nächsten Tagen verlief alles für meinen Geschmack viel zu belanglos. Die Tage erschienen mir länger, die Nächte kürzer. Ich war niemals alleine, denn immer waren entweder Tristan, Hazel oder Blake an meiner Seite, um mich im Auge zu behalten. Zwar führten sie mich in der Höhle herum und versuchten mir das Tunnelsystem zu erklären, doch ich wurde das bittere Gefühl nicht los beschäftigt zu werden, damit ich den anderen nicht in die Quere kam. Allerdings verwehrten mir die von Logan aufgebundenen Regeln meinen Wunsch, über etwas mehr Freiheit, zu äußern. Eine Sache gab es jedoch, die ich nicht einfach verdrängen konnte wenn sie gerade unpassend oder lästig wurde. Meinen Blutdurst. In den wenigen Wochen die ich nun schon hier verbrachte, hatte man mir tatsächlich alle zwei bis drei Tage ein kleines Tier gebracht, damit ich mich nähren konnte, aber die schlechte Nachricht war: Es reichte nicht. Ich bekam gerade genug, damit mein Hunger angestachelt wurde, was natürlich große psychische Kräfte verlangte, um das Verlangen nach Mehr in einem erträglichen Bereich zu halten und dennoch kratzte und nagte die Gier an meinen Gedanken wie eine eifersüchtige Geliebte. Je länger ich es hinauszögerte, desto schlimmer wurde es, aber es war eine Sache einen Werwolf zu finden oder eben diesen aufzuspüren. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich doch glatt angenommen, dass er mir vorsätzlich aus dem Weg ging, aber scheinbar ging es nicht nur mir so und niemanden wunderte es. Jedenfalls nach den Reaktionen der Wölfe, die sich dazu herabließen mir zu antworten, geschweige denn mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Verärgert sah ich mich um. Endlich hatte ich es einmal geschafft meine ständigen Begleiter abzuschütteln und nun war es die reinste Tortur für mich, mich in diesen unberechenbaren Gängen zurecht zu finden. Wenigstens konnte ich behaupten, bereits Schlimmeres hinter mir zu haben. Das Labyrinth von Keller, dass unter dem Schloss hauste, war um einiges verworrener und ohne jegliche Logik einige hundert Jahre vor der Geburt meiner Eltern erbaut worden. Manchmal kam es mir vor, dass sich neue Wege auftaten und plötzlich andere verschwanden. Als führte dieser dunkle Ort ein eigenes Leben. Mitten während meines Versuchs zurück zu den anderen zu finden, drangen plötzlich flüsternde Stimmen an meine empfindsamen Ohren und ließen mich inne halten. Ich beschleunigte meine Schritte und mit jedem Meter, wurden die Klänge von Lachen, klirrenden Schwertern, und Kampfgeschrei lauter. Die steinernen Wände zogen rasant an mir vorbei, beinahe hatte ich das Gefühl, als würde ich lediglich über den Boden gleiten, anstatt zu rennen. Es dauerte nicht lange, bis ich den lärmenden Raum erreicht hatte und in dem ich gehofft hatte Logan zu finden, aber der Anblick verschlug mir wortwörtlich die Sprache und ich musste mich zusammen reißen um vor Schreck nicht aufzuschreien. Nun, es könnte durchaus etwas schwierig werden den Rudelführer unter mindestens zweihundert seiner Rasse ausfindig zu machen. Aus jedem Loch lugten diese Werwölfe hervor und beobachteten das Spektakel in der Mitte dieser gewaltigen Höhle. Zwei Männer kämpften gerade mit blitzenden Äxten und Schwertern gegeinander, wobei ihre Gestalt abwechselnd zwischen Werwolf und Mensch hin und her schwankte. Wie es aussah, bekriegten sich zwei Jungtiere und die dabei noch einen riesen Spaß zu haben schienen, als gäbe es nichts Besseres als Krieg zu spielen. Und jedes Mal, wen einer von beiden getroffen wurde, jubelte die Menge lauthals. Ich zog die Augenbrauen tief zusammen und presste meine Lippen wütend aufeinander. Das konnten sie doch unmöglich als Kampf bezeichnen! Wo blieb das viele Blut, wo die Fleischfetzen und die heulenden Schmerzensschreie? Mit diesen Kindereien, würden sie ihre Zöglinge nie zu richtigen Kriegern erziehen können, sondern nur zum Spielzeug der Vampire machen. Wie konnten sie nur so verantwortungslos sein? Kannten sie denn keinen Stolz? Ein leises Zischen entwich mir, als ich mich geräuschlos hinter der Menge vorbeischob und mich dabei beinahe unsichtbar im Schatten hielt. Einige der älteren Wölfe reckten schnuppernd die Nasen in die Luft, als sie meinen Geruch witterten und blickten sich anschließend zu allen Seiten um, ohne mich zu entdecken. Ich hatte genug Geistesverstand, um mich nicht sofort dieser Horde auszuliefern. Besonders nicht in dieser Kampfarena. Sie rochen nach Mordlust. Ein widerwärtiger Gestank, dem ich auf dem Schlachtfeld schon oft genug ausgesetzt gewesen war. Es war schwer die Jungwölfe im Auge zu behalten, wenn die anderen solch einen Trubel verursachten, aber der helle Klang von aufeinander prallendem Eisen, ließ mich das Meiste dieser Szenerie erahnen. Einer der beiden geriet in Bedrängnis, versuchte nur noch durch rohe Gewalt sich zu verteidigen und einen Ausweg zu finden. Doch der andere war nicht besser. Durch seine stürmische Taktik fühlte er sich überlegen und achtete nicht mehr auf seine Deckung, als sich sein Gegner plötzlich unter der Axt hindurchduckte und ihn mit lautem Brüllen zu Boden riss. Die Äxte polterten auf den kühlen Sandboden. Es war so still, dass ich die Herzen aller anwesenden wie Paukenschlag hören konnte. Dann brach tosender Applaus aus, gefolgt von wölfischem Geheul. „Eine ihrer liebsten Zeitvertreibe“, sagte jemand neben mir und ließ mich ertappt zusammen fahren. Ich spielte mit dem Gedanken, die Person einfach nicht zu beachten und unauffällig wieder zu verschwinden, doch mir war klar, wie lächerlich das wirken musste, also drehte ich mich gelassen um und musterte die Person die mich angesprochen hatte. Zwar war es nicht Logan, der diese drohende Erscheinung ausstrahlte, doch fast genauso unangenehm. Der Jäger mit den blassgrünen Augen und dem schokoladenbraunen Haar, der wie ein stiller Beobachter an meinem Urteilsspruch teilgenommen hatte. Ich musterte ihn abschätzend, versuchte zu erahnen in welcher Laune er schwelgte, doch überraschenderweise schien er an diesen Raufereien ebenso wenig Gefallen zu finden wie ich. „Das ist kaum mehr als ein Spiel für Vampire. Bei einem echten Kampf hätten sie nicht die geringste Chance“, erwiderte ich steif und hoffte, mir mit dieser Aussage nicht bereits zu viel erlaubt zu haben. Belustigung blitzte in seinen Augen auf und wie ein Adeliger vollführte er eine kleine Verbeugung mit der Hand auf seinem Herzen, als käme er aus genauso königlichen Verhältnissen wie ich. „Ich glaube mich noch nicht vorgestellt zu haben: Man nennt mich Kaiden.“ „Sehr erfreut“, antwortete ich als übliche Floskel, war aber dennoch positiv von seinen höflichen Umgangsformen überrascht. „Wir haben einige Lehrer für deren Ausbildung“, erklärte Kaiden ruhig, als wir beide unseren Blick zurück auf das bejubelte Spektakel richteten. „Seid Ihr einer davon?“, fragte ich interessiert und legte seltsamerweise große Hoffnungen darauf. Mir behagte es nicht zu wissen, dass diese Jungwölfe jederzeit als Vampirfutter enden konnten. Und sie waren die Zukunft dieses Rudels? Sie konnten doch nicht einmal sich selbst beschützen. Andererseits, warum sollte es mich auch nur einen Dreck scheren, ob sie gut trainiert wurden? Es waren schließlich nicht meine Kinder und somit nicht meine Verantwortung. Der blassäugige Werwolf warf mir einen Seitenblick zu. „Nein.“ Ich rümpfte die Nase, über diese einsilbige Antwort. „Ich vermute, Ihr habt genug Erfahrung mit Vampiren, um die Jungwölfe problemlos zu unterrichten. Warum also nicht?“ Kaiden runzelte die Stirn und dachte wohl darüber nach, wie er meine Worte auffassen sollte. „Es gibt bereits andere, die sich um deren Ausbildung kümmern. Außerdem wollen wir nicht, dass sie demselben Umfeld ausgesetzt sind, wie wir es waren. Dieses Leben ist zu grausam, um es ihnen aufzubürden.“ „Alleine werdet ihr aber nicht siegen.“ Daraufhin erwiderte er nichts und ich hackte nicht weiter nach. Gerade rechtzeitig, um zu bemerken, dass wir von glimmenden Wolfsaugen beobachtet wurden. Mir war die Grabesstille gar nicht aufgefallen. „Na wenn das nicht unser neues Rudelmitglied ist!“, höhnte einer der Jungwölfe mit orangerotem Haar, welches ihm verschwitzt ins Gesicht hing und schaute dabei überdeutlich in meine Richtung. Wie nicht anders zu erwarten, wandte sich nun auch der Rest der Meute zu mir um und knurrte drohend im Chor. Es hörte sich nicht gerade wie ein Willkommensgruß an. Ich wandte mich zu Kaiden um, doch er schien sich aus dem Staub gemacht zu haben und schnaubte enttäuscht, obwohl ich es hätte kommen sehen sollen. Etwas Abstand zwischen mich, der Wand und dieser Horde Wölfe bringen zu wollen, trieb ich mich unabsichtlicherweise immer weiter in das Kampffeld vor und somit auch zu dem Rothaar, der für einen Welpen ganz schön Muskelbepackt war. Jetzt da ich – mehr oder minder freiwillig – im Zentrum des Raumes stand, konnte ich meine Umgebung genauer in Augenschein nehmen und staunte zugegebenermaßen nicht schlecht, bei dem was sich mir darbot. Eine beachtliche Waffensammlung war in das Gestein der Höhle gerammt und nahm die ganze, gegenüber der Zuschauertribüne liegenden, Wand ein – Speere, Dreizacke, Äxte, Dolche, alles was ein Kriegerherz begehrte. Die teilweise getrockneten Blutspuren an den Waffen, hätten Leonore bestimmt gefallen. Der rote Werwolf musste meine sprachlose Reaktion wohl irgendwie falsch interpretiert haben, denn ein schmieriges Grinsens breitete sich auf seinem Gesicht aus. Da schien jemand ein ziemlich großes Selbstbewusstsein gegenüber einer reinrassigen Vampirin zu haben, die ihn in Kampf, Alter und Geschicklichkeit bei weiten übertraf. „Wie wäre es mit einer kleinen Übung?“, fragte der Junge und schwang demonstrativ sein Schwert in einer Bewegung, die einer Enthauptung gleich käme. Ich ließ eine Augenbraue in die Höhe wandern und musterte ihn mit geringfügiger Begeisterung. Dieses Wölfchen war nie und nimmer ein Gegner für mich, aber selbst schien er dies nicht zu realisieren. Wenn ich mich tatsächlich auf einen Kampf mit ihm einlassen würde, wäre ein Massaker vorprogrammiert. „Ich verzichte“, sagte ich nur und wandte mich zum Gehen, aber ich stellte fest, dass man besser daran tat Jungwölfen nicht den Rücken zuzukehren, wenn man an seinem Leben hing. Es war lediglich meiner eingefleischten Ausbildung zu verdanken, dass ich schnell genug reagierte, um einen Rückwärtssalto zu schlagen, als der rothaarige Junge mich hinterrücks abstechen wollte. Ohne jeglichen Lärm landete ich einige Meter hinter ihm, noch ehe er sich wieder in die Ausgangsposition stellen konnte. Mit gefurchter Stirn wirbelte er zu herum und funkelte mich wütend an, doch sein gehässiges Wolfsgrinsen war noch immer nicht verschwunden. „Feige?“, fragte er spöttisch und nahm eine lässige Haltung an. Er war sich seiner wohl wirklich sicher. Mein langweiliger Gesichtsausdruck sprach Bände, doch ich ließ mich dennoch auf sein Niveau herab und antwortete milde: „Ich entsinne mich einer Regel, die es mir untersagt, einen Jungwolf windelweich zu prügeln.“ Er gluckste belustigt, schien mir kein Wort zu glauben. Warum sollte er auch? Immerhin war ich ein Vampir, eine Fremde und ein gefährlicher Feind. Aber einen Gegner nicht ernst zu nehmen, war einer der schlimmsten Fehler die ein Krieger machen konnte. „Ist das so?“, fragte er und drehte sich mit ausgebreiteten Armen zu der Menge um. „Ich denke nicht, dass irgendjemand etwas gegen ein kleines Spielchen einzuwenden hat, nicht wahr?“ Die Menge verneinte laut, gemischt mit leisem Gekicher. Ich legte den Kopf schief und fragte mich, was er damit bezwecken wollte. Mich einschüchtern? Oder wollte er mich dazu bringen mich zu wehren, damit ich Logan einen Grund lieferte mich in Stücke zu reißen? „Bereit?“, fragte er, in dem Glauben ich bräuchte eine Warnung. Er warf die Axt achtlos beiseite und riss sich stattdessen ein Schwert aus der Wand, woraufhin er brüllend zum Angriff überging. Zuerst versuchte das Rothaar mich mit wilden Bewegungen zu bedrängen, wobei ich nur knapp ein Gähnen unterdrücken konnte. Es war einfach zu leicht. Ich duckte mich unter einem weiteren Angriff hinweg, schlüpfte an ihm vorbei und ging wieder auf Abstand, doch der Welpe ließ sich nicht unterkriegen, täuschte rechts an und zielte auf mein Herz. Die scharfe Klinge durchstieß meinen Brustkorb mit Leichtigkeit, ließ einen kurzen Schmer aufflammen als Haut und Muskeln durchtrennt wurden und wurde von einem dumpfen Pochen ersetzt, als die Wunde um die Schneide herum heilte. Ich verzog das Gesicht. „Geschieht dir Recht, elender Blutsauger!“, knurrte er stolz. Für einen kurzen Moment herrschte eiserne Stille. Nichts rührte sich, als wäre die Zeit stehen geblieben, bis ich ein leises Kichern ausstieß, das das Rothaar verwirrt die Stirn runzeln ließ. „Dummer, dummer Junge“, säuselte ich und zerbrach die Klinge, als wäre sie ein unnützes Stück Holz. Seine Unwissenheit war eine Beleidigung für mich und jeden anderen Vampir. „Es wäre besser gewesen, du hättest auf den Kopf gezielt. Das hier richtet gar nichts an!“ Das Rothaar erwiderte nichts, blinzelte lediglich erstaunt und setzte sein zerbrochenes Schwert erneut in Anschlag. Diesmal wurde er jedoch von einem furchterregendem Grollen gestoppt, welches wie ein tosendes Echo in der ganzen Höhle widerzuhallen schien. Hitze und Kälte breitete sich gleichermaßen in mir aus und verdrängte meinen Wunsch diesen Jungwolf grün und blau zu prügeln. „Was geht hier vor?“, knurrte seine Majestät persönlich und trat auf das Kampffeld. „Logan!“ Der rothaarige Junge ließ augenblicklich die Waffe sinken, als wäre die ganze Situation dadurch weniger offensichtlich. „Nichts! Ich habe unser neues Mitglied nur auf ein kleines Spielchen eingeladen, das ist alles!“ Logans stechender Blick wanderte zu mir, dem Blut auf meinem Brustkorb und letztendlich zu der mittlerweile dunkelroten Klinge des Jüngeren, dessen Gesicht unheimlich blass wurde. „Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, Lukas?“ „Es war nicht ernst gemeint! Nicht wahr?“ Die letzte Frage richtete er beinahe schon verzweifelt an mich. Seine schiefergrauen Augen schienen mich geradezu anzuflehen, ihn nicht zu verraten. Wieder wandte sich der Logan, mit einem skeptischen Ausdruck im Gesicht, mir zu. „Stimmt das?“ Für einen kurzen Augenblick stellte ich mir vor, wie ich ihm die Wahrheit erzählte und dieser kleine Feigling seine gerechte Strafe erhielt, doch im Gegensatz zu ihm, war ich niemand der die Schwächen anderer ausnutzte. Auch wenn es manchmal natürlich von Vorteil war. „Es ist wahr“, seufzte ich und trat näher an den Türkisäugigen heran. „Wir haben nur ... gespielt.“ Logan hob seine dunklen Augenbrauen und wirkte genauso überrascht wie das Rothaar. Warum hatte ich ihn in Schutz genommen? Nun, das hätte ich selbst gerne gewusst, doch da formte sich bereits eine hervorragende Idee in meinem Kopf. „Wäre es vielleicht möglich dem Jungen eine kleine Lektion in Sachen Vampirkämpfe zu erteilen?“ Ehrlich gestanden hätte ich eher damit gerechnet, von seiner Majestät einen Schädelbruch zu bekommen, statt seiner mehr als merkwürdigen Antwort, die mich dennoch in Hochstimmung versetzte. „Solange du ihn nicht umbringst ... und er sich danach auch noch an seinen Namen erinnert, ist es mir gleich.“ Meine Augen leuchteten vor Entzückung strahlend rot auf und als sich meine Lippen zu einem breiten Grinsen verzogen, schoben sich meine Fangzähne vor. „Das würde ich doch nie wagen“, wisperte ich in spielerischem Ton, der von Logan mit einem kurzen Zucken seines Mundwinkels quittiert wurde. Somit drehte ich mich mit süffisantem Mienenspiel zu meinem Opfer, das wohl nicht anders konnte, als bei meinem Anblick einen Schritt zurückzuweichen und mich mit großen Augen anzustarren. „Jetzt werde ich dir zeigen, was ich unter Spielen verstehe.“ Kapitel 10: the hunger ---------------------- „W-was hast du vor?“, stotterte der rothaarige Jüngling nervös und machte einige Schritte zurück. Wie ein Raubtier schlich ich mich nähe und leckte mir dabei spielerisch über die Lippen. Seine Augen huschten Hilfe suchend zu dem Rudelführer, der sich gelassen auf die Seite gestellt hatte und uns scheinbar desinteressiert beobachtete, als würde er noch nicht einmal im Traum daran denken einzugreifen. Doch der Schein konnte trügen, denn ich wusste mit ziemlicher Sicherheit, dass, sollte ich es zu weit treiben, er nicht zögern würde mich aufzuhalten – endgültig. Meine roten Augen huschten wieder zu Lukas, der nicht mehr ganz so zuversichtlich wirkte wie zuvor. „Wie lange soll ich denn noch warten?“, fragte ich belustigt, mit einem Hauch Ungeduld in der Stimme. Er sollte ruhig wissen, dass es mir todernst war. „Ich mache dich fertig“, grunzte er. „Wir werden sehen“, erwiderte ich unbeeindruckt und grinste wie der Teufel höchstpersönlich. Wenigstens war er nun bereit alles zu geben, um mich dem Erdboden gleich zu machen, was bereits ein erheblicher Fortschritt war – auch wenn es ihm nicht das Geringste nützen würde. Schreiend stürmte er auf mich zu, schneller als ihm das menschliche Auge folgen könnte, und riss das Schwert nach vorne. Ich lächelte, warf mein Haar zurück und war innerhalb eines Wimpernschlags links neben ihm. Ich packte mit der Linken sein rechtes Handgelenk und verpasste ihm nach einer kleinen Drehung mit dem Fuß einen Schlag in den Nacken, der ihn stöhnend zu Boden beförderte und im dreckigen Sand landen ließ. Ich lachte, kehlig und laut. „Oh, Allmächtiger! War das alles? Da habe ich selbst Menschen besser kämpfen sehen!“ „Sei still, Dämon!“, donnerte Lukas, kämpfte sich wankend wieder hoch und bleckte die Zähne. Seine Augen flackerten zwischen denen eines Menschen und die des Wolfes hin und her, scheinbar unschlüssig, was er als Nächstes tun sollte. Seine Schwäche in menschlicher Gestalt zugeben, oder den einzigen Ausweg wählen und sich verwandeln? „Jämmerlich“, kommentierte ich herablassend und gab somit den Startschuss für eine weitere Attacke. Es wirkte auf mich nicht anders, als würde er versuchen mit Federn in Zeitlupe nach mir zu schlagen. Seine Bewegungen waren zu unkontrolliert, vorhersehbar. Meine Ausweichmanöver vielen dementsprechend auch aus. Als der Jungwolf erneut seine Schwertspitze hervor schnellen ließ, sprang ich in die Höhe und landete gezielt auf der Klinge, die er noch immer von sich gestreckt hielt. „Ich korrigiere mich. Es ist nicht jämmerlich, sondern erbärmlich.“ Dieser Kampf glich einer Farce. Es war nicht mehr, als würde ich mit meinem Essen spielen. „Gib besser auf“, riet ich ihm, sprang von der Klinge, duckte mich an einem Hieb vorbei und legte Lukas eiskalt aufs Kreuz. Ein weiterer Tritt meinerseits gegen seinen Unterleib ließ ihn schmerzerfüllt aufheulen. Er würde die Verletzungen, die ich ihm bis jetzt zugefügt hatte locker überleben. Umso mehr Spaß machte es daher ihn zu vermöbeln. Mein Lachen klang nicht mehr menschlich. Bösartig. Grausam. Spiegelte das wieder, was ich wirklich war. Ein Monster. Totenstille erfüllte den ganzen Raum. Keiner der Anwesenden rührte sich oder versuchte auch nur dem Rothaar zu helfen. Wie selbstlos sie doch alle sind, dachte ich sarkastisch und fühlte weder Triumph noch das befriedigende Gefühl des Sieges, das ich sonst immer verspürte, wenn ich jemandem meine Überlegenheit demonstriert hatte. Ich seufzte tief und stellte resigniert fest, dass meine Augen wieder ihr glanzloses schwarz angenommen hatten. „Ich hatte mehr erwartet“, murmelte ich leise, trat über Lukas hinweg und wollte auf Logan zugehen, um endlich mit ihm zu sprechen, doch ein Röcheln ließ mich inne halten. Wie ich aus der Ferne erkennen konnte, hob Logan eine Augenbraue und verzog seinen Mund zu einem schalkartigen Grinsen. „Hmmm“, machte ich, blickte mir über die Schulter und sah zu wie sich der kleine, dumme Junge in eine aufrechte Position kämpfte und dabei war, sich mit vibrierendem Körper in einen Werwolf zu verwandeln. „Es ist noch nicht vorbei, Miststück“, fluchte er und spuckte Blut aus. Ich grinste hämisch. „Das will ich doch hoffen.“ „Ich habe doch gesagt, du sollst ihn nicht töten!“ „Ich habe ihn nicht umgebracht!“, verteidigte ich mich trotzig. „Er ist nur … bewusstlos. Schon wieder.“ Während ich nicht auch nur einen Kratzer am Körper trug, konnte man von noch nicht einmal mehr die Nase des Rothaarigen unter dem vielen Blut erkennen. Wie nicht anders zu erwarten von einer Reinblüterin. Seine wölfische Majestät knurrte und betrat die Arena. Wie üblich waren seine Bewegungen faszinierend. Mit raubtierhafter Geschmeidigkeit bewegte er sich auf uns zu und strahlte dennoch eine gewisse Würde aus, wie nur Könige es konnten. Als sein strenger Blick mich streifte, lenkte ich ertappt meine Aufmerksamkeit auf die anderen Anwesenden und stellte enttäuscht fest, dass kaum noch jemand da war. Während ich mit dem Jungen meinen Spaß gehabt hatte, hatte sich die Zuschauermenge allmählich zerstreut, bis nur noch wenige den Mut aufbrachten, Lukas‘ Niederlage mit anzusehen. Nur einige bekannte Gesichter blieben. Kaiden zwinkerte mir aus einem der hinteren Schauplätze zu. Er wirkte äußerst selbstzufrieden, als er sich einen Weg in unsere Richtung bahnte. „Du hättest ihn nicht so entstellen sollen – seine Heilung wird Tage dauern! Wie viele Knochen hast du ihm zerschmettert? Sechs? Sieben?“ Logans vorwurfsvoller Gesichtsausdruck, der bei jedem anderen wohl bewirkte, dass sie reumütig den Kopf einzogen und verschwanden, verfehlte seine Wirkung bei mir völlig. „Es sind zwölf – und er wird es überleben, wie ich versprochen habe. Ich stehe zu meinem Wort.“ Der Werwolf schnaubte, schnitt eine Grimasse und winkte Kaiden und einen weiteren Werwolf zu sich, der bereits seit geraumer Zeit neben dem Grünäugigen gestanden hatte. Er war ebenfalls einer der neun Jäger die ich im Saal gesehen hatte, als sich der älter wirkende Mann mit den grauen Haarsträhnen – selbst Logan sah im Vergleich um einiges jünger aus – zu unserer kleinen Gruppe gesellte und Logan abwartend anstarrte, während er versuchte meine Anwesenheit gänzlich zu ignorieren. „Kaiden, Rodrigo, bringt Lukas zu den Shamanen und seht zu, dass er wieder auf die Beine kommt.“ Etwas leiser, aber keinesfalls mit der Absicht etwas vor mir zu verheimlichen, fügte er hinzu: „Bald ist Vollmond.“ Ich legte den Kopf schief, als sich die drei angespannten Gestalten wissende Blicke zuwarfen und nickten. Kaiden lud sich den Jungen wie einen Sack Mehl über die Schulter und verschwand in einem der Höhlenausgänge. Rodrigo sammelte stattdessen die Waffen auf, rammte sie alle in die Felswand und folgte seinem Kameraden. Ich wandte mich Logan zu, der Anstalten machte ebenfalls zu gehen, doch ich war innerhalb eines Augenaufschlags vor ihm und verstellte ihm den Weg. Er stoppte, hatte das Gesicht gewohnt grimmig verzogen und schien ziemlich wüster Laune zu sein. „Was? Noch immer nicht genug Blut vergossen?“ Ich blinzelte leicht pikiert. „Das ist es nicht. Jedenfalls nicht direkt. Ich muss mit Euch sprechen.“ „Dann rede“, sagte er mit tiefer Stimme, die mir Gänsehaut verursachte. Ich konnte ihm ansehen, dass eine Unterhaltung das Letzte war, worauf er gerade Lust hatte. Mein Blick schweifte durch die Arena. Hier und da waren noch ein paar Wölfe, die uns lauernd beobachteten und hoffnungsvoll darauf warteten, dass ihr Herrscher mir das Licht ausblies. Er verstand doch, dass ich meine privaten Angelegenheiten nicht in aller Öffentlichkeit besprechen wollte, noch dazu inmitten all jener, die darauf brannten meine Schwächen auszunutzen. Logan folgte meinem Blick und schnaubte. Als er mich mit einem Kopfnicken vorwärts dirigierte, tat ich wie geheißen und ignorierte die ärgerlichen Blicke in meinem Rücken. Darin war ich gut. Die Augen vor den Dingen zu verschließen, die für mich nicht von Wert waren. Unsere Schritte waren in dem Sand nicht zu hören. Unter gewissen Umständen hätte mich das beunruhigt, sogar ziemlich wahnhaft werden lassen, doch ich spürte, dass mir von Logan keine Gefahr drohte – vorerst. Was er mit mir anstellte, wenn ich ihm von meinem Hunger erzählte, war eine andere Geschichte. Wir schritten, für meine Verhältnisse, langsam voran. Mittlerweile war er genau neben mir. „Wie viele von euch gibt es eigentlich?