Alice in Wonderland von kessy8 ================================================================================ Kapitel 1: White Rabbit ----------------------- Es war einmal ein kleiner Traum. Wer ihn träumte, weiß man nicht, so klein war der Traum. Der kleine Traum dachte: „Ich möchte nicht einfach so verschwinden. Wie schaff ich es nur, dass die Leute mich ansehen?“ Der kleine Traum dachte und dachte. Und hatte schließlich eine Idee. „Ich könnte Leute in mich locken und sie… ihre eigene Welt erschaffen lassen.“ Kapitel 1: White Rabbit Er wusste, dass es ein Traum war. Er nahm es ganz bewusst war. Und dennoch fühlte es sich so real an, fühlte sie sich so real an. „Warum siehst du mich nur an, weißer Ritter?“ Sie lächelte, doch die Augen hielt sie geschlossen. Sie lag zwischen Rosenblättern im Grass auf der Seite. Eine Hand nach einer weißen Rose ausgestreckt, die sie jedoch nicht erreichte. Er ging in seinem Traum um sie herum und blieb neben ihrer Hand stehen. Er wollte sich gerade nach der Rose bücken, um sie zu pflücken, als sein Blick an seinem Spiegelbild hängen blieb, was ihm von einem kleinen See entgegen blitzte. Er blinzelte ein Mal und löste für einen Moment seinen Blick vom Wasser und lies ihn über den See gleiten. Wie er es sich gedacht hatte breitete sich das Wasser in seinem Traum immer weiter aus und verschluckte Grashalm um Grashalm, Baum um Baum. Sein Traum veränderte sich. Er jedoch nicht. Sein Spiegelbild blickte ihm mit den gleichen goldenen Augen entgegen, wie es, es auch in Realität tat. Seine schwarzen Haare fielen ihm noch immer struppig in die Augen und bis in den Nacken hinunter. Er trug einen weißen Mantel mit schwarz abgesetzten Rändern. Eine weiße Hose und dazu schwarze Stiefel. Seine linke behandschuhte Hand lag auf dem Griff eines Schwertes mit weißer Scheide, welches ein schwarzer Gürtel um seine Hüfte hielt. Dann wandte sich sein Spiegelbild von ihm ab und betrachtete die Frau im Grass. Er folgte dem Blick seines Abbildes. Dabei fiel ihm nicht mehr auf, dass die Reflexion und er nun wieder genau dasselbe Bild abgaben. Seine Augen ruhten allein auf der Frau zu seinen Füßen. Weiße Seide umspielte ihren Körper wie Wellen. Erst ab ihrer Hüfte hörten die Kräuselungen auf und verfestigten sich bis zu ihren Brüsten, wo der Stoff ihre nackten Arme und Schulter freigab. Sie lag auf der Seite und obwohl kein Wind wehte spielten ihre silberweißen Haare in imaginären Luftzügen um ihr Gesicht. Es war weich geschnitten mit sinnlichen Lippen und fein geschwungenen hellen Augenbrauen. Er ging in die Knie und streckte die Hand nach der weißen Rose aus, um sie zu pflücken. „Nicht.“, hauchte sie, ihre Haare fielen ins Grass, wie um ihre Traurigkeit zu unterstreichen. „Sie zu pflücken würde ihren Tod bedeuten, wo man sie doch auch so betrachten kann.“, erklärte sie und schlug die Augen auf. Er hielt den Atem an. Ihre Augen bildeten einen kompletten Kontrast zu den silberweißen Haaren. Die Iriden waren tief braun, wie die dunkelste Erde und von einem schwarzen Ring umgeben. Sie hob sich fast nicht von der Pupille ab und dennoch war es eine klare Linie zwischen beiden, um schließlich von Zeit zu Zeit miteinander zu verschmelzen. