Kaltherzig von P-Chi ================================================================================ Kapitel 15: the war ------------------- LOGAN Der Nachgeschmack des Abschieds war bitter. Für Logan wahrscheinlich weniger als für andere, da er mit allen, außer den Jägern, keinen allzu persönlichen Kontakt hatte. Daher war es schwer, mit den einzigen Personen die ihm nahe standen, in den Krieg zu ziehen. Sie womöglich sterben sehen. „Wir haben Glück“, sagte Hazel, die sich neben ihn stellte, als sie aus einem der Höhlenausgänge traten. Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Sofern wir überhaupt in unserer derzeitigen Lage von Glück sprechen können. Das Wetter ist auf unserer Seite.“ In der Tat. Durch das breite Dickicht der Bäume konnte man blauen Himmel erkennen und Sonnenlicht, das helle Lichtstrahlen auf den Boden warf. Die Luft war frisch, eine angenehme Brise strömte durch den Wald und die Vögel zwitscherten ihre Lieder. Es war ein friedliches Bild. Jedenfalls so lange bis auch die anderen Jäger und deren Nachkommen, von Kopf bis Fuß bewaffnet, in sein Bildfeld traten, mit einer Aura die vor Mordlust geradezu die Umgebung verdunkelte und Schatten hervorbrachte, die vorher noch nicht da gewesen waren. „Alles in Ordnung, Logan?“, fragte Tristan, mit Natalia und Rodrigo an seiner Seite. Rodrigo schnaubte angesichts dieser unverfrorenen Frage. Sein altes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse aus tiefen Falten. „Natürlich ist nichts in Ordnung! Wir werden gleich in das Nest dieser Dämonen einsteigen und bestimmt nicht ungeschoren davonkommen!“ „Ruhig Blut“, sagte Émil, der von allen Jägern der Kleinste war. Er hatte sich sein blondes, welliges Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden. Dafür nahm sein dichter Bartwuchs den größten Teil seines Gesichts ein und ließ seine dunklen Augen nur noch kleiner wirken. Eigentlich war Émil eher ein lustiger Typ, den so schnell nichts aus der Ruhe bringen konnte, doch selbst ihm verging heute das Lachen. „Konzentrieren wir uns auf den Plan“, bestimmte Logan, der weitaus gelassener klang, als er sich fühlte. Vor allem Rebecca hatte es geschafft ihn unter Druck zu setzen. Es wäre einfacher für ihn gewesen, wenn er sich keine Gedanken darüber machen musste, ob es nun einen Unterschied machte ob er starb oder nicht, doch mit ihrer bestimmenden Bitte, hatte er keine andere Wahl. Er würde alles tun was in seiner Macht stand, um ihr ihren Wunsch zu erfüllen. Egal, wie viel Blut dafür vergossen werden musste. „Ihr alle wisst, was ihr zu tun habt?“ Ihre ernsten Gesichter sprachen Bände. Sie waren bereit. Ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden, rannten sie los. Im Grunde mussten sie sich nicht beeilen, denn die Sonne würde noch mehrere Stunden lang hoch am Horizont stehen, doch es brannte jeden in den Knochen, diesen Kampf so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Mit den Informationen die sie von Rebecca erhalten hatten, hatten sie endlich eine Chance erlangt, bis in das Innere des Schlosses vorzudringen. Es war mehr als sie sich je erhofft hatten und auch wenn einige noch immer glaubten, dass Rebecca sie in eine Falle lockte – wenn alles wie geplant verlief, würde es den anderen sicherlich leichter fallen die Vampirin an Logans Seite zu akzeptieren. Der Werwolfkönig wurde schneller, bis die Bäume nur vage an seinen Augenwinkeln vorbeizischten, während er allen Baumstämmen und herauswachsenden Wurzeln geschickt auswich. Die Erde war trocken unter seinen nackten Füßen und wurde schon bald von weichem Gras ersetzt, das noch nass vom morgendlichen Tau war. Die Werwölfe erreichten die hohe Steinmauer in Rekordzeit. Bewacht wurde diese von einigen Menschen, die beim Anblick der wölfischen Krieger sofort ihre Waffen zogen. Viele waren tapfer angesichts der Fremden, die keinen besonders vertrauenserweckenden Eindruck machten, doch den meisten konnte man die Angst ansehen. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Atem ging schnell und sie klammerten sich mit zitternden Händen an ihre Schwerter. Man musste ihnen zugestehen, dass sie nicht sofort die Flucht ergriffen, sobald sie die Schar an hochgewachsenen Männern und amazonenartigen Frauen in ihrer vollen Aufmachung sahen, die ihnen sicheren Schrittes entgegen kamen. Logan vermutete, dass die Blutsauger sie bezahlt hatten Wache zu halten, solange sie im Schloss schliefen oder sich – wie Rebecca ihm erzählt hatte – im Boden vergraben hatten, wenn sie einem niedrigen Rang angehörten. Natürlich war klar, dass sie keine Gegner für die Werwölfe darstellen, daher vermutete Logan, dass sie nur für Ihresgleichen aufgestellt waren, wenn nicht sogar als Dinner für die blutdurstigen Grenzwächter. Er machte eine Geste mit dem Arm, woraufhin sich die Werwölfe verteilten und die Menschen außer Gefecht setzten, möglichst ohne ihnen einen allzu großen Schaden zuzufügen. Einer nach dem anderen ging zu Boden. Als nächstes kamen die Grenzwächter dran. Wie vorher besprochen, suchten sie die Stellen, die mit frischer Erde aufgegraben war. Kaiden und Hazel waren die Ersten, die zwei Blutsauger aus ihren Verstecken ins Sonnenlicht zerrten. Es reichte lediglich für einen abgehackten Schrei, ehe deren Haut in Flammen aufging und sie rasend schnell zu Asche zerfielen. Kein Vergleich zu Rebecca, deren Durchhaltevermögen und Selbstheilung das der gewandelten Vampire um Längen übertraf. „Zwei von euch bleiben hier und suchen die anderen Grenzwächter, der Rest folgt mir!“, befahl Logan barsch und sprang mit einem Satz über die Mauer. „Unheimlich“, hauchte Hazel mit geballten Fäusten, als auch sie die hunderte Holzkreuze sah, die in den Boden gestoßen worden waren. „Was ist das?“ „Ein Friedhof“, erklärte Logan düster und fügte hinzu: „Für Rebeccas Verwandte und Leibwächter, die im Kampf für die Könige gefallen sind.“ Kaiden stieß einen beeindruckten Pfiff aus. „Ganz schön viele. Hm, unsere rotäugige Prinzessin muss dir ja ziemlich nahe stehen, wenn sie dir so etwas erzählt.“ Logan warf ihm einen scharfen Blick zu. „Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt um darüber zu sprechen.“ Der grünäugige Jäger zuckte ziemlich unbeeindruckt mit den Schultern. „Ich deute nur, was ich sehe.“ Logan ließ diese Aussage unkommentiert. Vor allem weil Tristan vor Eifersucht gefährlich nahe an einer Verwandlung war. Sein haselnussbraunes Haar wurde etwas länger, seine Gesichtszüge verschärften sich und seine Zähne, sowie Nägel, wurden deutlich länger und spitzer, doch alles was er tat, war mit dem Kiefer zu knirschen und voraus zu stapfen. Tristan war nach Kaiden der Zweite gewesen, den Logan gebissen und zu einem Werwolf gemacht hatte. In völliger Rage hatte er den damaligen Bauernjungen angefallen und ihn mit vernebeltem Verstand in den Wald gezerrt, wo er qualvoll langsam die Auswirkungen des Bisses erlebte. Wäre Kaiden nicht gewesen, hätte Logan ihn mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit gefressen und Tristan hätte keine Gelegenheit mehr dazu bekommen zu fliehen und seinen Bruder ebenfalls mit hineinzuziehen. Da deren Lebensverhältnisse ohnehin bereits katastrophal gewesen waren, sie ihr Haus und ihre Eltern bei einem Brand während eines Überfalls verloren hatten, ließen sie nicht viel