“, fragte er in die Dunkelheit vor uns. „Inwiefern?“ Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Sein Profil war völlig ruhig, als würde er in Gedanken vertieft sein und nur ein oberflächliches Gespräch mit mir führen. „Wie viele reinblütige Vampire gibt es?“, wiederholte er seine Frage konkreter. „Momentan fünf“, erwiderte ich aus zusammengebissenen Zähnen. Seit den Königsschlächtern hatte sich meine Blutsfamilie stark vermindert. Sollte ich auch nur einen von ihnen jemals begegnen, würde ich ihnen das Herz aus der Brust reißen und verschlingen. „Nur fünf?“, fragte der Werwolf skeptisch, als wäre meine Behauptung völlig unmöglich. Es klang tatsächlich etwas kläglich, wenn man bedachte, dass nur fünf Vampire – darunter zwei Kinder – über hunderte von anderen herrschten. „So ist es“, gestand ich mit schmerzverzerrtem Gesicht. Er hatte einen wunden Punkt getroffen. „Und wer sind sie?“ Selbstverständlich schien ihn diese Nachricht zu erheitern, statt zu beunruhigen, was mich nur noch mehr zur Weißglut hätte treiben sollen, wenn ich nur nicht dieses neugierige Glitzern in seinen türkisen Augen gesehen hätte, welches seine Gesichtszüge sanfter, beinahezu freundlich erscheinen ließ. Verflucht. Sofort entspannte ich mich, wofür ich meinen Körper nur als Verräter abstempeln konnte, und rieb mir über den Nacken. Ich fragte mich, wie lange es noch dauerte, bis ich ihm endlich gestehen konnte, dass mich mein Blutdurst allmählich in den Wahnsinn trieb. „Meine Wenigkeit, Leonore, Philippe Guazatti und noch Tyger und Drake Winchester.“ „Erzähl mir mehr. Warum seid ihr nur so wenige?“ „Teils weil andere Vampire jagt nach uns machen, andererseits weil unsere Nachkommenschaft ziemlich rar ist. Als die letzten, weiblichen Reinblüter wären meine Schwester und ich diejenigen, die für die nächste Erbschaft verantwortlich wären, doch dies kann erst in den nächsten paar hundert Jahren geschehen.“ Logan hörte gespannt zu und schwieg, damit ich weitersprechen konnte. „Tyger und Drake sind noch Kinder – keine hundert Jahre alt – und man weiß nie, wie viele Jahrzehnte ein Reinblüter – insbesondere die männlichen – brauchen, um ihren Blutdurst unter Kontrolle zu bringen.“ Nach einer kurzen Pause, fragte er: „Und was ist mit diesem Guazatti?“ „Ein empfindliches Thema“, seufzte ich mit einer Grimasse. „Aber ich denke, das spielt nun keine Rolle mehr, solange es unter uns bleibt.“ Ich warf ihm einen prüfenden Blick zu, den er nur allzu ernst erwiderte, also fuhr ich fort: „Philippe ist ... nun, wie soll ich sagen? Er findet keinen Gefallen an Frauen.“ Er runzelte die Stirn. Wusste nicht, wie er es auffassen sollte. Ich seufzte und half ihm auf die Sprünge: „Er ist dem männlichen Geschlecht ergeben. Vor ungefähr sechshundert Jahren hatten meine Vorfahren versucht, ihn von einer Heirat zu überzeugen – auf viele verschiedene Art und Weisen –, doch seine einzige Reaktion darauf war, dass er entgegen seiner Art fuchsteufelswild wurde und sich mit seinem Harem irgendwo in Griechenland niedergelassen hatte. Eine Katastrophe für unsere Hierarchie. Besonders da ...“ Ich verstummte, als mich die vertraute Wut überschwemmte und der alte Hass wieder in mir hoch kochte, der in all den Jahren kein einziges Mal von meiner Seite gewichen war. Hass auf die machthungrige Königsfamilie. Hass auf Leonore und ihren dummen Thron, für den sie unsere Eltern hat abschlachten lassen. Hass auf mich selbst, die ich keinen Deut besser war als die anderen. „Da was?“, fragte Logan und war stehen geblieben. „Nichts“, murmelte ich ausweichend und schickte mich an weiterzugehen, doch der Werwolfkönig packte mich grob am Handgelenk und sah mich wütend an. „Und was, Rebecca?“ Ich machte große Augen, als er zum ersten Mal meinen Namen aussprach. Es warf mich derart aus der Bahn, dass ich glaubte den Verstand verloren zu haben, als ich ihm eine Antwort auf seine barsche Frage gab, die selbst ich mir verboten hatte zu beantworten. „Meine Blutlinie wird nach und nach ausgerottet. Meine Eltern wurden von meiner eigenen Schwester ermordet, die Winchesters haben nur die ersten zehn Jahre ihrer Söhne miterlebt, ehe sie von Königsschlächtern in Stücke gerissen wurden. Philippes kleine Schwester hatte es nach zweiundfünfzig Jahren erwischt. Einer nach dem anderen ist verschwunden.“, flüsterte ich wie aus weiter Ferne und entzog mich Logans Griff. „Sie sind schon zu lange hinter uns her. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir alle ausgerottet werden.“ Danach herrschte Schweigen zwischen uns, was sich jedoch nicht ganz so unangenehm anfühlte, wie es eigentlich sollte. Nach einer Weile kamen wir an eine Abzweigung. „Nach rechts“, antwortete der Werwolf auf meine unausgesprochene Frage hin und übernahm wieder die Führung. „Wie war es eigentlich, als erster Werwolf der Welt aufzuwachen?“, fragte ich leise und erwartete mir erst gar keine Antwort. Sie war genauso unhöflich, wie zu einem frisch gewandelten Vampir zu sagen: „Na? Hat dir das Sterben gefallen?“ „Ich erinnere mich nicht mehr“, war alles was Logan dazu sagte. Ich nickte stumm und wünschte mir innerlich genau dasselbe. Wie einfach mein Leben doch wäre, könnte ich all die schrecklichen Dinge vergessen, die ich gesehen und miterlebt hatte. Am Ende unseres Weges angelangt, fand ich mich in dem Raum wieder, in dem ich zum ersten Mal mit Logan gesprochen hatte. Und es war sogar noch beengender, als ich es in Erinnerung hatte. „Worüber wolltest du sprechen?“, fragte seine Majestät nun und lehnte sich mit überkreuzten Armen gegen den Tisch, der die Hälfte des Raumes einnahm. Ich stand noch immer unschlüssig vor dem Spalt und wagte es kaum, weiter einzutreten. Seine innere Ruhe machte mich beklommen. Wie Donnergrollen vor herannahendem Gewitter. Seit unserer kleinen Unterhaltung schien er mir gegenüber etwas offener zu sein, nicht mehr so kalt und abweisend, daher sorgte ich mich zu Recht darüber, wie er über mein Angebot, dass ich ihm zu machen gedachte, reagieren würde. Dann wäre es ein für allemal vorbei mit den Nettigkeiten. „Das Tierblut reicht nicht“, begann ich vorsichtig und sah schon jetzt, wie sich seine Miene von Sekunde zu Sekunde verdüsterte. „Und mein Blutdurst ist bereits zu stark, um ihn weiter verdrängen zu können. Wenn ich es weiterhin ignoriere, könnte ich jemandem etwas antun.“ Mit einem flauen Gefühl im Magen dachte ich an Tristan, der meinen Übergriff nur knapp überlebt hatte und zuckte zusammen, als Logan sich fluchend mit der Hand durch das schwarze Haar fuhr. „Ich wusste, das würde zu einem Problem werden, aber eigentlich wäre das die Angelegenheit Tristans. Du bist seine Gefährtin, nicht meine.“ Ich sah ihn perplex an. „Wie kommt Ihr darauf, ich sei Tristans Gefährtin? Davon höre ich zum ersten Mal.“ „Welchen Grund gebe es sonst, dass du jetzt hier bist? Unter all deinen Feinden, nur um bei Tristan zu sein?“, blaffte er und ballte die Hände zu Fäusten, bis seine Knöchel weiß hervor traten. Die Luft um ihn knisterte vor angestautem Zorn und erhitzte den Raum. Ich schüttelte den Kopf in Unglauben. „Nein, nein, Ihr versteht das völlig falsch! Tristan ist … ein Freund. Ja, ich weiß wie sich das anhören muss, aber es ist wahr und es tut mir Leid, falls ich Euch in die Irre geführt habe. Ich wollte niemanden ausnutzen, aber ich sah keine andere Möglichkeit. Ihr seid der einzige, den ich jetzt noch um Hilfe bitten kann.“ Ich wusste nicht warum ich mich rechtfertigte oder warum ich mich so sehr darum bemühte, ihn zu überzeugen, aber ich wusste nicht an wen ich mich noch wenden konnte. Unter all meinen Feinden, war er der einzige, der sich auch nur Ansatzweise in meine Lage versetzen konnte. Wenn mich jemand verstand, dann Logan. Ich wollte einfach nicht dasselbe Fiasko erleben, wie es mit Tristan der Fall gewesen war. Ich hätte ihn beinahe ausgesaugt und er hätte es einfach so geschehen lassen. Er vertraute mir zu sehr, ohne wahrnehmen zu wollen, dass ich der auf Erden wandelnde Tod war. „Wie oft?“, fragte Logan, plötzlich entspannter, woraufhin ich innerlich ausatmete. Doch der Kampf war noch nicht gewonnen. Ich durfte mich noch nicht in Sicherheit wiegen, solange er mir nicht eine ausdrückliche Erlaubnis erteilte. „Jede Woche sollte genügen“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Ich könnte mich an den Menschen im Dorf oder an Durchreisenden bedienen, wenn Ihr mir erlauben würdet, die Höhle zu verlassen.“ Er grunzte. „Auf gar keinen Fall.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. Ich verstand zwar, dass er mir nicht vertraute, doch selbst ihm musste klar sein, dass es keine andere Lösung gab. Es sei denn ... „In diesem Fall, seid Ihr die einzige Nahrungsquelle die übrig bleibt. Ihr seid stark und habt genug Willenskraft um mich in die Schranken zu weisen, sollte mein Blutdurst Überhand nehmen.“ Logan verzog das Gesicht, als würde allein der Gedanke ihn anwidern. „Ich muss verrückt sein, dir das durchgehen zu lassen.“ „Mein Gedanke. Wie entscheidet Ihr Euch?“ Mein Herz schlug ungewohnt wild in meiner Brust. In gewisser Weise empfand ich ... Vorfreude. Der Werwolf seufzte geschlagen, fuhr sich wieder durch die Haare und gab mir mit einem tödlichen Blick zu verstehen, dass ihm das überhaupt nicht gefiel. „Ich mache das nur für Tristan“, erklärte er kalt. „Dir bin ich zu gar nichts verpflichtet, doch du kannst dich glücklich schätzen, dass ich ihm noch etwas schulde.“ Ich nickte und konnte gerade noch ein breites Lächeln verhindern. Ich fühlte mich, als wäre eine kaum tragbare Last von meinen Schultern gefallen. „Im Gegenzug wirst du auch etwas für mich tun.“ „Natürlich“, erwiderte ich zuvorkommend. „Was auch immer es ist, ich versuche zu helfen.“ „Du wirst mir mehr von den Vampiren erzählen – den Bau des Schlosses, eure Schwächen und Stärken. Einfach alles. Und du wirst von nun an die Welpen in der Kampfkunst unterrichten.“ Erschrocken blieben mir die Worte im Hals stecken. Ich hatte mit seiner ersten Bedingung gerechnet, doch die Zweite überrumpelte mich dann doch. „Wiederspricht dies nicht den Regeln?“ Logan zuckte gleichgültig die Schultern. Nun ja, immerhin konnte er seine eigenen Gesetze außer Kraft setzen wann immer es ihm beliebte. „Sieh es als vorrübergehendes Abkommen. Ich werde diese Regel aufheben, solange dich jemand im Auge behält. Mein Blut sollte es dir eigentlich Wert sein.“ Herausfordernd entblößte er leicht seinen Hals, als er den Kopf neigte. Ich schluckte hart. Dieser gerissene Werwolf hatte mich in der Hand, aber er hatte recht mit dem was er sagte: Ich wollte sein Blut. Unbedingt. „Einverstanden“, gab ich mich geschlagen. König schlug Dame. Schachmatt. Kapitel 11: the taste of snow ----------------------------- „Ihr müsst mich wahrlich hassen“, meinte ich, als ich eine Schriftrolle unterschrieb, auf dem unser Abkommen noch einmal geschrieben stand. Seine Majestät erwiderte nichts, beobachtete mich lediglich wie ein Adler als ich meinen Namen unter den Text setzte und riss mir den Fetzen anschließend aus der Hand, um ihn sich noch einmal genau durchzulesen. Wozu das gut sein sollte, wenn er ihn doch selbst verfasst hatte, wusste ich auch nicht. Glaubte er tatsächlich, dass ich mich an ein Abkommen halten würde, sollte mein Leben in Gefahr geraten? Solange es sich nicht um einen Blutpackt unter Vampiren handelte, empfand ich nicht die zwingende Pflicht, mich daran zu halten. Natürlich sagte ich ihm dies nicht. Denn ob ich nun mein Blut bekam, hing ganz allein von ihm ab. „Alles zu Eurer Zufriedenheit?“, fragte ich unruhig und legte die angespitzte Feder neben das Tintenfass. Logan schielte aus zusammengekniffenen Augen zu mir rüber und ließ nonchalant eine Augenbraue in die Höhe wandern. „Du kannst es wohl kaum erwarten, an meinen Hals zu kommen, nicht wahr, Blutsauger?“ Ich verdrehte die Augen, als wäre es das letzte auf Erden was ich tun wollte, doch er hatte leider nicht Unrecht. Ich brannte regelrecht danach – und er wusste es. Der Werwolf rollte die Schriftrolle zusammen und legte sie auf seinen Tisch, ehe er sich wieder mir zuwandte. Ich konnte das Blut förmlich durch sein Adern fließen hören. „Erwartet Ihr noch jemanden?“, fragte ich leicht abwesend und machte unbewusst einen Schritt näher. „Nein.“ Er taxierte mich prüfend. „Wann willst du––“ Ich ließ ihn nicht ausreden. Schneller als ein Lufthauch war ich bei ihm und drückte ihn gegen die kalte Wand. „Jetzt.“ Meine Nägel gruben sich in seine Schultern, mein Atem nur noch ein leises Keuchen. Er war etwas größer als ich, also musste ich mich auf die Zehenspitzen stellen, um an seine Halsschlagader zu kommen. „Es gilt dasselbe wie vorhin“, ließ Logan noch einmal schnell in den Raum fallen. „Wenn du dumme Tricks versuchst, bist du deinen Kopf los, Blutegel.“ Er verspannte sich, als ich mich gegen ihn drückte, um ihm erneut über den Hals zu lecken, diesmal noch länger und genussvoller. Die Ungeduld vibrierte mir in den Knochen. „Und ich habe Euch schon einmal gesagt“, hauchte ich gegen seine feuchte Haut, woraufhin sich die feinen Härchen auf seiner Haut aufstellen. „Ich stehe zu meinem Wort, Bastard.“ Das nächste was ich spürte, als meine Fangzähne sein Hautgewebe durchstießen, war köstliches, fünfhundert Jahre gereiftes Werwolfsblut auf meiner Zunge, wie es sich langsam einen Weg meine Kehle hinab bahnte. Das Blut war kühl und stillte meinen brennenden Durst wie eine Schicht aus eisigem Frost. Ich schmiegte mich an ihn, wollte mehr, mehr, mehr. Am Rande meines Bewusstseins konnte ich Logans Stöhnen wahrnehmen und spürte, wie sich seine zu Krallen geformten Hände in meine Hüften gruben. In meinem Inneren wurde es stiller. Keine schreienden Dämonen mehr, die an meinem Verstand kratzten und mit dem Tod tanzen wollten. Keine Gier, die nicht gelindert werden konnte. War es sein schneller schlagendes Herz, das zwischen uns pochte, oder meines? „Rebecca“, keuchte der Werwolf. Ein Arm schlang sich um meine Taille und drückte mich fester an den hitzigen Körper, an den ich mich bereits mit aller Macht klammerte. Raue Hände strichen über meinen Rücken und hinunter zu meinen Schenkeln. Ich löste mich von meiner Blutquelle und ein überraschter Schrei entwich mir, als Logan mein Knie mit seinen langen Fingern anhob, eine gewagte Umdrehung machte und nun plötzlich ich diejenige war, die an der Wand festgenagelt wurde. Logan und ich starrten uns gegenseitig in die Augen, schätzten ab, was der andere als nächstes tun würde, völlig außer Acht lassend, dass unsere Lippen nur einen Daumenbreit voneinander entfernt waren. „Jetzt wäre der perfekte Moment um aufzuhören“, keuchte der Werwolf heißer. „Stimmt“, pflichtete ich ihm bei. In der nächsten Sekunde lagen unsere Münder aufeinander und verschlangen geradezu den jeweils anderen. Logan roch nicht nur nach Schnee, er schmeckte sogar danach. Ein reiner und gleichzeitig prickelnder Geschmack, der meine Sinne vernebelte und mein Gewissen in die hinterste Ecke meines Verstandes drängte. Der Werwolf biss mich leicht in den Übergang von Hals zu Schulter, was mir ein kaum zu unterdrücktes Stöhnen entlockte. Logan packte fester zu, hob mich hoch, damit ich meine Beine um ihn schlingen konnte, und trug mich zum Schreibtisch, auf dem er mich vorsichtig niederließ, als wäre ich aus feinstem Porzellan. Seine Haut war weich, als läge eine unsichtbare, Millimeter dünne Fellschicht darüber und streichelte mich sanft, während der Rest von ihm sich nicht gerade mit Zärtlichkeit begnügte. Ich küsste ihn, als ob mein Leben davon abhinge, knabberte an seinen Lippen, ohne ihn dabei zu verletzten, obwohl die Aussicht auf mehr Blut äußerst verführerisch war. Mir wurde zunehmend schwindeliger, als seine Finger unter meine Kleidung tauchten und mich liebkosten, als gäbe es kein Morgen mehr. Meine Augen brannten wie Feuer vor lauter Lust. Wer weiß, wozu das alles noch ausgeartet wäre, wenn ich ihn nicht einem Augenblick geistiger Klarheit von mir gestoßen hätte. Wir beide außer Atem, Sklaven unser eigenen Gelüste. Logan trat einige Schritte zurück, war bleich und sah aus, als hätte man ohne sein Zutun sein Todesurteil beschlossen. Seine Augen waren starr auf seine Hände gerichtet, doch sobald er den Kopf hob lag in ihnen nichts als Hass. Glühender, alles vernichtender Hass und die Ursache war niemand weniger als ich. Was hatte ich nur getan? „Du“, grollte Logan, die Hände zu Fäusten geballt und vor unterdrückter Wut zitternd. „Was hast du getan?!“ „Ich––“ Doch er wollte es nicht hören. Zu furchtbar war für ihn dieser Albtraum. Ich konnte ihm nicht die Schuld geben, für etwas wofür ich verantwortlich war, auch wenn ich nicht verstand, wie es dazu nur kommen konnte. „Verschwinde!“, brüllte er. Seine letzten Worte ein ohrenbetäubendes Heulen des Wolfes, der aus seinem Käfig ausgebrochen war. Sein Gesicht verzerrte sich, als er zur Wandlung ansetzte. Knochen brachen mit einem lauten Knacken und verformten die Oberfläche seiner Haut. Ich war weg, bevor ich auch nur die Verwandlung miterleben konnte. Das Grauen saß mir im Nacken. Mein schlechtes Gewissen hatte sich mit voller Wucht in den Vordergrund gedrängt. Ich rannte schneller, zischte wie der Schall an den Wölfen vorbei, die mir entgegen kamen. Ich durchquerte den Hohlraum mit den Brücken und spürte den Wind wie Glas in mein Gesicht schneiden. Ich spürte nichts unter mir – als würde ich fliegen. Und anschließend ins Bodenlose fallen. Etwas Feuchtes rann mir über die Wange und veranlasste mich inmitten einer der Brücken stehen zu bleiben. Eine Träne. Ich runzelte die Stirn und wischte den Beweis für die Gefühle, die mich heimsuchten wie ein Monster aus einem Schauermärchen, schnell weg. Ich würde meine Verletzlichkeit doch nicht so öffentlich zur Schau zeigen wie ein kleines Kind, dass nichts von den Grausamkeiten dieser Welt wusste. Ich wollte nicht, dass mich jemand in diesem bedauerlichen Zustand sah. So verletzlich. Traurig. Woher hätte ich auch wissen sollen, dass es dazu kommen würde? Als ob ich nicht genauso entsetzt gewesen wäre wie Logan! „Merde“, zischte ich zornig und sprang von der Brücke. Immer weiter fiel ich an den anderen Brücken vorbei, sah die Etagen an mir vorbei zischen und landete mit einem dumpfen Laut auf dem Grund. Die Knochen in meinen Beinen zersplitterten wie Glas, doch das interessierte mich herzlich wenig. Ich wollte rennen und erst stoppen, wenn es nicht mehr weiter ging. Wenn ich vor dem Ausgang stand und vor Augen hatte, dass ich jederzeit gehen konnte. Das ich wenigstens die Illusion einer Wahl hatte. Aber so leicht war das Leben nun mal nicht. Der Tod erst recht nicht. Im Grunde war das erst der Beginn aller Probleme. Ich erinnerte mich nicht mehr an meinen Weg zurück in Tristans kleine Höhle, sondern nur noch an dieses grässliche Gefühl, als wäre der Teufel persönlich hinter mir her – den ich in diesem Fall liebend gerne gegen Logan eingetauscht hätte. Gestoppt hatte ich erst, als der Geruch meiner blutenden Fußsohlen neugierige Werwölfe anlockte. Tristan war nirgends zu sehen. Ich hatte während meines Laufs aufgeschnappt, dass er und die Jäger ihrem König nach Draußen gefolgt waren, weil dieser wie ein Berserker zu wüten begonnen hatte. Im Stillen war ich dankbar, dass ich Tristan nicht gegenüber treten musste. Ich wusste nicht, was er in mir sah und ich wollte mich im Moment auch nicht damit auseinandersetzen, dass er mich möglicherweise für jemanden hielt, der ich gar nicht war. Außerdem, wer versicherte mir, dass Logan Tristan nicht längst gebeichtet hatte, was zwischen uns vorgefallen war? Auch wenn es nichts zu bedeuten hatte und wahrscheinlich nur eine ziemlich abstruse Nebenwirkung auf Werwolfblut war. Doch wem wollte ich etwas vormachen? Mein neu entdecktes Gewissen ließ es nicht zu, dass ich das Problem einfach von mir weg schob. Ich schälte mich aus meinen Sachen und krabbelte unter die dicke Felldecke. Sie roch nach nassem Hund, ignorierte es aber, als ich mir die Decke über den Kopf zog und meinen langsamen Atemzügen lauschte. Tausend Sachen schwirrten in meinem Kopf, die ausnahmsweise einmal nichts mit Kriegen oder Intrigen zu tun hatten, auch nicht mit Logan oder Tristan, sondern einfach ... über mich. Wann war ich nur so geworden? So melancholisch und butterweich, dass ich selbst einen Nerv tötenden Wolfsjungen am Leben ließ? Oder jedenfalls nicht soweit verprügelte, dass sich dieser nicht mindestens über sein Ende gefreut hätte. Das wäre ich gewesen. Die wahre Rebecca del Mar. Ich hasste es verweichlicht zu sein, oder so schnell aus der Bahn geworfen zu werden und da hatte mich seine Majestät auf einem ganz falschen Fuß erwischt. Was ich ihm jedoch zugutehalten sollte, war, dass er mich bei unseren vielen Aufeinandertreffen nicht umgebracht hatte und mich trotz Widerwillen sogar von sich hat trinken lassen. Schwer vorstellbar, dass irgendjemand anderes sich dazu hätte breitschlagen lassen. Ich grummelte in mich hinein, weil ich schon wieder über Logan nachdachte, als ich plötzlich Gemurmel unweit meiner neuen Unterkunft wahrnahm. Ich hielt die Luft an, sorgte dafür, dass mein Herz einen regelmäßigeren Rhythmus einnahm und lauschte angestrengt. „ ... schon mal gesehen?“, fragte eine männliche Stimme leise. „Das war wirklich merkwürdig“, stimmte eine ebenso fremde Frauenstimme ihrem Begleiter schockiert zu. „Hast du ihn in den letzten hundert Jahren schon einmal so aufgebracht erlebt? Ich dachte er würde uns gleich umbringen!“ Meine Lippen verzogen sich zu einem ironischen Lächeln. So eine Reaktion kannte ich doch irgendwoher. Den Eindruck, dass die Person vor einem gleich mit lautem Gebrüll auf einen losging und in Fetzten riss war etwas womit ich täglich zu kämpfen hatte. Ich wusste, dass es um Logan ging noch ehe ich seinen Namen aus dem Mund des Mannes hörte. Er war nicht minder überrascht. „Ob es etwas mit diesem Blutsauger zu tun hat? Ich habe sie vorhin herum schleichen sehen. Sehr verdächtig.“ „Na dann wundert es mich nicht!“, entgegnete die Frau. Ich vernahm ein überhebliches Schnauben und Nägel, die über Stein fuhren. „Dieses arrogante Miststück bringt nur Ärger! Ich verstehe einfach nicht, warum Tristan sie hier behält!“ Ich ächzte. Sollte ich diesem Weib jemals über den Weg laufen, würde ich meine Fänge an ihr wetzten. „Ich kann verstehen, was er in ihr sieht. Das lange Haar, so silbrig wie Mondlicht, der mutige und unnachgiebige Ausdruck in ihren schwarzen Augen, ihre blasse Haut so weiß wie Schnee und die Eleganz mit der sie sich bewegt ... wäre sie kein Vampir, hätte ich sie mir längst genommen“, meldete sich eine neue Stimme zu Wort, die mir definitiv bekannt vorkam. „Sie ist ein Monster!“ „Deine Vorurteile sind überflüssig, Natalia. Ihm scheint es nichts auszumachen.“ „Man sollte sie in einen Kerker sperren und ihr die Fangzähne ausreißen!“, zischte eine andere Person. „Tristan würde es gar nicht gefallen, wenn ihr so über sie redet. Wenn er das je zu Ohren bekommt ... “ Kaiden ließ den Satz unvollendet, woraufhin ich zufriedenstellende Schadenfreude empfand, als Natalia plötzlich japste und mit einer beunruhigenden Aggressivität knurrte: „Wag es ja nicht, ihm auch nur ein Wort hiervon zu erzählen! Schlimm genug, dass Logan scheinbar sauer auf uns ist, doch wenn jetzt Tristan auch noch mitmacht, wird das in einem Blutbad enden!