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch schloss er ihn wieder, unfähig auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. Sie lächelte ihn daraufhin an und er musste tief Luft holen, um es zu überstehen. Um ihre Mundwinkel bildeten sich kleine Falten und ihre Wangenknochen traten stärker hervor. Doch was ihn wirklich erstarren ließ, war diese Wärme die sie dabei ausstrahlte und das Funkeln in ihren Augen. Sie setzte sich auf und sah ihn an. Ihre Hand streckte sie nach ihm aus und ihre Fingerspitzen berührten ganz leicht sein Kinn. „Pflück sie nicht.“, bat sie. „Aber wenn du sie nur betrachtest, kannst du sie nicht besitzen.“ Ihre Augen wurden traurig und sie nahm die Hand von seinem Gesicht. „Dann würdest du also töten, um zu besitzen?“ Sie verschränkte die Hände in ihrem Schoß. „Obwohl du doch betrachten könntest?“ Er stockte für einen Moment, wandte dann den Blick von ihr ab und legte ihn auf die Rose. Seine Hand danach austreckend, berührte er ganz sanft die Rosenblätter. „Nein.“, flüsterte er. „Ich bin geschaffen worden, um zu beschützen.“ Obwohl er wusste, dass es ein Traum war, sprach er dennoch die Worte ohne zu wissen woher sie kamen. Er sah sie an und streckte dieses Mal seinerseits die Finger nach ihrem Gesicht aus. Sie schmiegte sich mit der Wange in seine Handfläche. „Obwohl ich manchmal gerne fähig wäre etwas zu tun, um etwas nur für mich zu besitzen.“ Sie legte ihre Hand auf seine. „Dann würdest du mich pflücken und töten, wenn ich eine Blume wäre. Nur um mich zu besitzen?“ „Ich will das nicht tun müssen.“ Sie lächelte ganz sanft und legte ihre freie Hand auf seine Hand, die an dem Schwertgriff ruhte. Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, dennoch war sie fest und überzeugt. „Dann töte mich eher, als dass ich je einem anderen gehöre.“ Gabriel schreckte hoch. Der Traum war noch ganz präsent und vernebelte ihm den Kopf. Er nahm die Schüsse um ihn herum nicht war. Nur langsam tauchte er wieder in die reale Welt ein. Seine Augen klärten sich und er sah sich um, der Realität um ihn herum nun wieder ganz bewusst. Er spürte das kalte Gras unter seinen Fingern und die Härte des Baumes, an dem er lehnte, hinter sich. Gabriel stand schwankend auf. Er taumelte und stützte sich mit einer Hand an dem Baumstamm ab. Laute Schmerzensschreie tönten um ihn herum, Schüsse durchbrachen die Dunkelheit. Er sah sich um. Feuer blendeten ihn und machten die Nacht zum Tag. Die Hitze spürte er selbst in dieser Entfernung noch. Dennoch rappelte er sich auf. Gabriel fasste sich an den Kopf. Der Traum, den er eben hatte kam ihm so real vor, so viel realer als das was um ihn herum passierte. Doch selbst der Traum füllte sich eher wie eine Erinnerung an, als wäre es etwas was er vor langer Zeit erlebt hatte. Was aber nicht möglich sein konnte. Er kannte kein silberhaariges Mädchen, dessen Haare sich von selbst bewegten und deren Kleid wellenförmige Bewegungen machte. Das war unmöglich. Und dennoch tauchte in diesem Moment jenes Mädchen zwischen den Bäumen vor ihm auf. Sie lächelte genauso wie in seinem Traum und trotzdem schien es ihm viel verschmitzter, frecher. Außerdem trug sie ein Paar weißer Hasenohren auf dem Kopf. Gabriel blinzelte einmal, ein zweites Mal. Es waren wirklich Hasenohren. Und sie schienen kein Schmuck zu seien. Haar und Ohren