zurück, als sie sich Logan anschlossen, der schon damals eine merkwürdige Anziehung auf Seinesgleichen hatte. Dank ihnen – Tristan und Kaiden – gewann der Werwolfkönig an Menschlichkeit und lernte die Verantwortung für seine Taten zu tragen. Er hatte ihnen viel zu verdanken und daher zählte er sie nicht ohne Grund zu seinen besten Freunden. Nein, sie waren sogar mehr als das. Sie waren seine Brüder. Deshalb war es noch undenkbarer, dass Logan und Tristan sich ausgerechnet zu derselben Frau hingezogen fühlten. Er könnte sich unmöglich zwischen ihnen entscheiden, auch wenn es ihn innerlich entzwei riss. „Es wird Zeit“, riss ihn die seidenweiche Stimme Rosemarys aus seinen düsteren Erinnerungen. Ihr honigblondes Haar war zu einem langen Zopf geflochten und ihr makelloses Gesicht wurde immer blasser. Logan nickte knapp. Die verblieben Werwölfe teilten sich in verschiedene Gruppen auf, um von jeweils einer Windrichtung anzugreifen. Während Tristan, Natalia, Émil und einige zweitrangige Werwölfe den Norden übernahmen, würde eine fünfköpfige Truppe, mitsamt Kaiden und Rodrigo, das Schloss von Süden befallen. Im Westen warteten bereits die beiden Jäger Eridanus und Forrest mit ihren jeweiligen Gruppen auf ein Zeichen. Insgesamt waren sie dennoch alle in der Unterzahl, daher zweifelte Logan keine Sekunde daran, dass dies ein gefährliches Spiel mit dem Tod werden würde. Sie alle sprinteten zur selben Zeit los, als hätte jemand ein Startsignal gegeben. Es dauerte nicht lange, da erreichten sie das schwarz-graue Schloss, welches selbst am hellsten Tag wie ein schreckliches Monster aussah, das nur darauf wartete, Eintretende zu verschlingen. Vertrockneter Efeu rankte sich an dem kalten Gemäuer empor und selbst die Erde war mehr grau als braun, als hätte man die Asche von Toten verstreut. Während die erste, pelzige Welle durch die Fenster im Erdgeschoss brach, kletterte Logans Gruppe die steinerne Wand hoch und verschaffte sich Zugang in den zweiten Stock. Ein eiskalter Windhauch empfing die Werwölfe, sobald sie in einem Scherbenmeer auf dem Marmorboden standen. Es war totenstill. Logan wusste, dass sie nicht gerade leise waren, insbesondere als sie die Vorhänge hinunter rissen und sich knurrend in das Zentrum des Schlosses vorwagten, doch niemand empfing sie. Keine Armee, keine Wächter, nicht ein einziger Vampire traute sich aus den vielen Zimmern im Korridor. Sie folgten Rebeccas Wegbeschreibung und bogen durch verschiedene Gänge, die auf ihre Weise immer gleich aussahen und als sie schließlich das Bild erreichten, hinter dem sich die geheime Tür befand, schlug Logans Herz schneller. Auf dem Portrait war ein Rattenfänger mit schneeweißem Haar abgebildet, der am Rande eines tosenden Flusses stand und in seine Flöte blies, doch statt den Ratten, waren es hypnotisierte Kinder, die sich nichtsahnend in die reißenden Fluten stürzten. Ein angewidertes Knurren stieg in Logans Kehle auf und sein Griff um das Schwert, welches in krankes Blut getaucht war, wurde fester. Rebecca hatte ihnen gestanden, dass krankes Menschenblut – von der Pest oder einer anderen Seuche – Vampire für mehrere Stunden lähmen konnte und bei manchen sogar zum Tod führte. Schon allein um seines Rudels Willen würde er dieses Wissen nicht ungenutzt lassen und jeden Vampir vernichten, der sich ihm in den Weg stellte. Tristans und Kaidens Gruppe würde in den ersten Stock einfallen, während sich die anderen um den Rest kümmerten. Logan selbst wartete auf den richtigen Zeitpunkt um Leonore auf ihrer Flucht abzufangen, sobald sie sich ihrer Situation klar wurde, der kam, als von unten kreischende Schreie ertönten und das ganze Schloss in Aufruhr versetzten. „Jetzt!