Herzschlag von Kalliope (Das Buch der Rose) ================================================================================ Kapitel 2: Schlangentanz ------------------------ Die Sonne neigte sich gerade dem Horizont zu und berührte mit den letzten Sonnenstrahlen, die durch das große, bunte Glasfenster drangen, den Federkiel in Rose‘ Hand, als sie den letzten Absatz ihrer Hausarbeit beendete. Zufrieden las sie sich die gut zehn Seiten starke Argumentation für das aktuelle Thema in Geschichte der Zauberei durch. Ja, das war gut so. Nachdem sie ihre Sachen von dem Tisch geräumt hatte, machte sie sich auf den Weg in die Bibliothek, um die Bücher, die sie sich dort zum Thema ausgeliehen hatte, wieder zurück zu bringen. Rose mochte diese Uhrzeit zwischen dem Abendessen und der Bettruhe, wenn die Flure und Gänge sich immer weiter leerten und man nur noch wenigen Seelen begegnete, die in aller Eile noch Freunde treffen wollten oder hektisch an die Hausaufgaben für den nächsten Tag dachten. Es war eine Zeit der Ruhe und Entspannung, wenn sie am Ende des Tages wieder neue Kraft sammeln konnte, doch genau diese Ruhe wurde unterbrochen, als sie Lilys engelsgleiche Stimme hinter sich hörte. „Rosie, warte mal bitte!“ Ihre Cousine kam etwas außer Atem bei ihr an, strahlte jedoch über das ganze Gesicht. „Rate, wer mich zum Halloween-Ball eingeladen hat! Lysander meint, wir könnten doch zusammen hingehen, soll ich seine Einladung annehmen?“ Etwas verdutzt starrte die Ältere in das Gesicht der Jüngeren, dann bildeten sich Denkerfalten auf Rose‘ Stirn und sie legte den Kopf ein wenig schief. Sie war irritiert, dass Lily ausgerechnet sie fragte, mit wem sie zu dem Ball gehen sollte, der noch nicht unmittelbar vor der Tür stand. Sicherlich war Rose klar gewesen, dass ihre hübsche Cousine schnell ein paar Angebote bekommen würde, aber seit wann bat Lily sie um ihre Meinung? Vor allem in Jungs-Fragen war Rose so hilfreich wie eine kreischende Alraune beim Umtopfen, das wussten alle. „Sicher, wieso nicht?“ „Na ja“, begann Lily gedehnt und strich sich eine der langen, roten Haarsträhnen hinter das Ohr, „ich dachte mir, dass du Lysander besser kennst als ich, immerhin seid ihr in einem Jahrgang. Er möchte, dass wir als Freunde hingehen, aber…“ Allmählich dämmerte es Rose, obwohl sie selbst nicht viel Ahnung in diesen Dingen hatte. Selbst ein mildes Lächeln konnte sie sich nicht verkneifen. „Ah, ich verstehe. Du würdest lieber mit jemand anderem als Paar hingehen, aber diese Person hat dich noch nicht gefragt?“ Lily nickte und errötete dabei, was sie in diesem Moment so kindlich wirken ließ, wie sie mit ihren jungen vierzehn Jahren vermutlich auch noch war. „Also, was meinst du?“ „Lysander ist nett, ihr werdet euch den ganzen Abend bestimmt gut amüsieren. Zu dem Rest kann ich dir nichts sagen, Lily, das ist deine Sache.“ Wobei Rose schon neugierig war, auf wen Lily ein Auge geworfen hatte. Zwar schien die Jüngere mit der Antwort nicht ganz zufrieden zu sein, doch bedankte sie sich für Rose‘ Ratschlag und begleitete sie noch bis zur Tür der Bibliothek. Liebe konnte so kompliziert sein, sagte man das nicht immer? Rose schaute Lily noch einige Sekunden hinterher, dann drehte sie sich mit einem leichten Kopfschütteln um und sog während ihrer nächsten Schritte den vertrauten Geruch alter Ledereinbände, goldenen Prägedrucks und vergilbter Papierseiten ein. Wenn der Abend ihre liebste Uhrzeit war, war die Bibliothek ihr absoluter Lieblingsort in Hogwarts – eine Leidenschaft, über die sie sich stundenlang mit ihrer Mutter unterhalten konnte. Ihre Augen wanderten geduldig über die Regalreihen, bis sie die gefunden hatte, aus der die drei Bücher auf ihrem Arm stammten. Gedankenverloren stellte die junge Weasley die Bücher zurück an ihren Platz, als ihr auf einmal bewusst wurde, wie sie beobachtet wurde. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und sie spürte eine Gänsehaut unter ihrem Pullover, als sie sich zur Seite drehte und einen Blondschopf am anderen Ende des Gangs bemerkte. „Wenn du nicht aufpasst, fallen dir noch die Augen aus beim Anblick so vieler Bücher an einem Ort. Du bist doch bestimmt nicht gewöhnt von so viel Wissen an einem Ort eingeschüchtert zu werden.“ „Wenn mich etwas einschüchtert, dann bestimmt nicht die komplette Ausgabe über die Kriege von Hogwarts, meine Liebe.“ Priscilla Parkinson lächelte süffisant und entblößte dabei zwei Reihen perfekter Zähne, die in jeder Muggel-Zahnpasta-Werbung ein ausgezeichnetes Zuhause finden würden. „Darf ich?“ Noch immer lag ein Lächeln auf Priscillas Lippen und sie drängte sich an Rose vorbei, um nun ihrerseits ein Buch an seinen Platz zu stellen. Dabei glitt ihr abschätzender Blick über Rose und noch während sie sich zum Gehen abwandte, zuckten ihre Mundwinkel wieder nach unten. „Priscilla, wie lange brauchst du denn für so ein dämliches Buch… Oh. Hey, Rose.“ Albus fuhr sich durch seinen dunklen Wuschelkopf, nickte seiner Cousine zu und verschwand zusammen mit Priscilla außer Sichtweite. Aufgebracht schnaufte Rose, wobei ihr augenblicklich der Vergleich mit einem Walross in den Sinn kam und sie ihn als durchaus passend empfand. Diese Schnepfe Priscilla – in ihren Augen war sie das – war schon seit ihrem ersten Tag in Hogwarts so etwas wie ihre private Erzfeindin. Beide hatten ausgezeichnete Noten, waren bei den Lehrern beliebt und unterschieden sich doch in einem so wichtigen Punkt wie der Beliebtheit. Normalerweise redete Rose sich immer ein, dass ihr so etwas nicht wichtig war, aber selbst ihre Mutter Hermine wusste, dass keinem sechzehnjährigen Mädchen egal war, ob sie von anderen gemocht wurde oder nicht. Auch Rose Weasley nicht. * * * „Und dann fügen wir noch einige Aalaugen hinzu und lassen es weitere neuneinhalb Minuten köcheln.“ Rose schrieb die letzten Hinweise nieder, legte die Schreibfeder zur Seite und nahm vier Aalaugen aus dem Gefäß vor sich, die sie ihrem Zaubertrank hinzufügte. Danach drehte sie die kleine Sanduhr um. „Weißt du schon das Neuste?“ Ophelia beugte sich mit einem wahrhaft verschwörerischen Gesichtsausdruck zu ihrer Banknachbarin, wobei sie ihren Tonfall soweit gesenkte hatte, dass man sie über das Brodeln der Kessel hinweg nicht hören konnte. „Es geht das Gerücht um, dass Priscilla und Marcus sich getrennt haben. So kurz vor dem Halloween-Ball! Ist das nicht unglaublich? Man möchte meinen, die Gute sei am Boden zerstört, aber angeblich hat sie bereits ein Auge auf Scorpius geworfen.“ „Na und? Soll sie doch, das ist mir egal“, murrte Rose, nahm die Sanduhr in beide Hände und starrte hochkonzentriert auf den Sand – zumindest versuchte sie so zu wirken. Ophelia rollte mit den Augen, gab jedoch noch nicht auf. „Der Ball ist schon nächste Woche, stell dir das doch nur vor! Ich würde zu gerne sehen, wie Priscilla Parkinson ohne Tanzpartner auftaucht.“ „Was soll so schlimm daran sein, wenn man keinen Tanzpartner hat? Ich habe auch kein Date, macht mich das zur Außenseiterin?“ Als sie das minimale Zögern ihrer Freundin bemerkte, stellte Rose die Sanduhr auf dem Tisch ab. „Entschuldige mich bitte, ich muss mich um diesen Zaubertrank kümmern.“ „Ach komm schon, Rosie, so war das nicht gemeint. Du freust dich doch auch, wenn diese Slytherin-Tussi mal nicht absolut perfekt ist.“ „Perfektion sollte aber das höchste Maß sein, wenn man sich keine Ziele setzt, wird man nie etwas erreichen.