hatten die exakt gleiche Farbe und verschmolzen förmlich miteinander. Das Hasenmädchen sprang und tanzte zwischen den Bäumen hindurch. Mal weiter auf ihn zu, mal weiter weg, dennoch blieb sie immer in seinem Blickfeld, ohne ganz zu verschwinden. Das weiße Kleid schwang dabei kunstvoll um ihre Beine. Es reichte ihr nur bis fast an die Mitte der Oberschenkel, übereinander abwechselnd Weiße und Schwarze Röcke tanzten hin und her, wie sich das Mädchen drehte. Dazu trug sie weiße halterlose Strümpfe, die in schwarzen Schuhen mit Absatz verschwanden. Oben war das Kleid Korsettartig geschnitten mit weißen Bändern, die es vorne banden und schwarzen Rändern, wo die Schnüre endeten. Die breiten Träger über ihren Schultern waren aus schwarzer Spitze. Weiße Spitze umspielte ihre Hände in leichten Handschuhen. Als sie näher kam, versteckte sie sich zwar hinter einem Baum und lugte nur mit Kopf und Schulter hervor, konnte er dennoch einen näheren Blick auf sie erhaschen. Schräg auf ihrem Kopf neben den Hasenohren saß ein kleiner schwarzer Hut mit einem weißen Band umschlungen auf dem eine flache klassische Zeigeruhr saß. Daneben war eine Spielkarte befestigt auf dem er ein rotes Herz erahnen konnte und eine weiße Schachfigur, die wohl die Königin darstellen sollte. Ein weißer Streifen aus Make-Up zog sich von der einen Schläfe über die Augen zur anderen Schläfe. Mit ihren weiß geschminkten Lippen lächelte sie ihn an, die sich von ihrer gebräunten Haut abhoben. Dann hob sie die Hand und winkte ihm zu, bevor sie Lachend zum nächsten Baum tanzte. Doch Gabriel sah nur ihr Grinsen, das Lachen verging in dem Sturm aus Schreien und Schüssen, den sie nicht wahrzunehmen schien. „Was ist das?“ Gabriel sah sich um. Eine Stimme war eben ganz nah bei ihm gewesen. „Da vorne!“ Da war die Stimme wieder. Gabriel drehte sich um, als er ein Mädchen sah, dass mit dem Finger auf die Stelle zeigte, wo das Hasenmädchen eben verschwunden war. Die Blonde mit der weißen Schleife im Haar und dem gelb-schwarzen Kleid trat neugierig einen Schritt näher. „Ein…ein weißer Hase?“ Hinter ihr tauchte plötzlich, wie aus dem Nichts ein Junge auf. Ebenfalls in Gelb gekleidet und das männliche Ebenbild zu der Blonden. „Das ist doch kein Hase, oder?“ Beide traten näher heran und schienen dem Hasenmädchen folgen zu wollen. Gabriel wollte sie aufhalten, obwohl er nicht wusste warum. Doch als er seine Hand nach dem blonden Mädchen ausstreckte, glitten seine Finger durch sie hindurch, als wäre sie nur eine Illusion. Gabriel schreckte zurück. Das Zwillingspaar aber lief unbehelligt weiter in den Wald hinein. Er wollte ihnen gerade folgen, als eine Stimme hinter ihm zu singen begann. „Das Glassaugenpüppchen, das über mich wacht. Ja es fing an zu singen in sternklarer Nacht.“ Gabriel sah sich abermals um, als hinter einem Baum zu seiner linken ein weiteres Mädchen auftauchte. Ihre langen grünen Haare waren zu zwei Zöpfen seitlich an ihrem Kopf gebunden. Ein knöchellanges grünes-weißes Kleid schwang bei jedem Schritt, den sie auf den Wald, den Zwillingen hinterher, zutrat. „Ich kenne da ein tolles Land.