“ Darauf hatte scheinbar niemand etwas zu erwidern. Nach einer Weile hörte ich die Schritte verhallen und ich ließ mich ratlos in die Kissen zurück sinken. Ich hatte den Hass und die Verachtung erwartet, ja sogar meinen Todeswunsch, aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass mich Kaiden verteidigte. Verwirrend, aber ich war schlau genug, um mir nichts darauf einzubilden. Seiner Sympathie traute ich genauso wenig über den Weg wie der Tristans. Wenn man vom Teufel sprach, kam Tristan etwa eine Stunde später in seine Höhle. Seine braunen Augen waren leer, als er sich mit einem tiefen Seufzen neben mich sinken ließ und den Kopf in den Nacken legte. Für einen kurzen Moment konnte ich ihm sogar sein wahres Alter ansehen, welches tiefe Krater in ihm hinterlassen hatte und sein Gesicht erschöpft und aufgezehrt wirken ließ. Da bemerkte ich die blutigen Wunden an seiner Seite, die tief gewesen sein mussten, aber langsam wieder verheilten. All die blau verfärbten Prellungen auf seinem Körper ließen darauf schließen, dass er vor einigen Minuten noch weitaus schlimmer ausgesehen haben musste. „Was ist passiert?“, fragte ich vorsichtig. Erst nach einigen schweigsamen Sekunden, neigte er den Kopf in meine Richtung, als wäre die Frage erst jetzt zu ihm durchgedrungen. Er lächelte schwach, ohne eine Spur von Fröhlichkeit in seinen Augen. „Logan“, stöhnte Tristan langsam und schüttelte den Kopf, als würde die Erinnerung allein ihm Kopfzerbrechen bereiten. „Ich habe ihn noch nie so ... zügellos erlebt. Barbarisch, um es genau zu nehmen. Ich und zwei weitere Jäger sind ihm gefolgt um ihn zu beruhigen, aber er ist völlig ausgerastet und hat sich auf mich gestürzt. Wenn die anderen ihn nicht fortgezogen hätten, hätte er mich mit Sicherheit zerfleischt.“ Ich erinnerte mich, dass die Jäger etwas Ähnliches erwähnt hatten, dabei schien er mir immer wie ein brodelnder Vulkan zu sein, der jeden Moment drohte auszubrechen. Allerdings fürchtete ich zu wissen, wem seine schlechte Laune zu verdanken war. „Wo ist er jetzt?“ Tristan zuckte halbherzig die Schultern. „Wissen wir nicht. Nach seinem Wutausbruch haben wir ihn tiefer in den Wald gejagt, aber wir haben seine Spur verloren. Er könnte überall sein.“ „Du wirkst nicht gerade besorgt über seinen Verbleib“, bemerkte ich mit gerunzelter Stirn. Tristans Mundwinkel verzogen sich. „Er wäre ohnehin noch Ende dieser Woche verschwunden, so wie zu jeder Zeit des Vollmonds.“ „Ihr verwirrt mich, Tristan. Was hat der Mond damit zu tun?“ „Zu Vollmond erwacht das Tier in uns. Die Älteren von uns sind anfälliger für Wutausbrüche und Mordlust, die uns zu dieser Zeit heimsuchen. Deshalb gehen wir zu in die Berge, um niemandem aus dem Rudel zu schaden, doch unglücklicherweise kommt nicht jeder wieder zurück. Wenn es um die Auswirkungen des Mondes auf uns geht, dann sind wir unberechenbar“, erklärte er mit einer Sehnsucht in die Stimme, die absolut nicht zu dem brutalen Bild passte, das in meinem Kopf entstanden war. „Warum hört es sich so an, als ob Ihr von einer heißblütigen Geliebten sprecht und nicht von einer Kugel am Himmelszelt?“ Diese Fragte entlockte dem Werwolf ein verschmitztes Grinsen. „Eigentlich liegst du in diesem Punkt gar nicht einmal so falsch, Becca. Für uns ist der Mond verführerisch, hypnotisierend und unwiderstehlich. Wie eine Mondgöttin, die uns mit ihrem Sirenengesang ins Verderben führt.“ „Ah, ich verstehe. Was die Blutsucht bei Vampiren ist, ist die Mondgier bei Werwölfen.“ Ein Urinstink der unmöglich war zu unterdrücken und uns zu den Albtraumwesen machte, die wir heute waren. Es erleichterte mich zu wissen, dass wir Vampire nicht die einzigen waren, die eine derartige Abhängigkeit besaßen, doch auch wenn sich ihre Mondgier in Zerstörung und Chaos äußerte, war die Blutsucht dennoch todbringend. Tristan lächelte schwach. „Ganz genau. Logan trifft es natürlich am härtesten, da er zwischen diesen beiden hin und hergerissen ist, ohne jemals ein Ganzes sein zu können.“ Ich zuckte innerlich zusammen bei der Erwähnung von Logans vampirischer Seite, die er niemand anderem als meiner Stammfamilie zu verdanken hatte, die in ihrem Wahnsinn unser ganzes Volk in einen erbitterten Krieg hineingezogen hatte, in dem kein Sieger hervorgehen würde. „Wenn wir schon einmal bei dem Thema sind“, fuhr Tristan fort. „Wie werden andere Vampire geschaffen? Wird die Krankheit durch einen Biss übertragen, wie bei uns?“ „Wenn dem so wäre, bestünde das halbe Land aus Vampiren“, antwortete ich belustigt. „Die Verwandlung ist sehr ... komplex. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Die Enttäuschung war ihm ins Gesicht geschrieben, allerdings fing er sich schnell wieder, als ihm etwas einzufallen schien. Er schob die Hand unter eines der Kissen und nach langem herumkramen, zog er das goldene Collier hervor, welches so wunderschön wie eh und je im dämmrigen Licht glänzte. „Ich wollte es dir schon seit einer ganzen Weile zurück geben“, erklärte er mit einem entschuldigenden Lächeln und hielt es mir auffordernd hin. Ich starrte das Schmuckstück lange an, bewunderte den anmutenden Diamanten, der mich mit seiner blutroten Farbe geradezu willenlos machte und doch würde ich es nicht annehmen können, weil ich genau wusste, warum er es mir so unbedingt schenken wollte. „Wir sollten reden“, beschloss ich resigniert, weil ich endlich einsah, dass ich diesem Gespräch nicht ewig aus dem Weg gehen konnte. Tristans Lächeln erlosch sofort und er senkte den Blick, als wüsste er genau, was in meinen Gedanken vorging. „Nein.“ „Nein?“, hakte ich nach, verwirrt über seine ablehnende Haltung. „Genau. Nein. Ich will nichts davon hören und jetzt nimm die verdammte Kette.“ Verdutzt ließ ich es zu, dass er das Collier in meine ausgestreckte Hand fallen ließ und das Gespräch abrupt beendete. Da realisierte ich, dass er es wusste. Er wusste, dass ich nicht dieselben Gefühle für ihn hegte, wie er für mich. Andererseits wäre ich dumm, wenn ich es für nötig hielt noch mehr Salz in die offene Wunde zu streuen, also ließ ich es dankbar auf sich beruhen, legte mir das Collier um den Hals und legte mich schlafen, sobald Tristan die Fackeln löschte und der Raum von Finsternis erfüllt wurde. Kapitel 12: the bloodthirsty prisoners -------------------------------------- Es waren kaum zwei Tage vergangen und noch immer schien diese Kluft zwischen mir und Tristan zu bestehen, nachdem ich erfolglos versucht hatte unsere Beziehung zueinander klarzustellen. Er wollte nicht hören und ich wollte es nicht aussprechen. Es war ein stummes Abkommen zwischen uns, das uns davor bewahren würde, noch tiefer zu graben. Es war gut so wie es war. Ich war hier sicher vor meiner Schwester und Tristan hatte mich in seiner Nähe, auch wenn ich mir nicht Gewiss sein konnte, dass es nicht grausamer war, als einfach aus seinem Leben zu verschwinden. Im Augenblick saßen wir in einer Art Speisesaal, etwas abseits von den anderen Werwölfen, die in kleinen und großen Gruppen unterteilt waren. Es gab keine Tische im weitreichenden Sinne, sondern eher von Klauen geformte Gesteinsbrocken, die im gesamten Höhlenraum verstreut waren und an einer Wand wie ein kleiner Berg aufeinander gestapelt waren. Auf dem größten Felsbrocken standen drei Kessel, mit einer Brühe darin, die aussah wie eine Mischung aus Suppe und zermatschtem Fleisch, an denen sich die Rudelmitglieder nach Belieben bedienten. Die Suppe hatte eine bedenkliche bräunliche Färbung angenommen, die mir absolut nicht behagte, doch Tristan schlürfte es in sich hinein, als wäre er ein Gestrandeter, der kurz davor stand einen Hungertod zu erleiden. Umbringen würde ihn diese Brühe jedoch wohl kaum. Ich war zuversichtlich, nachdem mir klar wurde, dass diese Suppe hier des Öfteren serviert wurde, da die Vorräte an gutem Essen knapp waren. Allein die Frage, wie die Werwölfe in solch einer großen Gruppe so lange überleben konnte, bereitete mir Kopfzerbrechen, aber ich hielt es für das Beste Tristan vorerst mit meinen Fragen zu verschonen, ehe er nicht wieder vollständig zu Kräften gekommen war. Außerdem wollte ich nicht den Anschein erwecken, als versuche ich ihm geheime Informationen zu entlocken, solange die anwesenden Werwölfe mich mit unbarmherzigem Argwohn beobachteten. Ich wusste nicht, wie ich es vollbracht hatte den Hass der anderen, nach Logans Verschwinden, noch mehr zu schüren, doch ich schien das reinste Naturtalent darin zu sein. Zwar mochte ihr Abscheu berechtigt sein, doch ich war überzeugt, dass seine Majestät Stillschweigen geleistet hatte und seinen Vertrag mit mir nicht brechen würde. Er war nicht ehrenlos genug, um seine eigenen Abkommen zu brechen. Gefühllos erwiderte ich die Blicke, begegnete dem ein oder anderem bekanntem Gesicht, doch das türkise Augenpaar nach dem ich Ausschau hielt, war nicht aufzufinden. Mein Unmut wurde mit jedem Tag, jeder Stunde, größer. Und innerlich verfluchte ich mich in allen mir bekannten Sprachen, dass ich auch nur einen Gedanken der Sorge an den König der Werwölfe verschwendete. Wenn ich ihn in der Nähe wusste, seine geballte Wut entgegen geschleudert bekam, beschlich mich ein Gefühl des Friedens und der Gewohnheit, statt mir Horrorszenarien der schlimmsten Sorte ausmalen zu müssen, die mich nur noch weiter in den Abgrund trieben. Ich versuchte meine unnützen Gedanken auszublenden, versuchte mich wieder voll und ganz auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und beobachtete Tristan dabei wie er die letzten Reste aus seiner hölzernen Schüssel kratzte. Ein plötzlicher Lufthauch traf mich im Nacken, so unerwartet und jäh, wie das Gefühl hinterrücks angegriffen zu werden, dass ich nur auf eine Weise zu reagieren wusste. Ich wirbelte herum, packte die Hand, welche sich nach mir ausgestreckt hatte und verdrehte das Handgelenk so, dass der Mann auf ein Knie fiel und das Gesicht vor Schmerz verzog. „Verflucht, das tut weh!“ Noch nicht gewillt, einfach so loszulassen, ließ ich meinen prüfenden Blick über den jungen Erwachsenen mit dem sandfarbenem Haar, den verschleierten blauen Augen, der breiten Stirn und dem kleinen Mund wandern und befand schließlich, dass es sich nicht lohnte, ihn weiterhin zu quälen. „Ich kenne Euch“, sagte ich, mehr zu mir selbst als zu ihm und ließ sein Handgelenk los. „Das will ich doch hoffen“, erwiderte er hochmütig und stand auf, so dass wir nun auf gleicher Höhe waren, denn er war kaum größer als ich selbst. Dann aber lächelte er und das angehaltene Schweigen, das den Raum ergriffen hatte, löste sich langsam auf. Tristan warf uns von seinem Platz aus ein spitzbübisches Grinsen zu. „So schnell wieder auf den Beinen, Lyon? Wie geht es Peter?“ Nun fiel es mir schlagartig wieder ein. Er war einer der Jungen, die ich aus dem Kerker des Schlosses befreit hatte, um Tristan das Collier zurückbringen zu lassen! Die Gefangenschaft hatte äußerlich kaum Spuren an ihm hinterlassen, doch wenn man in diese nichtssagenden Augen blickte, mit den schlaffen Gesichtszügen, die keine wahre Freude ausdrücken zu schienen, konnte man erkennen, dass die Vampire ihm ein unverkennbares Zeichen auf die Seele gedrückt hatten. „Er lebt“, antwortete Lyon schlicht, als gebe es keine bessere Nachricht. „Das ist mehr als ich erwartet habe, aber Apple kümmert sich gut um ihn.“ „Hoffentlich macht sie es ihm nicht allzu schwer. Was die Genesung angeht, kann Apps ganz schön herrisch sein“, erwiderte Tristan verständnisvoll. „Was du nicht sagst.“ Lyon verzog das Gesicht, als Tristan ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte. Ich räusperte mich leicht. Die Aufmerksamkeit der beiden wurde mir wieder zu teil und ich deutete mit einem Kopfnicken auf den Jüngeren, der mich in der Gegenwart seines Freundes bereits vollkommen vergessen hatte. Mit fester Stimme sagte ich: „Da ich diejenige war, die so unverblümt angefasst wurde, nehme ich an, dass Ihr zu mir wolltet. Also? Was wollt Ihr?“ Seine Wangen nahmen einen rötlichen Schimmer an und er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Ich wollte mich für die Rettung ... bedanken und, äh, ich habe gehört du magst Schmuck, deswegen habe ich dir das hier mitgebracht.“ Es war ein Kolibri mit einem goldenem Schnabel, kleinen, blauen Diamanten die die von sich gestreckten Flügel abdeckten und einem bezaubernden Brustkorb, der abwechselnd rosa und violett schimmerte. Ich konnte meine Vorliebe für glänzende, funkelnde und wertvolle Dinge nicht abstreiten, konnte mich aber nicht wirklich dazu durchringen die Brosche anzunehmen, die er mir in ungeduldiger Erwartung hinhielt. Da ich nicht unhöflich, geschweige denn unfair erscheinen wollte, nahm ich Lyons Cadeau mit ausdrucksloser Miene an, konnte mich aber, wie schon bei Tristan, nicht über das Geschenk freuen. Dieser allerdings, schien ebenfalls alles andere als glücklich zu sein und fixierte seinen Freund wie einen ernst zu nehmenden Rivalen. „Was hast du vor, Lyon?“, knurrte er und blähte die Nüstern. „Sag, willst du mich reizen?“ „Nein!“, erwiderte der Jüngere sofort empört. „Verflucht, ich wollte mich doch nur bedanken!“ „Worte wären genug gewesen!“, fauchte Tristan und sprach an meiner Stelle, was ich absolut nicht gut hieß. Die Eifersucht zischte in ihm wie ein Nest voller Schlangen und ich hatte Schwierigkeiten damit, höflich über die aufkeimende Aggressivität hinweg zu sehen. Ich sah zwischen den beiden hin und her. Sollte ich eingreifen? Sollte ich nicht? Wieder herrschte Stille untern den Zuschauern. Das Gespräch eskalierte zunehmend. Mittlerweile wurde auch Lyon von widerspenstigem Zorn erfüllt. „Woher sollte ich das denn wissen?! Sie ist ein Blutsauger und es war das erstbeste was mir eingefallen war!“ „Hüte dich, dieses Wort noch einmal in ihrer Gegenwart auszusprechen!“, knurrte Tristan und machte Anstalten auf seinen Freund loszugehen, doch bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte, spürte ich die starke Präsenz einer bestimmten Person hinter mir, gefolgt von dem starken Geruch von Schnee, und wurde im nächsten Moment von einem tiefen Grollen hinter meinem Rücken begrüßt, das mir einen kalten Schauer die Wirbelsäule hinunter jagte. „Was geht hier vor?“, fragte Logan ruhig und gleichzeitig ziemlich genervt, als wäre er nie fort gewesen und müsse sich zum wiederholten Male um seine aufsässige Verwandtschaft kümmern, die nichts als Unsinn im Kopf hatte. Ich reckte mein Kinn unbeugsam nach oben, streckte meinen Rücken gerade durch und drehte mich um, um ihm mit dem stolzesten Blick gegenüber zu treten, den ich aufbringen konnte. In seinen ungnädigen, türkisen Augen lag ein merkwürdiger Ausdruck, als er mich musterte und sein Blick dabei auffällig lange auf Tristans Collier lag, ehe er sich nahezu gleichgültig abwandte. „Logan, gut das du da bist“, begrüßte Lyon seinen Anführer mit sichtlicher Erleichterung, da er dieses Missverständnis sicherlich wieder in Ordnung bringen konnte. „Tristan will mir nicht glauben, dass ich ihr“, er nickte in meine Richtung und ich rümpfte beleidigt die Nase, “die Brosche nur als Dank schenken wollte – ohne Hintergedanken!“ „Er will sie doch bestimmt umgarnen!“, schoss Tristan zurück und zog mich von Logan weg, der uns alle mehr als kritisch musterte. „Ach, wäre der Kopf eines Werwolfs etwa besser gewesen?!“, schrie der Jüngere und ein kalter Luftzug wehte über unseren Köpfen hinweg, der angeregte Diskussionen sofort einstellte und entsetztes Luftschnappen durch die Reihen schickte. Ich rieb mir die Schläfen und fragte mich, ob ich eigentlich das Recht hatte mich einzumischen? Ich wollte mich nicht mehr als nötig in dieses kindische Geplänkel einmischen, andererseits konnte ich Tristans eifersüchtiges Verhalten nicht mehr lange ertragen. Was bildete er sich eigentlich ein, für mich sprechen zu dürfen? Ich war nicht sein verdammter Besitz, denn er mit Krallen und Zähnen zu verteidigen hatte! Ich öffnete den Mund, doch seine Majestät unterbrach mich barsch, mit einem bellenden Laut, der keine Wiederworte duldete. „Es reicht! Hört auf euch wegen so einer Lappalie zu streiten.“ Er sah mich zwar nicht an, doch ich wusste ganz genau, dass diese Bemerkung besonders an mich gerichtet war – die Ursache allen Übels. „Und was dich angeht, Tristan, reiß dich zusammen und halte deine Eifersucht im Zaum. Es wird hier von keinem Paar geduldet, die Kontrolle zu verlieren.“ Eine klare Drohung. Und niemand wagte es zu wiedersprechen, obwohl es mir brennend auf der Zunge lag, ihn zu korrigieren, dass Tristan und ich kein Paar waren. „Was dich angeht“, wandte sich Logan mit Verachtung triefender Stimme an mich und deutete auf etwas hinter mir. „Ich habe dir etwas mitgebracht.“ Ich drehte mich mit gemischten Gefühlen um und fragte mich bangend, was ich diesmal getan hatte um ihn zu verärgern, als ich plötzlich erstarrte, sobald ich die drei Vampire sah, die von sieben Jägern in Schach gehalten wurden. Meine Augen wurden groß, als ich Oleen und Evelyn unter ihnen wiedererkannte. Das schmale Gesicht meiner ehemaligen Kameradin war trotzig verzerrt, während sich die kleine Teufelin Zähne fletschend freizukämpfen versuchte. Der dritte Vampir im Bunde war mir unbekannt, doch seiner dunkelroten Kutte zufolge mit einer Kapuze, die er sich tief über den Kopf gezogen hatte, sowie den glänzenden Silbermessern, die in seinen Stiefeln und dem Gürtel steckten, musste es sich hier um einen Kopfgeldjäger handeln, woraufhin in mir sofort wieder der alte Groll hochkam. Sie alle drei befanden sich nun hier, direkt in der Mitte ihrer Todfeinde, umzingelt von einer gewaltigen Horde an Werwölfen, die sie am liebsten gleich niedergemetzelt hätten. Na wenn das keine unvorhergesehene Überraschung war. „Mylady!“, rief Oleen und ihre blauen Augen blitzten mich sorgenvoll an. „Seid Ihr wohlauf? Hat man Euch verletzt?“ Mit einem gezielten Tritt wehrte sie den Biss eines Werwolfs ab, der nach ihrem Bein schnappen wollte und versuchte zugleich näher an mich ranzukommen. Meine Aufmerksamkeit fiel auf die die klaffende Brustwunde, die man ihr mit scharfen Klauen zugefügt hatte. Ihr halber Brustkorb lag offen und ließ dunkles Blut hervor quellen. „Oleen, beruhige dich!“, befahl ich schroff. Sie sollte sich nicht überanstrengen, solange sich nicht wenigstens die blutende Wunde geschlossen hatte, und ich sah zufrieden zu, wie sie gehorsam den Mund zuklappte. Ehrlich gesagt war ich unendlich erleichtert sie wieder zu sehen, aber ihr Zustand bereitete mir Sorgen – allem voran wegen ihren beiden Begleitern. Ich machte einen Schritt auf sie zu, doch Logan stellte sich mir in den Weg wie eine Wand. Ich warf ihm einen aufgebrachten Blick zu, auch wenn ich seinen Zorn verstehen konnte. „Was habt Ihr mit ihnen vor?“ „Was wir mit allen Eindringlingen machen. Wir töten sie“, antwortete er nüchtern und ohne auch nur den Hauch eines Gefühls in der Stimme. „Verschont sie“, presste ich die Worte widerwillig hervor. „Und warum sollten wir das tun? Ich habe die drei dabei erwischt wie sie versucht hatten, sich durch einen der versteckten Höhleneingänge bei uns einzuschleichen. Was meinst du, hatten sie vor?“ Er beugte sich zu mir herab, seine Lippen lagen dicht an meinem Ohr, als er flüsterte: „Sie kamen bestimmt nicht mit friedlichen Absichten.“ „Fasst meine Herrin nicht an!“, fauchte meine blonde Gefährtin, schnappte sich einen der Dolche des Söldners und schleuderte ihn mit einer außergewöhnlichen Treffsicherheit nach Logan. Ich stieß den großen Mann beiseite, woraufhin sich die Waffe tief in meine rechte Schulter bohrte und mich zurück straucheln ließ. Mit einem Ruck riss ich mir den Dolch aus dem Fleisch und warf ihn achtlos zu Boden. Tristan brüllte und stürzte sich auf das Trio, doch ich war schneller und hielt ihn auf, ehe er noch eine Dummheit begehen konnte. „Haltet Euch zurück, Tristan!“ Sobald jedoch auch die anderen Gestaltwandler in ihre andere Form schlüpfen wollten um ihrem Kameraden beizustehen, stieß Logan ein ohrenbetäubendes Brüllen aus. Beinahe augenblicklich stoppten alle damit, die drei Fremden weiterhin zu bedrängen. Nur noch ein unwilliges Knurren drang aus ihren Reihen, wie das Summen eines Bienenschwarms. Was nicht bedeutete, dass diese nun von den Werwölfen sicher waren. Ganz im Gegenteil, mehr als ein Dutzend tückischer Augen lagen auf ihnen und musterten sie wie Frischfleisch – was sie wohl auch waren. Ohne den Blick von Logan abzuwenden, drängte ich mich wachsam zu den drei Vampiren durch und spürte, wie Oleens blutverschmierte Hand nach der meinen griff. Der Söldner hielt sich ebenfalls an mich und machte keine Anstalten für einen weiteren Angriff. Er musste sich im Klaren sein, dass er diesen Tag wahrscheinlich nur überleben würde, wenn er mich nicht zur Feindin machte, ganz egal, was Leonore ihm aufgetragen hatte. Es war mir eine willkommene Schwachstelle, dass Söldner dazu neigten ihr eigenes Leben über das ihrer Opfer zu stellen. Ob die kleine Teufelin genauso schlau war wie er, war fraglich, doch sie begnügte sich vorerst mit einem bösartigen Zischen in meine Richtung und stellte sich anschließend neben den in rot verhüllten Auftragsmörder. Evelyn hatte diese Gefangennahme wesentlich besser überstanden als die anderen beiden, deren Geruch nach Verwesung zum Himmel empor stank. Sie blutete am Kopf und ein großes Stück Fleisch fehlte über ihrer Hüfte, doch sie gab keinen Ton von sich, der eine Schwäche preisgegeben hätte. „Tötet sie nicht“, bat ich erneut mit fester Stimme und kämpfte gleichzeitig mit meinen widersprüchlichen Gefühlen. Weder wollte ich Evelyn und den Söldner in Schutz nehmen, noch wollte ich mich gegen Logan stellen. Es wäre fatal für mich, noch weiter im Rang zu sinken. „Unmöglich!“, rief jemand aus einer der hinteren Gruppierungen und erntete zustimmendes Gemurmel. „Sie werden uns verraten und die Blutsauger her holen!“, schrie jemand anderes. Ich knirschte mit den Zähnen. Ich hasste es, wenn Werwölfe Recht hatten. Selbst unter Vampiren konnte man einander nicht trauen, daher war es nur allzu abwegig, dass sie die drei einfach gehen lassen würden. Wäre ich an deren Stelle, würde ich ihre Freilassung noch nicht einmal in Erwägung ziehen, aber ich könnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, wenn Oleen für ihre Treue mir gegenüber büßen musste. Außerdem grenzte es an ein Wunder, dass Logan dieses Trio überhaupt zu mir gebracht hatte. Er hätte sie schließlich auch einfach töten und ihre Überreste verstecken können. Unwahrscheinlich, dass ich es je bemerkt hätte. „Ich werde nicht ohne Euch gehen, Mylady“, beharrte Oleen. „Es wäre unverantwortlich von mir Euch mit diesem ... Gesindel alleine zu lassen.“ „Habe ich dir erlaubt zu sprechen?“, fuhr ich sie zischend an, woraufhin sie demütig den Kopf senkte. Ihr spitzer Kommentar machte die ganze Angelegenheit keinen Deut besser, wo ich doch schon mein Möglichstes tat, um die Situation irgendwie zu entschärfen. Logan trat vor und warf einen abschätzenden Blick auf den armseligen Haufen den wir abgaben. „Liegt dir so viel an diesen Blutsaugern?“ Ich verzog das Gesicht. „Ich bin eine Verräterin. Eine Mörderin. Aber keine Lügnerin, daher werde ich nicht behaupten, mir läge auch nur ein kleines bisschen an ihnen, aber ich habe dieses ewige Blutvergießen satt. Ich kann und werde es nicht länger dulden.“ Ich war vielleicht eine Abtrünnige unter den Vampiren und die Todfeindin meiner Schwester schlechthin, doch ich würde die anderen nicht in unseren Zwist mit hineinziehen, auch wenn sie es ohne jeden Zweifel verdient hätten. Logan überlegte verbissen. Das erkannte ich an der steilen Falte, die zwischen seinen dunklen Augenbrauen erschien und ihm wieder diesen grimmigen Ausdruck verlieh. Ich verstand, dass er ein Zeichen setzen und sein Rudel beschwichtigen musste, dennoch hoffte ich inständig, dass er sich meine Bitte zu Herzen nahm. Derweil hatte sich Tristan etwas näher an uns herangewagt, hielt aber skeptischen Abstand zu den blutbesudelten Fremden. Ich konnte in seinen haselnussbraunen Augen nicht ganz klar erkennen, ob er mir noch vertraute oder nur darauf wartete, dass ich ihm ein Messer in den Rücken rammte. „Darf ich einen Vorschlag machen?