“, befahl der Werwolfkönig barsch und riss das Portrait in Fetzen. Die Wölfe stürmten in den schmalen Gang, der angeblich in den ersten Stock führen sollte, in dem das Schlafzimmer der Vampirkönigin lag. Er war froh, noch damit gewartete zu haben sich zu verwandeln, denn die Stufen waren steil, die Wände feucht und der Weg so eng, dass ein Werwolf niemals hindurch gepasst hätte. Wahrscheinlich war auch das eine Vorkehrung der Vampirfamilie gewesen. Ziemlich schnell erreichten sie den Ausgang, der bereits offen vor ihnen lag und wie Logan herausfand, aus keinem anderen Grund, als dem, dass sie bereits sehnlichst erwartet wurden. Eine ganze Horde an Vampiren in schwarzen Kutten und gezogenen Schwertern standen in dem Schlafzimmer, welches so groß war, wie man es vom Adel erwarten würde. Die ganze Einrichtung war protzig und äußerst großzügig hergerichtet. Aus jedem Winkel konnte man das verprasste Geld schreien hören, das das Rudel nur zu gerne für Nahrung ausgegeben hätte und der Anblick von den vielen Marmorbüsten, denen zu einem großen Teil der Kopf abgeschlagen war, trieb ihm die Galle hoch. Von der gesuchten Blutsaugerin, war allerdings nichts zu sehen. Ein abscheuliches Gefühl nagte sich durch Logans Magen, als er die ausdruckslosen Gesichter mit ihren glühenden, blauen Augen betrachtete. Die Schwerter, die sie kampfbereit in den Händen hielten, waren zweifellos aus purem Silber, aber das war etwas, womit alle Beteiligten gerechnet hatten. Was neu war, war die erschreckende Anzahl, mit der sie sie begrüßten. Rebecca meinte, dass fünfzehn Wächter typischerweise das Maximum für Leonore darstellten, doch das war im Moment nicht der Fall. Sicherlich über dreißig Vampire, wenn nicht sogar mehr, füllten das Zimmer aus und könnte sich jeden Moment auf die Gruppe stürzen. Eine gefährliche, womöglich nicht handzuhabende Situation. Bevor Logan, oder einer der anderen Werwölfe, auch nur an einen Angriff dachten, trat einer der Blutsauger als Redner nach vorne. „Wenn ihr nicht getötet werden wollt, folgt uns.“ Ganz schön dreist von ihnen, die Werwölfe nicht einmal als potenzielle Gefahr zu betrachten und gleich zum Punkt zu kommen. Logan linste zu seinen Kameraden, die Zähne knirschend die Fäuste ballten und scheinbar nur darauf warteten, die Blutsauger in Stücke reißen zu dürfen. „Und wenn nicht?“ Der Mann mit den kalten Augen blinzelte nicht. „Das war keine Bitte.“ Logan, der selten so etwas wie Freude oder Zufriedenheit empfand, grinste angesichts dieser Herausforderung. Mühelos zwang er die Wut und die Abscheu in sich hoch, die er schon seit Ewigkeiten mit sich herumtrug und sein Blut vor Spannung kochen ließ. Mit lautem Knacken krümmten und verschoben sich seine Knochen, sein Gesicht formte eine lange, haarige Schnauze und seine Ohren wurden lang, bis er selbst eine Fliege hätte husten hören können. Sobald ihm dichtes, schwarzes Fell aus der Haut spross und kribbelige Schauer seine Wirbelsäule hinab jagte, ließ sich Logan auf alle Viere fallen und unterdrückte ein heftiges Brüllen, welches sich in seiner Kehle bildete. Die Fangzähne drohend gefletscht, stieß er ein tiefes Knurren aus, das durch seinen ganzen Körper vibrierte, und bohrte seine scharfen Krallen in den Boden. „Ich sehe, wir kommen zu keiner Einigung“, sagte der Wächter völlig unbeeindruckt und stürzte sich auf ihn. Logan sah noch, wie auch die anderen die Form wechselten und sich diesem schier aussichtslosen Kampf anschlossen, ehe schwarze Kutten seine Sicht verdeckten. Das Gerangel war heftig. Leiber wurden zerquetscht, Blut floss in Strömen und zischende