“ Gabriel schreckte zurück, als neben ihm plötzlich ein junger Mann auftauchte. Seine kinnlangen Haare waren blau, wie wenige Teile seiner weißen Kleidung. Nur der tiefblaue Schal um seinen Hals unterstrich seine Farbe. Auch schien er, anders als die Zwillinge, Gabriel wahrzunehmen. Er lächelte ihn an und sang weiter: „Und willst du mit hin, ja dann nimm meine Hand.“ Der junge Mann streckte ihm seine Hand entgegen. Als Gabriel sie nicht ergriff, ging er lachend rückwärts und streckte dabei die andere Hand nach dem Mädchen in dem grünen Kleid aus. Sie kam grinsend auf ihn zu und nahm seine Hand. In die andere Hand, die er vorher Gabriel zugestreckt hatte, legte sich nun eine weitere Hand. Ein weiteres Mädchen war aufgetaucht. Sie hatte braunes fast schulterlanges Haar und ein rot Kleid mit einer weißen Schürze an. Die Drei drehten sich um und verschwanden zwischen den Bäumen. Gabriel lief ihnen hinterher, als er ein paar Bäume vor sich das Hasenmädchen auftauchen sah. Sie winkte ihm zu und hielt plötzlich eine silberne Taschenuhr in der Hand, deren Kette in den Tiefen ihrer Röcke zu verschwinden schien. Im nächsten Moment lief sie auf ihn zu, den Blick auf die Uhr gerichtet, die gerade wieder zwischen ihren Röcken verschwinden ließ und murmelte immer wieder: „Ich komme zu spät, viel zu spät.“ Dann stand sie vor ihm. Gabriel stockte, so wie er schon in seinem Traum gestockt hatte, als er ihre Augen sah. Tief Braun mit einem schwarzen Ring um die Iris. „Wir kommen zu spät, viel zu spät!“, rief sie und packte seine Hand. Das Hasenmädchen zog ihn hinter sich her, tiefer in den Wald hinein. Sie blieb nur stehen, als plötzlich ein paar Männer mit Gewehren an ihnen vorbeiliefen. Das Mädchen blickte über die Schulter zu ihm und legte ihren Zeigefinger an die grinsenden Lippen. Gabriel sagte nichts, folgte mit dem Blick jedoch den Soldaten, die in Richtung der Feuer und Schüsse rannten. „Sie können uns nicht sehen.“, erklärte sie ihm und zog ihn weiter. „Warum nicht?“, fragte Gabriel und blieb stehen. Er wollte sich nicht mehr von diesem seltsamen Hasenmädchen weiterziehen lassen. Doch sie sprang leichtfüßig weiter, drehte sich und sah ihn an. „Weil sie nicht so wie wir sind…Alice.“ Gabriel stutzte. „Alice?“ Das Hasenmädchen legte den Kopf schief und verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken. „Du bist doch Alice, oder?“ „Mein Name ist Gabriel.“, antwortete er ihr ausweichend. Dennoch überstrahlte ein Lächeln ihr Gesicht. „Dann kannst du immer noch Alice sein!“, rief sie erfreut und klatschte in die Hände. Dann kam sie wieder auf ihn zu und packte seine Hand. Doch Gabriel schüttelte sie ab. „Das hier ist kein Alice im Wunderland Spiel!“, fuhr er sie nun plötzlich an. Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. „Nicht?“, fragte sie ganz unschuldig, dann lachte sie wieder. „Komm schon Alice, wir sind sowieso schon zu spät.“ Damit drehte sie sich um und lief zwischen die Bäume, die Hände hinter dem Rücken ineinander geflochten. Sie trällerte dabei immer wieder in einem Singsang: „Alice, Alice.“ Sie wirbelte um sich selbst, ging für ein paar Schritte rückwärts und sah ihn mit schief gelegtem Kopf an. „Bist du der echte Alice?“ Ihr Gesang verschmolz mit den Schreien und den Schüssen, um ihn herum und bildete einen fast obszönen Kontrast zueinander. Doch das Mädchen schien sich daran nicht zu stören. „Kommst du?