“, bat Kaiden und stellte sich neben Logan, der ihm mit einem Wink zu sprechen erlaubte. „Wir könnten die Eindringlinge bestrafen und dann dafür Sorge tragen, dass sie diese Höhle nicht verlassen. Es erscheint mir als die plausibelste Lösung, wenn wir nicht darauf abzielen sie zu töten.“ „Wer garantiert uns, dass sie uns nicht in eine Falle locken werden?“, fragte Natalia, die aus einer kleinen Schar an Frauen hervor trat, lässig mit den Hüften schwang, als sie sich an Tristans Seite stellte und mich dabei musterte, als wäre ich weniger Wert als Dreck am Boden. „Bei diesen blutgierigen Dämonen weiß man ja nie.“ Kalt wie Eis erwiderte ich ihren fuchsigen Blick. „Ich garantiere es.“ „Auf das Wort eines Vampirs kann man sich nicht verlassen!“, fauchte sie biestig. „Ihr würdet doch alles behaupten, um eure Haut zu retten!“ „Sie hat recht“, sagte Logan und wandte sich an mich. „Beweise es.“ Ich musste gestehen, ich hatte nicht damit gerechnet, dass Logan mich dazu zwingen würde für meine Worte geradezustehen. Aus irgendeinem Grund hatte ich erwartet, er wäre auf meiner Seite – so konnte man sich irren. „Ich brauche deinen Schutz nicht“, zischte Evelyn leise. „Eher sterbe ich lieber.“ Ich blickte herablassend zu ihr hinab und ließ eine Augenbraue in die Höhe wandern. „Ist dein Stolz denn groß genug, um dich freiwillig dem Tageslicht auszuliefern?“ Die kleine Vampirin wurde kreidebleich und starrte mich mit ihren vor Angst geweiteten, stets blauen Augen an. Absolut jeder Vampir fürchtete sich vor dem Tod bringenden Sonnenlicht. Es übertraf jede Folter, jedes Leid, mit einer solch erschreckenden Leichtigkeit, dass man noch nicht einmal seinem ärgsten Feind solch ein Ende wünschte. Das ich ihr dieses Angebot unterbrachte, musste ihr wohl wie ein Schlag ins Gesicht vorkommen. Ich selbst war überrascht, überhaupt auf diese Idee zu kommen, doch was würde meine Ehrlichkeit mehr unter Beweis stellen, als mich aus freien Stücken den größten Qualen auszusetzen, die wir Vampire zu bieten hatten? Evelyn schüttelte vehement den Kopf, denn wir wussten beide, dass meine Geduld mit ihr an einem seidenen Faden hing. „Sonnenlicht?“, fragte Logan. „Das ist alles?“ Zum allerersten Mal zischte ich ihn an, aus Wut darüber, dass er den Schrecken aller Vampire so leicht auf die Schulter nahm. „Ihr werdet es wissen, sobald Ihr es seht!“ Logan zuckte die Schultern. „Na schön, aber fairerweise warne ich dich. Wenn die Jäger nicht damit zufrieden sind, werden die Gefangengen den nächsten Abend nicht mehr erleben.“ „Einverstanden“, knirschte ich mit den Zähnen und wurde jäh von der entsetzen Messerwerferin zurück gezogen. „Mylady! Seid ihr von Sinnen?! Das könnt Ihr nicht machen!“ „Oh, natürlich kann ich. Und ich werde es auch, Oleen.“ „Bitte, so hört mich doch an! Ihr––!“ „Oleen, genug! Ich will nichts mehr von dir hören!“ Die blonde Vampirin verstummte, ließ meine Hand los und ihre blauen Augen verdunkelten sich wie die schwärzeste Nacht. Die Enttäuschung war ihr ins Gesicht geschrieben, aber noch deutlicher sah ich die Trauer in ihren Gesichtszügen, die mir einen schmerzhaften Stich verpasste. Meine Worte mussten ihr wie Verrat vorkommen, doch ich war schließlich auch verpflichtet mich an den Packt mit Logan zu halten. „Das ist also dein letztes Wort?“, fragte Logan, den mein Zwist mit Oleen völlig kalt zu lassen schien. „Wie du willst. Dann komm, bringen wir es hinter uns.“ Kapitel 13: the lonely one -------------------------- Ich war so gut wie tot. Als wäre es nicht bereits schmerzhaft genug, wenn ein Vampire das Sonnenlicht auch nur streifte, nein, ich musste ja darauf bestehen, mich dieser Folter absichtlich auszusetzen! War ich denn des Wahnsinns? Welcher Teufel ritt mich, als ich mich dazu entschloss? Aber nun war es zu spät, um noch einen Rückzieher zu machen. Ich hatte mein Wort gegeben und wäre ein Feigling, wenn ich mich nicht daran hielte. „Becca, ich glaube nicht, dass das eine sonderlich gute Idee ist“, versuchte Tristan mir einzureden. Seine haselnussbraunen Augen flackerten vor Besorgnis, die ihm ins ganze Gesicht geschrieben stand. „Lass mich mit Logan reden! Ich bin sicher, ich kann ihn umstimmen.“ Mein Blick war stur auf dem breiten Rücken des Werwolfkönigs gerichtet, der die Spitze der Gruppe bildete, welche auf dem Weg zu meiner persönlichen Schlachtbank war. „Nein, Tristan. Es gibt kein Zurück und ich bestehe auf keine Sonderbehandlung, da ich zumal kein Gast hier bin, sondern eine der Gefangenen.“ Er schnitt eine Grimasse, da ich ihn an etwas erinnert hatte, an das er lieber nicht gedacht hätte. Wir schwiegen, bis man uns in einen neuen Saal brachte. Dieser lag im obersten Stockwerk, war mehr hoch als breit und war noch dazu die real gewordene Hölle Meinesgleichen. Anscheinend lag dieser Saal an der Oberfläche, denn an manchen Stellen in der Decke waren Löcher, die schimmerndes Sonnenlicht herein fallen ließen. Hier und da hatte man an den Wänden Spiegel angebracht, um den Raum noch heller und freundlicher werden zu lassen. Mir dagegen trieb der Anblick der kreuz und quer verlaufenden Sonnenstrahlen eiskalten Schweiß auf die Stirn. Auch die anderen drei Vampire, die in Ketten gelegt wurden und mir still gefolgt waren, blieben abrupt stehen, sobald sie die gefährliche Spiegelkonstruktion sahen. „Worauf wartest du?“, fragte Kaiden in seiner typisch besonnen Ruhe, hatte die Hände hinter dem Rücken gefaltet wie ein Soldat und deutete mit einem Kopfnicken auf einen flachen Gesteinsblock, der von einem der größten Sonnenstrahlen erhellt wurde. Logan stand darauf, wartete auf mich, während ich mir den Kopf zerbrach, ob ich nicht lieber wegrennen sollte. Ich straffte die Schultern, warf einen letzten Blick auf die Gefangenen und schnellte nach vorne, wich allen gefährlichen Strahlen geschickt aus und stand neben Logan, eher dieser auch nur bis Zwei zählen konnte. Ich krempelte den linken Ärmel meines Mantels hoch und atmete zittrig ein. Das würde wehtun, dessen war ich mir sicher. „Nur der Arm?“, fragte Logan, mit einem belustigten Kräuseln um die Lippen. Ich blickte ihm unverwandt in die Augen, ohne einen Hauch an Humor. „Falsch. Nur die Hand. Ich würde sterben, wenn ich mehr benutze.“ Der Werwolf musterte mich einen Augenblick, doch schließlich nickte er und trat einen Schritt zurück, um mir Platz zu machen. Mir pochte das Herz bis zum Hals, meine Kehle war vor Furcht wie zugeschnürt. Mein Blick fand den Tristans, der mit ausdruckslosem Gesicht in der Menge stand, die sich bereits um meinen Platz gescharrt hatten und wie die Hunde danach lechzten Blut zu sehen. Die Gefangenen dagegen standen so weit hinten, wie es ihnen nur Möglich war und hatten den Blick geradezu beschämt von mir abgewendet. Sie wussten, was mir blühte und keiner wollte mit mir tauschen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Wären sie an meiner Stelle, würden sie keine fünf Sekunden durchhalten und entweder sofort sterben, oder dem Wahnsinn verfallen. Ich würde gleich herausfinden, was auf mich zutraf. Ich biss die Zähne aufeinander, ballte meine rechte Hand zur Faust und ließ meinen linken Arm langsam zur Seite gleiten, bis meine ganze Handfläche in Sonnenlicht getaucht war. Beinahe sofort fing meine Haut zu zischen an; blaue Flammen loderten empor und ein lauter Schrei entkam mir, als der Schmerz durch alle meine Nervenenden schoss. Glühend heiße Nadeln bohrten sich in jede einzelne Pore, doch ich schaffte es irgendwie, mich nicht von der Stelle zu rühren. Ich ließ es zu, dass meine Hand von dem Licht zerfressen wurde und sich meine Haut langsam in Asche verwandelte, bis sie sich schließlich auflöste und zu Boden rieselte. Meine Schreie waren laut, furchtsam und von Schmerz erfüllt, wie es sich niemand vorzustellen wagte. Für einen kurzen Moment dachte ich an all die Gelegenheiten die ich hatte, ohne diesen grausamen Schmerz abtreten zu können, selbst wenn es durch die Hand Leonores gewesen wäre. Ich hätte es mit Freuden angenommen. Alles vor meinen Augen färbte sich Scharlachrot, als sich die Flammen meinen Arm empor arbeiteten, direkt auf mein Herz zu, um auch dieses qualvoll aufzufressen, doch ich konnte mich nicht bewegen. Meine Stimme versagte mir den Dienst und auch die Tränen, die wie Bäche meine Wangen hinab geronnen waren, versiegten. Diese wenigen Sekunden, waren eine der scheußlichsten meiner ganzen Existenz, bis mich jemand in den kühlen Schatten zurück riss und in die Arme nahm. Dieser jemand sprach zu mir, versuchte mich zu beruhigen, aber ich nahm nichts mehr wahr. Als wäre ich blind und körperlos, gefangen mit meinem Schmerz in einem goldenen Käfig. Ich brauchte nicht groß zu spekulieren, was mit mir passiert war, sobald sich wieder Gedanken in mein Bewusstsein drängten. Ich war ohnmächtig geworden – eine erfreuliche Nachricht, da es bedeutete, noch nicht das Zeitliche gesegnet zu haben. Ich hielt also meine Augen geschlossen und genoss vorerst das Gefühl der Schwerelosigkeit und Ruhe, die man mir nach diesem albtraumhaften Erlebnis geschenkt hatte, als ich plötzlich etwas wahrnahm. Dumpfe Geräusche, die an meine Ohren drangen und die immer lauter und intensiver wurden, bis ich sie schlichtweg nicht mehr ignorieren konnte. „Es sind jetzt schon drei Tage! Wann wacht sie endlich wieder auf?“, hörte ich jemanden fragen. Ich konnte mich kaum bewegen – wollte es auch nicht, da ich fürchtete die Schmerzen in meinem Arm zu verschlimmern, doch überraschenderweise fühlte ich in diesem Bereich nichts, außer der eisigen Kälte eines feuchten Verbands, den man mir umgewickelt hatte. „Schwer zu sagen“, hörte ich eine mir unbekannte Frauenstimme. „Die Verbrennungen sind ziemlich schlimm und haben ihr stark zugesetzt. Außerdem wurde ihr Herz von dem Feuer angegriffen, wer weiß also, was das für Auswirkungen auf sie hat.“ „Reinblüter können auch ohne Herz überleben“, warf jemand in den Raum, von dem ich mir nur denken konnte, dass es der Kopfgeldjäger war. Wer sonst würde so gleichgültig und rücksichtslos die Geheimnisse der Königsfamilie ausplaudern? „Es ist erstaunlich, dass es sie nicht dahin gerafft hat. Dennoch könnten die Schmerzen sie in den Wahnsinn getrieben haben. Wir werden es wissen, sobald sie aufwacht.“ Eine unangenehme Stille breitete sich unter den Anwesenden aus. „Kaum jemand war bis jetzt so dumm gewesen, so weit zu gehen und überlebte es. Sie könnte nie wieder aufwachen“, hörte ich Oleens zarte Stimme neben mir und war sogleich beruhigt. Jemand knurrte einen Fluch, dann hörte ich einen dumpfen Schlag, wie jemand, der auf Stein schlug. Ich wusste sofort, dass es Logan war, noch ehe ich seine Stimme hörte: „Was muss passieren, damit sie die Augen öffnet?“ „Eine große Menge an Blut würde helfen den Heilungsprozess voranzutreiben“, kam es wieder von dem Kopfgeldjäger. „Andernfalls kann ihr nur die Zeit helfen.“ „Aber irgendetwas müssen wir doch tun!“, rief Hazel frustriert. „Wir sollten versuchen sie aufzuwecken! Dann kann sie uns selbst sagen, was wir tun sollen!“ Ihre leichtfüßigen Schritte kamen entschlossen in meine Richtung, bis ich ihre Präsenz direkt neben mir spürte und es mir eiskalt den Rücken runter lief. Sie hatte doch wohl nicht tatsächlich vor mich anzufassen? Hatte sie den Verstand verloren? Selbst mein Körper weigerte sich unbewusst sich auch nur einen Millimeter zu rühren, aus Gewissheit der Schmerz würde mit voller Wucht zurückkehren, und sie wollte es herausfordern? Ich konnte nicht zulassen, dass sie auch nur einen Finger an mich legte. Mein Körper sollte sich bewegen! Bewegen! Bewegen! Bewegen! In dem Moment als ich glaubte, ihre Fingerspitzen an meinem Arm zu spüren, riss ich die Augen auf und stieß die vollkommen erschrockene Hazel von mir. „Fass mich nicht an!“, schrie ich schrill und sprang innerhalb eines Augenblicks von meinem Platz, auf dem man mich abgelegt hatte. Ich drückte mich zitternd gegen die Wand, als ich nicht enttäuscht wurde und der brennende Schmerz meinen Arm hinauf schoss. Heftiger Schwindel überkam mich, woraufhin ich mich langsam zu Boden sinken ließ und den Arm schützend an mich drückte. Im Raum war es totenstill geworden, jeder starrte mich an als wäre ich ein Geist und ich vernahm nur meinen eigenen, gehetzten Atem. Nach einer Minute des angehaltenen Schweigens, befahl Logan barsch: „Raus. Alle.“ Hazel und der Söldner erhoben sich wortlos und verließen uns, ohne sich noch einmal umzudrehen. „Es wäre wirklich gut, wenn ihr mir etwas Zeit geben würdet, um mich zu sammeln“, sagte ich, als Tristan und Oleen den Mund öffneten, um zu wiedersprechen. Meine treue Gefährtin ließ sich das nicht zweimal sagen und folgte, nach einer respektvollen Verbeugung, den anderen nach draußen. Ich wusste, sie wäre gerne noch länger geblieben, allerdings war ihr klar, dass sie momentan nicht das Recht hatte, mir auch nur den leisesten Wunsch zu verwehren. Tristan dagegen bewegte sich nicht vom Fleck und blieb sitzen, als wäre er aus Stein gemeißelt. Er sagte kein Wort, aber man sah ihm an, dass er mich jetzt nicht alleine lassen wollte. „Geh!“, brach es aus Logan hervor und seine türkisen Augen flammten hell auf. Tristan hatte keine Wahl, er musste sich seinem Anführer beugen und das wusste er auch, doch er zuckte mit keiner Wimper und bewahrte reglos seine Stellung an meiner Seite. Mit Mühe unterdrückte ich ein Augenverdrehen angesichts dieser Revierkämpfe und lächelte ihn stattdessen bittend an, woraufhin er aufseufzte und sich erhob. „Ruf mich, wenn du etwas brauchst“, sagte Tristan und wurde sogleich mit einem Klaps auf den Hinterkopf belohnt. „Denk nicht mal daran, Tristan! Sie ist meine Patientin und wird mich rufen, wenn etwas nicht stimmt!“ Ich hatte die Frau mit dem kurzen, roten Haar zuvor gar nicht bemerkt, doch jetzt drängte sie sich geradezu in mein Blickfeld. Alles an ihr – ihr rotes Haar und die runden Apfelbacken in ihrem freundlichen Gesicht – deuteten darauf hin, dass es sich hier um die berüchtigte Apple handelte und ich merkte, dass Tristan nicht übertrieben hatte, als er behauptete, sie sei herrisch. „Na los! Hör auf Wurzeln zu schlagen und beweg dich!“, beförderte sie ihn bestimmend aus dem Raum und zwinkerte mir wissend zu, bevor auch sie im Spalt verschwand und mich mit dem großen bösen Wolf alleine ließ. Eine merkwürdige Frau, obwohl sie es für einen kurzen Moment sogar geschafft hatte, mich von meinem Schmerz abzulenken, wenn auch nicht für lange und ich mich schon bald wieder innerlich vor Qual wandte. Sekunden verstrichen, in denen keiner von uns auch nur ein Wort sagte, dennoch konnte ich eine gewisse Spannung in der Luft spüren. Ruhelos ging seine Majestät auf und ab, bis es mir zu viel wurde und ich versuchte mich auf die Beine zu kämpfen „Wage es ja nicht!“, drohte der Werwolf mit einem feurigen Blick. Entschlossen stapfte er auf mich zu, hob mich mühelos hoch und brachte mich zurück zu meinem Liegeplatz. Seine Miene war zu einer gequälten Grimasse verzerrt, als er sich neben mich setzte und die Schultern anspannte. Ich öffnete den Mund, um ihn etwas zu fragen, doch da lagen seine warmen Lippen auch schon auf meinen und drohten mich zu verschlingen. Das Gefühl war intensiv, leidenschaftlich, als hätten wir unser ganzes Leben lang nichts anderes getan, als uns durch die Unendlichkeit hindurch zu küssen. Auch wenn ich nicht mit seinem plötzlichen Überfall gerechnet hatte, so ging ich doch genauso schnell darauf ein und drückte mich näher an ihn. Trotz der Schmerzen und trotz meiner misslichen Lage, fühlte mich beschwingt, frei. War das der Grund, weshalb ich mich auf so unerklärlicherweise von ihm angezogen hatte? Hatte ich mir etwa unbewusst gewünscht, dass er meine Sehnsüchte linderte und mich von meiner Einsamkeit befreite? Seine Hand streichelte meinen Rücken, die andere lag auf meiner Hüfte, während ich meine Nase an seiner verführerisch duftenden Halsbeuge vergrub und wünschte, dass dieser Moment, trotz meines schlechten Gewissens, niemals enden würde. Als ich jedoch meine Arme um ihn legen wollte, zuckte ich unweigerlich zusammen, aufgrund des zerrenden Gefühls, das von meinen linken Fingerspitzen aus, direkt durch meinen ganzen Körper schoss. Natürlich bemerkte Logan meine Reaktion und stoppte sofort. Er wusste was ich brauchte – was ich wollte. „Trink“, flüsterte er an meinem Ohr, doch ich schüttelte unweigerlich den Kopf. „Nein. Das letzte Mal hättet Ihr mir beinahe den Kopf abgerissen.“ „Nicht aus dem Grund, den du vielleicht glaubst“, sagte er und legte seine langen Finger um meinen Nacken. Mit zärtlicher Bestimmtheit drückte er mich tiefer, näher an sein Blut. „Denk nicht mehr daran.“ Also dachte ich nicht, sondern stieß meine Fangzähne in sein weiches Fleisch und stillte den brennenden Durst in meiner Kehle. Er schmeckte so wundervoll, dass es dafür einfach keine Beschreibung gab. Wie der Mond, wie Freiheit, wie … Schnee. Dieses Mal stoppte ich, bevor mir die magische Anziehung zwischen uns zu viel wurde und ich noch wie eine hungrige Löwin über ihn herfiel. „Es ist besser geworden“, stellte ich erstaunt fest, als ich den Verband abnahm und vorsichtig die Finger bewegte. Die Haut war zwar noch Ruß geschwärzt und aufgerissen, doch der Schmerz klang ab und hinterließ lediglich ein dumpfes Pochen. „Das ist gut“, sagte Logan. Sogar ein schwaches Lächeln schenkte er mir, das mir sprichwörtlich den Atem verschlug. „Weißt du, weshalb ich beim letzten Mal so ausgerastet bin?“ „Weil Ihr mich hasst?“ Er schüttelte den Kopf. „Weil ich den Gedanken nicht ertragen habe, jemanden wie dir verfallen zu sein. In meinen Augen warst du ein Dämon, ein Sukkubus, der meinen Willen brechen und mich in den Abgrund ziehen wollte.“ Ich starrte ihn an. Ich hatte schon romantischere Liebeserklärungen gehört. „Und was glaubt Ihr jetzt?“ „Dass du selbst nicht weißt, was für eine Wirkung du auf mich hast“, erwiderte er beinahe schon frustriert. „Du treibst mich in den Wahnsinn, bist stur und enthältst mir andauernd etwas vor, und doch denke ich nur daran dich zu küssen.“ Er nahm meine heile Hand in seine und drückte sie fest. „Es hätte andere Wege gegeben, diesen Konflikt zu lösen. Du hättest nicht deine Hand dafür opfern müssen, Rebecca.“ Trotz dem Ernst in seinen Worten, konnte ich nicht anders als zu lächeln, als er mich bei meinem vollen Namen nannte. Er war der einzige, der das hier bis jetzt getan hatte. „Aber hättet Ihr mir denn je vertrauen können, wenn ich es nicht getan hätte?“ Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. „Seht Ihr?“, sagte ich und ließ mich von ihm in eine Umarmung schließen. „In manchen Dingen hat man einfach keine andere Wahl.“ „Man hat immer eine Wahl“, gab seine Majestät schnaubend zurück und drückte mich fester an sich. Seine Arme um mich waren ein tröstender Schutz, konnten mich aber gleichzeitig nicht davor retten, was außerhalb dieses Zimmers lag. Ich schloss die Augen und flüsterte: „Wir können nicht zusammen sein.“ „Du gehörst mir. Bitte mich nicht, mich zwischen dir und meiner Familie zu entscheiden.“ „Das werde ich nicht“, hauchte ich mit schwacher Stimme und lehnte meine Stirn an seine. „Denn Ihr habt diese Entscheidung schon längst getroffen. Es gibt keine Zukunft mit mir. Wir sind so verschieden wie Tag und Nacht, Feuer und Eis.“ „Das ist mir egal“, sagte er und küsste mich verzweifelt. Die Welt schien sich auf einmal wieder langsamer zu drehen, aber das durfte ich nicht zulassen. Ich wusste, was er damit meinte, als er sagte, ich würde seinen Willen brechen, aber egal wie groß die Verführung war, er konnte sich genauso wenig von seiner Familie lossagen, wie ich von meiner. Und eben dies riss uns innerlich auseinander. „Denk an dein Rudel, Logan, deine Familie und deine Freunde. Sei ein guter Anführer und enttäusche sie nicht, indem du einer Blutsaugerin verfällst.“ Seine Majestät knurrte und biss mich leicht in die Schulter, was ein angenehmes Kribbeln verursachte. „Du hältst dich wohl für unwiderstehlich.“ Ich tat erstaunt und blinzelte ihn aus großen, kohlschwarzen Augen an. „Bin ich das etwa nicht?“ Er ging nicht auf meine Frage ein, sondern strich mir mit einem Seufzen eine losgelöste Haarsträhne hinter das Ohr. „Du weiß nicht, was du da verlangst.“ Und wie ich das wusste. Alles in mir sträubte sich dagegen, diesen Schlussstrich zu ziehen, aber er hatte zu stark unter der Herrschaft der Vampire gelitten und auch ich konnte nicht einfach vergeben und vergessen, was mir die Werwölfe angetan hatten. Darüber hinaus würde es einen Krieg austreten, den kaum jemand überleben würde, wenn die Vampire davon erfuhren, dass ich mit dem Werwolfkönig liiert war. „Es ist besser so.“ Seine Finger gruben sich in meine Schultern, bis die Knöchel weiß wurden. „Warum? Warum kann ich dein Herz nicht berühren, obwohl du mir so nahe bist?“ Ich wandte das Gesicht zur Seite. Es tat weh, ihn anzusehen. „Wie du willst“, sagte er mit bebender Stimme, in der kaum unterdrückte Wut mitschwang, und ließ mich abrupt los. „Ich schicke dir deine Dienerin rein.“ Ich sah ihm nicht nach, als er den Raum verließ und biss mir fest auf die Zunge, um ihn nicht zurück zu rufen und ihn anzuflehen zu vergessen, was ich eben gesagt hatte. Es war zu spät. Ab jetzt gab es nichts mehr, was rückgängig zu machen war. Kurz darauf trat Oleen aus dem Spalt und ihre schwarzen Augen weiteten sich vor Schreck. „Mylady, was ist passiert? Warum weint Ihr? Tut Euer Arm weh?“ Ich berührte meine Wangen und stellte verstört fest, dass diese vollkommen nass waren. Ein Schluchzer entrang mir und im nächsten Augenblick wurde alles nur noch schlimmer. Ich weinte so hemmungslos, dass ich kein Wort mehr über die Lippen brachte. Hilflos musste ich dabei zusehen, wie alles um mich herum zerbrach. Ich fühlte mich einsamer als je zuvor. Kapitel 14: the parting ----------------------- „Ihre Verteidigung ist wirklich schwach“, flüsterte mir Oleen zu, als wir im Trainingsraum standen und die Jungwölfe dabei beobachteten, wie sie sich gegenseitig den Kopf einschlugen. „Und aus ihnen sollen wir Krieger machen? Es erscheint mir wie eine unmögliche Aufgabe, Mylady.“ Seit jener Nacht, in der ich einen unwiderruflichen Schlussstrich zwischen mir und Logan gezogen hatte, waren beinahe zwei Wochen vergangen. Oleen hatte mich nicht mehr auf meinen Zusammenbruch angesprochen und ich hatte auch nicht das Bedürfnis mich irgendjemandem anzuvertrauen. Ebenso hatte ich versucht mich bei Hazel zu entschuldigen, doch obwohl sie mir für den Schlag vergab, verhielt sie sich verschlossen und ich befürchtete, dass sich diese Haltung nicht sehr bald legen würde. „Nichts ist unmöglich, genau deshalb sind wir ja hier. Wir werden ihnen beibringen wie man sich schützt, ohne die Kehle aufgerissen zu bekommen“, antwortete ich zuversichtlich, während ich geistig weiter meinen Gedanken nachging, die ungewollt immer wieder zu Logan abschweiften. Verflucht, sogar während ich von ihm trank benahm er sich wie ein trotziges Kind und ignorierte mich vollkommen! Nie und nimmer hätte ich gedacht, dass ausgerechnet seine Majestät von der nachtragenden Sorte war. Dabei wusste er genau, dass ich im Recht war. Ich hatte uns beiden eine unglückliche Zukunft voller Schuldgefühle und Reue erspart. „Aber sie scheinen nicht gerade lernbegierig zu sein“, zweifelte Oleen noch immer und beobachtete mit ausdruckslosem Gesicht, wie ein Werwolf durch die Höhle geschleudert wurde. „Besonders die Männchen erweisen sich als ziemlich störrisch. Und die Weibchen sind so unkoordiniert, als hätten sie eben erst gelernt zu laufen.