Fleischwunden wurden geschaffen, sobald die Silberschwerter ihre Körper durchbohrten. Die Jäger waren es gewohnt, gegen mehrere Gegner auf einmal antreten zu müssen, doch selbst für sie war die Zahl der Blutsauger zu übermächtig, noch dazu, wenn sie so hervorragend im Kampf ausgebildet waren. Gerade als Logan den Schädel eines Wächters zwischen seinen Fangzähnen knacken hörte und einen weiteren mit seinen Krallen aufschlitzte, durchstießen drei Schwerter gleichzeitig seinen Brustkorb, äußerst knapp an seinem wild schlagenden Herzen. Er erstarrte. Eine weitere, unnötige Bewegung und es wäre vorbei mit ihm. Logan konnte den bitteren Geschmack des Verrats förmlich auf der Zunge schmecken. Es war verdächtig, wie schnell sie den Vampiren in die Falle geraten waren – vor allem das Timing war erschreckend akkurat –, doch noch hoffte er, dass es sich hierbei nur um einen Zufall und schieres Unglück handelte, auch wenn ihm sein Instinkt mit Grabesstimme zuflüsterte, wie wahrscheinlich es war, dass ein Verräter unter seinen Reihen lauerte, oder noch schlimmer – eine Vampirin mit schneeweißem Haar. „Verwandelt euch zurück“, befahl der Redner und, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, drehte er das Schwert in Logans Brustkorb etwas und verursachte übelerregenden Schmerz, der ihm durch alle Nervenenden zuckte und eiskalten Schweiß auf die Stirn trieb. Logan knurrte angesichts seiner Hilflosigkeit, tat aber, was man ihm auftrug. Seine Begleiter taten es ihm widerwillig nach. Als Anführer musste Logan an erster Stelle an die anderen denken und ihr Überleben sichern. Wenn es bedeutete, sich vorerst zu fügen, dann würde es eben so sein. Zu seiner Überraschung, wurden die Silberschwerter aus ihm herausgezogen und gesenkt. „Unsere Königin wünscht Euch zu sprechen“, sagte der Redner monoton und der Kampfgeist verflog aus seinem blauen Blick und färbte sich wieder pechschwarz. Zähneknirschend folgten sie den Wächtern, die genauso gut Marionetten hätten sein können, durch die kalten, düsteren Gänge und allmählich bröckelnden Treppen hinab. In den leeren Gängen sah es wüst aus. Geradezu gespenstisch. Türen waren offen und teils aus den Angeln gerissen, langgezogene Blutspuren zogen sich auf dem Boden entlang und führten in genau jene Richtung, in die Logans Gruppe gerade gedrängt wurde wie eine Schafshorde auf dem Weg zum Schlachter. Skulpturen und Gemälde waren zerfetzt, tiefe Furchen von den messerscharfen Klauen der Werwölfe prangten an den Wänden und der Geruch von Tod schwebte unheilvoll in der Luft. Die Vampire achteten penibel darauf, nur Gänge zu benutzen, in denen keine Fenster waren und wenn sie doch einmal an einen Ort kamen, an dem die Fensterscheiben nur noch kleine, glitzernde Splitter auf dem Boden waren und die zerrissenen Vorhänge sie nicht mehr vor dem Sonnenlicht schützen konnte, zogen die Wächter sofort ihre Schwerter und verschärften die Bewachung. Sobald einer von ihnen auch nur eine einzige, verdächtige Bewegung machte, wurde ihnen ein Silberschwert in den Magen gerammt, bis sie die risikoreichen Stellen passiert hatten. „Wir sind da“, unterrichtete der Redner sie mit seiner eisigen, abschätzenden Stimme, die einem wie ein Stück Eis den Nacken runter rann und musterte sie prüfend, ehe er das deckenhohe Tor aufschob und sie alle in einen riesigen Saal führte, der den in der Höhle um ein ganzes Stück übertraf. Logan ballte die Hände zu Fäusten, bis die Sehnen an seinen Armen schmerzten, und trat ein, dicht gefolgt von dem Rest seiner Gruppe. Bis auf zwei Vampire, die das Tor wieder schlossen und sich dann schützend davor stellten, drängten sich die Wächter an