“ Schon wieder war sie hinter einem Baum verschwunden und lugte nur zur Hälfte dahinter hervor. „Komm schon! Komm schon!“, riefen auf einmal mehrere Stimmen um ihn herum. Dann traten alle fünf Personen hervor, die er bereits getroffen hatte. Das Mädchen der Zwillinge rannte lachend auf ihn zu und zog ihn an der Hand. Ihr Bruder gesellte sich zu ihr und nahm seine andere Hand. Der junge Mann mit den blauen Haaren war plötzlich hinter ihm und drückte ihn an den Schultern nach vorne. Sein Mund flüsterte nahe an seinem Ohr: „Komm mit uns, komm mit.“ Gabriel wollte ihn abschütteln, als die Hände an seinen Schultern sich bereits lösten. Er wandte den Kopf, um zu sehen was mit Blauhaarigen passiert war, als sich das Gesicht des Mädchens in dem roten Kleid in sein Blickfeld schob. Dabei fiel ihm auf das ihre Augen mehr rot, statt braun waren. „Komm vorbei und sieh hin.“, flüsterte sie und lief lachend wieder weg. Gabriel versuchte sich von den beiden blonden Zwillingen zu befreien, als das Mädchen in dem grünen Kleid erneut zu singen begann. „Ich folgte dem Hasen jedoch, fiel ich auf einmal ganz tief in ein Loch.“ Plötzlich ließen die Zwillinge ihn los und liefen auf das Hasenmädchen zu, welches hinter ihrem Baum wieder aufgetaucht war und nun lachend davon lief. „Warte doch! Wo willst du hin?“ Auch das rote Mädchen und der blaue Junge liefen dem Hasenmädchen hinterher, begleitet von der Grünen, deren Stimme abermals zwischen den Bäumen erklang. „Wo willst du hin?“ Gabriels Knie knickten als und er sank zu Boden, nicht länger fähig diesem Wahnsinn standzuhalten. Er vergrub die Hände in seiner Hose und atmete tief durch. „Du kommst zu spät, Alice. Viel zu spät.“ Er erkannte die Stimme des Hasenmädchens, doch sie klang weit weg und dumpf für ihn. „Alice, Alice.“, flüsterte ihre Stimme. „Alice!“ „Hör auf, sei ruhig!“, rief er. „Gabriel.“ Es war nur ein leises Hauchen, eine Ahnung eines Namens. „Gabriel.“ Diesmal lauter. Er blickte auf. „Marianne.“ Dort zwischen den Bäumen stand ein Mädchen mit blonden hüftlangen gelockten Haaren. Sie trug ein blaues Kleid mit einer weißen Schürze. Sie war nicht viel jünger als er es war. Gabriel stand hastig auf. „Schwester!“, rief er, doch das Mädchen reagierte nicht. Marianne. Seine verschollene jüngere Schwester von der immer alle geglaubt hatten, dass sie entführt wurde. Dort stand sie nun…und schien ihn nicht zu erkennen. „Marianne!“, rief er wieder und ging ein paar Schritte auf sie zu. Das Hasenmädchen tauchte zwischen den Bäumen auf. Mariannes Gesicht hellte sich auf. „Das bist du ja, Weißes Kaninchen.“, lächelte sie. Gabriel stockte. Sollte das Hasenmädchen wirklich das Weiße Kaninchen aus Alice im Wunderland sein? Das konnte unmöglich sein. „Alice?“, rief sie ihm zu und wollte zu ihm kommen, doch Marianne hielt sie auf, indem sie das Weiße Kaninchen an die Hand nahm und von ihm wegzog. „Wir sind zu spät, Shiro. Viel zu spät.“ Es sah so aus als wolle sie sich aus Mariannes Griff befreien und zu ihm gehen, doch ließ sie sich trotzdem von seiner Schwester mitziehen. Ihr Gesichtsausdruck wirkte dennoch fast verwirrt, so als wolle sie nicht ohne ihn gehen. „Warte!“, rief Gabriel und stand schwankend auf. Er stolperte hinter den beiden jungen Frauen hinterher, stützte sich an den Bäumen ab und kämpfte sich durch den Wald. „Marianne!