“ „Du bist sauer, lass mich den Grund erraten. Also wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du dich an dem allgemeinen Zickenkrieg bezüglich der Ballkleider beteiligst, aber ich kenne dich, Rose Weasley, das ist nicht dein Stil. Hast du Bertie Botts Bohnen mit Kotze-Geschmack erwischt? Roxanne hatte vorgestern Abend welche, als wir im Gemeinschaftsraum saßen. Sie sah aus, als würde sie sich wirklich gleich übergeben, total abgefahren.“ Obwohl Rose wütend auf Ophelia sein wollte – sie kannte nicht einmal einen genauen Grund dafür –, war sie es nicht und musste schließlich schmunzeln. „Ernsthaft? Kotze-Geschmack?“ „Oh ja, wirklich, du kannst sie nachher fragen. Diese Anekdote wird sie vermutlich noch ihren Enkelkindern erzählen.“ Ophelia gab Rose einen freundschaftlichen Stoß in die Seite, dann wandte auch sie sich wieder ihrem Zaubertrank zu. Die Braunhaarige mochte Rose seit dem Moment, als sie beide in das Haus Gryffindor eingeteilt worden waren. Auch wenn es nicht immer leicht mit Rose war, so freute Ophelia sich doch immer über Rose‘ Gesellschaft, immerhin waren die beiden auf ihre verquere Art und Weise so etwas wie beste Freundinnen, auch wenn sie sich nicht immer alles erzählten. Am Ende der Stunde packten beide Mädchen ihre Sachen zusammen, lieferten die Glasflakons mit Proben ihrer Zaubertränke ab und verließen den Kellerraum. „Geht es dir nicht auch so, dass du nach jeder Stunde Zaubertränke das Gefühl hast, dass die Luft hier draußen viel frischer ist?“ „Das kommt dir nur so vor“, murmelte Rose, die Nase noch in ein Buch gesteckt, das sich um den Zaubertrank der gerade beendeten Stunde drehte. Schließlich blieb Rose stehen, hob den Blick und schaute ihre Freundin unmittelbar an. „Glaubst du, dass ich jemals ein Date habe, solange wir noch zur Schule gehen?“ Ophelia konnte einen überraschten Gesichtsausdruck nicht verbergen und biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte Rose nicht verletzen, aber sie kannte das Gerede der anderen und sie kannte Rose. „Schon gut, dumme Frage.“ Rose klappte das Buch zu und marschierte schnurstracks auf die Treppen zu. „Rosie, warte doch.“ Sie beschleunigte ihre Schritte, schloss zu Rose auf und berührte sie am Arm. „Natürlich wirst du ein Date haben und es wird wundervoll werden, ganz sicher.“ „Mir ist die Schule wichtig und mir sind meine Zensuren wichtig, wieso müssen mich alle als langweilige Streberin abstempeln? Denkst du, ich weiß nicht, was über mich geredet wird?“ Ophelia ließ Rose gehen, als diese sich losriss und mit großen Schritten voran ging, sodass sie schon kurze Zeit später irgendwohin verschwunden war. Ein Seufzer entkam ihrer Kehle, als sie zurück in ihr normales Tempo fiel und darüber nachdachte, wie Rose sich gerade wohl fühlen musste. Als ihre beste Freundin wusste sie, dass Rose darunter litt, dass ausgerechnet Priscilla alles bekam, was sie wollte. Die beiden konnten sich auf den Tod nicht ausstehen und das alleine war schon Grund genug dafür, dass Rose regelmäßig wegen Priscilla an die Decke ging, doch manchmal vermutete Ophelia noch mehr hinter der ganzen Sache. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ausgerechnet Rose, die sonst für ihre ruhige und zurückhaltende Art bekannt war, nur wegen so einer dämlichen Weiber-Fehde die Beherrschung verlor und zu einer unerträglichen Zicke mutierte. Da musste mehr dahinter stecken – und je mehr Ophelia darüber nachdachte, wer oder was der Grund für Rose‘ seltsames Verhalten war, desto mehr wurde ihr klar, dass sie dieses Geheimnis nicht alleine lüften konnte. Es gab auch nur eine Person, der sie genug vertraute, um mit ihr diese Sache in Angriff zu nehmen, denn nur diese eine Person kannte sowohl Priscilla als auch Rose gut genug. Sie fand Albus Potter am Abend auf dem Rückweg vom Astronomieturm – Astronomie war das einzige Fach, das Rose nicht als UTZ-Kurs belegte, Albus und Ophelia hingegen schon, weswegen sie bis jetzt nach dem Unterricht gewartet hatte. „Albus, kann ich dich kurz sprechen?