die Seite und überließen die Werwölfe sich selbst. Logan traute seinen Augen kaum. All die Leichen, all die Opfer, die dieser sinnlose Kampf heute gekostet hatte, lagen verstreut im Raum. Manche in ihrer menschlichen und andere in ihrer Tiergestalt und dennoch hatte man ihnen den Gnadenstoß versetzt. Er erkannte, dass nur acht von den dutzend Werwölfen überlebt hatten, die den Auftrag hatten das Schloss von den anderen Seiten anzugreifen und sie waren in keiner allzu guten Verfassung. Man hatte sie in Silberketten gelegt, wo sie nun hechelnd und winselnd zu Füßen der Königin lagen. „Willkommen! Ihr kommt genau zur rechten Zeit!“, freute sich Leonore mit einem breitem Grinsen und zerrte jemanden an den Haaren hinter ihrem bauschigen, violettfarbenem Kleid hervor. Die Werwölfe, insbesondere Logan und Kaiden, erstarrten als sie Tristan unter all dem Blut, den gebrochenen Knochen und den blauen Flecken erkannten. Er sah zum Fürchten aus; als wäre er bereits mehr tot als lebendig. „Was zum Teufel–!“, fluchte Logan und musste die anderen mit einem warnenden Knurren davon abhalten, sich auf das weißhaarige Biest zu stürzen und sich für den Tod ihrer Kameraden zu rächen. Auch wenn Logan nichts lieber getan hätte, als ihr persönlich das Herz herauszureißen, so waren sie noch immer in der Unterzahl und würden getötet werden, noch ehe sie das Podest erreichten, auf dem die Vampirin so nonchalant stand und auf sie herab blickte. „Was willst du?“, zischte der Werwolfkönig zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor, während er innerlich vor Wut schäumte und jegliche Selbstkontrolle aufbringen musste, um nicht zum Berserker zu werden. Der Wolf in ihm heulte, in Anbetracht all der Verluste und insbesondere des Zustands, in dem sich einer seiner engsten Vertrauten befand. Er wollte Vergeltung; Genugtuung; ihren Kopf zwischen seinen Klauen zermalmen. Es reichte nicht, dass dieser Anblick Logan bereits Höllenqualen durchstehen ließ, nein, auch noch sein inneres Tier – sein ganzes Wesen – zu unterdrücken, riss ihn beinahe auseinander. „Oh, nun seid doch nicht so blindwütig! Wir sind doch alte Bekannte, nicht wahr?“ Es ekelte Logan an, wie sie sich amüsiert über die bleichen Lippen leckte und ihn dabei lasziv musterte, als würde sie tatsächlich so etwas wie Interesse zeigen. „Außerdem seid ihr es doch gewesen, die mich im Schlaf ermorden wollten. Da werde ich meinen Attentätern doch wohl noch gegenübertreten dürfen!“ Sie hatte tatsächlich den Nerv, auch noch beleidigt zu klingen. „Woher hast du gewusst, dass wir kommen?“, fragte Logan so gefasst wie nur möglich und versuchte seinen Blick nicht zu Tristan wandern zu lassen, der neben dem violetten Saum der Königin kniete und den Kopf hängen ließ, als würde er beten. Leonore, die Rebecca erschreckend ähnlich sah und ein grausam verzerrtes Bild in Logans Verstand hinterließ, lächelte stolz, als sie die folgenden Worte sprach: „Meine liebste Schwester hat fantastische Arbeit geleistet, nicht wahr? Ich hätte ihr nicht zugetraut, dass sie so weit geht, sich in das Nest der Werwölfe einzuschleusen und sich eurer Vertrauen zu erschleichen, nur um Vaters Schwert in die Hände zu bekommen.“ Die Vampirin winkte einen ihrer Diener zu sich, der ihr demütig ein Schwert überreichte, das, mit ausgenommen der gewellten Klinge, eigentlich ziemlich gewöhnlich aussah. „Wovon redest du?“ Logan schluckte hart und hatte auf einmal Schwierigkeiten zu sprechen, denn diese Worte, die wie Messer sein Herz durchstießen, konnten unmöglich das bedeuten, was er gerade verstanden hatte. Als hätte sie ihn nicht gehört, fuhr sie fort: „Sie hat sich wahrlich als würdig erwiesen! Ein Schwert aus purem Silber, von Kopf bis Fuß absolut tödlich für Eures gleichen. Es reicht ein einziger, kleiner Schnitt – die ultimative Waffe gegen solche Bestien wie euch!