“ Er hörte sie lachen. Gabriel drehte sich im Laufen um sich selbst und hielt nach der Blonden Ausschau. „Hier entlang, Gabriel.“ Er sah sich um, doch fand er keine Spur der Schwester. „Folge dem Weißen Kaninchen!“, flüsterte Mariannes Stimme durch die Nacht. Gabriel drehte sich weiter, als er eine Strähne silberweißen Haares hinter einem Baum verschwinden sah. „Warte!“, rief er erneut und folgte dem Weißen Kaninchen. Da stand sie zwischen den Bäumen und wartete auf ihn. Gabriel wurde langsamer und blieb stehen. Ihr Blick wirkte seltsam entrückt und leer. Das Weiße Kaninchen starrte in den Wald hinein ohne etwas wahrzunehmen, ohne ihn wahrzunehmen. Mariannes Kichern erklang überall um ihn herum. Dann tauchte sie hinter dem Weißen Kaninchen auf und strich ihm durch das silberweiße Haar. „Du musst ihr folgen Gabriel. Ohne eine Alice, die das Weiße Kaninchen führen kann, ist es in dieser realen Welt nicht von Nutzen. Sie wird anfangen die Realität wahrzunehmen und nicht mehr ins Wunderland zurück kehren können. Doch ohne das Wunderland wird das Weiße Kaninchen sterben. Sie ist ein Teil davon und deshalb muss sie dorthin zurückkehren.“ Marianne trat neben das Weiße Kaninchen und strich ihr über die Wange. „Siehst du es bereits in ihren Augen, Gabriel?“ Die Blonde nahm ihre Hand weg, fast so als hätte sie sich verbrannt. „Sie nimmt diese Welt wahr. Sie wird ein Teil der Realität.“ Gabriel trat näher heran und als hätte ihn das Weiße Kaninchen ihn irgendeiner Weiße am Rande doch noch wahrgenommen, drehte sie leicht den Kopf in ihre Richtung. Da sah er es. Das dunkle Braun ihrer Augen spiegelte die Flammen der umliegenden Feuer wieder. Sie mussten alle im Kreis gelaufen sein. Doch was ihn wirklich beunruhigte war die Leere hinter dieser Reflexion und die Tatsache, dass sich sonst nichts in ihrem Augen gespiegelte hatte außer ihm Selbst. „Wie kann man verhindern, dass sie so bleibt.“ Gabriel wollte nicht, dass das Weiße Kaninchen verschwand. Er musste herausfinden warum sie in seinem Traum war, warum er diesen Drang verspürte ihr zu folgen und warum Marianne mit ihr war. „Nur du kannst es verhindern, Gabriel.“, erklärte Marianne ihm. „Alice Weg ist es dem Weißen Kaninchen zu folgen, doch wendet sich Alice von ihr ab.“ Sie strich dem Weißen Kaninchen über die nackte Schulter. „Dann kommt auch sie von ihrem Weg ab. Das Weiße Kaninchen ist an Alice gebunden.“ Gabriel atmete tief durch. Er musste sich entscheiden. „Dann werde ich ihr folgen.“ Marianne schüttelte den Kopf. „Das reicht nicht.“, sagte sie leise. „Du darfst dich nicht davon ablenken lassen ihr zu folgen. Ihr zu folgen darf, nein, muss dein einziger Gedanke sein!“ Gabriel trat einen verzweifelten Schritt auf sie zu. „Ich…“, setzte er an, doch Marianne schnitt ihm das Wort ab. „Du darfst dir keine Ablenkung erlauben, Gabriel. Auch mich nicht.“ „Marianne, was?“ Seine Schwester lächelte melancholisch und nahm die Hand des Weißen Kaninchens. “Folge ihr.”, flüsterte sie leise und fing an zu verblassen. Sie löste sich auf, wie Licht, das nach und nach der Dunkelheit wich. „Marianne, nein!“ Er rannte auf sie zu, doch als er bei ihr ankam, war sie bereits verschwunden und einzig und allein das Weiße Kaninchen stand vor ihm. „Nein.