“ Ich konnte nur zustimmen. Sie alle waren so unerfahren, dass es für meine Schwester ein Leichtes wäre, das ganze Rudel zu involvieren. Die Älteren unter ihnen hatten zwar einen stabileren Eindruck gemacht, doch diese waren geblendet von der Vorstellung, dass die Jäger und Logan stark genug waren, um die Vampire abzuwehren. Anscheinend hätten sie nie auch nur im Traum gedacht, selbst einen Fuß auf ein Schlachtfeld setzen zu müssen. „Es wäre einfacher, wenn wir freie Hand hätten“, sagte ich und wusste gleichzeitig, dass dies ein sinnloser Wunsch war. Selbst jetzt spürte ich wie Natalia, die diesen Abend unsere Aufsichtsperson war, uns mit unverhohlener Verachtung genauestens beobachtete. Kaiden war mir um einiges angenehmer gewesen, denn dieser hatte wenigstens die notwendigsten Dinge – die leider manchmal nicht ganz den Regeln entsprachen – durchgehen lassen, doch dieses blonde Biest, das mir nun im Nacken saß, gehörte wohl zu den jähzornigsten Werwölfen, denen ich je begegnet war. Die Meisten hatten aus blinder Wut gehandelt, doch diese Jägerin war zwar äußerst temperamentvoll, jedoch war sie auf eine Weise derart effizient, dass es keinen Zweifel ausließ, dass diese Frau zum Töten geschaffen war. Wäre sie außerdem ein Mensch gewesen, dann wäre sie wohl zum lieblings Spielzeug meiner Schwester gekürt worden. Apropos lieblings Spielzeug ... „Wo ist Evelyn?“, fragte ich, nun, da mir ihre andauernde Abwesenheit auffiel. Ich hatte immer ein ganz schlechtes Gefühl im Magen, wenn ich sie nicht sah und nicht wusste, was sie gerade tat. Suchte sie einen Ausweg, um Leonore zu erreichen? Plante sie gerade meinen Tod? Die Messerwerferin mit dem weißblonden Haar und den nachtschwarzen Augen schien relativ unbeeindruckt von meiner Frage zu sein, wo doch diese kleine, rothaarige Hexe vor wenigen Tagen noch zu meinen Todfeinden gehört hatte. Doch nun war sie inmitten des Rudels und saß somit in der Falle, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie meiner Gnade ausgeliefert war. Und nicht nur Logan war nachtragend. „Soweit ich weiß, treibt sie sich in den unterirdischen Gängen rum. Doch habt keine Sorgen, Herrin, Wayne behält sie im Auge.“ „Ah, den gibt es ja auch noch“, murmelte ich nachdenklich. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass der Auftragskiller meiner Schwester binnen der ersten fünf Tage umgebracht werden würde, doch die Werwölfe verhielten sich merkwürdig ruhig, und sollte es doch einer auf ihn abgesehen haben, so war ich mir ziemlich sicher, dass er gut auf sich selbst aufpassen konnte. „Aber ob man ihm trauen kann? Seine Anpassungsfähigkeit ist zwar enorm und er hängt sich zweifellos an diejenigen, die gerade die Führungsposition innehaben, aber er ist und bleibt der Söldner meiner Schwester.“ Vor nicht allzu langer Zeit, hatte ich ihn noch zwielichtig durch die Höhle schleichen sehen, irritierenderweise in Begleitung einer jungen Werwölfin mit honigblondem Haar, die mit dem Vampir geradezu vertraut geflüstert hatte. Öfters als mir lieb war, hatte ich solch eine Szene missbilligend beobachtet, mir aber nicht mehr als nötig dabei gedacht. Ich wollte nicht in die Angelegenheiten anderer mit hinein gezogen werden, wenn ich selbst bereits in Problemen ertrank. Der Kampf der Jungwölfe fand ein jähes Ende. Blut klebte an ihren geschundenen Körpern und floss ihnen aus unzähligen Wunden, die sie sich gegenseitig verpasst hatten. Nur noch vier von ihnen standen auf den Beinen und selbst das war bereits eine enorme Leistung. Oleen, die von dem Geruch allmählich nervös wurde, entschuldigte sich mit einer schnellen Verbeugung und ich wandte mich wieder meinen Schützlingen zu. Zu meiner bodenlosen Enttäuschung war es der rothaarige Junge, den ich vor einiger Zeit in Grund und Boden gestampft hatte, der als einer der stärksten hervorgegangen war. Neben ihm stand ein großes, muskulöses Mädchen und ein etwas kleinerer Junge, der eher allen Schlägen ausgewichen war, anstatt sich aktiv an dem Kampf zu beteiligen. Die Letzte im Bunde war ein schlicht gebautes Mädchen mit knabenhaften Haarschnitt und einem blutdurchtränkten Verband um die Augen. Ich stand auf und steuerte das blinde Mädchen an. „Sag mir deinen Namen!“ „Rin“, murmelte sie achtsam und zurückhaltend. Sie war etwas passiver als die anderen Werwölfinnen, aber nicht weniger gefährlich. In diesem unschuldigen Äußeren steckte mehr, als man auf den ersten Blick erahnen konnte. „Weshalb die Augenbinde?“, kam ich gleich zur Sache, weil es mich interessierte, wie sie so gut kämpfen konnte, obwohl sie blind war. Es mochte vielleicht wie eine Beeinträchtigung erscheinen, doch ich fand, dass sie gerade deswegen die anderen ziemlich in den Schatten stellte. „Ich wurde bereits so geboren“, antwortete sie außer Atem. „Dein Kampfstil gefällt mir.“ „Dafür, dass ich nichts sehen kann?“, erwiderte sie verbittert. „Meine anderen Sinne funktionieren dafür einwandfrei. Ich spüre es, wenn mich jemand angreift und ich spüre auch deinen forschenden Blick.“ „Faszinierend“, sagte ich schmunzelnd und wandte mich auch den anderen zu. „Da ihr die seligen Gewinner dieses Gefechts seid, erkläre ich euch für die Anführer der Gruppen, in die ihr euch das nächste Mal aufteilen werdet. Zusätzlich erhaltet ihr einige Kampfstunden mit mir oder Oleen, die ihr besser zu schätzen wisst. Wenn ihr stärker werden wollt, möchte ich keine Beschwerden hören!“ Ich verließ die Vierergruppe mitsamt den restlichen, bewusstlosen Körpern, die auf dem Feld verstreut herum lagen und ignorierte gewissenhaft Natalias feindseligen Blick, als ich an ihr vorbei ging und mich für heute zur Ruhe legen wollte. Ich hatte mich bereits nach einem entspannten Schlaf gesehnt, wenn ich nicht auf einmal das honigblonde Haar einer Frau und einen nur allzu bekannten Vampir in Umhang bemerkt hätte, die am Ende eines Ganges miteinander tuschelten und einen vertrauten Eindruck machten. Unglücklicherweise waren sie darauf bedacht zu flüstern, so dass ich sie nicht hören konnte, doch egal worum es ging, der abgebrühte und sonst gefühlskalte Auftragskiller schien wütend. Ich hüstelte höflich, um auf meine Anwesenheit Aufmerksam zu machen und die beiden stoben augenblicklich auseinander, einen mehr als entsetzten Ausdruck im Gesicht. „Ich störe doch wohl nicht, oder?“, stichelte ich, alles andere als belustigt. „N-nein, schon in Ordnung“, haspelte die Frau und wurde schlagartig rot. „Ich muss mich jetzt ohnehin verabschieden.“ Es sah fast so aus, als rannte sie vor mir davon, aber das schien dieses Mal nicht daran zu liegen, dass ich ein Vampir war. Mein Blick wanderte urteilend zu Wayne, der mit emotionsloser Miene an mich heran trat. „Womit kann ich Euch helfen?“ „In welcher Beziehung steht Ihr zu dieser Hündin?“, fragte ich ohne Umschweife. „Das geht Euch nichts an und wagt es nicht, sie noch einmal so zu nennen“, erwiderte er beinahe genauso rücksichtslos und kalt. „Ich habe das Gefühl, Ihr seid dabei denselben Fehler zu begehen wie ich, als ich hierhergekommen war. Ich möchte nur verhindern, dass Ihr es noch schlimmer macht, als es bereits ist.“ Unter der dunkelroten Kapuze blitzte das blaue Licht seiner Augen auf, als wäre er jeden Moment dazu bereit, mir die Kehle aufzuschlitzen. Sein abweisender Ton machte unmissverständlich, dass er keine weitere Einmischung duldete. „Ihr seid nicht mehr Teil des königlichen Hauses. Von Euch muss ich mir keine Befehle erteilen lassen, Mylady“, sagte er eiskalt. „Wollt Ihr Euch also darum Gedanken machen oder kann ich Euch mit einer wichtigen Information zerstreuen, die ich Euch anzubieten habe?“ „Ihr könnt es auf einen Versuch ankommen lassen.“ Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass jede Information von Außerhalb für mich von unschätzbarem Wert war. Jedes noch so kleine Detail, könnte den finalen Gnadenstoß für das Ende dieses Krieges bedeuten, doch was mir Wayne mit seiner beunruhigend frostigen Stimme zuflüsterte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. „Die Königin erklärt Euch und den Werwölfen den Krieg, Mylady. Sie plant einen Angriff beim nächsten Neumond.“ Mir schnürte sich die Kehle zu bei Waynes Worten. Ich war geschockt und doch nicht überrascht. Ich hatte damit gerechnet, jedoch nicht so bald. Schon in der kommenden Woche könnte sie genug Vampire mobilisiert haben, um die Werwölfe einfach zu überrennen! „So ist es“, bestätigte der Kopfgeldjäger, scheinbar zufrieden damit, mich auf eine andere Fährte gebracht zu haben. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ er mich und ließ mich in meinem Elend alleine. Ich war noch nicht fertig mit Wayne, jedoch hatte diese neu gewonnene Information eindeutig Vorrang. Ich würde mich später mit ihm beschäftigen, doch nun musste ich dringend Logan aufspüren und ihm alles mitteilen. Eins wusste ich schon jetzt mit ziemlicher Sicherheit. Er würde alles andere als begeistert sein. Als ich mich etwa eine halbe Stunde später in Logans Arbeitszimmer wiederfand, war die Stimmung drückend und wurde von Sekunde zu Sekunde schlimmer. Logan würdigte mich keines Blickes und befehligte mir lediglich mit ihm in den Saal, in welchem sich alle neun Jäger – Tristan eingeschlossen – bereits eingefunden hatten und uns mit kaum unterdrückter Ungeduld erwarteten. Während Logan sich an das Kopfende des Tisches setzte, stellte ich mich hinter Tristan, der zu meinem Leidwesen direkt neben seiner Majestät saß. Logan begann die Versammlung mit einer Zusammenfassung der jüngsten Ereignisse, einschließlich der neuen Information die uns Wayne geliefert hatte. Ich und die anderen schwiegen eisern, bevor Logan seine Worte nicht direkt an einen von uns richtete. „Wie sieht es mit einer Evakuierung aus?“, fragte er Rodrigo, Kaiden und Hazel, die diese wichtige Aufgabe übernommen hatten. „Es gibt nicht leicht zu lösende Probleme, Logan“, antwortete Rodrigo, der aussah, als hätte er seit einigen Tagen nicht mehr geschlafen und er war nicht der einzige, der bereits bessere Tage hinter sich hatte. „Die einzige Höhle die am sichersten Platz liegt, ist einfach zu klein für das ganze Rudel.“ „Wir haben bereits überlegt, die Höhle wenigstens ein bisschen weiter auszubauen, aber in diesem Fall wäre die Einsturzgefahr zu groß“, meinte daraufhin Hazel. Sie klang müde und erschöpft und ihre Katzenaugen waren nur halb geöffnet. „Was ist mit der Bucht?“, fragte Logan und spannte die Kiefermuskeln an. Ich spürte seine Frustration, die sich auch mir um den Hals zu schlingen drohte, und hätte ihm gerne aufmunternde Worte zugesprochen, wenn ich nicht gewusst hätte, dass dies vergeblich und ein durchaus unpassender Zeitpunkt war, um sentimental zu werden. „Nur wenn du sie alle in der Flut ertrinken lassen willst“, sagte Kaiden. Er versuchte nur rational zu bleiben, doch Hazel knurrte bei dieser Bemerkung. Sie hatte zwei Junges, also reagierte sie dementsprechend empfindlich. „Es gebe da noch eine Höhle in den Bergen, allerdings ist der Weg dorthin lang und beschwerlich. Selbst in Wolfsform würde es möglicherweise zu lange dauern dort Schutz zu suchen.“ „Wann müsste das Rudel aufbrechen, um rechtzeitig anzukommen?“, fragte Logan. „Vorgestern“, sagte Kaiden und es herrschte für kurze Zeit Stille. Der türkisäugige Mann neben mir atmete tief auf und runzelte die Stirn, als hätte er einen folgeschweren Entschluss getroffen, den er jetzt schon zu bedauern schien. „Dann haben wir keine andere Wahl. Wir müssen die Blutsauger zuerst angreifen.“ Ich wunderte mich über das einstimmige Nicken. Die Jäger gaben sich zwar furchtlos, dennoch könnte dieser Entschluss für jeden von ihnen den sicheren Tod bedeuten. Aber wahrscheinlich war es das, was die Werwölfe so sehr von den Vampiren unterschied. Während jeder Vampir nur für sich selbst und die Königin kämpfte, setzten sich die Wölfe für die Mehrzahl ein, die sich nicht selbst beschützen konnte. Familie, Freunde, Kameraden. So etwas besaß meine Rasse nicht. Und bis heute hätte ich auch nicht gedacht, dass ich dieses Privileg nötig hatte. „Was wolltest du noch sagen?“ Diesmal richtete sich die Frage an mich. Ich hatte zuvor erwähnt, dass ich bereit war ihnen zu helfen und mit den nötigen Informationen zu speisen, um möglicherweise einen Vorteil aus dieser Schlacht zu ziehen. Ich breitete große Pergamentschriftrollen auf dem steinernen Tisch aus, die ich in den letzten Tagen gezeichnet hatte. „Das sind die Baupläne des Schlosses, je nach Stockwerk unterteilt und nachgezeichnet, wie ich sie in Erinnerung habe. Ich habe auch die versteckten Eingänge eingefügt, es wäre aber nicht verwunderlich, wenn man die gefährlichsten von ihnen bereits zugeschüttet hat, um möglichen Eindringlingen zu entgehen.“ Erneut starrten die Anwesenden mich an, als wäre mir ein drittes Auge oder derartiges gewachsen. Anscheinend konnten sie sich noch immer nicht an den Gedanken gewöhnen, dass ich tatsächlich nichts Böses im Sinn hatte, sondern nur meinen Beitrag leisten wollte. Tristan reichte die Aufzeichnungen den anderen, die voller staunen auf die perfekt skizzierten Zeichnungen starrten, als hielten sie einen unbezahlbaren Schatz in Händen. Nur ein Pergament legte ich vor Logan und tippte mit dem Zeigefinger auf ein Zimmer im Erdgeschoss, im Zentrum des Schlosses und somit von allen Seiten geschützt. Logans wildem Blick nach zu urteilen, konnte er sich bereits ausmalen, um welches Zimmer es sich hierbei handelte. Ich sagte es ihm trotzdem. „Das ist Leonores Gemach. Wenn ihr tagsüber angreift, dann wird sie sich höchstwahrscheinlich hier drin befinden. Das Problem dabei ist, dass das Zimmer durch einen kleinen Geheimgang mit dem ersten und zweiten Stock verbunden ist, was ihr sehr leicht die Möglichkeit geben kann zu fliehen.“ Logan und ich wechselten einen Blick untereinander, der nur allzu deutlich sagte, dass es verdammt aufwendig werden würde, meiner lieben Schwester den Gar auszumachen. Als wenn sie nicht auch so schon schwer genug umzubringen wäre. Zwei Tage später zur Mittagszeit bereiteten sich die Jäger und einige andere Werwölfe darauf vor, das Schloss anzugreifen und diesen Krieg ein für alle Mal zu beenden. Jedenfalls so lange, bis sich ein neuer blutrünstiger Herrscher fand. Doch da außer mir nur die beiden Zwillingssöhne der Winchesterfamilie in Frage kämen, blieb uns wenigstens eine Schonfrist von etwa hundert Jahren. Etwas abseits beobachtete ich Logan wie er von den weniger starken Werwölfen umkreist wurde, als wäre er ein Licht, um das sich Insekten scharrten. Er strahlte eine beruhigende Verlässlichkeit aus, die seine Nachkommen geradezu magisch anzog. Selbst ich musste mich zusammenreißen, mich nicht zu ihm zu stellen und seiner rauen Stimme zu lauschen, wie er strenge Befehle gab, die ihnen allen das Leben retten konnten, wenn es drauf ankam. Aber nicht nur Männer bereiteten sich auf den Kampf vor, auch eine Gruppe von Frauen – darunter auch die honigblonde Wölfin die Wayne den Kopf verdreht hatte – verabschiedete sich von ihren Liebsten, die sie unter Umständen womöglich nicht wieder sehen würden. Hazel umarmte ihre beiden Jungs und lächelte mir zu, als sie meinen forschenden Blick auffing, während in ihren Augen eine Mischung aus Trauer und widerwilliger Akzeptanz herrschte. Mich abwendend, schob ich mich unauffällig an der Wand entlang in Tristans Richtung, welcher sich angeregt mit Natalia zu unterhalten schien. Sobald er mich bemerkte, hellte sich sein Gesicht auf und er kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zugeschritten. „Becca! Kommst du um dich zu verabschieden oder verzehrst du dich bereits vor Sehnsucht?“, fragte er mit einem neckischen Lächeln, als er mich in seine schraubstockartigen Arme schloss und mir über den Rücken rieb. Da ich nicht glaubte, dass diese Gestik als Trost für mich gedacht war, ließ ich es stillschweigend über mich ergehen. Wahrscheinlich hatte er den körperlichen Kontakt gerade nötiger als ich. „Weder noch“, schnaubte ich hochnäsig und versuchte mein amüsiertes Schmunzeln zu vertuschen. „Ich würde Euch lediglich gerne als Begleitschutz zur Verfügung stehen.“ „Dein Vertrauen in uns ist ja beruhigend.“ Tristan lachte leise uns heiser. „Tut mir leid, meine Schöne. Vielleicht beim nächsten Mal.“ Falls es denn ein nächstes Mal gibt, dachte ich, wollte es aber nicht aussprechen. Es würde schon klappen. Solange sie den Überraschungsmoment und das Tageslicht auf ihrer Seite hatten, konnte es kaum schief gehen. „Tristan, wir gehen“, sagte Natalia und legte ihm besitzergreifend eine Hand auf die Schulter, als er mich los ließ. Mir dagegen schenkte sie lediglich ein siegessicheres Grinsen und stolzierte anschließend mit einer schwunghaften Drehung, durch die mir beinahe ihre Haare ins Gesicht schlugen, Tristan hinterher. Ich konnte noch immer nicht sagen, ob mir ihr Mumm imponierte oder ihre Art mir schlichtergreifend auf die Nerven ging. Es gefiel mir einfach nicht sonderlich, wie sie mich an mein altes Ich erinnerte. Die Krieger verabschiedeten sich und verschwanden in einem der unterirdischen Gänge, während sich die Zurückgebliebenen zu einem dichten Halbkreis zusammen drängten und ihnen gleichzeitig Jubel- und Klagegeschrei hinterher riefen. Zu meinem Vorteil war Logan bereits vorgegangen, so dass ich noch etwas Zeit hatte, mich unter vier Augen mit ihm zu unterhalten. Mich davon schleichend, huschte ich durch die verzweigten Gänge, immer darauf bedacht, dass mich niemand sah und erreichte rechtzeitig die Abzweigung, an der seine wölfische Majestät vorbei kommen würde. Zu meinem Glück ließ Logan nicht lange auf sich warten und kreuzte schon bald meinen Weg. Er würdigte mich keines Blickes und wollte einfach mir vorbei gehen, als existierte ich nicht, doch ich stellte mich herausfordernd vor ihn, so dass er keine andere Wahl hatte, als mich zur Kenntnis zu nehmen. Er blieb stehen und knurrte, als ich näher an ihn heran trat, doch davon ließ ich mich nicht mehr einschüchtern. „Logan, seht mich an.“ Der sonst so mutige Werwolf schien seine Schwierigkeiten mit dieser Aufgabe zu haben und starrte mit gefurchter Stirn stur zu Boden. Es dauerte einige Sekunden, ehe er sich ein Herz fasste und seine schimmernden, türkisen Augen auf mich richtete, in denen ein Ausdruck brennenden Verlangens und unheilbaren Schmerzes lag. Es wirkte, als ob er sich nicht entscheiden könne, ob er mich lieber an sich ziehen oder mich von sich fortstoßen wollte. „Geh zurück zu den anderen“, forderte er. Seine Stimme klang hart und unnachgiebig, als hielte er sich davon ab mich anzubrüllen. „Erst wenn ich Euch gesagt habe, was ich zu sagen habe“, erwiderte ich und trat noch näher an ihn heran. Spannung lag in der Luft wie das Knistern eines Feuers. Ich hob die Hand und legte sie auf Logans stoppelige Wange, was ihn erstaunt die Augenbrauen hochziehen ließ. „Und was wäre das?“ Ich holte zittrig Luft, denn ich wusste, dass ich weder ihm noch mir einen Gefallen tat, wenn ich meine Gedanken zu Worte bildete. „Ihr müsst zurückkommen. Kommt zu mir zurück.“ Als er ansetzte zu sprechen, schüttelte ich den Kopf und trat wieder zurück. „Nein. Sagt nichts. Tut einfach, worum ich Euch bitte.“ Erst als Logan langsam nickte, als wäre er nicht ganz sicher was ich damit bezweckte, atmete ich erleichtert aus und verschwand denselben Weg zurück den ich gekommen war. Ab jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass dies kein Abschied für immer war. Kapitel 15: the war ------------------- LOGAN Der Nachgeschmack des Abschieds war bitter. Für Logan wahrscheinlich weniger als für andere, da er mit allen, außer den Jägern, keinen allzu persönlichen Kontakt hatte. Daher war es schwer, mit den einzigen Personen die ihm nahe standen, in den Krieg zu ziehen. Sie womöglich sterben sehen. „Wir haben Glück“, sagte Hazel, die sich neben ihn stellte, als sie aus einem der Höhlenausgänge traten. Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Sofern wir überhaupt in unserer derzeitigen Lage von Glück sprechen können. Das Wetter ist auf unserer Seite.“ In der Tat. Durch das breite Dickicht der Bäume konnte man blauen Himmel erkennen und Sonnenlicht, das helle Lichtstrahlen auf den Boden warf. Die Luft war frisch, eine angenehme Brise strömte durch den Wald und die Vögel zwitscherten ihre Lieder. Es war ein friedliches Bild. Jedenfalls so lange bis auch die anderen Jäger und deren Nachkommen, von Kopf bis Fuß bewaffnet, in sein Bildfeld traten, mit einer Aura die vor Mordlust geradezu die Umgebung verdunkelte und Schatten hervorbrachte, die vorher noch nicht da gewesen waren. „Alles in Ordnung, Logan?“, fragte Tristan, mit Natalia und Rodrigo an seiner Seite. Rodrigo schnaubte angesichts dieser unverfrorenen Frage. Sein altes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse aus tiefen Falten. „Natürlich ist nichts in Ordnung! Wir werden gleich in das Nest dieser Dämonen einsteigen und bestimmt nicht ungeschoren davonkommen!“ „Ruhig Blut“, sagte Émil, der von allen Jägern der Kleinste war. Er hatte sich sein blondes, welliges Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. Dafür nahm sein dichter Bartwuchs den größten Teil seines Gesichts ein und ließ seine dunklen Augen nur noch kleiner wirken. Eigentlich war Émil eher ein lustiger Typ, den so schnell nichts aus der Ruhe bringen konnte, doch selbst ihm verging heute das Lachen. „Konzentrieren wir uns auf den Plan“, bestimmte Logan, der weitaus gelassener klang, als er sich fühlte. Vor allem Rebecca hatte es geschafft ihn unter Druck zu setzen. Es wäre einfacher für ihn gewesen, wenn er sich keine Gedanken darüber machen musste, ob es nun einen Unterschied machte ob er starb oder nicht, doch mit ihrer bestimmenden Bitte, hatte er keine andere Wahl. Er würde alles tun was in seiner Macht stand, um ihr ihren Wunsch zu erfüllen. Egal, wie viel Blut dafür vergossen werden musste. „Ihr alle wisst, was ihr zu tun habt?“ Ihre ernsten Gesichter sprachen Bände. Sie waren bereit. Ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden, rannten sie los. Im Grunde mussten sie sich nicht beeilen, denn die Sonne würde noch mehrere Stunden lang hoch am Horizont stehen, doch es brannte jeden in den Knochen, diesen Kampf so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Mit den Informationen die sie von Rebecca erhalten hatten, hatten sie endlich eine Chance erlangt, bis in das Innere des Schlosses vorzudringen. Es war mehr als sie sich je erhofft hatten und auch wenn einige noch immer glaubten, dass Rebecca sie in eine Falle lockte – wenn alles wie geplant verlief, würde es den anderen sicherlich leichter fallen die Vampirin an Logans Seite zu akzeptieren. Der Werwolfkönig wurde schneller, bis die Bäume nur vage an seinen Augenwinkeln vorbeizischten, während er allen Baumstämmen und herauswachsenden Wurzeln geschickt auswich. Die Erde war trocken unter seinen nackten Füßen und wurde schon bald von weichem Gras ersetzt, das noch nass vom morgendlichen Tau war. Die Werwölfe erreichten die hohe Steinmauer in Rekordzeit. Bewacht wurde diese von einigen Menschen, die beim Anblick der wölfischen Krieger sofort ihre Waffen zogen. Viele waren tapfer angesichts der Fremden, die keinen besonders vertrauenserweckenden Eindruck machten, doch den meisten konnte man die Angst ansehen. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Atem ging schnell und sie klammerten sich mit zitternden Händen an ihre Schwerter. Man musste ihnen zugestehen, dass sie nicht sofort die Flucht ergriffen, sobald sie die Schar an hochgewachsenen Männern und amazonenartigen Frauen in ihrer vollen Aufmachung sahen, die ihnen sicheren Schrittes entgegen kamen. Logan vermutete, dass die Blutsauger sie bezahlt hatten Wache zu halten, solange sie im Schloss schliefen oder sich – wie Rebecca ihm erzählt hatte – im Boden vergraben hatten, wenn sie einem niedrigen Rang angehörten. Natürlich war klar, dass sie keine Gegner für die Werwölfe darstellen, daher vermutete Logan, dass sie nur für Ihresgleichen aufgestellt waren, wenn nicht sogar als Dinner für die blutdurstigen Grenzwächter. Er machte eine Geste mit dem Arm, woraufhin sich die Werwölfe verteilten und die Menschen außer Gefecht setzten, möglichst ohne ihnen einen allzu großen Schaden zuzufügen. Einer nach dem anderen ging zu Boden. Als nächstes kamen die Grenzwächter dran. Wie vorher besprochen, suchten sie die Stellen, die mit frischer Erde aufgegraben war. Kaiden und Hazel waren die Ersten, die zwei Blutsauger aus ihren Verstecken ins Sonnenlicht zerrten. Es reichte lediglich für einen abgehackten Schrei, ehe deren Haut in Flammen aufging und sie rasend schnell zu Asche zerfielen. Kein Vergleich zu Rebecca, deren Durchhaltevermögen und Selbstheilung das der gewandelten Vampire um Längen übertraf. „Zwei von euch bleiben hier und suchen die anderen Grenzwächter, der Rest folgt mir!