“ „Du lügst doch“, zischte Logan, doch tief in seinem Herzen hatte sie bereits Zweifel und Misstrauen gesät, der sich durch ihn hindurch fraß und an seinem Urteilsvermögen nagte wie hungrige Ratten. Auch von seinen Kameraden hörte man nur aufgeregtes Gemurmel und Flüche, als hätten sie es bereits die ganze Zeit geahnt. Hatte Rebecca die ganze Aktion geplant? Hatte sie gewusst, dass, solange sie Tristan um ihren Finger gewickelt hatte, die anderen ihr kein Haar krümmen würden? Hatte sie von Anfang an vorgehabt von Logan zu trinken und ihn langsam mit ihren traurigen Geschichten zu verzaubern? Die Antwort war erschreckend eindeutig: Es war möglich. Rebeccas Familie war ihr unglaublich wichtig und selbst wenn sie ihre Schwester tatsächlich hassen sollte, so würde sie das Schwert ihres Vaters doch niemals ihr überlassen, oder? „Weißt du was?“, zwitscherte die Königin völlig sorglos, „Mir ist gerade eine hervorragende Idee gekommen. Warum überreicht Ihr ihr nicht das Schwert? Und wenn ich schon einmal dabei bin, kann ich auch gleich diesen Ballast für sie loswerden.“ Leonore ließ Tristans Haar los, woraufhin er den Kopf wandte und Logan voller Schrecken anstarrte, als wüsste er genau was jetzt kam. Mit einem einzigen Schwung des Schwerts, durchschnitt sie ihm sauber die Kehle, woraufhin seine Worte in gurgelnde Geräusche übergingen, als das Blut aus ihm heraus spritzte und er tot zur Seite kippte. Kaiden und die anderen hinter ihm zogen scharf die Luft ein, halb aus Entsetzen und halb aus unsagbarem Zorn. Irgendetwas zerbrach in Logan. Es fühlte sich an, als ob seine Welt in Schutt und Asche gelegt wurde. Rebecca hatte sie verraten. Tristan und die anderen waren tot. Sie waren alle dem Untergang geweiht. Ein tiefes, furchterregend grollen entrang Logans Kehle und seine türkisen Augen, die starr auf Leonore gerichtet waren, machten klar, dass er mehr als bereit war sie zu töten, doch noch ehe er in seine Wolfsform schlüpfen konnte, stand sie vor ihm und hielt ihm das tödliche Schwert an die Kehle. „An Eurer Stelle würde ich das nicht tun“, wisperte sie warnend. „Seid kein schlechter Verlierer und bringt Rebecca das Schwert.“ „Warum in aller Welt sollte ich das tun?“ „Weil“, und das triumphierende Lächeln kehrte auf ihr Gesicht zurück, als sie eine ausladende Geste machte, „sonst auch der Rest deiner Sippe hier sterben wird.“ Es wurde furchterregend still in dem großen Saal, doch allein die Präsenz aller Anwesenden ließ die Luft erdrückend schwer werden. Ihnen allen schnürte sich die Kehle zu, als hätte die Vampirkönigin persönlich ihre kalten Hände um deren Hälse gelegt. Logan waren die Hände gebunden und diese Tatsache nutzte die Vampirin schamlos aus. Sie kehrte mit einem seligen Schmunzeln zu Tristans Leiche zurück und rammte das Königsschwert in seinen Brustkorb, woraufhin es zischte und dampfte, während sich die Haut um die Silberklinge herum schwarz färbte und von dem Gift zerfressen wurde, bis der Gestank den ganzen Saal verpestete. Logan zuckte zusammen bei diesem Anblick. Eine stumpfe Taubheit breitete sich in ihm aus, die all seine Emotionen unter einem Schutthaufen begrub und in ihm nur noch ein Gefühl der Leere hinterließ, als wäre er soeben gestorben. „So wie ich das sehe“, sagte Leonore mit roten Augen und einer selbstzufriedenen Fratze, die das wahre Monster in ihr erahnen ließ, „habt ihr gar keine andere Wahl.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)