“ Sie ignorierte zwei seiner Kumpel aus Slytherin, die bereits hämische Kommentare abgaben. „Es ist wichtig.“ Als Albus noch immer nicht stehen blieb, brummte Ophelia leise. „Bitte, es geht um Rose.“ „Also gut. Geht schon vor, wir kommen gleich nach.“ Albus nickte seinen Freunden zu, wartete auf Ophelia und gemeinsam gingen sie etwas langsamer die gewundene Treppe hinab. „Was ist mit Rose?“ „Dasselbe wollte ich dich fragen.“ Sie suchte in seinem Gesicht nach irgendeiner Regung, die darauf schließen ließ, dass er mehr wusste als sie, doch sie sah nichts als eine Spur Langeweile, die der Potter-Spross in diesem Kurs immer an den Tag legte. „Sie benimmt sich in der letzten Zeit so merkwürdig und ich denke, dass es am Halloween-Ball liegt. Verstehst du, Rose hat keinen Tanzpartner und du weißt ja von dieser Feindschaft mit Priscilla und…“ „Also geht es mal wieder um Priscilla, ja?“ Albus unterbrach Ophelia genervt und wurde wieder schneller. „Ich halte mich aus diesem Mädchenkram raus, davon bekommt man nur Kopfschmerzen. Wenn meine Cousine sich mit ihr streiten will, soll sie das tun. Versteh mich nicht falsch, Rose liegt mir wirklich am Herzen, aber was genau willst du eigentlich von mir?“ „Ich möchte doch nur, dass Rose sich besser fühlt. Vielleicht wäre ein Date genau das Richtige für sie, vielleicht auch nicht. Ich weiß ja nicht, weshalb sie in letzter Zeit so schlecht drauf ist. Wobei nein, eigentlich kippte ihre Laune erst, als ich ihr erzählt habe, dass Priscilla und Marcus Flint sich getrennt haben. Wenn du mich fragst, waren sie eigentlich ein ganz niedliches Pärchen.“ „Ich habe dich aber nicht gefragt.“ Albus blieb stehen, sodass Ophelia beinahe in ihn hineingelaufen wäre. „Lass mich wissen, wenn ich etwas tun kann, um Rose‘ Laune zu heben, aber halte mich aus dem ganzen Beziehungskram und dieser Privatfehde raus.“ Ophelia setzte einen flehenden Hundeblick auf. „Kannst du nicht wenigstens mal bei Priscilla nachforschen, ob Rose einen Grund hat sie noch mehr zu hassen als sonst?“ „Ophelia…“ „Ja, schon gut, ich hab’s verstanden. Danke für die Hilfe.“ Die Gryffindor-Schülerin ignorierte Albus‘ Rufen und eilte die restlichen Stufen nach unten, wo sie den beiden wartenden Slytherins vernichtende Blicke zuwarf. Wie die meisten anderen aus Gryffindor pflegte sie die traditionelle Feindschaft zum Haus Slytherin nur zu gerne. Die Oktobernächte waren kalt und es fröstelte sie, als sie endlich einen wärmeren Flur erreichte, der sie zum Treppenhaus bringen würde, doch auf halbem Weg wurde sie von zwei Gestalten abgelenkt, die sich in dem Säulengang an einer der Säulen breit gemacht hatten. „Wenn man vom Teufel spricht…“ Eigentlich wollte sie Priscilla und Scorpius ignorieren und ging wortlos an ihnen vorbei, aber im letzten Moment, bevor sie in einen anderen Quergang einbiegen wollte, fiel ihr ein roter Haarschopf zwischen den Säulen des Quergangs auf. Sie schaute zurück zu den beiden Blondies, die sich über irgendetwas unterhielten, dann wanderte ihr Blick wieder zum Quergang. Sie hätte schwören können, dass dort in den Schatten Rose gestanden und die beiden anderen beobachtet hatte. Die Gedanken darüber, wieso Rose das getan hatte, bereiteten ihr Sorgen. Es passte einfach nicht zu Rose den beiden nachzuspionieren. Allmählich begann Ophelia sich zu fragen, wie wichtig Rose dieser Halloween-Ball wirklich war – und ob es hierbei nur um den Ball ging oder noch andere Dinge im Spiel waren, von denen sie nichts wusste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)