“, befahl Logan barsch und sprang mit einem Satz über die Mauer. „Unheimlich“, hauchte Hazel mit geballten Fäusten, als auch sie die hunderte Holzkreuze sah, die in den Boden gestoßen worden waren. „Was ist das?“ „Ein Friedhof“, erklärte Logan düster und fügte hinzu: „Für Rebeccas Verwandte und Leibwächter, die im Kampf für die Könige gefallen sind.“ Kaiden stieß einen beeindruckten Pfiff aus. „Ganz schön viele. Hm, unsere rotäugige Prinzessin muss dir ja ziemlich nahe stehen, wenn sie dir so etwas erzählt.“ Logan warf ihm einen scharfen Blick zu. „Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt um darüber zu sprechen.“ Der grünäugige Jäger zuckte ziemlich unbeeindruckt mit den Schultern. „Ich deute nur, was ich sehe.“ Logan ließ diese Aussage unkommentiert. Vor allem weil Tristan vor Eifersucht gefährlich nahe an einer Verwandlung war. Sein haselnussbraunes Haar wurde etwas länger, seine Gesichtszüge verschärften sich und seine Zähne, sowie Nägel, wurden deutlich länger und spitzer, doch alles was er tat, war mit dem Kiefer zu knirschen und voraus zu stapfen. Tristan war nach Kaiden der Zweite gewesen, den Logan gebissen und zu einem Werwolf gemacht hatte. In völliger Rage hatte er den damaligen Bauernjungen angefallen und ihn mit vernebeltem Verstand in den Wald gezerrt, wo er qualvoll langsam die Auswirkungen des Bisses erlebte. Wäre Kaiden nicht gewesen, hätte Logan ihn mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit gefressen und Tristan hätte keine Gelegenheit mehr dazu bekommen zu fliehen und seinen Bruder ebenfalls mit hineinzuziehen. Da deren Lebensverhältnisse ohnehin bereits katastrophal gewesen waren, sie ihr Haus und ihre Eltern bei einem Brand während eines Überfalls verloren hatten, ließen sie nicht viel zurück, als sie sich Logan anschlossen, der schon damals eine merkwürdige Anziehung auf Seinesgleichen hatte. Dank ihnen – Tristan und Kaiden – gewann der Werwolfkönig an Menschlichkeit und lernte die Verantwortung für seine Taten zu tragen. Er hatte ihnen viel zu verdanken und daher zählte er sie nicht ohne Grund zu seinen besten Freunden. Nein, sie waren sogar mehr als das. Sie waren seine Brüder. Deshalb war es noch undenkbarer, dass Logan und Tristan sich ausgerechnet zu derselben Frau hingezogen fühlten. Er könnte sich unmöglich zwischen ihnen entscheiden, auch wenn es ihn innerlich entzwei riss. „Es wird Zeit“, riss ihn die seidenweiche Stimme Rosemarys aus seinen düsteren Erinnerungen. Ihr honigblondes Haar war zu einem langen Zopf geflochten und ihr makelloses Gesicht wurde immer blasser. Logan nickte knapp. Die verblieben Werwölfe teilten sich in verschiedene Gruppen auf, um von jeweils einer Windrichtung anzugreifen. Während Tristan, Natalia, Émil und einige zweitrangige Werwölfe den Norden übernahmen, würde eine fünfköpfige Truppe, mitsamt Kaiden und Rodrigo, das Schloss von Süden befallen. Im Westen warteten bereits die beiden Jäger Eridanus und Forrest mit ihren jeweiligen Gruppen auf ein Zeichen. Insgesamt waren sie dennoch alle in der Unterzahl, daher zweifelte Logan keine Sekunde daran, dass dies ein gefährliches Spiel mit dem Tod werden würde. Sie alle sprinteten zur selben Zeit los, als hätte jemand ein Startsignal gegeben. Es dauerte nicht lange, da erreichten sie das schwarz-graue Schloss, welches selbst am hellsten Tag wie ein schreckliches Monster aussah, das nur darauf wartete, Eintretende zu verschlingen. Vertrockneter Efeu rankte sich an dem kalten Gemäuer empor und selbst die Erde war mehr grau als braun, als hätte man die Asche von Toten verstreut. Während die erste, pelzige Welle durch die Fenster im Erdgeschoss brach, kletterte Logans Gruppe die steinerne Wand hoch und verschaffte sich Zugang in den zweiten Stock. Ein eiskalter Windhauch empfing die Werwölfe, sobald sie in einem Scherbenmeer auf dem Marmorboden standen. Es war totenstill. Logan wusste, dass sie nicht gerade leise waren, insbesondere als sie die Vorhänge hinunter rissen und sich knurrend in das Zentrum des Schlosses vorwagten, doch niemand empfing sie. Keine Armee, keine Wächter, nicht ein einziger Vampire traute sich aus den vielen Zimmern im Korridor. Sie folgten Rebeccas Wegbeschreibung und bogen durch verschiedene Gänge, die auf ihre Weise immer gleich aussahen und als sie schließlich das Bild erreichten, hinter dem sich die geheime Tür befand, schlug Logans Herz schneller. Auf dem Portrait war ein Rattenfänger mit schneeweißem Haar abgebildet, der am Rande eines tosenden Flusses stand und in seine Flöte blies, doch statt den Ratten, waren es hypnotisierte Kinder, die sich nichtsahnend in die reißenden Fluten stürzten. Ein angewidertes Knurren stieg in Logans Kehle auf und sein Griff um das Schwert, welches in krankes Blut getaucht war, wurde fester. Rebecca hatte ihnen gestanden, dass krankes Menschenblut – von der Pest oder einer anderen Seuche – Vampire für mehrere Stunden lähmen konnte und bei manchen sogar zum Tod führte. Schon allein um seines Rudels Willen würde er dieses Wissen nicht ungenutzt lassen und jeden Vampir vernichten, der sich ihm in den Weg stellte. Tristans und Kaidens Gruppe würde in den ersten Stock einfallen, während sich die anderen um den Rest kümmerten. Logan selbst wartete auf den richtigen Zeitpunkt um Leonore auf ihrer Flucht abzufangen, sobald sie sich ihrer Situation klar wurde, der kam, als von unten kreischende Schreie ertönten und das ganze Schloss in Aufruhr versetzten. „Jetzt!“, befahl der Werwolfkönig barsch und riss das Portrait in Fetzen. Die Wölfe stürmten in den schmalen Gang, der angeblich in den ersten Stock führen sollte, in dem das Schlafzimmer der Vampirkönigin lag. Er war froh, noch damit gewartete zu haben sich zu verwandeln, denn die Stufen waren steil, die Wände feucht und der Weg so eng, dass ein Werwolf niemals hindurch gepasst hätte. Wahrscheinlich war auch das eine Vorkehrung der Vampirfamilie gewesen. Ziemlich schnell erreichten sie den Ausgang, der bereits offen vor ihnen lag und wie Logan herausfand, aus keinem anderen Grund, als dem, dass sie bereits sehnlichst erwartet wurden. Eine ganze Horde an Vampiren in schwarzen Kutten und gezogenen Schwertern standen in dem Schlafzimmer, welches so groß war, wie man es vom Adel erwarten würde. Die ganze Einrichtung war protzig und äußerst großzügig hergerichtet. Aus jedem Winkel konnte man das verprasste Geld schreien hören, das das Rudel nur zu gerne für Nahrung ausgegeben hätte und der Anblick von den vielen Marmorbüsten, denen zu einem großen Teil der Kopf abgeschlagen war, trieb ihm die Galle hoch. Von der gesuchten Blutsaugerin, war allerdings nichts zu sehen. Ein abscheuliches Gefühl nagte sich durch Logans Magen, als er die ausdruckslosen Gesichter mit ihren glühenden, blauen Augen betrachtete. Die Schwerter, die sie kampfbereit in den Händen hielten, waren zweifellos aus purem Silber, aber das war etwas, womit alle Beteiligten gerechnet hatten. Was neu war, war die erschreckende Anzahl, mit der sie sie begrüßten. Rebecca meinte, dass fünfzehn Wächter typischerweise das Maximum für Leonore darstellten, doch das war im Moment nicht der Fall. Sicherlich über dreißig Vampire, wenn nicht sogar mehr, füllten das Zimmer aus und könnte sich jeden Moment auf die Gruppe stürzen. Eine gefährliche, womöglich nicht handzuhabende Situation. Bevor Logan, oder einer der anderen Werwölfe, auch nur an einen Angriff dachten, trat einer der Blutsauger als Redner nach vorne. „Wenn ihr nicht getötet werden wollt, folgt uns.“ Ganz schön dreist von ihnen, die Werwölfe nicht einmal als potenzielle Gefahr zu betrachten und gleich zum Punkt zu kommen. Logan linste zu seinen Kameraden, die Zähne knirschend die Fäuste ballten und scheinbar nur darauf warteten, die Blutsauger in Stücke reißen zu dürfen. „Und wenn nicht?“ Der Mann mit den kalten Augen blinzelte nicht. „Das war keine Bitte.“ Logan, der selten so etwas wie Freude oder Zufriedenheit empfand, grinste angesichts dieser Herausforderung. Mühelos zwang er die Wut und die Abscheu in sich hoch, die er schon seit Ewigkeiten mit sich herumtrug und sein Blut vor Spannung kochen ließ. Mit lautem Knacken krümmten und verschoben sich seine Knochen, sein Gesicht formte eine lange, haarige Schnauze und seine Ohren wurden lang, bis er selbst eine Fliege hätte husten hören können. Sobald ihm dichtes, schwarzes Fell aus der Haut spross und kribbelige Schauer seine Wirbelsäule hinab jagte, ließ sich Logan auf alle Viere fallen und unterdrückte ein heftiges Brüllen, welches sich in seiner Kehle bildete. Die Fangzähne drohend gefletscht, stieß er ein tiefes Knurren aus, das durch seinen ganzen Körper vibrierte, und bohrte seine scharfen Krallen in den Boden. „Ich sehe, wir kommen zu keiner Einigung“, sagte der Wächter völlig unbeeindruckt und stürzte sich auf ihn. Logan sah noch, wie auch die anderen die Form wechselten und sich diesem schier aussichtslosen Kampf anschlossen, ehe schwarze Kutten seine Sicht verdeckten. Das Gerangel war heftig. Leiber wurden zerquetscht, Blut floss in Strömen und zischende Fleischwunden wurden geschaffen, sobald die Silberschwerter ihre Körper durchbohrten. Die Jäger waren es gewohnt, gegen mehrere Gegner auf einmal antreten zu müssen, doch selbst für sie war die Zahl der Blutsauger zu übermächtig, noch dazu, wenn sie so hervorragend im Kampf ausgebildet waren. Gerade als Logan den Schädel eines Wächters zwischen seinen Fangzähnen knacken hörte und einen weiteren mit seinen Krallen aufschlitzte, durchstießen drei Schwerter gleichzeitig seinen Brustkorb, äußerst knapp an seinem wild schlagenden Herzen. Er erstarrte. Eine weitere, unnötige Bewegung und es wäre vorbei mit ihm. Logan konnte den bitteren Geschmack des Verrats förmlich auf der Zunge schmecken. Es war verdächtig, wie schnell sie den Vampiren in die Falle geraten waren – vor allem das Timing war erschreckend akkurat –, doch noch hoffte er, dass es sich hierbei nur um einen Zufall und schieres Unglück handelte, auch wenn ihm sein Instinkt mit Grabesstimme zuflüsterte, wie wahrscheinlich es war, dass ein Verräter unter seinen Reihen lauerte, oder noch schlimmer – eine Vampirin mit schneeweißem Haar. „Verwandelt euch zurück“, befahl der Redner und, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, drehte er das Schwert in Logans Brustkorb etwas und verursachte übelerregenden Schmerz, der ihm durch alle Nervenenden zuckte und eiskalten Schweiß auf die Stirn trieb. Logan knurrte angesichts seiner Hilflosigkeit, tat aber, was man ihm auftrug. Seine Begleiter taten es ihm widerwillig nach. Als Anführer musste Logan an erster Stelle an die anderen denken und ihr Überleben sichern. Wenn es bedeutete, sich vorerst zu fügen, dann würde es eben so sein. Zu seiner Überraschung, wurden die Silberschwerter aus ihm herausgezogen und gesenkt. „Unsere Königin wünscht Euch zu sprechen“, sagte der Redner monoton und der Kampfgeist verflog aus seinem blauen Blick und färbte sich wieder pechschwarz. Zähneknirschend folgten sie den Wächtern, die genauso gut Marionetten hätten sein können, durch die kalten, düsteren Gänge und allmählich bröckelnden Treppen hinab. In den leeren Gängen sah es wüst aus. Geradezu gespenstisch. Türen waren offen und teils aus den Angeln gerissen, langgezogene Blutspuren zogen sich auf dem Boden entlang und führten in genau jene Richtung, in die Logans Gruppe gerade gedrängt wurde wie eine Schafshorde auf dem Weg zum Schlachter. Skulpturen und Gemälde waren zerfetzt, tiefe Furchen von den messerscharfen Klauen der Werwölfe prangten an den Wänden und der Geruch von Tod schwebte unheilvoll in der Luft. Die Vampire achteten penibel darauf, nur Gänge zu benutzen, in denen keine Fenster waren und wenn sie doch einmal an einen Ort kamen, an dem die Fensterscheiben nur noch kleine, glitzernde Splitter auf dem Boden waren und die zerrissenen Vorhänge sie nicht mehr vor dem Sonnenlicht schützen konnte, zogen die Wächter sofort ihre Schwerter und verschärften die Bewachung. Sobald einer von ihnen auch nur eine einzige, verdächtige Bewegung machte, wurde ihnen ein Silberschwert in den Magen gerammt, bis sie die risikoreichen Stellen passiert hatten. „Wir sind da“, unterrichtete der Redner sie mit seiner eisigen, abschätzenden Stimme, die einem wie ein Stück Eis den Nacken runter rann und musterte sie prüfend, ehe er das deckenhohe Tor aufschob und sie alle in einen riesigen Saal führte, der den in der Höhle um ein ganzes Stück übertraf. Logan ballte die Hände zu Fäusten, bis die Sehnen an seinen Armen schmerzten, und trat ein, dicht gefolgt von dem Rest seiner Gruppe. Bis auf zwei Vampire, die das Tor wieder schlossen und sich dann schützend davor stellten, drängten sich die Wächter an die Seite und überließen die Werwölfe sich selbst. Logan traute seinen Augen kaum. All die Leichen, all die Opfer, die dieser sinnlose Kampf heute gekostet hatte, lagen verstreut im Raum. Manche in ihrer menschlichen und andere in ihrer Tiergestalt und dennoch hatte man ihnen den Gnadenstoß versetzt. Er erkannte, dass nur acht von den dutzend Werwölfen überlebt hatten, die den Auftrag hatten das Schloss von den anderen Seiten anzugreifen und sie waren in keiner allzu guten Verfassung. Man hatte sie in Silberketten gelegt, wo sie nun hechelnd und winselnd zu Füßen der Königin lagen. „Willkommen! Ihr kommt genau zur rechten Zeit!“, freute sich Leonore mit einem breitem Grinsen und zerrte jemanden an den Haaren hinter ihrem bauschigen, violettfarbenem Kleid hervor. Die Werwölfe, insbesondere Logan und Kaiden, erstarrten als sie Tristan unter all dem Blut, den gebrochenen Knochen und den blauen Flecken erkannten. Er sah zum Fürchten aus; als wäre er bereits mehr tot als lebendig. „Was zum Teufel–!“, fluchte Logan und musste die anderen mit einem warnenden Knurren davon abhalten, sich auf das weißhaarige Biest zu stürzen und sich für den Tod ihrer Kameraden zu rächen. Auch wenn Logan nichts lieber getan hätte, als ihr persönlich das Herz herauszureißen, so waren sie noch immer in der Unterzahl und würden getötet werden, noch ehe sie das Podest erreichten, auf dem die Vampirin so nonchalant stand und auf sie herab blickte. „Was willst du?“, zischte der Werwolfkönig zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor, während er innerlich vor Wut schäumte und jegliche Selbstkontrolle aufbringen musste, um nicht zum Berserker zu werden. Der Wolf in ihm heulte, in Anbetracht all der Verluste und insbesondere des Zustands, in dem sich einer seiner engsten Vertrauten befand. Er wollte Vergeltung; Genugtuung; ihren Kopf zwischen seinen Klauen zermalmen. Es reichte nicht, dass dieser Anblick Logan bereits Höllenqualen durchstehen ließ, nein, auch noch sein inneres Tier – sein ganzes Wesen – zu unterdrücken, riss ihn beinahe auseinander. „Oh, nun seid doch nicht so blindwütig! Wir sind doch alte Bekannte, nicht wahr?“ Es ekelte Logan an, wie sie sich amüsiert über die bleichen Lippen leckte und ihn dabei lasziv musterte, als würde sie tatsächlich so etwas wie Interesse zeigen. „Außerdem seid ihr es doch gewesen, die mich im Schlaf ermorden wollten. Da werde ich meinen Attentätern doch wohl noch gegenübertreten dürfen!“ Sie hatte tatsächlich den Nerv, auch noch beleidigt zu klingen. „Woher hast du gewusst, dass wir kommen?“, fragte Logan so gefasst wie nur möglich und versuchte seinen Blick nicht zu Tristan wandern zu lassen, der neben dem violetten Saum der Königin kniete und den Kopf hängen ließ, als würde er beten. Leonore, die Rebecca erschreckend ähnlich sah und ein grausam verzerrtes Bild in Logans Verstand hinterließ, lächelte stolz, als sie die folgenden Worte sprach: „Meine liebste Schwester hat fantastische Arbeit geleistet, nicht wahr? Ich hätte ihr nicht zugetraut, dass sie so weit geht, sich in das Nest der Werwölfe einzuschleusen und sich eurer Vertrauen zu erschleichen, nur um Vaters Schwert in die Hände zu bekommen.“ Die Vampirin winkte einen ihrer Diener zu sich, der ihr demütig ein Schwert überreichte, das, mit ausgenommen der gewellten Klinge, eigentlich ziemlich gewöhnlich aussah. „Wovon redest du?“ Logan schluckte hart und hatte auf einmal Schwierigkeiten zu sprechen, denn diese Worte, die wie Messer sein Herz durchstießen, konnten unmöglich das bedeuten, was er gerade verstanden hatte. Als hätte sie ihn nicht gehört, fuhr sie fort: „Sie hat sich wahrlich als würdig erwiesen! Ein Schwert aus purem Silber, von Kopf bis Fuß absolut tödlich für Eures gleichen. Es reicht ein einziger, kleiner Schnitt – die ultimative Waffe gegen solche Bestien wie euch!“ „Du lügst doch“, zischte Logan, doch tief in seinem Herzen hatte sie bereits Zweifel und Misstrauen gesät, der sich durch ihn hindurch fraß und an seinem Urteilsvermögen nagte wie hungrige Ratten. Auch von seinen Kameraden hörte man nur aufgeregtes Gemurmel und Flüche, als hätten sie es bereits die ganze Zeit geahnt. Hatte Rebecca die ganze Aktion geplant? Hatte sie gewusst, dass, solange sie Tristan um ihren Finger gewickelt hatte, die anderen ihr kein Haar krümmen würden? Hatte sie von Anfang an vorgehabt von Logan zu trinken und ihn langsam mit ihren traurigen Geschichten zu verzaubern? Die Antwort war erschreckend eindeutig: Es war möglich. Rebeccas Familie war ihr unglaublich wichtig und selbst wenn sie ihre Schwester tatsächlich hassen sollte, so würde sie das Schwert ihres Vaters doch niemals ihr überlassen, oder? „Weißt du was?“, zwitscherte die Königin völlig sorglos, „Mir ist gerade eine hervorragende Idee gekommen. Warum überreicht Ihr ihr nicht das Schwert? Und wenn ich schon einmal dabei bin, kann ich auch gleich diesen Ballast für sie loswerden.“ Leonore ließ Tristans Haar los, woraufhin er den Kopf wandte und Logan voller Schrecken anstarrte, als wüsste er genau was jetzt kam. Mit einem einzigen Schwung des Schwerts, durchschnitt sie ihm sauber die Kehle, woraufhin seine Worte in gurgelnde Geräusche übergingen, als das Blut aus ihm heraus spritzte und er tot zur Seite kippte. Kaiden und die anderen hinter ihm zogen scharf die Luft ein, halb aus Entsetzen und halb aus unsagbarem Zorn. Irgendetwas zerbrach in Logan. Es fühlte sich an, als ob seine Welt in Schutt und Asche gelegt wurde. Rebecca hatte sie verraten. Tristan und die anderen waren tot. Sie waren alle dem Untergang geweiht. Ein tiefes, furchterregend grollen entrang Logans Kehle und seine türkisen Augen, die starr auf Leonore gerichtet waren, machten klar, dass er mehr als bereit war sie zu töten, doch noch ehe er in seine Wolfsform schlüpfen konnte, stand sie vor ihm und hielt ihm das tödliche Schwert an die Kehle. „An Eurer Stelle würde ich das nicht tun“, wisperte sie warnend. „Seid kein schlechter Verlierer und bringt Rebecca das Schwert.“ „Warum in aller Welt sollte ich das tun?“ „Weil“, und das triumphierende Lächeln kehrte auf ihr Gesicht zurück, als sie eine ausladende Geste machte, „sonst auch der Rest deiner Sippe hier sterben wird.“ Es wurde furchterregend still in dem großen Saal, doch allein die Präsenz aller Anwesenden ließ die Luft erdrückend schwer werden. Ihnen allen schnürte sich die Kehle zu, als hätte die Vampirkönigin persönlich ihre kalten Hände um deren Hälse gelegt. Logan waren die Hände gebunden und diese Tatsache nutzte die Vampirin schamlos aus. Sie kehrte mit einem seligen Schmunzeln zu Tristans Leiche zurück und rammte das Königsschwert in seinen Brustkorb, woraufhin es zischte und dampfte, während sich die Haut um die Silberklinge herum schwarz färbte und von dem Gift zerfressen wurde, bis der Gestank den ganzen Saal verpestete. Logan zuckte zusammen bei diesem Anblick. Eine stumpfe Taubheit breitete sich in ihm aus, die all seine Emotionen unter einem Schutthaufen begrub und in ihm nur noch ein Gefühl der Leere hinterließ, als wäre er soeben gestorben. „So wie ich das sehe“, sagte Leonore mit roten Augen und einer selbstzufriedenen Fratze, die das wahre Monster in ihr erahnen ließ, „habt ihr gar keine andere Wahl.“ Kapitel 16: the return ---------------------- Ich wusste nicht wieso, aber Tristans Kette, die ich mir als Glücksbringer um den Hals gelegt hatte, fühlte sich schwerer an als gewöhnlich. Unter dem kalten Metall juckte es, als hätte man mir die Haut versengt, aber solange die Wölfe nicht zurückkehrten, wagte ich es nicht, das Collier wieder abzulegen. Anfangs war ich noch nervös vor dem Höhlenausgang umher gestreunt und musste dem kribbelnden Drang widerstehen ihnen zu folgen, ehe eine kleine Gruppe von Frauen, die ihre Männer ebenfalls verabschiedet hatten, damit anfing überdeutlich über mich zu tuscheln und mir andauernd verstohlene Blicke zu zuwerfen. Weil mir das nach einer Weile zu unangenehm wurde, streifte ich ruhelos durch die Höhle und verzog mich letztendlich Schutz suchend in den Waffensaal, wo ich auch Oleen, Wayne und Evelyn wiederfand. Es war das erste Mal seit einer Weile, dass ich alle drei auf einem Fleck zu sehen bekam. „Mylady!“ Oleen sprang sofort auf, als sie mich bemerkte, während Wayne nur ein müdes Nicken für mich übrig hatte und Evelyn mich zur Gänze ignorierte, als hätte ich die Präsenz eines Staubpartikels. „Wie geht es mit dem Training voran?“, fragte ich, um mich von meiner düsteren Vorahnung abzulenken. „Es geht voran. Aber außer Rin, lernen alle viel zu langsam.“ In Oleens Stimme schwang keinerlei Begeisterung mit, wurde aber hitziger, als sie fortfuhr: „Es wundert mich, dass sie nicht bereits tot sind. Doch macht Euch keine Gedanken, Mylady! Ich werde dafür Sorge tragen, dass die Jungwölfe ordentlich ausgebildet werden, damit Ihr nicht beschämt sein müsst!“ Ich lächelte leicht. Wenigstens gab es eine Person, auf die ich mich voll und ganz verlassen konnte. „Natürlich, ich baue auf deine Fähigkeiten, Oleen.“ Mein Blick wanderte mit unverhohlenem Misstrauen zu der kleinen Teufelin, die, mit grimmigem Gesicht und einem vollkommen verdreckten Kleid, neben Wayne saß und aussah, als würde sie gleich aufspringen und losschreien. „Und was ist mit dir, kleine Göre, womit hast du deine Zeit verbracht?“ „Das geht Euch gar nichts an!“, knirschte sie mit zusammengebissenen Zähnen und kratzte an einer verheilenden Bisswunde an ihrem linken Oberarm. „Sie hat sich ein paar Kindern genähert, woraufhin zwei der Mütter ausgerastet sind“, erklärte Oleen mit einem Schnauben. „Sie haben sie übel zugerichtet. Ein Wunder, dass ihr kleiner, fragiler Körper noch ganz ist.“ „Halt den Mund, Weibsstück!“, kreischte Evelyn in ihrer schrillen Stimme. Scheinbar hatte die Messerwerferin einen empfindlichen Punkt getroffen. „Was wisst Ihr schon! Ihr habt keine Ahnung, was ich gemacht habe, also mischt Euch nicht ein!“ „So?“, fragte ich kalt und zog eine Augenbraue in die Höhe, wie ich es mir von Logan abgeschaut hatte. „Was hat denn das ach so ehrwürdige Schoßhündchen meiner Schwester so getrieben, dass sie sich erlaubt, derart die Stimme gegen mich zu erheben?