“, hauchte er und lies die Hand sinken, die er eben noch nach ihr ausgestreckt hatte. Dabei streifte er den Arm des Weißen Kaninchens und ihre Hand. Zarte Finger schlossen sich um seine. Gabriel sah von seiner Hand auf und folgte der Linie ihres Körpers zu ihrem Gesicht. Zwischen dem weißen Streifen Make-ups sahen ihn dunkle Augen an in denen er sich spiegelte, die Flammen waren verschwunden. „Komm mit mir.“, hauchte sie gegen seine Lippen, als sie sich zu ihm beugte. Gabriel wich zurück. „Wo ist meine Schwester?“, fragte er sie und seine Stimme klang ruppiger, als er es wollte. Das Weiße Kaninchen zuckte zurück. Für einen kurzen Moment flackerten die Spiegelungen der Flammen in ihren Augen. Doch er versuchte es zu ignorieren. „Wo ist meine Schwester?“, fragte er wieder. „Sag es mir!“ Er zog sie an der Hand, die sie hielt zu sich hin. Fast panisch riss sie ihre Finger zwischen seinen hervor, doch er fing ihr Handgelenk ein. „Sag es mir!“ Er knurrte fast. Sie versuchte sich erneut zu befreien. Dabei trat ein Ausdruck in ihre Augen, bei dem es ihm die Brust zuschnürte: Angst. Abrupt ließ er ihr Handgelenk los. Er konnte sie keinen Moment länger festhalten, konnte keinen Moment länger den Ausdruck in ihren Augen ertragen. Es schmerze ihm sie so zu sehen. Das Weiße Kaninchen drehte sie ruckartig um und rannte fast fluchtartig zwischen die Bäume, tiefer in den Wald hinein. „Sie flieht vor mir.“, flüsterte er zu sich selbst. Sie hatte Angst vor ihm, flüchtete vor ihm. Sein Herz zog sich zusammen, als er daran dachte. Er konnte nicht erklären woher es kam, doch es zwang ihn fast in die Knie, dass er sie leiden sah. Dass sie litt…wegen ihm! Fast benommen taumelte Gabriel nach vorne. „Warte.“, sagte er leise in die Dunkelheit. „Warte.“, sagte er lauter. Erst als er zur Besinnung kam, dass sie verschwinden könnte, schrie er in die Nacht hinaus: „Warte!“ Gabriel fing an zu rennen in die Richtung in der sie verschwunden war. Er hetzte an Bäumen vorbei und stolperte über Wurzeln. Dann sah er sie. Das weiße Kleid blitzte in der Dunkelheit auf. Das Weiße Kaninchen stand vor einem Baum, neben einem gähnenden schwarzen Loch. Sie hatte das Gesicht in den Händen verborgen. Als sie die Blätter unter seinen Schritten rascheln hörte, zuckten ihre Hasenohren und sie blickte auf. Ihre Augen waren nicht länger tief Braun, sondern von einem ebenso Silberweiß, wie ihre Haare, nur viel leuchtender. Als sie sprach war ihre Stimme wie in Trance, so als würde sie nicht selbst mit ihm reden. „Ich hätte dich nicht aufsuchen dürfen.“, flüsterte sie, doch er vernahm sie so deutlich als würde sie neben ihm stehen. „Es wird alles schrecklich enden, wenn du zurück kommst. Wenn wir…“ Sie stockte und brach ab. „Wunderland ist nicht mehr das was es einmal war, Gabriel.“ Sie sprach zum ersten Mal seinen Namen aus. „Es ist kein Ort für dich.“ Sie schloss die Augen und lies sich fallen. Gabriel schnellte nach vorne, rief: „Nein!“ Doch das schwarze Loch verschluckte bereits das weiße Kleid, umschlang das Weiße Kaninchen und entriss sie ihm. ------------------------------------------------------------------------------ So nun das erste Kapitel meiner neuen Inspiration hat euch hoffentlich gefallen^^ lg kessy Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)