“ Sie grinste gehässig, als wüsste sie ein kleines, schmutziges Geheimnis, dass sie mir nur zu gerne ins Gesicht schleudern würde, es aber nicht tat, weil sie wusste, dass es meine Neugierde anstachelte und mich automatisch wütend machte, wenn sie schwieg. Ich ballte die Hand zur Faust, bereit, wenn nötig, das Geheimnis mit Gewalt aus ihr heraus zu prügeln, doch in diesem Moment ruckte Waynes Kopf hoch, als hätte er etwas gehört. Im nächsten Moment, vernahm auch ich die verzweifelten Klageschreie und wir sprangen allesamt auf, um zu erfahren, was diesen Aufruhr verursachte. Mein Herzschlag nahm an Schnelligkeit zu und pochte mir Schmerzhaft gegen die Rippen. Waren die Jäger wieder da? Hatten sie es geschafft die Vampire auszuräuchern? Aufgeregt lief ich zum Höhlenausgang und konnte es kaum erwarten, Logan und Tristan wiederzusehen, auch wenn ich sie erst vor wenigen Stunden verabschiedet hatte. Ich drängelte mich durch das dichte Werwolfpack, welches wie erstarrt auf der Stelle stand und mit blanken, erschütterten oder wütenden Augen nach vorne starrte. Das erste was ich sah war Logan, woraufhin ich einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausstieß. Er sah katastrophal aus, was nach einer Schlacht kaum zu verwundern war, doch der leere Ausdruck in seinem Gesicht verwirrte mich. Das nächste, was mir auffiel, war das Schwert, welches ich beinahe sofort als das meines Vaters erkannte und ich war verblüfft, es in Logans Besitz zu sehen, ehe ich erkannte worin die silberne Klinge steckte. Tristan. Sein Brustkorb war von dem Schwert aufgespießt; in Logans Armen war sein zerschmetterter Kopf nach hinten gefallen, so dass man die klaffende Wunde in seiner Kehle sah, die eindeutig Leonores Handschrift trug. Mir wurde schlagartig kalt ums Herz. Nein. Nein, das konnte einfach nicht sein. Das hätte nicht passieren dürfen! Wir hatten es doch perfekt geplant! Wie konnte Tristan nur ... Tristan ... Mein Kopf war wie leer gefegt, als würde mein Verstand mich davor schützen, mich weiter in diese selbstzerstörerischen Gedanken hinein zu steigern. Wie benommen stolperte ich auf den Leichnam zu, doch bevor ich das Schwert aus ihm herausziehen konnte, machte Logan einen Schritt zurück, gefolgt von Natalia und Rodrigo, die mir den Weg versperrten. „Verräterin!“, zischte Natalia, der Tränen die verstaubten Wangen runter rollten. Ich öffnete den Mund, um zu fragen, was zur Hölle das sollte, als ich einen schrecklichen Schmerz in meinem Brustkorb spürte, der mich erstarren ließ. Ich blickte an mir hinab und sah, wie sich eine Klinge von hinten durch mich hindurch gebohrt hatte. Ich spuckte Blut und spürte, wie sich das Gift von krankem Blut in mir verbreitete und meine Haut zu einem Geflecht aus blauen Linien werden ließ. „Du hättest deine Schwachpunkte nicht so sorglos ausplaudern sollen“, flüsterte Kaiden mit Grabesstimme dicht an meinem Ohr, der hinter mir stand und das andere Ende des Schwertes umklammert hielt. Die Verachtung und der Abscheu in seinen Worten war unüberhörbar. „Was––?“, keuchte ich und blickte von meiner blutigen Hand, die versuchte die Blutung zu stoppen, zu Logan, der es anscheinend nicht einmal mehr ertrug, mir in die Augen zu sehen. Ich war wie gelähmt, vor Schmerz und vor Schock. Was wurde hier gespielt? Warum wurde ich plötzlich als Feind betrachtet? Warum war Tristan tot? Mir wurde schwarz vor Augen. Was würde nun mit mir geschehen? Kapitel 17: the traitor ----------------------- Ich wachte in einer Holzkiste auf. Zuerst nahm ihr nur schwach war, dass ich irgendwo eingesperrt war, dann kamen die Erinnerungen wie eine Flutwelle angeschwemmt und ließen mich den ganzen Albtraum noch einmal Revue passieren. Sie hatten mich vergiftet. Sie hatten mich eingesperrt. Warum hatten sie mich nicht gleich getötet? Man glaubte, dass ich sie verraten hatte, daher war es kein Wunder, dass sie derart reagierten, doch ich wusste aus erster Hand, dass ich absolut nichts damit zu tun hatte! Wer war es also, der die Intrigen meiner Schwester ausgeführt hatte?! Evelyn. Sie schien mir die naheliegendste Antwort zu sein. Ich konnte weder sagen, wo genau ich gerade war, noch, wie viel Zeit vergangen war, seitdem die Jäger zurückgekehrt waren. Ich wusste nur, dass ich momentan kaum stärker als ein Menschenkind war, und, dass es hier unangenehm nach Asche stank. Es gab drei Ritzen zwischen den Dielen in der Holzkiste – vermutlich ein Sarg – durch die ich hindurch sehen konnte, was mir allerdings nichts brachte, weil ich einen herrlichen Ausblick auf eine Steindecke hatte, die mir allerhöchstens verriet, dass ich mich noch immer in der Höhle befand. Lauter werdende Gespräche ließen mich zusammen zucken, als ich hörte, wie zwei Männer in den Raum kamen. „Es wird Zeit für ihre Dosis“, sagte der eine. „Willst du, oder soll ich?“ „Ich will, du warst letztes Mal schon dran.“ Meine Atmung wurde schneller, als ich hörte, wie sie näher kamen und zwei große Schatten das Innere des Sargs verdunkelten. Ich wollte nicht wieder vergiftet werden und vor allem diese Schmerzen nicht noch einmal durchstehen müssen, aber wie sollte ich mich wehren? Ich konnte keinen Finger rühren, geschweige denn ein Schwert halten. Der Sargdeckel wurde mit einem Knacken angehoben und in mir brach Panik aus. Ich wollte hier raus! „Scheiße, sie ist wach!“, rief der Werwolf plötzlich und riss die Augen auf, sobald er meine erschrockene Miene sah, die er perfekt wiederspiegelte. „Schnell, nimm das Schwert!“, brüllte der andere und warf es ihm zu. In mir braute sich ein Schrei auf, der von den Schmerzen in meinen Lungen erstickt wurde, als sich seine große Silhouette vor mir erhob, das Schwer hoch erhoben und bereit, es mir wieder ins Herz zu jagen. In dem Moment hörte ich krachende Laute, abgewürgte Rufe und schon in der nächsten Sekunde wurde der Werwolf über mir weggerissen und verschwand aus meinem Blickfeld. Stattdessen beugte sich ein mir nur allzu bekanntes Gesicht mit blondem Haarschopf über die Holzkiste und wirkte unglaublich erleichtert. „Mylady! Ihr seid bei Besinnung!“ Sie half meinem geschundenen Körper aus dem Sarg und stützte mich, als ich jeden einzelnen Muskel dazu zwingen musste, mir zu gehorchen, damit ich nicht zusammen brach. Mir war schlecht und meine Kehle war staubtrocken. Es war bereits viel zu lange her, seit ich das letzte Mal Blut zu mir genommen hatte. Ich war so gut wie am Ende meiner Kräfte. Ich sah mich nach den beiden Werwölfen um, die mit gebrochenem Genick auf dem Boden lagen. Beinahe schon instinktiv stürzte ich mich auf die Beute, bevor das Blut in den toten Körpern aufhörte zu gerinnen. In meinem geschwächten Zustand brachte ich die lauwarme Flüssigkeit kaum durch meinen Hals, doch je mehr davon in mich hinein gelangte, desto kräftiger wurde ich. Meine Lebensgeister kehrten mit jedem Schluck zurück und bis ich den zweiten Körper leer getrunken hatte, war ich wieder vollends in der Lage meine Arme und Beine zu bewegen, auch wenn mir noch immer der Schädel dröhnte. „Wie lange?“, krächzte ich und legte schwer Atmend den Kopf in den Nacken. „Seit man Euch gefangen genommen hatte? Drei Tage. Verzeiht, dass es so lange gedauert hatte, bis wir Euch gefunden hatten, Mylady, aber ihr wurdet anfangs sehr gut bewacht und wir mussten uns bedeckt halten, um nicht entdeckt zu werden.“ Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Wen meinst du mit ‚wir‘?“ „Na wen wohl?“, hörte ich Evelyn antworten und entdeckte sie mit verschränkten Armen am Ausgang, direkt neben dem anteilslosen Wayne. Ihr rotes Haar war vor Schmutz ganz braun und in ihren kindlichen Augen lag nichts außer Spott und Hohn, als konnte sie einfach nicht fassen, wie einfach die Werwölfe mich gefangen nehmen konnten. „Du!“, knurrte ich und war bei ihr, bevor sie eine weitere Beleidigung loslassen konnte. „Du hast die Jäger verraten! Du warst es!“ Mit meinen Händen umschlang ich ihren dünnen Hals und drückte fest zu, in freudiger Erwartung das bestimmte Knacken ihres brechenden Genicks zu hören. Die kleine Teufelin zappelte unter meinem Griff und kratzte mit ihren Nägeln meine Arme entlang, bis ich von Wayne und Oleen zurückgezerrt wurde. „Mylady! Hört auf, sie war es nicht!“, versuchte mich meine Dienerin zu beruhigen, doch ich sah nur noch rot. Ich wollte dieses Biest ein für alle Mal erledigen! „Ist das die Art eine Person zu behandeln, die weiß, wer sich hinter dem Verrat versteckt?“, fragte Evelyn, als sie sich von mir losriss und hinter dem Kopfgeldjäger in Deckung ging. „Lügen! Aus deinem Mund kommen nichts Lügen!“, schrie ich sie an und wollte mich wieder auf sie stürzten, doch Oleen hielt mich am Arm zurück. Die Hand, die Wayne auf den Griff seines Schwertes gelegt hatte, ließ er wieder ab. „So sehr es Euch auch missfällt, Mylady, Evelyn spricht die Wahrheit! Sie wusste von Anfang an, wer hinter der Falle steckte und ja, es stimmt, dass sie es hat einfach geschehen lassen, doch sie selbst hatte ihre Finger nicht im Spiel! Ich schwöre bei der Ehre von König Constantin und Königin Delilah!“ Ich zuckte zusammen bei der Erwähnung meiner Eltern, wurde aber zahmer bei Oleens Worten. Sie verehrte meine Eltern, daher wäre sie nicht so einfältig, einen derartigen Schwur auf die leichte Schulter zu nehmen. Ich konnte ihr glauben, was ich von dem Rest nicht gerade behaupten konnte. „Also gut“, gab ich mich geschlagen. „Ich bin bereit, dein Leben zu verschonen, Evelyn, also sprich! Wem habe ich meinen Schuldspruch zu verdanken?!“ Das Mädchen sah aus, als würde sie doch glatt ablehnen, nur um mich zu provozieren, doch sie riss sich zusammen und trat hinter Wayne hervor. „Es ist Hazel.“ Für einige Sekunden war es still, dann brach ich in Gelächter aus. „Hazel! Hazel, sagt sie! Was für ein lächerlicher Gedanke! Diese Frau könnte niemals … sie könnte nie …“ Die Anwesenden nahmen es stillschweigend hin, als mir das Lachen langsam verging und ich mich an einen ganz bestimmten Satz zu erinnern glaubte, den mir Hazel bei unserer ersten Begegnung gesagt hatte. „Das waren Eure Kinder?“, fragte ich perplex. „Ja, ich hätte mir nicht verzeihen können wenn ihnen irgendetwas passiert wäre. Ich würde alles für meine Kinder tun, selbst wenn es bedeutet mich mit einem Vampir zu verbünden.“ Mir wurde schlecht. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand den Magen mit Steinen gefüllt. Hazel hatte zu diesem Zeitpunkt nicht mich gemeint – sondern Leonore. „Es stimmt“, meldete sich nun auch Wayne. „Rosemary hatte dieselbe Befürchtung, war sich aber nicht sicher. Und nun …“ Er verstummte. „Sie ist nicht mit den Jägern zurückgekehrt?“ Er schüttelte den Kopf. „Viele wurden von der Königin gefangen genommen. Sie könnte unter ihnen sein.“ Keiner von uns erwähnte, dass die andere – wahrscheinlichere – Möglichkeit, eine weitaus schlimmere war. „Mylady?“, fragte Oleen nervös, als ich das Gesicht verzog und die Nase rümpfte. „Stimmt etwas nicht?“ „Was ist das für ein Gestank?“, fragte ich angewidert. Der beißende Geruch schmerzte mir in der Nase und verschlimmerte die Kopfschmerzen nur. Ich brauchte dringend frische Luft. „Diese räudigen Köter verbrennen die Leichen und verpesten damit die ganze Höhle“, schnaubte Evelyn und verschränkte die Arme. „Statt die Körper einfach in irgendein Loch zu werfen, haben sie angefangen jede Leiche einzeln zu verbrennen.“ Ich nickte verstehend, obwohl es mir immer noch schwer fiel, einen anständigen Gedanken zu formen, der das Verhalten der Werwölfe rechtfertigte. Und Logan. Meine Brust schnürte sich mir zusammen, als ich an ihn und den zerschmetterten Blick, mit dem er mich bedachte hatte, dachte. „Ich brauche das Schwert“, sagte ich schließlich und fuhr zu den drei Vampiren herum. „Holt es mir und dann trefft mich im Keller, falls ihr diese Höhle je wieder verlassen wollt!“ „Das ist purer Wahnsinn!“, zischte Evelyn. „Es ist Selbstmord, jetzt noch das Schwert holen zu wollen!“ „Wenn es dir nicht passt“, erwiderte ich kalt, „dann verschwinde und sieh selbst zu, wie du hier rauskommst.“ „Sollen sich die Köter doch an eure Fersen heften! Es wird mir ein Vergnügen sein, zu verschwinden, während sie eure Leiber zerfleischen!“ Und mit diesen gehässigen Worten floh sie. Es hatte mich ohnehin überrascht, dass sie uns so lange gefolgt war, wo ihr doch nichts lieber war, als mich leiden zu sehen. Daraufhin wandte ich mich an die anderen beiden. „Sonst noch irgendwelche Einwände?“ Schweigen. Ich nickte zufrieden und schickte sie los, um mir das Schwert zu holen, während ich einen ganz anderen Plan verfolgte. Jetzt würde mich niemand mehr um die Genugtuung bringen, Hazel eigenhändig auszulöschen. Ich atmete tief aus und folgte schließlich dem Geruch von Asche. Ich war zuversichtlich kaum jemandem über den Weg zu laufen, da ich die meisten Werwölfe bei der Verbrennung der Leichen vermutete. Und tatsächlich schaffte ich es unbehelligt durch die verschlungenen Gänge zu huschen, ehe ich an meinem Ziel angelangt war. Vorsichtig näherte ich mich der Öffnung, die in den Saal führte, in dem ich zuvor mein kleines Sonnenbad hatte, und auch jetzt wieder von den grellen Strahlen erleuchtet wurde. Ich drückte mich gegen die kalte Steinwand und beobachtete die Höhlenbewohner, die sich alle um einen gewaltigen Scheiterhaufen gestellt hatten, auf dem die Leichen ihrer Kameraden nebeneinander lagen und nur noch verkrustete Formen waren, die schon bald mit dem schwarzem Rauch in die Luft stiegen und durch die Sonnenlöcher in die Freiheit gelangten. Vielen standen Tränen in den Augen; man sah ihren abgezehrten und blassen Gesichtern an, dass sie mit ihren Kräften am Ende waren. Ich ballte die Hand zur Faust, als ich Logan entdeckte. Er stand mit dem Profil zu mir, seine türkisen Augen, die das lodernde Feuer widerspiegelten, waren stur auf den Scheiterhaufen gerichtet. Ein Großteil seiner Verletzungen war verheilt; es waren kaum noch Spuren vom Kampf mit Leonore zu erkennen und ich atmete erleichtert auf, obwohl ich zur gleichen Zeit zornig war, weil er sich erholen konnte und ich die letzten drei Tage Scheintot in einem Sarg verbringen durfte. Ich presste die Lippen fest zusammen, damit mir kein einziger, verräterischer Laut entweichen konnte, als ich plötzlich etwas aus meinen Augenwinkeln erhaschte. Genau die Person, die ich gesucht hatte. Mein Herz klopfte mir wild in der Brust, als ich sie beobachtete, wie Hazel neben ihrem Gefährten stand und sich die Tränen von den Wangen wischte. Sie flüsterte ihm etwas zu, woraufhin er nickte und sie sich langsam von ihm löste. Mit einem letzten, klagenden Blick auf den Scheiterhaufen, wandte sie sich ab und verließ den Saal. Das war meine Gelegenheit. Wie ein Schatten tauchte ich wieder in den Gang ein, die Augen bis zur letzten Sekunde auf Logan gerichtet. Er blickte erst dann in meine Richtung, als ich schon längst fort war, um Vergeltung an der Person zu üben, die uns alle ins Unglück gestürzt hatte. Kapitel 18: the last sacrifice ------------------------------ „Hazel.“ Die brünette Frau mit der pfirsichfarbenen Haut blieb stehen. Ich beobachtete, wie sie ihr Rückgrat anspannte und sich ganz langsam zu mir umdrehte, die braunen Augen dabei vor Schreck weit aufgerissen. Es schien, als ob sie in den ersten Sekunden nicht wusste, wie sie reagieren sollte, doch dann zuckte sie plötzlich zusammen und stieß einen ersticken Schrei aus. „Oh, Becca! Ich bin so froh, dich zu sehen!“ Ich hob die Augenbrauen in die Höhe, abwartend wie sie auf mein Erscheinen reagierte. „Tatsächlich?“ „Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen!“ Ihr erstarrter Gesichtsausdruck und das gestresste Lächeln strafte ihre Worte lügen. Sie freute sich kein bisschen, mir wieder gegenüber zu stehen. „Nachdem sie dich weggebracht hatten, machte ich mir solche Vorwürfe!“ „Weshalb?“, fragte ich ruhig, forschend. Sie blinzelte perplex. „Was?“ „Weshalb die Vorwürfe, wenn ich es doch angeblich gewesen bin, die Tristan und die anderen Krieger in den Tod geschickt hat? Warum seid Ihr nicht wütend, so wie all die anderen?“ Ihre aufgesetzte Miene zerbröckelte langsam, als sie einen unsicheren Schritt nach hinten machte. „Ich ... ich weiß nicht, was du meinst. Du bist meine Freundin, ich könnte dich niemals hassen!“ Ich atmete zittrig aus und versuchte, meine Wut und meine Trauer in Zaum zu halten. „Ich habe keine Freunde.“ Hazels Gesicht wurde aschfahl. „Warum hast du sie betrogen, Hazel? Logan und die Krieger haben dir vertraut!“ In dieser Sekunde, in der sie verstand, dass ich die Wahrheit kannte und keine Anstalten machte Gnade walten zu lassen, machte sie eine hundertachtzig Gradwendung und wollte vor mir fliehen, doch ich war schneller, packte sie an der Kehle und pinnte sie gegen die Höhlenwand. Sie wehrte sich mit erstaunlicher Kraft und rammte mir ihr Knie in den Magen, was mir die Galle hochtrieb, doch ich weigerte mich beharrlich loszulassen und drückte nur noch fester zu. Meine Nägel bohrten sich in ihre Haut, bis ich die ersten Bluttropfen roch. „N-nicht!“, röchelte Hazel flehend. Sie hatte Tränen in den Augen. „Sie hat ... versprochen meine Familie zu ... verschonen, wenn ich ... ihr die Krieger ausliefere.“ „Leonore ist eine Lügnerin“, fauchte ich. „Ihr habt Euch von ihr täuschen lassen.“ Ein lebloses, geradezu wahnsinniges Lächeln umspielte ihre Lippen, als ihr klar wurde, dass ihr Schicksal besiegelt war. „Loagn wird dir niemals vergeben.“ „Ich weiß.“ Mit einem gewaltigen Kraftaufwand drückte ich so fest zu, dass ihr Genick zwischen meinen Fingern zerbrach wie ein Ast. Auch das Geräusch war ein ähnliches, als ihr Kopf abartig nach vorne kippte und ich ihren leblosen Körper zu Boden fallen ließ. Ein heftiges Luftschnappen und die Worte „Was zum Teufel?!“ ließen mich herum wirbeln und zwei meiner ehemaligen Schüler sehen, die wohl gerade um eine Ecke gebogen waren und nun wie angewurzelt vor mir standen; einen Gesichtsausdruck puren Entsetzens aufgesetzt. Luke war so bleich geworden, dass seine Sommersprossen überdeutlich hervortraten. Seine rötlichen Augenbrauen waren so fest zusammen gezogen, dass sich tiefe Furchen auf seiner Stirn bildeten. Neben ihm stand Rin, deren blinde Augen dieses Mal von einem schneeweißen Verband verdeckt waren und die sich die Hände vor den Mund geschlagen hatte. Sie hatte ohne Zweifel gehört, wie ich Hazels letzten Atemzug gestohlen hatte. „Du verfluchter Blutsauger!“, brüllte Luke, drauf und dran sich in einen Werwolf zu verwandeln, doch diese Gelegenheit konnte ich ihm unmöglich geben. Als ich mich rasend schnell auf ihn zubewegte, rechnete ich nicht damit, dass Rin mich abwehren würde, als ich versuchte nach ihm zu fassen. „Luke, lauf!“, wies sie ihn mit schriller Stimme an, doch sie konnte mich kein zweites Mal davon abhalten, den jungen Wolf zu packen und von hinten seinen muskulösen Arm zu umschlingen. Es war wie immer ein Vorteil, eine der stärksten Vampire des Clans zu sein, als ich meinen Griff verstärkte und ihm die Luftzufuhr abschnürte, bis seine Körperspannung erschlaffte und ich ihn ohne großes Bedenken loslassen konnte. „Was hast du mit Luke gemacht?!“, zischte Rin, deren Kopf in meine Richtung gedreht war; witternd. Ihr ausgeprägter Geruchssinn und Gehör ermöglichten es ihr trotz Blindheit, meinen Standpunkt ausfindig zu machen. „Er ist nur bewusstlos, keine Sorge.“ „Warum tust du uns das an?“, fragte sie mit bebender Stimme, als könnte sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. „Hast du nicht genug angerichtet?!“ Ich hatte mich so nahe an sie herangepirscht, bis ich sie endlich an ihrem Handgelenk packen konnte, welches ich ihr prompt auf den Rücken drehte. Sie jaulte vor Schmerz auf, doch das war vermutlich das einzige, was sie davon abhielt, nach mir zu schlagen. Mit der anderen Hand hielt ich ihren Mund zu, als mir eine Idee kam, wie ich diese Situation zu meinem Vorteil nutzen konnte. „Wenn du mir versprichst, keinen Mucks von dir zu geben, verschone ich dich und Luke.“ Nicht, dass ich vorhatte die beiden zu töten, doch ich wollte sicher stellen, dass sie mir nicht in den Rücken fiel. Langsam nickte sie, woraufhin ich behutsam meine Hand weg nahm und sie mit mir zog. „Ich lasse dich gehen, sobald du etwas für mich erledigt hast.“ „Ich habe keine Grund irgendetwas für dich zu tun, Verräterin! Es ist alles nur deine Schuld!“ Sie klang überzeugt und unendlich wütend, doch ihr Zittern sprach eine andere Sprache. Sie hatte Angst vor mir. Nun, ich konnte es ihr nicht verübeln, nach allem, was man mir nachsagte. Ich erwiderte: „Alle Herzen werden gebrochen, Rin. Ich bin davon nicht ausgenommen.“ Daraufhin wusste keiner mehr von uns etwas darauf zu sagen und wir bewegten uns stillschweigend fort. Ich achtete darauf Wege einzuschlagen, die am seltensten von dem Stamm benutzt wurden und vergeudete dabei mehr Zeit, als mir eigentlich lieb war, doch wenigstens kamen wir unbehelligt im Keller an. Meine beiden Begleiter warteten bereits auf mich. Oleen hielt das Schwert in ihrer Hand, wie einen kostbaren Schatz. Der Geruch von Tristans Blut, das noch immer an der Klinge klebte, ließ mich kurz das Gesicht verziehen. „Warum ist sie hier?“, fragte Wayne missbilligend und deutete auf die junge Wölfin. „Folgt mir und ihr werdet es erfahren“, murmelte ich nur und beeilte mich. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis irgendjemand Hazel und Luke entdeckte und wenn es soweit war, würde die Jagd nach uns beginnen. Wir erreichten eine große Steinwand, deren purer Anblick mir bereits Gänsehaut verursachte, weil ich genau wusste, was sich dahinter befand. „Was nun, Mylady?“ Oleen stellte sich warnend hinter Rin, als ich von ihr abließ und an die Wand heran trat. Aufgrund der Feuchtigkeit die hier unten mit eiserner Hand herrschte, hatte sich raues Moos gebildet, über den ich erprobend mit der Handfläche strich, ehe ich begann, es an einer bestimmten Stelle wegzureißen, bis ich das zum Vorschein brachte, nachdem ich gesucht hatte. „Ah!“, hauchte Oleen begreifend, als sie das Wappen unter all dem Schmutz erkannte. „Es ist ein Tor!“ Ich nickte zustimmend. „In der Tat. Der Vampiradel musste diesen Weg bereits vor der Existenz der Werwölfe erbaut haben. Andernfalls könnte ich mir nicht erklären, wie unser Familienwappen hierher kommt und noch dazu unentdeckt vor dem Wolfsstamm blieb.“ „Wohin führt dieses Tor?“, fragte Wayne. Ich schnipste mit den Fingern und deutete auf Rin, die sofort zusammen zuckte. „Hierfür benötigen wir diese junge Dame.“ „Wofür?“, fragte Rin und machte einen Schritt zurück, stolperte jedoch einige Schritte auf uns zu, als sie gegen Oleen stieß und diese sie nach vorne schubste. Ich presste beide Handflächen gegen das Tor und versuchte sicheren Halt in dem sandigen Boden zu finden, als ich mich mit aller Macht dagegen stemmte und das uralte Tor seit Jahrhunderten zum ersten Mal wieder öffnete. Es dröhnte uns laut in den Ohren, als sich die beiden Torflügel langsam öffneten und uns einen Anblick pechschwarzer Finsternis präsentierte. Ein eiskalter Luftzug wehte uns entgegen, klingend wie der Schrei eines Kindes. „Der geheime Eingang zum Kerker des Schlosses“, stellte ich vor, alles andere als Begeistert. „Kein Wunder, dass dieser Zugang vergessen wurde“, bemerkte Wayne. Dem stoischen Kopfgeldjäger, der üblicherweise die Ruhe selbst war, lief ein Schauer über den Rücken. Wer konnte es ihm verdenken? Ich selbst wollte sofort davon laufen, wenn ich nicht vollkommen überzeugt davon gewesen wäre, dass Leonore mir erst Frieden schenken würde, bis sie bekam was sie wollte – meinen Kopf auf einem Serviertablett. Also warum der Königin Umstände machen, wenn ich ihr doch genauso gut einen Besuch abstatten konnte? Ich würde diesen Schwesternkrieg endgültig ein Ende bereiten. Etwas, das ich schon längst hätte tun sollen. Ich hatte also keine andere Wahl, als meine Angst herunter zu schlucken und mich diesem albtraumhaften Kerker zu stellen. Jeder Vampir kannte die grausigen Legenden, die sich darum rankten und wahrscheinlich ohnehin die Meisten davon abhielt etwas anzustellen, wofür sie in diesem schwarzen Loch landen könnten. Ich nahm Oleen das Schwert ab und forderte Rin auf, als Erste durch das Tor zu treten. Sie hatte doch behauptet, dass sie Dinge sehen konnte, die anderen verborgen blieb und in dieser alles verschlingenden Schwärze, die in dem Durchgang herrschte, konnte dies nur von Vorteil sein. „Geh voran, dein fehlendes Augenlicht wird dir den Weg weisen.“ „Ihr wollt mich direkt in die Arme der Vampir treiben.“ Es klang mehr wie eine bittere Feststellung, als eine Frage. Ich schüttelte den Kopf, besann mich aber, dass sie es nicht sehen konnte. „Sobald du uns auf die andere Seite gebracht hast, bist du frei zu gehen.“ „Als ob ich eine andere Wahl hätte.“ Sie schnaubte abfällig und ging durch das Tor, gefolgt von den beiden anderen, schweigenden Vampiren. Ich beobachtete mit wachsendem Unbehagen, wie die drei in eine Dunkelheit eintauchten, die man nur mit einem Grab vergleichen konnte. Ich fuhr zusammen, als Logans zorniges Brüllen durch die gesamte Höhle hallte und mich für einen Augenblick in Angst und Schrecken versetzte, bevor ich mich zur Eile trieb und die beiden Türflügel hinter mir verschloss. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Ich konnte meine eigene Hand vor Augen nicht erkennen, als ich die ersten zaghaften Schritte ins Innere dieses gewaltigen Schlundes machte. Meine Füße versanken knöcheltief in einer Flüssigkeit, von der ich nicht sagen konnte, ob es sich nur um Wasser, oder bereits um Blut handelte, aber der Wind, von dem ich nicht wusste, woher er kommen mochte, wehte mir den Gestank von verwestem Fleisch ins Gesicht. Mein Geruchssinn litt unter diesem penetranten Geruch, als ich es schaffte, mich wieder der Gruppe anzuschließen. Rin bewegte sich zielstrebig und unbeirrt fort. Es wirkte, als könne sie sich besser hier zurecht finden, als in der Höhle selbst, was nicht zu meiner Beruhigung beitrug. Auch Oleen schien es unangenehm zu sein, sich auf eine Werwölfin verlassen zu müssen, doch sie enthielt sich jegliche Bemerkung und wartete lediglich auf neue Anweisungen meinerseits. Der einzige Grund, weshalb Wayne uns ohne sich zu beschweren begleitete, war ohne Zweifel Rosemary. Nichts anderes könnte ihn je dazu bewegen, sich dieser Gefahr auszusetzen, die eigentlich nur mich betraf. Mein wichtigstes Anliegen war Tristan zu Rächen. Er hatte solch einen niederträchtigen Tod nicht verdient und Leonore würde dafür büßen, ihn mir weggenommen zu haben, bevor ich auch nur die Gelegenheit hatte, mich für all die schrecklichen Dinge, die ich verbrochen hatte, zu entschuldigen. Wenn er dies ausnutzte, um an seine Geliebte zu kommen, sollte es mir nur Recht sein. Ich wagte es kaum, diesen widerwärtigen Geruch einzuatmen; schmeckte ihn sogar beinahe auf der Zunge, als wir uns immer weiter in den Keller vorwagten. Es war wie ein Labyrinth, speziell dafür geschaffen die Sinne von Vampiren in die Irre zu führen. Alles roch nach Tod, dessen Präsenz mir schwer auf den Schultern lastete. Das Platschen von Wasser, das sich wie ein Echo in den verschiedensten Winkel des Kellers wiederschallte, gaukelte mir ständig vor, verfolgt zu werden. „Wir sind gleich da“, unterrichtete mich Rin und ich wusste nicht, worauf sie diese Behauptung stützte, bis ich die immer lauter werdenden Schreie der gequälten Seelen hörte, die in den Kerkern ihr elendiges Dasein fristeten. Dadurch schafften wir es uns einigermaßen zu orientieren und unbeschadet den Teil dieses unterirdischen Gewirrs zu erreichen, der mit Fackeln und Kerzen beleuchtet wurde. Wachs tropfe die Wände runter und vertrieb den modernden Geruch allmählich, trug jedoch nicht dazu bei, die düstere Atmosphäre weniger gespenstisch zu machen. An einer Wegkreuzung, drehte ich mich zu meiner Gefolgschaft um. „Die Käfige mit den Gefangenen sind in diese Richtung.“ Ich deutete etwas abseits, doch die leidenden Schreie sollten bereits Anhaltspunkt genug für sie sein. „Rin, du kannst wieder gehen.“ „Ich werde nicht gehen, bevor ich sichergestellt habe, dass die Krieger befreit wurden“, erwiderte sie stur. „Mach was du willst. Wayne, Oleen, zeigt ihr den Weg.“ Wayne, der sich dies nicht zweimal sagen lassen wollte, nickte und ging voraus. Kein Wort des Abschieds oder des Danks. Was hatte ich denn erwartet? „Mylady, sollte ich nicht mit Euch kommen?“, fragte Oleen. „Nein. Sobald ihr die Gefangenen befreit habt, bestehe ich darauf, dass du dich verdeckt hältst, bis die Sonne untergegangen ist und dann verschwindest.“ Die blonde Messerwerferin wollte widersprechen, doch ein Knurren meinerseits genügte, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie nickte und trat einen verbeugenden Schritt zurück. Auffordernd berührte sie Rin am Arm. Die jungenhafte Wölfin neigte den Kopf zur Seite und auch wenn ich überzeugt war, dass sie mich nicht sehen konnte, fühlte ich ihren bohrenden Blick auf meinem Gesicht. „Warum hast du Hazel getötet?“ Ah, sie hatte also die Stimme der Verräterin erkannt. Sie war wirklich gut. Ob sie wohl auch unser Gespräch verfolgt hatte? „Weil ich ein Monster bin“, antwortete ich mit gleichgültigem Gesichtsausdruck, aber mit heftigem Schmerz in der Brust. „Und Töten liegt in der Natur eines Monsters.“ Ohne eine Reaktion ihrerseits abzuwarten, wandte ich mich ab und begab mich auf meinen ganz persönlichen Weg der Verdammnis, der mich wieder zu dem verengten Gang und schließlich zu der steilen Treppe in die Freiheit führte. Oder besser gesagt: Ich geriet von einem Unheil in das Nächste. Es war beängstigend still im Schloss. Ob es sich um Glück handelte, dass ich mich nicht anschleichen musste, würde ich erst noch entscheiden müssen, aber so wie es momentan aussah, würde ich nur in Leonores Nähe kommen, wenn ich den direkten Pfad wählte. Ich bewegte mich wie selbstverständlich durch die großen Marmorgänge, deren deckenhohe Fenster mit einem dicken, schwarzen Vorhang verdeckt waren. Die Porträts, die zuvor auf der rechten Seite gehängt hatten, waren abgenommen worden und auch die Steinbüsten und Kunstwerke, die hier üblicherweise herum lagen, waren nicht zu entdecken. Ich vermutete, dass man sie fort gebracht hatte, bevor die Werwölfe sie angegriffen hatten. Kampfbereit kam ich vor der verschlossenen Türe, die in das Zimmer der Wachen führte, zum Stehen. Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich meine Kraft zu sammeln und schlug anschließend die Tür mit einem kräftigen Tritt auf. Die Leibwächter der Königin, die tagsüber gezwungen waren wach zu bleiben, um ihre Herrin zu schützen, erblickten mich innerhalb eines kurzen Augenblicks und zogen bereits ihre Waffen, noch bevor ich einen Fuß über die Schwelle setzen konnte. Die Mordlust war ihnen ins Gesicht geschrieben, als sie brüllend auf mich zu stürmten, um mich gnadenlos zu vernichten. Die Wächter waren außergewöhnlich gut und besonders streng im Kampf ausgebildet worden, um in der Mehrheit eventuell gegen einen Reinblütigen bestehen zu können, aber solange ich es schaffte, dass sie mich nicht alle zur gleichen Zeit angriffen, könnte ich noch so lange überleben, bis ich deren Königin fand. Schwerter klirrten als sich unsere Klingen kreuzten, Knochen wurden zerschmettert und Körper wurden aus dem Weg gestoßen. Wir fauchten uns wie die Tiere an und bleckten tollwütig die Zähne. Das blaue Licht, dass ihre Augen ausstrahlten, schien mich zu umzingeln. „Geht mir aus dem Weg“, knurrte ich gepresst, aber die Wächter rührten sich nicht. Sie hatten einen anderen Befehl erhalten und sie würden ihn auch auf Gedeih und Verderben ausführen. Die schwarzen Umhänge der Vampire verschwammen zu einer Einheit, nahmen die Form eines einzigen großen Schattens an und ich bekam immer mehr Probleme damit, sie abzuwehren. Sie durchlöcherten mich mit ihren Klingen und zielten andauernd auf meine Kehle. Mit einem geschmeidigen Abstoß sprang ich an die Decke und blieb dort kopfüber stehen, wie eine Spinne. Ein einziger Schwung meines Schwertes genügte, um den riesigen Kronleuchter von der Decke zu trennen und damit zwei der Jäger ins Jenseits zu befördern. Scherben und Blut verteilten sich auf dem marmornen Boden. Innerhalb eines Augenaufschlags waren die Übrigen bereits bei mir und widersetzten sich ebenfalls der Schwerkraft. Während ich zwei Vampire mit meinem Schwert und einem Fußtritt aufhalten konnte, schaffte ich es, einem von ihnen das Genick zu zerschmettern. Ab da war es leicht die anderen zu überwältigen und sie durch brennende Kerzenständer anzuzünden, um ihnen den Gnadenstoß zu verpassen und ihnen den Kopf abzutrennen, damit sie auch ja nicht wieder auferstanden. Aus hunderten von Wunden blutend und inmitten eines Leichenmeers stehend, versuchte ich die Schmerzen, die mich körperlich wie seelisch heimsuchten zu verdrängen und konzentriert mich nur noch auf den lodernden Hass, der in mir wie ein Inferno brannte. Das schneidende Geräusch von klatschenden Händen und leisem Gekicher ließ mich aufblicken. Leonore lehnte, gefährlicher denn je, in einem bodenlangen, königsblauen Kleid mit schwarzen Pailletten verziert und einem langen, scharfen Schwert in ihrer Hand, am Türrahmen und verzog ihre Lippen zu einem grausamen Lächeln. „Rebecca, meine Teuerste, du hast dir Zeit gelassen.“ „Wie unhöflich von mir“, antwortete ich zischend und zeigte mit der Spitze meiner Klinge auf sie. „Wie schön! Du hast mein kleines Geschenk erhalten!“, zwitscherte sie mit ehrlichem Entzücken in der Stimme und deutete auf Vaters Schwert in meiner Hand. Ihre Pupillen waren vor Erregung geweitet, als erwarte sie doch tatsächlich ein Lob von mir. „Wie gefällt dir mein Geschenk? Vater hätte es bestimmt gerne in deinem Besitz gesehen.“ „Du hast ihn umgebracht“, sagte ich kalt und wurde ärgerlich über ihre Dreistigkeit. Leonore verdrehte ihre rot glühenden Augen und winkt gelangweilt ab. „So ein Unsinn! Es war reine Notwendigkeit. Er und Mutter hatten den Thron schon zu lange in Anspruch genommen. Ihre Methoden waren ... veraltet. Ich habe unsere Sippe lediglich in ein neues Zeitalter geführt.“ Ich presste die Lippen aufeinander und nickte langsam. Ich durfte nicht vergessen, dass die Hierarchie unter Vampiren sich vollkommen von der der Werwölfe unterschied. Könige, die sich stürzen ließen, hatten nicht das Recht zu herrschen. „Du weißt, weswegen ich gekommen bin?“, fragte ich meine Schwester und ihr Lächeln schwand unter einer Maske aus kindischer Unzufriedenheit. „Durchaus, durchaus! Bedenke jedoch, dass es dir nicht gelingen wird mich zu töten; wir sind uns ebenbürtig. Das waren wir schon immer. Was lässt dich also in dem Irrglauben, du könntest es mit mir aufnehmen?“ „Dieses Mal“, erwiderte ich, „ist es mir ernst.“ Ich hatte es nie übers Herz gebracht, mit der kaltblütigen Effizienz zu töten, mit denen ich meine Feinde auslöschte, denn sie war schließlich meine Schwester. Der letzte kleine Rest meiner zerbrochenen Familie und es war immer das Einzige gewesen, dass mich davon abgehalten hatte mein trostloses Leben zu beenden, ganz gleichgültig, wie schrecklich Leonore war. Und sie hatte es gewusst. Sie hatte gewusst, dass ich in gewissem Maße abhängig war; nach den Bändern gierte, die unsere Familie zusammen gehalten hatte. Doch nun, da ich wusste, wie sich wahre Liebe anfühlte, war es mir schier unerträglich, diese Frau weiterhin auf Erden wandeln zu lassen. Leonore lachte nicht mehr. Ihr Blick nahm eine ungewohnte Härte an und sie versteifte sich unmerklich. „Wenn das so ist, dann sollten wir unsere Zeit nicht mehr mit sinnlosem Geschwätz vergeuden. Du wirst sterben, Rebecca, genauso wie Mutter und Vater!“ Ihre provozierenden Worte hätten mich nicht wütend machen sollen, immerhin war ich ihre Gemeinheiten bereits gewohnt, doch ich konnte mir einfach nicht helfen. Der Zorn, die Angst, die Verzweiflung – all dies trug dazu bei, meinen rationalen Verstand in den hintersten Teil meines Kopfes zu verbannen und der Bestie in mir freie Bahn zu lassen. Wie eine Furie kreischend griff ich sie an, kollidierte mit ihrem Schwert und wurde brutal zurück gestoßen, aber kaum dass ich wieder auf die Beine kam, war sie schon da und lieferte sich mit mir ein wildes Gefecht. Wir zeigten uns die Fangzähne wie zwei rivalisierende Raubkatzen, bissen nacheinander und versuchten die Schwachstelle der jeweils anderen auszumachen. Ich musste zugeben, dass Leonore stark dazu gelernt hatte. Sie durchtrennte Sehnen und Knochen als wäre ich lediglich eine Stoffpuppe zu Trainingszwecken, aber in mir schlug noch immer das Herz einer Kriegerin und so landete ich auch bei ihr den einen oder anderen Treffer, die jeden anderen Vampire sofort getötet hätte. Mit meiner freien Hand verpasste ich ihr einen Schlag gegen den Unterkiefer, der mit einem grässlichen Krachen zersplitterte. Leonore kreischte auf – sofern es ihr Möglich war – und taumelte zurück. Es dauerte lediglich einige Sekunden der Heilung, die ich ihr gewährte und selbst ausnutzte, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, bevor wir uns wieder aufeinander stürzten und zu Boden rissen. Ich hatte mein Schwert verloren, nahm ich am Rande wahr, als mich die listige Königin mit ihrer freien Hand zu Boden drückte und die andere zu einem vernichtenden Schlag erhob. Ich schaffte es, den Kopf im letzten Augenblick zur Seite zu drehen, ehe ihre Klinge tief in den steinernen Marmor fuhr, anstatt mich zwischen die Augen zu treffen, was definitiv ihre Absicht gewesen war. Ich packte Leonores Handgelenk und schlug mit aller Wucht gegen Elle und Speiche, woraufhin sich ihr Arm verdrehte und in einem grotesken Winkel abstand. Ich nutzte die Gelegenheit ihres Regenerierungsprozesses, um ihr Schwert fortzuschleudern und sie von mir zu werfen. Ich hatte so viel Kraft hinein gelegt, dass ich in der Lage war, mit ihr durch die nächstliegende Wand zu krachen, die direkt auf den Gang führte, wo sich bereits dutzende von anderen Vampirsklaven aufhielten und mit zu Klauen gekrümmten Fingern und geifernden Mäulern sich auf die Gefahr – mich – stürzen wollten. „Bleibt! Wagt es ja nicht, euch in meinen Kampf einzumischen!“, befahl Leonore mit einem zornigen Zischen, denn ob man es glauben konnte oder nicht, auch meine Schwester besaß ihren Stolz. Man konnte es den Vampiren kaum ansehen, doch sie waren erleichtert, sich nicht in diesen aussichtslosen Kampf zwischen zwei Reinblütern einmischen zu müssen, dem sie bestimmt nicht lebendig oder mit allen Gliedmaßen entkommen wären. In einem für uns völlig ungewohnt schnellem Tempo atmend, starrten meine Schwester und ich uns an. Es war frustrierend, dass wir kaum genügend Zeit hatten unseren Gegner ernsthaft zu verletzten, bevor sich die Wunden bereits wieder schlossen. Es bereitete mir Kopfzerbrechen, dass allein unsere zerfetzte und blutige Kleidung auf einen Kampf um Leben und Tod hindeuteten. Ansonsten wirkten wir unversehrt. Die Männer und Frauen um uns herum stießen allesamt ein Zischen aus, das sich in der Menge wie das Summen eines Bienenschwarms anhörte. Das vergossene Blut der Wächter, denen ich das Leben genommen hatte, erreichte endlich ihre feinen Nasen und lockte in ihnen den Dämon hervor. „Stimmt etwas nicht, liebste Schwester?“, fragte Leonore höhnisch und leckte sich Blut von der Hand ab, wie eine Katze. „Möchtest du nicht doch lieber aufgeben? Deine Schande ist zwar unwiderruflich, aber ich verspreche dir dafür, dass ich dich schnell töten werde.“ „In deinen Träumen, Leonore. Du wirst es bereuen, mir die einzigen Personen genommen zu haben, die ich je geliebt habe.“ Mein Blick fiel auf den dicken Vorhang hinter ihr und eine hirnrissige Idee kam mir. „Das ist wohl nun das Ende, findest du nicht auch?“ Eine steile Linie bildete sich zwischen ihren weißen Augenbrauen. „Wovon sprichst du?“ Ich blinzelte meine aufsteigenden Tränen fort und machte mich zum Absprung bereit. „Leb wohl, Schwester.“ Leonores Augen weiteten sich vor Schreck als ihr klar wurde, was ich vorhatte, doch da war es bereits zu spät. Auf die verhangenen Fenster hinter ihr zurasend, hatte ich sie innerhalb eines Wimpernschlags gepackt und gemeinsam schmetternden wir durch klirrendes Glas, das uns wie tausend kleine Rasierklingen um die Ohren flog. Trotz des Vorhangs, den wir mitgerissen hatten, bot dieser keinen Schutz, als wir von den tödlichen Sonnenstrahlen getroffen wurden und auf den taufeuchten Rasen fielen. Leonore und ich schrien; konnten das überwältige Brennen auf unserer Haut nicht ertragen. Stinkender Ruß stieg von uns auf, woraufhin unsere Körper nach und nach zu glühender Asche zerfiel. Mein seidiges Haar hatte Feuer gefangen. Kreischend verkrümmte ich mich, in dem Irrglauben, es könnte mir die Schmerzen nehmen, doch in Wirklichkeit wurde es nur noch schlimmer. Es war so unerträglich, dass ich noch nicht einmal das Bewusstsein verlieren konnte und miterleben musste, wie Leonores Kopf neben mir tot zur Seite kippte; ihre Augen nur noch schwarze Höhlen und ihr ganzer Körper ein verkohltes Skelett, das so brüchig war, dass Teile davon von einer sanften Frühlingsbrise fortgeweht wurden. Das war also mein Schicksal, dachte ich entsetzt, doch der Gedanke wurde von einer weiteren Welle des Schmerzes weggespült, die mir selbst die Stimme zum Schreien raubte. In meinen Ohren klangen noch die verzweifelten Rufe der verrückt gewordenen Vampire, dann landete plötzlich etwas Schweres auf mir, das mir die Luft aus den Lungen drückte und mich erblinden ließ, und ich wusste, das war mein Ende. Epilog: Epilogue ---------------- Einige Monate später Logan streifte durch das Dorf, hielt sich bedeckt und versuchte, trotz seiner Größe, unauffällig und belanglos zu wirken. Nicht das es unbedingt nötig war, denn zu dieser unchristlichen Stunde war ohnehin niemand mehr auf den Straßen. Sein türkiser Blick huschte kurz in den Himmel, obwohl er wusste, dass der Mond in dieser Nacht, von dichten Wolken verborgen wurde. Er konnte nicht anders, als enttäuscht zu sein. Das Gefühl von kribbelndem Mondlicht auf seiner Haut war unbeschreiblich, doch in den letzten Nächten war ihm selbst dieses kleine Glück verwehrt worden. In einem unbeobachteten Moment bog er in eine enge Seitengasse ein, in der es vor Ungeziefer nur so wimmelte, welches panisch vor ihm floh, als er sich einen Weg zu der einzigen Holztür bahnte, die in einer der Wände eingelassen war und leicht übersehen werden konnte. Logan klopfte dreimal kurz, machte eine Pause und klopfte noch zwei Mal. Die Tür wurde aufgerissen und Kaiden ließ ihn eintreten. Der Krieger ging zu einem Holztisch, auf dem etwas zu Essen und ein Krug Wein stand, und füllte ihm einen Becher damit. Kaiden war ein Bart gewachsen, den er sich nicht die Mühe machte abzurasieren, was allerdings nur zu Folge hatte, dass seine grünen Augen nun noch deutlicher hervor schienen. Am Tisch saß Blake, der ihm höflich zunickte, sich aber dann wieder dem Dolch in seinen Händen widmete. Seit Tristans Tod, hatte er kaum ein Wort gesprochen und er sah so erschöpft aus, wie Logan sich ohne Zweifel fühlte. Die letzten Monate nach Leonores Tod waren ein heilloses Chaos gewesen. Die Blutsauger hatten allesamt den Verstand verloren und waren ihr entweder in den Tod gefolgt – was die Werwölfe durchaus begrüßt hatten – oder begannen damit, andere – und dabei machten sie keinen Unterschied zwischen den Rassen – anzugreifen. Logans Stamm machte seitdem Jagd auf die verbliebenen Blutsauger und versuchte sie aus dem Verkehr zu ziehen, was leichter gesagt als getan war. Je weiter entfernt die Verbindung zu Leonore war, desto größer war der Funken an Verstand den sie noch besaßen, doch dies brachte nichts, wenn sie erst einmal völlig die Kontrolle verloren hatten. Es machte sie nur noch gefährlicher. Nun hatten die Werwölfe alle Hände voll zu tun, aufzuräumen. „Wie geht es ihr?“, war die erste Frage, die Logan seinem Freund stellte. Kaiden zuckte die Schultern. „Es hat sich nicht viel verändert. Ihr Haar ist wieder länger geworden.“ „Ist Oleen bei ihr?“ Blake grunzte. „Sie ist praktisch geflohen, als sie hörte, dass du noch vorbei kommst.“ Dunkel erinnerte sich Logan daran, wie er sie halb totgeschlagen hatte, als er sie in dem Kellergewölbe entdeckt hatte. Hätte Rin ihn nicht aufgehalten, hätte er all seine Wut an ihr ausgelassen; er hätte nie erfahren, was wirklich geschehen war, bevor er Hazels Leiche gefunden hatte. Logan nickte und versuchte nicht allzu niedergeschlagen zu wirken bei der Erinnerung. Eine seiner engsten Vertrauten hatte ihn verraten und er hatte seine einzige Liebe dafür geopfert, nur um dieser schrecklichen Tatsache nicht ins Gesicht blicken zu müssen. „Kaiden, Blake, ich weiß, es kommt ein bisschen spät, aber danke, dass ihr auf sie aufpasst.“ Die beiden Männer starrten ihn verblüfft an. Zugegeben, Logan hatte es nicht so mit Dankbarkeit, aber dieses Mal war es wirklich angebracht. Auf Kaidens Gesicht breitete sich sein typisch lässiges Grinsen aus und er schlug dem Werwolfkönig brüderlich auf die Schulter. „Da ist jemand aber weich geworden! Geh lieber, bevor du uns noch die Ohren vollsülzt.“ Auch Logan konnte nicht widerstehen, ein schiefes Lächeln zu erübrigen, als er nickte und die Tür ansteuerte, die in das nächste Zimmer führte und der eigentliche Grund für seinen Besuch war. Wie immer begrüßte ihn der nagende Geruch von Asche, als er das karge Zimmer betrat und Rebecca vorfand; in genau derselben Position, wie auch die letzten Male. In einem schlichten Bett liegend, schlafend. Das war jedenfalls die Erklärung, die sich Logan erhoffte; dass die Vampirin nur träumte und schon bald wieder aufwachte. Wenn sie dies doch nur nicht schon seit mehreren Monaten täte! Seit dem Moment, in dem Logan sie gefunden und den Vorhang über sie geworfen hatte, um zu retten, was noch zu retten war. Er hatte sie einzig und allein an Tristans Collier wieder erkannt; ohne diesem wäre sie nur ein schwarzer Ascheklumpen gewesen, abgebrannt bis auf die Knochen. Es war ein Wunder, dass sie überlebt hatte, für das Logan jeden Tag aufs Neue dankbar war. Vorsichtig setze er sich an den Rand des Bettes und nahm ihre blasse Hand in seine, um ihre Fingerknöchel zu küssen. „Ich bin wieder hier, Rebecca.“ Ihr Gesicht war aschfahl, doch wenigstens hatte sein Blut, mit dem er sie am Leben gehalten hatte, ihren Körper soweit wieder aufgebaut, dass sie einen relativ gesunden Eindruck machte. Nur aufwachen, das wollte sie nicht. „Ich habe Neuigkeiten von diesem Kopfgeldjäger, der bei dir war. Wayne? War das sein Name?“ Er wusste nicht mehr, wie oft er schon einfach nur mit ihr geredet und immer auf eine Antwort gehofft hatte. Ein abfälliges Schnauben, ein herausforderndes Schmunzeln. Irgendwas. Er wäre selbst mit einem Schlag ins Gesicht zufrieden gewesen. Verdient hätte er es. „Jedenfalls befindet er sich gerade im Westen und spürt die Blutsauger auf, die Rosemary getötet haben. Er macht sich ganz gut; weigert sich aber, unsere Hilfe anzunehmen. Einmal hätte er beinahe einen der Unsrigen getötet, als er versucht hatte, sich in seine Angelegenheiten einzumischen.“ Mit den Fingerspitzen strich Logan über ihre eingefallene Wange. Jetzt kam er zu einem Thema, das er lieber vermieden hätte. Jeden Augenblick erwartete er, dass sie ihm einen tadelnden Blick zuwarf. „Der Stamm hat nun endgültig beschlossen, das Schloss niederzubrennen. Es wird nichts mehr übrig bleiben, als eine alte Ruine. Ich habe nur ein Porträt deiner Eltern retten können, aber der Rest ... tut mir leid.“ Er fuhr sich frustriert durch das Haar. Wann hörten diese Schuldgefühle nur auf? Wie oft musste er sich bei ihr entschuldigen, bis er sich wieder besser fühlen durfte? Logan sprang hoch und ging in dem engen Zimmer auf und ab. Seine eigene Schwäche trieb ihn noch in den Wahnsinn! Er blieb abrupt neben ihr stehen und sah auf die schlafende Prinzessin herab. Er korrigierte sich – Königin. Nun, da ihre Schwester tot war, war sie die rechtmäßige Erbin. Rebecca würde diese Neuigkeit absolut nicht gefallen. Der Werwolfkönig berührte sie ein letztes Mal sanft am Hals, wo ihr Puls zwar schwach, aber regelmäßig schlug. „Schöne Träume, Blutegel.“ Logan unterdrückte ein Seufzten und raffte sich auf. Er machte sich daran das Zimmer zu verlassen und legte seine Hand auf die Türklinke, erstarrte jedoch wie zur Salzsäule, als er das Rascheln von Bettlaken hinter sich hörte. „Wen nennt Ihr hier Blutegel, Köter?“ Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)